11.1 Impuls

Auch wenn Sie Ihre Schüler*innen mit den vorgestellten Versuchen in die Tiefen der Molekularbiologie und Biotechnologie entführen können, ist ein praktischer Einblick in den experimentellen Weg Von der DNA zum Protein nur mit einem S1-Labor zu erreichen, dass die Arbeit mit gentechnisch veränderten Organismen erlaubt. DNA-analytische Techniken sind dabei der erste Schritt, doch häufig bietet die endgültige Erklärung eines Phänomens erst die Proteinanalyse. S1-Labore sind kostenintensiv und daher an Schulen äußerst selten zu finden, daher bietet sich an dieser Stelle die Kooperation mit nahe gelegenen Universitäten an.Footnote 1 Mit Blick auf eine zunehmende Digitalisierung in den Schulen bieten sich für diese Zusammenarbeit auch ganz neue Perspektiven mit Blick auf eine computermediierte Kollaboration (► Abschn. 7.6.3), wenn die nächste Universität in größerer Entfernung liegt und nicht ohne größeren Aufwand zu erreichen ist. Im Folgenden zeigen wir daher unterschiedliche Modelle der Schülerforschung auf und stellen Ihnen ein Kooperationsmodell zwischen Schule und Universität im Rahmen eines W-SeminarsFootnote 2 (bayerisches Pendant der Facharbeitsseminare) vor. Die Autorinnen sind überzeugt, dass in dieser Form der Zusammenarbeit der Schlüssel für eine effektive Förderung junger Nachwuchswissenschaftler*innen und angehender qualifizierter Fachkräfte in den MINT-Fächern liegen kann.

11.2 Schülerforschung an Universitäten und Schulen

11.2.1 Universitäten als außerschulische Lernorte für Schülerforschung

Unter Außerschulischen Lernorten werden Lerngelegenheiten außerhalb der Schule oder des institutionellen Rahmens zusammengefasst. Bei Schülerlaboren und Schülerforschungszentren, die für die Biotechnologie besonders bedeutsam sind, handelt es sich um didaktische Lernorte, bei denen die Eigentätigkeit der Schüler*innen zentral ist (Haupt et al., 2013). Im Gegensatz zu Schülerlaboren, die oft im Klassenverband besucht werden und die ihre Wirkung in der Breitenförderung entfalten sollen, bieten Schülerforschungszentren interessierten und leistungsstarken Jugendlichen an, sich auch in der Freizeit eigenständig mit einem Forschungsgegenstand über längere Zeit auseinanderzusetzen. Bei der Gestaltung kommt dem interdisziplinären Kontext und der Authentizität, d. h. dem Erleben der realen Arbeitssituation von Wissenschaftler*innen in ihren Laboren oder sonstigen wissenschaftlichen Einrichtungen mit entsprechender Materialausstattung und Methodenrepertoire, eine besondere Bedeutung zu (Sommer et al., 2020).

Der Besuch von außerschulischen Lernorten wirkt sich kurz- bis mittelfristig positiv auf das MINT-Interesse der Schüler*innen sowie deren Selbstkonzept bzw. Selbstwirksamkeit aus; die Effekte sind insbesondere bei Einzelveranstaltungen nur kurzfristig nachweisbar (z. B. Brandt et al., 2008; Itzek-Greulich, 2020; Pawek, 2020; Stake & Mares, 2001). Auch die Förderung von Fachkenntnissen und beruflicher Orientierung wurde bereits untersucht und ein (kurzfristiger) positiver Effekt auf den Wissenserwerb festgestellt (u. a. Brandt et al., 2008; Engeln, 2004; Kim, 2016; Weßnigk, 2013). Gleichzeitig gewinnen die Schüler*innen Einblicke in wissenschaftliche Arbeitsweisen sowie Studien- und Berufsfelder (Schütte & Köller, 2015; Sumfleth & Henke, 2011). In diesem Zusammenhang ist der positive Einfluss von schulischer Vor- und Nachbereitung bei Schülerlaborbesuchen auf aktuelles Interesse oder Wissenserwerb von Bedeutung, die als Konsequenz immer wieder gefordert, aber bislang noch zu selten umgesetzt wird (z. B. Heike Itzek-Greulich & Vollmer, 2018; Pawek, 2020). Werden praktische mit theoretischen Einheiten konsistent verknüpft, führt das zu einer Steigerung sowohl der Schüler*innen-Leistung als auch ihrer Einstellung zum jeweiligen Fach (Guderian & Priemer, 2008).

11.2.2 Begabtenförderung

Außerschulische Lernorte sind für die Begabtenförderung besonders wichtig, weil eine adäquate Förderung durch die Heterogenität der Interessen und z. T. stark ausgeprägte Vorwissens- und Leistungsunterschiede in den MINT-Fächern im curricularen Unterricht oft gar nicht möglich ist. Unter begabten und leistungsstarken Jugendlichen werden in unserem Fall solche Schüler*innen verstanden, die besonderes Interesse, hervorragende Leistungen und überobligatorisches Engagement in den MINT-Fächern zeigen. Diese Schüler*innen können sich an außerschulischen Lernorten im Sinne eines Enrichment unter Anleitung von Expert*innen vertieft mit bestimmten Themengebieten auseinandersetzen. Gleichzeitig können sie durch das gemeinsame Forschen in Kleingruppen Gleichgesinnte kennenlernen und sich austauschen. Soziale Eingebundenheit kann die nachhaltige Ausbildung von Interessen begünstigen (Ryan & Deci, 2000). Nur beim positiven Zusammenwirken des sozialen Kontextes und des Potenzials der Jugendlichen kann es zu herausragenden Leistungen kommen.

11.2.3 Vernetzung von außerschulischem und schulischem Lernen

Eine Gelingensbedingung für den Erfolg außerschulischer MINT-Bildung ist die Verknüpfung mit der Schule. Einmalige oder kurzfristige Schülerforschungsangebote sollten curricular und didaktisch sinnvoll eingebunden sowie in der Schule vor- und nachbereitet werden, um Lerneffekte erzielen zu können (Itzek-Greulich & Vollmer, 2017). Die konstruktive Zusammenarbeit von Lehrpersonen, Schulleitungen und Mitarbeiter*innen wissenschaftlicher Institutionen in sog. Learning communities werden in der internationalen Bildungsforschung seit den 1980er-Jahren als Instrument der Schulentwicklung und zur Verbesserung von Unterrichtsqualität intensiv diskutiert. Professionelle Lerngemeinschaften von Lehrkräften und anderen Beteiligten sind auch hierzulade gut etabliert und haben durch verschiedene Modellprogramme (z. B. SINUS (Ostermeier et al., 2004) oder die Kontextprogramme (Bayrhuber et al., 2007; Gräsel & Parchmann, 2004; Mikelskis-Seifert & Duit, 2007)) zur Einbindung von Innovationen in den Unterricht, z. B. Lernen in Kontexten oder Nutzung digitaler Medien, und damit einhergehender Schul- und Unterrichtsentwicklung eine längere Tradition; ihre Wirksamkeit ist empirisch belegt (z. B. Holtappels, 2020).

Professionelle Lerngemeinschaften sind im Wesentlichen durch fünf Merkmale gekennzeichnet (vgl. (Warwas & Schadt, 2020): (1) Sie entwickeln gemeinsame Zielsetzungen für die Unterrichtsgestaltung; (2) sie haben einen klaren Fokus auf das Lernen von Schüler*innen mit einer unterstützenden Hilfe- und Fehlerkultur (Bonsen & Rolff, 2006); (3) sie führen einen kontinuierlichen, reflexiven Dialog über Lehren und Lernen, z. B. durch Erprobung und Bewertung neuer Lehransätze; (4) sie de-privatisieren ihren Unterricht, indem ihre Mitglieder Wissen und professionelle Erfahrungen teilen; (5) sie konstruieren gemeinsam neues Wissen und Lehransätze (vgl. ► Abschn. 5.2, Kollaboration). Darüber hinaus beurteilen die Mitglieder einer Lerngemeinschaft den Erfolg und die Wirksamkeit prozessbegleitend durch die Rückmeldungen einer wissenschaftlichen formativen Evaluation und können von diesen Erkenntnissen bei ihrer Weiterentwicklung der Innovation schnell profitieren (Gräsel, 2010; Gräsel & Parchmann, 2004). Kooperation kann so zur Einbindung von Innovationen in Schule und Unterricht wirksam beitragen (Borko, 2004; Gräsel et al., 2008; Gräsel & Parchmann, 2004; Krebs, 2008).

Mithilfe solcher Bildungsinstitutionen-übergreifenden Kooperation unter Berücksichtigung von Forscher*innen aus den MINT-Domänen kann auch am außerschulischen Lernort initiierte, regelmäßig stattfindende Schülerforschung im schulischen Kontext gemeinsam weiterentwickelt oder umgekehrt schulische Schülerforschungsprojekte, z. B. aus Facharbeiten oder Wettbewerbsteilnahmen, durch Schülerlabore, Schülerforschungszentren oder allgemein wissenschaftliche Institutionen unterstützt werden. Für fortgeschrittene Jahrgänge gibt es geeignete schulische Formate, um den Zugang zur Studien- und Berufsorientierung durch Schülerforschung zu vertiefen (z. B. in Bayern: W- und P-Seminare)Footnote 3. Lehrkräfte sollten entsprechend das Potenzial von MINT-begabten Schüler*innen für die Schülerforschung diagnostizieren (Praetorius et al., 2011), für die Teilnahme an außerschulischen MINT-Programmen motivieren und diese adäquat bei der Entwicklung von Projektideen unterstützen können (Itzek-Greulich, 2020). Innovative Forschungsthemen, wie sie am außerschulischen Lernort bearbeitet werden, stellen für Lehrkräfte eine Herausforderung dar (► Abschn. 11.4), weil sie sich stetig ändern und daher nicht in den Lehramtscurricula in ausreichender Breite und Tiefe behandelt werden. Lehrkräfte sollten daher durch Fortbildungsangebote unterstützt werden, um in der Umsetzung von Schülerforschung bestärkt zu werden. Besuche außerschulischer Lerngelegenheiten stellen ferner durch ihre fachspezifische und methodische Praxis eine sinnvolle Ergänzung zur professionellen Expertise der Lehrkräfte dar (Killermann et al., 2011; Mannott et al., 2018).

Vor diesem Hintergrund möchten wir mit diesem Kapitel dazu motivieren, die Angebote umliegender außerschulischer Lernorte für Ihre Unterrichtspraxis zu nutzen und mit diesen Einrichtungen zusammenzuarbeiten, um sich wechselseitig kennenzulernen, über aktuelle Schülerforschungsprojekte zu informieren und regelmäßig zur Weiterentwicklung der Inhalte zusammenzuarbeiten, um das Studien- und Berufsinteresse der Schüler*innen in einem gemeinsamen Netzwerk langfristig aufrechtzuerhalten (Schütte & Köller, 2015; Sumfleth & Henke, 2011). Durch die aktuellen Erfahrungen und die Verbesserung der Infrastruktur während der COVID-19-Pandemie kann zukünftig effektiver auf digitale Tools (Lernplattformen, Videokonferenzsysteme) bei der Umsetzung der Kooperation in Kombination mit Präsenz vor Ort zurückgegriffen werden, um eine klare Rollenverteilung zwischen Wissenschaftler*innen und betreuenden Lehrpersonen und die Zuständigkeiten bei der Schülerforschung zu definieren und die Reichweite des Netzwerks über die Grenzen einer Region hinaus zu vergrößern.

11.3 Exemplarische Konzeption kooperativ durchgeführter W-Seminare

Schulische W-Seminare in Bayern verfolgen allgemein die Zielsetzung, Schüler*innen fachübergreifende Kompetenzen zu vermitteln, damit sie ein wissenschaftliches Studium bewältigen können.Footnote 4 Werden die W-Seminare in Kooperation mit einer Universität gestaltet, erhalten interessierte Schüler*innen unmittelbar praktische Einblicke in den universitären Forschungsalltag der Wissenschaftler*innen. In der hier beschriebenen Zusammenarbeit wurde dies exemplarisch an grundlegenden biotechnologischen Methoden zur Gewinnung und Analyse rekombinant erzeugter Proteine realisiert.

Kontaktaufnahme und erste Planungsschritte beginnen bereits ein Jahr vor der Durchführung des W-Seminars, weil die Umsetzung des praktischen Teils des W-Seminars an der Universität an die Verfügbarkeit eines S1-Labors geknüpft ist. Mit der interessierten Lehrkraft wird daher bereits ein Jahr vor der Praxis die verbindliche Zusammenarbeit festgelegt. Ein halbes Jahr vor der praktischen Umsetzung im S1-Labor wählen die Schüler*innen jeweils aus einem Themenkatalog ihren individuellen theoretischen Schwerpunkt zur Umsetzung verschiedener proteinchemischer Methoden aus. In enger Abstimmung mit der Seminarlehrkraft werden hierzu im Vorfeld die verschiedenen Themen definiert. Wünsche von Seiten der Schüler*innen werden bei der Themenstellung berücksichtigt. Zur Einarbeitung in die individuelle Thematik wird den Schüler*innen vorab ein Skript zur Verfügung gestellt. Während der einwöchigen Praxis im S1-Labor befassen sich die Teilnehmenden über die DNA-Analytik hinaus intensiv mit dem Gebiet der Proteinchemie und lernen neben ihrem Schwerpunktthema den vollständigen Ablauf zur Erzeugung eines rekombinanten Proteins aus Escherichia coli (E. coli) kennen. Um eine intensive Betreuung der Schüler*innen zu gewährleisten, wird in Kleingruppen gearbeitet. Unter Verwendung modernster Techniken und Gerätschaften können zeitintensive Analysemethoden wie das Western-Blotting an einem Praktikumstag durchgeführt werden. Die Teilnehmenden haben währenddessen immer die Möglichkeit, sich mit den Wissenschaftler*innen fachlich auszutauschen und Unklarheiten zu besprechen. In der Regel sind die hier bearbeiteten Themen viel komplexer als diejenigen im Biologieunterricht und gehen weit über die Lehrplaninhalte des Lernbereichs Genetik und Gentechnik der Sekundarstufe II hinaus. Trotz eines individuellen Schwerpunkts wird bei der praktischen Umsetzung darauf Wert gelegt, dass alle Schüler*innen den vollständigen Ablauf des Arbeitens mit E. coli Bakterien zur rekombinanten Herstellung von Enzymen kennenlernen und selbst durchführen. Nach der Isolierung eines fluoreszierenden Zielproteins wird dieses chromatografisch gereinigt und mit gängigen Analyseverfahren charakterisiert.

Ein Auszug möglicher Themenschwerpunkte zur Anwendung proteinchemischer Methoden ist nachfolgend gezeigt.

  • Erzeugung eines rekombinanten Plasmids zur Herstellung von Grün fluoreszierendem Protein (GFP) in E. coli

  • Reinigung rekombinanter Plasmid-DNA aus E. coli durch Verwendung eines standardisierten Kits und Analyse mittels Agarose-Gelelektrophorese

  • Transformation – molekularbiologische Methode zur Erzeugung gentechnisch veränderter E. coli-Bakterien

  • Kultivierung und Zellaufschluss rekombinanter E. coli-Bakterien zur Expression und Isolierung des gewünschten Zielproteins

  • Einsatz erster chromatografischer Methoden zur Aufreinigung von Proteinen

  • SDS-PAGE – Verfahren zur Trennung und Analyse von Proteinen

  • Fotometrische Methoden zur Konzentrationsbestimmung von Proteinen

  • Western-Blotting – immunchemische Methode zur Detektion von Proteinen

Die Seminarlehrkraft bereitet ihre Schüler*innen in ihrem Seminar theoretisch auf die Laborpraxis vor. Neben den molekularbiologischen Grundlagen, wie z. B. Aufbau der DNA, Replikation, Proteinbiosynthese und Gentechnik, werden auch erste praktische Aspekte behandelt (► Kap. 5). Praktische Fertigkeiten werden themenbezogen geübt, zum Beispiel die Isolierung von DNA aus einer Zwiebel oder den Umgang mit Mikroliterpipetten bei der Einführung kleinster Volumina. Die einwöchige Betreuung im S1-Labor wird durch die Universität übernommen, wobei die Lehrkraft ihre Schüler*innen an ausgewählten Praktikumstagen im Labor gerne begleiten darf. Die Schüler*innen werden während der Praxis von zwei Wissenschaftler*innen betreut. In enger Abstimmung zwischen der Lehrkraft und der Wissenschaftler*in erfolgt die Korrektur der wissenschaftlichen Arbeit der Schüler*innen. Der fachwissenschaftliche Teil wird hier zunächst von dem/der Wissenschaftler*in kommentiert und eine erste Einschätzung zur Gesamtheit der Arbeit abgegeben. Die finale Beurteilung der Arbeit erfolgt dann durch die jeweilige Lehrkraft.

Damit Sie als Leser*in einen authentischen Eindruck gewinnen können, ob es auch für Sie sinnvoll sein kann, im Bereich der Biotechnologie ein W-Seminar in Kooperation mit einer Universität Ihren Schüler*innen anzubieten, beschreibt eine mit uns kooperierende Lehrkraft eines bayerischen Gymnasiums in der Nähe von München im nächsten Abschnitt ihre Erfahrungen, die sie im Rahmen ihres W-Seminars mit uns an der Technischen Universität München gemacht hat (s. ► Abschn. 11.4).

11.4 „Freiwillige gesucht!“ oder die Antwort auf die Frage, warum man als Lehrkraft eben DOCH ein W-Seminar durchführen sollte (von Nina Ostermeier)

Das Szenario an Schulen ist jedes Jahr dasselbe: Die Oberstufenkoordinator*innen suchen – oft regelrecht verzweifelt – nach einer ausreichend großen Anzahl an Lehrkräften, die ein W-Seminar anbieten. Die mangelnde Begeisterung seitens des Lehrpersonals lässt sich durchaus erklären: Wissenschaftspropädeutisch soll es sein, das Seminar, also zu wissenschaftlichen Denk- und Arbeitsweisen hinführen und nach Vorgabe des ISBFootnote 5 forschendes Lernen ermöglichen. Das Idealergebnis: Schüler*innen, die zu einem wissenschaftlichen Studium befähigt sind. Allerdings gibt es keinen vorgegebenen Weg zu diesem hochgesteckten Ziel, keinen Lehrplan, an dem man sich, wie gewohnt, entlanghangeln kann. Endlich Gestaltungsspielraum, endlich eine Möglichkeit eigene Ideen umzusetzen …, oder? Die so verlockend klingende Freiheit führt bei Lehrkräften gelegentlich zu Unsicherheit und etwas später, wenn man sich schließlich zu einem Seminar überreden hat lassen, zu der Erkenntnis, dass ein enormer Arbeitsaufwand damit verbunden ist, diese hochgesteckten Ziele zu erreichen.

Optimismus und Kreativität sind sicherlich Eigenschaften, die einem in solch einer Situation weiterhelfen. Perfektionismus hingegen stellt einen bei der Planung eines W-Seminars zum Rahmenthema Molekularbiologie durchaus vor Herausforderungen: Biologie ist bekanntlich ein Experimentalfach und genau diese Eigenschaft erweist sich vielen anderen Fächern gegenüber oft als riesengroßer Vorteil. Denkt man später an die Schulzeit zurück, sind es die Versuche, die Schüler*innen in Erinnerung bleiben: der explodierende Knallgasballon (zur Veranschaulichung der Notwendigkeit einer Atmungskette), die sezierte Forelle, oder eine „Autobahn“ an Paramecien unter dem Mikroskop. Für mich war also sofort klar, dass meine Schüler*innen keine reine Recherchearbeit anfertigen, sondern den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf einen Praxisteil legen sollten. Durch eine sehr gute Laborausstattung an unserer Schule waren einfache molekularbiologische Versuche möglich. Aber echtes wissenschaftliches Arbeiten ohne Sicherheitslabor? Moderne molekularbiologische Verfahren nur theoretisch vermitteln, weil die praktische Umsetzung an den extrem teuren Reagenzien und Versuchsapparaturen scheitert? Wandelte sich im wissenschaftsorientierten W-Seminar der Experimentalcharakter des Faches Biologie von einem Vor- in einen Nachteil? Rat war nun teuer, wenn man die Schüler*innen gemäß des Lehrplanauftrags auf ein (natur-)wissenschaftliches Studium vorbereiten will, aber sämtliche Voraussetzungen für die praktische Umsetzung nicht gegeben sind. Letztlich erwies sich völlig unverhofft die Universität als die perfekte Lösung für all meine Probleme.

Die Entscheidung für die TU-München als Kooperationspartner fiel für mich aus zwei Gründen sehr schnell: Zum einen hatte ich Frau Dr. Schöppner in mehreren Fortbildungen bereits als sehr kompetente und engagierte Biologin kennengelernt. Ich war mir bei ihr sicher, dass sie den schwierigen Spagat zwischen Schülerwissen und Forschungsansatz schaffen würde. Zum anderen wusste ich aus den Lehrgängen von der hervorragenden Ausstattung der Studentenlabore. In mehreren Telefonaten stellte sich heraus, dass sechs Schüler*innen während der Sommerferien die Möglichkeit erhalten sollten, eine Laborwoche mit dem Thema „Proteine als Bausteine des Lebens“ an der TU München zu absolvieren, die wissenschaftliches Arbeiten in den Bereichen der Molekularbiologie und Biochemie auf neuestem Stand versprach. Mit diesem Wissen startete ich im Schuljahr 2018/ 19 in mein W-Seminar.

Das erste Semester meines W-Seminars nutzte ich, um den Schüler*innen die Grundlagen der Molekularbiologie näher zu bringen: Aufbau der DNA, Replikation, Proteinbiosynthese und Gentechnik, um nur einige Bereiche zu nennen. Praktische Fertigkeiten übten wir jeweils themenbezogen mit ein, so zum Beispiel die Isolierung von DNA aus einer Zwiebel oder den Umgang mit Mikroliterpipetten bei der Einführung kleinster Volumina. Es ist immer wieder faszinierend zu sehen, dass man oft mit einfachsten Methoden, wie dem Pipettieren eines 1 Mikroliter großen „Tropfens“ Tintenwasser, die Begeisterung seiner Schüler*innen wecken kann. Als krönenden Abschluss des Semesters führte ich mit meinem W-Seminar in einem vierstündigen Praktikum einen Test auf den Besitz des Bitterschmecker-Gens durch, inklusive Isolation und Restriktion eigener DNA, Vervielfältigung durch PCR und Auftrennung durch Gelelektrophorese. Die Anleitung zu diesem Praktikum hatte ich auf einer Fortbildung bei Frau Dr. Schöppner kennengelernt und es ermöglichte den Schüler*innen bereits, in die gängigsten Standardverfahren molekularbiologisch arbeitender Labors hinein zu schnuppern.

Was sich hier für manchen unrealisierbar oder extrem ambitioniert anhört, ist in Wahrheit mit etwas Motivation und Aufgeschlossenheit für jede Lehrkraft einfach durchzuführen. Alle Fortbildungsteilnehmer*innen können sämtliche Versuchsapparaturen von der TU München kostenlos leihen und sogar die Reagenzien werden in bereits fertig vorbereiteten Schülerportionen zur Verfügung gestellt – in Zeiten ohne BTA an Schulen für jeden Biologielehrer ein Traum! Nach diesem halben Jahr hatten also meine Schüler*innen eine Vorstellung von Aufbau, Vermehrung, Veränderung, Isolierung und Auftrennung von DNA bekommen und damit eine solide Grundlage zur Teilnahme am Laborpraktikum der TU-München gelegt.

Es ist nun natürlich Illusion zu glauben, dass Schüler*innen allein durch ihr erworbenes Wissen aus dem W-Seminar in der Lage sind, den theoretischen (geschweige denn den praktischen) Ablauf wissenschaftlicher Verfahren wie einer SDS-PAGE oder eines Western Blot vollumfassend zu verstehen. Der Sprung von schulischen Inhalten aus dem Bereich der Molekularbiologie und Biochemie zu forschenden Arbeitsweisen in einem Labor ist ein immens großer. Doch auch hier zeigte sich die Kooperation als ideale Lösung: Vorbereitend zum Laborpraktikum erhielten die Schüler*innen ein von Frau Dr. Schöppner erstelltes, maßgeschneidertes Skript mit allen Versuchsanleitungen und Hintergrundinformationen zu den einzelnen proteinchemischen Forschungsmethoden sowie eine Literaturliste, die sich vor allem bei der späteren Anfertigung der Seminararbeit als große Hilfe erwies. Unklare Sachverhalte und Verständnisschwierigkeiten konnten jederzeit während des Laborpraktikums oder per Email mit Frau Dr. Schöppner geklärt werden.

Sowohl die Vorbereitung des TU-Praktikums als auch die Durchführung waren für mich – abgesehen von den regulären Unterrichtsstunden – lediglich mit einigen wenigen organisatorischen Tätigkeiten und Telefonaten verbunden und deshalb eine enorme Arbeitsentlastung im Vergleich zu meinen an der Schule von mir selbst betreuten Schüler*innen. Auch die Sorge, sich als Lehrkraft in hochkomplexe Themeninhalte so einarbeiten zu müssen, dass wirklich alle Problemstellungen beantwortet werden können, erwies sich als unbegründet, da sämtliche Fragen der Schüler*innen während des Laborpraktikums von Frau Dr. Schöppner und Frau Stich beantwortet wurden. Der im wahrsten Sinne des Wortes paradiesische Betreuungsschlüssel von 3:1 tat sein Übriges. Der ein oder andere wird hier eventuell anmerken, dass die „gemeine Lehrkraft“, die meist gerne selbst das Zepter führt, ihr Heft durch diese Verfahrensweise völlig aus der Hand gebe. Aber obwohl mir die Betreuung des Laborpraktikums komplett abgenommen wurde, fühlte ich mich zu jeder Zeit über alle Abläufe und Vorgehensweisen informiert und in alle Entscheidungen integriert. Auch mein persönliches Anliegen, den organisatorischen Ablauf eines Labortages und das Arbeitsverhalten meiner Schüler*innen selbst miterleben zu können, wurde mir dankenswerterweise problemlos ermöglicht. Bei meinem eintägigen Besuch im Labor war ich – trotz meiner bereits hohen Erwartungen – sehr davon angetan, wie extrem professionell, didaktisch geschickt und trotzdem wissenschaftlich die Versuche angeleitet wurden.

Nun ist der dargestellte Sachverhalt zugegebenermaßen meine subjektive Lehrersicht. Jedoch zeigte sich bei einer von mir im nachfolgenden Unterricht durchgeführten Evaluation des Praktikums, dass auch die Schüler*innen fast ausnahmslos begeistert waren. Insbesondere der gute Betreuungsschlüssel, die übersichtlichen und gut verständlichen Versuchsanleitungen, die hohe Fachkompetenz der Betreuungspersonen und die professionelle und hochmoderne Ausstattung des Labors wurden lobend hervorgehoben. „Ohne dieses Laborpraktikum hätte ich niemals, selbst an keinem Tag der offenen Tür, einen so tiefgreifenden Einblick in die Arbeitsweisen eines Labors bekommen können. Ich bin wirklich dankbar diese Möglichkeit gehabt zu haben!“, so das Fazit eines Schülers.

Auch die Betreuung der Schüler*innen während der abschließenden Erstellung ihrer Seminararbeit war im Übrigen ein tolles Beispiel für Teamwork: Zwar wurden die Beratungsgespräche selbstverständlich von mir durchgeführt, jedoch stand Frau Dr. Schöppner auch hier den Schüler*innen für Fachfragen weiterhin zur Verfügung und entlastete mich damit wesentlich.

Kann man nun also ein W-Seminar – mit echtem wissenschaftlichen Anspruch – in einer Naturwissenschaft guten Gewissens und mit normalem Arbeitsaufwand durchführen? Die Antwort ist ein eindeutiges JA! Die Kooperation mit der TU München erwies sich für mich in jeglicher Hinsicht als absoluter Glücksfall. Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen und der finanziellen Ausstattung von Schulen wäre ein wissenschaftliches Arbeiten auf neuestem Stand im Bereich der Molekularbiologie nicht umsetzbar gewesen. Und obwohl dieser Themenbereich zu meinen absoluten Interessensgebieten gehört und ich deshalb mehrmalig Fortbildungen dazu besucht habe, reicht mein Wissen bei Weitem nicht an das der Betreuungspersonen des Laborpraktikums heran. Ein sowohl inhaltlich als auch ausstattungstechnisch so qualitativ hochwertiges W-Seminar hätte ich meinen Schüler*innen in Eigenregie niemals bieten können. Und die Arbeitsentlastung der betreuenden Lehrkraft – in diesem Fall also meiner selbst – ist dabei definitiv ein sehr willkommenes Zusatzgeschenk. Die nachfolgende Tabelle gibt einen Überblick über die Vor- und Nachteile einer Kooperation sowohl aus Schüler*innen- als auch Lehrer*innen-Perspektive (◘ Tab. 11.1).

Tab. 11.1 Vor- und Nachteile einer Kooperation zwischen Universität und Schule aus unterschiedlichen Sichtweisen

11.5 Fachwissenschaftlicher Hintergrund

Die Gebiete molekulare Biologie und Biotechnologie gewannen in Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland während der letzten Jahrzehnte verstärkt an Bedeutung. Mit Entdeckung der Biotechnologie in den frühen 1970er Jahren (Cohen et al., 1973; Smith & Welcox, 1970; Wu & Taylor, 1971) wurde die Entwicklung einer neuen Generation von Humantherapeutika erst möglich. Wesentlicher Grundstein war hierfür die Erfindung der DNA-Rekombinationstechnologie.

Mit Erfindung der DNA-Rekombinationstechnologie wurde die gezielte Veränderung der genetischen Ausstattung von Organismen erst möglich. Diese Technik setzt Enzyme voraus, welche die Spaltung, Verknüpfung und Replikation von DNA ermöglichen und die Reverse Transkription von RNA herbeiführen. Zur gerichteten Klonierung von PCR-Produkten werden diese durch Restriktionsenzyme an ihren Enden geschnitten und in entsprechend vorbereitete Vektoren ligiert (Christen et al., 2016, p. 516). Durch die Wahl entsprechender Primer können die Restriktionsschnittstellen am Gen des Zielproteins eingebaut werden. Durch das Einschleusen der Fremd-DNA in einen Wirtsorganismus (z. B. E. coli), können dann die rekombinanten Konstrukte, d. h. die Plasmide, in die das gewünschte DNA-Fragment ligiert ist, repliziert werden.

Plasmide sind natürliche, z. B. in Bakterien zusätzlich zum Chromosom vorkommende, ringförmige DNA-Moleküle. Wichtig ist, dass sich Plasmide autonom in ihrem Wirt vermehren. Ausgehend von in der Natur vorkommenden Plasmiden wurden gentechnisch rekombinante Vektoren erzeugt, die es erlauben, Fremdgene in Bakterien einzuschleusen. Diese Plasmide tragen zusätzlich Antibiotikaresistenzen, durch die eine Selektion der rekombinanten Mikroorganismen bei der Vermehrung erst möglich wird.

Zunächst wird ein entsprechendes rekombinantes DNA-Molekül erzeugt (enthält Zielgensequenz). Dieses rekombinante DNA-Molekül kann dann durch Transformation in eine Wirtszelle (hier: E. coli) vervielfältigt werden. Nach Erhalt eines positiven Klons erfolgt die Expression des gewünschten Proteins in E. coli. Nach der Anzucht kann das Protein durch Aufschluss der E. coli-Zellen isoliert und chromatografisch aufgereinigt werden. Nach jeder chromatografischen Reinigung werden die gesammelten Fraktionen hinsichtlich des Vorhandenseins des Zielproteins und dessen Reinheitsgrades überprüft. Dies erfolgt mittels SDS-PAGE. Das Zielprotein kann nach erfolgreicher Reinigung anhand einer Vielzahl von Analysemethoden (z. B. fotometrisch oder immunchemisch) charakterisiert werden.

11. Zusammenfassung

Viele molekularbiologische Standardmethoden, insbesondere solche zur Proteinherstellung, sind auf die Umsetzung in einem S1-Labor beschränkt. In diesem Kapitel wird ein Methodenrepertoire vorgestellt, das im Rahmen eines Kooperationsprojekts zwischen Universitäten und Schulen interessierten Schüler*innen einen tieferen Einblick in die Methoden der Protein-Biochemie ermöglicht.