In Europa und vielen anderen Regionen wird die Elektromobilität nicht in einer Frühphase der Mobilitätsentwicklung eingeführt, so dass sich die Entwicklung der Verkehrsnachfrage von vorneherein an den Gegebenheiten der E-Mobilität ausrichten könnte. Stattdessen löst sie etablierte Strukturen in existierenden Verkehrssystemen ab. Sie wird gewissermaßen in ein bereits existierendes Ökosystem des Verkehrs eingeführt. Es ist nicht zu erwarten, dass sich die Grundstrukturen des Mobilitätssystems in Gesellschaften mit hochentwickelter Mobilitätsnachfrage sehr schnell an die Rahmenbedingungen der Elektromobilität anpassen. So gehört etwa die Möglichkeit der Fernfahrten mit dem Pkw zu einer etablierten Gewohnheit. Wenn Elektrofahrzeuge solche Bedürfnisse infolge von Reichweitenbeschränkungen nicht erfüllen, ist eine Verlagerung auf andere Verkehrsmittel nur bedingt zu erwarten. Stattdessen muss diese Lücke über Ladeinfrastruktur geschlossen werden. In Ländern, denen das Wachstum der Verkehrsnachfrage zu großen Teilen noch bevorsteht und in denen etwa Fernfahrten mit dem Pkw noch nicht etabliert sind, könnte diese Entwicklung in den nächsten Jahren anders verlaufen.

Für Industrieländer wie Deutschland gilt somit, dass die Elektromobilität gegebene Strukturen vorfindet und sich der Aufbau von Infrastrukturen für die E-Mobilität daran ausrichten muss. Dies beginnt bei den etablierten Mobilitätsmustern der Menschen, schließt aber viele andere Aspekte ein – etwa Gebrauchtwagenmärkte, Geschäftsmodelle der Finanzierung und anderes mehr. Vor diesem Hintergrund führt dieser Abschnitt grundlegende Mobilitätsstrukturen auf, in die die Elektromobilität eingeführt wird, und die für die nachfolgende Ableitung von Ladeinfrastruktur-Bedarfen maßgebend sind.

1 Grundlagen zum Mobilitätsverhalten

Ein Mensch in Deutschland legt am Tag durchschnittlich etwas mehr als drei Wege zurück. Dafür werden pro Person im Mittel etwa 80 min aufgewendet. Diese Werte – die sogenannte Wegerate und das Mobilitätszeitbudget – sind über Jahrzehnte hinweg relativ stabil geblieben.Footnote 1 Deutlich angewachsen hingegen sind die Verkehrsleistungen, das heißt die pro Person zurückgelegten Kilometer. Zwischen 1970 und 2019 hat sich die Verkehrsleistung in Deutschland von rund 20 km pro Person und Tag auf knapp 40 km pro Person und Tag verdoppelt.Footnote 2 (Dabei sind maßgebliche Teile von im Ausland erbrachten Verkehrsleistungen, etwa im Zuge von Fernreisen, nicht enthalten. Inklusive dieser Verkehrsleistungen kommt die Bevölkerung Deutschlands auf mehr als 50 km pro Person und Tag.Footnote 3)

Das Wachstum der Verkehrsleistung bei gleichzeitiger Stabilität der dafür aufgewendeten Zeit war nur durch eine deutliche Beschleunigung der Alltagsmobilität möglich. Die maßgebliche Entwicklung dafür war die Motorisierung der Bevölkerung, das heißt, der deutliche Anstieg des Pkw-Besitzes in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten. Im Alltagsverkehr ist der Pkw in den meisten Fällen das schnellste Verkehrsmittel, das im Vergleich zu den anderen mit Abstand die größte Erreichbarkeit gewährleistet – beispielsweise gemessen an der Anzahl erreichbarer Arbeitsplätze innerhalb von 30 min Reisezeit. Die Einkommensentwicklung der vergangenen Jahrzehnte machte den Privat-Pkw für immer größere Bevölkerungsanteile in Deutschland erschwinglich, die somit ihre täglichen Aktionsradien ausdehnen konnten. Hinzukam der Ausbau der Straßeninfrastruktur, so dass auch die Reisegeschwindigkeit des Autos heute deutlich höher liegt als vor einigen Jahrzehnten.Footnote 4 Diese langfristig wirksamen Faktoren erklären die heutige Dominanz des Pkw für das Verkehrsgeschehen in den Industrieländern. Für viele Schwellenländer ist für die nächsten Jahrzehnte eine ähnliche Entwicklung mit der Folge einer rapiden Zunahme der jeweiligen Verkehrsleistung zu erwarten.Footnote 5

Heute legen die Deutschen knapp 60 % ihrer Wege und drei Viertel ihrer Verkehrsleistung am Pkw-Steuer oder als Passagier im Auto zurück. Jeweils etwa ein Zehntel der Wege der Deutschen entfallen auf das Fahrrad und den öffentlichen Verkehr (ÖV). Fußwege machen ein Fünftel aus. Die Dominanz des Pkw ist situativ jedoch sehr verschieden und fällt je nach Eignung des Pkw als Verkehrsmittel im Vergleich zu den Alternativen unterschiedlich aus. So legt die Bevölkerung von Metropolen nur knapp 40 % ihrer Wege mit dem Pkw zurück, während dieser Wert in ländlichen Regionen bei 70 % liegt. Besonders dominant ist der Pkw auf Entfernungen zwischen zehn und 100 km – mit einem Wege-Anteil von etwa 80 %.Footnote 6 In diesem Entfernungsspektrum spielt der nichtmotorisierte Verkehr kaum noch eine Rolle und der ÖV kann seinen Geschwindigkeits- und Bequemlichkeitsvorteil, den etwa die Bahn auf langen Strecken oft bietet, noch nicht ausspielen.

Mit Blick auf die Wegzwecke ist der Pkw besonders bei den Arbeits- und Dienstwegen dominant (mit einem Anteil von rund 60 % Autofahrern), wobei die Quote der Mitfahrenden beziehungsweise der Besetzungsgrad bei solchen Strecken gering ausfällt, weil dabei selten Personen aus demselben Haushalt gemeinsam unterwegs sind. Dies zeigt auch, dass der Besetzungsgrad als die gleichzeitige Nutzung des Autos durch mehrere Personen vor allem von gemeinsamen Wegen im Haushaltskontext bestimmt ist. Mitfahrten außerhalb des eigenen Haushalts kommen zwar vor, sind aber für den Besetzungsgrad von Fahrzeugen von geringer Bedeutung.

Wichtig für die Einbindung des Pkw in den Alltagsverkehr der Menschen ist aber nicht nur sein Anteil an den Wegen, sondern auch das Phänomen der „Multimodalität“. Als multimodal werden Personen bezeichnet, die im Verlauf einer definierten Zeitspanne – beispielsweise einer Woche – unterschiedliche Verkehrsmittel nutzen. Dies trifft auf einen Großteil der Bevölkerung zu, der im Alltag mehrere Verkehrsträger miteinander kombiniert, da diese sich je nach Entfernung, Transportnotwendigkeiten und anderem für unterschiedliche Einsatzzwecke eignen. Nur etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist monomodal und erledigt im Wochenverlauf sämtliche Wege mit dem Pkw.Footnote 7 Dabei ist das Auto aufgrund seiner nahezu universellen Einsetzbarkeit im Grunde das einzige Verkehrsmittel, das monomodales Verhalten unterstützt. Auch diese Universalität des Pkw ist für das Verständnis seiner Dominanz von großer Bedeutung. Ob die Universalität in den kommenden Jahrzehnten und mit zunehmender Elektromobilität – etwa im Zuge von Reichweiten- oder Zufahrtsbeschränkungen in Städten – erhalten bleibt, ist abzuwarten.

2 Pkw der Privathaushalte

Anfang 2021 waren in Deutschland rund 48 Mio. Pkw zugelassen.Footnote 8 1993, im Jahr der Zusammenlegung der entsprechenden Register der alten und neuen Bundesländer betrug der Pkw-Bestand in Deutschland noch 38,8 Mio.Footnote 9 In den vergangenen knapp 30 Jahren ist der Bestand relativ kontinuierlich um jährlich etwa eine halbe Million Fahrzeuge gewachsen. Ein maßgeblicher Treiber hinter diesem Anstieg des Pkw-Bestands war erstens, dass immer mehr Personen ein eigenes Fahrzeug zur Verfügung haben und weniger Fahrzeuge innerhalb von Haushalten geteilt werden. Das liegt in immer mehr Zweit- und Drittwagen sowie in einer zunehmenden Zahl von Einpersonenhaushalten mit Pkw begründet. Zweiter wichtiger Treiber des Bestandszuwachses war der steigende Autobesitz älterer Menschen, deren Pkw-affine Generation auf eine andere folgt, die ein Leben ohne Auto verbracht hat.

Der Bestandszuwachs von einer halben Million Pkw pro Jahr kam durch etwa drei Millionen jährliche Neuzulassungen zustande,Footnote 10 denen etwa zweieinhalb Millionen Fahrzeuglöschungen gegenüberstanden. Wenn bei einem Fahrzeugbestand von etwa 45 bis 50 Mio. Pkw jährlich rund drei Millionen ausgetauscht werden, ergibt sich daraus rechnerisch eine Größenordnung von 15 bis 20 Jahren, bis der gesamte Fahrzeugbestand ausgewechselt ist. (Von diesem Austauschprozess ist auch das mittlere Fahrzeugalter im Bestand geprägt, das bei knapp zehn Jahren liegt – wobei zu berücksichtigen ist, dass dabei wenige sehr alte Pkw sehr stark auf diesen Mittelwert wirken.Footnote 11) Die lange Dauer des Austauschs des Fahrzeugbestandes ist der Grund dafür, dass der Markthochlauf der Elektromobilität im Bestand der Entwicklung bei den Neuzulassungen mehrere Jahre hinterherhinkt.

Bei knapp zwei Dritteln der Pkw-Neuzulassungen handelt es sich um gewerbliche Zulassungen.Footnote 12 Viele davon sind Kurzzeitzulassungen auf die Autohersteller selbst oder auf Autohäuser. Dazu kommen echte gewerbliche Nutzungen, zum Beispiel durch Handwerksbetriebe. Größere Anteile von Neuwagen, gerade aus dem Premiumsegment, treten indes als Dienstwagen und dementsprechend mit gewerblicher Zulassung in den Fahrzeugbestand ein. Sie stehen also Privathaushalten zur Verfügung und werden vielfach wie Privatfahrzeuge genutzt. Bezogen auf den Bestand sind nur gut 10 % der Pkw gewerblich zugelassen (am 1. Januar 2021 etwa fünf Millionen).Footnote 13 Das bedeutet, dass bei jungen Pkw der Anteil der gewerblichen Zulassungen beziehungsweise der Dienstwagen zwar sehr hoch ist, diese aber teilweise schon nach wenigen Monaten oder Jahren in den privaten Pkw-Bestand übergehen. Insgesamt steht den Privathaushalten etwa die Hälfte der gewerblich zugelassenen Fahrzeuge als Dienstwagen zur Verfügung. Das bedeutet, dass etwa 95 % aller in Deutschland zugelassenen Pkw von Privathaushalten genutzt werden. Umgerechnet heißt das für das Jahr 2020 eine Motorisierung von etwa 550 Pkw pro 1000 Einwohnende in deutschen Privathaushalten – wobei die Motorisierung im ländlichen Raum mit über 600 Pkw pro 1000 Einwohnende um mehr als die Hälfte höher ausfällt als in Metropolen mit weniger als 400 Pkw pro 1000 Einwohnende.

Der Fall der Dienstwagen verdeutlicht auch, dass Fahrzeuge während ihres Verbleibs im zugelassenen Fahrzeugbestand verschiedene Nutzungsphasen durchlaufen – oft bei unterschiedlichen Besitzenden. Aus einer ebenfalls relativ stabilen Anzahl von jährlich etwa sieben Millionen Halterwechseln in Deutschland ergibt sich, dass ein Pkw während seines Lebenszyklus von rund 15 bis 20 Jahren etwa drei bis vier Besitzenden gehört. Es wird sich zeigen, ob diese Größenordnungen in Zukunft auch für Elektrofahrzeuge gelten, oder ob sich bei ihnen – etwa aufgrund eines anderen Alterungsverhaltens jener Autos – andere Verhältnisse einspielen.

Ähnlich wie der Pkw-Bestand ist auch die Gesamtfahrleistung der Autos in Deutschland gestiegen – allerdings nicht im selben Maße. Daraus folgt, dass die Fahrleistung je Auto langfristig zurückgeht, da sich die Gesamtfahrleistung auf immer mehr Autos verteilt. Während die Fahrleistung pro Pkw im Jahr 2014 noch bei etwa 14.100 km lag, sank sie bis 2019 auf 13.600 km.Footnote 14 Darin spiegelt sich auch wider, dass ein großer Teil des Bestandszuwachses bei Zweit- und Drittwagen sowie bei älteren Menschen und damit bei Gruppen stattfindet, die typischerweise keine besonders hohe Fahrleistung aufweisen.

Entsprechend der erwähnten unterschiedlichen Nutzungsphasen im Verlauf eines Pkw-Lebenszyklus sinken im Durchschnitt die Jahresfahrleistungen der Autos mit zunehmendem Fahrzeugalter (vgl. Abb. 22.1). Die höheren Fahrleistungen neuer Autos führen dazu, dass neue Fahrzeuge einen größeren Anteil der Gesamtfahrleistung ausmachen als ältere. Bleibt dieses Schema auch beim künftigen Markthochlauf der Elektromobilität erhalten, macht das die im Vergleich zu den Neuzulassungen verzögerte Entwicklung im Bestand zumindest teilweise wieder wett: Die noch jungen und deshalb viel gefahrenen Elektroautos dürften einen größeren Anteil an der Fahrleistung als am Fahrzeugbestand ausmachen. Derzeit lässt sich das allerdings noch nicht beobachten.

Abb. 22.1
figure 1

Jahresfahrleistung von Pkw im deutschen Fahrzeugbestand nach Alter. Eigene Darstellung mit Daten des KBA

Wie das menschliche Verkehrsverhalten unterscheidet sich auch die Fahrleistung pro Pkw zwischen Stadt und Land – allerdings deutlich geringfügiger als auf Ebene der Personen: Die Stadtbevölkerung (Metropolen: 14 km pro Person und Tag) weist im Vergleich zur Landbevölkerung (dörflicher Raum: 26 km je Person und Tag) nur etwa die Hälfte der Kilometer als Fahrer im Pkw auf. Demgegenüber bringen es Autos in Metropolen auf eine jährliche Fahrleistung, die bei mehr als 80 % der Fahrleistung von Pkw auf dem Land liegt.Footnote 15 Mit anderen Worten: Die Stadtbevölkerung fährt deutlich weniger mit dem Auto als die Landbevölkerung. Weil sich aber die Fahrleistung in der Stadt auch auf weniger Fahrzeuge verteilt, ist der Unterschied zwischen Stadt und Land auf Ebene der Fahrzeuge nicht so groß, wie man es erwarten könnte.

Wichtig im Hinblick auf die Unterschiede der Pkw-Nutzung in der Stadt und auf dem Land ist im Kontext der Elektromobilität auch die durchschnittliche Weite der Pkw-Fahrten (vgl. Abb. 22.2) In kleinen und mittelgroßen Städten fällt sie am geringsten und in Metropolen am höchsten aus. Sie unterscheidet sich außerdem nur wenig zwischen den unterschiedlichen Raumtypen. Noch aussagekräftiger im Hinblick auf etwaige Probleme durch mangelnde Reichweite ist der Fernverkehrsanteil der Pkw-Fahrten. Nur 1,8 % reichen weiter als 100 km, jedoch machen diese etwa ein Viertel der Pkw-Fahrleistung aus und müssen somit als Einflussfaktor bei Pkw-Kauf- und -Nutzungsentscheidungen beachtet werden. Bedeutsam ist hier der Befund, dass der Anteil der Fahrten von mehr als 100 km bei Metropolen-Pkw deutlich höher ausfällt (2,6 %) als für Pkw aus ländlichen Regionen (1,6 %). Es zeigt sich also, dass Stadt-Pkw anteilig häufiger im Fernverkehr eingesetzt werden als Pkw vom Land. Dies widerspricht vielfach der landläufigen Erwartung, erklärt sich aber dadurch, dass die Stadtbevölkerung für kurze Wege häufiger Alternativen nutzt als die Landbevölkerung. Solange Reichweitenmangel eine Hürde darstellt, ist Elektromobilität im ländlichen oder suburbanen Bereich einfacher zu verankern als in Großstädten.

Abb. 22.2
figure 2

Mittlere Fahrtweiten nach Pkw-Merkmalen. Eigene Darstellung mit Daten der MID 2017

Zur Ableitung von Grundlagen für Ladeinfrastruktur ist außerdem von Bedeutung, welche Nutzungsmuster Pkw im Alltag aufweisen beziehungsweise wann sie sich wie lange wo befinden. Im Mittel werden Autos für etwa zwei Wege pro Tag eingesetzt, wobei jedoch zwei Fünftel der Pkw an einem durchschnittlichen Tag gar nicht bewegt werden. Insgesamt verbringen Autos die deutlich überwiegende Zeit parkend: Nur etwa 3 % ihrer Zeit (rund 45 min pro Tag) befinden sich Pkw im Fahrtmodus. Den weitaus überwiegenden Teil seiner Zeit – durchschnittlich etwa 20 h pro Tag – verbringt ein Auto parkend am Wohnort. Die übrigen Zeiten entfallen auf Parken am Arbeitsplatz (im Mittel aller Pkw rund 1 h und 40 min) sowie Parken an anderen Zielen.Footnote 16

Abb. 22.3 zeigt, welcher Anteil der Autos zu den verschiedenen Stunden im Wochenverlauf jeweils unterwegs beziehungsweise geparkt ist. Außerdem sind die jeweiligen Aktivitäten der Pkw-Nutzenden am Zielort aufgeführt. Abb. 22.3 offenbart die große Dominanz des Parkens zu Hause: Im gesamten Wochenverlauf gibt es keinen Zeitpunkt, an dem weniger als die Hälfte der Pkw am Wohnort geparkt sind. Abb. 22.3 zeigt zudem, dass zu keiner Zeit mehr als etwa ein Zehntel der Autos gleichzeitig unterwegs ist. Diese Beobachtung stimuliert immer wieder die Vorstellung, dass sich der Bedarf an Pkw-Mobilität mit einer viel kleineren Flotte decken lässt, die mit einem anderen Geschäftsmodell als dem heutigen Privat-Pkw betrieben wird, und nur zu kurzen Zeiten des Tages voll ausgelastet ist. Inwieweit sich Geschäftsmodelle entwickeln lassen, die dieses Potenzial heben und damit Fahrzeugnutzungsmuster künftig fundamental verändern, bleibt abzuwarten.

Abb. 22.3
figure 3

Aktivität und Standort der Pkw im Wochenverlauf. Eigene Darstellung mit Daten der MID 2017

3 Zweiräder

Bei Zweirädern sind Motorräder und Fahrräder getrennt voneinander zu betrachten, deren jeweilige Bedeutung für den Alltagsverkehr – auch mit Blick auf deren Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten – sich deutlich unterscheidet. Die folgenden Ausführungen widmen sich zunächst dem zahlenmäßig deutlich relevanteren Fahrrad; im Anschluss wird kurz das Motorrad betrachtet. Dies soll die Grundlagen für die Diskussion über eine Hybridisierung jener Fahrzeugformen schaffen, die im Zuge der Elektrifizierung bereits eingeleitet zu sein scheint.

Zu Beginn der Motorisierung in der Nachkriegszeit war das Fahrrad ein bedeutendes Alltagsverkehrsmittel. Allerdings ging die Fahrradnutzung mit zunehmender Verbreitung motorisierter Verkehrsträger bis in die 1970er-Jahre hinein deutlich zurück. Anschließend hat zunächst eine Stabilisierung und dann ein schwaches Wiedererstarken des Radverkehrs stattgefunden. Seit den 1990er-Jahren spricht man von einer Renaissance des Fahrrads – vor allem deshalb, weil die Fahrradkilometer pro Person in den vergangenen Jahren wieder deutlich zugenommen haben. Heute werden etwa 1,4 km pro Person und Tag mit dem Fahrrad zurückgelegt. Das entspricht grob einer Verdreifachung des Radverkehrs pro Person seit den 1970er-Jahren. Obwohl das Fahrrad (inklusive Pedelec) nun einen Anteil von knapp 11 % an den Wegen in Deutschland hält, werden damit weniger als 3,5 % der Verkehrsleistung absolviert, da es eher für vergleichsweise kurze Distanzen zum Einsatz kommt.

Der Bestand von rund 900 Fahrrädern pro 1000 Personen bedeutet, dass heute fast jede Person in Deutschland ein Fahrrad besitzt, das im Durchschnitt gut 500 km pro Jahr bewegt wird. Die Unterschiede zwischen den Raumtypen im Hinblick auf die Ausstattung mit Fahrrädern sind gering. Bezüglich der Häufigkeit des Radfahrens ist die Bevölkerung nahezu dreiteilig: Ein Drittel nutzt das Fahrrad mindestens einmal in der Woche, ein weiteres Drittel nutzt das Fahrrad seltener und das letzte Drittel nutzt das Fahrrad eigenen Angaben zufolge nie. Diese Dreiteilung findet sich in der Stadt und auf dem Land sowie in unterschiedlichen Altersklassen wieder. Lediglich bei Kindern ist der Anteil der regelmäßigen Fahrradnutzer höher und liegt bei ungefähr der Hälfte.

Krafträder waren wie Fahrräder zu Beginn der Motorisierung in den 1950er-Jahren ein deutlich bedeutenderes Verkehrsmittel in Deutschland als sie es heute sind. Mitte der 50er-Jahre lag die Ausstattung mit Krafträdern bei etwa 50 pro 1000 Personen und damit in einer ähnlichen Größenordnung wie heute.Footnote 17 Bis Ende der 1950er-Jahre war der Motorradbesitz in Deutschland höher als der Pkw-Besitz. Dann löste der Pkw das Motorrad als dominierendes motorisiertes Individualverkehrsmittel ab und der Motorradbesitz sank bis Anfang der 1970er-Jahre rapide – auf etwa fünf Motorräder pro 1000 Einwohnende. Damit verschwand das Motorrad nahezu vollständig aus dem Alltagsverkehr.

Ab dem Ende der 1970er-Jahre erlebte das Motorrad zwar wieder einen Aufschwung, aber nicht als Alltags-, sondern als Freizeitverkehrsmittel. Dabei waren es zunächst die damals jungen Erwachsenen, bei denen der Motorradbesitz wieder zunahm. Mittlerweile hat diese Jahrgangskohorte ihre Motorradaffinität gewissermaßen mit ins Alter genommen. So sind es heute die Über-50-Jährigen, bei denen Motorräder besonders verbreitet sind.Footnote 18 Trotz eines Bestandes von 4,5 Mio. Krafträdern in Deutschland sind Motorräder als Alltagsverkehrsmittel nach wie vor fast bedeutungslos: Nur 0,6 % der Wege und 0,8 % der Personenverkehrsleistung werden mit ihnen erbracht.Footnote 19 Die mittlere spezifische Fahrleistung von Krafträdern lag 2014 bei rund 3000 km pro Motorrad und Jahr, wobei der Freizeiteinsatz eine bedeutende Rolle spielt.Footnote 20

Bis vor wenigen Jahren waren Krafträder und Fahrräder technisch wie funktional meist klar erkennbar voneinander zu unterscheiden. Hybride Fahrzeugformen bildeten die absolute Ausnahme. Mit der Elektrifizierung von Zweirädern beginnt diese Abgrenzung jedoch zu verschwimmen. Für die Einstufung elektrifizierter Zweiräder im juristischen Sinne als Fahrrad oder als Kraftfahrzeug sind die Geschwindigkeit im elektrischen Betriebsmodus sowie die Notwendigkeit des Tretens entscheidend: Liefert der Elektroantrieb lediglich eine Tretunterstützung und ist nur bis zu einer Geschwindigkeit von 25 km/h aktiv, so wird das Zweirad als Fahrrad eingeordnet. Weitere elektrische Zweiräder sind anders kategorisiert, so dass damit je nach Fahrzeugmerkmal etwa Fahrerlaubnisvoraussetzungen oder eine Helm-, Kennzeichen- oder Versicherungspflicht einhergehen können.Footnote 21 Der Trend der vergangenen Jahre hin zu einer zunehmenden Bedeutung elektrifizierter Fahrräder geht aus der Verkaufsstatistik hervor: Von den im Jahr 2020 in Deutschland abgesetzten fünf Millionen Fahrrädern (2019: 4,4 Mio.) waren etwa zwei Fünftel E-Bikes (2019: ein Drittel).Footnote 22

4 Busse des öffentlichen Verkehrs

Im Jahr 2019 betrug der Kraftomnibus-Bestand in Deutschland knapp 80.000 Fahrzeuge.Footnote 23 In den vergangenen Jahren gab es zwischen 6000 und 6500 Neuzulassungen jährlich, so dass etwa ein Zwölftel des bundesweiten Busbestandes pro Jahr ausgetauscht wird.Footnote 24 Entsprechend sind etwa zwei Drittel der Busse in Deutschland jünger als zehn Jahre. Im Durchschnitt bleibt die Jahresfahrleistung von Bussen in den ersten zehn Jahren nahezu konstant und liegt in einer Größenordnung von etwa 60.000 km. Busse werden somit in ihren ersten zehn Jahren relativ unabhängig von ihrem Alter eingesetzt.

Etwa ein Zehntel des deutschen Busbestandes wird im Gelegenheitsfernverkehr betrieben. Umgekehrt ist die weit überwiegende Zahl der Busse im Linienverkehr des öffentlichen Verkehrs eingesetzt. Der Buslinienverkehr zeichnet sich durch Fahrpläne und damit durch regelmäßige, vorhersagbare Einsatzmuster aus. Die Elektrifizierung von Bussen erscheint damit naheliegender als für Fahrzeuggruppen mit weniger vorhersehbaren Einsatzfeldern.

5 Fahrzeuge des Wirtschaftsverkehrs

Der Wirtschaftsverkehr deckt eine äußerst große Bandbreite unterschiedlicher Fahrzeuge und verschiedener Einsatzfelder ab. Sie reichen von gewerblich zugelassenen und eingesetzten Pkw (rund 5 % des Pkw-Bestandes) über leichte Nutzfahrzeuge bis hin zu schweren Lkw und Sattelzugmaschinen. Wesentliche Strukturen zu Bestand, Neuzulassungen und Fahrleistungen im Vergleich zu Pkw sind Tab. 22.1 zu entnehmen. Im Hinblick auf die Antriebe handelt es sich bei Nutzfahrzeugen mit wenigen Ausnahmen bislang nahezu komplett um Dieselfahrzeuge.Footnote 25

Tab. 22.1 Übersicht zu Bestand, Neuzulassungen und Jahresfahrleistungen von Nutzfahrzeugen und Pkw 2019 im Vergleich. Datenquelle: KBAa

Bei den meisten Nutzfahrzeuggruppen sind die Fahrleistungen höher und der Bestandsumschlag schneller als beim Pkw. Eine Ausnahme bilden kleine Lkw mit 3,5 bis 7,5 t zulässiger Gesamtmasse, in deren Gruppe sich auch viele ältere Fahrzeuge befinden und die etwa auch bei Handwerksbetrieben oder kleinen Bauunternehmen zum Einsatz kommen. Durch schnellen Bestandsumschlag und hohe Fahrleistungen zeichnen sich vor allem Sattelzugmaschinen aus, die mit etwa 90.000 km pro Jahr, die zu großen Teilen im Fernverkehr erbracht werden, die Fahrzeuggruppe mit der höchsten Jahresfahrleistung bilden. Bei ihnen wird außerdem fast der gesamte Fahrzeugbestand innerhalb eines Jahrzehnts ausgewechselt. Innovationen in den Fahrzeugen setzen sich bei Sattelzugmaschinen somit besonders schnell im Bestand durch. Allerdings ist bei dieser Fahrzeuggruppe zu beachten, dass ein großer Teil der in Deutschland absolvierten Fahrleistung (2014: 41 % der Fahrleistung auf Bundesautobahnen)Footnote 26 durch ausländische Sattelzugmaschinen erbracht werden. Insofern sind Bestand und Nutzungs-Charakteristika von in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen bei dieser Gruppe weniger aussagekräftig für das bundesweite Verkehrsgeschehen als im Fall anderer Fahrzeuggruppen.

Herausgehoben seien noch die leichten Nutzfahrzeuge, die in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen haben. Dies gilt insbesondere für den Stadtverkehr, da diese Fahrzeuge vielfach für Lieferungen – etwa im Zustellverkehr für Onlinehandel – zum Einsatz kommen. Sie sind damit auch stark an einem wachsenden Güterverkehr in Wohngebieten beteiligt, die ursprünglich nicht für diesen, sondern vor allem für den Verkehr der Bevölkerung ausgelegt wurden. Damit tragen leichte Nutzfahrzeuge in besonderem Maße zu Herausforderungen im städtischen Verkehr und zu dortigen Emissionen bei, was in den vergangenen Jahren vor allem in diesem Segment zu Anstrengungen mit Blick auf eine Antriebsumstellung beigetragen hat.