URE zur imagefördernden (S)D sind funktional angelegt, um ein Ziel zu erreichen. Sie entstehen daher unter bestimmten Einflussfaktoren. Diese bilden den spezifischen situativen Kontext, in dem sich die erhobenen uRE erst entwickeln. Die Einflussfaktoren sind darin verschieden, dass sie entweder „text“-extern oder „text“-internFootnote 1 wirksam werden. Gülich/Raible (1977: 46 f.) verwenden die beiden Termini für unterschiedliche Perspektiven, die man auf einen Text einnehmen kann. Auf diesen Kontext angewendet, bezieht sich eine „text“-externe Perspektive auf konzeptionelle Einflüsse auf die uRE (= „text“-externe Einflussfaktoren). Sie spiegeln sich in den Rahmenbedingungen (Abschn. 7.1.1) und den gegebenen Beteiligungskonstellationen wider (Abschn. 7.1.2). Dem gegenüber steht die „text“-interne Perspektive (= „text“-interne Einflussfaktoren). Ausgangspunkt der Betrachtung ist hier die uRE selbst (vgl. Gülich/Raible 1977: 47) insofern, als betrachtet wird, welche Ereignisse überhaupt für eine uRE in Betracht kommen (Abschn. 7.2.1) und welche „text“-internen Akteure die Geschichten wie auch die Handlungen überhaupt erst begründen (Abschn. 7.2.2). Grundsätzlich ist die Unterscheidung der Einflussfaktoren analytisch motiviert. In der praktischen Umsetzung sind die zwei Bereiche („text“-extern und „text“-intern) wechselseitig aufeinander bezogen und miteinander verbunden.

7.1 „Text“-externe Einflussfaktoren: konzeptionelle Aspekte

„Text“-externe Produktionsbedingungen beinhalten Faktoren, die mit dem Verantwortungsbereich und konzeptionellen Vorüberlegungen verbunden sind. Ihr Einfluss besteht darin, dass sie Leitvorgaben für die uRE hervorbringen, die sich in den Daten widerspiegeln. Da sich für gewöhnlich selten ausgebildete Narratolog/innen mit derartigen Erzählungen beschäftigen oder sie gar umsetzen, dafür aber umso mehr wirtschaftsorientierte Fachbereiche, beruhen die Kapitelinhalte vor allem auf Erkenntnissen der Fachdisziplinen, die in den Entstehungsvorgang einbezogen sind.

7.1.1 Entstehungskontext I: Rahmenbedingungen

Das folgende Kapitel handelt von unternehmensspezifischen Hintergründen, die die Konzeption und Umsetzung der uRE bedingen. Das betrifft zum einen die Frage danach, in welchem Unternehmensbereich Erzählungen konzipiert werden und warum Interesse daran besteht, überhaupt den monetären und personellen Aufwand für solche Erzählungen in Kauf zu nehmen (Abschn. 7.1.1.1). Zum anderen betrifft das Einflüsse, die die thematische Ausrichtung der narrativen (S)D zur Folge haben. Die Grundlage hierfür ist, dass Unternehmen aus systemtheoretischer Sicht „nur ein Teilsystem im Gesamtsystem […] [der] Umwelt bzw. der Gesellschaft“ (Burel 2015: 128) darstellen. Sie sind bereits Jahrtausende lang fest in die Gesellschaft integriert und stehen dadurch in einer Austauschbeziehung mit der Gesellschaft und ihrer Umwelt (ebd.)Footnote 2. Daher bilden sich in den erhobenen Daten spezifische gesellschaftliche Erwartungshaltungen und Wertevorstellungen ab, die die Kommunikationsverantwortlichen aus strategischen Erwägungen antizipieren (Abschn. 7.1.1.2). Daran wird die Bedeutung der pragmatischen Ausrichtung, die eigene Außendarstellung (das Image) aufzuwerten, deutlich.

7.1.1.1 Unternehmenskommunikation und Public Relation

Die untersuchten uRE entstehen aufgrund der Aufgabenverteilung in Unternehmen unter dem Einfluss der Unternehmenskommunikation. Damit ist gemeint, dass nicht alle narrativen Vermittlungsformen direkt von Mitarbeiter/innen aus der Unternehmenskommunikation umgesetzt werden. Die Kommunikationsabteilung kann die Aufgabe an Mitarbeiter/innen aus anderen Abteilungen oder an externe Agenturen delegieren. Letztlich sind es aber die Mitarbeiter/innen der Unternehmenskommunikation, die die Prozesse steuern: Sie stimmen innerhalb des Unternehmens strategische Erwägungen wie die Ziele, das Vorgehen oder die allgemeine inhaltliche Ausrichtung ab (vgl. Corporate Identity Abschn. 1.1)Footnote 3. Heutzutage wird der Erfolg eines Unternehmens mehr denn je zu großen Teilen der Unternehmenskommunikation zugeschrieben:

„Es ist mittlerweile in Theorie und Praxis unstrittig, dass ein gut geplantes und in sich stimmiges Kommunikationsmanagement eine enorme Wirkung auf Image und Reputation sowie Motivation und Leistung eines Unternehmens hat […].“ (Jäger 2018: VII)

Diese Perspektive auf die Unternehmenskommunikation unterliegt einem instrumentell-strategischen Ansatz, wie er in den Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften Anwendung findet. Der Ansatz unterstreicht den Wert der externen Unternehmenskommunikation. Er erklärt daher, warum Unternehmen überhaupt den Aufwand betreiben, uRE auf verschiedenen Internetplattformen zu generieren. Basierend auf diesem Ansatz wird der kommunikationsinduzierte Mehrwert als positiver Wertbeitrag betitelt. Er bildet sich in einem immateriellen Erfolgspotenzial ab, das u. a. in der Bekanntheit, der Glaubwürdigkeit, der Authentizität und den Mythen liegt, die die Bezugsgruppen beeinflussen und auf deren Basis eine gewollte „Unternehmenswirklichkeit“ nach außen getragen werden soll. Der Wertbeitrag liegt darin, dass sich die Unternehmen selbst als gesellschaftlich relevant einordnen, ihre Handlungen legitimieren und sich so Handlungsspielräume schaffen (siehe hierzu z. B. Zerfaß/Pleil 2015: 50 f.; Sandhu 2014: 1163). Den Mitarbeiter/innen der Unternehmenskommunikation obliegt hierbei eine kommunikative Vermittlungsleistung und Inszenierung, denn

„[die] Fortune, d. h. Wachstum, Ertrag und Mobilisierungskraft eines Unternehmens in Markt und Gesellschaft, sind ja bekanntlich in hohem Maße abhängig von seiner öffentlichen Positionierung, glaubwürdigen Selbstdarstellung, Akzeptanz und Reputation (Einwiller 2014: 376 f., nach Kirf et al. 2018: 11).

Damit ist es die Aufgabe der Unternehmenskommunikation, das Unternehmen im eigenen Sinn zu deuten, zu definieren, in bestimmten Bereichen der Öffentlichkeit und des öffentlichen Meinungsbildes zu verorten (entspr. der Positionierung von Unternehmen im Sinne der Public Relations, Gabler Wirtschaftslexikon online)Footnote 4, mit dem Ziel ihr Image zu stärken. Grundsätzlich kann die Unternehmenskommunikation anhand ihrer Koordinationsmuster und Zielsetzungen in drei Teilbereiche unterteilt werden: die Interne Kommunikation, die Marktkommunikation und die Public Relations (im Folgenden mit PR abgekürzt, Zerfaß 2014: 23).

Im Rahmen dieser Arbeit verorte ich die erhobenen Erzählungen im Teilbereich der Public Relation: Unter PR versteht man im Deutschen im Allgemeinen Öffentlichkeitsarbeit (Puttant 2015: 164). Gerade in den PR liegt eine deutlich intentionale Kommunikation vor, „die sich nach den strategischen Grundüberlegungen zur Positionierung eines Unternehmens richtet“ (Schach 2016: 82). Diese Kommunikation dient nicht dem Selbstzweck, „sondern der Realisierung bestimmter Interessen“ (Zerfaß/Pleil 2015: 42). Bei uRE im Internet handelt es sich genau genommen um Elemente strategischer Online-Kommunikation aus den PR, die die technische Infrastruktur und verschiedene Plattformen „als Medien für die Kommunikation und Interaktion [nutzen]“ (Zerfaß/Pleil 2015: 47). Strategische Online-Kommunikation umfasst

„alle gesteuerten Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen, Non-Profit-Organisationen, Behörden und anderen Organisationen im Internet und Social Web, die der internen und externen Handlungskoordination mit Stakeholdern und der Interessensklärung dienen und damit einen Beitrag zur Realisierung der übergeordneten Organisationsziele (Erreichung inhaltlicher und ökonomischer Ziele, Sicherung von Handlungsspielräumen und Legitimtät) leisten sollen“ (Zerfaß/Pleil 2015: 47).

In Bezug auf das Erzählen geht es diesbezüglich darum, Eindrücke und Botschaften im Sinne der PR bei den Rezipient/innen zu festigen. Erzählungen sind somit für die (S)D funktional. Darüber hinaus liegt eine grundlegende Aufgabe von PR-Verantwortlichen im „Aufbau und [der] Pflege guter Kommunikationsbeziehungen“ (Mast 2019: 9) zu den Anspruchsgruppen. Auch hier besteht eine enge Verbindung zum Erzählen, das als beziehungskonstitutiv gilt. Des Weiteren folgt der PR-Bereich der Prämisse, „für das Unternehmen als Institution eine Atmosphäre des Vertrauens und Verständnisses entstehen zu lassen“ (Mast 2019: 14). URE – mit der Funktion einer imagefördernden (S)D – greifen das Ziel auf. Sie bieten der Öffentlichkeit narrativ aufbereitete Informationen an, auf deren Basis sie sich ein Urteil über das Unternehmen bilden soll. Mithilfe von uRE versuchen Unternehmen, komplexe Vorgänge oder auch Modelle – z. B. das Konzept der Diversity – zu veranschaulichen. So belegen sie bestimmte Handlungen und Haltungen, über die sie die eigene Glaubwürdigkeit zu stärken versuchen. Im Zusammenhang mit dem Aufgabenspektrum von PR-Verantwortlichen (Aufbau einer Atmosphäre von Vertrauen und Verständnis) legen die uRE nahe, dass ebenfalls spezifische Erwartungshaltungen der Umwelt/Gesellschaft an die Unternehmen eingelöste werden sollen. Dabei handelt es sich um antizipierte Wertvorstellungen der GesellschaftFootnote 5, die dem Image von Unternehmen zuspielen und die letztere zu adaptieren versuchen. Folglich sind sie gleichermaßen ein grundlegender „text“-externer Einflussfaktor.

7.1.1.2 Gesellschaftsrelevante Adaptionen

Heutzutage müssen Unternehmen ihr Handeln mehr denn je vor der Allgemeinheit rechtfertigen. Ursächlich dafür ist, dass die präferierten Bezugsgruppen nicht „nur“ die Produkte, sondern auch die WerteFootnote 6 und Handlungsmaximen, die ein Unternehmen vertritt, in ihre Entscheidungsprozesse einbeziehen. Unabhängig von einer solchen Einflussnahme auf konkrete Bezugsgruppen müssen Unternehmen auch der allgemeinen Öffentlichkeit Einblicke gewähren, die die Öffentlichkeit dazu veranlassen, sie nach herrschenden gesellschaftlichen Maßstäben als gewinnbringenden Teil des gesellschaftlichen Gefüges zu akzeptieren (entspr. den strategischen Zielvorgaben der PR ,Verständnis‘ und ,Vertrauen‘). Dieser gesellschaftliche Anspruch an Unternehmen ist nicht neu. Bereits im Spätmittelalter existierte die Leitvorstellung des Ehrbaren Kaufmanns. „Ehre“ wurde zu einer sekundären Wirtschaftstugend (Spießhofer 2017: 46), die sich auf einen Sozialkodex bezog. Das zeigt, dass die Kaufleute damals bereits erkannten, dass neben ökonomischen Aspekten auch Vertrauen geschäftlich von Bedeutung ist. Zwar sind die damals geforderten Ideale und Tugenden fern von dem heute existierenden Wettbewerb der modernen Wachstumsgesellschaft (Spießhofer 2017: 46 f.), doch ist ,Ehrbarkeit‘ als ethischer Bezugsrahmen in Zeiten von Unternehmensskandalen, Umweltproblemen oder der Globalisierung aktueller als je zuvor. ,Ehrbarkeit‘ bezieht sich heute über verantwortungsvolles ökonomisches Handeln hinaus auf nachhaltiges WirtschaftenFootnote 7 ebenso wie auf moralische und ethische AspekteFootnote 8, z. B. den Umgang mit Ressourcen, der Umwelt, auf soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeiter/innen oder sozial benachteiligten Menschen u. a. Der situative Einflussfaktor verdeutlicht, dass der Impuls zur (S)D von außen, in diesem Falle von der Öffentlichkeit, induziert ist. Somit ist die (S)D in weiten Teilen reaktiv, eine Folge bestimmter Erwartungshaltungen. Unter dieser Perspektive lösen Unternehmen, indem sie sich selbst darstellen, eine kommunikative Pflicht ein (siehe hierzu Biere 1994: 13). Die Auffassung darüber, ob die Kommunikation solcher Themen zu den Aufgaben der PR gehört, ist im Fachdiskurs umstrittenFootnote 9. Sieht man die Vermittlung solcher Themen jedoch vor dem Hintergrund der Aufgaben und der Anforderungen an die Kommunikation von PR-Verantwortlichen, erscheint es vertretbar, diese Themen unter die Aufgabe der PR zu summieren.

In den Daten zeigt sich, dass die in Geschichten verpackten „Rechtfertigungen“ von Unternehmen, ihre Verantwortung im gesellschaftlichen Gefüge wahrzunehmen, nicht das einzige Indiz dafür sind, dass Erwartungen und Einstellungen der Gesellschaft einen Einflussfaktor auf die Erzählungen darstellen. Darüber hinaus zeichnet sich eine weitere gesellschaftliche Einflussnahme in den erhobenen Erzählungen ab: die Erlebnisorientierung. Solche Erlebnisse gründen sich entweder darauf, dass eine Person im Zusammenhang mit dem Unternehmen ein besonderes Erlebnis hatte (z. B. Projekte, Aktionen, Veranstaltungen) oder, dass das Unternehmen selbst ein Erlebnis darstellt (z. B. ein Arbeitstag, eine besondere Aufgabe, ein spannendes Berufsfeld). Verwunderlich ist das nicht unbedingt, ist doch gerade eine Erzählung dafür prädestiniert, das Erleben eines Ereignisses nachzuzeichnen. Man denke an die narrativen Indikatoren im Vorortungsschema der uRE. Was die Beobachtung jedoch zeigt, ist, dass in den erhobenen Erzählungen die Kommunikation des Erlebnisses besonders berücksichtigt wird. Das legt nahe, dass die Erlebnisorientierung als weiterer gesellschaftlicher Wertmaßstab die Konzeption der Erzählungen mitbestimmt. Dies geschieht vor dem Hintergrund des Monitorings von gesellschaftlichen Wertwandelprozessen. Prinzipiell wird der Unternehmenskommunikation im Fachdiskurs nahegelegt, ein eigenes Wert-MonitoringFootnote 10 mit den von ihr erhobenen Daten zu betreiben. Darüber, ob und wie die untersuchten Unternehmen das praktizieren, kann im Rahmen dieser Untersuchung keine Aussage getroffen werden. Allerdings beobachten auch wissenschaftliche Fachdisziplinen wie z. B. die (Management-)Soziologie solche gesellschaftlichen Wertwandelentwicklungen. Die untersuchten Daten legen nahe, dass sich Erkenntnisse darüber entweder in dem Wert-Monitoring der Unternehmen wiederfinden oder, dass den Mitgliedern der PR-Abteilungen solche Werte aus dem Fachdiskurs geläufig sind. Daher handelt es sich hierbei um einen weiteren „text“-externen Einflussfaktor auf die Erzählungen, der auf Vorannahmen der PR-Schaffenden über die Rezipient/innen beruht. Vorrangig geht es dabei um den gesellschaftlichen Wertwandel hin zu einer wachsenden Erlebnisorientierung. Das wirkt sich einerseits auf die Erwartungen an den Arbeitsplatz und andererseits auf Erwartungen an die Informationsaufbereitung von Unternehmen aus. Bezogen auf den Arbeitsplatz wird der Aspekt vornehmlich inhaltlich aufgegriffen. Nach Buß (2012) suchen Arbeitnehmer/innen nicht mehr Erfüllung im Dienst des Unternehmens, sondern erwarten „Erfüllung individueller Lebenschancen durch das Unternehmen“ (Buß 2012: 289). Entsprechend prägen Erzählungen über Auslandserfahrungen in der Ausbildung, zur Netzwerkbildung, genommenen Sabbaticals, besonderen Gemeinschaftsaktivitäten u. a. die Themenfelder der uRE (siehe Abschn. 7.2.1). Bezogen auf die Informationsaufbereitung rund um das Unternehmen schlägt sich die Kommunikation des Erlebnisses in Emotionalisierungsstrategien nieder (siehe z. B. Abschn. 8.5). Sie können mündlich und/oder schriftlich realisiert sein, mithilfe von Fotografien und Bewegtbildausschnitten ergänzt werden oder alleinig in diesen abgebildetFootnote 11 sein. Bei diesen Emotionalisierungsstrategien handelt es sich jedoch nicht nur um ein Stilmittel, sondern auch um einen weiteren „text“-externen Einflussfaktor, der auf das engste mit der Erlebnisorientierung verbunden ist. Dieser Einflussfaktor ist der Entwicklung hin zu einer gesellschaftlichen Affektlockerung geschuldet. Nach Buß (2012) bedeutet das, dass Emotionen zunehmend zu einem legitimen Instrument der öffentlichen Selbstdarstellung geworden sind:

„Die Akzeptanz der öffentlichen Darstellung persönlicher Gefühle nimmt deutlich zu. […] Gefühle werden präsenter, direkter, selbstverständlicher und offener ausgedrückt.“ (Buß 2012: 291)

Buß (2012) hält dabei fest, dass Unternehmen aufgrund dieser Entwicklung anstelle funktionaler Informationen „einen atmosphärischen Mikrokosmos“ (Buß 2012: 291) präsentieren. Vor diesem Hintergrund zähle mittlerweile die Emotionsarbeit zu einer grundlegenden Aufgabe der unternehmerischen Öffentlichkeitsarbeit (Buß 2012: 293). Auch in den Wirtschaftswissenschaften wird ein Trend dahingehend verzeichnet, „dass die Inhalte der Kommunikation, nämlich was wie gesagt wird, wieder stärker beachtet werden“ (Mast 2015: 13, Hervorhebung i.O.), weswegen die Unternehmenskommunikation direkt an den Empfindungen der Rezipient/innen ansetze.

7.1.2 Entstehungskontext II: Beteiligungskonstellationen

Beteiligungskonstellationen, die auf die uRE Einfluss nehmen, resultieren aus der rasanten Entwicklung des Internets. Damit haben sich die Anforderungen und der Arbeitsalltag insbesondere innerhalb der Unternehmenskommunikation grundlegend verändert:

„Es gibt neue Aufgaben, aber auch viele neue Instrumente und Plattformen für die Organisationskommunikation.“ (Zerfaß/Pleil 2015: 39 f.)

Die durch das Internet entstandenen Kommunikationsräume und Aufgabenfelder wirken sich dabei maßgeblich auf die Konzeptions- und Produktionsbedingungen jeglicher Veröffentlichung der PR aus. So haben sich im Zuge der Digitalisierung die Erwartungen an die Informationsvermittlung von Unternehmen deutlich verändert. Das Kommunikationsmanagement muss auf unterschiedliche Erwartungen und Wünsche in der Unternehmenswelt reagieren, da sich Unternehmen mehr denn je in einem Kommunikations- und Akzeptanzwettbewerb mit anderen Unternehmen befinden (Zerfaß 2014: 22; sinngemäß auch Mast 2015: 14). Verändert hat sich demnach der Kommunikationsdruck. Er entsteht durch und entwickelt sich auf der Basis des zuvor beschriebenen Informations- und Unterhaltungsbedürfnisses von Bezugsgruppen. Unternehmen stehen hierbei nicht nur vor der Wahl spezifischer Themen und multimodaler Realisierungen, sondern auch vor der Herausforderung, Kommunikationsplattformen, die sich im Alltag der Menschen etabliert haben – insbesondere in den sozialen Medien –, adäquat in ihre Kommunikation einzubeziehen. Dazu müssen sie sich den medial gegebenen Möglichkeiten öffnen und damit verbundene, veränderte Beteiligungskonstellationen hinsichtlich der Produzent/innen und Rezipient/innen berücksichtigen.

7.1.2.1 Produzent/innen

Das Internet lässt sowohl Kommunikationsformen der Individual- als auch der Massenkommunikation zu (Marx/Weidacher 2014: 78; Chovanec/Dynel 2015: 7). Das spiegelt sich auch in der konkreten Autorenschaft für die erhobenen uRE wider. Das Konzept des/der konkreten Autor/in (Schmid 2003: 3) steht neben dem Konzept des/der abstrakten Autor/in (ebd.)Footnote 12. Während ein/e abstrakte/r Autor/in dem Bild entspricht, das Rezpierende aufgrund des sprachlichen Ausdrucks über ihn/sie gewinnen, handelt es sich bei einem/einer konkreten Autor/in um eine reale Person – den/die Urheber/in der uRE. Um diese konkreten Produzent/innen der letztlich öffentlich zugänglichen uRE geht es im Folgenden.

Um mögliche „text“-externe Einflüsse auf Erzählungen zur imagefördernden (S)D aufzudecken, ist die Differenzierung zwischen konkreter und abstrakter Autorenschaft von Interesse. Denn mit der Autorenschaft sind spezifische Beteiligungsrollen im Entstehungsprozess der uRE verbunden (Produzentenrolle, Adamzik 2016: 149). Diese Beteiligungsrollen geben Anhaltspunkte dafür, wie die Träger/innen der Rollen die Erzählungen umsetzen, was ebenfalls auf der „text“-externen Ebene geregelt wird. Hinweise auf den/die Autor/innen lassen sich in den uRE explizit und implizit entnehmen. Sie unterstützen die Rezipient/innen darin, die Beteiligungsrollen zu erkennen und über sie bestimmte Schlussfolgerungen abzuleiten. Das beinhaltet, wer der/die eigentliche Sender/in der Botschaft ist und die Verantwortung für die erzählten Inhalte trägt. Dadurch etabliert sich zwischen den Produzent/innen und den Rezipient/innen eine eigene Kommunikationsebene, derer sich die Kommunikationsverantwortlichen in Unternehmen durchaus bewusst sind. In den erhobenen Daten lassen sich grundsätzlich zwei Arten von Sender/innen unterscheiden: kollektive Sender/innen (Dynel 2011; 2015) und dazu individuelle Sender/innen.

Kollektive Sender/innen agieren auf der Ebene der Produzentenrolle (Adamzik 2016: 149) innerhalb ihrer Berufsrolle. Dynel (2011: 1629) und Brock (2015: 31) verwenden den Terminus ,kollektive/r Sender/in‘ im Rahmen ihres Participation Framework-Modells für FernsehsendungenFootnote 13. Brock geht in seiner Modellkonzeption für Sitcoms von zwei zentralen Kommunikationsebenen aus. Die erste Ebene bezieht sich auf die Kommunikation zwischen dem Fernsehpublikum (hier wären es die Rezipient/innen) und dem/der kollektiven Sender/in. Die zweite Ebene der Kommunikation findet zwischen den Figuren/Charakteren in der Fernsehsendung statt (Brock 2015: 29 f.)Footnote 14. Bezogen auf „text“-externe Einflüsse auf die uRE durch einen/eine kollektive Sender/in ist die erste Kommunikationsebene von Bedeutung, denn

„the meanings which the viewer grasps are dependent on the collective sender’s layer, which ist the product of the production crew“ (Dynel 2011: 1635, Hervorhebung U.A.).

Der „text“-externe Einfluss kollektiver Sender/innen besteht folglich darin, dass sie die Grundbotschaft der multimodalen Realisierung entwickeln. Bezogen auf die vorliegenden Erzählungen bedeutet das, dass kollektive Sender/innnen den Interpretations- und Deutungsrahmen der Geschichte für die Rezipient/innen gestaltet. Kollektive Sender/innen sind sämtliche Personen, die an der jeweiligen Erzählproduktion beteiligt sind (Dynel 2011: 1629; Brock 2015: 29). In dem Modell von Brock handelt es sich dabei um das gesamte Filmteam, das an der Produktion mitwirkt. Die Konzeption der kollektiven Sender/innen lässt sich auf die Produktion der uRE von Unternehmen anwenden, insofern die Produzent/innen in ihrer Berufsrolle agieren. Fünf Gemeinsamkeiten bilden die Grundlage für diese Übertragung:

  1. a)

    Es handelt sich in beiden Fällen (Sitcom und uRE) um narrativ gestaltete multimodale Kommunikationsvorgänge in öffentlich zugänglichen Medien.

  2. b)

    Die Rezipient/innen kennen nur das Resultat, nicht die Entwicklungsvorgänge rund um die uRE.

  3. c)

    Der Entstehungsprozess ist komplex, da er aus mehreren Entstehungsphasen besteht.

  4. d)

    Die Entstehungsphasen werden von mehr als einer Person umgesetzt.

  5. e)

    Der/die kollektive Sender/in entscheidet darüber, wie die Botschaft vermittelt und welche Botschaft kommuniziert werden soll.

Auch wenn uRE im Gegensatz zu fiktiven Sitcoms idealerweise auf einer weitgehend überprüfbaren WirklichkeitFootnote 15 beruhen, ist ihr Entstehungsprozess in Phasen gekennzeichnet, in die die Sender/innen verschiedene berufliche Qualifikationen einbringen (z. B. betriebs-/wirtschaftswirtschaftliche, psychologische, werbefachliche, mediale Fertigkeiten). In der vorliegenden Untersuchung ist zwar ausschließlich das „Endprodukt“ gegeben, doch wie der Arbeitsprozess eines/r kollektiven Sender/in für Erzählungen von Unternehmen theoretisch aussehen kann, erläutert Mast (2019: 260) anhand von fünf analytischen Dimensionen des Content Managements:

  1. 1.

    Auswahl von inhaltlichen Anknüpfungspunkten (entspr. den ThemenfeldernFootnote 16)

  2. 2.

    Deutung und Interpretation der ausgewählten Themen, mit dem Ziel „bestimmte Strukturierungs- und Interpretationsleistungen beim Publikum zu erzielen“ (framing, Mast 2019: 260).

  3. 3.

    Entscheidung welches Format sich für die Präsentation zur zielgruppengenauen Passung eignet (Platzierung, Umfang, Aufmachung, mediale Inhalte).

  4. 4.

    Entwicklung einer Dramaturgie und Inszenierung

  5. 5.

    Verwendung von Impulsen zur Aufmerksamkeitslenkung (z. B. Bilder, Musik u. a.)

Diese Übersicht veranschaulicht, welche „text“-externen Arbeitsschritte kollektive Sender/innen berücksichtigen, bevor sie das „Endprodukt“ der Öffentlichkeit präsentiert. Ein solcher Konzeptions- und Umsetzungsprozess trifft in den Daten insbesondere auf professionell erstellte audiovisuelle Erzählungen von externen Agenturen zu, die auf anderen Unternehmenswebseiten als YouTube-Video eingebettet werden können (z. B. U.-Homepage, Xing, Weblogs). Die eigentlichen Produzent/innen (externe Agentur) werden in solchen Produktionen für gewöhnlich nicht sichtbarFootnote 17. Auch narrative Vermittlungsvorkommen, die unternehmenseigene PR-Mitarbeiter/innen ausarbeiten und umsetzen, werden häufig gemeinschaftlich entwickelt. Sind in diesen uRE die Autor/innen nicht mit Klarnamen benannt, verweist der Firmennamen und/oder das Firmenlogo auf den Verantwortungsbereich der PR-Abteilung. Ist trotz des/der kollektiven Sender/in eine PR-verantwortliche Person als Autor/in dokumentiert, gibt sie sich für gewöhnlich anhand ihrer innerbetrieblichen Funktion und/oder ihres Arbeitsplatzkontakts zu erkennen (Berufsrolle). Damit wird auf der Kommunikationsebene deutlich, dass die Person als Teil des/der kollektiven Sender/in nach den Vorgaben einer Institution Informationen und Botschaften formuliert (Formulierer, Adamzik 2016: 138). Sie stehen und handeln dadurch stellvertretend für das Unternehmen.

Aus der textlinguistischen Perspektive betont auch Adamzik (2016) bezüglich institutioneller Kommunikation, dass die Produzent/innen „nicht immer (persönlich) identifizierbar“ (ebd. 2016: 141) sind. Sie stellt diesbezüglich fest, dass an dem veröffentlichten Endprodukt kein Autorenkollektiv, sondern vielmehr eine „Kette von Instanzen beteiligt“ (ebd. 2016: 141) ist. Das wird letztlich auch anhand der fünf Dimension zum Content Management von Mast deutlich. Doch gerade für uRE auf Internetplattformen der sozialen Medien ist das Merkmal, persönlich identifizierbar zu sein, von großer Bedeutung. Damit geht bezüglich des Kommunikationsmanagements je nach Plattform eine direkte und dialogische Ansprache der (Teil-)Öffentlichkeit einher, ebenso wie eine andere Handhabung der Autorenschaft. Für Unternehmen hat sich also neben den gesellschaftlichen Erwartungen und dem Kommunikationsdruck auch die Direktheit ihrer eigenen Kommunikation verändert. Das zeichnet sich vor allem in der Entwicklung von einem/einer kollektiven Sender/in hin zu einem/einer individuellen Sender/in durch die Benennung eines/einer Autorin ab. Ausgewiesene Autor/innen handeln hinsichtlich der Produzentenrolle in einer Diskursrolle (Adamzik 2016: 149). Treten in den Daten also individuelle Autor/innen auf, wird ihnen zugleich eine persönliche Informations- und Handlungsverantwortung unterstellt. Die Dokumentation der Autor/innen erfolgt je nach Plattform auf verschiedene Weise und beruht auf unterschiedlichen Identifikationsmöglichkeiten.

Auf Corporate Blogs von Unternehmen präsentieren sich individuelle Autor/innen am umfangreichsten und bieten eine Identifikationsfläche, indem sie die direkte Kommunikation betonen. Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel für eine elaborierte Autoren-Identifikation aus einem aktuellen (2019) Daimler-Blog-Eintrag (Abb. 7.1):

Abb. 7.1
figure 1

Ausgebaute Identifikation einer Autorin auf dem Daimler-Blog, am Ende eines Artikels (Daimler, Das Blog, 2019-02-01)

In dem Beispiel wird die Autorin namentlich benannt, sie gibt sich durch ein Foto zu erkennen und verortet sich mithilfe einer informellen Kurzbeschreibung im institutionellen Kontext. Zusätzlich erfahren wir persönliche Details (begeisterte Hundebesitzerin), die die Autorin nahbar erscheinen lassen. Diese elaborierte Selbstvorstellung der Autorin wird im Fall von Daimler durch spezifische Guidelines gesteuert.

Die Deutsche Telekom lagert dagegen die Autorbeschreibung auf einen Link aus, sodass „nur“ noch der Name der Autor/innen und ein Foto auf dem Blog verbleiben. Wer nähere Informationen wünscht, kann einem Link >Profil und Artikel des Autors< folgen, der zusätzlich neben persönlichen Angaben auch eine Artikelübersicht der Autor/innen anbietet.

Die qualitative Analyse von Kompakterzählungen auf Facebook (Abschn. 9.3.2) hat ergeben, dass die Autor/innen, sofern sie an den erzählten Inhalten beteiligt sind, durch andere Strategien als Produzent/innen ausgewiesen werden. Sprachliche Strategien (persönliche Leseransprache + Pronominalisierung (+Name)) und Fotografien, die im Numerus mit dem Pronomen sowie dem Kasus des Namens und dem biologischen Geschlecht auf der Fotografie übereinstimmen, dienen in diesen Fällen als Belege für die individuelle Autorenschaft. Im Folgenden zur Verdeutlichung der Anfang und das Ende eines Facebook-Posts von Rewe (Abb. 7.2):

Abb. 7.2
figure 2

Identifikationsindizien von Autor/innen auf Facebook (Rewe, Facebook, 2014-06-05. Korpusquelle: REWE_369_FB)

Auf Twitter sind zwei Varianten zur Identifikation der Autor/innen möglich. Zum einen die ,Nennung des Klarnamens + Profilbild‘ im Kopf des Tweets oder ebenfalls eine visuell-sprachliche Verknüpfung wie in dem vorausgegangenen Beispiel von Rewe.

Solche Belege für die Autorenschaft finden sich vorrangig auf Kommunikationsplattformen, auf denen der persönliche Bezug zu den Produzent/innen von grundlegender Bedeutung istFootnote 18. Von Bedeutung ist dieser Existenznachweis, da in Erzählungen von individuellen Autor/innen ihre Erfahrungen mit und ihr Erleben von dem Unternehmen im Vordergrund stehen. In den Richtlinien für Autor/innen des Daimler-Blogs heißt es zu den Inhalten und deren Umsetzung:

„Im besten Falle sind die Beiträge eine Kombination aus echten Einblicken inklusive Eindrücken, Gefühlen und Gedanken – wie im Tagebuch eben auch.“ (Daimler-Blog, Blogging Guidelines als Hilfestellung für Autoren, 2019-02-20)

Der Hinweis auf die Textgattung ,Tagebuch‘ zeigt, dass es im Besonderen um persönliche Einblicke gehen soll. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der persönlichen Involviertheit der Produzent/innen in die erzählte Geschichte. Das soll Nähe, Identifikations- und Sympathieeffekte bei den Rezipient/innen auslösen, die sich aus einer persönlichen Geschichte – jemand wie du und ich – entwickeln können. Gleichwohl ist es auf der Kommunikationsebene eine Form des Aufmerksamkeitsmanagements und der Bezugsgruppenansprache, denn „mit welcher Einstellung und Vorerwartung man sich [der Erzählung] nähert, ist entscheidend davon abhängig, wen man als Produzenten/Autor identifiziert“ (Adamzik 2016: 136). Damit ist der/die Autor/in bereits der erste wichtige „Kontakt“ für die Rezipient/innen und ausschlaggebend dafür, wie die Geschichte inklusive ihrer Botschaft wahrgenommen wird. In dem untersuchten heterogenen Datenkorpus lassen sich keine Generalisierungen für die Autor/innen aufgrund allgemeiner objektiver Eigenschaften wie Geschlecht, Alter, Herkunft. Ausbildung oder institutionelle Rolle treffen – allenfalls Tendenzen, abhängig von der bespielten Plattform und/oder der „Text“-sorte (z. B. Arbeitgeberkampagne, siehe Abschn. 7.2.2.1). Diese Beobachtung verweist darauf, dass bereits über die Autorenpräsenz ein Merkmal der (S)D im Sinne von Diversity-Konzepten einbezogen ist.

Damit die oben beschriebenen Effekte eintreten, ist von Bedeutung, dass die Rezipient/innen ausgewiesene Autor/innen mit der Interaktionsrolle des/der Erzähler/in assoziieren. Adamzik (2016: 139) hat mögliche Interaktionsrollen für Personen, die Texte verfassen, von Goffmans (1981) Ansatz zur mündlichen Interaktion und der Sprechakttheorie abgeleitet. Sie unterscheidet fünf Rollen:

  • Träger/in der illokutionären Rolle

  • Träger/in der lokutionären Rolle

  • Träger/in des Äußerungsaktes

  • soziale und kommunikative Rolle im Handlungszusammenhang

  • Überlieferungsrolle

Adamzik definiert eine Person, die im Auftrag einer Institution ein Schreiben verfasst, als einen/eine Träger/in der lokutionären Rolle, wie im Fall der Produzent/innen, die Teil der kollektiven Sender/innen sind. Bezogen auf Erzählungen von ausgewiesenen Autor/innen als individuelle Sender/innen sind die untersuchten Unternehmen jedoch bestrebt, die Autor/innen in der ,sozialen und kommunikativen Rolle im Handlungszusammenhang‘ zu verorten. Das bedeutet, die Rezipient/innen sollen die Autor/innen als eigenständige Erzähler/innen interpretieren, die ihre persönliche Meinung wiedergeben, auch wenn die externen Bezugsgruppen die Erzähler/innen trotz der persönlichen Merkmale wohl immer „als Kommunikator und damit als PR-Botschafter“ (Zerfaß/Pleil 2015: 71) der jeweiligen Unternehmen wahrnehmen. Daher sensibilisieren einige Unternehmen innerhalb des Kommunikationsmanagements ihre Mitarbeiter/innen in Social Media Guidelines für die „heikle“ Situation. Stehen diese Guidelines Online, teilen Unternehmen auf diese Weise zugleich der beobachtenden Öffentlichkeit mit, dass die Mitarbeiter/innen nicht als ihr Sprachrohr fungieren sollen. Insbesondere geht es dabei um das Merkmal ,von der Unternehmenskommunikation unzensierte, eigenständig verfasste Erzählungen‘ (relevant z. B. in Abschn. 9.2.4). Hierzu drei Beispiele aus online veröffentlichten Guidelines, die dieses Merkmal indizierenFootnote 19:

(Bsp. 1) „Mehrfach-Autorenschaft ist nicht möglich“ oder „Dort wo Blog drauf steht, sollte nämlich auch Blog drin sein, denn umgeschriebene Pressemitteilungen oder absenderorientierte Push-Kommunikation funktioniert an anderer Stelle besser“. (Daimler-Blog, Blogging Guidelines, 2019-02-20)

(Bsp. 2) „Sprich für Dich. Wenn Du Dich im Social Web zu Unternehmensthemen äußerst, dann vertritt Deine eigene Meinung und kennzeichne sie als solche […]. Sprich in der Ich-Form und verwende Deine eigenen Worte“. (Telefonica Deutschland, Social Media Guidelines, 2017)

(Bsp. 3) „Wenn Sie den Auftrag haben, sich in Social Media als Fachvertreter für Ihr Thema zu äußern, agieren Sie damit nicht als offizieller Unternehmenssprecher“. (Deutsche Telekom, Grundsätze der Deutschen Telekom für die Nutzung von Social Media, Veröffentlichungsdatum unbekannt)

Diese Markierung von Autor/innen soll somit auf deren Interaktionsrolle auf der Kommunikationsebene hinweisen. Damit ist auch verbunden, ob die Erzählung die Stimme des Unternehmens oder eine Stimme aus dem Unternehmen repräsentieren soll. Ausgewiesene Autor/innen werden hierfür sowohl formal, bezüglich der Inhalte als auch in der sprachlichen Gestaltung durch Guidelines unterstützt und geleitet. Das zeigt zugleich die institutionelle Bindung der Autor/innen, die in dem Kontext auch nicht durch die Bemühungen um eine individualisierte Kommunikation aufgehoben werden kann. Damit wird ein Spezifikum für Erzählungen von Unternehmen deutlich: Nämlich eine Erweiterung der Autorenlizenzen faktual verorteter Erzählungen, insofern die Implikation ,Produzent/in = Autor/in = eigenständige Perspektive‘ durch die institutionelle Einflussnahme eingeschränkt ist.

7.1.2.2 Rezipient/innen

Jemandem etwas zu erzählen ist eine kommunikative Handlung. Jede kommunikative Handlung setzt voraus, dass ein Gegenüber angenommen wird, das daran teil hat. Die ursprünglich binäre Unterscheidung aus der face-to-face Kommunikation in die ,Beteiligungsrollen‘ einzelner Sprecher/innen und Hörer/innen wird – wie bereits die Abhandlung über kollektive Sender/innen verdeutlicht – den heute möglichen Kommunikationssituationen mit mehreren Interaktionsteilnehmer/innen nicht mehr gerecht. Dynel (2011) positioniert sich beispielsweise in ihrer Überlegung zur Verortung von Fernsehzuschauer/innen in Talkshows kritisch zu der gängigen Praxis, Fernsehzuschauer/innen ausschließlich die Beteiligungsrolle von Hörer/innen zuzuschreiben. Die Kommunikationssituation ist komplex, da sie aus mindestens zwei Kommunikationsebenen besteht: a) die Ebene der handelnden „Darsteller/innen“ und b) die Kommunikationsebene zwischen Autor/innen und Zuschauer/innen. Während Fernsehzuschauer/innen auf der ersten Ebene die Rolle von Hörer/innen einnehmen, kommt ihnen auf der zweiten Ebene die Beteiligungsrolle von ratifizierten Rezipient/innen (Dynel 2011: 1629) zu – insofern als sie die eigentlichen Empfänger/innen der Kommunikation sind. In ihrer Argumentation beruft sich die Dynel auf die Beteiligungsrollen im Gespräch nach Goffman (1979). Er unterscheidet nicht nur die Rolle von Sprechenden und Hörenden, sondern differenziert die Rolle der Empfänger/innen weiter in a) ratifizierte Rezipient/innen und b) nicht-ratifizierte Hörer/innen. Das Adjektiv ,ratifiziert‘ bezieht sich hierbei auf die Art und Weise, wie ein/e Sprecher/in – oder im hiesigen Kontext ein/e Produzent/in – die Empfänger/innen positioniert. 2015 wendet die Autorin zusammen mit Chovanec ihre Überlegungen darüber hinaus auf interaktionale Beteiligungsstrukturen in den öffentlichen und sozialen Medien an. Chovanec und Dynel (2015: 4) begründen ihre Feststellung „any audience is automatically ratified“ damit, dass Sprecher/innen auf den „Bildschirmen“ ihre Botschaft in erster Linie an die Zuschauer/innen richten, schließlich sind die veröffentlichten Beiträge eigens für das breite Publikum hergestellt. Der Betrachtungsweise, Empfänger/innen der öffentlichen Medien genau genommen als ratifizierte Rezipierende zu verstehen, schließe ich mich an. Indem die Konsument/innen von Erzählungen zur imagefördernden (S)D als ,ratifiziert‘ gelten, kann ihnen im weitesten Sinne Einfluss auf die online präsentierten Erzählungen zugesprochen werden. Wie sich dieser Einfluss gestaltet, erläutere ich im Folgenden ausgehend von der Beteiligungsrolle ratifizierter Rezipient/innen.

Die Beteiligungsrolle ratifizierter Rezipient/innen differenziert Goffman weiter in die Kategorien von adressierten vs. nicht-adressierten RezpierendeFootnote 20. Die Unterscheidung in adressierte und nicht-adressierte Rezipient/innen ist ebenfalls für Erzählungen zu imagefördernden (S)D sinnvoll. Auch Unternehmen adressieren Rezipient/innen bewusst: Daher zuerst zu Einflussfaktoren auf die uRE durch adressierte Rezipient/innen. Dabei handelt es sich um einen von dem/der kollektiven oder individuellen Sender/in intendierten Empfängerkreis. Im Fachdiskurs ist das terminologisch an Substantiven wie Bezugsgruppe, Zielgruppe oder Anspruchsgruppe u. a. erkennbar (vgl. auch Fischer 2006: 51). Wie ich im vorausgegangenen Kapitel zur gesellschaftlichen Erwartungshaltung an Unternehmen dargelegt habe, setzen Unternehmen mithilfe des Internets gezielte Beobachtungsmaßnahmen ein, um die Außenwirkungen ihres Handelns und ihren Marktwert in der Öffentlichkeit zu verfolgen. Somit ist das Internet für Unternehmen nicht nur eine Veröffentlichungsplattform, sondern es verfügt ebenfalls über zahlreiche Daten (bekannt in der Diskussion um das Thema Big Data), durch deren Auswertung sie nachvollziehen können, ob und wie sie die adressierten Rezipient/innen mit ihren Kommunikationsmaßnahmen erreichen. Dabei stehen ihnen verschiedene Quellen zur Verfügung: 1) Im Internet können sich Menschen auf verschiedenen Plattformen über Unternehmen äußern. Diese zu beobachten fällt unter das sogenannte Social Media Monitoring oder Social Listening:

„Soical Media Monitoring bedeutet die Beobachtung relevanter Themen und Diskussionen für eine Organisation im Social Web. „Hierbei können vielfältige Ziele unterstützt werden: Dies reicht von der Unterstützung des Issues Managements, des Reputationsmanagements, des aktiven Kommunikationsmanagements über die Erfolgsmessung der eigenen Kommunikation bis hin zum Benchmarking.“ (Aßmann/Pleil 2014: 587)

2) Des Weiteren können Unternehmen auf ihren Social Web-Plattformen Kommentarfunktionen zulassen, die ein direktes Feedback zu einem Beitrag erlauben. 3) Zusätzlich bieten einzelne Internetplattformen (z. B. Facebook und Twitter) „sehr genaue Kennzahlen zur Erfolgsmessung“ (Aßmann/Pleil 2014: 588) der Unternehmenskommunikation an (Statistiken über die Anzahl von Fans/Followern, Anzahl der Besucher/innen, das Engagement der Nutzer/innen wie Likes, Shares, Kommentare u. a.). Diese Instrumente der Rezipientenbeobachtung erlauben es Unternehmen zu beobachten, inwieweit sie ihre adressierten Rezipient/innen erreichen. Mithilfe von Konzepten wie dem recipient design (Sacks 1992 [1971]) für sprachliche und dem audience design (Androutsopoulos 2014a) für audiovisuelle Repräsentationen können die Produzent/innen sich anhand der erhobenen Ergebnisse auf die relevante AdressatengruppeFootnote 21 einstellen. Der „text“-externe Einfluss auf die Erzählungen entsteht dadurch, dass durch das Monitoring der Rezeption Wissen über den Erfolg der Adressierung abgeleitet wird. Das wird dann hinsichtlich der Auswahl der Produzent/innen zur Konzeption und zur Be- und Überarbeitung der narrativen Veröffentlichungen angewandt.

Das Internet ist jedoch auch insbesondere aufgrund seiner großen Reichweite für Unternehmen attraktiv. Daher sind nicht nur adressierte Rezipient/innen für Unternehmen von Interesse, sondern ebenso nicht-adressierte Rezipient/innen, denn nur durch den Einbezug von nicht-adressierten Rezipient/innen ist die gewünschte Streuung der Unternehmensbotschaft mit einer großen Reichweite möglich. Vor diesem Hintergrund gilt: „the mass auditors are likely to be more important to a communicator than the immediate addressees” Chovanec/Dynel 2015: 4). Um auch nicht-adressierte Rezipient/innen zu erreichen, ist der Ort der Veröffentlichung von Bedeutung. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der „text“-externe Einfluss nicht-adressierter Rezipient/innen darin besteht, dass Unternehmen ihre Kommunikationsmaßnahmen auf bestimmte „Orte“ im Internet erweiternFootnote 22, um auch sie zu erreichen. Funktional gesehen stellt der Ort bestimmte Bedingungen an die Umsetzung der Erzählungen. Dafür müssen Unternehmen die Erzählungen den Vorgaben der jeweiligen Kommunikationsplattformen anpassen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Internetplattformen, die die Funktionen liken und sharen zulassen. Dadurch haben sich eigene Formen einer „mediated quasi-interaction“ (Chovanec 2010; 2011, nach Chovanec/Dynel 2011: 7) entwickelt. Eine solche vermittelte Quasi-Interkation entsteht, wenn

“the recipient status of the addressee changes: he or she can mediate the message further in a pass-along fashion to another recipient, the original addressee’s new addressee(s). Through the multiplication effect“ (Chovanec/Dynel 2015: 10).

Um nicht-adressierte aber ratifizierte Rezipient/innen einzubeziehen, eignen sich insbesondere die zwei Social-Media-Giganten Facebook und Twitter. Liket ein/e Rezipient/in einen Unternehmenspost, dann erscheint auf seiner/ihrer Pinnwand ein Hinweis darauf. So werden die Freund/innen der Person auf den Post aufmerksam und können ihn ebenfalls rezipieren und ggf. liken. Das kann sich endlos fortsetzen. Noch günstiger ist es für Unternehmen, wenn ein/e Rezipient/in einen Unternehmenspost teilt. In diesem Fall wird (je nach Benutzereinstellungen) die Community des/der Rezipient/in aktiv auf den Beitrag hingewiesen. Somit kommen auf diesem Weg ebenfalls ursprünglich nicht-adressierte aber ratifizierte Rezipient/innen mit der Unternehmensbotschaft in Berührung. Solche vermittelten Quasi-Interaktionen führen zu einer Art „Schneeballeffekt“, über den die Unternehmensmitteilungen in die Breite, zu ursprünglich nicht-adressierten aber ratifizierten Rezipient/innen gestreut werden. Um von dem Effekt zu profitieren, müssen Unternehmen jedoch ihre narrativen Praktiken inhaltlich und formal den jeweiligen Plattformen anpassen.

7.2 „Text“-interne Einflussfaktoren: inhaltliche Realisierungsoptionen

Unter „text“-internen Einflussfaktoren verstehe ich innergeschichtliche Merkmale, die aufgrund der strategisch ausgerichteten Kommunikationsmaßnahmen „text“-immanent sind, sich also im Erzähltext selbst abbilden (Gülich/Raible 1977: 47). Die Untersuchungsergebnisse verweisen darauf, dass aus der Menge aller Realisierungsoptionen für Erzählungen spezifische Möglichkeiten präferiert und adaptiert werden. Prinzipiell lassen sich in den Erzählungen zwei „text“-interne Einflussbereiche aufgrund von wiederkehrenden Merkmalen in den Daten beschreiben. Ein Bereich bezieht sich auf verfügbare Personen in Form der innergeschichtlich auftretenden AkteureFootnote 23. Das beinhaltet jegliche Personen, die innerhalb der Geschichte eine spezifische Funktion erfüllen. Eng damit verbunden sind – als zweiter Einflussfaktor – die Themenfelder, die nicht nur die Auswahl der Akteure bestimmen, sondern auch die Erzähltextinhalte prägen. In Hinblick auf das strategische Kalkül geschieht das dadurch, dass Themenfelder repräsentative Ereignisse anbieten, die verschiedenen Facetten der imagefördernden (S)D entgegenkommen. Mithilfe der Akteure sollen wiederum deren positive persönliche Eigenschaftsmerkmale auf die Entität Unternehmen übertragen werden. Daran wird nicht nur deutlich, dass die zwei Einflussfaktoren eng miteinander verbunden sind, sondern auch, dass es sich um keine „natürlichen“ Erzählungen handelt. Daher sind die Themenfelder und Akteure spezifisch für die erhobenen uRE zum Zweck der imagefördernden (S)D: sie stellen dadurch „text“-interne Einflussfaktoren dar.

Geht es um das weite Feld der Imagebildung sind insbesondere die Betriebs- und Wirtschaftswissenschaften engagiert. Sie bieten theoretische GrundlagenFootnote 24 an, die sich in den Erzählungen widerspiegeln. Die konkrete Umsetzung im produzierten „Endprodukt“ wird in der Praxis jedoch nicht unbedingt weiterverfolgt. Das verwundert auch nicht, da es sich um eine Schnittstelle mit den Sprach- und Literaturwissenschaften handelt und eine derartige Untersuchung daher nicht zwingend in den Zuständigkeitsbereich der Betriebs-/Wirtschaftswissenschaften fällt. Bezogen auf Erzählungen im Unternehmenskontext fühlen sich die angewandten Sprachwissenschaften insbesondere für konzeptuelle Aspekte der Erzählungen zuständig – beispielsweise die Frage nach Textsorten oder -gattungen oder bestimmte sprachliche Phänomene im Zusammenspiel mit den technisch gegebenen Kommunikationsbedingungen. Während sich die Literaturwissenschaften eher vereinzeltFootnote 25 mit diesem nicht belletristischen Themenbereich auseinandersetzen. Von Interesse ist aus diesem Grund insbesondere die Analyse darüber, welche Akteure auf welche Art und Weise innergeschichtlich Relevanz erhalten. Zwar wird die Bedeutung der ausgewählten Unternehmensrepräsentant/innen insbesondere in der Praktikerliteratur immer wieder hervorgehoben, auf die narrative Umsetzung wird dabei jedoch nicht näher eingegangen. Da die innergeschichtlich auftretenden Akteure von den jeweiligen Themenfeldern abhängen, widmet sich das folgende Unterkapitel dem „text“-internen Einflussfaktor der Themenfelder, die die Erzählanlässe und Ereignisse für die uRE bereitstellen. Daran schließt die Ergebnisdarstellung besonders einflussreicher „text“-intern auftretender Akteure in ihrem spezifischen Erscheinungskontext an.

7.2.1 Themenfelder in Erzählungen zur imagefördernden (Selbst)Darstellung

In Themenfeldern werden bestimmte Themen von Erzählungen hinsichtlich der Fragestellung, auf welchen gemeinsamen Aspekt der Welt sich die entsprechenden Erzähltexte vordergründig beziehen, zusammengeführt. Dazu müssen die innergeschichtlichen Inhalte Themen zugeordnet werden. Daraus können im nächsten Schritt gemeinsame thematische Bezugspunkte ermittelt und als ein gemeinsames Themenfeld bestimmt werden. Damit stellen diese Themenfelder grundlegende Bereiche der „Unternehmenswelt“ dar, auf die die erhobenen uRE referieren. In dem folgenden Kapitel gehe ich der Annahme nach, dass Unternehmen zur imagefördernden (S)D in ihren Erzählungen bestimmte Themenfelder bevorzugen. Die Grundlage für den allgemeinen Überblick bilden sowohl schriftliche wie auch audiovisuelle uRE aller erhobenen Internetplattformen.

7.2.1.1 Indikatoren für Themenfelder

Der Themenfeldbestimmung geht eine innergeschichtliche Themenbestimmung voraus. Für gewöhnlich finden sich im Text Themahinweise, die die Leser/innen darin unterstützen, den Mitteilungsgegenstand zu identifizieren. Zur Ermittlung von Themen und damit ebenso für die Ermittlung der Themenfelder sind Themaeinführungshinweise grundlegend, denn

„[s]ie heben […] aus der Vielfalt der in einem Text gegebenen Referenzen auf Welt bestimmte Referenzen heraus, aus denen sich die für einen Text wichtigen thematischen Stränge ergeben“ (Hausendorf/Kesselheim: 2008: 104).

Dadurch machen sie „die Beibehaltung und/oder die Entwicklung der fraglichen Referenz(en) erwartbar“ (ebd.). Zu den Themaeinführungshinweisen zählen Überschriften, die eine Referenz auf die Welt enthalten. Ihnen fällt die kommunikative Aufgabe des Thematisierens zuFootnote 26, indem sie die Erzählung vorbereiten und eröffnen (Gülich/Hausendorf 2000: 378). Zur Verdeutlichung ein Beispiel:

„Unternehmensgeschichte Daimler-Benz in der Zwischenkriegszeit: (1920–1933)“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_019_WS)

Einleitend kündigt die Überschrift neben der Textgattung ,Geschichte‘, das Themenfeld ,Unternehmensgründung und -entwicklung‘ an. Der Themaeinführungshinweis „Daimler-Benz in der Zwischenkriegszeit“ stimmt die Leser/innen auf die spezifisch inhaltliche Ausrichtung ,unternehmensexterner Herausforderungen‘ nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein (z. B. Zusammenbruch der Währung, zunehmende Konkurrenz, Verlust von Auslandsmärkten). Die Zeitangabe verortet das Geschehen dabei am Beginn der chronologisch geordneten Erzählabfolge innerhalb der gesamten Unternehmensgeschichte.

In schriftlichen Erzähltexten indizieren neben der Überschrift auch typografische Merkmale in den ersten Sätzen, was im Folgenden das Thema der Erzählung beinhaltet (Fokus-Hinweise, Hausendorf/Kesselheim 2008: 109). In dem folgenden Beispiel ist es die durchgängige Großschreibung des Signalwortes. Andere Möglichkeiten sind die Veränderung der Schriftgröße, -farbe oder -art.

„Ab in den Flieger. Ziel: Flughafen Köln Bonn und mit anschließender S-Bahn zu den Kölner Messehallen. Es war endlich wieder LEAVE YOUR MARK-Zeit!“ (Dt. Telekom, Blog.Telekom, 2015-12-01. Korpusquelle: DTKOM_823_WB)

Die Hervorhebung ,LEAVE YOUR MARK-Zeit‘ legt den thematischen Rahmen der Erzählung fest, indem die retrospektiv aufgenommenen Ereignisse in einem thematisch eingegrenzten und spezifischen Zeitraum verortet werden. Hilfreich ist es für die Leser/innen, wenn ihnen der semantische Gehalt des Signals geläufig ist und sie wissen, dass sich dahinter eine Human Ressource-Aktion der Deutschen Telekom zur Mitarbeiterwerbung verbirgt.

Insbesondere umfangreiche schriftliche Erzählungen (z. B. Blogerzählungen oder Unternehmensgeschichten) verfügen neben einer allgemeinen Überschrift über Zwischenüberschriften, die die Gesamterzählung in Erzählsequenzen gliedern und in diesem Zug auf Unterthemen verweisen. Die einzelnen Erzählabschnitte oder -sequenzen innerhalb einer Geschichte müssen nicht immer ein Unterthema beinhalten. Hinsichtlich der erhobenen Daten ist zu beachten, dass die Erzählungen nicht nur schriftlich oder mündlich, sondern auch bezüglich der narrativen Konzeption unterschiedlich realisiert sind (siehe Kap. 9). Häufig ist damit verbunden, dass in einem Erzähltext neben einem Unterthema neue Themen aufgenommen werden. Das muss nicht unbedingt mithilfe einer (Zwischen-)Überschrift umgesetzt werden (z. B. in audiovisuellen Erzählmontagen von figurierten Mitarbeiter/innen, siehe Abschn. 7.2.2.1). In diesen Fällen signalisieren dann visuelle Signale (z. B. Auf-/Abblende) den Beginn einer neuen Erzählsequenz, die oftmals mit einem Themenwechsel einhergeht. In diesen Fällen sind die einleitenden Sätze in Kombination mit visuellen Signalen bedeutend, da sie im Sinne situierender Elemente ein weiteres oder neues Referenzobjekt einführen. Zur Illustration folgt ein Beispiel von Rewe, das mittels audiovisueller Montage zusammengeführt wurde. Zu Beginn erzählt ein kurdischer Rewe-Kaufmann, dass er als Kind ohne Eltern nach Deutschland flüchtete, schon sehr bald in Deutschland am Schulunterricht teilnahm, allen Herausforderungen zum Trotz in Heidelberg Medizin studierte und bis auf das Examen alle Voraussetzungen für den Abschluss des Studiums erfüllt. Sein Traum ist es, eines Tages das medizinische Abschlussexamen zu machen und möglicherweise als Rewe-Kaufmann und Mediziner zu arbeiten. Der folgende Transkriptausschnitt beginnt mit dem Ende dieser Erzählsequenz, der eine thematisch neu orientierte Erzählsequenz durch einen visuellen Schnitt angefügt wird (markiert mit einem Pfeil):

figure a

Der Erzähler wechselt aufgrund der Montage thematisch von dem autobiografischen Erzählabschnitt (Thema: Flucht und persönliche Entwicklung in Deutschland) zu einem Aspekt seiner derzeitigen Tätigkeit als Rewe-Kaufmann. Die erste Zeile im neuen Erzählabschnitt (Z. 72) gibt anhand des Signalworts ,soziales Engagement‘ den Hinweis darauf, dass nun in dem kommenden Abschnitt soziale Initiativen des Kaufmanns das neue Thema bilden. Diese sozialen Initiativen sind gesamtgesellschaftlich ausgerichtet und wenden sich an Kindergärten, Sportvereine usw. Im Zusammenspiel mit dem visuellen Kontextualisierungssignal ,Einspieler‘, in dem der Erzähler durch die Gänge eines Supermarktes schlendert, wird der Themenwechsel von seiner Vergangenheit hin zu seinem jetzigen sozialen Engagement vorgenommen. Die Überleitung zu neuen Themenfeldern in Bewegtbilderzählungen erfolgt unvermittelt. Die erste Äußerung oder der erste Satz sind daher für die Orientierung der Rezipient/innen notwendig, damit sie die Sequenzen im Gesamtzusammenhang der Erzählung erfassen. Darüber hinaus vermittelt die Realisierungsform ein Gefühl von Dynamik und den Eindruck, dass nur Relevantes aus der ursprünglich aufgenommen Erzählung zur Sprache kommt.

7.2.1.2 Inhaltliche Elemente der Themenfelder

Insgesamt sind vier Themenfelder für die Erzähltextinhalte der erhobenen uRE gegeben:

  • Ausbildung / Arbeitsplatz

  • Aktuelle Informationen / Öffentlichkeitsarbeit

  • Unternehmensgründung / Unternehmensentwicklung

  • Unterhaltende Anekdoten: außerordentliche Ereignisse

Bezeichnend für die Themenfelder ist, dass sie mit unterschiedlichen Erzählanlässen befüllt werden können. Krüger verweist darauf, dass die Anlässe für Erzählungen von Unternehmen vielfältig sind (Krüger 2015: 128). Doch welche sich in der Praxis tatsächlich herausgebildet haben, ist m. W. bisher an empirischen Daten nur für spezifische Bereiche untersucht worden (z. B. Unternehmensgeschichte, Schach 2016). Die folgende Ausführung ergänzt den Bereich um Themenfelder, die die Unternehmen in den untersuchten uRE für eine narrative (S)D ausschöpfen.

In den Daten zeigt sich, dass die Inhalte bestimmter Themenfeldern mit anderen Themenfeldern überlappen können. In der folgenden Abbildung visualisieren die Kreise die vier Themenfelder. Dabei überschneiden sich jene Kreise, deren Themenfelder sich aufgrund der Erzähltextinhalte bevorzugt verbinden. Dass sich die Kreise auch in der Mitte, in deutlich geringerem Maße überlagern, bedeutet, dass durchaus auch Überlappungen mit anderen Themenfeldern möglich sind; nur in den erhobenen Daten nicht in dem selben Ausmaß. In den folgenden Unterkapiteln stelle ich die vier Themenfelder vor und exemplifiziere anhand prägnanter Daten, wie die Unternehmen die Themenfelder inhaltlich gestalten (Abb. 7.3).

Abb. 7.3
figure 3

Ermittelte Themenfelder und spezifische inhaltliche Überlagerungen in den erhobenen uRE

7.2.1.2.1 Themenfeld ,Ausbildung/Arbeitsplatz‘

Das im Korpus am umfangreichsten vertretene Themenfeld ist das Feld ,Ausbildung/Arbeitsplatz‘. Das ist insofern nicht verwunderlich, da Unternehmen im Rahmen der Personalsuche deutlich auf Mitarbeitererzählungen setzen, wie ich später in Abschnitt 7.2.2.1 zu Mitarbeiterkampagnen ausführlich erläutern werde. In dem Themenfeld ,Ausbildung/Arbeitsplatz‘ geht es in weiten Teilen darum, dass Mitarbeiter/innen ihre Erfahrungen mit den Unternehmen schildern. Diese Erzähltexte beziehen sich darauf, Fragen potenzieller Mitarbeiter/innen zu beantworten. Eine zentrale Frage ist, wie Mitarbeiter/innen zu ihrem Beruf kamen (Berufswahl). Hierzu eine Erzählsequenz aus einer audiovisuellen Mitarbeitererzählung von Daimler:

figure b

In Erzählungen zu diesem Thema geht es – wie auch in dem zitierten Beispiel – um Ausschnitte aus der Biografie von Mitarbeiter/innen. Die Berufswahl beruht entweder auf einer seit langem gehegten Begeisterung für den Arbeitsgegenstand (z. B. Autos), auf Vorbildern (z. B. ein Familienmitglied ist bereits ein Teil der Unternehmensgemeinschaft) oder auf einer „Schicksalsfügung“ (obiges Bsp.). In dem eingeführten Beispiel indiziert der zweite Teil des Konditionalsatzes eine Hypothese, die darauf beruht, dass das Antezedens (nicht in dem jetzigen Beruf zu sein) zutrifft. Um die andersartige Entwicklung zu begründen, greift die Erzählerin auf die Kausalität einer Ereignisabfolge aus ihrer Vergangenheit zurück (zu jung für den ursprünglichen Berufswunsch → Abitur → Elektrostudium). Der Sequenzabschluss, in dem die Sprecherin eine positive Bewertung ihrer jetzigen Situation ausspricht, ist gerade für uRE zur imagefördernden (S)D von Unternehmen bezeichnend.

Ebenfalls in das Themenfeld gehören Erzählsequenzen, die auf die Frage antworten, warum sich ein/e Mitarbeiter/in für ein Unternehmen entschieden hat (Wahl des Unternehmens). Die Inhalte kommunizieren die Begeisterung für die Arbeit oder die Produkte, das Identifikationspotenzial, die positive Bewertung des Unternehmens durch andere und besondere Merkmale des Arbeitgebers (z. B. Tradition, Innovationen).

Daneben erzählen Mitarbeiter/innen von beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und (Aufstiegs-)Chancen, die sie wahrgenommen haben. Das trifft verstärkt für Erzählungen rund um die Ausbildung und den Berufseinstieg zu. So auch in dem nächsten Beispiel von dem Corporate Blog der Deutschen Telekom:

Kultur, Küste, Kava – Auslandseinsatz in Kroatien

„Fremdes Land, fremde Leute, fremde Kultur, fremde Sprache – wow, hätte ich über diese Dinge vor 1,5 Monaten nachgedacht hätte ich wahrscheinlich mehr Zweifel gehabt, als ich an einem frühen Sonntagmorgen Ende Mai in den Flieger nach Kroatien gestiegen bin. Zum Glück habe ich es nicht, es gab und gibt nämlich keinen Grund für Zweifel. Und so sitze ich hier, in der Zentrale von Telekoms kroatischer Tochtergesellschaft, Hrvatski Telekom, und genieße die Aussicht über Zagreb und Sljeme, das kleine Gebirge nördlich der kroatischen Hauptstadt. […]“ (Dt. Telekom, Blog.Telekom, 2016-07-12. Korpusquelle: DTKOM_836_WB)

Der Erzähler geht in seiner Erzählung darauf ein, dass sein Unternehmen die Möglichkeit bietet, internationale Erfahrungen sammeln zu können. In den Daten wird diese Option vermehrt thematisiert. Ebenfalls gehen die Erzähler/innen auf ihre Erfahrungen und Erlebnissen in spezifischen Förderprogrammen (z. B. Yolante- oder Topas-Programm von Siemens), Workshops oder Exkursionen ein:

Auf Erkundung mit den REWE-Naschkatzen

„Die Azubis der REWE DORTMUND durften während „Fred Ferkel“ frisch produziert wurde in die Produktion hereinschnuppern. Und was noch viel besser war: Wir durften auch einige Kleinigkeiten naschen“ „Hmmm … riecht das lecker hier!“ dachten wir Azubis uns, als wir die Produktion von Katjes betraten. […].“ (Rewe Dortmund, Blog, o. J. Korpusquelle: REWE_337_WB)

Insbesondere Auszubildende (Werkstudent/innen, Praktikant/innen) flechten in ihre Erzählungen Beschreibungen von ausbildungs- und berufsspezifischen Tätigkeiten ein. Dabei erzählen sie im Rahmen des Themas ,Arbeitsumfeld‘ auch von ihrem Erleben im zwischenmenschlichen Umgang mit den Unternehmensmitgliedern:

figure c

Erzählungen von bereits länger beschäftigten Mitarbeiter/innen beziehen sich dagegen auf Themen wie ,Veranstaltungsangebote‘ (z. B. Weihnachtsfeiern oder Familientag im Unternehmen) sowie auf ,Unterstützungsangebote‘ für Mitarbeiter/innen, z. B. in Form eines genommenen Sabbaticals oder von Programmen für Mitarbeiter/innen, die nach dem Eintritt in das Rentenalter weiter arbeiten möchten (z. B. Senior Expert Programm bei Bosch oder Daimler). Es geht im Sinne der (S)D darum, eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Können, Fleiß und Wissen der länger beschäftigten Angestellten auszudrücken.

Darüber hinaus beinhaltet das Themenfeld ,Ausbildung und Arbeitsplatz‘ ,Mitarbeiterportraits‘ von etablierten Mitarbeiter/innen. Dabei geht es um die Gestaltung der eigenen Karriere und den beruflichen Werdegang mit den entsprechenden Aufgabenbereichen (wie beispielsweise beim kurdisch-stämmigen Rewe-Kaufmann zu Beginn dieses Unterkapitels).

7.2.1.2.2 Themenfeld ,Aktuelle Informationen und Öffentlichkeitsarbeit‘

Ebenfalls inhaltlich umfangreich besetzt ist das Themenfeld zu ,aktuellen Themen und Öffentlichkeitsarbeit‘. Inhaltlich ist das Themenfeld mit Erzählungen rund um Informationsveranstaltungen für potenzielle Mitarbeiter/innen und Kund/innen besetzt. URE über Informationsveranstaltungen für Schüler/innen oder Studierende handeln von Berufsinformationsaktionen. Erzählanlässe aus diesem Bereich sind unternehmensübergreifend sehr ausgebaut. Hierbei handelt es sich entweder um tradierte eigene Veranstaltungsformate wie die Leave Your Mark-Tour der Deutschen Telekom oder die Think Big-Tour mit Telefonica Deutschland sowie um die Teilnahme von Unternehmen an Messeveranstaltungen (z. B. Go for Hightech auf der Hannover Messe von Bosch). In beiden Veranstaltungsformaten geht es darum, Schüler/innen und Studierende für die Arbeit in den Unternehmen zu begeistern. Im Falle der Think Big- oder Leave Your Mark-Tour begleiten ausgewählte Personen verschiedene Aktionen und erzählen darüber in den sozialen Medien. Wie dieser von der Deutschen Telekom engagierte Social Media Manager:

„Vor ca. drei Wochen bekam ich eine Mail, die mir ein riesiges Lächeln ins Gesicht gezaubert hat. Die Telekom möchte mich als Blogger für die „Leave your Mark“-Kampagne 2014 ins Boot holen. Nach einigen Mails und einer Web Conference ging dann alles ganz schnell. Ich bin an Bord!“ (Dt. Telekom, Corporate Blog. Korpusquelle: DTKOM_824_WB)

Ausführliche uRE der Blogger/innen darüber befinden sich auf Aktionswebseiten und Corporate Blogs. Daneben bedienen die Blogger/innen mit einzelnen Posts Twitter und Facebook. Die ausführlichen schriftlich realisierten und fotografisch ergänzten Erzählungen auf den Blogs sind teilweise mit audiovisuellen Beiträgen (z. B. Videotagebücher) angereichert. Die Blogger/innen begleiten die gesamte Tour und erzählen aus ihrer Erlebnisperspektiv in chronologischer Abfolge von den verschiedenen Stationen.

Erzählanlässe zu Informationsveranstaltungen beinhalten nicht nur Recruitingveranstaltungen, auch über Veranstaltungen für Kund/innen wird in uRE erzählt. In dem Korpus sind solche uRE jedoch nicht so häufig. Darunter fällt beispielsweise die Teilnahme an Fachmessen wie der Internationalen Automobil-Ausstellung oder dem Dortmunder Herbst (= Verbrauchermesse).

Zu dem Themenfeld ,aktuelle Informationen und Öffentlichkeitsarbeit‘ gehören auch Erzählanlässe, die von dem Leistungsangebot eines Unternehmens handeln. Darunter fallen die Telekom-Netz Touren, wie beispielsweise die Elbe Blogger. Auf der Tour bereisen zwei Blogger die Regionen an der Elbe entlang der deutsch-tschechischen Grenze bis zur Insel Neuwerk. Getreu dem Unternehmens-Claim halten sie fest: Wir wollen auf dieser Reise zeigen, wie das Netz der Deutschen Telekom die Menschen verbindet (Dt. Telekom, Blog.Telekom, 2015-05-26). Auch in diesen Fällen erzählt ein eigens engagierte Blogger zusammen mit Vertretern aus der PR-Abteilung des Unternehmens auf mehreren Plattformen der sozialen Medien über die besuchten Stationen und damit verbundene Geschichten rund um den Netzausbau. Auf diese Weise rufen sie vergangene Herausforderungen (z. B. das Elbehochwasser) und innovative, aktuelle Leistungen (LTE-Ausbau) des Unternehmens den Rezipient/innen ins Bewusstsein. Ebenfalls in dieses Themenfeld fallen Erzählserien z. B. über Zulieferer im Lebensmittelhandel. Die Rewe startete eine Erzählserie, in der das Unternehmen einige Lebensmittelzulieferer (wie einen Gemüsebauer, einen Eierfarmbesitzer oder einen Hausmetzger) ganz persönlich anhand ihrer Lebensgeschichte vorstellte. Die Lebensgeschichte ist in der Erzählung deutlich am jeweiligen Produkt ausgerichtet und mit persönlichen Details und familiären Hintergründen der Personen angereichert. Aufgrund der Umsetzung verliert sich der werbliche Charakter für das Produkt, da das Produkt zum Leben der Betreffenden avanciert. Ähnlich verhält es sich auch bei dem Elektrotechnologieunternehmen Bosch. Auch in einer Erzählung von Bosch wird die Anwendung von einer besonderen Boschtechnik (Stromspeicher für Windkraft) mit dem Engagement der Bewohner/innen des norddeutschen Dorfes Braderup in Sachen Energiewende verbunden. So sind auch hier das Leistungsangebot des Unternehmens und persönliche Elemente von Betroffenen verbunden. Die uRE ist darauf ausgerichtet, auszuführen, welche Möglichkeiten das Unternehmen der Gesellschaft mit seinem Wirken eröffnet.

Von besonderer Bedeutung für die (S)D von Unternehmen ist ihr Engagement im Sinne der Umweltpflege sowie ihre Unterstützungsmaßnahmen für kulturell und sozial ausgerichtete Projekte. Erzählungen aus diesem Bereich summiere ich ebenfalls unter das Themenfeld ,aktuelle Themen und Öffentlichkeitsarbeit‘. Sie beinhalten Initiativen, die sowohl im In- wie Ausland wirken. Diese sollen Menschen zugutekommen, die gesamtgesellschaftlich als unterstützenswert erachtet werden. Das betrifft in dem Erhebungszeitraum vor allem Kinder und Geflüchtete. Die Initiative geht in den Erzählungen entweder von dem Unternehmen allgemein oder einer Gruppe von Unternehmensmitgliedern aus. Das soziale Verhalten der Mitarbeiter/innen steht symbolisch für die Einstellung des Gesamtunternehmens:

Flüchtlingshilfe: Es sind die kleinen Dinge

„Wir, das sind engagierte Mitglieder des Mitarbeiternetzwerkes Arab Business Circle of Daimler, haben uns im Fastenmonat Ramadan zum gemeinsamen Fastenbrechen getroffen. […] Da kam uns die Idee – und wir hatten auch das Bedürfnis zum Fest am Ende des Fastenmonats Ramadan – Stuttgartern Flüchtlingskindern Freude zu schenken. […]“ (Daimler, Daimler-Blog, 2015-09-01. Korpusquelle: DAIMLER_071_WB)

In diesem Beispiel weist die Überschrift explizit auf das Thema ,Flüchtlingshilfe‘ hin und nimmt genau den Aspekt, dass auch im Kleinen ein großer Wert liegt, mit der rhetorischen Figur der Aposiopese auf – [e]s sind die kleinen Dinge. Die Aposiopese oder auch phatische Ellipse zeichnet sich dadurch aus, dass „[d]er Sprecherplan […] nur bis zu dem Punkt in der Verbalisierung umgesetzt [wird], an dem der Hörer seine Rekonstruktion durch Abfrage seines Wissens bzw. Inferenzen selbst vollenden […] kann“ (Zifonun et al. 1997: 430). Die Sentenz kann sinngemäß mit den Worten beendet werden, dass es die kleinen Dinge sind, die etwas zählen oder wertvoll sind. Der Abbruch verstärkt nicht nur den Inhalt, sondern symbolisiert auch die damit verbundene Emotionalität, die im Schweigen zum Ausdruck kommt. Der Erzählanfang betont aufgrund der Personalpronomen die „Wir“-Gemeinschaft und hebt die Mitarbeiter/innen als die Ausführenden der Aktion hervor.

Neben dem sozialen Engagement ist auch die Unterstützung der Umwelt im Rahmen der ,aktuellen Themen und Öffentlichkeitsarbeit‘ von Belang. Neben Aktionen für einheimische Tiere (z. B. Störche, Falken) sind die Reinigung der Landschaft und die Pflege von Gewässern Thema. Diese Erzählungen sind meist weniger erlebnisorientiert, wie solche, die das soziale Engagement aufnehmen. Damit ist das Thema hinsichtlich seiner Umsetzung nahe an dem nächsten Thema, das sich auf unterhaltende Veranstaltungen für Nicht-Unternehmensmitglieder richtet. Hierbei handelt es sich um das kulturelle Engagement von Unternehmen. Allen voran engagiert sich E.ON in dem Bereich mit dem Festival of Lights. Das Festival steht für „künstlerisch hochwertige Inszenierungen von Wahrzeichen, Gebäuden und Plätzen mittels Licht-, Projektion- und Videokunst“ (E.ON, festival-of-lights.de, 2019-02-01). Ebenfalls unter das Thema kultureller Förderung fällt die Unterstützung von Gemeinschaftssport oder bestimmten Sportarten, wie Fußball, Marathonläufen oder Paralympicssponsoring.

Als letztes Thema aus dem Themenbereich ,aktuelle Themen und Öffentlichkeitsarbeit‘ sind Erzählungen rund um Gründergeburtstage oder bestimmte Jubiläen zu nennen. Das Thema bietet die Möglichkeit besondere Entwicklungsschritte auf Basis eines Vorher-Nachher-Vergleichs aufzugreifen. So auch in dem folgenden Ausschnitt:

100 Jahre Gießerei – ich bin seit 23 Jahren ein Teil davon

„Im Jahr 2013 feierte unsere Gießerei in Mettingen 100-jähriges Bestehen. In diesem Zeitraum hat sich hier einiges getan- und ich glaube, so viele Umwälzungen wie in den letzten 20 Jahren gab es vorher nicht. […]“ (Daimler, Das-Blog, 2014-12-06. Korpusquelle: DAIMLER_053_WB)

7.2.1.2.3 Themenfeld ,Unternehmensgründung und -entwicklung‘

Das dritte Themenfeld bezieht sich auf die Unternehmensgründung und -entwicklung. Es umfasst Inhalte, die in einer personalisierten oder entpersonalisierten Erzählung über die Unternehmen sowie den Anteil und Einfluss bestimmter Personen auf die Unternehmensgeschicke zum Tragen kommen. Beispielsweise befasst sich Daimler im Rahmen seiner Unternehmensgeschichte in der Rubrik ,Gründer & Wegbereiter‘ gesondert mit Erzählungen zu solchen Personen. Das wohl bekannteste Beispiel in der Rubrik handelt von Bertha Benz‘ Einflussnahme auf die Unternehmensentwicklung:

„Bertha Benz hat an der Entwicklung des Automobils entscheidenden Anteil. Sie unterstützt Ihren [sic!] Mann Carl Benz nach Kräften und glaubt wie er fest an die Zukunft des Automobils. […] Bertha Benz will und kann nicht länger mit ansehen, wie ihr Gatte unter der Verweigerungshaltung der Bevölkerung leidet und macht sich kurzerhand ohne Wissen mit Motorwagen und Nachwuchs auf in Richtung Pforzheim […]“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_024_WS)

In dem abschließenden Satz der Erzählung Bertha Benz und ihre Söhne haben somit entscheidenden Anteil an dem folgenden Siegeszug des benzinbetriebenen Automobils wird die zunehmende gesellschaftliche Akzeptanz für das neue Fortbewegungsmittel ihrem Handeln zugeschrieben. So ist sie zwar nicht explizit in die Unternehmensgründung und -entwicklung involviert, doch ist ihre Geschichte eng damit verbunden. Gerade wenn ein Unternehmen auf eine lange Entwicklungszeit zurückblicken kann, ist das ein Möglichkeit die Unternehmensgeschichte zu unterteilen und zu entzerren.

Das Unternehmen Bosch betreibt aufgrund seiner umfangreichen Geschichte einen eigenen History Blog. Auf der Seite werden die Themen nach spezifischen Errungenschaften des Firmengründers und Errungenschaften, die das Unternehmenskollektiv bewirkt, differenziert. In beiden Bereichen wird das Thema ,besondere Verdienste‘ aufgenommen. Das betrifft im Fall von Robert Bosch die Einstellung des Gründers zum gesellschaftlichen Allgemeinwohl. Seine Handlungen in dem Bereich sind mit dem Unternehmen verbunden, insofern der darüber ausgedrückte, ganzheitliche Denkansatz implizit als ursächlich für das stetige Wachstum des Unternehmens steht:

„Am 28. April 1940 ging für Robert Bosch ein Herzenswunsch in Erfüllung. Das von ihm gestiftete homöopathische Krankenhaus in Stuttgart wurde feierlich eröffnet. […] Heute ist das Robert-Bosch-Krankenhaus mit rund 1030 Betten nicht nur eines der größten, sondern auch bestausgestatteten Krankenhäuser der Region. Spitzentechnologie ist zwar unverzichtbar für viele erfolgreiche Behandlungen, aber der Mensch steht – ganz im Sinne Robert Boschs – im Vordergrund. Sein ganzheitliches Denken ist im RBK zur Selbstverständlichkeit geworden.“ (Bosch, Corporate Blog, o. J. Korpusquelle: BOSCH_485_WB)

Die Erzählung nimmt den besonderen gesellschaftlichen Verdienst von Robert Bosch auf; nämlich, dass er den Grundstein für das heute größte und am besten ausgestattete Krankenhaus in der Region mit Spitzentechnologie gelegt hat. Abgesehen davon, dass die Robert Bosch Stiftung das Krankenhaus nach wie vor fördert. Die Verbindung zwischen dem damaligen Verhalten des Gründers und dem heute existierenden Unternehmen entsteht dadurch, dass Robert Boschs fortschrittlicher Grundgedanke den Mensch in den Vordergrund stellt und ganzheitliche Lösungsansätze präferiert werden, als abschließendes Selbstverständnis und als Leitwert des heutigen Unternehmens kommuniziert wird.

Ein verwandtes Thema ist das Thema ,(besondere) Erfindungen’. Auch hier wirken Handlungen von Unternehmen und/oder ihren Gründern zum Wohle der Gesellschaft. Da der Antrieb für Erfindungen in erster Linie darauf beruht, das Unternehmen voranzubringen, zählt das Thema ebenfalls in das Themenfeld der ,Unternehmensgründung und -entwicklung‘. Ein Beispiel dafür ist in der Unternehmensgeschichte von Siemens zu finden:

„Noch ist es eine vage Idee, aber Werner von Siemens ahnt, dass er auf der richtigen Spur ist. Und dass seine Forschung bahnbrechend werden könnte. Er arbeitet an einem leistungsfähigen Generator, der ohne die bisher nötigen Hilfsstromquellen auskommt. Es glückt! 1866 konstruiert Werner von Siemens die “Dynamomaschine”, den Wegbereiter moderner Großgeneratoren. Die Dynamomaschine: Sie wird die Welt verändern. […]“ (Siemens, U.-Homepage/Siemens Historical Institute, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_588_WS)

Das Adjektiv bahnbrechend, der Exklamativsatz Es glückt!, das Substantiv Wegbereiter und letztlich die Aussage Sie wird die Welt verändern verweisen auf das gesamtgesellschaftliche Potenzial der Erfindung. Für das Unternehmen selbst liegt die Bedeutung der Erfindung darin, dass es sich durch sie zu einem transnational agierenden Technologieunternehmen entwickelt kann.

Spezifische Erfindungen, die Bestandteil einer Erzählung darstellen, sind für gewöhnlich mit der Gründerperson verbunden. Kann ein Unternehmen narrativ auf eine Gründerperson referieren, besteht die Möglichkeit biografische Aspekte als Begründungszusammenhang für die Unternehmensgründung und -entwicklung einzubeziehen. Daher bilden Ausschnitte aus der Biografie der Gründer ebenfalls ein Thema, das in den Themenbereich fällt. Zur Veranschaulichung ein Abschnitt aus der Unternehmensgeschichte von Bosch:

„Albeck bei Ulm: Hier wird Robert Bosch am 23. September 1861 geboren. Seine Eltern bewirtschaften einen Bauernhof mit Gastwirtschaft. […] 1876 beginnt Robert Bosch seine Lehre als Feinmechaniker in Ulm. Er ist mit der Lehre sehr unzufrieden und legt deshalb später größten Wert auf eine solide und anspruchsvolle Ausbildung. […]. Im Mai 1884 geht Robert Bosch in die USA – mit 22 Jahren. […] Nach seiner Rückkehr gründet Robert Bosch am 15. November 1886 in Stuttgart sein Unternehmen – aus der kleinen Werkstatt mit zwei Mitarbeitern wird ein Weltunternehmen mit rund 300.000 Beschäftigten, mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz und Fertigungsbetrieben rund um den Globus […]“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: BOSCH_467_WS)

In diesem Beispiel dient der biografische Ausschnitt zur Einleitung und Begründung dafür, die Entwicklung der Firma Bosch mithilfe der Mitarbeiterzahl von damals und heute zu belegen. Als Einflussfaktor dafür wird die Unzufriedenheit des Gründers mit seiner Ausbildung benannt. Das habe Bosch damals veranlasst und veranlasst das Unternehmen heute noch, seinen Mitarbeiter/innen eine solide Ausbildung zu ermöglichen. Daraus gehen wiederum neue Mitarbeiter/innen hervor, deren Anzahl einen Vergleichswert für das Unternehmenswachstum anbieten.

Erzählungen, die zum Themenfeld ,Unternehmensgründung und -entwicklung‘ zählen, müssen nicht unbedingt an eine Person gebunden sein. Ein Thema, das vorrangig auf das Unternehmen an sich referiert, sind gemeisterte HerausforderungenFootnote 27. Dabei handelt es sich beispielsweise bei lang etablierten Unternehmen (z. B. VW oder Daimler) um das Überleben während und nach Kriegszeiten. Jüngere Unternehmen nehmen das Thema in der Unternehmensgeschichte zum Beispiel anhand bewältigter „Schicksalsschläge“ auf, wie der folgende Ausschnitt aus der Unternehmensgeschichte der Dt. Telekom demonstriert:

„Im August 1998 kam es in Reutlingen zum bisher größten Netzausfall in der Geschichte des deutschen Festnetzes. In der zentralen Vermittlungsstelle der Telekom brach ein Feuer aus, zerstörte die Vermittlungsstelle und legte damit 48.000 Telefonanschlüsse im Stadtgebiet von Reutlingen lahm. Die Telekom reagierte sehr schnell und hat schon kurz nach dem Ausfall die Notrufe und Sicherheitssysteme wieder ans Netz angeschlossen.“ (Dt. Telekom, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DTKOM_806_WS)

In diesem Ausschnitt meistert das Unternehmen als Agens die Katastrophe und keine einzelne Person. Der Brand ist ein einschneidendes Ereignis, das im Bereich der Unternehmensentwicklung veranschaulicht, wie das Unternehmen sich fortentwickelt hat, damit es der Herausforderung Herr wird. Inhaltliche Indikatoren hierfür sind eine sehr schnelle Reaktionszeit und die ausgeführte Handlung, das Sicherheitssystem zuverlässig stabilisiert zu haben.

Neben einschneidenden Ereignissen im Themenfeld der ,Unternehmensgründung und -entwicklung‘ wird die Entstehung von Unternehmenssymbolen thematisiert. So bindet Daimler in die Unternehmensgeschichte ein, wie das allseits bekannte Emblem (der Mercedes-Stern), entstand:

„Die Geschichte des Mercedes-Sterns und jene des Lorbeerkranzes von Benz beginnen – unabhängig voneinander – 17 Jahre vor der Fusion.“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_025_WS)

Volkswagen rückt dagegen sein charakteristisches Produkt für die Unternehmensentwicklung in den Vordergrund:

„Den größten Triumph feierte Volkswagen in heimischen Gefilden, wo der Käfer in den 1950er Jahren zum Signum des Wirtschaftswunders aufstieg.“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_396.4_WS)

Ein abschließendes, grundlegendes Element des Themenfelds beinhaltet das Thema Unternehmensgründung selbst. Ältere Unternehmen nutzen hierfür den Gründermythos (siehe hierzu Abschn. 7.2.2.2), während jüngere Unternehmen Unternehmensfusionen anführen, wie beispielsweise das Unternehmen Energie Baden-Württemberg (EnBW):

„Die Geburtsstunde der EnBW Energie Baden-Württemberg AG datiert auf den 20. August 1997: Das Badenwerk aus Karlsruhe und die Energie-Versorgung Schwaben (EVS) aus Stuttgart fusionieren.“ (EnBW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: EnBW_693_WS)

Die Gründung der EnBW beruht auf dem Zusammenschluss zweier anderer Unternehmen. Wie es dazu kam, nimmt die Unternehmensgeschichte anhand der damaligen Energieversorgung und der damit einhergehenden geforderten Elektrifizierung des Landes auf.

Das vierte und letzte Themenfeld, das in den Daten identifiziert wurde, bezieht sich auf weitere außerordentliche Ereignisse, die nicht den drei anderen Themenfeldern zuzuordnen sind.

7.2.1.2.4 Themenfeld ,Unterhaltende Anekdoten: außerordentliche Ereignisse‘

Anekdoten, die auf außerordentlichen Ereignissen beruhen, beinhalten Begebenheiten, die die Unternehmen nicht selbst initiiert haben. Sie sollen unterhalten und rücken gewünschte Merkmale der Unternehmen – meist auf humorvolle Art – in ein positives Licht. Da Unternehmen in diesem Themenfeld darauf angewiesen sind, dass so ein außerordentliches Ereignis stattfindet und die PR-Abteilung davon in Kenntnis gesetzt wird, ist das Themenfeld nicht so umfangreich wie die drei vorausgegangenen. Was unter einem außerordentlichen Ereignis zu verstehen ist, illustrieren die zwei folgenden Beispiele. Das erste ist der Beginn einer Corporate Blog-Erzählung der Dt. Telekom:

„Telekom-hilft und der Plüschesel

Mit einem ganz und gar nicht alltäglichen Kundenfall hatte Telekom-hilft Anfang Januar zu tun. Unser Kollege Kevin musste in diesem Fall mal nicht eine klassische Anfrage zu Anschluss, Tarif oder Störung bearbeiten, sondern sich einem sehr menschlichen Fall widmen, den er gerne gelöst hat. Und er musste feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, bei der Telekom einen Esel zu finden ;-)“ (Dt. Telekom, Blog.Telekom, 2015-01-19. Korpusquelle: DTKOM_839_WB)

Die Einleitung verweist darauf, dass die Geschichte von einem sehr menschlichen Fall handelt, den ein Telekom-Mitarbeiter bereitwillig und engagiert in die Hände nimmt. Im letzten Satz baut die Verfasserin eine Pointe durch einen ambigen Satz ein: [u]nd er musste feststellen, dass es gar nicht so einfach ist, bei der Telekom einen Esel zu finden. Abschließend markiert sie den Satz mit einem zwinkernden Emoticon. Damit sollen schon die ersten Sätze den Unternehmensmitgliedern u. a. Merkmale wie Humor, individuell ausgerichtetes und erfolgversprechendes Handeln bescheinigen. Im Verlauf der Geschichte erfahren wir, dass ein Kind seinen Plüschesel verloren hat, der fünf Jahre zuvor ein Werbegeschenk der Dt. Telekom war. Der betroffene Mitarbeiter engagiert sich sehr, um so ein Plüschtierexemplar aufzutreiben. Mit der Hilfe weiterer Kolleg/innen über das Telekom Social Network gelingt es ihm. Die Geschichte endet mit einer glücklichen Kundin und deren Tochter die sich seeeehr gefreut habeFootnote 28. Weitere Erzählungen, die ebenfalls in das Themenfeld fallen, handeln bspw. davon, dass Tiere aus misslichen Situationen gerettet werden (z. B. „Eule Olli“ in Abschn. 9.3, „Wanderfalken-Küken“ in Abschn. 9.4) oder von heute spaßig anmutenden Erinnerungen an Vergangenes, wie in dem folgenden Beispiel von Daimler (Abb. 7.4):

Abb. 7.4
figure 4

Erzählung aus dem Themenfeld ,unterhaltsame Anekdoten: außerordentliche Ereignisse‘ (Daimler, Facebook, 2016-05-23. Korpusquelle DAIMLER_107_FB)

Erzählungen aus diesem Themenfeld sind auf allen Internetplattformen zu finden. Sie beziehen sich auf unvorhersehbare Ereignisse oder Missgeschicke, welche Unternehmensmitglieder meistern. In den meisten Fällen sollen sie die Rezipient/innen zum Schmunzeln bringen.

7.2.2 Innergeschichtlich auftretende Akteure im Dienst der imagefördernden (Selbst)Darstellungen

Grundlegend für eine Geschichte sind neben Erzählanlässen und zentralen Ereignissen diejenigen, die sie darstellen, erleben und gestalten: Also jene Akteure, die die Geschichte letztlich durch ihr Verhalten, ihr Handeln, ihre Einstellungen und ihre Anwesenheit ins Leben rufen. Diese Erkenntnis ist in der Erzählforschung unbestritten (Greimas 1971; Propp 1975; Wolf 2002; Fludernik 2006; Ryan 2006), auch wenn es Definitionen gibt, in denen die Akteure nicht explizit benannt werden (Prince 1982, Bordwell 1985). Unternehmensmitglieder, die uRE mit dem Ziel der imagefördernden (S)D kreieren, lassen zu diesem Zweck eine überschaubare Gruppe von innergeschichtlichen Akteuren auftreten. Entsprechend kristallisiert sich in den untersuchten Erzählungen ein „Personal“ heraus, das für die (S)D von Unternehmen bedeutend ist. Allerdings ist zu beachten, dass die erhobenen Geschichten des narrativen Vermittlungsvorkommens in unterschiedlichen Kontexten bestehen und sie unterschiedlich konzipiert sind, sodass diese Akteure nicht immer gleichermaßen an dem Geschehen in den uRE beteiligt sind. So knüpfe ich ihre Beschreibung an den Kontext, in dem ihr Auftreten von besonderem Interesse ist. Darüber veranschauliche ich, dass eine eingehende Beschreibung ihrer Gestaltung, die über ihre Benennung hinausgeht, nicht nur gerechtfertigt, sondern auch notwendig ist.

Grundsätzlich können die Akteure bezogen auf ihre Teilhabe am Geschehen als Hauptdarsteller/innen und Nebendarsteller/innen differenziert werden. Für gewöhnlich handelt es sich bei ihnen um menschliche Akteure. Speziell im Unternehmenskontext tritt jedoch auch das Unternehmen anthropomorph (Krüger 2015: 114; Schach 2016: 50) auf. Das bedeutet, dass einem Unternehmen menschenähnliche Eigenschaften zugewiesen werden, durch die es in der Geschichte als „handelnd“ dargestellt wird (z. B. Unternehmensgeschichten). Aus diesem Grund fasse ich dieses Phänomen als anthropomorphen Akteur, den ich im Falle von Unternehmenserzählungen unter die Gruppe der Hauptdarstellerinnen summiereFootnote 29. Bezogen auf menschliche Akteure aus der Gruppe der Hauptdarsteller/innen unterscheidet Herbst (2015) in erster Linie Personen aus dem Unternehmen – also Unternehmensangehörige – und Protagonist/innen (Herbst 2015: 93). Als Protagonist/innen bezeichnet er „Menschen, die das Unternehmen bei seinem Handeln und in seinen Plänen unterstützen“ (ebd.). Der Autor unterscheidet demnach zwischen Menschen aus dem Unternehmen (im Sinne ihrer Zugehörigkeit) und Protagonist/innen (im Sinne ihrer Handlungen). Da selbstverständlich auch Unternehmensangehörige ihr Unternehmen unterstützen können, nehme ich diese Unterscheidung nicht auf, sondern differenziere die Gruppe der Protagonist/innen in unternehmensinterne und -externe Protagonist/innen. So gehören die unternehmensexternen Protagonist/innen nicht zu den eigentlichen Mitarbeiter/innen, sondern sind bspw. Kund/innen oder Fans. Unter die handlungsbezogene Gruppe der Nebendarsteller/innen fallen zum einen sogenannte Platzhalter und zum anderen Nebenfiguren. Beide Gruppen stehen nicht im Mittelpunkt der Geschichte, sind aber dennoch unverzichtbar, da sie beispielsweise Schauplätze mitgestalten, Gemeinschaft in Form von Gruppenaktionen verbildlichen oder Meinungen und Eindrücke kundtun. Das können ebenfalls Unternehmensangehörige sein, die dann entsprechend nicht als unternehmensinterne Protagonist/innen agieren. Tritt eine Person aus der Anonymität eines Platzhalters heraus, wechselt sie von der Gruppe der Platzhalter in die Gruppe der Nebenfigur. (Herbst 2015: 93) In den erhobenen Daten ist das beispielsweise der Fall, wenn im Rahmen einer Social Responsibility Aktion eines Unternehmens, in der es darum geht, innerhalb des Betriebs Weihnachtsgeschenke für sozial schlechter gestellte Kinder zu organisieren, eines dieser beschenkten Kinder aus der anonymen Gruppe der Beschenkten heraustritt und seine Freude bekundet.

In der folgenden Tabelle sind zur allgemeinen Übersicht die textintern auftretenden Akteursgruppen innerhalb der uRE zusammengefasst. Kursiv geschrieben sind jene Gruppen, aus denen ich in den folgenden Unterkapiteln spezifische Akteure in einem für sie typischen Erzählkontext beschreiben werde (Tab. 7.1):

Tab. 7.1 Intratextuell auftretende Akteure in uRE

Unternehmensexterne Protagonist/innen treten in den erhobenen uRE selten als Hauptdarsteller/innen auf. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um produktbezogene Beiträge von Kund/innen oder Markenfans, die ihre Erfahrungen im Umgang mit Produkten des Unternehmens – beispielsweise in einem Gastbeitrag auf einem Unternehmensweblog – veröffentlichen. Diese Erzählungen fallen meines Erachtens in den gesonderten Untersuchungsbereich ,Erzählungen von Testimonials‘. Auch wenn diese Erzählungen für die (S)D von Unternehmen unverzichtbar sind, rechne ich sie in erster Linie der Produktwerbung zu, die sich als Gegenstand eigener Analysen anbietetFootnote 30. Von besonderer Relevanz sind für die (S)D von Unternehmen unternehmensinterne Protagonist/innen, verkörpert von Mitarbeiter/innen. An ihnen wird der „text“-interne Einfluss sehr deutlich. Daher nehme ich sie mit einer ausführlichen empirischen Analyse gleich zu Beginn in dem für sie typischen Erscheinungskontext der audio-visuellen Arbeitgeberkampagne (= spezifisches Umfeld) auf. Außerdem sind Mitarbeiter/innen ebenfalls auf Corporate Blogs von Unternehmen aktiv. In diesem Rahmen kommt ihnen die gleiche Funktion für die uRE zu. Ihre Selbstpräsentation ist dabei jedoch weniger deutlich ausgeprägt, da sie ausschließlich text- und bildbasiert ist.

7.2.2.1 „Figurierte Erzähler/innen“ in Arbeitgeberkampagnen

Zu den wichtigsten intratextuell auftretenden unternehmensinternen Protagonist/innen (Kategorie der Hauptdarsteller/innen) gehören neben den Unternehmensgründern/dem anthropomorphen Unternehmen die Mitarbeiter/innen. Da ein Unternehmen eine abstrakte Entität ist, sollen seine Mitarbeiter/innen es repräsentieren und für Außenstehende erfahrbar machen. Als sogenannte Unternehmensrepräsentant/innen (Krüger 2015: 113 f.; Szyszka 2010: 104) oder Unternehmensbotschafter/innen (Esch/Strödter 2008; Pleil 2011: 249; Pleil/Zerfaß 2014: 750) sollen sie die Unternehmenskultur und -philosophie veranschaulichen, „da Menschen Handlungen und Motive von anderen Menschen leichter nachvollziehen können, als die von Organisationen“ (Krüger 2015: 114). Da Mitarbeiter/innen als Insider und Fachleute für den tatsächlichen Arbeitsalltag erachtet werden (Bischl 2000: 163; Ihm 2015: 129), bieten sie sich als Vermittler/innen an. Darüber hinaus stehen bestimmte Identitätsmerkmale der Mitarbeiter/innen auch stellvertretend für Unternehmensmerkmale. Eine differenzierte Untersuchung von Mitarbeiter/innen in ihrer Erzählfunktion ist m. W. bislang noch nicht im fachlichen Kontext vollzogen worden, obwohl diese immer wieder als bedeutend hervorgehoben werden. Der „text“-interne Einfluss der Mitarbeiter/innen ist bezeichnend. Ihre Funktion ist nicht nur „text“-immanent, sondern sie werden sozusagen aufgrund der starken Inszenierung und Instrumentalisierung die personifizierte Geschichte.

Unter einem/einer Erzähler/in ist eine Person zu verstehen, die als vermittelnde Instanz eine Geschichte vorträgt. Wenn ich nun von Mitarbeiter/innen als Erzähler/innen schreibe, muss ich unterscheiden, ob der/die Erzähler/in als Produzent/in erscheintFootnote 31 oder als erzählende Figur inszeniert ist. Im zweiten Fall ahmt der/die Sprecher/in in dem Erzähltext eine mündliche Erzählsituation nach. Die Unterscheidung ist zu treffen, da vor allem in Bewegtbild-Formaten Mitarbeiter/innen als eigenständige Erzähler/innen in Szene gesetzt werden, externe Marketingexpert/innen sie aber in jeder Hinsicht vor und während ihrem Auftritt (Performanz, Erzähltextgestaltung und -inhalte) anleiten und begleiten. Das bedeutet auch, dass entsprechende Fachpersonen letzten Endes aus den Mitarbeitererzählungen passende Passagen auswählen und sie entlang eines geplanten Konzepts mittels Montage zu den Bewegtbildern aufbereiten. Solche Erzähler/innen entsprechen aufgrund des hohen Grades der Inszenierung einer erzählenden Figur, auch wenn die Tatsache, dass es sich um eine/n Mitarbeiter/in handelt, das maskieren soll. So erscheint die Mitarbeiter/in zwar als Erzähler/in in ihrer „eigenen“ Erzählung, ist zugleich aber auch eine stilisierte „Kunstfigur“, die ich als figurierte/n Erzähler/in ausweise. Die Derivation von ,Figur‘ in das Adjektiv ,figuriert‘ verweist darauf, dass es sich um etwas intentional Gemachtes, Konstrukthaftes, Artifizielles handelt, das funktional ist (angelehnt an Pfister 1982: 221). Die Erzähler/innen spielen demnach eine Rolle; paradoxerweise sich selbst! Das soll jedoch nicht bedeuten, dass figurierte Erzähler/innen nicht davon überzeugt sein können, dass ihre Darbietung der Realität bzw. ihrer Selbstvorstellung entspräche (vgl. Goffman 2011: 19).

7.2.2.1.1 Anwendungskontext und Datengrundlage

Ein spezieller Anwendungskontext, in dem vermehrt Mitarbeiter/innen als figurierte Erzähler/innen auftreten, sind Karriererubriken von Unternehmen auf unterschiedlichen Internet-Plattformen. Dabei handelt es sich um Erzählungen aus Arbeitgeberkampagnen zum Zweck des Employer Branding. Das bedeutet, den Aufbau und die Pflege einer Arbeitgebermarke. In einem ersten Schritt bezwecken Unternehmen auf diese Weise, Talente im Kampf um Fachkräfte („War for Talent“, Scheurmann 2015: 46) für das eigene Unternehmen zu interessieren, bzw. bereits angestellte Arbeitnehmer/innen stärker an das Unternehmen zu binden. (Gabler Wirtschaftslexikon online, 2018-08-06) In einem zweiten Schritt geht es darum, „nicht nur die besten, sondern auch die „richtigen“ Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden“ (Esch/Strödter 2008, nach Esch 2014: 169).

Die Analyse beruht ausschließlich auf audio-visuellen Bewegtbildern, denn in ihnen entwickelt sich die umfassende Performanz, die den „text“-internen Einfluss der Protagonist/innen aufgrund der multimodalen Figurenkonzeption verdeutlicht. Gestaltet sind die uRE zum einen in Form von zusammengeführten, audio-visuellen Interviewausschnitten (ohne Anwesenheit eines Interviewers) und zum anderen in Form von kurzen handlungsbezogenen Filmen, in denen sich die figurierten Erzähler/innen in ihrer betrieblichen Umgebung bewegen, ihre Arbeitsmaterialien und ihren Arbeitsplatz, Räumlichkeiten oder eine Interaktion mit Kolleg/innen vorführen. Die beiden Optionen werden in einigen Daten auch miteinander kombiniert. Die Merkmale figurierter Erzähler/innen treten in beiden Bewegtbild-Umsetzungen (Interviewsituation und handlungsbezogener Film) gleichermaßen auf – jedoch mit unterschiedlichen Schwerpunkten. So liegt beispielsweise in der audio-visuellen Interviewsituation der Schwerpunkt auf der Performanz der Erzähler/innen, während in handlungsbezogenen Filmen berufsbildbezogene Vorführungen im Mittelpunkt stehen. Das Zeitfenster der jeweiligen Bewegtbilder variiert zwischen ca. eineinhalb bis drei Minuten.

Aufgrund des Auswahlkriteriums „Bewegtbild“ liegen der Untersuchung insgesamt 62 Daten vor. Die 62 Bewegtbilddaten ermöglichen einen Überblick über die verschiedenen Facetten figurierter Erzähler/innen. Um charakteristische Merkmale von den Mitarbeiter/innen als figurierte Erzähler/innen herauszuarbeiten, habe ich aus den 62 Bewegtbilddaten 39 zur sequenziellen Feinanalyse ausgewählt und nach GAT 2 transkribiert. Die Auswahlkriterien beruhen darauf, dass (1) ein/e Mitarbeiter/in als unternehmensinterne/r Protagonist/in im (2) Bewegtbild, im Rahmen einer (3) Arbeitgeberkampagne, (4) etwas über seine/ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen erzählt und letztlich auf der (5) Verfügbarkeit der Daten (z. B. sind für die Telekommunikations- und Energieunternehmen begrenzt Daten vorhanden). Die 39 Analysedaten – bezogen auf ihre Verteilung über die Unternehmen – setzen sich wie in der folgenden Abbildung zusammen (Abb. 7.5):

Abb. 7.5
figure 5

Verteilung der absoluten Anzahl der Daten über die Unternehmen zur Analyse von figurierten Erzähler/innen im Bewegtbild (N = 39)

Dass die Telekommunikationsunternehmen marginal mit einer Aufnahme von der Dt. Telekom vertreten sind, liegt daran, dass sowohl von der Dt. Telekom als auch von der Telefonica Deutschland schrifttextliche Mitarbeitererzählungen im Rahmen von Arbeitgeberkampagnen vorliegen. Figurierte Erzähler/innen in Bewegtbildern wurden in dem Erhebungszeitraum nicht aufgefundenFootnote 32. Die verbleibenden Unternehmen haben jeweils Arbeitgeberkampagnen gestartet, die auf verschiedenen Plattformen verfügbar sind. Bezeichnenderweise sind die erhobenen Bewegtbildaufnahmen (obwohl sie u. a. bis in das Jahr 2013 zurückreichen) auf den Internetplattformen der untersuchten Unternehmen auch heute (2019) noch präsent. Daraus lässt sich schließen, dass die untersuchten Unternehmen sie nach wie vor als aktuell erachten. Entsprechend der Karriererubriken treten die Daten auf folgenden Internetplattformen auf (siehe unten, Abb. 7.6):

Abb. 7.6
figure 6

Verteilung der Daten über die Unternehmensplattformen zur Analyse figurierter Erzähler/innen im Bewegtbild, absolute Zahlen (N = 39)

Vor allem die Unternehmenswebseite aber auch Xing sind typische Orte, an denen figurierte Mitarbeiter/innen im Rahmen einer Arbeitgeberkampagne über das Unternehmen sprechen. Da YouTube mittlerweile zu den größten Internet-Suchmaschinen gehört, sammeln Unternehmen grundsätzlich dort auf eigenen Firmenkanälen ihre Bewegtbildformate. Basierend auf den technischen Möglichkeiten werden sie dann mit anderen Unternehmensplattformen verknüpft. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass die gewünschten Bezugsgruppen die Bewegtbildinhalte wahrnehmen und anwählen. Twitter ist dagegen weniger eine Plattform für solche Unternehmenskampagnen. Das kann sich jedoch ändern, da in Tweets mittlerweile auch YouTube-Filme integriert werden können.

7.2.2.1.2 Beschreibungsdimensionen figurierter Erzähler/innen

Die Gestaltung figurierter Erzähler/innen ist komplex, da sie direkt und indirekt zum Ausdruck kommt. Eine direkte Charakterisierung entsteht anhand expliziter Eigenschaftszuschreibungen. In den Kampagnen nehmen die figurierten Erzähler/innen sie in Selbstaussagen vor. Indirekte Merkmalszuweisungen erschließen sich den Rezipient/innen durch erzählte Handlungen, wie auch durch das Handeln in der Erzählsituation selbst und durch erzählte Beziehungen von den Akteuren zum Unternehmen und untereinander. (Schach 2016: 51) Untersuchungen über das „klassische“ Storytelling von Unternehmen greifen zur Figurenbeschreibung regelmäßig auf die Heldenreise (nach Joseph Campbell 1978) zurück. Die Merkmalszuschreibung basiert dabei auf spezifischen Archetypen (z. B. dem Schwellenhüter, dem Trickster, dem Schatten u. a.Footnote 33) und damit im strukturalistischen Sinn auf der Funktion der Akteure für die Entwicklung der Geschichte. Für die erhobenen Erzählungen aus Arbeitgeberkampagnen zeigt sich, dass diese Archetypen zwar zur Verdeutlichung von Merkmalszuweisungen hilfreich sind, aber nicht eins zu eins auf die uRE angewandt werden können. Phelan/Rabinowitz (2012: 111 ff.) – als Vertreter eines rhetorisch erzähltheoretischen Zugangs – erachten eine solche strukturalistische Beschreibung als zu einseitig. Sie schlagen daher drei Beschreibungsdimensionen vor, die miteinander in Wechselbeziehungen stehen. Eine narrative Figur hat den Autoren nach eine mimetische, eine synthetische und eine thematische Dimension (Phelan/Rabinowitz 2012: 7). Die mimetische Dimension umfasst im aristotelischen Sinn alle Eigenschaften, mittels derer die Figur zu einem nachvollziehbaren Charakter mit Identität wird, also ein „persönliches Selbst“ transportiert. Das betrifft die psychologische wie auch die phänotypische Gestaltung (z. B. Kleidung, Körperhaltung, Alter, Geschlecht, Mimik, Gestik, verbalisierte Einblicke in ihre Gefühls-, Gedanken- und Erlebniswelt). Die Figurenbeschreibung ausgehend von ihrer Funktion für die Handlung, im klassisch narratologischen Sinne, nennen die Autoren die synthetische Dimension. Hier setzen beispielsweise die Archetypen der Heldenreise oder Propps dramatis personae (nach Gülich/Raible 1977: 197) an, die den Blick auf die Figur in ihrer Funktion für die Gesamterzählung lenken. Die thematische Dimension „beschreibt die Figur als Sinnträger, durch den thematische, ideologische oder inhaltliche Elemente der Erzählung transportiert werden“ (Friedmann 2017: 56 f.). Bezogen auf die uRE betrifft diese Dimension Botschaften über die Unternehmenskultur oder die Unternehmenswerte u. a. Ausgehend von der Analyse entlang dieser Dimensionen zeigen sich fünf Bereiche, die figurierte Erzähler/innen aufgrund von Vereinheitlichungen kennzeichnen. Diese charakteristischen Vereinheitlichungen nenne ich Unifizierungen:

  • Bindung an das Unternehmen und die Marke

  • Unifizierung der Rollenzuschreibungen

  • Unifizierung der äußeren Gestalt

  • Unifizierung von Eigenschaften

  • Unifizierung der Performanz

Das Ziel ist es, mittels der fünf Bereiche zu verdeutlichen, welche Merkmale figurierte Erzähler/innen ausweisen, und ihre Funktion für die uRE herauszuarbeiten.

7.2.2.1.3 Marken-/Unternehmenspassung

Ein Unternehmen und seine Marke sind auf das Engste miteinander verbunden. Daher streben Unternehmen danach, dass ihre Mitglieder nicht nur über Markenwissen verfügen, sondern sich vor allem mit der Marke des Unternehmens identifizieren.

„Identifizieren heißt hierbei nicht, dass sie möglichst alle Eigenschaften der Marke übernehmen, sondern dass sie die charakteristischen und wesensprägenden Merkmale der Marke für gut empfinden.“ (Esch 2014: 166)

Dahinter steht die Annahme, dass eine hohe Passung zwischen den Arbeitnehmenden und dem Arbeitgeber (Mitarbeiter-Marken-Fit) das affektive commitmentFootnote 34 der Arbeitnehmer/innen steigert. Daher verwundert es nicht, dass figurierte Erzähler/innen – aufgrund ihrer Modellfunktion und dem angenommenen Identifikationspotenzial für potenzielle Arbeitnehmer/innen – ihre „persönliche“ Verbindung zu der Marke und/oder dem Unternehmen in ihre Erzähltexte einfließen lassen. Dabei können sie sich entweder stellvertretend auf ein Produkt oder auf das Unternehmen selbst beziehen. Von Bedeutung ist, dass die Erzähler/innen zum Ausdruck bringen, dass sie sich über den Erwerb ihres Lebensunterhalts hinaus vor allem emotional mit dem Unternehmen verbunden fühlen. In den Erzählungen kommunizieren figurierte Erzähler/innen das wie in den folgenden Beispielen:

( Bsp. ) Thematisierung einer Marken-/Unternehmensidentität von figurierten Erzähler/innen

Die Identifikation der Mitarbeiter/innen mit dem Unternehmen und seinen Produkten ist ein grundlegender Bestandteil einer uRE/Arbeitgeberkampagne und somit ein Merkmal figurierter Erzähler/innen. Gleichzeitig verweisen die Erzähler/innen ganz nebenbei auf wichtige Bereiche der (S)D von Unternehmen, wie Tradition und Innovation.

7.2.2.1.4 Unifizierung von Erzähltextinhalten und Rollenzuschreibungen

In der synthetischen Dimension richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Figuren bezüglich ihrer Funktion für die Geschichte (= Plot). Deutlich wird das mithilfe der Rolle, die figurierte Erzähler/innen in ihrer Geschichte einnehmen und anderen zuweisen (Phelan/Rabinowitz 2012: 7, 112). In den untersuchten Arbeitgeberkampagnen gestalten figurierte Erzähler/innen ihre Rolle durch ihre Interaktion mit den Unternehmen bzw. seinen Stellvertreter/innen. Aus diesem Grund weisen sie ihren Unternehmen eine Rolle zu, über die sie ihre eigene Rolle gestalten. Ihre Rollenzuweisung an die Unternehmen basiert darauf, dass figurierte Erzähler/innen ihre Unternehmen als einen „Ort der Selbstverwirklichung“ beschreiben. Ihre Wahrnehmung stützen sie auf Aussagen über Chancen, die ihnen ihr Unternehmen eröffnet, und dass ihnen die berufliche Tätigkeit Sinn gibt, wie die folgenden Transkriptausschnitte exemplifizieren:

(Bsp.) Figurierte Erzähler/innen beschreiben das Unternehmen als Ort ihrer Selbstverwirklichung

Begleitet wird die Unternehmensdarstellung von Aussagen, in denen der Beruf einer Berufung gleicht. Das kann darin zum Ausdruck kommen, dass schon immer klar war, dass man in dem Berufsfeld arbeiten wolle (als kleiner JUNge schon, / […] / ähm war KLAR also ich muss irgendwas mit autos machen; (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_526_YT), ich wollt IMmer unternehmer werden; / so is unterNEHmergeist, (Rewe, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: REWE_303_WS) oder, dass man bereits schon über Generationen mit dem Unternehmen verbunden ist (ja mein VAter, / arbeitet seit FÜNFundzwanzig jahren in der rewe group, / und Ich bin jetzt AUCH dabei; (Rewe, YouTube, o. J. Korpusquelle: REWE_392_YT), h. also im GRUNde, / bin ich mit merCEdes AUfgewachsen; / […] / h. ähm war mein Opa, / ähm als ARbeiter, / quasi in METtingen, / und hat dort in der gießeREI gearbeitet, (Dt. Telekom, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_189_YT).

Erzählungen in Arbeitgeberkampagnen sind aus Gründen der (S)D nicht an dem klassischen Konzept der Heldenreise ausgerichtet. Daher greifen die Rollen der dazugehörenden Archetypen für diese Erzählungen nur bedingt. Unter anderem hat das damit zu tun, dass die Anzahl der Akteure begrenzt ist. Die zwei wichtigsten Hauptdarsteller/innen sind die figurierten Erzähler/innen selber und das Unternehmen bzw. seine Stellvertreter/innen. Wie in den zuvor genannten Aussagen figurierter Erzähler/innen (Chancen und Sinngebung) anklingt, sprechen sie dem Unternehmen die Archetypenrolle des Mentors zu. Erfahrene Mitarbeiter/innen oder Führungskräfte, die sie in ihrem beruflichen und persönlichen Wachstum begleiten, ihnen Orientierung geben (Beyer 2018: 54) und sie letztlich zu einem erfüllten Arbeiten anleiten, bekleiden diese Mentorrolle. Die Rolle der figurierten Erzähler/innen ist dagegen vergleichsweise komplex. Sie vereinen Merkmale der Archetypen Heldin und Schatten. Während figurierte Erzähler/innen sich als Held/innen des beruflichen Alltags in ihren Erzählungen persönlich weiterentwickeln, tragen sie zu Beginn ebenso Merkmale des Schattens, der sich als Antagonist gegen eine Veränderung stellt (Beyer 2018: 61). Hier kommt der Einfluss der (S)D von Unternehmen auf die Rollenzuweisung zum Tragen; denn wem sollten die Produzent/innen von Arbeitgeberkampagnen die Rolle des Schattens übertragen, ohne Gefahr zu laufen, das Unternehmen oder dessen Stellvertreter/innen herabzuwürdigen? Allerdings fehlt einer Geschichte ohne Verwicklungen oder Erschwernisse u. a. das „so what“, aus dem die Rezipient/innen den Sinn der Erzählung ableiten. Daher ist der Schatten in den Held/innen selbst verortet. Er manifestiert sich in den Ängsten und den Vorannahmen, die die figurierten Erzähler/innen mithilfe der Unternehmensgemeinschaft (= Mentor) erfolgreich überwinden, da sie sich auf das Abenteuer „Arbeiten in Unternehmen x“ trotz ihrer Sorgen einlassen. Folgend sind formulierte Ängste und Vorannahmen figurierter Erzähler/innen in Transkriptausschnitten zusammengefasst. Diesbezüglich sprechen sie einen hohen Arbeitsdruck, Überforderung, Unvereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Selbstentfremdung, die Zusammenarbeit mit den neuen Kolleg/innen oder veraltete Unternehmensstrukturen u. a. an:

(Bsp.) Verbalisierte Ängste und Vorannahmen figurierter Erzähler/innen

In ihren Aussagen verbleiben die Mitarbeiter/innen jedoch in einem Behauptungsmodus (Beyer 2018). Das bedeutet, dass sich nicht oder nur sehr gering veranschaulichen, wie sie die Sorgen und Ängste überwunden haben. Dadurch entsteht der Eindruck, es handle sich weniger um ihre Sorgen, als um antizipierte Vorurteile einer möglichen Bezugsgruppe (z. B. „Mercedes Benz ist ein „altbackenes“ Unternehmen“). Die Rolle eines „Pseudo-Schattens“, die in den Mitarbeiter/innen zum Tragen kommt, täuscht darüber hinweg, dass auch Unternehmensvertreter/innen zu einem Schatten werden können. Schließlich ist es durchaus möglich, dass Mitarbeiter/innen den übertragenen Anforderungen und Erwartungen nicht genügen.

In den Geschichten müssen die Mitarbeiter/innen ihrer gewohnte Welt (Schule, Elternhaus, Universität, Wohnort u. a.) verlassen, „um auf einer anderen Ebene neue, tief greifende Erfahrungen zu machen“ (Beyer 2018: 30). Dazu begeben sie sich in die Welt der Unternehmen. Dabei konfligieren die Welten nicht miteinander! Letztlich ist es ja gerade das Ziel der Kampagnen, diese beiden Welten als gut miteinander vereinbar (Stichwort Work Life Balance) oder gar als eine Einheit zu beschreiben. Das geschieht beispielsweise, indem im Unternehmen neue Freunde gewonnen werden (da sind VIEle rIchtig dIcke freunde hinzugekommen, (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_560_WS) oder die Mitarbeiter/innen nicht nur ihre Arbeitszeit, sondern auch ihre Freizeit miteinander teilen (h. die zuSAMmenarbeit ist ähm sEhr Angenehm, / wir ähm sind nicht nur auf der ARbeit zusammen, / sondern wi:r TREFfen uns auch mal zu Afterworkveranstaltungen, (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_189_YT).

Die Rollenzuweisungen berühren die thematische Dimension (Phelan/Rabinowitz 2012: 7) insofern als die allgemeine Unternehmenskultur als besonders wohlwollend und unterstützend erscheint, sodass eine Great Place To Work-Botschaft vermittelt wird. Damit die Erzählungen nicht zu werbend anmuten, nehmen einzelne figurierte Erzähler/innen innerhalb einer Arbeitgeberkampagne eine quasi-kritische Perspektive ein, wie z. B.:

(Bsp. 1) „es sind einfach diese VIElen mÖglichkeiten die man hAt, / und dass man so unENDlich viel verschiedenes mAchen kann, / und dass man WIRKlich gefÖrdert Und gefOrdert wird, / auch wenn_s ABgedroschen klingt; / es is WIRKlich so.“ (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_192_YT)

(Bsp. 2) „es ist ne umgebung in der man sehr viel kollegialität und unterSTÜTzung erhählt; / h. OHne dabei aber auch die ganze zeit gepAmpert zu werden, / sondern man hat RElativ klAr, / verANTwortung von anfang an, / wird in_s kalte WASser geworfen, / ohne ALlein stehn zu müssen; / man hat immer ne HILfe,“ (Dt. Telekom, Xing, o. J. Korpusquelle: DTKOM_861_XN)

(Bsp. 3) „ich geh glaub ich jeden TACH äh mit_nem lÄcheln ins büro, / und das mag sich jetzt vielleicht sehr nach MARketing anhören, / aber_s is_nich so, / <<lachend>WIRKlich;>“ (Daimler, Xing, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_183_XN)

Da die Mitarbeiter/innen von der „anderen Welt“, d. h. der Unternehmensseite, gewünscht und in ihr willkommen sind, sind die Bewerbungsgespräche zwar eine Art Schwellenübertritt in die „neue Welt“, mit dem allerdings kein Konflikt einhergeht. Die eigentliche Herausforderung nach dem Eintritt in die neue Unternehmenswelt anstehende Aufgaben zu bewältigen und im Sinn der Vorgaben zu funktionieren, wird nicht thematisiert. Im Gegenteil: die Unternehmen übernehmen mithilfe von Mentoren die Aufgabe, bestehende Probleme und Ängste zu beseitigen. Dadurch bleiben die Modellfiguren an dieser Stelle im Grunde passiv und abhängig. Auch das wiederspricht dem Entwicklungsmodell der Heldenreise! Die Archetypen und der Archeplot der Heldenreise sind demnach auf diese Erzählungen nicht anwendbar, aber sie stellen ein Analyseinstrument dar, mit dessen Hilfe die synthetische Dimension der Figurenstilisierung kontrastiert und veranschaulicht werden kann.

7.2.2.1.5 Unifizierung des Erscheinungsbildes

Auch äußere Merkmale (mimetische Dimension nach Phelan/Rabinowitz 2012) der Kampagnenteilnehmer/innen, also das äußere Erscheinungsbild, sind vereinheitlicht. Dadurch erscheinen die Kampagnenteilnehmer/innen jeweils als eine homogene Gruppe von Unternehmensrepräsentant/innen, vermitteln einen einheitlichen sozialen Status und sprechen eine bestimmte Zielgruppe anFootnote 35. Überwiegend handelt es sich bei den erhobenen figurierten Erzähler/innen um junge MenschenFootnote 36. Sie sind zu annährend gleichen Teilen männlichen und weiblichen Geschlechts. Außerdem wird in den Kampagnen Wert darauf gelegt, dass neben Erzähler/innen deutscher Herkunft auch Personen zu Wort kommen, deren Namen darauf verweisen, dass sie im Ursprung nicht deutscher Herkunft sind und so beispielsweise türkische, chinesische, indische oder kurdische Wurzeln annehmen lassen. Darüber soll eine gelebten Vielfalt (Diverstiy) im Unternehmen veranschaulichen werden. Dass es sich dabei mit wenigen Ausnahmen um Deutsche handelt, die hier seit Generationen sozialisiert sind, führt den Aspekt der (S)D ad absurdum. Gemeinsam ist allen ein gepflegtes Äußeres: Sie sind dezent geschminkt, haben ein klares Hautbild mit rosigen Wangen, die Frauen tragen unauffälligen Schmuck, die Haare sind frisiert und die Kleidung entspricht einem legeren Business-Look oder der entsprechenden Arbeitskleidung. Einzig wenn auf die Freizeitaktivitäten eingegangen wird, tragen sie auch Freizeit- oder Sportbekleidung. Grundsätzlich ist die Farbgebung der Kleidung und des Make-ups dezent gehalten und an die räumliche Umgebung angepasst (Farben des Corporate Designs). Männer tragen Hemden oder Arbeitskleidung und Frauen Bluse, Shirt, Kleid, Kostüm, Hosenanzug oder ebenfalls – je nach Situation – ihre Arbeitskleidung. Zur Verdeutlichung jeweils ein Bild von einer weiblichen figurierten Erzählerin bzw. einem männlichen figurierten ErzählerFootnote 37 (Abb. 7.7 und 7.8, die ursprünglichen Fotografien wurden verfremdet):

Abb. 7.7
figure 7

Äußere Erscheinung einer figurierten Erzählerin (Daimler, Xing, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_185_XN)

Abb. 7.8
figure 8

Äußere Erscheinung eines figurierten Erzählers (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_526_YT)

Dabei ist es nicht nur das äußere Erscheinungsbild, das spezifische Merkmale in den Vordergrund stellt, sondern auch, wie die Kamera figurierte Erzähler/innen erfasst: Die Kameraeinstellung in den obigen Beispielen ist „Nah“ – also Medium Close-up – bis „Groß“ – also Close-up (Bordwell/Thompson 2013: 190). Dabei ist die große Nähe zum Gesicht identifikationsstiftend und emotionalisierend, da die Mimik sehr detailliert sichtbar ist. Besonders deutlich wird das in zwei Bewegtbilddaten von Bosch. In den Erzählungen sind Ausschnitte aus Interviewsituationen und der Arbeitsumgebung zusammengeführt, die jeweils die zwei figurierten Erzählerinnen zeitweise voice-over begleiten. Die beiden folgenden Abbildungen zeigen die Kameradistanz Close-up (Bordwell/Thompson 2013: 190) am Beginn der Bewegtbildaufnahme. Im Hintergrund sind währenddessen neben einem belebenden Schlagzeugrhythmus muntere Gitarrenklänge zu hören, während sich die figurierten Erzählerinnen mit fröhlich intonierter voice-over Stimme selbst vorstellen (Abb. 7.9 und 7.10):

Abb. 7.9
figure 9

Close-up Aufnahme einer figurierten Erzählerin (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: Bosch_536_YT)

Abb. 7.10
figure 10

Close-up Aufnahme einer figurierten Erzählerin (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: Bosch_537_YT)

Im Fokus der Kamera steht das Lächeln, das sich mit der Intonation der Stimmen und der musikalisch evozierten Emotion deckt. Grundsätzlich blicken wir während der Bewegtbildvorführungen durchgängig in lächelnde, freundliche Gesichter mit einer ausdrucksvollen Mimik – mal stärker und mal weniger stark von der Kamera inszeniert. Wie die Beispiele vorführen, sind die äußeren Merkmale figurierter Erzähler/innen uniform gestaltet und werden nach bestimmten Mustern pointiert in Szene gesetzt. Dadurch etablieren die Produzent/innen eine kollektive Identität. Dafür betonen sie ein attraktives Äußeres und Merkmale, die auf einen gewissen sozialen Status sowie auf Mitarbeiterzufriedenheit hinweisen.

7.2.2.1.6 Unifizierung von Eigenschaften

Figurierte Erzähler/innen einen bestimmte Eigenschaften. Bezeichnend für die Eigenschaftszuschreibungen ist, dass sie an das Merkmalsrepertoire von Stellenbeschreibungen anknüpfen. Aus diesem Grund erscheinen sie vor einer Eigenschaftsmatrix als Modelle für gewünschte Mitarbeiter/innen. Die Zuschreibungen nehmen figurierte Erzähler/innen in Selbstaussagen in der Ich-Form vor. Sie beziehen sich hierbei auf fünf Eigenschaften, die im Folgenden aufgezählt und mit Aussagen figurierter Erzähler/innen exemplifiziert werden.

Figurierte Erzähler/innen schreiben sich in ihren Erzählungen die Eigenschaften zu, neugierig und wissensdurstig zu sein. Dafür treffen sie Selbstaussagen, in denen sie das entweder explizit benennen oder umschreiben:

(Bsp. 1) „h. und des kommt meiner NEUgier, / meinem AUSprobieren, / meinem WELTkennenlernen natürlich Immens entgegen“ (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_195_YT)

(Bsp. 2) „aber ich bin WISsensbissig, / das HEIßT, / ich möchte schon WEIterkommen“ (Rewe, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: REWE_295_WS)

(Bsp. 3) „MIR macht es spaß, / HEUte lösungen für mOrgen zu suchen.“ (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_560.2_WS)

An diese Neugierde schließt sich das Merkmal „abenteuerlustig“ an. Zum Ausdruck kommt es in dem Wunsch, Erfahrungen im Ausland machen zu wollen oder bereits gemacht zu haben:

(Bsp. 1) „und TROTZdem ähm in einem internationalen unternEhmen arbeiten kann, / was mir auch die CHANcen bietet, / in_s AUSland ähm zu kOmmen,“ (E.ON, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: E.ON_596_WS)

(Bsp. 2) „un_dann kam für MICH persönlich, / ein absolutes HIGHlight während dem studium, / uns zwar hatt_ich die gelEgenheit nach Dubai zu gehen,“ (Daimler, Xing, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_184_XN)

(Bsp. 3) „als er mir_nen PRAKtikumsplatz in shanghAI angeboten hat, /war KLAR, / DA will ich hin;“ (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_561_WS)

Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter/innen sich als fleißig und lösungsorientiert während ihrer Arbeit charakterisieren:

(Bsp. 1) „sich ein ZIEL setzen, sich KONsequent darauf zUbewegen, / un_dabei auch mal ein Risiko eingehen; / dass is meine philosoPHIE;“ (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_559_WS)

(Bsp. 2) „MIR macht es spaß, / HEUte lösungen für mOrgen zu suchen.“ (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIMENS_561_WS)

Dabei handeln sie in ihren Erzählungen engagiert und sind auch bereit mehr zu arbeiten:

(Bsp. 1) „also KLAR, / manchmal wenn du einen stressigen tag hast, / dann BRAUCHST du halt mal lÄnger im büro, / aber das mAcht mIr nicht AUS, / weil ich einfach denke, / hey das is was ich MAchen will,“ (Daimler, Xing, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_183_XN)

(Bsp. 2) „MEIne erwartungen vOr dem studium waren natürlich, / okey du kommst jetzt in_nen GROßkonzern, / und dass wird jetzt ermal ne RIEsen herausforderung; / es IST natürlich auch ne herAUsfoderunge, / und man mUss sich auf wirklich REINhängen,“ (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_192_YT)

(Bsp. 3) „ein JOB der rIchtig spaß macht. / und mich IMmer wieder vor neuen herAUSforderungen stellt.“ (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_559_WS)

Zu guter Letzt kommunizieren figurierte Erzähler/innen das Merkmal „teamfähig“. Hierfür greifen sie als Schlüsselwort die Kollektivbezeichnung „Team“ auf, indem sie Erfolge in den Kontext der Arbeitsgemeinschaft stellen oder betonen, dass sie sich in der Arbeitsgemeinschaft gut aufgehoben fühlen:

(Bsp. 1) „ja und mir hat das dann einfach SO viel spaß gemacht, / einfach diese LEIdenschaft auch im tEAm was zu entwickeln, / angefangen von_ner iDEE, / bis zu dem sportlichen EHRgeiz dann irgendwo nachher auf wEttberwerben teilzunehmen, / und zu geWINnen,“ (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_528_YT)

(Bsp. 2) „für MICH war eine der grÖßten erfahrungen, / die ich während meiner zeit im RENNteam gemacht hab, / zu SEhen, / was_n TEAM mit fünfunddreißig lEUten zusammen errEIchen kann; / wenn all HOCHmotiviert arbeiten.“ (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_528_YT)

(Bsp. 3) „das arbeiten ist SUper angenehmen, / also des TEAM is perfEkt,“ (Daimler, Xing, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_185_XN)

(Bsp. 4) „dabei is kreativiTÄT gefragt, / und natürlich auch TEAMwork;“ (Edeka, YouTube, o. J. Korpusquelle: EDEKA_864_YT)

(Bsp. 5) „also das Arbeitsklima ist sEhr gut, / wir arbeiten als TEAM zusammen;“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_426_WS)

Die Echtheit ihrer Selbstaussagen (Neugier/Wissensdurst, Abenteuerlust, Fleiß, Engagement und Teamgeist) unterstreichen figurierte Erzähler/innen mithilfe ihrer Begeisterung für das jeweilige Unternehmen. Zum Ausdruck bringen sie das mit den substantivischen GefühlswörternFootnote 38 (Schwarz-Friesel 2013: 144) ,Freude‘ und ,Spaß‘, bezogen auf ihre Arbeit in den Unternehmen: also MIR macht_s sUper viel spaß bei daimler (Korpusquelle: DAIMLER_183_XN), und habe VIEL freude bei der Arbeit gehabt, (Korpusquelle: BOSCH_527_YT) oder ein JOB der rIchtig spaß macht. (Korpusquelle: SIEMENS_559_WS). Es fällt auf, dass die Sprecher/innen ihre Emotion quantitativ steigern (viel, so viel, sehr viel, super viel) und mit Wirklichkeitsmarkern bestätigen (richtig, wirklich). Dadurch wird erneut ersichtlich, dass die Erzähler/innen nicht über den Behauptungsmodus (Beyer 2018) hinausgehen. Die Rezipient/innen müssen die Aussage nun glauben oder nicht, da ihnen keine Erzählinhalte angeboten werden, über die sie die Behauptungen überprüfen können. Das scheinen die Erzähler/innen zu merken und verbürgen sich mithilfe der ,Wahrhaftigkeitstrigger‘ (Wirklichkeitsmarker und Steigerungsformen) ausdrücklich für ihre Aussage. Die Versprachlichung und Verstärkung der Emotionen – Spaß und Freude – als Zeichen der Begeisterung für die Unternehmen sind ein weiterer Bestandteil der Vereinheitlichung von figurierten Erzähler/innen.

7.2.2.1.7 Unifizierung der Performanz

Charakteristische Merkmale der Performanz eines/einer figurierten Erzähler/in sind nonverbale Merkmale wie eine ausgeprägte Mimik und Blickrichtung sowie der Einbezug der Körpersprache und Merkmale der Prosodie. Sprechtrainer/innen, die Unternehmensmitglieder für bestimmte Auftritte vorbereiten, sprechen der Performanz eine besondere Rolle zu. Und auch gerade zur Vermittlung von Erzähltextinhalten kommt ihr eine tragende Rolle zu, wenn man der Aussage der Sprechtrainierin U. Semmelrock folgt:

„Unterstützen die Hände, die Gestik, die Körperhaltung die Worte, steigert sich die Aufnahmefähigkeit für den Inhalt. Die Botschaft/Aussage wird klarer und eindeutiger. Setzen wir noch die Mimik als aktive Begleitung zu unseren Worten mit ein, steigert sich die Aufnahmefähigkeit und vor allem die Eindeutigkeit unserer Worte bis zu 40 %.“ (Semmelrock 2018, Mimik, Gestik und Körpersprache)

Es geht also darum, die Erzähltextinhalte zu intensivieren, zu beleben und die Wahrnehmung der Rezipient/innen zu lenken, indem figurierte Erzähler/innen mit dem ganzen Körper sprechen. Die Unifizierung geschieht durch eine einheitliche, ,ausdrucksstarke Performanz‘. Anhand von sechs charakteristischen Beispielen veranschauliche ich, wie figurierte Erzähler/innen ihre Erzähltextinhalte mit nonverbalen und prosodischen Mitteln verstärken. Das Zusammenspiel von sprachlichen Äußerungen mit den entsprechenden Gestaltungsmitteln erweckt den Eindruck einer bewusst geschulten Performanz. Das unterstreicht wiederum den artifiziellen Aspekt figurierter Erzähler/innen.

Die ersten vier Beispiele nehmen Bezug auf charakteristische, sprachbegleitende nonverbale Handlungen von figurierten Erzählerinnen. Das erste Beispiel zeigt eine ausgeprägte Artikulation, die die Sprecherin mit ihrem expressiven Gesichtsausdruck begleitet. Lexeme und Phrasen, die mit der Mimik zusammenfallen, sind in dem Transkriptausschnitt fett gedruckt. Der Pfeil weist auf den entsprechenden Gesichtsausschnitt (die ursprünglichen Fotografien wurden verfremdet):

figure g

Die figurierte Erzählerin erzählt davon, wie sie zu ihrem Arbeitsplatz bei Daimler kam, wie sie dort von ihren neuen Kolleg/innen empfangen wurde und wie sie das Team bewertet. In Z. 63 hält sie fest, dass sie in einem rIchtig coolen tEAm gelandet ist. Mit dem Adjektiv echt verbürgt sie sich für ihre Aussage. Damit steht das Lexem auch für die Wahrhaftigkeit ihres Eindrucks. Da dieser von den Rezipient/innen in dem Kontext in Zweifel gezogen werden könnte, ist das Adjektiv für das Gelingen ihrer Botschaft essenziell. Das indiziert nicht nur die Betonung, sondern auch, dass sie ihre Aussage mit ihrer Mundbewegung (zurückgezogene Mundwinkeln, weit geöffnete und gespannte Lippen, sodass ihre Zähne zu sehen sind) ausdrucksstark hervorhebt.

Auch die Körperhaltung ist ein nonverbales Gestaltungsmittel, dass in den Erzählungen eingesetzt wird. In dem kommenden Beispiel verändert die figurierte Erzählerin die Haltung ihres Oberkörpers zeitgleich mit ihrer Mimik:

figure h

Die Erzählerin beschreibt ihre Markenpassung, indem sie sich selbst als Fahrerin eines Autos von Daimler (Smart) offenbart. Während sie davon erzählt, richtet sie ihren Oberkörper auf, nimmt das Kinn nach oben und lächelt. Die Veränderung der Körperposition in einen freudigen „Spannungszustand“ hat eine Signalfunktion, die uns Rezipient/innen mitteilt, dass die Erzählerin etwas Interessantes preisgibt, da sie sich mit der aufgerichteten Körperhaltung und dem hochgenommenen Kinn präsenter macht.

Neben der expressiven Mimik und der Körperhaltung setzen figurierte Erzähler/innen ihren Blick im Erzählvorgang ein. In dem kommenden Beispiel erzählt die figurierte Erzählerin davon, dass sie sich aufgrund ihrer ersten positiven Erfahrungen während ihres Career-Einsatzes endgültig für Daimler als Arbeitgeber entschieden habe:

figure i

Nachdem die Sprecherin ihre Freude an ihrem ersten Arbeitsprojekt (Z. 53) mitgeteilt hat, zitiert sie ihr damaliges Ich (Z. 54). Während der wörtlichen Redewiedergabe da BLEIB ich, beugt sie zeitgleich mit dem betonten Verb BLEIB ihren Oberkörper leicht nach vorne und blickt in die Kamera, als würde sie uns Rezipient/innen direkt ansehen. Der Blick – mit dem leicht in Richtung Kamera gebeugten Oberkörper – adressiert nicht nur die Zuschauer/innen, sondern betont ebenfalls ihre Entscheidung, bei dem Arbeitgeber verbleiben zu wollen.

Sind in der Bewegtbildeinstellung auch die Hände zu sehen, zeigen figurierte Erzähler/innen neben der ausgeprägten Mimik und Körpersprache auch gestische Elemente, um ihre Aussagen zu unterstreichen. Ein Unternehmensmerkmal, das figurierte Erzähler/innen während ihrer Beurteilung über das jeweilige Unternehmen immer wieder betonen, ist eine wohlwollende, freundliche und familiäre Arbeitsatmosphäre. In dem nun folgenden Beispiel begleitet der Sprecher diese Aussage gestisch:

figure j

Der Mitarbeiter erzählt von der Arbeitsatmosphäre in seinem Unternehmen. Bereits während der Reformulierung von LEUte in KolLEgen hebt er zu den Substantiven die Hände leicht an. Als er in Z. 46 darauf zu sprechen kommt, dass Mitarbeiter/innen kollegialität und unterSTÜTzung erfahren, macht er mit der linken Hand eine umfangreichere, gebende Handbewegung zur Kamera hin. Mit der öffnenden, gebenden Geste veranschaulicht er, dass Mitarbeiter/innen Unterstützung erhalten. Gesten mit dem Gesprochenen zu synchronisieren, also betonte Wörter mit einer Geste zu unterstützen, ist eine konkrete Empfehlung aus dem Sprechtraining. Es heißt dort zum Beispiel: „Setzen sie dazu ihre Hände ein; bei jedem Wort, das sie etwas lauter sprechen, führen Sie eine kleine Handbewegung von sich weg zu dem anderen aus“ (Semmelrock 2018: Gestik). Stimmen die Gesten und der Inhalt nicht überein, lenkt das die Aufmerksamkeit der Zurhörer/innen von den Inhalten und damit auch von der zu vermittelnden Botschaft ab.

Die Prosodie figurierter Erzähler/innen legt nahe, dass sie mit verschiedenen Sprechtechniken vertraut gemacht wurden. Nach der Sprechtrainerin Ulrike Semmelrock basiert das, was wir dem Gesprochenen entnehmen, zu weiten Teilen auf dem Ton, denn auf dem Inhalt (schriftliches unveröffentlichtes Handout zum Seminar „Die Macht der Stimme“ an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg (2016)Footnote 39). Es verwundert also nicht, dass figurierte Erzähler/innen ihre Stimmmodulation kontrollieren, um ihre Erzählungen möglichst wirkungsmächtig zu gestalten. Anhand von drei Beispielen nehme ich grundlegende Sprechstrategien figurierter Erzähler/innen auf. Bei diesen Sprechstrategien handelt es sich um keine linguistischen Konzepte, sondern um Techniken, die von ausgebildeten Sprechtrainer/innen in ihren Seminaren praktiziert und gelehrt werden und die ich an dieser Stelle mit linguistischen Methoden beschreibe. Es zeigt sich, dass nicht alle Erzähler/innen immer die selben Techniken in ihren Erzählungen anwenden. Doch dass die Sprechtechniken genutzt werden, legt nahe, dass figurierte Erzähler/innen ein Sprechtraining durchlaufen haben. Vor allem handelt es sich dabei um akzentuiertes, betontes Sprechen und um motivierendes Sprechen.

Mit einer Akzentuierung hebt man eine „sprachliche[] Einheit gegenüber einer anderen sprachlichen Einheit [hervor]“ (Auer 2013: 79). Die Betonung steht phonetisch in Kontrast zu Silben anderer Wörter. Das betrifft entweder die Tonhöhe, die Dauer oder die Lautstärke einer Silbe. In den folgenden zwei Beispielen ist die Akzentuierung mithilfe eines Oszillogramms dargestellt (unten). Die Amplitude bildet den Schalldruck der Silben über die Zeit ab. Wird eine Silbe betont, dann steigt ihr Schalldruck und damit auch die „Höhe“ der Amplitude. So visualisiert die Amplitude Akzente. Unter dem Oszillogramm steht der dazugehörige Transkriptausschnitt. Die vertikalen schwarzen Linien dienen der Trennung akzentuierter Wörter vom Rest der Phrasen. So kann die Amplitude besser dem entsprechenden Wort zugeordnet werden (zusätzlich sind Wort und dazugehörige Amplitude umrandet). Das Oszillogramm umfasst zwei Intonationsphrasen, die aus dem folgenden Transkriptausschnitt stammen (Korpusquelle: DAIMLER_095_YT) (Abb. 7.11):

figure k
Abb. 7.11
figure 11

Sprechtechnik akzentuiertes Sprechen durch Betonung (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_195_YT)

Die erste Intonationsphrase ist unmarkiert: Es liegt ein Akzent (= Fokusakzent) auf jenem Lexem, das die Sprecherin als besondere Information hervorheben möchte (Schwitalla 2006: 57). In der zweiten Intonationsphrase akzentuiert sie drei Lexeme. Der Fokusakzent liegt auf dem Possessivpronomen MEInen und markiert die persönliche Bewertung der Erzählerin. Zusätzlich betont sie deutlich das Adverb AUch und das Adjektiv gerEcht (Nebenakzente). Durch die zusätzliche Hervorhebung der Nebenakzente verdeutlicht die Sprecherin, dass sie nur in diesem Unternehmen ihren Bedürfnissen entsprechen kann. In Verbindung mit der vorausgegangenen Intonationsphrase legitimiert sie ihre Aussage, da sie bereits Erfahrungen als Arbeitnehmerin in anderen Unternehmen gemacht hat. Durch die Akzentuierung innerhalb einer Intonationsphrase wird die Aufmerksamkeit der Zuhörer/innen auf die Botschaft „zufriedene Mitarbeiter/in“ gelenkt. Prosodisch entsteht ein künstlich wirkender Rhythmus und Tonhöhenverlauf, der ein sehr reflektiertes Sprechen nahelegt.

Versierte Sprecher/innen betonen ihre Botschaft auch mit stillen Pausen. Das setzt allerdings voraus, dass sie sich schon im Vorfeld darüber im Klaren sind, was sie damit hervorheben möchten. Hören wir eine Person, ruhig, temperiert und mit einzelnen Pausen sprechen, attribuieren wir damit Souveränität (Semmelrock 2018). Rhetorisch gesehen, können figurierte Erzähler/innen mit der veränderten Modulation die Aufmerksamkeit der Adressat/innen wecken und ihre Aussage eindringlicher gestalten. Die folgende Abbildung zeigt einen Transkriptausschnitt, in dem der Sprecher strategisch stille Pausen einlegt. Das Oszillogramm oberhalb des Transkripts belegt die Pausensetzung (umrandet), da in dem Zeitraum nur eine minimale Schalldruckamplitude zu sehen ist (Abb. 7.12):

Abb. 7.12
figure 12

Sprechtechnik, betontes Sprechen durch Pausen (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_526_ YT)

Der Sprecher unterbricht nach der ersten Intonationsphrase (und WIEder einmal hat mir das gezEIgt,) seine Ausführung für 0,4 Sekunden (Haltepause). Damit erhöht er die Spannung auf das, was ihm gezeigt wurde. Daran schließt er die zweite Intonationsphrase an, die die Spannung aber noch nicht auflöst (dass auch im AUSland,). Ihr folgt ohne Verzögerung die dritte Phrase, in der der Sprecher eine Pausen gezielt vor dem Schlüsselwort work LIve balance platziert. Erneut macht er eine Haltepause, mit der er das Schlüsselwort wirken lässt. In der anschließenden vierten Phrase setzt er den Fokusakzent auf den Namen des Unternehmens (Bosch) und markiert durch den Nebenakzent (grOßgeschrieben) die Botschaft, dass dieses Unternehmen besonders engagiert für seine Mitarbeiter sorgt. Der Pitch (siehe unten) der dritten und vierten Intonationsphrase (im Kasten) zeigt, dass die Tonlage (umkreist) vor den zwei Pausen gehalten wird. Das bedeutet, dass der Sprecher die Pausen bewusst vor den Schlüsselwörtern (unterstrichen) setzt. So hebt der figurierte Erzähler die Relevanz von Work Live Balance und Bosch in seiner Aussage hervor (Abb. 7.13):

Abb. 7.13
figure 13

Pitch für die Sprechtechnik, betontes Sprechen durch Pausen (Bosch, YouTube, o. J. Korpusquelle: BOSCH_526_YT)

Die Beispiele veranschaulichen, dass figurierte Erzähler/innen bewusst und kontrolliert erzählen (Merkmal „ausdrucksstarke Performanz“). Das ist gerade dann von Nöten, wenn die Arbeitgeberkampagne als Interview konzipiert ist. In dieser Darbietung sehen die Rezipient/innen bis zu drei Minuten „nur“ die figurierten Erzähler/innen. Die ausdrucksstarke Performanz ist damit zum einen ein Instrument, um über dynamische Elemente die Aufmerksamkeit der Rezipierenden zu binden. Zum anderen stellen figurierte Erzähler/innen mit der Sprechtechnik gezielte Schlüsselwörter in den Mittelpunkt ihrer Aussagen. Das Zusammenspiel der ausdrucksstarken Performanz mit den äußeren Merkmalen lässt das Auftreten der figurierten Erzähler/innen distinguiert und kontrolliert wirken.

Ich schließe die Beschreibung prosodischer Merkmale von figurierten Erzähler/innen mit der unter Sprechtrainer/innen bezeichneten Technik motivierendes Sprechen (Semmelrock 2018, motivierendes Sprechen) ab. Die Sprechtechnik zeichnet sich u. a. dadurch aus, dass die folgende Sprecherin die Geschwindigkeit und Lautstärke variiert. Mithilfe der Modulationstechnik werden die erzählten Inhalte lebendig. Außerdem kann eine motivierende Sprechtechnik die Informationsaufnahme der Rezipient/innen deutlich steigern (ebd.). Da es in Arbeitgeberkampagnen vorrangig darum geht, potenzielle Mitarbeiter/innen anzusprechen, treten auch appellative Sprechhandlungen auf. In dem kommenden Beispiel wendet die figurierte Erzählerin die Sprechtechnik an, um ihren Appel zu verstärken:

figure l

Die Sprecherin kontrastiert durch die veränderte Sprechgeschwindigkeit und Tonhöhe ihre Aussage. Sie beginnt mit einer als allgemeingültig angenommenen Aussage; Ingenieurswissenschaften seien schwer. Die Aussage spricht sie betont langsam und mit tiefer Stimme. Das Adjektiv SCHWE:R dehnt sie und rollt dabei mit den Augen. Während sie ihr Gegenargument formuliert, spricht sie betont dynamisch (beschleunigt) und hebt ihre Stimme an, wodurch es klingt, als würde sie ihre Lautstärke variieren. Die Sprechgeschwindigkeit hält sie bis zum Abschluss ihrer Argumentation bei. Dazwischen richtet sie ihren Appel also mädels !TRAUT! euch, an die Zielgruppe. Eingebettet in die beschwingte und fließende Sprechweise und hervorgehoben durch den akzentuierten Imperativ !TRAUT! euch, motiviert der Appell zumindest dazu, sich nicht wegen einer „schlechten“ Mathematiknote von einem ingenieurswissenschaftlichen Studium abbringen zu lassen.

Die angeführten Beispiele der nonverbalen und prosodischen Gestaltungsmittel figurierter Erzähler/innen zeigen, dass sie in ihrer Performanz wenig natürlich, vielmehr bewusst handeln. Das bewusste Verhalten legt nahe, dass sie diesbezüglich geschult wurden. Diese Beobachtung deckt sich auch mit Kommentaren der figurierten Erzähler/innen zu den Dreharbeiten in Making-Off Videos. Dadurch erachte ich die Vereinheitlichung ihres Sprechverhaltens hin zu einer ausdrucksstarken Performanz als ein Merkmal der Akteure. Darüber hinaus veranschaulicht das, dass es sich um keine „natürlichen“ Erzählungen, sondern um eine eingeübte Darbietung handelt, was die Betrachtung der vorgeführten Mitarbeiter/innen als figurierte Erzähler/innen unterstreicht.

7.2.2.1.8 Individualisierungsindikatoren

Die Inszenierung der Eigenschaften figurierter Erzähler/innen in Form der 1) äußeren Gestaltung (Make-up, Kleidung, Umgebung), 2) der Aufbereitung der Geschichte (Aufbau und Rollenzuweisung), 3) der vereinheitlichten Darbietung der Erzählung (Performanz) sowie der mehrfachen Wiederholung von Erzähltextinhalten durch die figurierten Erzählfiguren deuten auf das Bestreben hin, eine einheitliche Organisationale Identität zu kommunizieren.

„[Die] Organisationale Identität beschreibt demnach die Perspektive der Organisationsmitglieder darauf, wie sie die Organisation sehen und wofür die Organisation ihrer Ansicht nach steht.“ (Hatch/Schultz 2000: 15, nach Vogel 2012: 110)

Solche Vereinheitlichungsbestrebungen bergen allerdings die Gefahr, dass figurierte Erzähler/innen aufgrund der kollektiven Inszenierung an Individualität verlieren. Dadurch fungieren sie mehr oder weniger als ein Sprachrohr, konträr zu dem, was sie als erzählende Mitarbeiter/innen eigentlich transportieren sollen, und stellen ihre Authentizität trotz ihrer Performanzbemühungen in Frage. Um diesem Effekt entgegenzuwirken, betonen figurierter Erzähler/innen deutlich, dass sie ihre Sicht und Erfahrung wiedergeben (Wahrhaftigkeitstrigger, z. B. ,wirklich‘, ,tatsächlich‘, „Pseudo-kritische-Perspektive“). Zusätzlich flechten die Produzent/innen der Kampagnen individuelle Eigenschaften in die Erzählungen ein, die ich Individualisierungsindikatoren nenne. Damit soll die gesamte Persönlichkeit der Erzähler/innen, unabhängig vom Unternehmen, erfahrbar werdenFootnote 40. Individualisierungsindikatoren vermitteln etwas Persönliches über die Erzähler/innen, wie beispielsweise in folgender Kampagne von VW deutlich wird:

(Bsp. 1) „fußball ist schon mein hObby“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_426_WS)

(Bsp. 2) „ja wir sind hier grad bei uns im äh PROberaum, / bei der Probe von äh meiner BAND leathel ink;“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_427_WS)

(Bsp. 3) „wenn ich FREI habe, / fahr ich toTAL gern auto;“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_425_WS)

Werden diese Freizeitaktivitäten dann auch in den Dienst der (S)D des Unternehmens gestellt, stellen sie eine Verbindung her zwischen den figurierten Erzähler/innen und dem Unternehmen. Damit stellen sie heraus, welchen Mehrwert eine Mitgliedschaft in dem Unternehmen für seine Mitarbeiter/innen generiert. Das geschieht bereits in dem obigen Zitat von VW, in dem der Mitarbeiter Autofahren als sein Hobby ausweist und später auf seinen Golf referiert ich bin momentan eigentlich SEHR glücklich, / […] / jetzt natürlich noch dieses SUperschöne auto hier (Korpusquelle: VW_425_WS). Auch Edeka bedient sich der Strategie, z. B.

(Bsp. 1) in einem eingespielten fiktiven WhatsUp-Dialog zwischen der Mitarbeiterin und einem Freund:

„Leon // 7:02, Hey ist alles bereit für das Grillen heute Abend?;)“

→ die Mitarbeiterin antwortet:

„Naomi // 7:03 Handy: „Klar, ich kaufe nach dem Arbeiten alles ein;)“ (Edeka, YouTube, o. J. Korpusquelle: EDEKA_863_YT)

(Bsp. 2) oder verbal

„[in meiner] AUSbildung hab ich_ne mEnge über lebensmittel und ihre verwEndungsmöglichkeiten kennengelernt, / un_des kann ich SUper für zuhAUse nutzen, / da ich auch gerne KOche,“ (Edeka, YouTube, o. J. Korpusquelle: EDEKA_864_YT).

Neben solchen sprachlichen Individualisierungsindikatoren bieten Bewegtbilder auch bildliche Indikatoren an. So radelt beispielsweise ein Mitarbeiter von Siemens auf seinem Mountainbike durch eine schöne Herbstlandschaft, während er voice-over seine Geschichte zu erzählen beginnt. Ähnlich verhält es sich bei Rewe, wenn der figurierte Erzähler gefilmt wird, wie er mit dem Fahrrad zur Arbeit fährt und das zu einer Ehrensache und seinem Hobby erklärt (Korpusquelle: Rewe_391_YT). Dadurch werden Gegenstände (Fahrrad, Fußball, Musikinstrumente u. a.) und Kleidung (Freizeitbekleidung, Sportbekleidung) ebenfalls zu Indikatoren, die darauf hindeuten, dass ein Individuum aus seiner Sicht die uRE formuliert.

Die Analyse bringt zwei wichtige Ergebnisse zu Tage. Zum einen zeigt sie, dass figurierte Erzähler/innen regelrecht durchchoreografiert werden. Einige Unternehmen machen kein Geheimnis daraus, dass sie Mitarbeiter/innen für die Aufgabe auswählen und sie darauf vorbereiten. Das belegen online gestellte Making-Of-Ausschnitte. Darin zeigen die durchführenden Agenturen, wie sie die Mitarbeiter/innen vorbereiten (Make-up, Kleidung, Setting), während beteiligte Mitarbeiter/innen Bewertungen und Statements über ihre neu gewonnenen Erfahrungen wiedergeben, z. B. ich habe heute geLERNT, / wie man NICHT auf die kamera kucken soll, / und wie man sich naTÜRlich verhalten soll, / bei solchem DREH (Korpusquelle: Bosch_533_YT). In Anbetracht der professionellen Umsetzung ist das auch schwer zu leugnen: Also ist es durchaus ratsam, offensiv damit umzugehen. Was sich jedoch erst in der Analyse zeigt, ist die Tiefe des Eingriffs, der möglichst unsichtbar bleibt. Das Ergebnis sind vereinheitlichte Modellfiguren. Diese Entindividualisierung zu Gunsten einer einheitlichen Firmenidentität kann auch nicht durch das persönliche Merkmal „Mitarbeiter/in“ aufgewogen werden. Hinzu kommt, dass figurierte Erzähler/innen so gut wir gar nicht über den Behauptungsmodus hinausgehen. Das bedeutet, es kommt zu einer ausschließlich behaupteten Identifikation. Auch das können die vorgeführten Mitarbeiter/innen nicht verschleiern. Zum anderen zeigt die Analyse mithilfe der Archetypen, wie stark die (S)D von Unternehmen mit der „Great Place to Work Botschaft“ die Erzählungen dominieren. Ersichtlich wird das letztlich auch daran, dass der Archeplot der Heldenreise hierfür verzerrt werden muss:

  • Der/die eigentlichen Held/innen bleiben in weiten Teilen passiv, da Mentor/innen ihnen den Weg bereiten.

  • Die zwei Welten (Privatleben und Arbeitsleben) konfligieren nicht, sondern werden vielmehr zu einer Welt verschmolzen.

  • Die Archetypen ,Held‘ und ,Schatten‘ müssen zusammengeführt werden, damit zumindest ein Konflikt angedeutet ist.

7.2.2.2 Das anthropomorphe Unternehmen und die Unternehmensgründer

Kennzeichnend für das anthropomorphe Unternehmen (Krüger 2015: 114) ist, dass es als handelnd beschrieben wird. Dass auf Unternehmen als Akteure referiert wird, ist nicht ungewöhnlich. Dahinter steht zum einen die Sichtweise, dass Unternehmen „im juristischen Sinne verantwortliche Handlungssubjekte“ (Schmid/Lyczek 2008: 15) sind. Zum anderen steht dahinter, dass dieses Handeln einem Plan unterliegt. Bezeichnend für menschliches Handeln ist nach Schmid/Lyczek (2008) jedoch nicht nur, dass das Handeln ein geplantes und zielgerichtetes Verhalten, sondern auch, dass es zusätzlich begründungsfähig ist (Schmid/Lyczek 2008: 16). Im Fall des anthropomorphen Unternehmens, bedeutet das, dass das dargestellte Handeln zum Zweck der Zielerreichung von Vernunft geleitet wird. (ebd.) Burel (2015) bringt die Entscheidung, Unternehmen aus der sprachwissenschaftlichen Perspektive als Akteure aufzufassen mit der Begründung auf den Punkt, dass Unternehmen einen „Teil des gesellschaftlichen Supersystems ausmachen und als soziales, von Menschen gebildetes System gelten, in dem Wissen durch Kommunikation ausgehandelt und selektiert wird“ (Burel 2016: 115). Daraus folgt für sie, obwohl unter einem Akteur im engeren Sinne ein menschliches Wesen verstanden wird, auch Unternehmen als nicht-menschlichen Entitäten eine Akteurstätigkeit zuzuschreiben (ebd.). Das Merkmal ,anthropomorph‘ berechtigt sich insofern, als die beschriebenen Unternehmenshandlungen das Ergebnis menschlichen Verhaltens sind, das intentional und rational geleitet ist.

Unternehmensgründer sind dagegen unzweifelhaft menschliche Akteure. Gemeinsamkeiten zwischen dem anthropomorphen Unternehmen und den Unternehmensgründern ergeben sich aus ihrem Wirken in Bezug auf die Unternehmensentwicklung. Dieses Wirken wird ihnen insbesondere im Rahmen der Unternehmensgeschichte zugeschrieben, da in dieser sowohl das anthropomorphe Unternehmen, wie auch die Unternehmensgründer als unternehmensinterne Protagonisten auftreten. Daher stelle ich die Spezifika dieser beiden Akteure in einem Unterkapitel gemeinsam vor. Insgesamt verweisen acht der zehn untersuchten Unternehmen auf ihre Unternehmensgeschichte. In erster Linie hat sie auf der U- Homepage einen festen Platz, aber auch in den Sozialen Medien sind Ausschnitte daraus zu finden. Da die Homepage der präferierte Ort für die Erzählungen ist, habe ich die Daten von dieser Internetplattform ausgewertet. Auf dieser Grundlage gehe ich zuerst auf spezifische Merkmale des anthropomorphen Unternehmens und dann der Firmengründer ein. Abschließend verdeutlichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten, wo das Potenzial und die Grenzen der jeweiligen Akteure liegen.

7.2.2.2.1 Merkmale des anthropomorphen Unternehmens

Das vermenschlichte Unternehmen zeichnet sich – wie gerade ausgeführt – durch aktives Handeln aus: Dabei agiert, reagiert und interagiert es. Diese anthropomorphen Eigenschaften lassen sich grammatisch nachvollziehen. Auf der syntaktischen Ebene kommt dem Unternehmen als Satzglied dabei die Funktion des Subjekts zu. Diese Funktion erhält das Unternehmen von Verben in den entsprechenden Sätzen, die ihm zugleich die thematische Rolle des Handelnden oder Verursachenden (Agens, Pittner/Berman 2008: 50) zuweisen. Bezüglich des anthropomorphen Unternehmens stehen auf der lexikalischen Ebene Verben im Vordergrund, denn sie legen bestimmte Tätigkeitsfelder und Partnerkonstellationen fest. Unter der Perspektive zeigen die Analyseergebnisse für das anthropomorphe Unternehmen, dass damit spezifische Tätigkeiten und Interaktionspartner verbunden sind. Ebenfalls ein lexikalischer Indikator für das Anthropomorphisieren von Unternehmen ist die Anwendung von bestimmten Substantiven auf Unternehmen, die das semantische Merkmal ,belebt‘ bzw. ,menschlich‘ tragen sowie Eigenschaftszuweisungen. Komplexer – aber ebenfalls spezifisch – offenbart sich ein Merkmal von anthropomorphen Unternehmen, das auf der pragmatischen Ebene liegt – in Form der kommunizierten Botschaft bezüglich bestimmter Handlungen der Unternehmen und den daraus resultierenden Konsequenzen.

Eigenschaftszuschreibungen, die auf etwas Belebtes verweisen, sind bei anthropomorphen Unternehmen allgemein gehalten. Zum Ausdruck kommen sie neben dem Adjektiv ,jung‘ durch Phraseologismen wie sich in guter Verfassung befinden, einen Ruf haben und Charakter tragen. Bezogen auf Substantive indizieren nominelle Kompositionen rund um das Substantiv ,Tochter‘ (z. B. Festnetz-Tochter, US-Tochter, Tochter-Unternehmen, Tochter-Gesellschaft) Beziehungsstrukturen. Dabei referiert das Substantiv ,Tochter‘ auf familiäre Bindungen, die einem Menschen im Sinne der genetischen Abstammung als ,Nachwuchs‘ oder ,Nachfahrin‘ zukommen. Ebenfalls auf eine Verbindung zwischen belebten Entitäten referiert die Verbalphrase eine Partnerschaft vertiefen/stärken. Sie drückt jedoch keine Verwandtschaftsbeziehung, sondern den Bildungsprozess einer zwischenmenschlichen Bindung aus. In dem folgenden Beispiel unterstreicht das ebenfalls das Tempus (Perfekt), das auf einen Sachverhalt verweist, der eine unbestimmte Länge repräsentiert, die zum Zeitpunkt der Erzählung abgeschlossen ist (perfektiv, Eisenberg 2006: 111 f.):

„Zudem hat [das Unternehmen] Daimler 2009 seine Partnerschaft mit dem russischen Lkw-Hersteller Kamaz vertieft.“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_019_WS)

Auch die Substantive in den Phrasen in den Genen tragen oder ins Leben gerufen werden transportieren die semantische Eigenschaft ,belebt‘, ebenso wie das Substantiv Geburtstag.

Anhand der Verben, die das jeweilige Unternehmen als Agens der Unternehmensgeschichte mit auszeichnen, wird deutlich, dass Unternehmen reagieren, aus eigenem Antrieb handeln und interagieren. Das anthropomorphe Unternehmen reagiert in den Daten auf Umgebungseinflüsse, denen es sich nicht entziehen kann. Das betrifft die Verben ,reagieren‘, ,übernehmen‘ und ,sich behaupten‘. Einflüsse, die das anthropomorphe Unternehmen zu einer Reaktion zwingen, können aus „Unfällen“ resultieren, wie beispielsweise der Großbrand 1998 in der Vermittlungsstelle der Deutschen Telekom in Reutlingen:

Die Telekom reagierte sehr schnell und hatte schon kurz nach dem Ausfall die Notrufe und Sicherheitssysteme wieder ans Netz angeschlossen.“ (Dt. Telekom, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DTKOM_806_WS)

Ebenfalls reagieren Unternehmen in verschiedenen thematischen Bereichen rund um den wirtschaftspolitischen Wandel:

(Bsp. 1) „Die DM-Aufwertung belastete den Export des Volkswagenwerks und führte auf dem Binnenmarkt zu verstärkter Konkurrenz der ausländischen Anbieter bei gleichzeitig sinkender Nachfrage. Auf den währungspolitischen Einschnitt reagierte Volkswagen mit Preiserhöhungen.“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_396.5_WS)

(Bsp. 2) „Damit reagierte Volkswagen auf den durch die Ölkrise ausgelösten Konjunktureinbruch.“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_396.6_WS)

Ähnlich verhält es sich mit dem Verb ,übernehmen‘. Es kann sowohl eine Reaktion wie auch eine selbstmotivierte Handlung indizieren. Im Fall einer Reaktion, wird die Einflussnahme von außen als Begründungszusammenhang angeführt:

„Mitte der 1950er Jahre überstieg die Nachfrage nach Mercedes-Benz-Pkw die Produktionsmöglichkeiten des Unternehmens. Um die genötigte Kapazitätserweiterung zu gewährleisten, übernahm der deutsche Autobauer im Jahr 1958 die Auto-Union.“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_015_WS)

Ist dieser Begründungszusammenhang dagegen nicht expliziert, dann übernimmt ein anthropomorphes Unternehmen für gewöhnlich ein anderes Unternehmen oder Werke, sodass das Verb ,übernehmen‘ in einem eigenständigen Handlungsrahmen des anthropomorphen Unternehmens steht (z. B. mit dem impliziten Ziel der Gewinnmaximierung). Reagiert das anthropomorphe Unternehmen in Form eines längerfristigen Verhaltensprozesses, kommt das mit dem reflexiven Verb ,sich behaupten‘ zum Ausdruck:

„Bislang hatte sich Volkswagen gegenüber der fernöstlichen Konkurrenz gut behauptet“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_396.6_WS)

Auch in diesem Falle liegt ein Reiz von außen vor – fernöstliche Konkurrenz –, der dem anthropomorphen Unternehmen eine/mehrere Reaktionen abverlangt.

Wenn das anthropomorphe Unternehmen ohne einen explizit aktivierenden Reiz von außen handelt, geht es darum, das Unternehmen als solches wirtschaftlich zu stärken. Die Handlungsmotivation geht dabei direkt von dem Unternehmen aus. Das anthropomorphe Unternehmen agiert in diesen Situationen z. B. mittels der Verben ,investieren‘, ,gründen‘, ,entscheiden‘, ,planen‘ und insbesondere ,präsentieren‘. Hierzu folgende Beispiele:

(Bsp. 1) „Insgesamt investiert die Telekom in den nächsten Jahren bis zu 115 Millionen Euro in Personal-, Sach- und Finanzleistungen. Als “öffentliches Zukunftslabor” soll die T-City mit moderner Breitband-Infrastruktur im Festnetz und im Mobilfunk ausgestattet werden.“ (Dt. Telekom, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DTKOM_806_WS)

(Bsp. 2) „So gründet die REWE Group mit selbstständigen Handelsunternehmen das europäische Bündnis COOPERNIC.“ (REWE, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: REWE_313_WS)

(Bsp. 3) „Trotz zeitweiliger Überlegungen zum Verkauf der Standorte Sindelfingen und Berlin-Marienfelde entschied sich die Daimler-Motoren-Gesellschaft gegen eine Veräußerung und plante 1922 eine Diversifizierung der Produktpalette.“ (Daimler, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_012_WS)

(Bsp. 4) „Auf der internationalen Automobilausstellung in Frankfurt am Main präsentiert Volkswagen Highlights der aktuellen Modellpalette und automobile Zukunftsentwürfe.“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle VW_396.7_WS)

Anthropomorphe Unternehmen können darüber hinaus auch interagieren. Dazu ,vereinbaren‘ oder ,starten‘ sie Kooperationen und Neugründungen mit anderen Unternehmen oder ,erstreiten‘ Urteile für sich vor Gericht.

Diese Auswahl von regelmäßig wiederkehrenden Verben bezüglich anthropomorpher Unternehmen führt zwei Erkenntnisse mit sich. Die erste Erkenntnis betrifft die Handlungsfelder, die in erster Linie wirtschaftlich orientiert sind. Die Handlungen zeichnen sich dadurch aus, dass das anthropomorphe Unternehmen „unpersönlich“ handelt und sachlich orientiert ist. Diese Handlungsfelder sind zugleich mit dem Merkmal ,Partnerkonstellation‘ verbunden und beziehen sich mit wenigen Ausnahmen immer auf Kollektive. Das betrifft zum einen Teile der Bevölkerung, denen Unternehmen ein Produkt eine Leistung oder ähnliches zur Verfügung stellen, und Institutionen wie Vereine, die von den Unternehmen gefördert werden, wie zum Beispiel im Fall der Rewe-Group:

„Mit dem Erlös aus Aktionen der REWE-Nachhaltigkeitswochen realisiert REWE den Bau einer Schule in Tema, Ghana. Die Schulbildung von 800 Mädchen und Jungen wird so ermöglicht und langfristig gesichert.“ (Rewe, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: REWE_313_WS)

Zum zweiten betrifft das andere Unternehmen, die von Zusammenschlüssen mit oder von der Übernahme durch das anthropomorphe Unternehmen betroffen sind. Am häufigsten ist das anthropomorphe Unternehmen in seinen Handlungen allerdings auf sich selbst zurückgeworfen. Das bedeutet, dass es seine ,Handlungen‘ auf sich selbst bezieht. Auf diese Weise schreibt sich das anthropomorphe Unternehmen im Unternehmenskollektiv begründete Errungenschaften, wie Produktionsziele, Beschlüsse und Gewinne zu. Das ist tragbar, da die Unternehmensgemeinschaft Synergismen hervorruft, aus denen sich das Gesamtergebnis konstituiert. Umgekehrt ist das für einen menschlichen Akteur so nicht möglich, ohne sich fremder Lorbeeren zu bedienen. Dadurch kommt es zu einer Informationsverdichtung, da andernfalls aufwendig Abläufe und daran beteiligte Personen aufgezählt werden müssten. Entsprechend verwundert es auch nicht, dass das anthropomorphe Unternehmen vor allem in dem komplexen Zusammenhang mit Leistungsbenennungen und Leistungsvergleichen auftritt:

(Bsp. 1) „Damit hat E.ON so viel in Erneuerbare Energie investiert wie kein anderer deutscher Energieversorger. Mit seinem Portfolio zählt das Unternehmen auch international zur Spitze.“ (E.ON, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: E.ON_623_WS)

(Bsp. 2) „Hatte Volkswagen 1953 seine Exportlieferungen ins Vereinigte Königreich mit 900 Fahrzeugen begonnen, so erreicht das Unternehmen bereits zehn Jahre später, am 18. Juni, mit einem roten VW 1500 die Marke von einhunderttausend Auslieferungen.“ (VW, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: VW_396.5_WS)

(Bsp. 3) „In Sachen Nachhaltigkeit schneidet die REWE Group erneut sehr gut ab: Sie ist laut WWF-Studie im Hinblick auf ihre Palmölstrategie der nachhaltigste Lebensmittelhändler in Deutschland.“ (REWE, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: REWE_313_WS)

Die Leistungen des anthropomorphen Unternehmens bestehen auch hier im wirtschaftlichen Zugewinn, der erfolgreichen Umsetzung von (Groß-)Projekten oder der Unterstützung von sozial benachteiligten Personen:

Dank des Förderprogramms von Deutscher Telekom und Allianz konnten sich die über 50 Athleten des „German Paralympics Top Team“ optimal auf die Paralympics 2008 in Peking vorbereiten.“ (Dt. Telekom, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: DTKOM_806_WS)

Je nach Branchen werden bestimmte Merkmale, die der (S)D dienen, hervorgehoben: Das Energieunternehmen E.ON benennt Ergebnisse bezüglich der Produktion von und Investitionen in „sauberem/n“ Strom, die Deutsche Telekom ihre Bestrebungen, das Land mit einem leistungsstarken Mobilfunknetz und Internetzugang zu versorgen, Rewe erstrebt höchste Kundenfreundlichkeit und die Vermarktung ökologisch geförderter Lebensmittel. Die Automobilbauer heben neben Produktinnovationen – insbesondere VW – die Fürsorge für die Mitarbeiter/innen und die Region hervor. Bezeichnend für die Leistungsbenennungen ist, das Ergebnis aber nicht den Weg dahin zu kommunizieren. Auch dieses Merkmal spiegelt den unpersönlichen Charakter des anthropomorphen Unternehmens wider.

Bosch, Siemens und zu Teilen auch Daimler setzen auf den Personenmythos (Burel 2015: 368 ff.), der in Gründererzählungen praktiziert wird. Daher geht es im Folgenden um die Merkmale der Gründer und anderer einflussnehmender Personen wie Bertha Benz. Das Vorgehen offenbart die Unterschiede zwischen den beiden unternehmensinternen Protagonisten (anthropomorphes Unternehmen und reale Person) und verdeutlicht so ihre Funktion und ihre Rolle in den Erzählungen.

7.2.2.2.2 Merkmale der Unternehmensgründer

Unternehmen wie Siemens, Bosch oder Daimler berufen sich in ihren Unternehmenserzählungen gerne auf Personen, die das Unternehmen gegründet und geprägt haben. Die Bezugnahme auf den Gründer fasst Burel unter dem Terminus Personenmythos (2015: 373). Die Grundlage des Personenmythos ist die Charakterisierung der Gründer in Verbindung mit ihrer Einflussnahme auf gesellschaftliche Belange. Hierfür werden die Gründer in den Erzählungen nicht nur als Pioniere und Visionäre beschrieben, sondern auch als solche benannt:

(Bsp. 1) „Doch das kann die beiden Visionäre [Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach] nicht aufhalten.“ (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_198_YT)

(Bsp. 2) „Zu dieser Gruppe wahrhaftiger Pioniere zähle auch ich [Werner von Siemens] mich selbst.“ (Siemens, U.-Homepage, o.J. Korpusquelle: SIEMENS_568_WS)

Dabei wird das außergewöhnliche Wirken der Gründer in der Geschichte mit sprachlichen Hinweisen auf die Einzigartigkeit bestimmter Handlungen oder Entdeckungen betont:

  • In der Phrase ,zum ersten Mal erfolgreich mit etwas sein‘: Robert Bosch und sein Mitarbeiter Arnold Zähringer brachten zum ersten Mal einen Niederspannungs-Magnetzünder an einem Kraftfahrzeug, […], erfolgreich an. (Bosch, U.-Homepage o. J. Korpusquelle: BOSCH_466_WS)

  • Mit dem Adjektiv ,erste/r/s‘: Eine meiner bedeutendsten Konstruktionen war die erste elektrische Eisenbahn. (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_569_WS)

  • Mit dem Adjektiv ,einzigartig‘: Unser Geschäft in St. Petersburg entwickelte sich sehr erfolgreich und nahm in der Folge eine einzigartige Stellung im russischen Reich ein. (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_564_WS)

Die Gründer treten mit ihren Erfindungen einen Siegeszug an, verhelfen zu einem Durchbruch, [sie] läuten ein neues Zeitalter ein, verhelfen der Welt zum Aufbruch in die Zukunft oder legen den Grundstein für eine wichtige Weiterentwicklung. Zusätzlich kommunizieren beigefügte Attribute wie bahnbrechend oder bedeutend den Nutzen für die Gesellschaft. Größenvergleiche zwischen damals und heute, anhand von Räumlichkeiten und der Anzahl von Mitarbeiter/innen, unterstützen die erzählerische Rahmung „aus nichts etwas Großes aufzubauen“:

„Nach seiner Rückkehr gründet Robert Bosch am 15. November 1886 in Stuttgart sein Unternehmen – aus der kleinen Werkstatt mit zwei Mitarbeitern wird ein Weltunternehmen mit rund 300.000 Beschäftigten, mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz und Fertigungsbetrieben rund um den Globus – wie hier in Suzhou, China.“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: BOSCH_467_WS)

Mit diesem Frame (bspw. auch bei Siemens: vom Hinterhaus-Start-up zur Weltfirma) werden charakterisierende Einstellungen und Werte verbunden, die die Gründer in ihrem Handeln antreiben, wie die folgenden Beispiele illustrieren:

  • Die Einstellung zum Wohle der Allgemeinheit zu handeln: Ich will zeigen, dass ein junger Mann auch ohne viel Geld, alleine durch Arbeit, erfolgreich sein und Nützliches tun kann. (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_562_WS)

  • Die Einstellung grundlegende Werte in das Handeln einzubeziehen: Es war mir immer ein unerträglicher Gedanke, es könne jemand bei Prüfung eines meiner Zeugnisse nachweisen, dass ich irgendwie Minderwertiges liefere […], nur Arbeit hinauszugeben, die jeder sachlichen Prüfung stand hielt, also sozusagen vom Guten das Beste war. Einen Vertrag abschließen ohne Hintergedanken, ihn aufs pünktlichste erfüllen, habe ich stets für eine Tat höchster geschäftlicher Klugheit gehalten. Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt, lieber Geld verlieren als Vertrauen. (Eingebundene Originale Sprechaufnahme von R. Bosch, am Ende der Unternehmensgeschichte. Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: BOSCH_467_WS)

  • Die Einstellung an sich zu glauben: Zahllose Male in meinem Leben hat mich dieses Erlebnis daran erinnert, in schwierigen Situationen nicht aufzugeben, sondern ihnen aktiv und selbstbewusst zu begegnen. (Siemens, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_562_WS)

Letztlich mündet die Kombination aus „Frame + Einstellung“ in die Botschaft ,mit Fleiß, Verantwortungsgefühl und Beharrlichkeit ist alles möglich‘ oder nach Werner von Siemens: In den Worten, ich will, liegt eine mächtige Zauberkraft (Korpusquelle: SIEMENS_588_WS). Somit liegt der Erfolg in der Person selbst begründet und nicht in günstigen Voraussetzungen, wie monetären Vorteilen, Gönnern oder einfach nur Glück. Um diese Behauptung in den Erzählungen zu stützen, wird in den Geschichten das zielführende Verhalten der Gründer angeführt:

  • Selbst in meiner Freizeit widmete ich mich wissenschaftlichen Studien. (Siemens, U.-Homepage o. J. Korpusquelle: SIEMENS_562_WS)

  • Vom Werkstättenarbeiter im Elsass, über gewissenhaftes Studium widmet er sich im reifen Alter von 48 Jahren, seinem Lebenstraum. […], tüftelt und bastelt er ununterbrochen. (Daimler, YouTube, o. J. Korpusquelle: DAIMLER_198_YT)

Diese retrospektive, narrativ inszenierte Charakterisierung der Gründer führt zu einer Glorifizierung der Gründerleistung. Die daraus resultierende Stilisierung wird hierbei insbesondere durch den erbrachten Nutzen für die Allgemeinheit legitimiert. Im Sinne der (S)D ist es das Ziel, die im Gründermythos kommunizierten Eigenschaften und Werte auf das daraus entstandene und heute bestehende Unternehmen zu übertragen. Im Fall der Unternehmensgeschichte rund um Bosch geschieht das explizit mit einem Schlusssatz:

„… auch seine Werte, sein Verantwortungsgefühl und sein unternehmerischer Geist inspirieren die Mitarbeiter weltweit noch heute.“ (Robert Bosch Special: Vordenker, Tüftler, Demokrat: Vom Hinterhof auf die Weltbühne.“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: BOSCH_467_WS)

Sowohl Siemens als auch Bosch verfügen über verschiedene Varianten der Unternehmensgeschichte. Sie unterscheiden sich darin, wie stark die Gründerperson im Mittelpunkt steht. Daimler nimmt in seiner Unternehmensgeschichte zwar auch punktuell die Gründerpersonen in seiner Erzählung auf, hat hierfür allerdings keine eigene Erzählung kreiert – mit Ausnahme der Geschichte rund um die erste automobile Fernfahrt von Bertha Benz und ihren Söhnen. Das Unternehmen Bosch betreibt dagegen unabhängig von der Unternehmensgeschichte auf seiner Homepage einen eigenständigen Bosch History Blog, in dem neben der erneut ausgeführten Unternehmensgeschichte auch als wichtig erachtete Leistungen des Gründers erzählt werden. Auch hier findet sich das Bild des Visionärs, der allen Umständen zum Trotz erfolgreich seiner „Berufung“ folgt:

„Wie eine Erfolgsgeschichte liest sich das nicht gerade: Eröffnung November 1886, Aufbau von zwei auf gerade einmal gut 15 Mitarbeiter bis 1891. Im selben Jahr Startkapital fast aufgebraucht, Bürgschaften von der Mutter, zusätzliche Bankkredite und 1892 am Rande der Insolvenz. Robert Bosch musste einiges aushalten in den ersten knapp zehn Jahren. Hätte er das nicht, gäbe es das Unternehmen Bosch heute nicht. Und er verlor den Mut offenbar nicht, überzeugt von seinem Optimismus, seinem Tatendrang, und der Gewissheit, es zu schaffen. Dabei war er kein Phantast.“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: BOSCH_482_WB)

Da ein eigener History Blog mehr Raum für die Gründer- und Unternehmensgeschichte zur Verfügung stellt, können an dieser Stelle zusätzliche Leistungen des Gründers einbezogen werden. In diesem Fall handelt es sich vorrangig um den gesellschaftlichen Mehrwert, den Robert Bosch über unternehmensbezogene Leistungen hinaus geschaffen hat:

„Am 28. April 1940 ging für Robert Bosch ein Herzenswunsch in Erfüllung. das von ihm gestiftete homöopathische Krankenhaus in Stuttgart wurde feierlich eröffnet.“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: Bosch_485_WB)

Außerdem geht die narrative Gründerbeschreibung über die Figur des fachbezogenen ,Visionärs‘ hinaus, indem Robert Bosch als innovativer Vordenker in Szene gesetzt wird:

„In seiner eigenen Lehre war Robert Bosch nicht sehr glücklich gewesen. Der lernbegierige Junge war vom Inhalt der Lehre und vor allem seinem Lehrmeister tief enttäuscht. Dies legte die Wurzel für die am 1. April 1913 gegründete Lehrlingswerkstatt der damaligen Robert Bosch AG. Den Lehrlingen seines eigenen Unternehmens sollte es besser ergehen als ihm selbst!“ (Bosch, U.-Homepage, o. J. Korpusquelle: Bosch_486_WB)

Robert Boschs besondere Leistung in der Geschichte liegt in der Gründung einer eigenen Akademie, in der er Mitarbeiter/innen eine gezielte und qualitative Ausbildung ermöglichen möchte.

Die Zitate aus der Unternehmensgeschichte von Bosch zeigen, dass die Erzählungen in der dritten Person realisiert sind. Das Unternehmen Siemens hat dagegen die Geschichten rund um seinen Unternehmensgründer in ein anderes narratives Format gesetzt, das weitere Optionen anbietet, den Gründermythos zu pflegen: Für die Geschichten wurde von dem Siemens Historical Institute eine achtteilige Serie in Bewegtbildanimation mit einer Figur namens Werner von Siemens und einem voice-over Ich-Erzähler gestaltet. Die narrative Inszenierung mithilfe eines Ich-Erzählers eröffnet eine weitere Möglichkeit zur Pflege des Personenmythos, die insbesondere das anthropomorphe Unternehmen nicht leisten kann, da es de facto keine Person ist. Die Möglichkeit betrifft das Einbinden von persönlichen Abenteuern, die ein Gründer erlebt hat. In acht Kapiteln der audio-visuellen Reihe über Werner von Siemens erzählt der Ich-Erzähler von wichtigen Entdeckungen, Ereignissen und Bündnissen, mit denen „er“ – der Gründer – das Unternehmen aufgebaut und beeinflusst hat. Neben den meist fachlich deskriptiven und explikativen Sequenzen sind in die Erzählungen immer wieder kleine Anekdoten eingebunden, die keinen expliziten Bezug zu der Unternehmensgeschichte selbst haben, sondern vielmehr persönliche Bezüge zu der Gründerperson erlauben. Solche Binnenerzählungen sind zwar auch eine Form der Gründercharakterisierung, doch machen sie die Erzählungen auch unterhaltsam und reichern sie emotional an. Im Folgenden ein Beispiel aus der Ich-Erzählung „von“ Werner von Siemens:

„Mit meinem Team war ich zu den Pyramiden von Gizeh gereist. Dort wollten wir uns von den Einheimischen auf die Spitze einer dieser Pyramiden bringen lassen. Auf dem Weg nach oben zog ein Sturm auf. Der Wüstenstaub wirbelte durch die Luft und verdichtete sich zu einem dicken weißen Nebel. Das war für mich eine willkommene Gelegenheit für ein kleines wissenschaftliches Experiment, auf der Spitze der Pyramide. Angeblich stecken Sandstürme voller Elektrizität. Um das zu beweisen, hielt ich eine Leidener Flasche über den Kopf. [...] Kaum hatte ich diese, heute würde man sagen, historisch erste Form eines Kondensators hochgehoben, knallten laute Blitze. Unsere arabischen Führer wurden wütend und beschimpften uns, mit unserer vermeintlichen Zauberei ihrer Einnahmequelle zu schaden. Mit Gewalt wollten sie uns von der Pyramide herunter zerren. Also hielt ich einem der aufgebrachten Einheimischen einen Flaschenhals vors Gesicht. Woraufhin sich die Flasche mit Getöse entlud und der Angreifer umfiel. Nach wenigen Sekunden stand er auf, rannte mit riesen Sätzen den andern bereits geflüchteten Arabern hinterher, die Pyramide hinab und schrie dabei nach Leibeskräften: „Magie, Magie!“. Napoleon ist der Sieg am Fuße der Pyramide im Jahr 1798 nicht so leicht gefallen, wie mir der meinige auf ihrer Spitze.“ (Siemens, U.-Homepage/Siemens Historical Intitute, o. J. Korpusquelle: SIEMENS_565_WS)

Die Binnenerzählung beinhaltet ein Abenteuer von Werner von Siemens, das nicht unmittelbar an ein Produkt gebunden ist. Bildliche Beschreibungen, die Wiedergabe von Gedanken, die direkte Rede und der Höhepunkt sollen die Erzählung humorvoll, lebendig und ansprechend wirken lassen. Der metanarrative Einschub heute würde man sagen des Ich-Erzählers entschärft die erzählerisch hergestellte Überhöhung aufgrund der Parallele zu Napoleon. Gleichzeitig stellt die Binnenerzählung Eigenschaften des Gründers, wie Wissensdurst, Leidenschaft für sein Fachgebiet, Einfallsreichtum und Mut, heraus und verortet ihn abschließend humoresk auf Augenhöhe mit der historischen Person ,Napoleon‘.

7.2.2.2.3 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Die Betrachtung der unternehmensinternen Protagonisten in der Unternehmensgeschichte zeigt nicht nur deren Eigenschaften, sondern auch, inwieweit sie für die Geschichte funktional sind, daher stellen sie einen „text“-internen Einflussfaktor dar. Menschliche Akteure sind an jenen Stellen unverzichtbar, an denen es darum geht, spezielle Entdeckungen, Handlungen und Einstellungen plausibel zu machen. Aus diesem Grund sind Unternehmensgeschichten, die auf menschliche Akteure setzen, deutlich näher an dem, was unter einer prototypischen Erzählung verstanden wird. Für Detailierungsverfahren, innere Monologe, direkte Rede oder die Etablierung eines Spannungsbogens sind menschliche Akteure privilegiert. Bei den Gründern steht das ganzheitliche Wirken im Sinne einer umfassenden Charakterisierung im Vordergrund. Damit ist auch verbunden, dass in diesen Erzählungenungen emotionale Aspekte stärker hervorgehoben werden. Erzählungen, in denen das anthropomorphe Unternehmen agiert, betonen vor allem Leistungen mit der Schwerpunktsetzung auf die Ergebnispräsentation. Sie sind mehr daran ausgerichtet, Daten, Fakten und Informationen weiterzugeben. Mithilfe des anthropomorphen Unternehmens können kollektive Leistungen (z. B. Produktionsziele, Beschlüsse) vorgeführt werden. Das zeigen insbesondere die Verben, mittels derer das anthropomorphe Unternehmen handelt. Vorrangig betrifft das die Verben ,präsentieren‘, ,entwerfen‘, ,konstruieren‘, ,beginnen‘ oder ,produzieren‘. Gemeinsam ist beiden internen Protagonisten, dass sie das Unternehmen repräsentieren, seine Entwicklung mit möglichen Höhen und Tiefen vorführen. Dabei haben beide der handelnden Protagonisten ihre Vorzüge und Grenzen. Da Unternehmen komplex sind und sich ihre Leistung aus den Synergismen der handelnden Mitglieder ergibt, ist der Personenmythos der Gründer für sich genommen nicht ausreichend um die Unternehmensgeschichte abzubilden. Dafür können jedoch positive Personenmerkmale der Gründer auf das Unternehmen übertragen und durch die Personifizierung affektive Komponenten beigefügt werden. Diese Stärken und Grenzen sind ein Anhaltspunkt dafür, dass in Unternehmensgeschichten für gewöhnlich sowohl das Unternehmen anthropomorph versprachlicht ist, als auch menschliche Akteure auftreten. Eine reine Gründererzählung ohne eine Referenz auf das anthropomorphe Unternehmen ist in den Daten ungewöhnlich. So ist beispielsweise die Gründererzählung rund um Werner von Siemens ein Sonderprojekt anlässlich des 200-sten Geburtstag. Daneben existiert eine zweite Version der Unternehmenserzählung, in der auch das anthropomorphe Unternehmen auftritt.