FormalPara Zusammenfassung

Der Versorgungssektor der außerklinischen Intensivpflege und Beatmung hat in den vergangenen Jahren eine dynamische Entwicklung erfahren. Gleichzeitig werden neben fehlender Transparenz mit Blick auf epidemiologische Kennzahlen und Versorgungsstrukturen unterschiedliche Versorgungsdefizite konstatiert, besonders im Bereich der außerklinischen Beatmung. Mit dem Gesetz zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG) werden die bisherigen Regelungen zur Erbringung medizinischer Behandlungspflege für Versicherte mit intensivpflegerischem Versorgungsbedarf in einen neuen Leistungsanspruch für außerklinische Intensivpflege überführt und die sozialrechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich des Leistungsanspruches, des Leistungsortes sowie der Leistungserbringung definiert. Um bedarfsorientierte Versorgungsstrukturen nachhaltig zu gestalten, ist es jedoch notwendig, die bestehenden Bedarfslagen sowie die Versorgungs- und Lebenssituation von betroffenen Menschen systematisch zu erfassen. Die Systematisierung von potentiellen Erkrankungen, die einen Intensivpflegebedarf bedingen, und die darauf aufbauende Analyse von AOK-Abrechnungsdaten für das Jahr 2019 verdeutlicht die Heterogenität von Menschen mit außerklinischer Intensivpflege sowohl mit Blick auf das Alter, das Geschlecht, das Versorgungssetting als auch auf bestehende Grunderkrankungen. Eine große Bedeutung muss dabei der Subgruppe beatmeter und hier insbesondere trachealkanülierter Patientinnen und Patienten zugeschrieben werden. Die Untersuchung bestätigt überdies den bestehenden erheblichen Forschungsbedarf für den gesamten Versorgungsbereich.

The sector of out-of-hospital intensive care and ventilation has experienced dynamic development in recent years. At the same time, in addition to a lack of transparency with regard to epidemiological key figures and care structures, there are various care deficits, especially in out-of-hospital ventilation. With the Intensive Care and Rehabilitation Strengthening Act (GKV-IPReG), the previous regulations for the provision of medical treatment care for insurees with intensive care needs are transferred into a new entitlement to benefits for out-of-hospital intensive care. The socio-legal framework conditions are also defined with regard to the entitlement to benefits, the place of benefits and the provision of benefits. However, in order to sustainably design needs-oriented care structures, it is necessary to systematically record the existing needs as well as the care and living situation of the affected patients. The systematisation of potential diseases that require intensive care and the analysis of AOK billing data for 2019 illustrates the heterogeneity of people with out-of-hospital intensive care in terms of age, gender, care setting as well as their underlying diseases. Great importance must be attributed to the subgroup of ventilated and, in particular, tracheal-cannulated patients. The study confirms that there is considerable need for research in the entire field of care.

1 Einleitung

Bei der außerklinischen Intensivpflege handelt es sich um einen noch jungen Bereich der gesundheitlichen und pflegerischen Versorgung. Er ist seit Beginn der 2000er Jahre, u. a. durch die Aufnahme in das Leistungsverzeichnis der Häuslichen Krankenpflegerichtlinie (G-BA 2022a, HKP-RL), durch sehr dynamische Entwicklungen und eine stetige Zunahme der Anzahl der in diesem Rahmen versorgten Personen gekennzeichnet. Wenngleich ein Großteil dieser Personen beatmungspflichtig ist – sowohl invasiv als auch nicht-invasiv –, ist die außerklinische Intensivpflege nicht mit Beatmungspflege gleichzusetzen. Der Anspruch auf außerklinische Intensivpflege besteht für Menschen mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege, bei denen die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegekraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft erforderlich ist, weil lebensbedrohliche Situationen mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar eintreten können (G-BA 2022b, AKI-RL vom 19.11.2021, § 4, Abs. 1). In der außerklinischen Intensivpflege treffen u. a. zwei Versorgungsbereiche zusammen, die vor noch nicht allzu langer Zeit wenig Berührungspunkte hatten: die häusliche pflegerische Versorgung einerseits, die Intensivmedizin und -pflege andererseits. Veränderungen bei Krankheitsverläufen von akuten zu chronischen Erkrankungen sowie technische, medizinische und pflegerische Fortschritte haben dazu geführt, dass nunmehr Versorgungsarrangements erforderlich und möglich sind, in denen Menschen mit einem Bedarf an einer technik- und personalintensiven Versorgung in die eigene häusliche Umgebung zurückkehren und dort verbleiben können. Die Möglichkeit zu einer häuslichen Versorgung bedeutet allerdings nicht, dass auch ein entsprechendes Angebot verfügbar ist oder die bestehenden Probleme und Herausforderungen in diesem Zusammenhang einfach zu lösen sind. Die Intensivstation lässt sich nicht ohne Weiteres in das Wohn- oder Schlafzimmer eines Haushalts verlegen. Dennoch sind entsprechende Versorgungsangebote entstanden und das Feld der außerklinischen Intensivpflege hat sich mit hoher Geschwindigkeit entwickelt. Mittlerweile gehört neben der Versorgung im häuslichen Umfeld oder in stationären Pflegeeinrichtungen auch die Versorgung in Wohngruppen oder anderen Versorgungsarrangements dazu, sodass nicht mehr allein von der häuslichen, sondern der außerklinischen Intensivpflege gesprochen wird. Lehmann et al. (2019) kritisieren, dass über diesen wachsenden Versorgungssektor nur wenige wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse vorliegen. Insgesamt besteht wenig Transparenz über tatsächliche Versorgungsverläufe, über Prävalenzen und die mit der außerklinischen Intensivpflege verbundenen Probleme und Erkrankungen. Der folgende Beitrag will zunächst Erkenntnisse zur außerklinischen Intensivpflege auf der Basis von Abrechnungsdaten liefern und den dem Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz (IPReG) zugrunde liegenden Handlungsdruck zur Versorgungssteuerung sowie hieraus resultierende Evaluationsfragen beschreiben.

2 Gesetzlicher Rahmen der außerklinischen Intensivpflege

Außerklinische Intensivpflege nach SGB V wurde seit 2010 im Rahmen der Behandlungssicherungspflege als Leistung der häuslichen Krankenpflege (HKP) nach § 37 SGB V ärztlich verordnet und als „Spezielle Krankenbeobachtung“ bezeichnet (G-BA HKP-RL vom 09.02.2010; ebd., vom 15.08.2019). Die außerklinische Intensivpflege war somit als Teil der HKP nach § 37 Abs. 2 SGB V untergesetzlich geregelt; dies galt auch für die stationäre Pflege. Mit dem im Herbst 2020 verabschiedeten IPReG hat der Gesetzgeber die bislang untergesetzlichen Regelungen zur häuslichen Intensivpflege mit dem neu eingeführten § 37c SGB V „Außerklinische Intensivpflege“ neu geregelt. Der G-BA hat den Auftrag erhalten, die Gestaltung des Leistungsanspruchs und der Leistungserbringung bei der außerklinischen Intensivpflege in einer neuen Richtlinie zur außerklinischen Intensivpflege (AKI-RL) zu regeln (§ 37c Abs. 1 Satz 8 SGB V). Diese wurde im November 2021 vom G-BA beschlossen und ist am 18.03.2022 in Kraft getreten, Verordnungen nach AKI-RL erfolgen jedoch erst ab dem 1. Januar 2023 (G-BA 2022b). Leistungsinhalt und Verordnungsvoraussetzungen für die AKI entsprechen gleichwohl der „Speziellen Krankenbeobachtung“ der HKP-RL. Anspruch haben gesetzlich Krankenversicherte mit einem besonders hohen Bedarf an medizinischer Behandlungspflege (§ 37c Abs. 1 SGB V), der dann besteht, wenn die ständige Anwesenheit einer geeigneten Pflegefachkraft erforderlich ist, weil eine sofortige ärztliche oder pflegerische Intervention bei lebensbedrohlichen Situationen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbar eintreten können, notwendig ist (G-BA 2022b, AKI-RL § 4 Abs. 1). Dies bedarf nach der neuen Gesetzgebung der Verordnung durch „besonders qualifizierte“ Ärztinnen und Ärzte (§ 37c Abs. 1 Satz 4 SGB V). Bei beatmeten oder trachealkanülierten Versicherten ist vor jeder Verordnung überdies eine Potenzialerhebung zur Entwöhnung durchzuführen. Die AKI-RL konkretisiert ferner die künftige Verordnungspraxis der AKI, sodass entsprechend § 6 der AKI-RL ab dem 2. Quartal 2023 Gebührenordnungspositionen vorliegen, die u. a. Rückschlüsse auf verordnungsrelevante Diagnosen, Beatmungs- und Tracheostomastatus sowie Weaning- und Dekanülierungs-Potenzial zulassen. Dies schafft zusammen mit der Tatsache, dass die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen durch das IPReG nun gemeinsam und einheitlich Verträge mit zuverlässigen Leistungserbringern über die außerklinische Intensivpflege und deren Vergütung und Abrechnung schließen (§ 132l Abs. 5 SGB V) mehr Transparenz über die Versorgungspraxis.

Außerklinische Intensivpflege wird gemäß der AKI-RL am Wohnort erbracht, der neben der Häuslichkeit auch eine vollstationäre Pflegeeinrichtung (mit Leistungen nach § 43 SGB XI oder Einrichtung der BehindertenhilfeFootnote 1), eine spezialisierte Wohngruppe (im Sinne des § 132l Abs. 5 Nr. 1 SGB V) oder ein sonst geeigneter Ort sein kann (G-BA AKI-RL)Footnote 2. Stärkere Reglementierungen des Leistungsortes waren das Ziel des ersten Gesetzesentwurfs, der noch als Reha- und Intensivpflege-Stärkungsgesetz (RISG) eingebracht worden war. Unter dem RISG sollte die außerklinische Intensivpflege nur noch in Ausnahmefällen am Wohnort des bzw. der Versicherten erbracht werden. Dieses Ziel wurde jedoch nach einer kontroversen Diskussion verworfen und der ursprüngliche Entwurf wurde durch einen neuen Gesetzesentwurf zum IPReG ersetzt (Deutscher Bundestag 2020, S. 2). Der neue Koalitionsvertrag (SPD et al. 2021) bestätigt in diesem Zusammenhang nochmals, dass die freie Wahl des Wohnorts bei intensivpflegerischer Versorgung erhalten bleiben müsse und dass das „IPReG daraufhin evaluiert und nötigenfalls nachgesteuert werden“ solle (S. 81). Mit dem IPReG wurde eingeführt, dass berechtigten Wünschen der Versicherten zu entsprechen ist. Gleichwohl haben die Krankenkassen den Auftrag erhalten, durch den Medizinischen Dienst jährlich zu begutachten, ob und wie die außerklinische intensivpflegerische Versorgung vor Ort sichergestellt ist oder durch entsprechende Nachbesserungsmaßnahmen in angemessener Zeit sichergestellt werden kann. Ist dies nicht der Fall, kann eine Leistung am entsprechenden Ort versagt werden (§ 37c Abs. 2 SGB V). Neu eingeführt wurden außerdem finanzielle Entlastungen für intensiv-pflegebedürftige Menschen bei der Wahl in einer stationären Einrichtung zu leben. Anders als für alle übrigen Pflegeheimbewohnenden – hier greift das Teilleistungssystem der Pflegeversicherung – werden bei AKI-Patientinnen und -Patienten nun die gesamten Kosten der Pflegeheimunterbringung getragen (§ 37c, Abs. 3 SGB V). Eine stärkere Verlagerung der außerklinischen Intensivpflege von der Häuslichkeit in stationäre Pflegeeinrichtungen soll vermeintlichen „Optimierungsbedarf in der Versorgungsqualität […] in der Häuslichkeit oder in organisierten Wohneinheiten“, u. a. mit Blick auf den Einsatz nicht ausreichend qualifizierten Personals ausgleichen (Deutscher Bundestag 2020, S. 22) sowie einem Mangel an Pflegefachkräften entgegenwirken (ebd., S. 2).

In der Gesamtschau zielt der Gesetzgeber durch das IPReG auf die Behebung unterschiedlicher Fehlversorgungen in der außerklinischen Intensivpflege. Die neuen Vorgaben umfassen neben der sozialrechtlichen Definition von außerklinischer Intensivpflege und den veränderten Rahmenbedingungen hinsichtlich des Leistungsorts Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungsqualität. Einen besonderen Versorgungsbedarf, aber auch Versorgungsdefizite sieht der Gesetzgeber bei der Versorgung von beatmeten und/oder trachealkanülierten Menschen (Deutscher Bundestag 2020, S. 27), die nun mit § 37c Abs. 1 Satz 6 SGB V erstmals konkret sozialrechtlich benannt werden. Im Rahmen dessen soll die stationäre Beatmungsentwöhnung verbessert werden, um eine Überführung von Beatmungspatientinnen und -patienten in die außerklinische Intensivpflege ohne vorherige Ausschöpfung von Entwöhnungspotenzialen zu vermeiden (ebd., S. 21). Finanzielle Ausgleiche respektive Verpflichtungen der Krankenhäuser und Ärztinnen und Ärzte sollen dazu beitragen, dass Patientinnen und Patienten mit Entwöhnungspotenzial nicht mehr ohne den vorherigen Versuch der Beatmungsentwöhnung verlegt werden. Ferner soll die Ausschöpfung von vorhandenem Entwöhnungspotenzial (Weaning) primär mit oder in spezialisierten Entwöhnungszentren (Weaning-Zentren) erfolgen (ebd.). Zusätzlich soll sichergestellt werden, dass die Leistungen der außerklinischen Intensivpflege künftig nur noch von Pflegediensten durchgeführt werden, die bestimmte Anforderungen erfüllen (ebd., S. 23).

3 Epidemiologie, Angebotsstrukturen und Erkrankungsspektren der außerklinischen Intensivpflege

3.1 Stand des Wissens zur Epidemiologie und den Angebotsstrukturen

Rund 2,2 Mrd. € wurden im Jahr 2020 für außerklinische intensivpflegerische Leistungen in der GKV ausgegeben; im Jahr 2018 waren es noch rund 1,9 Mrd. €. Der Anteil intensivpflegerischer Leistungen an allen Ausgaben für Behandlungspflege und Häusliche Krankenpflege ist dabei mit rund 30 % konstant geblieben (BMG 2020a). Laut der amtlichen GKV-Statistik wurden im Jahr 2020 insgesamt 20.590 Leistungsfälle verzeichnet, davon entfielen rund 2.600 Leistungsfälle auf die stationäre und 18.000 auf die ambulante Intensivpflege. Im Jahr 2018 waren es insgesamt rund 22.000 Leistungsfälle (3.400 stationär und 18.700 ambulant) (BMG 2020b). Die Anzahl an Leistungsfällen gibt allerdings keinen Aufschluss darüber, wie viele Versicherte solche Leistungen erhalten haben, da hier „Fälle“ und nicht Versicherte gezählt werden. Die außerklinische Intensivpflege wird erst seit 2017 in den amtlichen Statistiken abgegrenzt, sodass Angaben über Zahlen vor diesem Zeitpunkt nicht möglich sind. Des Weiteren sind Versicherte, die über SelektivverträgeFootnote 3 versorgt werden, nicht in der Gruppe der Versicherten mit AKI erfasst, da sie einer anderen Gruppe zugeordnet werden. Die Daten geben ferner keinen Aufschluss über die Zusammensetzung der AKI-Versichertengruppe – so ist vor allem die Unterscheidung zwischen beatmet (invasiv und nicht invasiv) und nicht-beatmet mit Hilfe der amtlichen Statistiken oder GKV-Abrechnungsdaten derzeit nicht möglich.

Da zudem Register fehlen, stehen bislang keine systematischen Informationen zu Prävalenzen und Inzidenzen oder spezifischen Versorgungsfragen zur Verfügung (Rosseau 2017). Gleichwohl existieren einzelne Studien über die Versorgung von Menschen mit invasiver und nicht-invasiver außerklinischer Beatmung. Diese Studien weisen jedoch eine große Spannbreite an Prävalenzen auf und basieren zudem auf unterschiedlichen Datengrundlagen und Methoden. Sie geben auch keine verlässlichen Informationen zu weiteren epidemiologischen Faktoren wie Alter, Geschlecht und Grunderkrankungen. Die bislang bekannteste, 2005 durchgeführte Eurovent-Studie zeigte für Deutschland ungefähr 5.000 (invasiv und nicht-invasiv) beatmete Menschen auf (Lloyd-Owen et al. 2005). Nach Hochrechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) basierend auf Abrechnungsdaten kann für das Jahr 2018 von 15.000 invasiv-beatmeten Personen ausgegangen werden. Die Anzahl der nicht-invasiv beatmeten Personen soll noch deutlich höher liegen (KBV 2018). Aufgrund des medizinisch-technischen Fortschritts wird von einem kontinuierlichen Wachstum der Anzahl außerklinisch beatmeter Patientinnen und Patienten ausgegangen (Karagiannidis et al. 2019). Eine aktuelle Studie analysiert anhand von OPS-Kennziffern die Entwicklung der stationären Ersteinleitungen (OPS-Schlüssel 8-716.0) und Kontrollen oder Optimierungen früher eingeleiteter häuslicher Beatmungen (OPS-Schlüssel 8-716.1) zur invasiven und nicht-invasiven außerklinischen Beatmung (Schwarz et al. 2021). Auf dieser Grundlage wurde für den Zeitraum von 2008 bis 2019 in Deutschland eine Verdoppelung der stationären Fallzahlen zur Einleitung und Kontrolle einer außerklinischen Beatmung verzeichnet und jährlich wurden mehr als 1.000 invasive außerklinische Beatmungen neu eingeleitet (ebd.). Über die Gruppe von Menschen, die zwar nicht maschinell beatmet werden müssen, aber ein Tracheostoma benötigen, ist wenig bekannt. Laut Rosseau (2017) ist eine Zunahme an Patientinnen und Patienten zu beobachten, die nach Langzeitbeatmung auf Intensivstationen vermehrt mit Tracheostoma ohne Beatmung in eine 24-stündige ambulante Intensivpflege entlassen werden. Ein Tracheostoma erhöht die Gefahr vermehrter Atemwegsinfektionen. Es ist davon auszugehen, dass die Dekanülierung (Entfernung der Trachealkanüle sowie Verschluss des Tracheostomas) in vielen Fällen die Prognose der Betroffenen begünstigen würde (ebd.).

Auch die Betrachtung der pflegerischen Anbieterseite bestätigt eine steigende Bedeutung des Versorgungsangebots. So ist die Anzahl an Intensivpflegediensten von 2014 bis 2019 um rund 34 % gestiegen (Meißner 2016/2020; Windisch et al. 2019), die Zahl der Pflege- und Betreuungsdienste insgesamt stieg lediglich um 15 % (2013 bis 2019; Destatis 2020). Die Zunahme an außerklinisch beatmeten Menschen führt zu einem Wandel der pflegerischen Versorgungslandschaft und stellt das Gesundheitssystem vor entsprechende Herausforderungen, u. a. mit Blick auf finanzielle und personelle Ressourcen (Klingshirn et al. 2021). Unterstrichen wird dies durch die wachsende Anzahl an Intensivpflege-WGs, Intensivpflegediensten (Meißner 2016/2020) und Weaning-Zentren (Schönhofer 2019). Weaning-Zentren sind Fachabteilungen von Krankenhäusern mit spezieller Ausrichtung auf Patientinnen und Patienten mit prolongiertem Weaning (Karagiannidis et al. 2019).

Bislang unterlag der Bereich der außerklinischen Beatmung nur einer wenig ausgeprägten Regulierung. Dies spiegelt sich in der Intransparenz des Anbietermarktes wider (Ewers und Lehmann 2018). Auffällig erscheint dabei, dass regional deutliche Unterschiede in den Versorgungsstrukturen bestehen, die sich u. a. in regional sehr heterogenen Fallzahlen niederschlagen (Schwarz et al. 2021). Es ist davon auszugehen, dass medizinisch-therapeutische Über-, Unter- und Fehlversorgungen nicht nur, aber vor allem hinsichtlich nicht ausgeschöpfter Weaning-Potenziale bestehen (Bornitz et al. 2020; Fricke und Schönhofer 2020; Köhler 2019). In der Folge zeigen sich Hinweise auf Qualitätsmängel (Klingshirn et al. 2020) sowie nicht leitliniengerechte Indikationsstellungen (Rosseau 2017) und eine fachliche Überforderung von Hausärztinnen und -ärzten (Schäfer 2020). Neben unzureichenden therapeutischen Rehabilitationsangeboten (DIGAB 2019) besteht ein Mangel an qualifizierten Fachpflegekräften (Klingshirn et al. 2020) in regional unterschiedlichem Ausmaß (Stark et al. 2016). Trotz einzelner vorhandener Untersuchungen fehlt es an Studien zur Bedarfsgerechtigkeit von Versorgungsleistungen und den notwendigen Versorgungsstrukturen sowie zur Selbstbestimmung und Teilhabe intensivpflegerisch versorgter Personen in Abhängigkeit von ihrer Wohnform (Klingshirn et al. 2020).

3.2 Erkrankungsspektren der außerklinischen Intensivpflege

Versicherte mit Anspruch auf außerklinische Intensivpflege benötigen häufig eine dauerhafte oder intermittierende Beatmung, sind trachealkanüliert und haben einen hohen Pflege- und Überwachungsbedarf (Siefarth und Kübler 2021). Die Ursachen, die zu einem ständigen Bedarf an Intensiv- bzw. Interventionsbereitschaft führen, sind heterogen, häufig multikausal und multifaktoriell bedingt (Karagiannidis et al. 2019). Für ein besseres Verständnis der Ätiologie muss berücksichtigt werden, dass ein akuter Interventionsbedarf aufgrund der Gefährdung von Vitalparametern besonders häufig durch eine Störung bzw. ein Versagen des respiratorischen Systems – einer respiratorischen Insuffizienz – begründet wird. Das respiratorische System, das für die Aufnahme von Sauerstoff (O2) und die Abgabe von Kohlendioxid (CO2) verantwortlich ist, besteht aus zwei Kompartimenten, der Lunge – dem gasaustauschenden System – und der Atempumpe – dem ventilierenden System. Ursächlich für die Störung des respiratorischen Systems ist entweder eine pulmonale bzw. eine hypoxäme Insuffizienz (Typ I) (d. h. Lungenversagen bzw. eine Störung des Gasaustauschs) oder eine ventilatorische bzw. eine hyperkapnische Insuffizienz (Typ II) (d. h. eine Beeinträchtigung der Atempumpfunktion). Bei einer respiratorischen Insuffizienz nach Typ I ist die Sauerstoffaufnahme klinisch relevant gestört. Bei einer respiratorischen Insuffizienz nach Typ II besteht eine klinisch relevante Störung sowohl der Sauerstoffaufnahme als auch der Kohlendioxidabgabe (DGP 2017; Laier-Groeneveld und Criée 2021; Schäfer 2020). Da eine hypoxäme bzw. pulmonale Insuffizienz zu einem Sauerstoffmangel bzw. einer Hypoxämie führt, ist die primäre Therapieform neben der Behandlung der Grunderkrankung die Sauerstofftherapie, zumindest bei einer respiratorischen Insuffizienz leichteren Grades. Eine ventilatorische Insuffizienz (Typ II) ist die Ursache für Hyperkapnie und Luftnot und bedarf zumeist einer Beatmungstherapie.

Erkrankungen, die zu einer invasiven oder nicht-invasiven Beatmung im AKI-Kontext führen können, sind in Abb. 8.1 dargestellt. Die Ätiologie der ventilatorischen Insuffizienz lässt sich dabei den vier Bereichen Atemantriebsstörungen, Schwächung der Atemmuskulatur, Störungen der Atemmechanik und Atemwegsobstruktionen zuordnen (Laier-Groeneveld und Criée 2021).

Abb. 8.1
figure 1

Erkrankungsspektren der außerklinischen Intensivpflege

Atemantriebsstörungen, also Beeinträchtigungen der autonomen Atmungskontrolle, treten im Atemzentrum auf. Sekundär ursächlich für Atemantriebsstörungen sind z. B. Traumata, Hirnschädigungen wie Hirnstamminfarkte oder Hirnstammtumore, metabolische Störungen, zentrale Schlafapnoe oder Myxödem sowie unterschiedliche Medikamente, bspw. Narkotika oder Sedativa. Primär ursächlich ist bspw. das kongenitale zentrale Hypoventilationssyndrom (kurz CCHS, auch Udine-Syndrom genannt) (Lang 2017, 2020).

Eine Schwächung der Atemmuskulatur kann die Atemarbeit verhindern oder zumindest vermindern, diese kann muskulär, neural oder neuromuskulär bedingt sein. Erkrankungen, die das Nervensystem betreffen, sind u. a. die Amyotrophe Lateralsklerose (ALS), die Spinale Muskelatrophie, die Multiple Sklerose oder das Guillain-Barré-Syndrom. Muskuläre Erkrankungen wie Muskeldystrophien, Muskelentzündungen (Myosititiden), Myopathien ebenso wie dauerhafte Unterernährung und Inaktivität oder sogar die Hyperthyreose können die Muskelkraft verringern. Eine Schwächung der Atemmuskulatur, die neuromuskulär bedingt ist, kann z. B. durch eine Myasthenia gravis verursacht werden (Laier-Groeneveld und Criée 2021; Lang 2017). Störungen der Atemmechanik werden u. a. durch Deformitäten des Rumpfes und/oder des Thorax verursacht, sodass die Erzeugung eines ausreichenden alveolären Unterdrucks für die Einatmung behindert werden kann. Ursächlich sind thorakal-restriktive Erkrankungen wie z. B. schwere Skoliosen, Kyphoskoliosen, post-traumatische Thoraxdeformitäten, Lungengerüsterkrankungen, die Lungenüberblähung, Rippenserienfrakturen sowie der Morbus Bechterew. Auch das Obesitas-Hypoventilations-Syndrom (OHS) führt zu einer relevanten Störung der AtemmechanikFootnote 4 (Laier-Groeneveld und Criée 2021; Lang 2017). Bei einer Atemwegsobstruktion, also einer Verengung der Atemwege, wird der Atemfluss derart behindert, dass vor allem die Ausatmung deutlich erschwert wird. Dies ist bspw. bei der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD), beim Asthma bronchiale, einer Trachealstenose, einer Stimmbandparese oder einer Atmung durch einen Endotrachealtubus der Fall (Laier-Groeneveld und Criée 2021; Lang 2017).

Nicht nur eine invasive oder nicht-invasive Beatmung kann AKI begründen (siehe Abb. 8.1). Eine 24-stündige pflegerische Interventionsbereitschaft kann außerdem bei Personen bestehen, die nach einer erfolgreichen Entwöhnung von der invasiven Beatmung weiterhin von einem Tracheostoma abhängig sind. Eine Dekanülierung ist oftmals dann nicht möglich, wenn schwere neuropsychologische Defizite z. B. nach Hirnschädigung, bei Demenz oder Morbus Parkinson bestehen. Eine Dysphagie mit Aspirationsneigung und einer begleitenden Husteninsuffizienz verhindern ebenfalls oftmals die Dekanülierung. Auch bei einer Obstruktion der oberen Atemwege, der Glottis oder der Trachea kann eine Trachealkanüle notwendig sein (Schönhofer et al. 2020). Entsprechend stellen bösartige Neubildungen der Mundhöhle, des Pharynx, des Ösophagus sowie der Atmungsorgane oder sonstiger intrathorakaler Organe eine weitere Erkrankungskategorie dar. Bei Patientinnen und Patienten mit entsprechenden Erkrankungen ist oftmals die selbständige Versorgung nicht möglich; Absaugen, Trachealkanülenwechsel oder die Tracheostomapflege sind durch spezialisierte Pflegefachkräfte zu leisten (ebd.).

Die ständige Anwesenheit einer qualifizierten Pflegefachkraft zur individuellen Kontrolle und Einsatzbereitschaft kann in Einzelfällen auch in anderen Bereichen indiziert sein, so z. B. bei Epilepsie respektive episodischen und paroxysmalen Krankheiten des Nervensystems sowie bei entgleisendem Diabetes mellitus Typ 1, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit täglich unvorhersehbare lebensbedrohliche Situationen eintreten können.

4 Beschreibung von Versicherten mit außerklinischer Intensivpflege

4.1 Datengrundlage, methodisches Vorgehen und Deskription der Analysepopulation

Vor dem Hintergrund der nur eingeschränkt vorliegenden epidemiologischen Informationen wurden für diesen Beitrag bundesweite AOK-Abrechnungsdaten (Routinedaten) zur Analyse der die außerklinische Intensivpflege auslösenden Problemlagen herangezogen. Alle Ergebnisse sind so standardisiert, dass alters- und geschlechtsbedingte Verzerrungen zur GKV-Gesamtpopulation bereinigt sind. Einbezogen wurden Versicherte, für die im Jahr 2019 mindestens eine Gebührenordnungsposition abgerechnet wurde, die der AKI-Kontierung der gesetzlichen Krankenkassen der KV45Footnote 5 entsprechend zuzuordnen ist. Rund 9.000 Versicherte mit Inanspruchnahme von Leistungen der außerklinischen Intensivpflege wurden identifiziert (Abb. 8.2). Knapp jede fünfte dieser Personen (19,9 %) ist innerhalb des Jahres 2019 verstorben, über die Hälfte (57,4 %) war männlich. Im Vergleich zu Pflegebedürftigen oder allen Versicherten mit HKP insgesamt ist dieser Anteil deutlich überproportional (Abb. 8.3). 79 % wurden ambulant und 16 % stationär versorgt, für den Rest liegen keine Informationen vor, da diese Versicherten keinen Pflegegrad aufweisen.

Abb. 8.2
figure 2

Anteil der Versicherten mit AKI-Inanspruchnahme oder mit HKP-Inanspruchnahme und der Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI nach Versorgungsort, in % (2019). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten (Amtliche Statistik KM 6 2019))

Abb. 8.3
figure 3

Anteil der Versicherten mit AKI-Inanspruchnahme oder mit HKP-Inanspruchnahme und der Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI nach Geschlecht, in % (2019). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten (Amtliche Statistik KM 6 2019))

Versicherte mit AKI sind mehrheitlich (53,8 %) unter 65 Jahre alt (Abb. 8.4). Auffällig ist besonders die große Gruppe der Kinder und Jugendlichen (0–19 Jahre) mit insgesamt 16 %, die im Jahr 2019 AKI-Leistungen in Anspruch genommen haben. Mehr als ein Drittel davon (39 %) ist zwischen 0 und 4 Jahre alt, dies sind 6 % aller Versicherten mit AKI. Lediglich 14 % der Empfängerinnen und Empfänger von AKI sind über 80 Jahre alt. Damit grenzen sie sich deutlich auch in ihrer Altersverteilung von den allgemein Pflegebedürftigen wie auch von den sonstigen HKP-Empfängerinnen und Empfängern ab; bei Ersteren sind 49 % 80 Jahre und älter, bei Letzteren 53 %. Jünger als 20 Jahre hingegen sind nur 0,6 % respektive bei allen Pflegebedürftigen 4 %.

Abb. 8.4
figure 4

Altersverteilung der Versicherten mit AKI-Inanspruchnahme oder mit HKP-Inanspruchnahme und der Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI, in % (2019). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten (Amtliche Statistik KM 6 2019))

Aufgrund der vermeintlich hohen Morbidität von Menschen mit intensivpflegerischem Versorgungsbedarf verwundert es nicht, dass mehr als die Hälfte (53,8 %) der identifizierten Versicherten mit AKI den Pflegegrad 5 aufweisen (Abb. 8.5). In der Gruppe aller Pflegebedürftigen ist diese Gruppe mit 8 % deutlich kleiner, ebenso im Vergleich zu der Gruppe aller Versicherten mit HKP (5,5 %)Footnote 6. Auffällig ist, dass nicht alle Betroffenen einen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung aufweisen: 5 % mit Leistungsinanspruchnahme im AKI-Bereich haben keinen Pflegegrad.

Abb. 8.5
figure 5

Anteil der Versicherten mit AKI-Inanspruchnahme (AKI) oder mit HKP-Inanspruchnahme (HKP) und der Pflegebedürftigen im Sinne des SGB XI (SGB XI) nach Schwere der Pflegebedürftigkeit, in % (2019). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten (Amtliche Statistik KM 6 2019))

4.2 Erkrankungsspektren und Versorgungsmerkmale von Versicherten mit außerklinischer Intensivpflege

Für die Beschreibung der der AKI-Versorgung zugrunde liegenden Erkrankungsspektren wurden ambulant-ärztlich dokumentierte Diagnosen des Betrachtungsjahres 2019 herangezogen. Aufbauend auf der obigen Darstellung der Ätiologie (Abschn. 8.3.2) wurden nach der in Tab. 8.1 gewählten Zuordnung Versicherte mit mindestens einer Diagnosestellung dem jeweiligen Erkrankungsspektrum zugeordnet.

Tab. 8.1 Erkrankungsgruppen mit ICD-10 Code, Version 2022

Für rund zwei Drittel (61,2 %) aller Versicherten mit AKI wurde eine Erkrankung diagnostiziert, die mit einer Schwächung der Atemmuskulatur einhergeht und somit zu einer respiratorischen Insuffizienz Typ II führen kann. Diagnosen aus diesem Bereich bilden damit die größte Kategorie (Tab. 8.2). Mit 53 % ebenfalls sehr häufig weisen Versicherte eine Diagnose aus dem Bereich der Atemantriebsstörungen auf, primär und sekundär, also eine Beeinträchtigung der autonomen Atmungskontrolle im Atemzentrum. Eine Diagnose aus der Kategorie Atemwegsobstruktionen wurde für 41 % der erfassten Versicherten dokumentiert. Für 28 % wurde eine Erkrankung aus der Kategorie episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems diagnostiziert, weitere 9 % weisen Störungen der Atemmechanik auf, z. B. durch thorakal restriktive Erkrankungen. Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe wurden bei 5 % der erfassten Versicherten dokumentiert (Tab. 8.2).

Tab. 8.2 Anteil Versicherte mit AKI-Inanspruchnahme mit mind. einer Diagnose aus den Erkrankungsspektren sowie dokumentierte Versorgungsmerkmale nach ICD-10 (2019). (Quelle: AOK-Daten, standardisiert auf die gesetzlich Versicherten (Amtliche Statistik KM 6 2019))

Die Mehrzahl der Versicherten weist dabei Diagnosen aus mehreren Erkrankungsgruppen auf (Tab. 8.2). Welche Erkrankung ursächlich für den Bedarf an außerklinischer Intensivpflege ist oder zu einer respiratorischen Insuffizienz führte, kann aus den Daten nicht abgeleitet werden. Tab. 8.3 im Anhang führt auf, welche Ko-Morbiditäten und Versorgungsmerkmale für die Versicherten diagnostiziert und dokumentiert wurden. Beispielsweise weisen AKI-Patientinnen und -Patienten, deren Atmungskontrolle beeinträchtigt ist, zu drei Vierteln (74,7 %) ebenfalls Erkrankungen auf, die zu einer Schwächung der Atemmuskulatur und somit einer respiratorischen Insuffizienz Typ II führen können. Mit jeweils fast 40 % weisen sie außerdem eine Diagnose aus der Kategorie Atemwegsobstruktionen (38,2 %) und/oder aus der Kategorie episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems (39,4 %) auf. Bei Patientinnen und Patienten mit Diagnosen aus der Gruppe „Bösartige Neubildungen der Atmungsorgane und sonstiger intrathorakaler Organe“ verwundert es nicht, dass die Hälfte dieser Versicherten (50,6 %) gleichzeitig auch eine Atemwegsobstruktionen aufweist (Tab. 8.3). Hinzuweisen ist auch auf die Kategorie „episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems“. Es ist davon auszugehen, dass diese Erkrankungen nicht initial zu einer respiratorischen Insuffizienz geführt haben, im Verlauf jedoch andere Gründe einen besonderen Bedarf an außerklinischer Intensivpflege bedingen. Gleichzeitig können diese Versicherten an weiteren Erkrankungen aus anderen Kategorien leiden; so wurden für diese Versicherten im hohen Maße Erkrankungen aus den Kategorien Atemantriebsstörungen (74,0 %) und Schwächung der Atemmuskulatur (76,3 %) erfasst (Tab. 8.3).

Neben den Erkrankungen wurden dokumentierte Diagnosen zu Versorgungsmerkmalen im Kontext einer außerklinischen Beatmung analysiert (siehe Tab. 8.2). Für fast alle Erkrankungsgruppen, außer für die Kategorie Störungen der Atemmechanik, weist deutlich mehr als die Hälfte der Versicherten ärztlich dokumentierte Diagnosen im Zusammenhang mit einem Tracheostoma auf (Tab. 8.3 im Anhang). Hierbei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass Versicherte mehreren Erkrankungsgruppen zugeordnet sein können und somit aufgrund einer anderen Erkrankung auf ein Tracheostoma angewiesen sind. So gehen bspw. Erkrankungen aus der Kategorie episodische und paroxysmale Krankheiten des Nervensystems nicht üblicherweise mit einer dauerhaft bleibenden Beatmung einher. Dem hohen Anteil an Versicherten mit dem Versorgungsmerkmal Tracheostoma steht eine deutlich geringere Anzahl an Versicherten mit einer respiratorischen Insuffizienz (nach Typ I, Typ II und oder nicht näher klassifiziert) gegenüber. Mit 55 % weisen am häufigsten Versicherte mit einer dokumentierten Erkrankung aus der Kategorie Atemwegsobstruktionen irgendeine Form der respiratorischen Insuffizienz auf. Besonders die differenzierten Diagnosen nach Typ I und/oder Typ II wurden je nur für einen geringen Anteil der Versicherten dokumentiert; auch hier können Versicherte beide Diagnosen aufweisen. Gerade bei Erkrankungen mit Atemantriebsstörungen, mit einer Schwächung der Atemmuskulatur, einer Störung der Atemmechanik oder Atemwegsobstruktion wären höhere Anteile zu vermuten gewesen. Die Ergebnisse weisen insofern auf die Limitationen ärztlich dokumentierter Merkmale, wie sie in Routinedaten vorliegen, hin. Eine Validierung mit Hilfsmittelabrechnungsdaten, über die u. a. Trachealkanülen abgerechnet werden, stellt hier den nächsten Analyseschritt dar. Perspektivisch ist auch durch die Spezifizierung der Verordnungspraxis von AKI inklusive verordnungsrelevanter Diagnosen (§ 6 AKI-RL) eine Verbesserung der Versorgungstransparenz zu erhoffen.

Für rund 10 % der Versicherten mit einer AKI-Inanspruchnahme wurde keine Diagnose dokumentiert, die einem der in Tab. 8.1 definierten Erkrankungsspektren zuzuordnen ist. Bei dieser Gruppe fällt besonders auf, dass fast ein Viertel keinen Pflegegerad aufweist und auch der Pflegegrad 5 deutlich seltener vertreten ist als in der restlichen Gruppe der Versicherten mit AKI. Zum anderen fällt auf, dass diese Versicherten besonders jung sind: Mit 39 % stellen die 0- bis 14-Jährigen die größte Gruppe dar. Diagnosen, die auf Entwicklungsstörungen (motorisch, physiologisch und kombiniert) hinweisen sowie Diagnosen aus der Kategorie Diabetes mellitus Typ 1 wurden für diese Versichertengruppe am häufigsten dokumentiert.

5 Zusammenfassung und Ausblick

Die außerklinische Intensivpflege hat sich in den letzten Jahrzehnten dynamisch entwickelt. Als größtes Versorgungsdefizit im Kontext der außerklinischen Beatmung wird das wissenschaftlich belegte, nicht ausgeschöpfte Weaning-Potenzial bezeichnet. Trotz der komplexen Versorgungsbedarfe und der hohen Kosten der Versorgung sind nur wenige Studien verfügbar. Der Beitrag ist als erster Aufschlag zu verstehen, um das Bild der durch außerklinische Intensivpflege versorgten Personen empirisch zu schärfen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung für die weitere Ausgestaltung des Versorgungsbereichs. In Anlehnung an Laier-Groeneveld und Criée (2021) wurde eine Systematisierung von AKI-Erkrankungen entwickelt und auf Routinedaten operationalisiert. Es bestätigte sich das in der Literatur beschriebene heterogene Bild in Bezug auf Morbidität und Versorgungsmerkmale, aber auch in Bezug auf die Alters- und Geschlechtsverteilung. Gleichzeitig wurde die hohe Bedeutung z. B. von Versicherten mit Tracheostoma, aber auch von Kindern und Jugendlichen mit anderen Erkrankungen abseits einer respiratorischen Insuffizienz herausgearbeitet. Unbefriedigend ist die Abbildung von Menschen mit Beatmung allein über ärztlich dokumentierte Diagnosen. Perspektivisch sind hier ergänzend Hilfsmitteldaten für die Operationalisierung zu evaluieren. Mit den zukünftig einheitlichen Gebührenordnungspositionen sowie der künftig veränderten Verordnungspraxis nach der AKI-RL, die auch die AKI-begründende Diagnose berücksichtigen soll, verbessern sich die Voraussetzungen über Routinedaten Transparenz zu schaffen. Neben einer allgemeinen Versorgungstransparenz fehlt es aber vor allem an verlässlichen Informationen zu tatsächlichen Versorgungsverläufen. Das Innovationsfonds-Projekt ATME widmet sich ab Mitte des Jahres 2022 genau diesem Themenbereich. Mit Hilfe von Routinedatenanalysen und Befragungen sollen der Krankheits- und Therapieverlauf sowie die Bedarfslagen und Bedürfnisse der Population bezogen auf ihre Erkrankungen eruiert werden. Auf Basis der dabei gewonnenen Erkenntnisse sollten Anforderungen an die Qualität der außerklinischen Intensivpflege formuliert werden. Das Projekt wird helfen, die durch das IPReG angestoßenen Veränderungen zu beobachten und die neuen Regulierungen insbesondere hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Entwicklung der Leistungsfälle, das Ausschöpfen des Weaning-Potenzials sowie die Wahl des Leistungsorts zu bewerten.