In Deutschland ist für neue Arzneimittel eine schnelle, umfassende Verfügbarkeit sowie – anders als in den meisten anderen Ländern – eine unmittelbare Erstattung gegeben (EFPIA 2021). Durch die Bestimmung des Zusatznutzens über den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) ist das Wissen um den möglichen Stellenwert von entsprechend bewerteten Arzneimitteln hoch. Insofern, so könnte man schlussfolgern, steht in Deutschland einem Höchstmaß an Versorgungsqualität nichts entgegen.

Aber: Versorgungsqualität hängt nicht allein vom schnellen Marktzugang von Therapien ab. Für Patientinnen und Patienten zählt darüber hinaus die Frage, ob sie die für ihren Einzelfall bestmögliche, passgenaue Therapie erhalten und diese sachgerecht zur Anwendung kommt. Zudem muss sie verlässlich verfügbar sein. Damit dies auch langfristig so bleiben kann, müssen Therapien für die Versichertengemeinschaft auch künftig noch bezahlbar sein. Denn Hersteller fordern für neue Arzneimittel immer höhere Preise (Schröder und Telschow 2021), deren Rechtfertigung kritisch hinterfragt werden muss und die die Bezahlbarkeit der solidarischen Krankenversicherung zunehmend unter Druck setzen. So stiegen die Arzneimittelausgaben 2021 überdurchschnittlich um 7,8 % (BMG 2022), wobei die Finanzlücke der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in den kommenden Jahren erheblich zu wachsen droht (GKV-Spitzenverband 2022; Stegmaier 2022). Mit der prekären Finanzlage der GKV ist daher die Bezahlbarkeit von Therapien ein zunehmend wichtiger Aspekt, um nicht künftigen Rationierungsüberlegungen Vorschub zu leisten. Für die fortgesetzte Sicherung einer hohen Versorgungsqualität muss vor diesem Hintergrund an allen diesen drei Aspekten – dem evidenzgesicherten Einsatz der Arzneimittel, der Verfügbarkeit, aber auch der Bezahlbarkeit – noch mehr als bisher getan werden.

Damit Arzneimittel passgenau eingesetzt werden können, kommt der Bewertung von Therapien im G-BA eine sehr große Bedeutung zu. Angesichts der zunehmenden Zahl von beschleunigt zugelassenen Arzneimitteln, die regelmäßig eine schwache Evidenzlage aufweisen (u. a. Haas et al. 2021), wird die Einschätzung eines Zusatznutzens gegenüber bewährten Therapien für den G-BA erschwert. Dies gilt vor allem dann, wenn die Grundlage für eine systematische, evidenzbasierte vergleichende Bewertung fehlt (Naci et al. 2020). Ab 2016 hat der Anteil der Arzneimittel zugenommen, die der G-BA im Ergebnis mit einem „nicht quantifizierbaren“ Zusatznutzen bewertet hat. Dies betrifft zunehmend auch Nicht-Orphan Drugs (Greiner et al. 2022). Da somit die notwendige Evidenz dieser Arzneimittel parallel zur tatsächlichen Anwendung geschaffen werden muss, war die Implementierung der anwendungsbegleitenden Datenerhebung über den G-BA folgerichtig. Unter welchen Voraussetzungen eine solche real world evidence geeignet sein kann, zeitnah die Evidenzsicherheit für die Patientinnen und Patienten zu schaffen und in welchem Maße Registerdaten qualitativ an die vorab geplanten randomisierten, kontrollierten Studien heranreichen können, wird noch zu klären sein.

Dass Patientinnen und Patienten jedoch manchmal „des Guten zu viel“ erhalten, ist keine neue Erkenntnis. Auch wenn sich die AOK seit Jahren im Rahmen ihres Angebots zur Pharmakotherapieberatung für Vertragsärztinnen und -ärzte für eine rationale Arzneimitteltherapie und damit auch für die Reduktion einer ungünstigen Polymedikation engagiert, gibt es noch viel zu tun. Versicherte mit einer unangemessenen hohen Anzahl an Arzneimitteln wurden bisher vor allem im Rahmen verschiedener Modellvorhaben der Krankenkassen zur Optimierung ihrer Therapie in Apotheken und Arztpraxen beraten. Künftig werden Apotheken diesen im Rahmen der neuen pharmazeutischen Dienstleistungen Versorgungsangebote in diesem Bereich machen können: Für jeweils bestimmte Gruppen wird eine erweiterte Medikationsberatung, ein Anwendungstraining für Inhalationsarzneimittel oder die Blutdruckmessung möglich sein. Ob jedoch damit in der jetzigen Konzeption überhaupt nachhaltige Effekte für die Versorgungsqualität zu erreichen sind, bleibt abzuwarten. Denn grundsätzlich bedarf es hierfür eines zusätzlichen Engagements der Apotheken sowie einer weitaus intensiveren Kooperation der Leistungserbringer als bisher. Insofern wird zu analysieren sein, ob die auch durch die Schiedsstelle festgelegten Inhalte und Vergütungen (welche nicht nur angesichts der Honorare für analoge Leistungen anderer Leistungserbringer deutlich überhöht erscheinen) insgesamt zu einer Verbesserung der Versorgung führen.

Zuletzt ist auch die Frage der Lieferfähigkeit von Arzneimitteln in den Fokus gerückt. Denn auch wenn Deutschland bislang eine im europäischen Vergleich breite und stabile Verfügbarkeit von Arzneimitteln im Markt hat (Vogler und Fischer 2020), so zeigen akute Lücken im Einzelfall die Defizite im deutschen Versorgungssystem auf. Dass es bei den Ursachen für Lieferengpässe keine einfachen Wahrheiten gibt, zeigt der aufgetretene Engpass bei Tamoxifen: Das oftmals angeführte Narrativ einer außereuropäischen Produktion war hier ebenso wenig einschlägig wie ökonomische Faktoren. Denn weder wurde die Festbetragsgrenze von den Marktteilnehmern erreicht, noch spielten hier Rabattverträge, die nicht breit vorhanden und zudem oftmals im Mehrpartnermodell vergeben waren, eine relevante Rolle (Ärzteblatt 2022). Die Ursachen für Engpässe sind vielschichtiger, sodass sich der deutsche – wenn nicht auch der europäische – Versorgungsmarkt aktiv darauf einstellen muss. Insofern ist die Einrichtung eines vorausschauenden staatlichen Verfügbarkeitsmanagements für Arzneimittel dringender denn je, um Engpässe frühzeitiger zu identifizieren und damit schneller gegensteuern zu können. Denn so wie massive Lieferengpässe – wie bei Tamoxifen – den Markt kurzfristig überraschen, führt ein Gegensteuern erst zeitversetzt aus der Misere. Versorgungsrelevante, nicht ersetzbare Wirkstoffe sollten daher künftig generell unter eine kontinuierliche staatliche Überwachung gestellt werden, auch bezogen auf die dezentralen Bestände in Apotheken bzw. Krankenhausapotheken. Neben der frühzeitigen verpflichtenden Meldung eines drohenden Lieferengpasses sollten auch die Reserven beim Hersteller und Großhandel verpflichtend aufgestockt werden, um produktionsbedingten Verzögerungen, Unfällen in Produktionsstätten oder möglichen Exportstopps etwas entgegenzusetzen (AOK-Bundesverband 2020).

Bislang sind Maßnahmen dieser Art lediglich in Selektivverträgen wie denen der AOK realisiert, die ihre Vertragspartner zur frühzeitigen Information über Lieferprobleme sowie zur erhöhten Bevorratung über den Vertragszeitraum verpflichtet hat. Entsprechend haben sich die von den Krankenkassen mit den pharmazeutischen Unternehmen geschlossenen Rabattverträge im Markt als stabilisierendes Instrument erwiesen: AOK-Rabattarzneimittel weisen eine im Vergleich zum Restmarkt höhere Verfügbarkeit auf (WIdO 2019). Dieser Effekt wird sowohl dadurch erzielt, dass Rabattverträge (insbesondere jene, die exklusiv vergeben werden) die Planungssicherheit für die pharmazeutischen Unternehmen erhöhen, als auch durch drohende Vertragsstrafen, sodass für den Vertragspartner oder die Vertragspartnerin ein zusätzliches wirtschaftliches Interesse besteht, die Lieferfähigkeit seines bzw. ihres Arzneimittels sicherzustellen. Gleichwohl umfasst die selektivvertragliche Versorgungszusage lediglich den jeweiligen Vertragsmarkt. Somit kann bei umfassenden Ausfällen anderer Hersteller ein Mangel im Markt nicht immer kompensiert werden; entsprechende selektivvertragliche Maßnahmen können daher ein staatliches Verfügbarkeitsmanagement nicht ersetzen.

Ein nachhaltiges Investment in eine zuverlässigere Arzneimittelversorgung wäre zudem der Ausbau der Prüfungen in der Produktion. Robustere Lieferketten würden das Risiko von Ausfällen weiter minimieren. Die AOK-Gemeinschaft hatte in ihre Sonderausschreibung für Antibiotikawirkstoffe „Z1“ bereits im September 2020 entsprechende Kriterien integriert, scheiterte aber an den von mehreren pharmazeutischen Herstellern angestrengten vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren (AOK 2020). Soll demnach die Nachhaltigkeit der Arzneimittelversorgungssicherheit in Verträgen gestärkt werden, ist eine gesetzliche Legitimierung der entsprechenden Kriterien auch für Vergabeverfahren dringend notwendig.