Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Leser/innen mit der materialen Grundlage bekannt zu machen, damit ihnen die später folgenden theoretischen und methodischen Ausführungen plausibel sind. Angewandte qualitative Aufbereitungs- und Auswertungstechniken – also die Methode der Datenanalyse – um narrative Praktiken von Unternehmen im Zusammenspiel mit ihrer (S)D im Internet nachzuverfolgen, habe ich in direkter Nähe der Analysekapitel platziert (Kap. 6). Mag die Trennung der Korpusbeschreibung von der Analysemethode ungewöhnlich wirken, erachte ich sie in Anbetracht der heterogenen Datenlage jedoch als zielführend.

Das Korpus ist die Belegsammlung jeglicher DokumenteFootnote 1, die für die Analyse vorliegen. Der Vorteil an einem Korpus ist, dass man mit bereits bestehenden Dokumenten arbeitet und das Forschungsmaterial nicht in der Datenerhebung „erschafft“ (wie z. B. bei Befragungen oder Interviews). Allerdings ist dadurch das Korpus das Untersuchungsobjekt. Es muss somit im Rahmen der Möglichkeiten systematisch zusammengestellt werden, um der Forschungsfrage gerecht zu werden und subjektive Willkür und Zufall zu reduzieren. Die Herausforderung Daten aus dem World Wide Web (WWW) in einem Korpus zu sammeln, liegt zum einen darin, dass es eine unerschöpfliche Menge an Daten beinhaltet. Die damit verbundene Frage, welche Rahmenbedingungen ich für die Datenauswahl ansetze, führe ich in Abschnitt 2.1 aus. Zum anderen stellt das WWW spezifische Anforderungen an den Umgang mit den Daten, da sie nicht beständig ab- und aufrufbar sind (Archivierung und Spiegelung der Daten, vgl. Meier-Schuegraf 2006: 167). Wie ich mit dieser Herausforderung umgehe, ist Gegenstand von Abschnitt 2.2.

2.1 Datenerhebung

Die Daten für das Korpus wurden mit dem Ziel erhoben, narrative Vermittlungsvorkommen im Internet mit der (S)D von Unternehmen in einen Zusammenhang zu bringen. Die angewandte Methode der Datenbearbeitung ist der qualitativen Sozialforschung entnommen (Kap. 6). Für die Datenerhebung qualitativer Untersuchungen gilt im Allgemeinen, dass „nicht die Menge [der Daten], sondern ihre Qualität entscheidend [ist]“ (Meindl 2011: 26). Die Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man bereits weiß, mit was man es zu tun hat und wo die entscheidenden Daten zu finden sind. Zwar gibt es in Bezug auf Unternehmen Ausgangspunkte – bspw. die Homepages von Unternehmen (U.-Homepage) oder Corporate Blogs, auf denen Erzählungen sehr wahrscheinlich zu finden sind. Allerdings sind das zwei Plattformen von vielen und es ist zu erwarten, dass diese beiden Internetplattformen eben nur einen Teil narrativer Praktiken ausmachen. Betrachtet man den Onlinebereich als ein „Feld sozialer Praxis“ (Meier-Schuegraf 2006), der dank verschiedener Webauftritte eine Vielzahl an Kommunikationsmöglichkeiten und Funktionalitäten bereithält (ebd. 2006: 168), ist davon auszugehen, dass für Unternehmen weitere Optionen zur narrativen (S)D im WWW möglich sind. Gerade mit Blick auf das Erzählen verweisen Erzählforscher/innen darauf, dass das „Erzählen im digitalen Zeitalter auch im Internet nicht nur Hochkonjunktur [hat], sondern […] auch eine bemerkenswerte Bandbreite neuer Erscheinungsformen […] hervorgebracht [hat]“ (Nünning/Rupp 2012: 3). Unter diesen Grundannahmen galt es zuerst, einen Überblick über die möglichen narrativen Erscheinungsformen im Internet zu gewinnen. Deswegen habe ich mich für ein exploratives Vorgehen hinsichtlich der Datenerhebung entschlossen. Etwas zu ,explorieren‘ bedeutet, „Sachverhalte zu erkunden, zu erforschen oder ausfindig zu machen“ (Bortz/Döring 2006: 352). In der Wissenschaft ist mit Exploration „das mehr oder weniger systematische Sammeln von Informationen über einen Untersuchungsgegenstand gemeint, das die Formulierung von Hypothesen […] vorbereitet“ (ebd. 2006: 354). Der Grundgedanke für die Materialsammlung ist mit Blick auf die Fragestellung, ein Korpus zu bilden, das einerseits vielseitig ist, indem es Narrative verschiedener Internetplattformen beachtet, und das andererseits branchenunabhängig ist. Für die Datenerhebung sind unter dieser Zielsetzung zwei Punkte zentral: Erstens muss ein Arbeitsbegriff für Narrativität vorausgesetzt werden, der offen genug ist, die erwartete Bandbreite der unterschiedlich realisierten Narrativität zu erfassen. Aus diesen Erzählungen werden dann sukzessive im hermeneutischen Prozess narrative Spezifika des Untersuchungsgegenstands herausgearbeitet (siehe Kap. 5). Damit sind jegliche Erzählformate das Zugriffsobjekt der Datenerhebung. Sie sind die Basis dafür, um sich überhaupt narrativen Praktiken von Unternehmen zu nähern. Zweitens muss das Datenvolumen in einem Rahmen gehalten werden, der einerseits der Fragestellung gerecht wird und andererseits auswertbar ist. Hierfür wurden Auswahlkriterien festgelegt, um zu entscheiden, welche Internetplattformen in welchem Umfang durchsucht und welche Unternehmen einbezogen werden.

2.1.1 Arbeitsbegriff für Narrativität

Befasst man sich mit Erzählungen im Internet, ist es aufgrund des multimodalen Angebots sinnvoll mit einem Narrationskonzept zu arbeiten, welches Erzählungen als ein medienübergreifendes Phänomen auffasst. Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass Erzählungen nicht immer in narrativer Reinform auftretenFootnote 2. Sie sind vielmehr mit Deskriptionen oder Argumentationen durchzogen. Enthalten solche Erscheinungsformen Abschnitte oder erscheinen aufgrund technischer Voraussetzungen – wie im Fall von Twitter – Fragmente, die Charakteristika des Erzählerischen aufweisen und die für die (S)D funktional sind, sind sie für eine Untersuchung über narrative Praktiken zur (S)D unabkömmlich. Das bedeutet für das initial veranschlagte Narrationskonzept, dass es auf narrative Fragmente, narrative Mischformen und explizite Erzählungen genauso wie auf multimodale Repräsentationen anwendbar sein muss. Kuhn (2013) setzt sich in seinen Überlegungen über eine Narrativitätsdefinition für eine Filmnarratologie mit verschiedenen Definitionen auseinander. Daraus entwickelt er eine Definition, die für die erwartete Datenlage als zielführend erachtet wurde:

„Als narrativer Text im engeren Sinne fasse ich Repräsentationen auf, in denen eine Geschichte (das ist mindestens eine Zustandsveränderung) von einer oder mehreren nicht anthropomorph zu verstehenden narrativen Instanz(en) durch ein beliebiges Zeichensystem vermittelt oder kommuniziert wird.“ (Kuhn 2013: 73)

Gerade das in der Definition angesprochene Definitionskriterium einer Zustandsveränderung lässt sich in Anbetracht der große Bandbreite von narrativen Realisierungen für die Datenerhebung anwenden, da das Kriterium einen Anfangs- und Endzustand voraussetzt. Selbst in narrativen Fragmenten (z. B. Tweets) können Hinweise auf vorausgegangene oder folgende Fragmente gegeben werden, die auf eine Zustandsänderung anspielen oder diese beinhalten – allein schon um das gewünschte Zielpublikum zu binden (Interesse und Aufmerksamkeit wecken, Spannung aufbauen). Des Weiteren setzt Kuhn zwar eine vermittelnde Instanz voraus, sie ist jedoch – anders als bei Genette – nicht auf eine sprachliche Vermittlung festgelegt. Daraus folgt, „dass auch eine nicht-sprachliche narrative Vermittlung für möglich gehalten wird“ (Kuhn 2013: 73). So ist die Definition sowohl auf schriftliche, mündliche wie auch audiovisuelle Repräsentationen anwendbar, insofern die Datenlage das erfordert. Ausgehend von dieser Konzeption hat die angewandte qualitative Analysemethode im Untersuchungsprozess zu einer objektspezifischen Betrachtungsweise der archivierten narrativen Praktiken geführt und mündet letztlich in ein spezifisches Verortungsschema für Erzählungen zur (S)D von Unternehmen (Abschn. 5.4).

2.1.2 Auswahlkriterien: Internetplattformen

Die Auswahl der Internetplattformen beruht auf den folgenden Kriterien: Ausgewählt wurde die jeweilige Unternehmenshomepage, da sie als „Visitenkarte“ (Hillmann 2017: 58) den Dreh- und Angelpunkt für Informationen darstellt. Im Bewusstsein dessen pflegen Unternehmen sie, indem sie darauf neben ihren (Produkt-)Angeboten Grundlegendes (z. B. Konzepte, Visionen, Werte u. a.) und Aktuelles (z. B. Aktionen, Engagement) abbilden. Zusätzlich erfahren Interessent/innen für gewöhnlich in einer Rubrik wie bspw. „Tradition“ oder „Unternehmen“ die Unternehmens- und/oder Gründergeschichte. Darüber hinaus ist das Social Web ein Bereich, in dem sich Zielgruppen der Unternehmen versammeln. Hier ist der wiederholt im Fachdiskurs genannte Begriff des Sozialkapitals von Bedeutung. Dabei handelt es sich um einen heterogen verwendeten und disziplinübergreifenden Begriff (Soziologie, Politikwissenschaft, Betriebswirtschaftslehre, Psychologie). Ohne die fachliche Diskussion hierzu vertiefen zu wollenFootnote 3, beschreibt Coleman (1988) funktionale Aspekte des Sozialkapitals, denn

„letztlich sind […] nicht die sozialen Beziehungen und die Netzwerke an sich maßgebend, sondern das, was aus ihnen an sozialer Rendite für den individuellen Akteur [im vorliegenden Fall ist es das Unternehmen] entspringt“ (Hofer 2012: 291).

Aus dieser Nutzungs- und Wirkungsperspektive heraus hat das Sozialkapital vorteilhafte Effekte für Unternehmen, wie den Vertrauensvorschuss von Bezugsgruppen in das Unternehmen und dadurch erweiterte Handlungsspielräume, Streuung von Informationen u. a. Aufgrund dessen wurden von Unternehmen bespielte Weblogs (Corporate Blogs), Xing, Twitter, YouTube und Facebook als Erhebungsorte mitaufgenommen. In der folgenden Aufzählung gehe ich auf die Internetplattformen und einige grundlegende Anreize ihrer Nutzung für Unternehmen ein:

Facebook: Im Januar 2018 steht Facebook in Deutschland unter den Social Networks und Messenger Diensten nach der Anzahl der monatlich aktiven Nutzer/innen an erster Stelle (We Are Social 2018a, Februar 2018). Rund 30 Millionen Menschen verwenden die Internetplattform (Horizont (2017), Mai 2017). Bemessen an der Gesamtbevölkerung in Deutschland von ca. 82,5 Millionen (Statistisches Bundesamt, 31.12.2016), sind das rund 36 Prozent der Bevölkerung. Entsprechend haben 2017 5.710 befragte Marketingverantwortliche der Top-500-Unternehmen weltweit Facebook als eine der bedeutendsten Social Media Plattformen benannt (Social Media Examiner 2017). Neben dem Produkt-Marketing tritt die Plattform zunehmend für das Content-MarketingFootnote 4 von Unternehmen in Funktion. In den Kommunikations- und Medienwissenschaften haben Zerfaß und Pleil 2015 zur Unternehmenskommunikation in den sozialen Medien den Sammelband Handbuch Online-PR herausgegeben. Im fünften Teil des Sammelbandes, in dem verschiedene Konzepte für spezifische Kommunikationssituationen in der Online-Kommunikation behandelt werden, greift Mammen (2015) explizit Facebook als Instrument der Unternehmenskommunikation auf. Die Attraktivität der Plattform für Unternehmen stellt sie in den Zusammenhang mit den Stärken der Plattform. Darunter zählen u. a. die multilinguale Ausrichtung (70 Sprachen), die Reichweite und damit verbunden die vielen täglichen Besucher/innen mit langer Nutzungsdauer. Hinzu kommt die kostenfreie Nutzung für Unternehmen. Anwendungsbereiche für die Unternehmenskommunikation auf Facebook sieht die Autorin insbesondere im Rahmen der Mitarbeitergewinnung (Employee Recruiting). (ebd. 2015: 340) Möchten Unternehmen einen Post auf Facebook veröffentlichen, können sie dafür insgesamt 63.000 Zeichen aufwenden und ihn mit Bildern anreichern. Möchte man ein YouTube Video direkt und nicht als Link in einen Facebook-Post einbinden, muss es als Datei auf Facebook hochgeladen werden. Das ist etwas unkomfortabel. Daher bestehen die erhobenen Daten aus Text und Bildern. Die möglichen 63.000 Zeichen schöpft kein Unternehmen in dem Korpus aus.

Twitter: Die Internetplattform Twitter entwickelte sich aus einem internen Kommunikationstool der kalifornischen Podcast-Firma Odeo. Die Mitarbeiter des Unternehmens Dorsey, Stone, Williams und Glass hatten die Idee, dass sich alle Teammitglieder mithilfe kurzer Statusmeldungen untereinander vernetzen und sich so gegenseitig auf dem neuesten Stand bezüglich ihrer Arbeit halten. Das Prinzip, Menschen durch Kurznachrichten basierend auf der Frage „Was tust du gerade?“ miteinander zu verbinden, fand großen Anklang. Aufgrund der großen Nachfrage gründeten Dorsey, Stone und Williams 2006 ihre eigene Firma mit dem Namen ,Twitter‘. (Weinberg 2012: 166 ff., Weller et al. 2014: xxxf.) 2017 verzeichnete das Unternehmen im dritten Quartal weltweit 336 Millionen aktive Twitter Nutzer/innen pro Monat. Vor allem Personen im Alter von 14 bis 39 Jahren nutzen Twitter (faktenkontor 2018). Es handelt sich somit – wie auch bei Facebook – um Menschen, die mitten im Leben stehen: Also aktiv am Erwebsleben teilnehmen und konsumieren. Entsprechend steht Twitter 2016 in einer Umfrage darüber, welche sozialen Medien Unternehmen anwenden, nach Facebook gemeinsam mit YouTube an zweiter Stelle (bevh; Boniversum 2016). Für Unternehmen ist vor allem die Anzahl jener Personen, die ihnen bewusst folgen (Follower), ein Indikator dafür, wie beliebt sie sindFootnote 5. Twitter ist ein Microblog, der zu den bekanntesten seiner Art zählt. Ein Posting auf Twitter umfasst max. 140 Zeichen. Zusätzlich können Bilder, Links und YouTube-Videos eingebunden werdenFootnote 6.

Xing: Xing ist eine deutschsprachige Social-Media-Plattform, auf der die Nutzer/innen Geschäftsnetzwerke bilden und verwalten. Für Unternehmen ist Xing zur aktiven Suche nach möglichen Mitarbeiter/innen wertvoll. 2003 gründete Lars Hinrichs die Open Business Club GmbH, die heute Xing SE heißt. In einer Befragung im Jahr 2018 von 160 der Top-1.000-Unternehmen durch die Universitäten Bamberg und Erlangen-Nürnberg gaben 27,1 Prozent der Befragten Xing als ein wichtiges Instrument zur Personalsuche an. Auf die global ausgerichtete Internetplattform LinkedIn griffen dagegen zum selben Zweck 11,1 Prozent der befragten Unternehmen zurück (Universität Bamberg 2019). Nach einer Erhebung des Statistischen Bundesamts sehen 21 Prozent der befragten Führungskräfte Xing als erfolgskritisch für Unternehmen (Statistisches Bundesamt 2016). Vor dem Hintergrund sind Unternehmen auf der Internetplattform darauf aus, nicht nur aktiv nach Personal zu suchen, sondern sich ebenfalls als gute Arbeitgeber/innen zu präsentieren. Neben Hinweisen auf Auszeichnungen (Grate Place to Work, Top Arbeitgeber, Familienfreundlicher Arbeitgeber u. a.) oder Mitarbeiter-Bewertungen (z. B. Kununu) liegt Unternehmen daran, bspw. auf der Startseite unter der Rubrik „Über uns“, Mitarbeiter/innen ihre Erfahrungen mit ihrem Unternehmen erzählen zu lassen (z. B. Daimler AG). Dabei handelt es sich für gewöhnlich um audiovisuelle Reportagen, also Filme, in denen die Mitarbeiter/innen vor verschiedenen Kulissen über ihre berufliche Tätigkeit, ihren Werdegang und persönliche Entwicklungen sprechen. Siemens nutzte beispielsweise Xing auch dazu, unter der Rubrik ,Aktuelles‘ zum Gründerjubiläum eine Miniserie über Meilensteine im Leben von Werner von Siemens zu veröffentlichen.

YouTube: Beißwenger leitet den Sammelband YouTube und seine Kinder mit den folgenden Worten ein: „Am 15. Februar 2005 wurde die Medien- und Kommunikationslandschaft gleichermaßen revolutioniert“ (ebd. 2019: 15). Der Erfolg der Plattform lag nicht in der Innovation an sich, sondern in ihrer unkomplizierten und nutzerfreundlichen Anwendung. Attraktive Zugabe zum einfachen Hochladen von Videos ist die Funktion des Embedding (Einbinden der Filme in fremde Webseiten). Mit Blick auf die Rezipientenfreundlichkeit können die Videos ohne zusätzlichen Mediaplayer auch auf durchschnittlich ausgestatteten Rechnern abgespielt werden. Für Nutzer/innen ist YouTube attraktiv, da sie unterschiedliche Bewegtbild-Formate hochladen (Rau 2014: 817) oder zur Erhebung eines Meinungsbildes „die Bewertung der Videos in Form eines 5-Sterne-Ratings“ (Beißwenger 2019: 16) nutzen können. Beißwenger nennt drei Vorteile der Bewegtbild-Revolution, die nicht nur Privatpersonen, sondern auch Unternehmen tangieren: Erstens geben Bewegtbilder/Filme in einer Zeit des Informationsüberflusses durch ihre multisensorische Darstellung schnelle Orientierung. Zweitens können Menschen sich darüber der breiten Öffentlichkeit darstellen. Drittens prognostiziert der Autor, dass „[d]er Mensch von morgen […] mehr denn je eine Identität besitzen [wird], die untrennbar mit der Kreation, der Bewertung und dem Konsum von Bewegtbild-Inhalten verknüpft ist“ (Beißwenger 2019: 22). Das Corporate TVFootnote 7 und Corporate Web Videos sind Leitinstrumente der Unternehmenskommunikation. Sie können Hintergrundberichte oder Liveübertragungen von Aktionen wiedergeben. Zusätzlich entdecken Unternehmen YouTube zunehmend mehr für ihre Personalbeschaffung (Recruiting). Die Videos sollen das Unternehmen und seine Mitarbeiter/innen möglichst authentisch abbilden und so Aufmerksamkeit erregen (Schneider 2012: 40). Die Bewegtbilder verbinden diegetische mit mimetischen Erzählelementen (Showing und Telling). Häufig erzählt ein/e Mitarbeiter/in in voice over, während mit Musik unterlegt Ausschnitte der Erzähltextinhalte sie audiovisuell begleiten (Lahn/Meister 2013: 269). Aufgrund der Möglichkeit des Embedding sind die Bewegtbildinhalte in andere unternehmenseigene Webseiten unkompliziert zu integrieren. So können Unternehmen ihre Botschaft einfach und schnell streuen. Nach der ARD/ZDF-Onlinestudie 2018 erreicht YouTube immerhin 64 Prozent der Bevölkerung und verzeichnet deutliche Zuwächse bei der Reichweite (Kupferschmitt 2018: 428)Footnote 8.

Corporate Blog: Eine Arbeitsdefinition, die Puschmann (2010) anwendet, definiert einen Corporate Blog „as a (primarly textual) blog used in an institutional context to further organizational goals“ (ebd. 2010: 15). Anwendungsbereiche für Corporate Blogs finden sich sowohl in der internen wie auch in der externen Unternehmenskommunikation. Um narrative Praktiken von Unternehmen zur Imageförderung nachzuverfolgen, fokussiere ich Corporate Blogs, die der externen Unternehmenskommunikation unterliegen. Bereits 2012 schreibt Rinke, dass Unternehmen zunehmend Corporate Blogs installieren. Aus einer Befragung von 407 deutschen Unternehmen im Jahre 2014 geht hervor, dass zu diesem Zeitpunkt immerhin 32,7 Prozent einen Corporate Blog nutzen (BVDW 2014a). Im Jahr 2016 sind Corporate Blogs mit 39 Prozent das am häufigsten genutzte Format der Social Media Kanäle, nach Facebook (2016: 93 Prozent) und YouTube (2016: 55 Prozent) (BEVH 2016). Als Einsatzbereich der sozialen Medien und damit auch von Corporate Blogs benennen befragte Unternehmen 2014, dass sie am häufigsten zur Kundenbindung (70,3 Prozent) eingesetzt werden und zu 51.8 Prozent zur Presse und PR Arbeit (BVDW 2014a). Die Umfrageergebnisse unterstützen Rinkes (2012) Annahme über den Einsatz von Corporate Blogs, den sie in erster Linie darauf zurückführt, dass das Bloggen an sich öffentlichkeitswirksam und von daher für Unternehmen relevant dafür ist, sich im öffentlichen Raum in Stellung bringen. Es existieren abhängig von der jeweiligen Fachdisziplin unterschiedliche Möglichkeiten, Corporate Blogs untereinander zu differenzieren. Puschmann (2009: 55) unterscheidet nach seiner linguistischen Untersuchung sechs Corporate Blogtypen mit eigenen Funktionen. Für die hier untersuchten Erzählungen sind der strategy blog, multipurpose blog und der recruitment blog (2010: 55) von Bedeutung. Funktionen in diesen Bereichen reichen beispielsweise von der positiven Beeinflussung der öffentlichen Wahrnehmung, einer aktiven Diskussionsgestaltung der Unternehmen über sich selbst, der Interessensbekundung an öffentlichen/politischen Themen bis dahin, dass Interesse am Unternehmen für neue Mitarbeiter/innen zu wecken und mit ihnen in Kontakt zu treten. Der Vorteil von Corporate Blogs leitet sich von personal blogs ab. Die unterstellte Authentizität der Blogger beeinflusst die Wahrnehmung der Rezipient/innen. (Puschmann 2009, 2010) Darüber hinaus bezieht Rinke (2012: 300f.) den Aspekt der Mundpropaganda mit ein, mit dem Unternehmen u. a. ihren Firmennamen einbringen (vgl. Rinke 2012: 301) und m. E. insbesondere ihren guten Ruf pflegen (= Imageförderung). Der mögliche Zeichenumfang ist technisch unbegrenzt. Auf den gesichteten Corporate Blogs handelt es sich überwiegend um ausführliche Beiträge. Je nach Verfasser/in sind sie eindeutig narrativ. Andernfalls handelt es sich um Mischformen, in denen überwiegend explanative, deskriptive, teils argumentative, mit narrativen Anteilen kombiniert sind. Auch auf dieser Internetplattform wird die Option, Bilder und Bewegtbilder hinzuzufügen, wahrgenommen. Neben dem möglichen Zeichenumfang ist ein weiterer Anreiz, dass die Unternehmen zu den Beiträgen eine Kommentarfunktion einrichten könnenFootnote 9.

2.1.3 Auswahlkriterien: Unternehmen

So wie die Internetplattformen unterlag auch die Auswahl der Unternehmen bestimmten Vorgaben. Insgesamt wurden aus fünf unterschiedlichen Branchen jeweils zwei Unternehmen herausgesucht, sodass Daten von zehn Unternehmen vorliegen. Die Auswahl der Unternehmen basiert auf folgenden Kriterien:

  1. 1.

    Die Unternehmen verfügen neben der Unternehmenshomepage über eine digitale Präsenz in den sozialen Medien.

  2. 2.

    Die Unternehmen haben ihren Hauptsitz in Deutschland. Dadurch sollen Übersetzungsfehler ausgeschlossen und die Internetpräsenz in deutscher Sprache sichergestellt werden. Ein kontrastiver Vergleich ist nicht Teil der Untersuchung.

  3. 3.

    Die Unternehmen produzieren Güter/Waren/Dienstleistungen für die Endverbraucher/innen. Das erhöht die Anzahl potenzieller Interessent/innen und legt ein erhöhtes Kommunikationsangebot seitens der Unternehmen nahe.

  4. 4.

    Es werden Spartenunternehmen, Startups und mittelständische Unternehmen ausgeschlossen, da unterstellt wird, dass finanzstarke Unternehmen sich mit ihrer (S)D intensiver auseinandersetzen (Corporate Identity). Des Weiteren verfügen sie über monetäre Mittel, ihre (S)D entsprechend zu vermarkten. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen in das – für sie als Storytelling propagierte – Erzählen investieren. Als Grundlage für die Auswahl der Unternehmen wurde das Ranking des Forbes (2000) The World’s Biggest Public Companies hinzugezogen. Da in dem Ranking nicht aus jeder Branche zwei deutschsprachige Unternehmen vorhanden waren, wurden die Unternehmen mithilfe von Umsatzzahlen (Umsatz in Millionen Euro) im Jahr 2014/2015 ergänzt.

Ausgehend von den beschrieben Voraussetzungen entstand ein Korpus aus der Internetpräsenz folgender Unternehmen (Tab. 2.1):

Tab. 2.1 Bereiche der Datenerhebung

Die Auflistung zeigt, dass die Kriterien nicht immer bis ins Letzte eingehalten werden konnten. Die Volkswagen AG verfügt zum Zeitpunkt der Datenerhebung über keinen deutschsprachigen Corporate Blog und die Einzelhandelsunternehmen über keinen Twitteraccount. Des Weiteren wäre Vodafon nach seinen Umsatzzahlen der Dt. Telekom näher als Telefonica Dtl. Da Vodafon zum Erhebungszeitpunkt seine Internetpräsenz überarbeitete, waren allerdings weder alle Internetplattformen noch ausreichend Daten verfügbar. Hinsichtlich der Corporate Blogtypen habe ich mich auf recruitment blogs, strategy blogs und multipurpose blogs fokussiert (Puschmann 2010: 55). Allerdings nehmen nicht alle Unternehmen diese funktionalen Unterteilungen vor. Daimler und die Dt. Telekom untergliedern ihre Corporate Blogs in Rubriken, andere Unternehmen sammeln alle Beiträge unsortiert auf einem Corporate Blog.

2.2 Materialsammlung und Archivierung

Im Folgenden gehe ich auf die Erhebungstechnik zur Materialsammlung ein, die neben dem Erhebungsumfang auch die Datenarchivierung einschließt. Die ausgewählten Internetplattformen der zehn Unternehmen wurden zum Erhebungszeitpunkt (Ende 2015 bis Mitte 2016) vollständig gesichtet und Daten, die der Arbeitsdefinition zu Narrativität entsprachen, für das Korpus aufbereitet. Das daraus entstandene Primärkorpus setzt sich aus dem Angebot zusammen, welches zum Erhebungszeitpunkt und bis zu drei Jahre rückwirkend auf den Plattformen abrufbar war. Der große Erhebungszeitraum wurde gewählt, damit die Daten nicht eine Momentaufnahme der jeweiligen Kommunikationsabteilung und ihrer Verantwortlichen darstellen. Die rückwirkende Datenerhebung betrifft insbesondere die Internetplattformen der sozialen MedienFootnote 10. Um die Daten trotz der Dynamik von Internetplattformen mit sich permanent wandelnden Inhalten zu sichern, wurden folgende Maßnahmen ergriffen:

Die Archivierung der Daten erfolgte mithilfe von (a) Screenshots sämtlicher relevanter Postings und Abbildungen, (b) durch das Herunterladen von YouTube Videos inklusive der Screenshots ihrer Bildschirmumgebung, (c) mit der Kopierfunktion in ein Worddokument überwiegend von Narrativen auf Corporate Blogs und letztlich (d) dem AbfilmenFootnote 11 von Internetseiten (meistens U.-Homepage), um die Pfade zum Dokument (z. B. Rubriken) sowie zu Bewegtbildern, die nicht heruntergeladen werden konnten (auch in Tweets), zu sichern. Aus diesen Daten entwickelte sich das Primärkorpus, das in folgendes Ordnersystem einsortiert wurde:

  1. 1.

    Ebene: Branche

  2. 2.

    Ebene: Unternehmen

  3. 3.

    Ebene: Internetplattform

  4. 4.

    Ebene: narrative Umsetzung (Mischform, explizite Erzählung, erzählerische Elemente/Fragmente, unvollständige Erzählung)

Damit die Daten im Korpus auffindbar sind, erhielten sie jeweils eine laufende Nummer (Erzähl-ID), unter der sie gespeichert sind und die mitunter inhaltliche Beziehungen zwischen einzelnen Elementen anzeigen (z. B. bei Erzählserien: 61, 61.1, 61.2). Parallel dazu strukturierte ich die Elemente anhand einer interaktiven Exceltabelle (im elektronischen Anhang). Sie beinhaltet folgende Spalten: Branche, Unternehmen, Erz_ID, Erhebungsort, Merkmal der Narrativität, URL und/bzw. Datum des Zugriffs sowie modale Realisierungsoptionen (Text/Bild/Film). Mithilfe der Tabelle konnte das Korpus nach entsprechenden Merkmalen durchsucht, gefiltert und einzelne Merkmale miteinander in Beziehung gesetzt werden. Allerdings stellt die Tabelle ein Arbeits- und kein Analyseinstrument dar. Jegliche Thesen, die daraus abgeleitet werden, müssen anhand der Datenanalyse überprüft werden. Das Vorgehen gewährleistete den Überblick über die abschließend 1007 gespeicherten Elemente. Auf dieser Basis entstand als Arbeitsgrundlage ein Datenpool (= Primärkorpus), aus dem zur qualitativen Analyse die Daten selektiert und in gegenstandsbezogene Teilkorpora eingepflegt wurden (primäre Subkorpura und sekundäre SubkorporaFootnote 12). So stehen je nach Untersuchungsinteresse separate Datensets für die Feinanalysen zur Verfügung.

Die Teilkorpora wurden für die Bearbeitung in das qualitative Analyseprogramm MAXQDA® eingespeist. In diesem Programm können alle aufgenommenen Dokumententypen (Text, Audiodateien, PDF, Videodateien, Bilddateien, Transkript) hochgeladen und Audio- sowie Videomaterial ggf. transkribiert werden. Das Programm bietet zahlreiche Optionen. Für die qualitative Inhaltsanalyse waren die Wortsuche, die Labelfunktionen von Wörtern, Bildern, Video- und Dokumentensegmenten, die Memofunktion und der Export der Labels in andere Subkorpora und Excel Tabellen für Vergleiche und Feinanalysen grundlegende Arbeitsinstrumentarien.

2.3 Häufigkeitsverteilung der Daten

Das Ziel der Datenerhebung war es, ein Korpus zu bilden, das es erlaubt, gemeinsame Muster herauszuarbeiten (vgl. Marx/Weidacher 2014: 33). Da der Zeitraum der Datenerhebung länger zurückliegt, wurden wiederholt Vergleichsproben mit aktuellen Online-Veröffentlichungen der ausgewählten Unternehmen durchgeführt. Wie sich die Daten im Primärkorpus, welches als Datenpool für weitere Untersuchungen dient, verteilen, zeigt das untenstehende Balkendiagram (Abb. 2.1):

Abb. 2.1
figure 1

Gesamtbelege der einzelnen Internetplattformen, absolute Zahlen

Das Balkendiagramm veranschaulicht, dass die meisten Daten im Korpus von den U.-Homepages und Corporate Blogs stammen, während von den anderen Webseiten deutlich weniger Elemente archiviert sind. In der nächsten Abbildung zeigt das Balkendiagramm, wie die Daten innerhalb der einzelnen Unternehmen über die Internetplattformen verteilt vorliegen. Diesbezüglich existieren von Daimler die meisten Datenbelege. Für die verbleibenden Unternehmen rangieren die Datenbelege zwischen 80 Elementen (VW) und 117 Elementen (EnBW). Die konkrete Verteilung der Daten über die Plattformen innerhalb der Unternehmen sind verschieden. Unter dem Diagramm folgt eine Tabelle, in der die absoluten Zahlen im Primärkorpus für jedes Unternehmen aufgeführt sind. Die quantitative Auflistung bestätigt für das Korpus die häufig getroffene Aussage, dass Unternehmen die Unternehmenshomepage und/oder den Corporate Blog als einen geeigneten Ort für Erzählungen erachten (Abb. 2.2, Tab. 2.2).

Abb. 2.2
figure 2

Verteilung der erhobenen Belege im Korpus nach Häufigkeit, absolute Zahlen

Tab. 2.2 Verteilung der Daten im Primärkorpus, absolute Zahlen