1 Das Elektromobilitätsangebot

Die für ein Angebot von Elektromobilität notwendige Zusammenführung der fahrzeug- und der energiebezogenen Wertschöpfung löst die klar definierten Grenzen der industriebasierten Geschäftsmodelle zunehmend auf. Während die Produktion der Fahrzeuge sowie die Stromerzeugung und die netzbasierte Verteilung in bekannten oder nur angepassten Wertschöpfungsstrukturen stattfindet, verändern informationstechnologische Innovationen und datenbasierte Geschäftsmodelle die kundenorientierten Upstream-Wertschöpfungsschritte. Etablierte und neue Anbieter der Automobilindustrie, Unternehmen der Energiebranche sowie mobilitäts- und informationstechnologisch orientierte Start-up-Betriebe konkurrieren um einen mobilitätsorientierten Wertschöpfungsanteil, der künftig den wachstumsstärksten Bereich des Wertschöpfungssystems ausmacht (vgl. Abb. 32.1).

Abb. 32.1
figure 1

Die elektromobile Wertschöpfung

Die Auswirkungen der Elektrifizierung des Antriebsstrangs, der Konnektivität und der zunehmenden Autonomisierung von Fahrfunktionen bei sich gleichzeitig wandelnden kundenseitigen Anforderungen an Mobilität auf Wertschöpfungsumfänge, -strukturen und -prozesse sind teilweise interdependent. Die folgenden Ausführungen stellen die Veränderung der Wertschöpfung durch Elektrifizierung des Antriebsstrangs aus Sicht von Automobilproduzenten und -zulieferern sowie Unternehmen der Energieversorgung in den Mittelpunkt. Vor allem die Darstellung neu entstehender Geschäftsmodelle ist aber untrennbar mit anderen technologischen Entwicklungen verknüpft – insbesondere mit der Digitalisierung und der zunehmenden Konnektivität von Fahrzeugen.

2 Fahrzeugbezogene Wertschöpfungsstruktur

Die fahrzeugbezogene Upstream-Wertschöpfung ist anhand der Zuliefererpyramide mit der wertschöpfungsorientierten Abfolge von Lieferanten dargestellt, wobei die Rangfolge der Zulieferer durch die Komplexität der produzierten Güter unterschieden wird. Automobilhersteller koordinieren die Automobilzulieferer und nehmen gemeinsam mit Tier-1-Zulieferern einen großen Teil der Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ein. Tier-1-Zulieferer bringen eine hohe Integrationskompetenz mit, durch die manche von ihnen auch als „Mega-Zulieferer“ oder „Tier-0,5-Zulieferer“ bezeichnet werden können. Zulieferer auf Tier-2-Ebene sind häufig Technologieführer in Spezialbereichen, Tier-3-Zulieferer hingegen sind Prozess- oder Kostenführer. Sie stellen vornehmlich Komponenten und Teile mit niedrigerem Komplexitätsgrad her (Abb. 32.2).

Abb. 32.2
figure 2

Zuliefererpyramide der Automobilindustrie

Unternehmen sind dabei nicht auf eine Ebene beschränkt, sondern können Aufgaben auf verschiedenen Levels übernehmen. Ein Zulieferer kann als Komponentenlieferant und gleichzeitig als Teilelieferant für nachgelagerte Wertschöpfungsebenen aktiv sein. Zudem können Wertschöpfungsstufen übersprungen werden.

Das Netz der miteinander verbundenen Unternehmen aller Wertschöpfungsstufen basiert auf den komplexen Wertschöpfungsumfängen der Automobilindustrie. Die Wertschöpfung innerhalb eines solchen Systems stellt das theoretische Gewinnpotenzial dar. Sie teilt sich in Eigenleistungskosten und Gewinn. Die Wertschöpfung eines Herstellers ergibt sich aus dem am Ende der Produktion stehenden Produktionswert abzüglich der Vorleistungen des beziehungsweise der vorangegangenen Lieferanten (Abb. 32.3).

Abb. 32.3
figure 3

Branchenwertschöpfung in Anlehnung an Müller-Stewens und Lechner (2005). (Vgl. Müller-Stewens und Lechner 2005)

Die Wertschöpfungskette upstream umfasst Material-, Entwicklungs- und Produktionsumfänge. Physisch teilt sie sich nach Komplexitätsgrad in Teile, Komponenten, Module und Systeme, wie in Abb. 32.2 dargestellt. Durch Koordination des Wissens und Output der verschiedenen Wertschöpfungsstufen entsteht das automobile Endprodukt. Die Endprodukte aus Sicht der Kunden sind üblicherweise im oberen Bereich der Zuliefererpyramide zu finden (Abb. 32.4).

Abb. 32.4
figure 4

Upstream-Wertschöpfungskette und -Wertschöpfungstiefe

Die Eigenleistung der Automobilhersteller auf den einzelnen Ebenen der Wertschöpfungskette ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Gründe dafür liegen in der Produktproliferation – das heißt: in der Vielfalt von Baureihen (Produktverbreiterung) und in der Auffächerung bestehender Baureihen in verschiedene Typen (Produktdifferenzierung).Footnote 1 Die Kosten, die einerseits mit dem massiv erweiterten Modell- und Variantenangebot und andererseits mit den Forschungs- und Entwicklungsaufwänden für das Prinzip „CASE“ (Connected – Autonomous – Shared – Electric) einhergehen, haben in der Fahrzeugproduktion zu einer Konzentration auf Kernkompetenzen geführt.

Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs hat direkte Effekte auf die derzeitige Wertschöpfung von Automobilproduzenten und ihren Zulieferern. Sie eröffnet neue Potenziale vor allem im Bereich von Batteriesystemen und Elektronik, jedoch reduziert die geringere Komplexität von Elektrofahrzeugen – je nach Modell – das derzeitige Wertschöpfungspotenzial gleichzeitig um etwa 35 bis 40 %. Die für Elektrofahrzeuge notwendige Infrastruktur eröffnet neue Potenziale für Energieversorger, Automobilproduzenten und weitere Anbieter, während Digitalisierung und Konnektivität die Grundlage für neue mobilitätsorientierte Dienstleistungen schaffen, die von etablierten und neuen Akteuren angeboten werden. Im Folgenden wird die derzeitige Wertschöpfung in Bezug auf die Fahrzeugproduktion sowie künftige Potenziale der fahrzeug-, energie- und mobilitätsbezogenen Wertschöpfung dargestellt.

3 Die globale fahrzeugbezogene Wertschöpfung

3.1 Fahrzeugproduktion

In den vergangenen zehn Jahren sind die Verkaufszahlen für batterieelektrische, hybrid- oder brennstoffzellengetriebene Fahrzeuge kontinuierlich gestiegen – sogar in dem von der Corona-Pandemie geprägten Jahr 2020. Abb. 32.5 zeigt die globalen Verkaufszahlen elektrischer Fahrzeuge sowie ihr Anteil am gesamten Fahrzeugmarkt für die Jahre 2010 bis 2020.

Abb. 32.5
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Globale Verkaufszahlen von BEV, PHEV und FCEV zwischen 2010 und 2020 sowie der globale Marktanteil elektrisch angetriebener Fahrzeuge. (Vgl. International Energy Agency (IEA) 2021)

Kumuliert wurden im Jahr 2020 weltweit knapp drei Millionen elektrisch angetriebene Fahrzeuge verkauft. Das entspricht einem Marktanteil von 4,2 %. Der Vergleich mit den knapp 8000 verkauften Einheiten im Jahr 2010, die einem Marktanteil von weniger als 0,1 % entsprechen, offenbart die stark gewachsene Bedeutung von Elektromobilität für die Automobilbranche.Footnote 2

Der Wandel in der Automobilbranche vom Verbrennungsmotor als Antriebsart hin zum Elektromotor bringt auch neue Marktverhältnisse mit sich. Abb. 32.6 führt die zehn Produzenten auf, die 2019 und 2020 die meisten BEV und PHEV verkauft haben. Die beiden nach veräußerten Einheiten größten Automobilproduzenten der Welt – Toyota und VolkswagenFootnote 3 – waren im Jahr 2019 nicht bei den fünf erfolgreichsten Herstellern von Elektrofahrzeugen vertreten, was sinnbildlich für die Umwälzung der bekannten Machtverhältnisse steht.

Abb. 32.6
figure 6

Verkaufszahlen der zehn größten Elektrofahrzeughersteller aus den Jahren 2019 und 2020. (Vgl. Gersdorf et al. 2020, vgl. Kane 2021, vgl. Kane 2020, vgl. Pontes 2021)

Tesla liegt für 2020 genauso wie schon im Jahr 2019 mit großem Vorsprung an der Spitze der Rangliste. Im Jahr 2020 verkaufte das US-amerikanische Unternehmen 499.535 Fahrzeuge, was einem Marktanteil von knapp 16 % auf dem E-Mobil-Sektor entspricht. Dahinter verändert sich das Bild: Nachdem BMW im Jahr 2019 als erfolgreichster europäischer Automobilhersteller auf Rang 5 landete und 128.833 Elektrofahrzeuge verkaufte, konnten vor allem die europäischen Hersteller im Jahr 2020 aufholen. So verdoppelte Volkswagen seinen Marktanteil auf nahezu 7 % (220.220 verkaufte Elektrofahrzeuge) und ist damit der weltweit zweitgrößte Anbieter elektrisch angetriebener Fahrzeuge. In Gestalt von Mercedes, Renault, Volvo und Audi konnten vier weitere Automobilproduzenten mit Sitz in Europa ihre Marktanteile mehr als verdoppeln.

BYD und SAIC hingegen verloren im Verlauf des Jahres 2020 nicht nur Marktanteile, sondern verkauften sogar in absoluten Zahlen weniger Elektrofahrzeuge als 2019.

Tesla konnte seine Spitzenposition im Jahr 2020 durch einen gesteigerten Absatz seines „Model 3“ (Platz 1) und die Markteinführung des auf derselben Plattform basierenden „Model Y“ (Platz 4) festigen. Abb. 32.7 bietet einen Überblick zu den zehn meistverkauften Elektroautomodellen aus dem Jahr 2020 und deren Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr. Volkswagens starkes Wachstum im Markt für Elektrofahrzeuge ist hauptsächlich dem ersten ausschließlich elektrisch angebotenen Modell der Marke – dem „ID.3“ – zu verdanken. Mit rund 56.500 verkauften Einheiten liegt der „ID.3“ vor den auf Basis bisheriger konventioneller Modelle entwickelten Varianten „e-Golf“ und „Passat GTE“ – und das, obwohl der „ID.3“ erst seit September 2020 erhältlich ist.Footnote 4

Abb. 32.7
figure 7

Verkaufszahlen der zehn erfolgreichsten BEV- und PHEV-Modelle im Jahr 2020. (Vgl. Kane 2021, vgl. Kane 2020, vgl. Pontes 2021)

Mit Ausnahme des Hyundai „Kona EV“ und des Nissan „Leaf“ sind sämtliche Fahrzeuge in dieser Rangliste ausschließlich mit elektrischem Antrieb erhältlich. Es zeigt sich also, dass die erfolgreichsten Modelle auf dem Markt keine weiterentwickelten Verbrenner sind, sondern Fahrzeuge, die von Grund auf für den elektrischen Antrieb ausgelegt wurden. Volkswagen etwa hat dafür bereits ein eigenes Baukastensystem entwickelt. Neben mehreren Modularen Baukästen für konventionell angetriebene Fahrzeuge hat VW den „Modularen E-Antriebs-Baukasten“ (MEB) entwickelt.Footnote 5

Einen Eindruck von der geografischen Verteilung der Produktionsvolumina von BEV und PHEV vermittelt Abb. 32.8, indem sie die sieben Länder mit der größten Anzahl produzierter elektrifizierter Fahrzeuge miteinander vergleicht. Dazu führt die Grafik die kumulierte Fahrzeugproduktion von 2018 bis 2023 auf. China liegt mit 13.008 Mio. Fahrzeugen deutlich an der Spitze. Deutschland und die USA folgen mit 4408 beziehungsweise 4143 Mio. Einheiten. Die deutliche Spitzenposition Chinas in dieser Rangliste ist auch mit der starken Beteiligung ausländischer Automobilkonzerne zu begründen. Die deutschen Hersteller überholten die chinesische Konkurrenz im Jahr 2020 und bauten mit kumuliert 856.000 Einheiten die meisten Elektrofahrzeuge.Footnote 6

Abb. 32.8
figure 8

Kumulierte Produktion elektrifizierter Fahrzeuge von 2018 bis 2023 in 1000 Fahrzeugen, sortiert nach Ländern. (Vgl. Bernhart et al. 2021, S. 8)

Für einen detaillierteren Überblick zur geografischen Produktionsverteilung soll an dieser Stelle exemplarisch auf die Fertigung der deutschen Hersteller Volkswagen, Porsche, Mercedes-Benz und BMW eingegangen werden.

Volkswagen plant ab dem Jahr 2022, an acht Standorten Fahrzeuge seines „Modularen E-Antriebs-Baukastens“ zu produzieren. In Europa sind dafür Zwickau, Dresden, Mlada Boleslav, Hannover und Emden vorgesehen. In Dresden lief in der Gläsernen Manufaktur im Jahr 2020 die Produktion des „ID.3“ an, nachdem dort zuvor bereits der „e-Golf“ gefertigt wurde. Das Werk Zwickau wurde bereits vollständig auf elektrifizierte Fahrzeuge („ID.3“ und „ID.4“) umgestellt und soll künftig bis zu 330.000 Autos pro Jahr produzieren. Dazu sollen auch Modelle der Marken Audi und Cupra gehören. Im Skoda-Werk Mlada Boleslav wird unter anderem der „Skoda Enyaq iV“ produziert. In Hannover und Emden soll die Produktion von Elektrofahrzeugen im Jahr 2022 anlaufen. Gleiches gilt auch für das Werk in Chattanooga in den USA. Die beiden Werke in China sind bereits in Betrieb. In Anting bei Shanghai ist das erste neugebaute Werk für MEB-Fahrzeuge entstanden. In Foshan werden hingegen konventionelle wie elektrische Fahrzeuge parallel hergestellt. Beide Werke verfügen über eine Kapazität von 300.000 Einheiten pro Jahr.Footnote 7

Porsche produziert seine Fahrzeuge weiterhin ausschließlich in Deutschland. Für den vollständig elektrischen „Porsche Taycan“ wurde das Werk in Zuffenhausen erweitert, die Hybridderivate des „Panamera“ und des „Cayenne“ entstehen zusammen mit den konventionellen Fahrzeugen dieser Modellreihen in Leipzig.Footnote 8

Mercedes-Benz verfolgt hingegen auch für seine rein elektrischen Modelle eine flexible Produktionsstrategie. So werden alle elektrischen Modelle in bestehenden Werken in die Fertigung konventionell angetriebener Fahrzeuge integriert. In Deutschland wird der „EQS“ in Sindelfingen, beginnend im Jahr 2021 der „EQA“ in Rastatt und der „EQC“ sowie der „EQE“ (seit 2021) in Bremen produziert. Weitere Produktionsstandorte in Europa sind Kecskemét in Ungarn für den „EQB“ und Vitoria in Spanien für den „EQV“. Seit 2021 werden im Werk von „Beijing Benz Automotive Co. Ltd.“ (BBAC), dem deutsch-chinesischen Joint Venture von Mercedes-Benz, in Peking gleich vier Modelle für den chinesischen Markt gefertigt: die Baureihen „EQA“, „EQB“, „EQC“ und „EQE“. Im US-Werk in Tuscaloosa wird ab 2022 mit der Produktion der SUV-Derivate von „EQE“ und „EQS“ begonnen. Die Hybridfahrzeuge sind in die Herstellung der konventionellen Autos derselben Modellreihe integriert.Footnote 9

Auch BMW hat die Fertigung seiner elektrifizierten Modelle in die bestehende Produktion integriert. Der vollelektrische „i3“ wird seit 2013 in Leipzig gefertigt. In München wird neben den Hybridvarianten der 3er-Baureihe demnächst auch der „i4“ produziert. Seit 2020 wird zudem der „330e“ in Mexiko im Werk San Luis Potosí hergestellt. Der vollelektrische „Mini SE“ wird zusammen mit den konventionell angetriebenen Fahrzeugen der Baureihe im Mini-Werk im britischen Oxford gefertigt. Die Herstellung der Hybridvarianten der SUVs „X3“ und „X5“ findet im SUV-Werk von BMW im US-amerikanischen Spartanburg statt.Footnote 10

Neben der geografischen Verteilung der Produktionsstätten einzelner OEM und der Auflistung der erfolgreichsten Modelle ist auch ein Vergleich zwischen verschiedenen Modellsegmenten hilfreich bei der Erfassung des Wertschöpfungssystems in der Elektrofahrzeugproduktion. Abb. 32.9 gibt dazu einen Überblick zur Anzahl von Fahrzeugmodellen in verschiedenen Segmenten im Jahr 2019, unterteilt nach Antriebsart. Zusätzlich wird die Entwicklung der Fahrzeugsegmente bis 2022 dargestellt, um einen Eindruck des derzeitigen Entwicklungsschwerpunkts zu vermitteln.

Abb. 32.9
figure 9

Entwicklung der Modellzahlen von BEV- und PHEV-Modellen zwischen 2019 und 2022. (Vgl. Gersdorf et al. 2020, S. 10)

Sowohl für batterieelektrische als auch für hybridgetriebene Fahrzeuge ist bis 2022 ein Anstieg der Modellzahlen um mehr als 100 % zu erwarten. Vor allem für die batterieelektrischen Fahrzeuge ist zu erkennen, dass der bisherige Fokus auf der Entwicklung kleiner Fahrzeuge im A- beziehungsweise B-Segment (Kleinst- beziehungsweise Kleinwagen) gelegen hat und diese ungefähr 45 % der verfügbaren Modelle auf sich vereinen. Im D- und E-Segment (obere Mittel- und Oberklasse) waren lediglich 36 vollelektrische Modelle (16 %) weltweit verfügbar. Dies erklärt das bisherige starke Abschneiden von Herstellern kleinerer Fahrzeuge. Im Zuge strenger werdender Emissionsgesetze und technologischer Fortschritte wird für die Jahre von 2020 bis 2022 ein starker Anstieg in den Modellzahlen von C-Segment-Fahrzeugen (Mittelklasse) sowie in der oberen Mittel- und Oberklasse erwartet. Dies wird auch eine Verlagerung der Produktionszahlen zugunsten der Anbieter hochwertiger Fahrzeuge nach sich ziehen.

Bei PHEV ändert sich die Zusammensetzung der Modelllandschaft in der näheren Zukunft nicht grundlegend. Der hauptsächliche Bedarf für die Kombination von Verbrennungs- und Elektromotor besteht bei großen Fahrzeugen der Segmente C bis E. Diese stellen mit 100 Modellen bereits im Jahr 2019 rund 97 % der globalen Modellpalette. Bis 2022 wird sich diese Zusammensetzung nur geringfügig ändern.Footnote 11

3.2 Zusammensetzung der Wertschöpfung bei der Elektromobilproduktion

Um die Wertschöpfung in der Produktion von Elektrofahrzeugen beurteilen zu können, wird im Folgenden die Veränderung des Materialwerts und des Arbeitsaufwands zwischen einem Auto mit Verbrennungsmotor und einem batterieelektrischen Antrieb verglichen.

Der „Content per Vehicle“ (CPV) ist ein Maß für den Materialwert, der in einem Fahrzeug enthalten ist. Ein Vergleich zwischen dem CPV eines konventionell und demjenigen eines batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeugs der oberen Mittelklasse ist Abb. 32.10 zu entnehmen.

Abb. 32.10
figure 10

CPV-Vergleich zwischen einem konventionell und einem batterieelektrisch angetriebenen Fahrzeug. (Vgl. Küpper et al. 2020, S. 4)

Bei Zugrundelegung eines herkömmlichen Verbrenners im oberen Mittelklasse-Segment nimmt der CPV aufgrund der Entfernung aller Bauteile und Komponenten für den Verbrennungsmotor um 31 % ab. Den größten Anteil haben der Motor selbst mit 18 % und das Getriebe mit 9 %. Die Integration eines batterieelektrischen Antriebs bewirkt die Zunahme des CPV um 61 %, so dass ein BEV einen Materialwert in Höhe von 130 % im Vergleich mit einem Verbrenner aufweist. Mit 51 % ist der größte Anteil der Wertzunahme auf die Batterie zurückzuführen. Die Leistungselektronik trägt weitere 6 % bei.Footnote 12

Neben dem Materialwert müssen auch die benötigten Arbeitsstunden zur Produktion eines Fahrzeugs erfasst werden. Der gesamte Arbeitsaufwand verändert sich – entgegen bisheriger Annahmen – nur unwesentlich: Die Arbeitsstunden reduzieren sich durch den Wechsel zur Produktion eines BEV um 1 %. Veränderungen treten in der Verteilung der Arbeitszeit über die verschiedenen Arbeitsschritte auf. Abb. 32.11 gibt dazu einen detaillierten Überblick. Die Arbeitsstunden für die Komponenten- und für die Motorenfertigung sind aufgrund der vereinfachten Bauweise reduziert, jedoch wird diese Arbeitszeit für die Produktion von Batteriezellen, -modulen und -packs benötigt.

Abb. 32.11
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Vergleich der benötigten Arbeitsstunden zwischen ICEV und BEV in Anlehnung an Küpper et al. (2020). (Vgl. Küpper et al. 2020, S. 10)

Da sich der absolute Arbeitsaufwand nicht verändert ist entscheidend, inwiefern sich die Arbeitsteilung zwischen OEMs und Tier-1-Unternehmen verschiebt. Bisher entfallen 47 % der Arbeitsstunden bei der Produktion eines konventionellen Autos auf OEMs und 53 % auf Tier-1-Unternehmen. Abhängig von der Tiefe der vertikalen Integration der Wertschöpfung des OEM wird dessen Anteil an der Arbeitszeit zwischen 40 und 54 % für batterieelektrische Fahrzeuge betragen. Für Tier-1-Unternehmen bleiben demzufolge 46 bis 60 %.Footnote 13

Insgesamt ändert sich die Wertschöpfungsstruktur mit dem Trend der Elektrifizierung insofern, als dass einige Komponenten, die in Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren benötigt werden, wegfallen und durch neue Komponenten ersetzt werden. Prominente Beispiele für neu hinzukommende Komponenten stellen Batterie, Elektromotor und Leistungselektronik dar. Auf der anderen Seite stehen der Verbrennungsmotor, das Getriebe und die Kraftstoffpumpe exemplarisch für Komponenten, die in Elektrofahrzeugen keine Verwendung mehr finden.

Durch die Veränderung der Wertschöpfung wird deutlich, dass es einen erheblichen Anpassungsdruck auf Zulieferer in der Automobilbranche gibt, sich dem Trend der Elektrifizierung anzupassen. Um weiterhin auf dem globalen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen neue Kompetenzen aufgebaut, die Belegschaft umgeschult und möglicherweise bisherige Produktionsstrategien angepasst werden. Die Herausforderung besteht demnach für Automobilproduzenten darin, ihre Kernkompetenzen innovativ an veränderten Bedürfnisstrukturen auszurichten und die Wachstumspotenziale der Elektromobilität durch Erschließung neuer Geschäftsfelder und Kooperationen mit vor- und nachgelagerten Akteuren entlang der Wertschöpfungskette zu nutzen. Dazu ist eine Neuordnung der Wertschöpfungsaktivitäten notwendig, bei der Kooperationen und Akquisitionen eine entscheidende Rolle spielen. Zusätzlich müssen die regionalen Wachstumspotenziale berücksichtigt werden, damit die Konfiguration des Wertschöpfungsnetzwerks eine optimale Risikoallokation erlaubt.

Zusätzlich zu den Zulieferern sind von der veränderten Fahrzeugstruktur vor allem Werkstätten betroffen, die für die Reparatur und Wartung der Fahrzeuge verantwortlich sind. Auch dort muss Personal umgeschult und müssen Prozesse angepasst werden, um künftig weiterhin wettbewerbsfähig aufgestellt zu sein.

Das Bundesministerium für Wirtschaft schätzt die Wertschöpfungssteigerung eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor zwischen 2019 und 2021 auf 700 €, die mit einem optimierten Antriebsstrang zu begründen ist. Zur Bestimmung der Wertschöpfungsveränderung eines batterieelektrischen Fahrzeugs müssen zunächst die Komponenten für den konventionellen Antriebsstrang herausgerechnet und anschließend die Wertsteigerung durch Integration von Batterie, Elektromotor und Leistungselektronik berücksichtigt werden. Dies führt zu einem Anstieg der Wertschöpfung in Höhe von 4700 € für das untersuchte Fahrzeug der oberen Mittelklasse, der ausschließlich durch den Wechsel der Antriebsart zu begründen ist. Bis 2021 ist mit einer weiteren Wertschöpfungssteigerung um rund 1800 € zu rechnen, die hauptsächlich auf die Bereiche der Elektrik und Elektronik sowie das Interieur zurückzuführen ist. Die qualitative Aufwertung des Antriebsstrangs und kostensenkende Effekte der Effizienzsteigerung heben sich gegenseitig auf.Footnote 14 Gegenüber einem herkömmlich angetriebenen Fahrzeug der oberen Mittelklasse war folglich bis zum Jahr 2021 von einer gesteigerten Wertschöpfung von 5800 € auszugehen. Allerdings profitieren von dieser Wertschöpfungssteigerung nicht die Automobilhersteller, sondern insbesondere die Zulieferer von Batteriezellen und Leistungselektronik. Wie bereits erläutert, stellt die Batterie den größten Materialwert eines Elektrofahrzeugs dar. Solange die Automobilhersteller nicht selbst in die Produktion von Batteriezellen einsteigen, werden sie an der Wertschöpfung in diesem Bereich nicht teilhaben können. Im Gegenzug verlieren sie Anteile an der Wertschöpfung durch den Entfall der Verbrennungsmotors, der seit jeher Kernstück der eigenen Entwicklung und Produktion gewesen ist. Durch die Auslagerung des Herzstücks des Fahrzeugs verlieren die Automobilhersteller insgesamt Anteile an der Wertschöpfung und müssen sich trotz einer insgesamt steigenden Wertschöpfung auf geringere Margen einstellen.

3.3 Batterie: Rohstoffe, Zellen, Komponenten

Eine entscheidende Komponente für die Elektrifizierung des automobilen Antriebsstrangs ist abgesehen vom Elektromotor vor allem die Traktionsbatterie. Als wertvollstes Bauteil des Elektrofahrzeugs macht sie rund 40 % der Wertschöpfung aus. Die Lithium-Ionen-Batterie stellt dabei kurz- und mittelfristig die attraktivste Alternative zur Energiespeicherung im Antriebsstrang dar. Im Vergleich zu anderen Energiespeichertechnologien überzeugt die Lithium-Ionen-Batterie durch eine hohe Energie- und Leistungsdichte. Die Energiedichte der Batterie bestimmt die mögliche Reichweite des Elektrofahrzeugs, während die verfügbare Leistungsdichte vorgibt, wie schnell die notwendige Energie aus der Batterie abgegeben beziehungsweise aufgenommen werden kann. Diese Eigenschaft gewinnt aufgrund der Schnellladefähigkeit an Bedeutung und birgt zusätzliches Marktpotenzial.Footnote 15 Mittlerweile haben sich fast durchweg Lithium-Ionen-Akkumulatoren als Energiespeicher für Fahrzeuge durchgesetzt. Eine weitere Steigerung der Energiedichte wird von Neu- und Weiterentwicklungen wie der Festkörperbatterie („All-Solid-State-Battery“) sowie der Lithium-Schwefel- oder der Lithium-Luft-Batterie erwartet. Als problematisch gelten dabei neben technischen Schwierigkeiten jedoch noch die geringe Leistungsdichte und die daraus resultierenden relativ langen Ladezeiten. Zusammenfassend lassen sich die marktseitigen Anforderungen an die Technologie in Verbesserungen der Energiedichte, der Leistungsdichte, der Kostenstruktur, der Sicherheit, der Lebensdauer und der Umweltverträglichkeit kategorisieren.Footnote 16

Der Markt für Lithium-Ionen Akkumulatoren ist schon heute enorm groß, und aktuelle Prognosen sind sich darin einig, dass das Marktvolumen in den kommenden wenigen Jahren weiterhin stark wachsen wird. Dabei ist die Elektromobilität der wesentliche Treiber – und hier sind es vor allem der Pkw-Bereich und der Sektor der leichten Nutzfahrzeuge. So prognostizieren sämtliche Studien trotz teils unterschiedlich optimistischer Annahmen mit Blick auf die künftige Entwicklung – unter anderem hinsichtlich politischer Rahmenbedingungen für die Elektromobilität –, dass die benötigten Batteriekapazitäten in den nächsten Jahren deutlich ansteigen werden und dass sie in der Intensität des Anstiegs jedoch variieren (vgl. Abb. 32.12). Obwohl Deutschland nur einen kleinen Marktanteil innehat, lag der Umsatz der deutschen Batteriebranche im Jahr 2020 bei 4,65 Mrd. €.Footnote 17 Allerdings teilen noch immer einige wenige Hersteller den internationalen Markt für Elektrofahrzeugbatterien unter sich auf. So sind die größten Produzenten von Lithium-Ionen-Akkumulatoren nach Absatz im Jahr 2017 Samsung SDI (aus Südkorea, mit 1,3 Mrd. Zellen), Panasonic (Japan, 1,3 Mrd. Zellen), LG Chem (Südkorea, eine Milliarde Zellen), ATL (USA, 660 Mio. Zellen) und Lishen (China, 400 Mio. Zellen).Footnote 18,Footnote 19

Abb. 32.12
figure 12

Zuwächse in der globalen Batteriekapazität pro Jahr. (Vgl. International Energy Agency (IEA) 2020)

Die Wertschöpfung einer Lithium-Ionen-Batterie reicht von der Extraktion und Verarbeitung der Rohstoffe über chemische Vormaterialien und über die Zell-, Modul- und Packproduktion bis hin zur Integration ins Fahrzeug und ein anschließendes Recycling (vgl. Abb. 32.13).

Abb. 32.13
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Wertschöpfung im Bereich Fahrzeugbatterie in Anlehnung an Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) (2019). (Vgl. Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) 2019)

Die Kathodenmaterialien zählen zu den zentralen Bestandteilen von Lithium-Ionen-Batterien, bestimmen rund 70 % der Materialkosten einer Zelle und sind unter anderem ausschlaggebend für die Effizienz, die Kosten, die Lebensdauer und die Größe der Batterie. Aus diesem Grund nehmen diese Rohstoffe eine zentrale Rolle für eine europäische Wertschöpfungskette ein.Footnote 20 Die Materialien, die für die Anodenherstellung benötigt werden, verursachen ebenfalls einen hohen Kostenanteil der Batterie und werden hauptsächlich von einem Oligopol weniger asiatischer – häufig chinesischer – Zulieferer gefertigt.Footnote 21 Wichtige Rohstoffe, auf denen die Herstellung von Lithium-Ionen-Batterien basiert, sind neben Lithium unter anderem Nickel, Mangan, Kobalt, Silizium und Graphit.

Die Batteriezellen machen 60 bis 70 % der Wertschöpfung einer Traktionsbatterie aus. Bisher werden die Zellen jedoch nahezu ausschließlich in Asien gefertigt, weshalb europäische Fahrzeughersteller auf Kooperationen oder Importe angewiesen sind. Eine rein europäische Wertschöpfungskette ist daher aktuell nicht möglich. Die europäischen Automobilhersteller, die an der Batterieproduktion partizipieren möchten, sind an der Stack- und Modulproduktion beteiligt, die einem geringen Anteil an der Wertschöpfung entspricht.Footnote 22,Footnote 23

3.4 Elektromotor und Leistungselektronik

Abgesehen von der Batterie sind der Elektromotor und die Leistungselektronik weitere zentrale Komponenten im Fahrzeug und sollen im Folgenden ebenfalls kurz beleuchtet werden. Im Bereich der Antriebe spielen deutsche Unternehmen wie auch schon bei den Verbrennungsmotoren eine wichtige Rolle auf dem internationalen Markt. Im Zeitraum von 2011 bis 2018 entfielen 34 % der Patente, die in der Automobilindustrie im Bereich der Elektroantriebe in Europa angemeldet wurden, auf deutsche Hersteller und deren Zulieferer.Footnote 24 Darauf folgen Japan mit 25 % und die USA mit 16 % (vgl. Abb. 32.14). Insgesamt gelten Elektromotoren als Komponente mit sehr hoher Marktreife außerhalb der Automobilindustrie. Die eingesetzte Technologie und die Dimensionierung des Motors im Fahrzeug werden unter anderem durch die geforderte Leistung, die Kosten und den zur Verfügung stehenden Bauraum bestimmt, und sie werden in der Regel durch die Anforderung einer hohen Leistungsdichte als permanenterregte Synchronmaschine eingesetzt. Auch im Elektromotor sind seltene Rohstoffe vorhanden, was ähnlich wie bei der Batterie zu Abhängigkeiten und Engpässen führen kann, so dass auch hier die aktuelle Forschung bezüglich der Materialien ansetzt.Footnote 25

Abb. 32.14
figure 14

Patentanmeldungen im Bereich des Antriebs. (Vgl. Kaul et al. 2019)

Die Leistungselektronik gilt als dritte wesentliche Komponente eines elektrischen Antriebsstrangs in E-Mobilen. Neben der Elektrifizierung resultieren auch die Trends zur Digitalisierung und zur Automatisierung in zusätzlichen Anwendungsfeldern und Ausbauoptionen für die im Fahrzeug verbaute Leistungselektronik, was einer der Gründe dafür ist, dass der internationale Markt stark wächst. Abb. 32.15 zeigt beispielhaft die Wertschöpfungskette für die Leistungselektronik eines Elektrofahrzeugs. Für deutsche und europäische Unternehmen ist die Konkurrenz insbesondere in Asien – unter anderem in Japan – zu finden, wo bereits funktionierende Wertschöpfungsnetzwerke für alle wesentlichen Komponenten existieren.Footnote 26 So besitzt Asien neben relevanten Forschungs- und Entwicklungsvorhaben von Unternehmen auch eine Reihe renommierter wissenschaftlicher Institute, die Forschung auf dem Gebiet der Leistungselektronik oder einzelner Bauteile betreiben. Neben Japan sind auch China, das sich strategisch auf diesem Gebiet deutlich weiterentwickelt, und die USA zu nennen, wo es ebenfalls zentrales Know-how im Bereich der Leistungselektronik gibt.Footnote 27

Abb. 32.15
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Wertschöpfung im Bereich Leistungselektronik. (Vgl. Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) 2019)