Rapide steigende Absatzzahlen auf globalen Märkten, verbunden mit der Forderung nach zunehmender Derivatevielfalt, verleihen der Auslegung der Produktionsprozesse von Elektrofahrzeugen zentrale Bedeutung. Die Produktionsplanung muss die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Produktion in den gesetzten Korridoren flexibel an die aktuell gegebene Kundennachfrage anpassen lässt. Die Wandlungsfähigkeit von Produktionssystemen ist ein zentraler Fokus.Footnote 1 Neben den Fertigungsprozessen für die Einzelkomponenten selbst bilden dafür vor allem die Montageprozesse der Fahrzeuge wesentliche Stellhebel.

Im vorliegenden Abschnitt wird zunächst darauf eingegangen, wodurch Montagevorgänge im Allgemeinen gekennzeichnet sind und welche die wesentlichen Funktionen der Montage sind. Nach einem Überblick zu den verschiedenen Montageorganisationen, die sich auf die technische-organisatorische Umsetzung beziehen, werden Trends und Herausforderungen im Montagebereich der Elektromobilproduktion vorgestellt. Dabei werden vor allem die Veränderungen gegenüber konventionellen Fahrzeugmontagen aufgezeigt. Neben den aufgrund der elektrifizierten Komponenten neuen Montagelinien unterscheiden sich außerdem die Tätigkeiten im Bereich der Facharbeitenden. Wurde in der Vergangenheit der Fokus auf „Lean Production“ gelegt, wird heute eine wirtschaftliche Produktindividualisierung bei hoher Variantenvielfalt und geringeren Stückzahlen mit Hilfe von Automatisierung angestrebt.Footnote 2 Im vorliegenden Kapitel wird dafür der Einsatz speicherprogrammierbarer Steuerungen (SPS) zur Prozesssteuerung und Datenverarbeitung erläutert. Außerdem werden zentrale Stichworte wie „Industrie 4.0“ und „Big Data“ thematisiert, die die künftigen Entwicklungen im Prozessbereich bestimmen. Zum Abschluss werden technische Umsetzungen für Montagevorgänge bei Elektromobilfahrzeugen diskutiert: das „Conversion Design“ und das „Purpose Design“, die sich auf die Integration eines elektrifizierten Antriebsstrangs von bestehenden Fahrzeugkonzepten beziehungsweise auf die Neumontage von elektrifizierten Fahrzeugen beziehen. Die neuen Herausforderungen, aber auch die Chancen zur Flexibilität im Produktionsprozess und die Ermöglichung von Variantenvielfalt stehen bei der Montage im Vordergrund. Die vierte industrielle Revolution treibt Automobilhersteller zu kleinteiligen Standardisierungen einzelner Prozessschritte sowie der Vernetzung und Modularisierung.Footnote 3 Dafür werden weitere Möglichkeiten zur Realisierung flexibler Produktionssysteme für individuelle Ausführungen vorgestellt.

1 Grundlagen der Montage

Der Begriff Montage umfasst die Gesamtheit aller Vorgänge, die dem Zusammenbau von geometrisch bestimmten Körpern dienen. Dies beinhaltet neben dem Fügevorgang auch die vorgelagerten Prozessschritte „Handhabung“ und „Justage“ sowie die nachgelagerte Funktionsüberprüfung der Endprodukte.Footnote 4 Wird beispielsweise der Stator eines Elektromotors in das Aggregatgehäuse montiert, so zählen das zielgerichtete Bewegen und Einpressen zu den primären, direkt an der Verbindung beteiligten Montagevorgängen. Sekundäre, unterstützende Vorgänge sind etwa das Reinigen, das Justieren oder die Prüfung der finalen Position (vgl. Abb. 14.1).

Abb. 14.1
figure 1

Funktionen der Montage in Anlehnung an Hammerstingl (2019). (Vgl. Hammerstingl 2019)

Die Montage ist eine der zentral wertschöpfenden Tätigkeiten eines produzierenden Unternehmens, da während des Montageprozesses zunehmend Einzelteile zu einem höherwertigen Objekt zusammengesetzt werden, wodurch der Wert des Produktes steigt. Die strukturelle Gestaltung eines Produkts übt dabei einen wesentlichen Einfluss auf den Montageablauf sowie auf die zur Montage genutzten Technologien aus. So schreibt etwa in der Batteriemontage die Superpositionierung der einzelnen Baugruppen „Kühlplatte“, „Zellstapel“, „Kontaktiersystem“ und „Moduldeckel“ eine klar definierte Montagereihenfolge vor. Produkte sind möglichst einfach und im Hinblick auf Montageschnittstellen flexibel zu gestalten, um die Komplexität und Dauer der Montage zu reduzieren.Footnote 5

Die Reihenfolge der einzelnen Prozessschritte hat grundlegenden Einfluss auf die Montageorganisation. Als Montageorganisation wird die Art und Weise bezeichnet, wie eine Montage technisch-organisatorisch vorgenommen werden soll (CIRP 2020). Eine primäre Unterscheidung von Montageorganisationsformen wird häufig anhand des Bewegungszustandes der Montageobjekte in der Montage getroffen. Dabei wird unterschieden, ob das Objekt während der Montage stillsteht (Verrichtungsprinzip) oder sich in Bewegung befindet (Fließprinzip). Als sekundäres Unterscheidungskriterium gilt zum Beispiel, ob die Arbeitsplätze stationär oder in Bewegung sind (vgl. Abb. 14.2).

Abb. 14.2
figure 2

Organisationsformen der Montage in Anlehnung an Seliger (2018). (Vgl. Seliger 2018)

In modernen Konzepten von Montageorganisationen lässt sich zu den elementar differenzierenden Faktoren „Ort“ und „Zeit“ der eingesetzte technische Umfang als weitere Dimension einfügen. Der Begriff Automatisierung beschreibt die Übertragung menschlicher Arbeitsschritte auf selbstständig arbeitende künstliche Systeme.Footnote 6 In diesem Kontext wird zwischen automatisierten Prozessen, die zumindest punktuell menschliche Arbeitskraft oder Entscheidungsfindung erfordern, und automatischen Prozessen unterschieden, die vollständig ohne menschliche Interaktion ablaufen. Die Datenverarbeitung und Prozesssteuerung erfolgt typischerweise mittels sogenannter speicherprogrammierbarer Steuerungen (SPS).

Auf dieser Basis lässt sich die Automatisierung als einen der wichtigsten Trends für Montagesysteme darstellen. Dies bietet vor allem Unternehmen den Vorteil der Auswahl produktionsgerechter Montageorganisationen.Footnote 7 Einige der in der heutigen Zeit maßgebendsten Entwicklungen für die Elektromobilproduktion sowie deren Organisation sind die Systemdezentralisierung zugunsten einer höheren Produktvariantenflexibilität (vgl. Abb. 14.3) sowie die Implementierung von „Big Data“ und künstlicher Intelligenz vor dem Hintergrund der „Industrie 4.0“.Footnote 8

Abb. 14.3
figure 3

Fahrzeugendmontage mit Hilfe fahrerloser Transportsysteme

2 Montageveränderungen gegenüber konventioneller Fahrzeugmontage

Die Montage von rein elektrischen Fahrzeugen (EV) unterscheidet sich abschnittsweise stark von konventionell verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen (CV). Rein elektrofahrzeugspezifische, ähnliche und modifizierte Produktionsschritte sind in Abb. 14.4 dargestellt. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber der Montage von konventionell angetriebenen Fahrzeugen liegt bei der für EV notwendigen Leistungselektronik wie dem Pulswechselrichter (PWR), dem „On-Board Charger“ (OBC), der Traktionsbatterie, dem elektrischen Traktionsmotor und dem Kabelbaum. Insbesondere das stärkere Ausmaß der Verkabelung bei zahlreichen Spannungsniveaus von 12 V bis zu 800 V und höher erfordern besondere Prüfstationen innerhalb der Fertigungslinie sowie besonders geschultes Personal.Footnote 9 Die Antriebseinheit – bestehend aus Traktionsmotoren, Traktionsbatterie und Achsen – wird in separaten Vormontageschritten positioniert, um in der sogenannten Hochzeit mit der Karosserie vereint zu werden. Vor allem durch die Hochvoltbatterie im Fahrzeugboden erfordert die Hochzeit starke Modifikationen.

Abb. 14.4
figure 4

Exemplarische Montageschritte einer Endfertigung eines EV(HV = Hochvolt, PWR = Pulswechselrichter, OBC = „On-Board Charger“, EV = „Electric Vehicle“, CV = „Combustion Vehicle“). (I. A. a. Kropik 2021, S. 20 ff.) (i. A. a. Wack 2020, S. 51) (i. A. a. Kirchner 2019, S. 64) (i. A. a. Sedlack 2021)

Bei der Befüllung eines rein elektrischen Fahrzeugs entfällt der konventionelle Kraftstoff, jedoch werden weiterhin Betriebsmittel wie Kühlwasser und Wischwasser benötigt. Konstruktive Änderungen gegenüber CV – wie zum Beispiel sicherheitsrelevante Verstärkungen zum Schutz der Hochvoltkomponenten – erfordern eine Anpassung von Unterbodenmodulen sowie des Crash-Trägers im Bug- und Heckmodul.

Entscheidend für die Produktion eines Elektrofahrzeugs ist zudem die Wahl zwischen einem „Conversion Design“ und einem „Purpose Design“. Beim „Conversion Design“ wird die bestehende konventionelle Fahrzeugstruktur beibehalten und mit einem alternativen Antrieb versehen, was bei geringen Stückzahlen Kosten sparen kann. Demgegenüber steht das „Purpose Design“, bei dem ein Auto von Grund auf mit dem elektrischen Antriebsstrang neu entwickelt wird. Dies kann bei Pkw mit hohen Stückzahlen langfristig Kosteneinsparungen mit sich bringen. Die meisten Elektrofahrzeug-Start-up-Unternehmen nutzen das „Purpose Design“. Aber auch etablierte OEMs sind heutzutage an einem Punkt angelangt, an dem rein elektrische Baukästen als „Purpose Design“ entwickelt werden, die über eine Produktreihe hinaus fungieren.Footnote 10 Das sind Baukastensysteme, die als Antriebsstrang typenübergreifend für verschiedene rein elektrisch angetriebene Fahrzeuge eingesetzt werden.Footnote 11 Dabei kann der Radstand variabel und die Batteriegröße – sowie damit einhergehend auch die Reichweite – einstellbar sein. Außerdem ist es möglich, dass solche Baukästen für elektrische Fahrzeuge reinen Hinterradantrieb oder Allradantrieb abdecken. (In den Abschn. 5.1 und 19.5 sind „Conversion Design“ und „Purpose Design“ ausführlich beschrieben.)

Die Elektromobilität bietet insbesondere mit einem „Purpose Design“ neue Chancen, etwa in Form von selbstfahrenden Fahrwerken im Produktionsprozess. In Abb. 14.5 sind mögliche Module zur technischen Umsetzung dargestellt. Durch ein frühes Montieren der Antriebs- und Steuereinheiten können selbstfahrende Fahrwerke statt kostenintensiver Fördermittel wie Hängeförderer, Plattenbänder und/oder fahrerlose Transportsysteme (FTS) verwendet werden. Selbstfahrende Fahrwerke ermöglichen mehr Flexibilität im Produktionsprozess, wodurch es einfacher zu realisieren ist, mehr Variantenvielfalt in das Produkt zu integrieren als in einer sequenziellen Produktionslinie. Auf diese Weise kann sich die Produktionslinie in ein Produktionsnetz verwandeln, um das Produkt der Variante entsprechend an separat anfahrbare Montagestationen zu führen. Der Hersteller kann in einem solchen Produktionsnetz wesentlich agiler eingreifen und es besser skalieren als in einer konventionellen, starren Produktionslinie. Die erforderliche Kamera- und Sensortechnik zur Erfassung und Steuerung der Position des selbstfahrenden Chassis kann modellübergreifend für mehrere Fahrzeugarten und Generationen erfolgen. Damit eine Hochvolt-Schulung nur für einen Teil des Montagepersonals notwendig ist, lässt sich durch eine geschickte Verschaltung der Batterieeinheit – durch die Nutzung nur einiger Batteriemodule – das Fahrzeug während der Produktion im Niedervoltbereich betreiben. Der Zeitpunkt der Hochvolt-Initialisierung wird dann weitgehend an das Ende verlegt.Footnote 12, Footnote 13

Abb. 14.5
figure 5

Mögliche Lösungsmodule des selbstfahrenden Fahrwerks. (I. A. a.Wenning et al. 2020, S. 577)

Wie aufgezeigt, bieten Elektrofahrzeuge zahlreiche Freiheitsgrade in der Fahrzeugstruktur, die dadurch gleichermaßen Herausforderungen und Chancen für die Montagestrukturen bereithalten. Die Fahrzeugstruktur kann auf den Montageprozess abgestimmt werden und mit einer montagegerechten Konstruktion und Variantenmanagement erhebliche Kosten einsparen.Footnote 14