FormalPara Zusammenfassung

Für pflegebedürftige Menschen mit besonderen Versorgungsbedarfen birgt die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI im Sinne eines Case Managements viele Potenziale, da die Versorgungs- und damit auch Beratungsbedarfe in der Regel sehr komplex sind. Für die zwei Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche und pflegebedürftige Menschen mit Behinderung wird das Pflegeberatungsgeschehen anhand der Daten der Evaluation der Pflegeberatung und Pflegeberatungsstrukturen nach § 7a (9) SGB XI aus dem Jahr 2020 genauer untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die beiden Zielgruppen einen im Verhältnis zu ihren erwarteten Beratungsbedarfen geringen Anteil am Beratungsgeschehen nach § 7a SGB XI ausmachen und dabei häufig an spezialisierte Stellen verwiesen werden. Obwohl sowohl in städtischen als auch in ländlichen Regionen oft auf die Zielgruppen spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege zur Verfügung stehen – wobei diese für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung verbreiteter sind als für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche –, ist nur ein geringer Anteil der dort beschäftigten Beraterinnen und Berater für die Beratung der Zielgruppen weiterqualifiziert. Zusammenfassend weist die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI aufgrund der Möglichkeit des Case Managements, der explizit vorgesehenen sozialgesetzbuchübergreifenden Beratungstätigkeit und Netzwerkarbeit ein großes Potenzial für pflegebedürftige Menschen mit besonderen Versorgungsbedarfen auf. Als zentrale Anlaufstelle (insbesondere für ein Case Management) und durch eine adäquate Vernetzung mit der bereits bestehenden vielfältigen Beratungslandschaft, können bestehende Beratungsbedarfe der Betroffenen niedrigschwellig und bestmöglich gedeckt werden.

For people in need of long-term care who require special assistance or are in need of specialized support, care consulting in Germany as defined in § 7a of Social Code Book XI (SGB XI) may open several opportunities. The authors investigate this type of care consulting based on data from 2020 of the evaluation study according to § 7a (9) SGB XI for two such target groups: children and adolescents in need of care and people with disabilities who also need long-term care. Both groups live with complex care situations and are often in need of advice. Results show that, despite their complex needs, both target groups account for only a small proportion of care consulting in accordance with § 7a SGB XI. Also, care consultants rarely receive specific training concerning the needs of these two target groups. Nevertheless, specialized care counseling centers are available in urban as well as rural regions – more so for people with disabilities than for children and adolescents in need of care. There is also evidence of collaboration among care consultants (in accordance with § 7a SGB XI) and these specialized care counseling centers. In conclusion, care consulting in accordance with § 7a SGB XI which includes case management as well as a comprehensive understanding of consulting and networking among providers is highly recommended for people in need of long-term care who need specialized support.

1 Ausgangslage und Hintergrund

Pflegebedürftige Menschen mit speziellen Versorgungsbedarfen stellen die Beratungsstrukturen vor besondere Herausforderungen, da komplexe Bedarfslagen, spezielle Kontexte und ein Netzwerk unterschiedlichster Schnitt- und Anlaufstellen zusammenkommen. Hier birgt die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI der Pflegekassen ein großes Potenzial: Sie kann bei Bedarf von allen Leistungsbeziehenden und Antragsstellenden auf Pflegeleistungen gemäß SGB XI in Anspruch genommen werden und beinhaltet, sofern notwendig, ein Case Management, um die individuelle und bedarfsgerechte Versorgung unter Einbezug aller Akteure sektorenbergreifend zu steuern (GKV-Spitzenverband 2018; GKV-Spitzenverband 2020; Deutsche Gesellschaft für Care und Case Management e. V. 2020). Erbracht wird sie überwiegend über Pflegeberaterinnen bzw. -berater der Pflegekassen oder in Pflegestützpunkten nach § 7c SGB XI (PSP) und teilweise über beauftragte Dienstleister, Beratungsstellen oder Selbstständige. Das Beratungsangebot scheint somit ideal für pflegebedürftige Menschen mit speziellen Versorgungsbedarfen, stellt die Beraterinnen und Berater aber vor die Herausforderung eine entsprechende eigene Expertise einzubringen und/oder mit zielgruppenspezifischen Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege zusammenzuarbeiten. Im vorliegenden Kapitel wird das Beratungsgeschehen, v. a. bezüglich der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, für Personen mit speziellen Versorgungsbedarfen anhand von zwei Zielgruppen genauer beleuchtet: pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung.

1.1 Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche

Laut Pflegestatistik 2019 sind 160.953 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren pflegebedürftig im Sinne des SGB XI (ca. 4 % der pflegebedürftigen Menschen; Statistisches Bundesamt 2020b). Gleichzeitig hatten im Jahr 2019 148.243 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren eine Schwerbehinderung im Sinne des SGB IX (Statistisches Bundesamt 2020a), wobei davon auszugehen ist, dass sich die beiden Gruppen deutlich überschneiden, d. h. pflegebedürftige Kinder und Jugendliche auch häufig eine Behinderung aufweisen.

Der Pflegebedürftigkeit bei Kindern und Jugendlichen liegen viele unterschiedliche Krankheitsbilder und/oder Behinderungsarten zugrunde (z. B. Lern- und Verhaltensstörungen, chronische Erkrankungen, angeborene bzw. erworbene körperliche und/oder geistige Behinderungen, seltene Erkrankungen; Klie und Bruker 2016; Kofahl und Lüdecke 2014; Büker 2008), deren Art und Schwere sowie Folgen sehr unterschiedlich sein können. Daher bedarf es einer individuellen Versorgung und Beratung (Kofahl et al. 2017; Klie und Bruker 2016; Wingenfeld et al. 2013; Büker 2008).

Im Vergleich zu älteren pflegebedürftigen Menschen zeigen sich v. a. Unterschiede in der Lebenswelt von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen, was z. B. eine Interaktion mit den Kontexten Kindertagesstätte und Schule erfordert. Familien von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen stehen zudem vor besonderen Herausforderungen, da von den Eltern Erziehung, Entwicklungsförderung und Pflege gemeinsam bewältigt werden müssen (vgl. Kofahl et al. 2017), wodurch sie gesundheitlich und finanziell (z. B. aufgrund von Aufgabe oder Reduktion der Erwerbstätigkeit von mindestens einem Elternteil) belastet sind (Masefield et al. 2020; Kofahl und Lüdecke 2014; Cousino und Hazen 2013; Brehaut et al. 2011). Um eine gewisse Normalität für alle Familienangehörigen zu ermöglichen, ist somit auch die Einbindung einer Vielzahl von Akteuren nötig (Graffmann-Weschke et al. 2021).

Die Pflege- und Betreuungssituation dieser Zielgruppe ist auch komplex, da sich Versorgungs- und Unterstützungsmöglichkeiten über mehrere Sozialgesetzbücher erstrecken (SGB XI Soziale Pflegeversicherung; SGB V gesetzliche Krankenversicherung; SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe; SGB IX Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung; SGB XII Sozialhilfe; Kofahl et al. 2017; Klie und Bruker 2016). Entsprechend vielfältig sind auch die Beratungsstrukturen (vgl. Klie und Bruker 2016): z. B. Sozialpädiatrische Zentren (SPZ), Reha-Servicestellen, sozialmedizinische Nachsorge nach § 43 Abs. 2 SGB V, Selbsthilfeorganisationen sowie die ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstellen (EUTB). Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI ist also nur eines von vielen Beratungsangeboten für diese Zielgruppe.

In der Kindernetzwerk-Studie berichten Eltern pflegebedürftiger Kinder, dass sie Beratung primär durch Ärztinnen oder Ärzte, Selbsthilfegruppen, Therapeuten oder Therapeutinnen (jeweils genannt von ca. 30 bis 50 %) sowie Familie und Freunde (ca. 20 %) erhalten (Kofahl und Lüdecke 2014). Pflege- oder Krankenkassen, die primären Anlaufstellen für die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, werden dagegen nur von 4 % genannt. Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI spielt demnach derzeit eine eher untergeordnete Rolle bei betroffenen Familien. Gleichzeitig berichten die Befragten zu fast 30 %, dass sie mit den Beratungen allgemein bisher nicht zufrieden sind und über die Hälfte schätzt die eigenen Kenntnisse der relevanten Sozialgesetzbücher als gering ein (Kofahl und Lüdecke 2014). Dass jedoch entsprechende Beratungsbedarfe vorhanden sind, zeigt bspw. die Erprobung eines Case-Management-Konzepts für diese Zielgruppe (vgl. Gerwin et al. 2013). Das Case Management betraf zu zwei Dritteln Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung und nur zu 13 % bzw. 12 % Fragen der Kinder- und Jugendhilfe sowie der Sozialhilfe (Wingenfeld et al. 2013).

Spezialisierungen auf diese Zielgruppe haben sich im Bereich der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI bereits herausgebildet: So gibt es in Hamburg-Eppendorf einen PSP, der sich explizit an Familien mit pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen richtet und in Berlin sind geschulte Kinderbeauftragte an den PSP angesiedelt. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es in den PSP gezielt das Angebot der Kinderpflegeberatung und in Rheinland-Pfalz werden in einzelnen PSP zielgruppenspezifische Beratungsangebote für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche (mit Behinderung) vorgehalten. Einzelne Pflegekassen, Dienstleister der Pflegekassen, compass private pflegeberatung und manche selbstständigen Beraterinnen und Berater haben ebenfalls besondere Angebote für diese Zielgruppe. Meist ist das Angebot der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI aber auf ältere Menschen ausgerichtet, sodass Familien mit pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen sich von dem Angebot möglicherweise nicht immer angesprochen fühlen (Wolff et al. 2020).

1.2 Pflegebedürftige Menschen mit Behinderung

Für die Anzahl an Menschen mit Behinderung und Pflegebedürftigkeit gibt es keine genauen Statistiken (Maetzel und Sulzer 2018). Schätzungen aus Befragungen bei pflegebedürftigen Menschen in Privathaushalten kommen auf einen Anteil von (je nach Pflegegrad) 2 bis 11 %, die gleichzeitig Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen (Zich et al. 2019). Je nach Lebensalter, Art und Umfang sowie Zeitpunkt des Eintritts der Behinderung sind diese Menschen unterschiedlich stark von Exklusionsrisiken sowie weiteren Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen betroffen und weisen somit auch verschiedenste (pflegerische) Unterstützungsbedarfe auf (Maetzel und Sulzer 2018; Maetzel et al. 2017; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013). Zudem tritt bei Menschen mit lebensbegleitender (geistiger) Behinderung eine Pflegebedürftigkeit tendenziell früher im Lebensverlauf ein und es besteht ein erhöhtes Risiko für Multimorbidität (Hermans und Evenhuis 2014; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013).

Darüber hinaus unterscheidet sich die soziale und familiäre Lage von älteren pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung von anderen pflegebedürftigen Personen. So leben diese Personen seltener in einer festen Partnerschaft (TNS Infratest Sozialforschung und Universität Bremen 2017; Driller et al. 2008). Bei bereits länger oder sogar lebenslang vorliegender Behinderung sind meist die Eltern die wichtigsten Bezugspersonen, die zum Zeitpunkt der einsetzenden Pflegebedürftigkeit ggf. selbst pflegebedürftig oder bereits verstorben sind, sodass seltener auf informelle Unterstützung durch ein soziales oder familiäres Netzwerk zurückgegriffen werden kann (Engels et al. 2016; Dieckmann et al. 2013). Hinzu kommen andere Bildungs- und Erwerbsbiografien, die häufig zu geringem Einkommen führen (Bundesarbeitsgemeinschaft der Werkstätten für behinderte Menschen e. V. 2018; Engels et al. 2016). Auch haben diese Personen teilweise nie die Erfahrung einer selbstständigen Lebensführung gemacht (Dieckmann et al. 2013).

Durch die Reform der Eingliederungshilfe mit der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs im Rahmen des Pflegestärkungsgesetzes II (PSG II; jeweils seit 2017) haben sich die Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Leistungen der Pflegeversicherung (SGB XI) und Leistungen der Eingliederungshilfe (SGB IX) weiter verstärkt (Maetzel und Sulzer 2018; Maetzel et al. 2017; Udsching 2016). Dies betrifft bspw. die Gewährung von Betreuungsleistungen als Teilhabeleistungen im Rahmen der Pflegeversicherung, die gleichermaßen auch als sogenannte Assistenzleistungen von der Eingliederungshilfe zu gewähren sind (Kruse 2018; Udsching 2016). Auch wenn die Leistungen vermeintlich ähnlich sind, so liegt doch in der Ausrichtung der Leistungen der Eingliederungshilfe ein verstärkter Fokus auf Teilhabe, individueller Lebensführung und Entwicklungsförderung, während bei der Pflegeversicherung die Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung der Kompetenzen und Fähigkeiten im Vordergrund stehen (Fix 2017).

Infolge der Abgrenzungsschwierigkeiten befürchten insbesondere Betroffenenverbände und ambulante Dienste der Eingliederungshilfe eine mögliche Verlagerung von Leistungen der Eingliederungshilfe hin zu Leistungen der Pflegeversicherung und damit verbunden eine Qualitätsreduktion (Zich et al. 2019). Deshalb ist es für die Betroffenen essentiell, dass Beratungsangebote die Vor- und Nachteile der Leistungsinanspruchnahme aus beiden SGBs kennen. Eine Untersuchung von Maetzel et al. (2017) in Sachsen zeigt jedoch, dass u. a. Optimierungsbedarfe bei der Beratung von Menschen mit Behinderung über Pflegeleistungen bestehen. Zudem wird darauf verwiesen, dass ältere Menschen mit einer geistigen Behinderung eine besonders qualifizierte Beratung benötigen. Auch eine Studie aus München (Sagner 2014) zeigt zusätzliche Beratungsbedarfe auf: Die Betroffenen berichten von geringer Kenntnis von Beratungsangeboten für Menschen mit Schwerbehinderung (und Pflegebedarf) und von mangelnder Kompetenz vorhandener Beratungsstellen. Eine Befragung von Menschen mit Behinderungen der Stadt Magdeburg zeigt, dass Beratungsangebote zum Thema Pflege selten genutzt werden, wobei nicht klar ersichtlich ist, ob damit eine Pflegeberatung nach § 7a SGB XI oder eine andere Beratungsform gemeint ist: 63 % der Befragten gaben an, eine Pflegeberatung bisher noch nicht genutzt zu haben und 17 % kannten das Angebot nicht. Von den ca. 20 %, die eine Pflegeberatung in Anspruch genommen haben, war knapp die Hälfte mit dem Beratungsangebot zufrieden und nur 15 % waren unzufrieden (vgl. Stabsstelle für Jugendhilfe-, Sozial- und Gesundheitsplanung der Landeshauptstadt Magdeburg 2021).

Neben den bereits genannten Anlaufstellen für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche (mit Behinderung) gibt es für diese Zielgruppe noch andere spezialisierte Anlaufstellen, wie z. B. Medizinische Zentren für Erwachsene mit Behinderung (MZEB). Des Weiteren ist im Hinblick auf eine bedarfsgerechte Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (und um die Zielgruppe zu erreichen) eine Vernetzung und Zusammenarbeit mit weiteren relevanten Schnittstellen wie Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM), Inklusionsbetrieben sowie Tagesförderstätten erforderlich. Eine zunehmende Spezialisierung der Pflegeberatungsangebote nach § 7a SGB XI – vergleichbar mit dem PSP für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche – ist jedoch bisher bei dieser Zielgruppe nicht zu beobachten (vgl. Wolff et al. 2020; Braeseke et al. 2018).

1.3 Forschungsfragen

Ein Ansatz, um der Komplexität der Situation von pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen sowie pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung gerecht zu werden, kann die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI sein. Die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen zum Beratungsgeschehen bei den beiden Zielgruppen lassen jedoch darauf schließen, dass diese Beratungsform bisher eine untergeordnete Rolle spielt. Ziel des vorliegenden Kapitels ist es daher, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI sowie die Verbreitung von spezialisierten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege für die beiden Zielgruppen anhand von vier Forschungsfragen genauer zu beleuchten:

  1. (1)

    Wie häufig werden die Zielgruppen im Rahmen der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI beraten?

  2. (2)

    Wie werden die Zielgruppen im Rahmen der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI beraten?

  3. (3)

    Gibt es flächendeckend spezialisierte Beratungsangebote im Vor- und Umfeld von Pflege für die Zielgruppen?

  4. (4)

    Wie ist die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI mit den spezialisierten Beratungsangeboten vernetzt?

2 Datengrundlage und Methodik

Die dargestellten Ergebnisse stützen sich auf eine Sonderauswertung der Daten der Studie zur Evaluation der Pflegeberatung und Pflegeberatungsstrukturen nach § 7a (9) SGB XI (Wolff et al. 2020), wobei ein großer Teil der Ergebnisse bereits im Evaluationsbericht 2020 publiziert wurde. Die genutzten Daten stammen aus zwei Online-Befragungen in einer für Deutschland repräsentativen Klumpenstichprobe von 26 zufällig ausgewählten Kreisen bzw. kreisfreien Städten (jeweils zwei pro Flächenbundesland) sowie jeweils einem zufällig ausgewählten Bezirk der Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen (n = 29 Regionen), die zwischen September 2018 und August 2019 durchgeführt wurden. Zu beachten ist, dass die bundesweite Repräsentativität der Daten durch mögliche Selektivitäten in der Teilnahmebereitschaft der Befragten beeinträchtigt sein kann. Details zu den Datenquellen finden sich in Wolff et al. (2020).

Befragung der Pflegeberaterinnen und -berater, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI durchführen

In den 29 Regionen wurde eine Vollerhebung unter den dort tätigen Beraterinnen und Beratern, die Pflegeberatungen nach § 7a SGB XI durchführen, gemacht. Von den geschätzt ca. 451 Personen, die entweder direkt, über eine Beratungsstelle im Vor- und Umfeld von Pflege oder über die jeweilige Pflegekasse zur Befragung eingeladen wurden, stehen nach Bereinigung Daten von 262 Beraterinnen und Beratern für die Datenanalyse zur Verfügung (ca. 58,1 %). Mehrheitlich sind die Befragten in einem festen Anstellungsverhältnis (n = 220, 84,0 %) tätig. Etwa zwei Drittel geben an, direkt für Pflegekassen zu arbeiten (n = 179, 68,3 %) und ungefähr ein Viertel arbeitet für einen Dienstleister (n = 70, 26,7 %), seltener wurden Kommunen (n = 7, 2,7 %), Pflegedienste (n = 4, 1,5 %), eine andere Beratungsstelle (n = 8, 3,1 %) oder ein sonstiger Arbeit- oder Auftraggeber genannt (n = 19, 7,3 %).

Befragung der Beratungsstellen, die Beratung im Vor- und Umfeld von Pflege anbieten

Von den 370 Beratungsstellen, die Beratung im Vor- und Umfeld von Pflege und/oder Pflegeberatung nach § 7a SGB XI in den 29 Regionen anbieten, konnten nach Bereinigung Daten von 99 Beratungsstellen (26,8 %) in die Auswertungen eingehen (Trägerschaft siehe Table 16.1). Von diesen Beratungsstellen bieten 39 Pflegeberatung nach § 7a SGB XI an (im Folgenden: Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, davon 20 PSP). Unter den übrigen 60 Beratungsstellen sind acht PSP vertreten (im Folgenden: Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI).

Tab. 16.1 Trägerschaft der befragten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege

Alle befragten Beratungsstellen wurden zur Erfassung der zielgruppenspezifischen Spezialisierung nach zwei Kriterien gefragt: (1) ob sie ihr Angebot auf die Zielgruppe der pflegebedürftigen Kinder und Jugendlichen oder pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung ausrichten und (2) ob sie Beraterinnen bzw. Berater beschäftigen, die extra für die Beratung der Zielgruppen ausgebildet sind. In den Auswertungen werden einerseits beide Kriterien separat beschrieben. Andererseits wird eine allgemeine Spezialisierung einer Beratungsstelle auf eine der beiden Zielgruppen so definiert, dass mindestens eins der beiden Kriterien erfüllt sein muss. Beratungsstellen, die diese Bedingung erfüllen, werden im Folgenden als spezialisierte Beratungsstellen (mit/ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI) bezeichnet.

3 Ergebnisse

Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung sind nur zu einem geringen Anteil in den Beratungsfällen der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vertreten (vgl. Table 16.2). Pflegebedürftige Kinder und Jugendliche und ihre Angehörigen machen 5,0 % des Beratungsumfangs einer Beraterin bzw. eines Beraters pro Monat aus. Durchschnittlich sind dies 1,7 Ratsuchende im Monat (SD = 4,6). Dennoch kommen fast alle Pflegeberaterinnen und -berater gelegentlich mit dieser Zielgruppe in Kontakt: Nur 1,2 % geben an, keine Anfragen von dieser Zielgruppe zu erhalten.

Tab. 16.2 Mittlerer Beratungsumfang für die Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung in der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI

Im Mittel werden demgegenüber 5,2 pflegebedürftige Menschen mit Behinderung pro Monat von einer Pflegeberaterin bzw. einem Pflegeberater im Rahmen einer Pflegeberatung nach § 7a SGB XI beraten (SD = 13,3), was 16,0 % der Beratungsgespräche pro Monat entspricht. Nur sehr selten geben die Beraterinnen und Berater an, dass sie von der Zielgruppe keine Anfragen erhalten (0,8 %).

Fig. 16.1 zeigt, dass jeweils ungefähr die Hälfte der Beraterinnen und Berater in der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI spezielles Informationsmaterial für die Beratung der Zielgruppen nutzt. Ca. 40 % verweisen an spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege. Ungefähr 16 % der Pflegeberaterinnen und -berater geben an, dass sie für die Beratung der Zielgruppe pflegebedürftige Kinder und Jugendliche fortgebildet sind und ca. 13 % können an speziell ausgebildete Kolleginnen und Kollegen verweisen. Für die Beratung von pflegebedürftigen Menschen mit Behinderung sind fast 20 % der Befragten selbst fortgebildet und nur 5 % verweisen an speziell ausgebildete Kolleginnen bzw. Kollegen. Immerhin jeweils ein Fünftel der Beraterinnen und Berater berät pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung ohne zusätzliche Mittel, eigene Fortbildung oder Verweis an eine spezialisierte Stelle.

Abb. 16.1
figure 1

Beratung der Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung in der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI, in % (Quelle: Befragung der Pflegeberaterinnen und -berater)

Um im Rahmen der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI an andere spezialisierte Beratungsangebote im Vor- und Umfeld von Pflege verweisen zu können, werden diese flächendeckend benötigt. Die Datenauswertungen zeigen, dass bundesweit der Anteil der Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege, die angeben, ihr Angebot spezifisch auf die Zielgruppen auszurichten, für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche geringer ist als für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung (siehe Table 16.3). Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI haben zudem seltener ein spezifisch auf diese beiden Zielgruppen ausgerichtetes Beratungsangebot.

Tab. 16.3 Beratungsstellen, die Angebot auf Zielgruppe ausrichten

Gleichzeitig sind insgesamt bei ca. einem Viertel der Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI speziell für diese Zielgruppen fortgebildete Beraterinnen und Berater tätig (Table 16.4). In Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI sind nur zu 10 % Mitarbeitende mit Fortbildung für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche bzw. 17 % Mitarbeitende mit Fortbildung für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung beschäftigt.

Tab. 16.4 Beratungsstellen, die für Zielgruppe fortgebildete Pflegeberaterinnen und -berater beschäftigen

Die in Table 16.3 angegebene Ausrichtung der Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege beruht dabei nicht zwingend auf einer Fortbildung der Mitarbeitenden. Unter den Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege mit Ausrichtung auf die Zielgruppe pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sind nur in fünf Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (33,3 %) und in drei der Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (30,0 %) auch fortgebildete Beraterinnen und Berater beschäftigt. Für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung arbeiten in sieben auf diese Zielgruppe ausgerichteten Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (41,2 %) und in fünf solcher Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (27,8 %) speziell dafür weitergebildete Beraterinnen und Berater.

Wenn für eine Spezialisierung der Beratungsstelle nur eins der beiden Kriterien zutreffen muss (Ausrichtung des Angebots oder Fortbildung der Beraterinnen und Berater), haben immerhin ungefähr die Hälfte der Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (n = 20, 51,3 %) und ca. ein Fünftel der Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (n = 13, 21,7 %) ein auf pflegebedürftige Kinder und Jugendliche spezialisiertes Beratungsangebot (insgesamt 33 auf die Zielgruppe spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege). Ein auf pflegebedürftige Menschen mit Behinderung spezialisiertes Beratungsangebot haben 21 der Beratungsstellen mit Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (53,8 %) und knapp 40 % der Beratungsstellen ohne Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (n = 23, 38,3 %; insgesamt 44 auf die Zielgruppe spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege).

Die regionale Verfügbarkeit von mindestens einer spezialisierten Beratungsstelle im Vor- und Umfeld von Pflege ist in Table 16.5 dargestellt. In zwei Drittel der untersuchten Regionen ist mindestens eine Beratungsstelle im Vor- und Umfeld von Pflege mit einem auf pflegebedürftige Kinder und Jugendliche und in über 80 % der Regionen mindestens eine Beratungsstelle im Vor- und Umfeld von Pflege mit einem auf pflegebedürftige Menschen mit Behinderung spezialisierten Beratungsangebot vertreten. Bei der Verteilung auf städtische und ländliche Regionen verstärkt sich der Eindruck, dass spezialisierte Beratungsangebote für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung häufiger vertreten sind als diejenigen für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche. Bei Letzteren zeigt sich ein stärkeres Stadt-Land-Gefälle: Während drei Viertel der städtischen Regionen ein spezialisiertes Angebot vorweisen, sind es nur 46 % der ländlichen Regionen. Für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung gibt es in 89 % der städtischen und fast drei Viertel der ländlichen Regionen spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege (Table 16.5).

Tab. 16.5 Regionen mit spezialisierten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege

Betrachtet man die Zusammenarbeit der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI mit den lokalen Anlaufstellen bzw. Akteuren genauer, zeigt sich, dass knapp die Hälfte der Pflegeberaterinnen und -berater, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI durchführen, angeben, dass sie mit Leistungserbringern der Eingliederungshilfe zusammenarbeiten (n = 54, 47,0 %; n = 115 gültige Angaben), 41 % berichten von einer Zusammenarbeit mit Kostenträgern der Eingliederungshilfe (n = 46, 40,7 %; n = 113 gültige Angaben) und ungefähr ein Drittel gibt an, dass sie mit EUTBs vernetzt sind (n = 36, 33,6 %, n = 107 gültige Angaben). Umgekehrt geben von den spezialisierten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege drei Viertel an, dass sie zumindest bei manchen Beratungsfällen mit Pflegeberaterinnen und -beratern, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI anbieten, zusammenarbeiten (n = 25, 73,5 %; n = 34 gültige Angaben).

Knapp die Hälfte der Pflegeberaterinnen und -berater, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI anbieten, arbeitet zumindest in manchen Beratungsfällen mit der Kinder- und Jugendhilfe zusammen (n = 54, 47,0 %, n = 115 gültige Angaben). Von den spezialisierten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege geben drei Viertel an, dass sie zumindest bei manchen Beratungsfällen mit Pflegeberaterinnen und -beratern, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI anbieten, zusammenarbeiten (n = 19, 76,0 %; n = 25 gültige Angaben).

4 Zusammenfassung und Diskussion

Die Beratung der Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche und pflegebedürftige Menschen mit Behinderung macht gemessen an ihren Beratungsbedarfen einen eher geringen Anteil am Beratungsaufkommen innerhalb der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI aus. In etwa entsprechen die beobachteten Anteile an monatlichen Beratungsgesprächen (5 und 16 %) auch den Anteilen, die diese Zielgruppen an allen pflegebedürftigen Personen ausmachen (ca. 4 bzw. bis zu 11 %), allerdings wäre aufgrund der besonderen Bedarfslagen eher eine überproportionale Inanspruchnahme erwartbar.

Dieses Ergebnis ist auch konsistent mit der von Betroffenen berichteten geringen Kenntnis bzw. geringeren Nutzung von Beratungsangeboten der Pflegeversicherung aus anderen Studien (Maetzel et al. 2017; Kofahl und Lüdecke 2014). Dabei birgt die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI gerade aufgrund der bedarfsgerechten und sozialgesetzbuchübergreifenden Ausrichtung sowie aufgrund des Case Managements große Potenziale, um eine mögliche Unzufriedenheit mit bisherigen Beratungsangeboten (Kofahl und Lüdecke 2015; Sagner 2014) auszugleichen. Eine tiefergehende Untersuchung der Betroffenenperspektive auf die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI war mit den Daten der Evaluation nach § 7a (9) SGB XI aufgrund der geringen Fallzahl der Zielgruppen in der Nutzerbefragung nicht möglich. Bisher fehlen also neuere Studien, die die Perspektive der betroffenen Zielgruppen mit besonderen Versorgungsbedarfen auf die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI genauer untersuchen. Dabei sollte auch erforscht werden, ob das Beratungsangebot nach § 7a SGB XI in der vielfältigen Beratungslandschaft für die betrachteten Zielgruppen pflegebedürftige Kinder und Jugendliche sowie pflegebedürftige Menschen mit Behinderung möglicherweise nicht sichtbar genug ist.

Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI wird für die beiden Zielgruppen größtenteils mit Hilfe von speziellem Informationsmaterial oder einem Verweis an spezialisierte Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege bzw. Kolleginnen und Kollegen erbracht, was auch andere Studien in diesem Bereich berichten (vgl. Hahnel et al. 2021). Den Ergebnissen zufolge sind zudem nur eine Minderheit der Beraterinnen und Berater, die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI durchführen, für die betroffenen Zielgruppen fortgebildet (16 bis 20 %). Selbst in Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege, die ihr Angebot auf diese Personen ausrichten, sind nur in 30 bis 40 % der Fälle geschulte Mitarbeitende anzutreffen. Bei der Begleitung von Familien mit pflegebedürftigen Kindern halten Wingenfeld et al. (2013) jedoch eine Spezialisierung der Beraterinnen und Berater für unbedingt erforderlich. Die Professionalisierung der Beratung für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche oder pflegebedürftige Menschen mit Behinderung weist hier also noch deutliche Lücken auf.

Die Zusammenarbeit mit den vielfältigen Akteuren in der Beratungslandschaft ist daher essentiell. Die berichteten Ergebnisse zeigen zum einen, dass ungefähr die Hälfte der Beraterinnen und Berater, die Beratungen nach § 7a SGB XI anbieten, und jeweils fast drei Viertel der auf die Zielgruppen spezialisierten Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege zumindest bei manchen Beratungsfällen mit der jeweils anderen Stelle kooperieren. Zum anderen steht der Zusammenarbeit auch kein fehlendes Angebot an spezialisierten Beratungsstellen im Wege. Selbst wenn, wie in dieser Studie, nur Beratungsstellen im Vor- und Umfeld von Pflege berücksichtigt werden, gibt es in den meisten städtischen Regionen und auch in drei Viertel der ländlichen Regionen für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung spezialisierte Beratungsstellen, was auf eine relativ weite Verbreitung schließen lässt. Dagegen ist das Angebot für Familien mit pflegebedürftigen Kindern und Jugendlichen etwas weniger verbreitet und weist v. a. im ländlichen Raum noch größere Lücken auf.

Allerdings scheinen sich zumindest für pflegebedürftige Kinder und Jugendliche auch bereits mehr und mehr Angebote der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI zu professionalisieren. So sind dem zunächst einzigartigen, auf Kinder und Jugendliche spezialisierten PSP in Hamburg weitere Entwicklungen gefolgt, z. B. in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz. Auch halten einzelne Pflegekassen und Dienstleister ebenso wie compass private pflegeberatung gezielte Angebote vor. Mit der Entwicklung eines entsprechenden Curriculums zur Pflegeberatung nach § 7a SGB XI mit dem Schwerpunkt Kinder und Jugendliche wurde ebenfalls bereits eine entsprechende Voraussetzung geschaffen (vgl. Zoller und Graffmann-Weschke 2020). Für die Zielgruppe der pflegebedürftigen Kinder und Jugendlichen ist demnach zukünftig mit einer Entwicklung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI hin zu einer größeren Spezialisierung und Professionalisierung zu rechnen, was auch seitens der Interessenverbände befürwortet wird. Neben der Entwicklung und Bereitstellung spezifischer Beratungsangebote für diese Zielgruppe werden auch digitale Beratungsangebote empfohlen (vgl. wir pflegen! Interessenvertretung und Selbsthilfe pflegender Angehöriger e. V. 2021). Dass digitale Angebote Potenziale bergen, zeigte bspw. ein während der Pandemie durchgeführtes Pilotprojekt, in dem die Pflegeberatung (nach § 7a SGB XI) als Videoberatung erprobt wurde. Für Familien mit pflegebedürftigen Kindern erwies sich dies aufgrund der zeitlichen Flexibilität als besonders hilfreich (compass private pflegeberatung GmbH 2021). Da diese Zielgruppe häufig auch eine Behinderung aufweist, sind dabei auch Synergieeffekte für pflegebedürftige Menschen mit Behinderung zu erwarten. Digitale Pflegeberatungsangebote oder Pflege-Apps mit Beratungsfunktionen (zunächst ohne Spezialisierung für eine Zielgruppe) werden zunehmend auch von den Pflegekassen oder deren Dienstleistern eingeführt. Der Nutzen dieser Angebote aus Sicht der Betroffenen muss jedoch noch näher untersucht werden.

5 Fazit

Die sektor- und sozialgesetzbuchübergreifende Beratung für pflegebedürftige Menschen mit komplexen Versorgungsbedarfen kann trotz ggf. etablierter Strukturen an ihre Grenzen stoßen. Die nach wie vor leistungsgerichtete Sicht der einzelnen Leistungsträger und -erbringer in Deutschland ist für übergreifende Strukturen hinderlich. Daher spielt nicht nur die Qualifikation in Hinblick auf die Erfüllung der Beratungsbedarfe eine maßgebliche Rolle – vielmehr ist die Beratung auch auf Kooperationen an den Schnittstellen angewiesen, um sektorenübergreifende Zugänge zu sichern (Klie und Bruker 2016). Eine gut vernetzte Beratung ist daher für Betroffene aufgrund der Vielfalt der vorhandenen Beratungs- und Anlaufstellen und der häufig daraus resultierenden Unübersichtlichkeit essentiell. Da Netzwerkarbeit auch ein fester Bestandteil der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI und Care Management explizit Aufgabe der PSP ist (vgl. Braeseke et al. 2018), werden auch hier die Potenziale dieser Beratungsform für die Zielgruppen sichtbar.

Inwieweit zukünftig – insbesondere für die vergleichsweise kleine Zielgruppe der pflegebedürftigen Kinder und Jugendlichen – überall spezialisierte Ansprechpersonen, v. a. im Sinne eines Case Managements, vorhanden sein müssen, ist fraglich. Eine auf regionaler Ebene zentrale Anlaufstelle mit einem spezialisierten Case Management könnte, wie Wingenfeld et al. (2013) empfehlen, auch eine Lösung sein. Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI mit dem ihr inhärenten Case Management und der sozialgesetzbuchübergreifenden Ausrichtung könnte demnach diese Funktion bspw. mittels einer regionalen, von den Pflegekassen gemeinsam einzurichtenden Stelle (falls vorhanden: ggf. in einem PSP) ausfüllen. Bei guter Vernetzung dieser zentralen Stelle mit der örtlich bereits vorhandenen vielfältigen Beratungsstruktur kann so gewährleistet werden, dass Betroffene einerseits über die bereits genannten zahlreichen Anlaufstellen direkt vor Ort Hilfe erhalten und/oder andererseits bei weiterführendem Bedarf zuverlässig an diese qualifizierte Stelle weiterverwiesen werden.

Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI kann also mit dem umfassenden Beratungsauftrag und dem Ziel, eine passgenaue, an der individuellen Situation ausgerichtete Versorgung zu organisieren (einschließlich der Beratung zur Entlastung pflegender Angehöriger), bei adäquater Vernetzung mit den bereits bestehenden vielfältigen Beratungsangeboten eine Lücke füllen und die Personen mit besonderen Versorgungsbedarfen, wenn nötig mittels Case Management, unterstützen.