FormalPara Zusammenfassung

Ziel dieses Beitrags ist es, einen Einblick in den Alltag von Young Carers (in Deutschland) zu geben und Unterstützungsbedarfe aufzuzeigen. Dazu werden einleitend eine Definition und internationale Prävalenzraten dargestellt. Danach werden Faktoren beschrieben, die das Zustandekommen dieser familialen Pflegearrangements begünstigen. Es schließt sich eine Beschreibung dessen an, was Young Carers in welchem Umfang tun und welche Auswirkungen dies auf die Kinder und Jugendlichen haben kann. Schlussfolgernd werden Unterstützungsbedarfe abgeleitet und eingeschätzt, was dabei bis heute Schwierigkeiten bereitet, welche Erkenntnisse und Interventionen (noch) fehlen und wie Hilfe nachhaltig ermöglicht werden kann.

The aim of this article is to provide an overview of the everyday life of young carers (in Germany) and to highlight the need for support. For this purpose, the author presents a definition and international prevalence rates and describes factors that lead to the establishment of these family care arrangements. This is followed by a description of what young carers do and to what extent, and what impact this may have on the children and young people concerned. Subsequently, the need for support is derived and an assessment is made of what difficulties have been encountered to date, what knowledge and interventions are (still) lacking, and how help can be provided in the long run.

1 Einleitung und Hintergrund

Verschiedene Gruppen von Menschen mit Pflegebedarf und deren Helfer erhalten durch die Beiträge in diesem Pflege-Report Aufmerksamkeit – eine Beachtung, die ihnen in der öffentlichen Debatte oft nicht zuteil wird. Mit diesem Beitrag soll die Aufmerksamkeit um eine Gruppe erweitert und der Blick auf jene gerichtet werden, die an der Pflege von Angehörigen beteiligt und hierzulande noch immer nahezu unbe- und unerkannt sind: Kinder und Jugendliche, die in ihren Familien Pflegeverantwortung übernehmen.

Forschung zu Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung, sogenannte Young Carers, hat ihren Ursprung im Vereinigten Königreich und liegt seit den 1990er Jahren vor (exempl. Aldridge und Becker 1993; Dearden und Becker 1995; Frank 1995). Anfang der 2000er Jahre kamen weitere internationale Studien hinzu (exempl. Lackey und Gates 2001; Noble-Carr 2002; Dearden und Becker 2004), erste Forschungsergebnisse aus dem deutschsprachigen Raum gibt es – mit Ausnahme einer frühen Pilotstudie (Dietz und Clasen 1995) – seit 2007 (Metzing 2007; Metzing-Blau und Schnepp 2008; Schlarmann et al. 2008, 2011; Nagl-Cupal et al. 2012, 2014). Mittlerweile wächst die internationale scientific community zu diesem Forschungsgegenstand sichtbar, aber mit Ausnahme weniger Länder (z. B. GB, Australien, Norwegen, Schweden) wird das Thema im politischen und gesellschaftlichen Diskurs nach wie vor nur marginal berührt (Leu und Becker 2016, 2017).

1.1 Definition

Definitionen zu Young Carers haben sich in den vergangenen 25 Jahren verändert und stetig erweitert, was sowohl einem Zuwachs an Wissen, aber auch unterschiedlichen Interessen der Autorinnen und Autoren geschuldet ist (Becker et al. 1998; Aldridge 2018). Auch wenn es bis heute international keine einheitlich verankerte Definition gibt, so hat sich doch weitestgehend die von Becker (2000, S. 318) durchgesetzt, der Young Carers als Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren bezeichnet, die regelmäßig für ein oder mehrere chronisch körperlich oder psychisch erkrankte oder behinderte Angehörige sorgen, ihnen helfen oder sie pflegen. Die zu betreuende Person ist häufig ein Elternteil, kann aber auch ein Geschwisterkind, Großmutter, Großvater oder ein anderer Verwandter sein (ebd.).

1.2 Prävalenz

Zuverlässige Angaben zur Prävalenz von Young Carers sind schwierig zu treffen, denn Prävalenzerhebungen beruhen auf Fremd- oder Selbstauskunft, die beide anfällig für Verzerrungen sind. Hinzu kommt, dass pflegende Kinder sich selbst oft gar nicht als pflegend wahrnehmen und entsprechende Fragen verneinen oder aus Angst vor nachteiligen Konsequenzen bewusst falsche Angaben machen. Darüber hinaus erschweren unterschiedliche Definitionen (einschl. unterschiedlicher Altersgruppen) einen Vergleich von Daten (Metzing und Schnepp 2007a; Joseph et al. 2019) und noch ist international nicht trennscharf definiert, wann aus einem helfenden Kind ein pflegendes Kind wird. Trotz dieser Einschränkungen liegen zunehmend Daten aus unterschiedlichen Ländern vor, die entweder auf Zensusdaten (Office of National Statistics 2013; Stamatopoulos 2015), Haushaltsumfragen (Lux und Eggert 2017; National Alliance for Caregiving 2005) oder direkten Befragungen von Schülerinnen und Schülern (Nagl-Cupal et al. 2014; Leu et al. 2018; Metzing et al. 2018, 2019) fußen. Die internationalen Daten schwanken zwischen 2 und 8 % (Joseph et al. 2019), wobei die Altersgruppen in allen Studien variieren. Für Deutschland liegen Studienergebnisse zwischen 5 %Footnote 1 (Lux und Eggert 2017) und 6,1 %Footnote 2 (Metzing et al. 2018, 2019) vor.

1.3 Einflussfaktoren

Der Prozess, der Kinder zu pflegenden Kindern werden lässt, ist komplex und wird von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst, was deutlich macht, dass Young Carers keine homogene Gruppe sind (Joseph et al. 2019). Zu diesen Faktoren zählen das Ausmaß des Hilfe- und Pflegebedarfs des Angehörigen (Aldridge und Becker 1993; Metzing und Schnepp 2008), fehlende Wahlfreiheit von Kindern (Bonney und Becker 1995) sowie familiale, soziale und finanzielle Ressourcen (Aldridge und Becker 1993; Frank 1995; Dearden und Becker 1998; Metzing und Schnepp 2008). Studienergebnisse legen nahe, dass viele Familien nicht auf tragfähige Netzwerke zurückgreifen können und im Alltag auf sich allein gestellt sind. Je weniger Schultern demnach zur Verteilung anfallender Tätigkeiten zur Verfügung stehen, desto stärker sind Kinder zu Hause eingebunden (Metzing und Schnepp 2008). Auch Beweggründe der Kinder und Jugendlichen selbst beeinflussen diesen Prozess (Aldridge und Becker 1993; Lenz 2005; Metzing und Schnepp 2008). Betroffene Kinder wachsen mit einer chronischen Erkrankung in der Familie auf und betrachten diese als normal. Die Übernahme ihrer Hilfeleistungen erfolgt analog dem Verlauf vieler chronischer Erkrankungen schleichend – aber stetig – und wird nicht in Frage gestellt. Erklärbar wird dies dadurch, dass für Kinder die Familie im Vordergrund steht und ihre Hilfen den Versuch darstellen, einen durch die Erkrankung erschwerten Familienalltag aufrecht- und die Familie zusammenzuhalten (Metzing 2007; Metzing-Blau und Schnepp 2008). Je älter sie werden, desto stärker entwickeln sie ein Bewusstsein für die Notwendigkeit ihrer Hilfen zur Aufrechterhaltung des familialen Alltags, und im Zuge ihrer Entwicklung nimmt auch das wachsende Moralbewusstsein Einfluss auf ihr Handeln (ebd.). Kleinkinder wollen „einfach helfen“, mit zunehmendem Alter übernehmen sie bewusst Verantwortung für die Familie und aus dem „helfen wollen“ wird ein „schützen wollen“ (Metzing 2007, S. 136). In manchen Familien wird Unterstützung auch erwartet, sodass die Hilfe zwar freiwillig scheint, zugleich jedoch aus einer moralischen Verpflichtung resultiert (McDonald et al. 2009).

2 Alltag

In internationalen Studien werden seit über 25 Jahren Art und Umfang der von Kindern erbrachten Hilfen beschrieben (Metzing und Schnepp 2007a) und in aktuellen Surveys bestätigt (für den deutschsprachigen Raum: Nagl-Cupal et al. 2014; Leu et al. 2018; Metzing et al. 2019). Auch das Wissen zu antizipierten oder bereits erkennbaren Auswirkungen nimmt international zu (s. Abschn. 12.2.3).

2.1 Art der Hilfen

Internationale Studienergebnisse beschreiben ein breites Spektrum an Hilfen, die Young Carers übernehmen (Metzing und Schnepp 2007a; Chikhradze et al. 2017), doch bis heute fehlt ein international konsentiertes Kategoriensystem, was den Vergleich von Studienergebnissen erschwert und begrenzt. Grundlage für einen standardisierten FragebogenFootnote 3 zweier Schülerbefragungen aus Österreich (Nagl-Cupal et al. 2012, 2014) und Deutschland [KiFam-Studie] (Metzing et al. 2018, 2019) bildet ein induktiv entwickeltes Kategoriensystem (Metzing 2007:106), das an den Adressaten der Hilfe(n) ausgerichtet ist, siehe auch Abb. 12.1.

Abb. 12.1
figure 1

Kategoriensystem Hilfen von Young Carers

In Großbritannien wurde ein multidimensionales Assessment zur Erhebung von Pflegeaktivitäten entwickelt (MACA-YC18Footnote 4) (Joseph et al. 2009, 2012), das primär zur Evaluation von Young-Carers-Projekten konzipiert war, heute aber auch in Surveys Anwendung findet (z. B. Kallander et al. 2017; Leu et al. 2018). Einen Vergleich der Instrumente zeigt Tab. 12.1; Übereinstimmungen sind hervorgehoben.

Tab. 12.1 Vergleich der Fragebögen KiFam-Studie und MACA-YC18

Die Fragebögen variieren in ihrer Differenzierung, fragen jedoch ähnliche Items ab. Weitere (biometrische) Studien könnten helfen, die Assessmententwicklung zu präzisieren, relevante Items zu identifizieren und auf ein notwendiges Maß zu reduzieren.

Zusammenfassend lässt sich für alle Studienergebnisse unverändert festhalten, dass Young Carers – je nach Notwendigkeit und individueller Situation der Familien – vielfältige Aufgaben übernehmen und tun, was erwachsene pflegende Angehörige auch tun (Metzing und Schnepp 2007a, S. 323). Für Deutschland [KiFam-Studie] zeigt sich folgendes Bild: Am häufigsten helfen Young Carers im Haushalt [82 %] oder führen ihn allein. Der erkrankten Person helfen sie bei der Mobilisation [72 %], beim An- und Ausziehen [40 %], bei der Medikation [32 %], der Nahrungsaufnahme [32 %], bei Körper- und Intimpflege [25 %] sowie bei der Ausscheidung [11 %] (Metzing et al. 2018, 2019). Zudem übernehmen sie medizinische Aufgaben, leisten emotionale Unterstützung und sorgen für die Sicherheit des erkrankten Angehörigen. Sie übernehmen auch Verantwortung für jüngere Geschwister und kümmern sich um deren Wohl (exempl. Aldrige und Becker 1993; Metzing-Blau und Schnepp 2008; Nagl-Cupal et al. 2012, 2014; Kallander 2017; Leu et al. 2018; Metzing et al. 2018, 2019).

2.2 Umfang der Hilfen

Auch der Umfang der geleisteten Hilfen wird durch die individuelle Situation einer Familie bestimmt und reicht von mithelfen bis zur allein-verantwortlichen Betreuung „rund-um-die-Uhr“ (Metzing-Blau und Schnepp 2008). In den beiden Schülerbefragungen aus Österreich (Nagl-Cupal et al. 2012, 2014) und Deutschland (Metzing et al. 2018, 2019) wurden alle Teilnehmenden gefragt, ob sie im Haushalt mithelfen,Footnote 5 unabhängig davon, ob in der Familie jemand erkrankt ist. Gefragt wurde nach der Häufigkeit dieser Tätigkeiten („gar nicht“ – „manchmal“ – „regelmäßig“) und ob diese „alleine“ oder „zusammen mit anderen“ übernommen werden (Metzing et al. 2018, Anhang 14). Obwohl alle Schülerinnen und Schüler zu Hause mithelfen und auch vielfältige Aufgaben übernehmen, zeigen sich dennoch Unterschiede zwischen Young Carers und denen, die nicht mit Krankheit in der Familie konfrontiert sind (Non-Carers). Für alle erfragten Haushaltstätigkeiten gilt, dass sie von Young Carers häufiger regelmäßig ausgeübt werden als von Mitschülerinnen und Mitschülern, die als Non-Carers zu bezeichnen sind. Young Carers übernehmen diese Aufgaben auch häufiger alleine. Mit Ausnahme von „Wäsche machen“ sind diese Unterschiede alle statistisch signifikant. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen auch Nagl-Cupal et al. (2012, 2014) für Österreich. Werden nur die HilfenFootnote 6 betrachtet, die aufgrund eines Pflegebedarfs von Young Carers übernommen werden, so lässt sich feststellen, dass mit über 90 % die große Mehrheit Tätigkeiten in mindestens zwei Kategorien und mehr als die Hälfte (53 %) regelmäßig Aufgaben in mindestens drei Kategorien übernehmen (Metzing et al. 2018, S. 52).

In einer früheren Umfrage in Großbritannien wurde der Umfang von Hilfen zeitlich quantifiziert (Dearden und Becker 2004): 50 % der befragten Young Carers gaben an, bis zu 10 h pro Woche helfend tätig zu sein, ein Drittel zwischen 11 und 20 h, 14 % zwischen 21 und 40 h, was dem Umfang einer halben bis vollen Stelle Berufstätigkeit entspricht, und ein kleiner Anteil (4 %) ist mehr als 41 h pro Woche im Einsatz (n = 2.149, 4.029 fehlende Fälle; ebd.). Vergleichbare Daten liefern auch die Ergebnisse aus Österreich (Nagl-Cupal et al. 2012): Hier geben ebenfalls 14 % der befragten Young Carers an, „mehr als fünf Stunden pro Tag unterstützend tätig zu sein“ (ebd. S. 52), was hochgerechnet 25 bis 35 oder mehr Stunden pro Woche entspricht. Jüngere Studien, in denen das Instrument MACA-YC18 (Joseph et al. 2012) genutzt wurde (z. B. Kallander et al. 2017; Leu et al. 2018), weisen den Umfang pflegerischer Tätigkeiten qualitativ auf einer Ordinalskala aus (keine, geringe, mäßige, hohe und sehr hohe Übernahme von Pflegeaktivitäten), wobei hier nicht Zeit, sondern die Summe der 18 Items im Verhältnis zu ihrem Umfang (nie, manchmal, häufig) zugrunde gelegt wird, was einen objektiven Vergleich erschwert. Einen Ländervergleich zeigt Tab. 12.2.

Tab. 12.2 Ländervergleich zum Umfang der Hilfen (der Einschätzung des Umfangs mit dem MACA-YC18 liegen folgende Scores zugrunde: gering = 1–9; mäßig = 10–13; hoch = 14–17; sehr hoch = 18 oder >, siehe auch Joseph et al. 2012, S. 9)

2.3 Auswirkungen

Auswirkungen auf Young Carers wurden über viele Jahre primär in qualitativen Studien herausgearbeitet, sie werden in aktuellen Reviews stetig bestätigt und verdichtet (Chikhradze et al. 2017; Hendricks et al. 2021). Nach wie vor gilt, dass nicht aus jedem Kind, das mit Krankheit und Hilfe-/Pflegebedarf in der Familie konfrontiert wird, ein Young Carer wird, und selbst wenn sie zu Hause mithelfen und aktiv werden, nehmen sie nicht zwangsläufig Schaden (Metzing und Schnepp 2007b, S. 332). Dennoch beschreiben Young Carers neben positiven auch negative Auswirkungen, die sie auf ihre spezifische Rolle und Lebenssituation zurückführen. Mit ihren eigenen Worten lässt sich dieses Spektrum von „leiden kann ich nicht darunter“ bis „mein Leben, das war weg“ (Metzing 2007, S. 115) charakterisieren. Auswirkungen lassen sich den Kategorien: familial, emotional, psychosozial, körperlich und schulisch zuordnen (ebd.) und sind in Tab. 12.3 zusammengefasst.

Tab. 12.3 Positive und negative Auswirkungen für Young Carers (zusammengefasst aus Reviews: Metzing und Schnepp 2007b; Chikhradze et al. 2017; Hendricks et al. 2021, einer Grounded-Theory-Studie: Metzing 2007 und einer Schülerbefragung: Nagl-Cupal et al. 2014)

Mittlerweile liegen auch quantitative Studien vor, in denen unterschiedliche Outcomes mit standardisierten Instrumenten erhoben werden. Dazu zählen z. B. die gesundheitsbezogene Lebensqualität, gemessen mit dem KIDSCREEN-10-IndexFootnote 7 (Ravens-Sieberer et al. 2010), der in zwei deutschsprachigen Surveys (Leu et al. 2018; Metzing et al. 2018) Anwendung fand. Auch wenn die Werte in der Schweizer Befragung für alle Subgruppen über denen aus Deutschland liegen, schätzten die als Young Carers identifizierten Schülerinnen und Schüler ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität im Vergleich zu Mitschülerinnen und Mitschülern ohne Pflegeverantwortung (Non-Carers) in beiden Studien statistisch signifikant niedriger ein, was auf ein geringeres Wohlbefinden von Young Carers hindeutet, siehe auch Tab. 12.4.

Tab. 12.4 KIDSCREEN-10-Index Ländervergleich Schweiz – Deutschland. * Die Differenz von n = 431 (5.274 + 374 = 5.648 vs. N = 6.079) ergibt sich aus der zusätzlichen Gruppe von „Helferinnen und Helfern“, die in dieser Darstellung keine Berücksichtigung findet.

Da es sich bei beiden (und auch anderen) Studien um Querschnittdesigns handelt, sind eindeutige kausale Zusammenhänge zwischen beschriebenen Problemen und der Pflegerolle jedoch nicht möglich (Joseph et al. 2019). Hier besteht Bedarf an prospektiven Studien.

3 Unterstützungsbedarfe

Unterstützungsbedarfe von Young Carers und ihren Familien sind vielfältig und komplex und hängen – wie auch Art und Umfang der erbrachten Hilfen – von der individuellen Situation einer jeden Familie ab. Konkrete Wünsche und Erwartungen an Unterstützung wurden in einer Grounded-Theory-Studie induktiv herausgearbeitet (Metzing 2007) und werden nachfolgend skizziert. Sie resultieren aus den selbst wahrgenommenen Auswirkungen auf die Young Carers (und ihre Angehörigen) und der Reflexion ihrer Lebenssituation und haben nicht an Aktualität verloren, wie jüngere Studien bestätigen (Chikhradze et al. 2017). Über allem steht der Wunsch, als Familie „so normal wie möglich weiterleben [zu] können“ (Metzing 2007, S. 137). Weit oben steht für alle Betroffenen emotionale Entlastung und das Bedürfnis, jemanden zum Reden zu haben, wobei hier sowohl Gleichbetroffene als auch Professionelle gemeint sind. Unabdingbar sind auch Flexibilität und Organisation praktischer Hilfen über eine zentrale Anlaufstelle, insbesondere in Krisensituationen, in denen Hilfe schnell verfügbar sein muss. Auch die Inanspruchnahme von Elternassistenz könnte verhindern helfen, dass viele Tätigkeiten von Kindern übernommen werden. Ferner besteht Bedarf an Navigationshilfen durch den Paragraphendschungel und an konkreter Hilfe im Umgang mit Formularen. Insbesondere Kinder wünschen sich eine altersgerechte Bereitstellung von pflegerischen und medizinischen Informationen sowie praktische Übungen, was auch die Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber Belastungen erhöht. Eine kategoriale Zusammenfassung des subjektiv wahrgenommenen Unterstützungsbedarfs zeigt Tab. 12.5.

Tab. 12.5 Subjektiv wahrgenommene Wünsche und Erwartungen an Unterstützung

4 Unterstützungsangebote

Während es in Großbritannien in allen Landkreisen zahlreiche ProjekteFootnote 8 zur Unterstützung von Young Carers sowie eine landesweite SchulinitiativeFootnote 9 gibt, sind die Angebote in Deutschland zwar tendenziell wachsend, aber nach wie vor als überschaubar zu bezeichnen und regional begrenzt, wie der „Synopse zu Hilfsmaßnahmen für Kinder und Jugendliche mit chronisch kranken Eltern“Footnote 10 zu entnehmen ist. Eine relativ aktuelle Übersicht über „viele interessante Angebote – von Beratungsstellen oder Gesprächsgruppen bis hin zum Kochkurs oder Tanzprojekt“Footnote 11 bietet auch die Webseite des Projekts Pausentaste des Bundesfamilienministeriums, wobei als Zielgruppe nicht nur Young Carers adressiert werden.

In einer internationalen Literaturrecherche zu „Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen bei Kindern und Jugendlichen aus mit Pflegeaufgaben belasteten Familien“Footnote 12 (Roling und Metzing 2020) sollten Präventions- und Gesundheitsförderungskonzepte identifiziert werden, die sowohl verhältnisbezogene Interventionen umfassen, die auf Rahmenbedingungen ausgerichtet sind, als auch verhaltensbezogene Interventionen, deren Ziel Verhaltensänderungen sind. Grundsätzlich ist anzumerken, dass die wenigsten Projekte wissenschaftlich evaluiert und in Zeitschriften mit Peer Review publiziert sind. Von den sieben eingeschlossenen Studien lag der Fokus der Interventionen primär auf verhaltensbezogenen Interventionen. Das Angebotsspektrum konzentriert sich auf „Informationsvermittlung, Beratung, Gesprächsangebote, Freizeitaktivitäten sowie auf Resilienzförderung und Stressmanagement“ (ebd. S. 2). Eine Übersicht über ausgewählte Projekte in Deutschland, die sich gezielt an Young Carers richten, ist in Tab. 12.6 zusammengestellt.

Tab. 12.6 Auswahl an (regionalen) Projekten in Deutschland

5 Fazit und Ausblick

Mit einer chronischen Erkrankung in der Familie aufzuwachsen und mit dem einhergehenden Hilfe- und Pflegebedarf eines Angehörigen konfrontiert zu werden, kann zum Alltag von Kindern und Jugendlichen dazugehören. Ihnen wird es immer ein Bedürfnis sein, ihren Beitrag zu leisten und zu helfen, und dagegen ist auch nichts einzuwenden. Sofern es Familien möglich ist, werden sie versuchen, Belastungen abzufangen und Aufgaben innerhalb der Familie entsprechend ihren Ressourcen zu verteilen. Nachteilige Auswirkungen auf Kinder werden sich jedoch häufen, sobald Ressourcen schwinden und die Pflege des erkrankten Angehörigen den familialen Alltag – und somit auch den der Kinder – dominiert. Ziel muss es sein, möglichen Belastungen durch adäquate Assessments und zielgruppenspezifische Unterstützung vorzubeugen. Gelingt dies nicht, werden Grenzen der Belastbarkeit berührt und überschritten und Familien werden sich in ihrer Not nach außen abschotten (Metzing 2007). Diese (familienorientierten) Assessments gilt es zukünftig zu entwickeln und regelhaft einzusetzen.

International wächst das empirisch gewonnene Wissen über Young Carers und ihre spezifische Situation stetig (Joseph et al. 2019), doch nach wie vor fehlt es in vielen Ländern – so auch in Deutschland – an einem breiten öffentlichen Bewusstsein sowie an politischen Antworten auf dieses Phänomen (Leu und Becker 2017). Deutschland rangiert in einer internationalen Klassifikation von Stufe 1 (Unterstützung gut etabliert; nachhaltig organisiert) bis Stufe 7 (kein Bewusstsein; keine Reaktionen) auf Stufe 4 („begrenzt“: wenig Bewusstsein; wenig Forschung; keine spezifischen Rechtsansprüche; wenig spezifische Angebote) (ebd., S. 32 f) und ist damit weit von einer flächendeckenden Unterstützung für Young Carers und ihre Familien entfernt. Langfristig kann dies ökonomische Folgen für das Gesundheits- und Sozialsystem nach sich ziehen, wenn ehemalige Young Carers als Erwachsene aufgrund geringerer Bildungschancen in ihren beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt sind und dem Arbeitsmarkt möglicherweise nur bedingt zur Verfügung stehen oder wenn sie durch gesundheitliche Spätfolgen das Gesundheitssystem selbst nachhaltig in Anspruch nehmen (müssen) und belasten. Langzeitstudien könnten helfen, den Verlauf von informellen „Pflege-Karrieren“ zu verstehen und Auskunft über langfristige Unterstützungsbedarfe und Belastungen zu geben, um frühzeitig präventiv intervenieren zu können. Auch die Gruppe der Berufseinsteiger (in Ausbildung oder Studium) sollte hier verstärkt in den Blick genommen werden.

Zahlreiche Studien haben den Nachweis erbracht, dass Young Carers in bestimmten Situationen und bei einer Kumulation von Einflussfaktoren die gleichen Aufgaben übernehmen wie beruflich Pflegende – mit dem Unterschied, dass sie dafür weder qualifiziert sind noch entlohnt werden (Joseph et al. 2019). Neben ihrer Bereitschaft, innerhalb ihrer Familie viel Verantwortung zu übernehmen, sind sie noch immer auch Heranwachsende, die sich wie andere Kinder ein normales und unbeschwertes Leben wünschen. Zukünftige gesellschaftspolitische Bemühungen sollten das Ziel verfolgen, „ihnen dieses Bedürfnis zu erfüllen“ (Metzing et al. 2018, S. 97).