Die Qualität der Arzneimittelversorgung sollte daran bemessen werden, dass jede Patientin und jeder Patient das richtige (bestwirksame und bestverträgliche) Arzneimittel in der richtigen Dosierung und zur richtigen Zeit für die Behandlung seiner/ihrer Krankheit(en) bekommt. Dies zu unterstützen ist Anspruch und Angebot der Apothekerschaft. Denn: der Medikationsprozess ist komplex und umfasst bei einer ärztlichen Verschreibung die Anamnese, die Verordnung, die Patienteninformation, das Einlösen des Rezeptes in der Apotheke, die Abgabe mit Beratung und Information, die Einnahme/Anwendung des Arzneimittels, die Dokumentation und das Monitoring.

Ein Medikationsfehler ist ein Abweichen vom optimalen Medikationsprozess. Medikationsfehler können bei jedem Schritt des Medikationsprozesses auftreten und von allen Beteiligten, insbesondere im Bereich der Heilberufe und der Pflege, aber auch von den Patientinnen und Patienten selbst verursacht werden. Neben diesen patientenbezogenen sollten auch systematische Verbesserungspotenziale in den Blick genommen werden. Zudem gibt es Überschneidungen aus patientenbezogenen und systematischen Beeinträchtigungen der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS). Aktuelle Beispiele sind Dosierungsfehler beim Rabattvertrags-getriggerten Austausch von flüssigen Arzneimittelzubereitungen (Parrau et al. 2021), eine Verordnung von Methotrexat 1-0-0 für ein Kind (John 2022) oder relevante Diskrepanzen in der Dokumentation der Medikation zwischen Arztpraxis, Apotheke und Behandelten (Schumacher et al. 2021).

Weitere aktuelle Beispiele wie massive Lieferengpässe bei Paracetamol- oder Ibuprofen-Zubereitungen, potenzielle Versorgungsengpässe bei Tamoxifen (AMK 2022a), die nicht indizierte Bevorratung von Kaliumiodidtabletten (AMK 2022b) oder der geringe Gebrauch von oralen COVID-19-Arzneimitteln wie Nirmatrelvir in Kombination mit Ritonavir (Mikus et al. 2022) zeigen, dass das Versorgungssystem auch in Deutschland vulnerabel ist und immer wieder auf neue Herausforderungen reagieren muss.

Neben der beeinträchtigten AMTS sind die Translation von Evidenz in die Primärversorgung (Katzmann et al. 2022; Mahfoud et al. 2022) und mangelnde Einnahmetreue in der medikamentösen Therapie weitere große Herausforderungen (Laufs et al. 2011).

Untersuchungen aus dem europäischen Ausland zeigen, dass sechs bis 28 % der Erstverordnungs-Rezepte nicht (nie) in der Apotheke eingelöst werden (Aznar-Lou et al. 2017; Carbonell-Duacastella et al. 2022; Cheen et al. 2019). Untersuchungen aus Deutschland zu diesem Phänomen liegen nicht vor. Mit der Einführung des eRezeptes sollte dieses Problem in Deutschland nicht nur analysiert, sondern auch adressiert werden.

Die langfristige, regelmäßige und korrekte Einnahme von Arzneimitteln ist bei chronischen Krankheiten eine wesentliche Voraussetzung für den Therapieerfolg. Bei vielen Dauertherapien wurden aber nur Einnahme-Raten von circa 50 % ermittelt (Sabaté 2003). Die folgenden fünf Dimensionen beeinflussen die Medikamenten-Adhärenz: sozioökonomische, behandlungsbezogene und patientenbezogene Faktoren sowie der Gesundheitszustand und das Gesundheitssystem inklusive Faktoren der Versorgung.

Eine geringe Einnahmetreue ist pandemisch und mindert die Effektivität evidenzbasierter Therapien (Baumgartner et al. 2018; Choudhry et al. 2022; Laufs et al. 2011; Simon et al. 2021). Die Medikamenten-Adhärenz nachhaltig zu verbessern ist herausfordernd. Hier erscheint eine langfristig-kontinuierliche Betreuung von Patientinnen und Patienten (Medikationsmanagement) auf Basis einer Medikationsanalyse wie im Modellvorhaben nach § 63 SGB V Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN; Müller et al. 2018) oder in der ersten apothekenbasierten interdisziplinären randomisierten Studie in Deutschland PHARM-CHF (Schulz et al. 2019) als erfolgversprechender Handlungsansatz.

Drugs don’t work in patients who don’t take them (C. Everett Koop, früherer US Surgeon General).

Zahlreiche Untersuchungen zeigen zudem, dass mit viel Aufwand erarbeitete evidenzbasierte Leitlinien zu wenig Berücksichtigung in der Primärversorgung finden. Die Forderung nach einer konsequenten Evaluation der Inhalte sowie der Effekte von Leitlinien wurde im Übrigen bereits vor 25 Jahren erhoben (Gerlach 1997). Dieses Phänomen wird international auch als guideline inertia bezeichnet (Gradl et al. 2021; Mahfoud et al. 2022).

Drugs can’t work in patients who don’t receive them (M. Schulz).

Aufgrund der Ergebnisse der Evaluation durch die ARMIN sollten deren wirksame und sichere Interventionen bundesweit in die Regelversorgung eingeführt werden (Publikation in Arbeit). So sollte allen Patientinnen und Patienten mit Polymedikation, das bedeutet Menschen, die fünf und mehr systemisch wirkende Arzneimittel erhalten, eine Medikationsanalyse mit pharmazeutischer und medizinischer AMTS-Prüfung, gefolgt von einem interdisziplinären Medikationsmanagement angeboten werden.