2.1 Konzeptionelle Überlegungen der Pflegepersonalkostenausgliederung
Der Gesetzgeber hatte den Vertragsparteien auf Bundesebene im Jahr 2019 unter schwierigen Rahmenbedingungen einen großen Spielraum für die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten gesetzt. Mit dem PpSG wurde klargestellt, dass „[…] die auszugliedernden Pflegepersonalkosten […] als diejenigen konkretisiert [werden], die für die unmittelbare Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen“ für die Pflege am Bett entstehen (PpSG 2018). Eine explizite Definition von Pflege am Bett existierte zum Gesetzgebungsprozess nicht. Pflegetätigkeiten und dadurch entstehende Pflegepersonalkosten konnten aus vielen Blickwinkeln betrachtet und zugeordnet werden.Footnote 1
Die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus dem G-DRG-System stellte eine grundsätzliche Abkehr von der leistungsorientierten Vergütung des Fallpauschalsystems als Vollfinanzierung für die Vergütung von Leistungen im Krankenhaus dar. Die Einführung der krankenhausindividuellen Pflegepersonalkostenvergütung nach dem Selbstkostendeckungsprinzip ist damit seit dem 1. Januar 2020 eine zweite Finanzierungssäule neben den Fallpauschalen. Mit der Einführung und Ausgestaltung der krankenhausindividuellen Pflegepersonalkostenvergütung sind mehrere Anforderungen und Herausforderungen verbunden:
1. Doppelfinanzierung
Durch die Koexistenz von zwei Finanzierungssystemen (Fallpauschalensystem für die regulären Krankenhausleistungen und Selbstkostenfinanzierung für die Pflege) kann es dazu kommen, dass reale (oder vermeintliche) Pflegepersonalkosten sowohl über das verbleibende aG-DRG-System als auch über das Pflegebudget finanziert werden. Ein Problem kann dann entstehen, wenn eine unzureichende Ausgliederung von Bewertungsrelationen aus dem G-DRG-System 2019 auf Bundesebene oder eine inkonsistente Vereinbarung der Pflegebudgets vor Ort vorgenommen wird. Dabei können folgende Wirkungszusammenhänge beschrieben werden: Je umfassender und je klarer die Kriterien der Kostenabgrenzung zur Ermittlung des Pflegebudgets auf der Ortsebene definiert werden, desto geringer ist eine mögliche Doppelfinanzierung. Je unschärfer und je geringer die Kostenausgliederung auf der Ortsebene (in einem Krankenhaus) ausfällt, desto größere mögliche Graubereiche und desto größere Spielräume können bei der Buchung von Pflegekosten und der Verhandlung der Pflegebudgets existieren.
Darüber hinaus ergeben sich in den Kliniken versorgungsneutrale Veränderungen in der Aufbauorganisation und der Buchführung (geänderte Kontierung, Anpassung des Organigramms mit Änderungen der organisatorischen Anbindung von Mitarbeitern) sowie versorgungsrelevante Veränderungen im Aufgabenzuschnitt für die Mitarbeiter (mehr patientenferne Tätigkeiten für Pflegekräfte). Bei den Punkten ist die Berücksichtigung der zeitlichen Dynamik entscheidend: Sind diese beiden Effekte in der Datenbasis (2019) für die bundesweite Ausgliederung aus den Fallpauschalen durch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) und in der Verhandlung auf Ortsebene (2020) bereits vollständig berücksichtigt, sind sie nicht kritisch. Sind die Effekte in der Datenbasis der Ausgliederung auf der Bundesebene nicht enthalten, werden aber vor der Verhandlung auf der Ortsebene wirksam, kommt es zu Verwerfungen mit einer potenziell hohen Doppelfinanzierung.
2. Neuausrichtung des Tätigkeitsschwerpunkts des Pflegedienstes und mögliche Umbuchungen
Mit der Ausgliederung und Einführung einer Ist-Kostenfinanzierung der Pflege werden Fehlanreize generiert, Pflegekräfte für nicht-patientenrelevante Versorgungen einzusetzen. Aufgrund der krankenhausindividuellen Pflegepersonalkostenvergütung kann es für ein Krankenhaus wirtschaftlich von Vorteil sein, pflegeentfernte Leistungen am Bett wieder dem Pflegedienst zuzuweisen und damit die Effizienzgewinne zur Optimierung der Leistungen durch das Fallpauschalensystem rückgängig zu machen (Busse et al. 2011). Es kann damit betriebswirtschaftlich vorteilhaft sein, eine maximale Anzahl von Mitarbeitern dem Pflegedienst zuzuordnen und alle pflegerischen Mitarbeiter im Pflegebudget zu berücksichtigen sowie spezielle Tätigkeiten (wie beispielsweise den Versorgungsservice) in die Pflege zurück zu verlagern.
3. Umsetzbarkeit vor Ort
Mit der Pflegeausgliederung entsteht eine andere Systematik zur Erfassung von Kostendaten in Krankenhäusern, die sowohl für das Controlling als auch für die Finanzbuchhaltung eines Krankenhauses neue Abgrenzungs- und Buchungsvorschriften etabliert. Für das Verhandlungsmanagement der Krankenkassen werden neue Kompetenzen abverlangt, die originär von einem Jahresabschlussprüfer oder Wirtschaftsprüfer geleistet werden. So muss theoretisch eine Budgetverhandlerin oder ein Budgetverhandler ggf. überprüfen, ob das Krankenhaus die pflegebudgetrelevanten Kosten korrekt abgrenzt hat oder die Gehälter den tarifvertraglich festgelegten Vereinbarungen entsprechen. Für Krankenhäuser kommt es ebenfalls zu neuen Buchungsvorschriften mit umfangreichen Nachweispflichten.
4. Pflege am Patienten stärken und Neuausrichtung der finanziellen Anreize
Mit dem Pflegebudget soll die Transparenz und Leistungsorientierung der pflegerischen Versorgung gestärkt werden. Dabei folgt die Politik der Idee: Wenn jede am Patientenbett eingesetzte Pflegekraft unabhängig von Fallpauschalen vergütet wird, entfallen die ökonomischen Anreize für den Kostendruck in der Pflege. Die Einführung des Pflegebudgets auf Basis der Ist-Kostenfinanzierung führt damit zu einer Vorhaltefinanzierung von Pflegekräften im Krankenhaus.
2.2 Umsetzung und Herausforderungen im ersten und zweiten Jahr der Pflegeausgliederung
Dass die erstmaligen Verhandlungen zum Pflegebudget 2020 von einer Pandemie begleitet werden und sich das Pflegebudget als Labyrinth mit einer Vielzahl von Vereinbarungen, Formularen, Gesetzänderungen sowie Schiedsstellen entpuppt, ist in mancher Hinsicht erwartet worden (Rüter 2018). Insgesamt hat der Gesetzgeber die Komplexität und das Konfliktpotenzial des Eingriffs allerdings unterschätzt. Aktuell existieren vier Excel-Mappen, die für die Pflegebudgetverhandlung befüllt werden müssen (GKV-Spitzenverband 2021b). Die Excel-Mappen dienen der Herleitung der pflegebudgetrelevanten Personalkosten. Zusätzlich zur Angabe der Summe der Kosten und Vollkräfte für die einzelnen Positionen gibt es eine Unterteilung nach 13 Berufsgruppen/Rubriken.
Die Ausgangslage und Umsetzungsherausforderungen der Ausgliederung der Pflegepersonalkostenausgliederung wurden von Leber und Vogt (2020) ausführlich dargestellt. Zwei Jahre nach Einführung der Pflegebudgetfinanzierung sind umfangreiche Nachbesserungen in der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung und Pflegebudgetverhandlungsvereinbarung vorgenommen worden (Tab. 17.1). Zwar hatten der Gesetzgeber und die Vertragsparteien auf Bundesebene konkretisiert, welche existierenden Verordnungen (Krankenhaus-Buchführungsverordnung) beziehungsweise KontenFootnote 2 sowie InEK-Konzepte (Kalkulationshandbuch der Krankenhäuser, Pflegelastkatalog) als Grundlage für die Pflegeausgliederung dienen sollen. Die Umsetzung vor Ort zeigt jedoch fast zwei Jahre nach der Einführung, dass die Vorarbeiten und Hilfestellungen als nicht konkret genug eingeschätzt werden müssen. Im Rahmen der Pflegeausgliederung sind auf der Bundesebene sehr differenzierte Kostenzuordnungen auf der Basis der Kalkulationsvorgaben getroffen worden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Mehrheit der KrankenhäuserFootnote 3 aufgrund der Kalkulationsmethodik des G-DRG-Systems den Standard der Kosten- und Leistungsrechnung (insbesondere Kostenträgerrechnung) der Kalkulationskrankenhäuser bis zur Einführung des Pflegebudgets nicht erreichen musste. Für Krankenhäuser ohne Kalkulationserfahrung ist damit eine herausfordernde interne Kosten- und Leistungsrechnung entstanden. Gleiches galt für die Krankenkassen, die aufgrund der Selbstkostendeckung mit einer neuen Kostenabgrenzung konfrontiert wurden, die ausschließlich auf vor Ort prüfbaren Kriterien beruht.
Tab. 17.1 Vereinbarungen zur Pflegeausgliederung (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Leber und Vogt (2020)) Die umfangreichen Aktualisierungen im ersten Jahr der Pflegekostenausgliederung sind vor allem auf die aufgetretenen Streitigkeiten in den bereits geführten Verhandlungen, die verschiedenen Interpretationen der Pflegepersonalkostenausgliederungsvereinbarung sowie auf die „Präsentation des Entgeltsystems im Krankenhaus 2021“ durch das InEK am 4. September 2020 zurückzuführen.Footnote 4
Mit der Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung vom 18.02.2019 sollte eine bundeseinheitliche Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten gelingen, um eine möglichst hohe Kongruenz von Bundes- und Ortsebene zu gewährleisten. Die Verhandlungen vor Ort konzentrieren sich vor allem auf die Frage, welche pflegerischen Qualifikationen auf bettenführenden Stationen mit dem Pflegebudget ausgegliedert, refinanziert und gestärkt werden sollten. Dabei existieren zwei divergierende Auslegungen zur Zuordnung und Ermittlung der Pflegepersonalkosten für das Pflegebudget:
-
1.
Berufsgruppenbezogene Abgrenzung: Das Pflegebudget ermittelt sich aus den Berufen des „klassischen Pflegedienstes“ gemäß Pflegeberufegesetz wie beispielsweise Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Altenpflege und Krankenpflegehilfe. Diese Berufsgruppen sind bei Tätigkeit auf bettenführenden Stationen automatisch dem Pflegebudget zuzuordnen.
-
2.
Funktionale beziehungsweise tätigkeitsbezogene Abgrenzung: Das Pflegebudget ermittelt sich grundsätzlich aus allen Berufsgruppen beziehungsweise deren Leistungen sofern diese –wenigstens anteilig – in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen tätig sind. Dabei können auch Berufsgruppen ohne pflegerische Grundausbildung berücksichtigt werden, sofern diese typischen Tätigkeiten ausüben, wie sie auch durch ausgebildete Pflegekräfte ausgeübt werden.
Zu den divergierenden Auslegungen sind eine Vielzahl von Schiedsstellenverfahren geführt worden: Die Kostenträgerseite vertrat mehrheitlich eine berufsgruppenbezogene Abgrenzung, da nur mit dieser die Pflege am Bett gestärkt werde und das Pflegebudget nachvollziehbar hergeleitet werden könne.Footnote 5 Krankenhäuser, Beratungen und einzelne Schiedsstellen (z. B. Rödl & Partner 2021; Hellwig et al. 2020; BDPK 2021) folgten dieser Positionierung nicht und vertraten die Argumentation, dass grundsätzlich eine funktionale bzw. tätigkeitsbezogene Abgrenzung zugrunde zu legen sei. Dabei wurde die Auffassung vertreten, dass der Pflegeausgliederung und den Vereinbarungen keine Ausrichtung auf nur bestimmte Berufsgruppen entnommen werden kann. Die Vertragsparteien auf Bundesebene hatten zwar im Rahmen der Pflegeausgliederung die Befugnis, eine solche Eingrenzung vorzunehmen, eine entsprechende Vereinbarung wurde allerdings nie getroffen und tatsächlich normativ bis zu der Eingrenzung, die im Gesundheitsversorgungs- und Weiterentwicklungsgesetz (GVWG) festgelegt wurde, nicht vollzogen.
Während des Gesetzgebungsverfahrens des PpSG war abzusehen, dass es zu Abgrenzungsproblemen zwischen den Vergütungsbereichen kommen würde, sofern eine tätigkeitsbezogene und damit nicht standardisierte Abgrenzung der Pflegekosten erfolgt. Problematisch sind insbesondere Verlagerungen beziehungsweise Umbuchungen von Kosten aus dem aG-DRG-Bereich in die Kostenmodule des Pflegebudgets, denen keine Ausgliederung gegenübersteht. Kommt es zu diesen Verlagerungen, werden Kosten nach dem Selbstkostendeckungsprinzip im Pflegebudget zu 100 % vergütet und gleichzeitig als Kosten im aG-DRG-Bereich abgebildet und vergütet. Es entsteht somit eine Doppelfinanzierung, sofern bei der Fortschreibung des Vergütungssystems keine Korrektur, d. h. eine erneute Ausgliederung von Pflegekosten aus dem aG-DRG-Bereich, vorgenommen wird.
Besonders problematisch zeigte sich diese Entwicklung in der „Präsentation des Entgeltsystems im Krankenhaus 2021“ durch das InEK. In der Analyse der Pflegepersonalkosten von 2018 auf 2019 hatte sich das anteilig auszugliedernde Kostenvolumen der Pflegepersonalkosten in der Kalkulationsstichprobe unerwartet erhöht:Footnote 6 Die durchschnittlichen Pflegepersonalkosten je Tag stiegen um ca. 10 %. In den Analysen des InEK wurde deutlich, dass sich dieser Anstieg nicht allein durch einen Personalaufbau in der Pflege oder Tariflohnsteigerungen ergab. Es kam auch zu Neuzuordnungen von Personal aus dem medizinisch-technischen Dienst/Funktionsdienst hin zum Pflegedienst, bedingt durch die Umstellung auf ein Selbstkostendeckungsverfahren des Pflegebudgets.
2.3 Weiterentwicklungen und Gesetzesänderungen zum Pflegebudget
Bereits mit der erstmaligen Ausgliederung der Pflegepersonalkosten wurde intensiv über den Ausgliederungsmodus (Normierung der Gesamtkosten inklusive der Pflege) verhandelt.Footnote 7 Die erstmalige Ausgliederung basierte auf den Abrechnungsdaten nach Zuordnungen nach der Krankenhaus-Buchführungsverordnung (KHBV) und dem Kalkulationshandbuch der Jahre 2017/2018. Die Definition von Pflegepersonalkosten auf bettenführenden Stationen ist damit nicht deckungsgleich mit dem heutigen Stand. Im ersten Ausgliederungsjahr waren viele Schätzungen erforderlich, deren Ungenauigkeiten bereits teilweise korrigiert wurden oder in Folgejahren korrigiert werden müssen. Eine mögliche Aufgaben- und Kostenverlagerung in die Pflege muss beispielsweise zu einem sachgerechten höheren Ausgliederungsbetrag (negativer Katalogeffekt) im aG-DRG-Bereich führen. Veränderungen in den Pflegepersonalkosten, die unter anderem auf Umbuchungen, Kostenverlagerungen zwischen Kostenmodulen des aG-DRG-Katalogs und den Kostenmodulen des Pflegebudgets zurückzuführen sind, würden damit zwingend eine erneute Ausgliederung nach sich ziehen. Folglich würden über die Fallpauschalen weniger Kosten vergütet, über das Pflegebudget etwas mehr.
Im Ergebnis hatten sich GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) im Rahmen der Verabschiedung des Entgeltsystems 2021 auf den folgenden Kompromiss verständigt, um die Problematik der möglichen Doppelabrechnung und Zuordnungsprobleme von Pflegekosten zu begrenzen. Die Änderungen zogen allerdings umfangreiche Aktualisierungen und ein Gesetzgebungsverfahren nach sich.
Empfehlungsvereinbarung für die Zuordnung der Pflegepersonalkosten für das Jahr 2020 und Änderungsvereinbarung für die Zuordnung der Pflegepersonalkosten für das Jahr 2021
Mit den Vereinbarungen ist durch die Selbstverwaltungspartner im Dezember 2020 konkretisiert worden, dass mit dem Pflegebudget künftig vorrangig nur Personal auf bettenführenden Stationen refinanziert werden soll, das eine mindestens einjährige pflegerische Qualifikation vorweisen kann. Aufgrund der Unklarheiten bezüglich der im Pflegebudget anzuerkennenden Berufsgruppen und damit verbundenen Pflegepersonalkosten kam es zu Konflikten und Schiedsstellenverfahren auf der Ortsebene. Im Mittelpunkt stand dabei die Anerkennungs- und Zuordnungsproblematik von Vollkräften in der Rubrik „Sonstige Berufe“ und „Ohne Berufsabschluss“ im Pflegebudget. Kern der Streitigkeiten und Handlungsnotwendigkeit war, dass eine zunehmende Anzahl von Berufsgruppen mit nicht-pflegerischer Qualifikation für die Pflege am Bett angerechnet werden sollte. Die Lösung orientierte sich an den aktuellen Pflegepersonaluntergrenzen (PpUG) und stellte damit erstmals den Versuch dar, die Berufsgruppen, die überwiegend Pflege am Bett leisten, in der PpUG angerechnet und über das Pflegebudget finanziert werden, zu vereinheitlichen. Da die Ausgliederung auf den Kostenzuordnungen des Jahres 2017/2018 basierte, wurde zusätzlich vereinbart, dass das Personal (Anzahl der Vollkräfte) ohne pflegerische Qualifikation weiterhin berücksichtigungsfähig ist, wenn die Vollkräfte im Jahresdurchschnitt 2018 auf bettenführenden Stationen gearbeitet haben und nach der Krankenhausbuchungsführungsverordnung (KHBV) dem Pflegedienst zugeordnet worden waren. Zusätzliches Personal in den Rubriken „Sonstiger Berufsabschluss“ und „Ohne Berufsabschluss“ ist nach Anpassung der Berufsgruppendefinition nicht mehr automatisch berücksichtigungsfähig, sondern kann nur noch bei den pflegeentlastenden Maßnahmen in Höhe der hierdurch eingesparten Pflegepersonalkosten berücksichtigt werden.
Gesetzliche Klarstellungen des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG)
Der Konsens zum Entgeltsystem 2021 und die daraus resultierenden Vereinbarungen zwischen GKV-SV und DKG über die Zuordnung von pflegebudgetrelevanten Kosten und die Einführung der Begriffsbestimmungen der PpUGV für das abgelaufene Vereinbarungsjahr 2020 und Vereinbarungsjahr 2021 wurde von den Vertragsparteien auf Ortsebene unterschiedlich aufgefasst. Dabei zeichnete sich ab, dass eine vertragliche Umsetzung problembehaftet sein wird. Die Vertragspartner auf Bundesebene konnten keine ausreichende Rechtssicherheit herstellen, um die notwendigen Anpassungen für das bereits laufende Budgetjahr 2020 auf der Ortsebene für die Pflegebudgetverhandlungen umsetzbar auszugestalten.
In verschiedenen Schiedsstellenverfahren wurde die Empfehlungsvereinbarung für die Zuordnung der Pflegepersonalkosten für das Jahr 2020 als Verstoß gegen geltendes Recht beziehungsweise als „rechtliches Nullum“ bewertet (Seiler 2021). Nach Auffassung der Schiedsstellen schloss das Gesetz einen Rückgriff auf Daten des Jahres aus 2018 aus, da die Einzelheiten der Pflegeausgliederung durch die Vertragsparteien ab dem 01.01.2019 anzuwenden sind. Vor diesem Hintergrund hätten GKV-SV und DKG keine Vereinbarungen zur berufsgruppenbezogenen Abgrenzung mit Rückgriff auf das Jahr 2018 vornehmen dürfen. Eine Klarstellung könne nur durch den Gesetzgeber erfolgen.
Nach Beginn der erstmaligen Verhandlungen zum Pflegebudget wurden in den örtlichen Verhandlungen die Berücksichtigung von Verwaltungsfachangestellten, Bankkauffrauen/-männern, Industriekauffrauen/-männern, Spediteuren sowie teilweise Tischlern gefordert. Dabei wurden auch neue Berufsbezeichnungen wie beispielsweise „Stationssekretärin in der Pflege“ kreiert. Herausfordernd war dabei vor allem, dass es für die Kostenträger keine objektiven Kriterien für die Definition von pflegerischen Leistungen gab und welche Berufsgruppen in der Lage sind, überwiegend Pflege am Bett auf bettenführenden Stationen erbringen können. Dies führte vor allem zu Streitigkeiten, welche Berufe unter den Rubriken „Sonstige Berufe“ oder „Ohne Berufsabschluss“ im Pflegebudget berücksichtigungsfähig sind.
Mit dem am 19.07.2021 im Bundesgesetzblatt veröffentlichen Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (GVWG) wurde die Regelungskompetenz der Vertragsparteien auf Bundesebene dahingehend erweitert, neue Vorgaben für die Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung festzulegen. Die Vertragsparteien auf Ortsebene müssen bei der Ermittlung des Pflegebudgets für die Anzahl der Vollkräfte ohne pflegerische Qualifikation statt der Daten des abgelaufenen Kalenderjahres nun Ausgangswerte und Unterlagen vor der Pflegeausgliederung des Jahres 2018 zugrunde legen. Durch einen Rückgriff auf Daten vor der erstmaligen Ausgliederung der Pflegepersonalkosten, die die Krankenhäuser nach § 17b Abs. 4 Satz 3 KHG ab dem 1. Januar 2019 anzuwenden hatten, wird es den Vertragsparteien auf Bundesebene ermöglicht zu verhindern, dass durch unbegrenzte Möglichkeiten zur Umbuchung von Personal ohne pflegerische Qualifikation in den Pflegedienst auf bettenführenden Stationen Doppelfinanzierung und Mehrausgaben entstehen. Die Vertragsparteien auf Bundesebene konnten somit festlegen, dass die Anzahl der Vollkräfte, mit der bestimmte Berufsgruppen ohne pflegerische Qualifikation in den Pflegebudgets berücksichtigt werden können, begrenzt wird.
Änderungen in der Pflegebudgetverhandlungsvereinbarung
Mit den gesetzlichen Klarstellungen waren ebenfalls umfangreiche Änderungen in der Pflegebudgetverhandlungsvereinbarung erforderlich. Den Vertragsparteien wurde ermöglicht, Nachweise für das Personal in der Rubrik „Sonstige Berufe“ und „Ohne Berufsabschluss“ vorlegen zu lassen, sofern diese für die Zuordnung von pflegebudgetrelevanten Kosten zugrunde zu legen sind. Darüber hinaus wurden die Vertragsparteien auf Bundesebene beauftragt, sich auf ein Vereinbarungsblatt zur Dokumentation des zu vereinbarenden Pflegebudgets mit den wesentlichen Rechengrößen zur Herleitung der vereinbarten Kosten und Vollkräfte zu verständigen.
Aufgrund der Rechtsunsicherheiten legte der Gesetzgeber fest, dass Krankenhäuser, die bis zum 19.07.2021 noch kein vereinbartes Pflegebudget für das Jahr 2020 abgeschlossen haben, ebenfalls die Definition der auszugliedernden Pflegepersonalkosten und der Zuordnung von Kosten von Pflegepersonal für das Vereinbarungsjahr 2021 zugrunde zu legen haben.
2.4 Auswirkungen auf das Fallpauschalsystem 2022 und Lösungsansätze für die Zukunft
Leber und Vogt (2020) hatten bereits auf die Wichtigkeit der klassischen Vollkosten-Matrix der Kalkulation für die Entwicklung des Vergütungssystems im Krankenhaus hingewiesen, die bei der Weiterentwicklung mit Blick auf die Gesamtkosten eines Falles von besonderer Bedeutung ist. Die Vertragsparteien hatten im Rahmen der Verhandlungen zur Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung bereits die Grundlagen für die Kostenzuordnung adressiert und in der Grundlagenvereinbarung festgelegt, dass auf Basis weiterer empirischer Erkenntnisse die Ausgliederung und Adjustierung des verbleibenden aG-DRG-Systems schrittweise in einem mehrjährigen Prozess umzusetzen ist. Dieser Prozess ist auch ein Grundpfeiler der Fallpauschalen, die als lernendes System fast 15 Jahre lang als bewährtes Finanzierungssystem bis zur Pflegepersonalkostenausgliederung zur Anwendung kamen.
Die Vorstellung der Entgeltsysteme für das Jahr 2022 durch das InEK offenbarte, dass die Interaktionen zwischen dem aG-DRG-System und dem Pflegebudget sowie Verlagerungen und Umbuchungen innerhalb der Organisationseinheiten eine deutlich höhere Brisanz aufwiesen als ursprünglich nach der letzten Klarstellung der Selbstverwaltungspartner im Oktober 2020 angenommen worden war. Wie bereits für den Entgeltkatalog 2021 stellte das InEK im Rahmen der Definition der Entgeltkataloge für das Jahr 2022 fest, dass die Pflegepersonalkosten um weitere 10 % (fast zwei Milliarden Euro) gestiegen waren. Vor dem Hintergrund der moderaten Tarifsteigerungen und des sehr begrenzten Stellenaufwuchses war die expansive Steigerung der Kosten im Pflegebereich durch reale Preis- und Mengeneffekte allein nicht erklärbar.
Im Ergebnis bleibt es eine dringliche Aufgabe der neuen Bundesregierung, kurzfristig Maßnahmen auf den Weg zu bringen, um die Schwachstellen der Pflegekostenfinanzierung zu schließen und eine verlässliche Messung und Transparenz zu etablieren:
-
1.
Das InEK sollte gesetzlich mandatiert werden, ein Regelwerk (Auswertungen, Sonderbefragungen und Messungen) zu entwickeln, das Vorgaben macht, unter welchen Voraussetzungen eine Bereinigung von Pflegekosten vorgenommen wird. Die Regelungen sind im Jahr 2022 mit Wirkung für den Katalog 2023 unmittelbar anzuwenden. Damit könnten zumindest gravierende Doppelfinanzierungen durch aG-DRGs und das Pflegebudget verhindert werden.
-
2.
Um die Verhandlungen auf der Ortsebene zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen möglichst objektiv und aufwandsarm zu gestalten, sollte eine gesetzliche Grundlage für die Übermittlung von krankenhausbezogenen Personal- und Strukturdaten der Statistischen Landesämter an die Vertragspartner auf der Ortsebene geschaffen werden.
-
3.
Das InEK sollte einen gesetzlichen Auftrag erhalten, eine verlässliche Datenbasis aufzubauen, um Verlagerungs- und Buchungseffekte messen zu können und diese von Tarif- und Mengenentwicklung zu unterscheiden. Für notwendige Datenlieferungen der Statistischen Landesämter beziehungsweise des Statistischen Bundesamtes an das InEK wird eine gesetzliche Grundlage geschaffen.
-
4.
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) sollte schnellstmöglich eine unabhängige Evaluation der Ausgliederung der Pflegepersonalkosten initiieren (ähnlich der Bewertung der DRG-Einführung 2003), die bis zum Herbst 2022 vorzulegen ist. Bereits heute ist absehbar, dass der durch die Selbstverwaltungspartner auf Bundesebene zu erstellende Bericht nach § 17b Abs. 4 KHG keinen nennenswerten Erkenntnisgewinn zur Analyse der vielfältigen Verwerfungen der derzeitigen Pflegekostenfinanzierung leisten wird.