Um narrative Praktiken von Unternehmen im Internet mit Blick auf die übergeordnete Hypothese zu untersuchen, dass Erzählungen von Unternehmen im Internet funktional an imagefördernden (S)D ausgerichtet sind, gehe ich in der Untersuchung davon aus, dass das, ,was‘ Unternehmen über sich nach außen kommunizieren (Inhalte), grundsätzlich ausschlaggebend für die Gestaltung dieser Botschaft ist. Dieses Herangehen lehnt sich an Felders (2006) Methode an, der zur Beschreibung von Geltungsansprüchen in politischen Reden eine Form-Funktions-Analyse wählt. Bei seinem Vorgehen stellt er „das Verhältnis von möglichen Formen zum Erzielen potenzieller Wirkungen bzw. Funktionen in den Mittelpunkt der Betrachtung“ (Felder 2006: 158). Das bedeutet, dass er von möglichen Absichten der Textproduzent/innen ausgeht, eine bestimmte Form aufgrund einer bestimmten Funktion auszuwählen. Sein Interesse richtet sich diesbezüglich danach, welche sprachlichen Formen das System dabei zur Verfügung stellt.

Die Datengrundlage der vorliegenden Arbeit bilden narrative Realisierungsformen von Unternehmen aus dem Internet (= Form), die ein imageförderndes nicht produktorientiertes Selbstbild vermitteln sollen (= Funktion). Dahinter steht die Annahme, dass Unternehmen den narrativen Kommunikationsmodus bewusst wählen, um ihre (S)D zu gestalten. Die Untersuchung fußt auf zwei Säulen, die ich miteinander verbinde; nämlich sowohl auf narrativen als auch auf sprachlichen bzw. multimodalen Realisierungsmerkmalen, deren Beitrag zur (S)D ich herausarbeite. Das methodische Vorgehen beruht auf einem eigens etablierten, gegenstandsbezogenen Prozessmodell, welches das Prinzip der linguistischen Hermeneutik mit Aufbereitungstechniken aus der qualitativen Sozialforschung (Mayring 2016; 2010) unter Hinzunahme linguistischer Analysen kombiniert. Relevante Inhalte in Erzählungen zur imagefördernden (S)D ermittelte ich mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse, die ich widerum mit der Methode der textlinguistischen Themenbestimmung unterstützte. Aussagen über die konkrete sprachliche Umsetzung der Inhalte schließen neben narratologischen ebenfalls linguistische Untersuchungen ein. Da der Fokus auf narrative Praktiken von Unternehmensvertreter/innen über die erhobenen Inhalte hinausgeht, richteten sich die Feinanalysen zum einen darauf, ob bestimmte narrative Vermittlungsformen für die Selbstdarstellungsfunktion im Internet existieren und was sie auszeichnet. Zum anderen war von Interesse, wie sich die erhobenen (S)D in das narrative Gefüge einpassen und mit welchen Ressourcen die Autor/innen sie umsetzen (= Inszenierung und Stilisierung der vier Grundtypen). Angesichts der zwei verschiedenen Untersuchungsschwerpunkte wählte ich die Verfahren der induktiven Kategorienbildung (sequenzielle Feinanalyse der (S)D) und der typologischen Analyse (sequenzielle Feinanalyse des narrativen Vermittlungsvorkommens). Die Ergebnisse aus diesen beiden Verfahren, habe ich im weiteren Verlauf auf verschiedenen linguistischen Ebenen (lexikalisch, grammatisch, semantisch, prosodisch) erfasst und veranschaulicht. Da sich beide Untersuchungsschwerpunkte auf das gleiche Untersuchungsobjekt (Erzählungen von Unternehmen) beziehen, wird eine komplexe Wechselbeziehung insofern deutlich, als die narrative Gestaltungsform die (S)D begünstigt und umgekehrt die (S)D die narrative Gestaltungsform maßgeblich mitbestimmt.

Die erhobenen Daten spezifiziere ich angelehnt an die Textsortenklassifizierung „Repräsentationstexte“ (Gohr 2002: 304) unter dem Arbeitsbegriff ,unternehmensbezogenen Repräsentationserzählungen‘ (uRE). Das primäre Ziel von Repräsentationstexten ist es, ein Unternehmen der Außenwelt möglichst vorteilhaft zu präsentieren. Damit ist ein Konstruktionsprozess verbunden, der – im Falle des von mir erhobenen Korpus – an eine möglichst umfassende positive Unternehmenswirklichkeit gebunden ist. Indem ich in dem Kompositum ,Repräsentationstext‘ das Determinans ,Text‘ durch ,Erzählung‘ substituiere, schließe ich multimodale Realisierungsoptionen im Internet mit ein. Des Weiteren stelle ich dem Terminus Repräsentationserzählungen mit der Spezifizierung ,unternehmensbezogen‘ den Hinweis auf ihre Bezugswelt zur Seite. Dabei handelt es sich um eine institutionelle Bezugswelt, deren Akteure bestrebt sind, eine unverkennbare Unternehmensidentität zu etablieren (Corporate Identity), um sich von anderen Unternehmen im Wettbewerb um bestimmte Zielgruppen abzuheben.

Unter dieser funktionalen Perspektive habe ich in den Daten vier Grundtypen der (S)D identifiziert, mit deren Hilfe Unternehmen ein imageförderndes Selbstbild für ihre Bezugsgruppen kreieren. Dabei stehen Unternehmen vor der Frage, wie sie solch ein positives Selbstbild kommunizieren, ohne zu riskieren, des stigmatisierten Eigenlobs bezichtigt zu werden. Daher suchen Unternehmen „andere Formen des Sagens“ (Biere 1994: 11) oder ein geeignetes Transfersystem für ihre (S)D. Die Analyse zeigt, dass uRE sich diesbezüglich als Transfersystem mit einer anderen Form des Ausdrucks für (S)D eignen.

1. Mit Blick auf die Erzähltextinhalte geschieht dies, indem Unternehmen das Darzustellende sozusagen reaktiv als Einlösen ihrer kommunikativen Pflicht offerieren (vgl. Biere 1994: 13). Diesbezüglich lassen sich vier Themenfeldern der geschaffenen Erzählanlässe finden: 1. Ausbildung/Arbeitsplatz, 2. Aktuelle Informationen/Öffentlichkeitsarbeit, 3. Unternehmensgründung/-entwicklung, 4. unterhaltende Anekdoten: außerordentliche Ereignisse. Indem Unternehmen ihre (S)D in diesen Themenfeldern produzieren, legitimieren sie diese zugleich, da sie auf das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit im Hinblick auf Unternehmenshandlungen sowie allgemeine gesellschaftliche Erwartungen an Unternehmen reagieren.

2. Hinsichtlich der Inszenierung von (S)D zeigt die Analyse, dass sich (S)D diskret in eine Geschichte einarbeiten lassen. Inszenierung habe ich ausgehend von Knoblauch (1998) als ein Plausibelmachen der (S)D für die kommunikative Handlung ,Erzählen‘ untersucht. Dabei wurde deutlich, dass sich (S)D unauffällig in den Erzählverlauf einfügen, da sie sowohl durch ihre flexible Platzierung (Anfang, Mitte, Schluss) als auch durch ihre sprachliche Realisierung schlüssig im narrativen Gefüge erscheinen. Eine (S)D zu Beginn der uRE muss bspw. mit der Ereignisdarstellung verbunden werden, damit die Rezipient/innen die Geschichte auch im Sinne der (S)D aufnehmen. Entsprechend prägnant formulieren sie die Erzähler/innen. Der Einleitung vorangestellte oder in die Einleitung integrierte Sprechhandlungen wie Behaupten und/oder Begründen treffen Kernaussagen, die die Sinnkonstitution des weiteren Handlungsverlaufs mitbestimmen. Die Inszenierung der (S)D in der Mitte einer uRE kann sowohl direkt als auch komplex erfolgen. So findet sich z. B. als direkte Inszenierung die Paarsequenz ,Frage – Antwort‘, die einen vermeintlichen Zugzwang auslöst: Die Antwort der Paarsequenz trägt die selbstdarstellende Botschaft. Eine komplexe Inszenierung in der Ereignisdarstellung ist in den uRE zerdehnt und kann sich auf verschiedene Darstellungsobjekte beziehen, die die Erzähler/innen im Verlauf der Geschichte miteinander in Beziehung setzen. Dabei sind Beschreibungen und Charakterisierungen der „Objekte“ bedeutend, die stellvertretend für bestimmte Unternehmenskennzeichen stehen. Am Ende der uRE erscheint die (S)D in weiten Teilen als explizite oder implizite Bewertung der erzählten Inhalte und Handlungen. Da Bewerten ein prototypischer Erzählabschluss ist, fügt sich die (S)D unmarkiert in die uRE ein.

3. Basierend auf den Erzähltextinhalten lassen sich vier Grundtypen der (S)D herausarbeiten, die auf einer spezifischen narrativen Stilisierung beruhen. Eine narrative Stilisierung zielt darauf, darstellungsrelevante Inhalte als besonders auszuzeichnen. Die Sprechhandlungen ,Behaupten‘, ,Beschreiben‘ und ,Bewerten‘ evozieren die sprachliche Stilisierung, die Erzähler/innen entweder aus ihrer Innen- oder mit einer Außenperspektive formulieren. Entsprechend handelt es sich um Fremd-/Selbstaussagen, Fremd-/Selbstbeschreibungen und Fremd/-Selbstbewertungen. Je nach (S)D zeigt die Analyse der Typenstilisierung Merkmale, die wiederum der narrative Kommunikationsmodus begünstigt. Hierbei handelt es sich um Merkmale, die auf einen narrativen Begründungszusammenhang aufbauen. Folglich sind sie strategisch gelenkt und zielgerichtet. Das Ziel besteht darin, auf der Basis einer uRE, die Grundtypen überzeugend, glaubhaft und wirkungsvoll zu präsentieren. Diesen Vorgang fasse ich als narrative Rhetorik der Grundtypen auf. Für die jeweiligen Typen wurden folgende Merkmale in Verbindung mit ihrer spezifischen Rhetorik ermittelt (Tab. 10.1):

Tab. 10.1 Übersicht Grundtypen der (S)D mit erhobener narrativer Rhetorik

4. Darüber hinaus zeigt sich die besondere Eignung von uRE für eine imagefördernde (S)D in den wechselnden Settings und mit den unterschiedlichen Akteuren. So kann ein und dieselbe (S)D aufgrund verschiedener Perspektiven und individueller Erlebnisqualitäten wiederholt und dennoch interessant dargeboten werden: entweder durch mehrere „Stimmen“ innerhalb einer Erzählung (Polyphonie) oder durch die Wiederholung thematisch verwandter Geschichten mit unterschiedlichen Erzähler/innen (Iteration).

5. Die Ergebnisse unterstreichen die Haupthypothese, dass uRE von Unternehmen im Internet an der (S)D ausgerichtet sind. URE entstehen aufgrund von Selektionsprozessen (Themen, Akteure, narrative Gestaltung), die eine Wirklichkeit entlang vorbestimmter Deutungsangebote ((S)D) konstruieren. Die erhobenen uRE weisen eine hohe Dichte an imagefördernden (S)D auf. Dabei ist eine uRE nicht ausschließlich auf eine (S)D festgelegt; allerdings wird eine (S)D besonders in den Vordergrund gestellt. Dabei deuten die Daten auf eine Branchenspezifik hin. Beispielsweise lässt sich bezüglich der (S)D als ,verantwortungsbewusstes Unternehmen‘ in den Daten beobachten, dass Energie- und Lebensmittelunternehmen stärker die Facette eines ,ökologisch bewussten Unternehmens‘ ausbauen. Dagegen steht in dem Korpus bezüglich der Automobil- und Elektrotechnologieunternehmen die Facette des ,sozial und kulturell engagierten Unternehmens‘ im Vordergrund. Erwähnenswert bezüglich der Themenfelder ist, dass keine narrativen Daten im Bereich „aktueller“ Krisenkommunikation oder zu Zielen und Visionen aufgefunden wurden. Selbst das Unternehmen VW, das im Jahr 2015 mit dem „Abgasskandal“ negativ von sich reden machte, zog eine Strategie des Schweigens vor.

6. Dass Erzählungen im Allgemeinen als eine andere Form des Ausdrucks zur (S)D beitragen, spiegelt sich darüber hinaus in meinem ersten Eindruck, dass Unternehmen in uRE hinsichtlich ihrer (S)D mit Fingerspitzengefühl bzw. subtil agieren (Abschn. 1.2). In Anbetracht der Omnipräsenz von (S)D innerhalb der uRE ist das ganz und gar nicht der Fall. Allerdings sind die (S)D im Rahmen der uRE und mithilfe der narrativen Rhetorik so selbstverständlich integriert, dass der narrative Kommunikationsmodus geradewegs über sie hinwegzutäuschen scheint oder sogar eine imagefördernde (S)D fordert – allerdings nur solange sich die Unternehmen für bestimmte Stilisierungen an entsprechende Grundsätze und Gestaltungsprinzipen halten. Das betrifft z. B. die Facette ,karitatives Engagement‘ innerhalb der (S)D zum ,verantwortungsbewussten Unternehmen‘. Hier hat die Untersuchung der Stilisierung Folgendes ergeben:

  1. a)

    Eine Orientierung an dem erzählerischen Gestaltungsprinzip: Der Hinweis auf die karitative Unternehmenshandlung muss mit einer „gewissen Bescheidenheit“ kommuniziert werden.

  2. b)

    Der daran ausgerichtete Grundsatz lautet: Das Unternehmen darf sich nicht auf Kosten der Begünstigten als Wohltäter vorführen, die uRE also nicht offensichtlich zu Werbezwecken benutzen.

Im Gegensatz dazu ist die Stilisierung der (S)D zum ,attraktiven Arbeitgeber‘ geradezu radikal. Das ist möglich, weil Mittler/innen sie übernehmen. Hier greift die zweite Subhypothese:

Die narrative (S)D von Unternehmen übernehmen Mittler/innen, die entweder Teil des Unternehmens oder von demselben beauftragt sein können. Das beeinflusst die narrative Realisierung, die Auswahl sowie die Rollen möglicher textextern und textintern handelnder Akteure.

In dem Korpus übernehmen überwiegend Mitarbeiter/innen die Rolle der Mittler/innen. Die Ratgeber- und Fachliteratur hebt sie als Unternehmensrepräsentant/innen immer wieder deutlich hervor. Die Frage, wie sie im „Endprodukt“ auftreten, wird, nachdem die uRE veröffentlicht wurden, nicht weiter beachtet. Daher habe ich eine ausführliche multimodale Analyse von Mitarbeiter/innen, die neben den Unternehmensgründern zu den Hauptakteuren innerhalb einer uRE zählen, vorgenommen. Ausgangspunkt der Analyse sind audiovisuelle Arbeitgeberkampagnen von Unternehmen auf ihrer U.-Homepage und/oder Xing. Die Untersuchung zeigt auf, wie die Mitarbeiter/innen sich präsentieren und präsentiert werden. Das beinhaltet auch die praktische Umsetzung im Bewegtbild (z. B. Kameraeinstellungen), das charakteristische Merkmale der Erzähler/innen strategisch in Szene setzt. Dadurch werden sie sozusagen zu ,figurierten Erzähler/innen‘. Die Analyse offenbart, dass figurierte Erzähler/innen im Dienste der imagefördernden (S)D von Unternehmen nicht für Individualität, sondern vielmehr für Konformität stehen. Im Zusammenwirken der analysierten Vereinheitlichungen von Erzähler-Merkmalen (= Unifizierungen) werden die Mitarbeiter/innen zu einer homogenen Gruppe. Insgesamt wurden fünf Unifizierungen erhoben:

  • Bindung an das Unternehmen und die Marke

  • Unifizierung der Rollenzuschreibungen

  • Unifizierung der äußeren Gestalt

  • Unifizierung von Eigenschaften

  • Unifizierung der Performanz

Es zeigt sich, wie die Erzähltextinhalte vereinheitlicht und die erzählenden Mitarbeiter/innen zu gewünschten Modell-Mitarbeiter/innen für die favorisierte Zielgruppe inszeniert werden. Mit Bezug auf die Erzähltextinhalte wirkt sich diese Figurierung (= Unifizierung von Rollenzuschreibungen) dahingehend aus, dass die von Unternehmen bevorzugte Heldenreise (Campbell [1949] (2011)), sowohl im Archeplot als auch in den Archetypen aufgrund dieser Unifizierungen nicht funktioniert und abgewandelt werden muss. Darüber hinaus verbleiben die Mitarbeiter/innen aufgrund der Konformität in einem Behauptungsmodus (Beyer 2018), ohne die Möglichkeiten einer Erzählung auszuschöpfen. Dem artifiziellen Charakter versuchen die Autor/innen mit sprachlichen und thematischen Individualindikatoren entgegenzuwirken. Zwar ist die Inszenierung der Erzähler/innen in Arbeitgeberkampagnen nicht zu übersehen und auch die Unternehmen versuchen sie nicht zu verbergen, doch ihre Tiefe und die betroffenen Ebenen des Eingriffs kommen erst in der ausgeführten Detailanalyse zutage.

Die erste Subhypothese, der zufolge der pragmatische Kontext der (S)D die uRE beeinflusst, lässt sich zu Teilen anhand der Themenfelder und der figurierten Erzähler/innen bestätigen. Außerdem kommt der Einfluss der (S)D in den erhobenen narrativen Vermittlungsvorkommen bezüglich der Gewichtung spezifischer narrativer Elemente/Merkmale zum Tragen. Besonders tritt der Einfluss in spezifischen Strukturelementen der uRE hervor. Der Höhepunkt einer Erzählung, der im klassischen Fall auf einer Komplikation oder einem Wendepunkt beruht, ist für imagefördernde (S)D potenziell gefährlich. So zeigen die Vermittlungsvorkommen sobald Komplikationen auftreten, dass diese auf äußeren Widrigkeiten beruhen (z. B. Unwetter, Unfälle, Wirtschaftskrisen, Krieg u. a.). Andererseits liegen häufig gar keine prototypischen Höhepunkterzählungen vor, insofern die Erzähler/innen schlichtweg von keinem Höhepunkt erzählen können (z. B. Arbeitsalltag). Die Erzähler/innen verlagern den Höhepunkt in diesem Kontext deswegen auf ihre Bewertung und ihr Erleben. So stilisiert ein expressiv affektiver Ausdruck das vermeintlich Banale zu einer erzählenswerten Geschichte. Bewertungen sind somit in den erhobenen uRE ein grundlegendes narratives Element. Die Untersuchung verdeutlicht weiter, dass das was Unternehmen als Erzählung, Story oder Geschichte deklarieren, einem äußerst weitgefassten Gattungsverständnis entspringt. Teilweise betrifft das Realisierungen, die zwar multimodal aufwendig gestaltet sind, aber aus der narratologischen Perspektive keine Merkmale einer Geschichte aufweisen (z. B. Abschn. 9.1.2.1 Eine nicht-erzählte Unternehmensgeschichte).

Die dritte Subthese, nach der die Unternehmen unterschiedliche Plattformen für eine bestimmte imagefördernde (S)D nutzen, lässt sich durch die Analyse nicht befriedigend belegen. Auf der U.-Homepage fließen bspw. alle Informationen zusammen, da sie der erste Kontaktpunkt für die Bezugsgruppen ist. Folglich kumulieren auf der Internetplattform sämtliche Typen der (S)D. Auf der Internetplattform Xing, die Unternehmen bekanntlich für das Personal Recruiting verwenden, waren wiederum ebenso Ausschnitte aus der Gründergeschichte von Werner von Siemens zu finden. Die ermittelten Themenfelder selbst, können zwar einem Typ der (S)D näher stehen als einem anderen, sie sind deswegen allerdings nicht an nur einen Typ gebunden. Es liegt nahe, dass das Themenfeld ,Ausbildung/Arbeitsplatz‘ besonders häufig an (S)D als attraktiver Arbeitgeber gekoppelt ist, doch kann damit genauso die (S)D als ,verantwortungsbewusstes Unternehmen‘ einhergehen. Was die Analyse jedoch indiziert, auch wenn die Analysekorpora nicht repräsentativ sind und erwartbar von Suchallgorhytumen im Internet beeinflusst werden, sind Tendenzen der Internetplattform Twitter und Facebook zu bestimmten Themenfeldern. In dem untersuchten Korpus wurde Facebook stärker für den Themenbereich ,Ausbildung und Arbeitsplatz‘ genutzt, während in diskontinuierlichen Erzählungen auf Twitter das Themenfeld ,aktuelle Informationen und Öffentlichkeitsarbeit‘ stärker vertreten war.

7. Im Hinblick auf die Frage, wie verschiedene semiotische Ressourcen für die uRE genutzt werden, standen insbesondere eine Gründergeschichte auf der U.-Homepage im Bewegtbild, die bimodale Kompakterzählung auf Facebook und die diskontinuierliche Erzählung auf Twitter im Mittelpunkt. Grundsätzlich nutzen alle Unternehmen auf jeder Internetplattform multimodale Realisierungsmöglichkeiten, doch für die drei benannten narrativen Vermittlungsvorkommen sind sie konstitutiv.

In der Gründererzählung im Bewegtbild kommt den auditiven Triggern – Musik und Geräusche – eine besondere Bedeutung zu. Ein bestimmtes musikalisches Thema ermöglicht den Rezipient/innen eine Kontextualisierung, indem es wechselt, sobald sich die „Bühne“ auf einen anderen Bereich (z. B. Auslandsaufenthalt des Gründers u. a.) verlagert. Damit verbunden evoziert die Musik eine Klangatmosphäre, die zwischen wenig spektakulären und ungewöhnlichen Momenten unterscheidet. Die Geräusche fungieren vor allem zur punktuellen Fokussierung und Aufmerksamkeitssteuerung in Bezug auf Visualisiertes.

In bimodalen Kompakterzählungen sind Fotografien ein konstitutives Element. Ein vierstelliges Optimierungsgebot – 1. Fasse dich kurz, 2. schreibe das Wichtigste zuerst, 3. benenne nur das Wichtigste und 4. visualisiere sprachlich Aufwendiges – führt zu den spezifischen Kennzeichen des Vermittlungsvorkommens:

  • geringer textueller Umfang

  • niedriger Grad der narrativen Ausarbeitung

  • Anschluss bildlicher Elemente

Bezeichnend für Fotografien in bimodalen Kompakterzählungen ist, dass sie meist wie spontane Schnappschüsse wirken. Allerdings ist in den Daten eine zielgerichtete Systematik auszumachen. Aus einer informationsbezogenen und global-semantischen Perspektive sind bspw. Nah-Aufnahmen (medium close up) mit Erzählungen von und über Einzelpersonen verbunden, deren außersprachliche Merkmale wie Mimik Aussagen für die Texthinhalte treffen sollen. Geht es darum, eine Wir-Gemeinschaft in Szene zu setzten, dominieren Halbtotale-Aufnahmen (long shot) oder Over-the-shoulder-shots. Im narrativen Gefüge spezifizieren und ergänzen Fotografien die Situierung, ergänzen die Erzähltexte durch Veranschaulichungen und visualisieren das, was andernfalls aufwendig versprachlicht werden müsste (z. B. personenbezogene und ortsbezogene Stimmungsbilder). Dabei sind die Bilder für sich nicht narrativ, aber für die bimodale Kompakterzählung ein konstitutives narratives Element.

In diskontinuierlichen Erzählungen sollen darüber hinaus Fotografien/Bewegtbilder Assoziationen ermöglichen, inwieweit ein/e Erzähler/in an dem Geschehen beteiligt ist (Involviertheit), um so die Authentizität und Glaubwürdigkeit des Erzählten zu stützen. Anders als in zusammengehörigen Tweetfolgen von Privatpersonen sind die Inhalte der diskontinuierlichen Gesamterzählung mehr oder weniger ausführlich vorgeplant und zielgerichtet. Diskontinuierliche Erzählungen zeichnet aus, dass die Abfolge der Erzählelemente (= Tweets) unterbrochen ist, die Abstände zwischen einzelnen Tweets unregelmäßig sind und die erzählten Ereignisse in einigen Fällen dem chronologischen Ereignisverlauf nicht linear folgt. Da jedem einzelnen Tweet Fotografien und Bewegtbilder beigefügt sind/sein können, werden die audio-/visuellen Elemente zum integrativen Teil der Gesamterzählung. Zwischen Text und Bild/Bewegtbild bestehen deswegen verschiedene Möglichkeiten der Bezugnahme (Pronomen, Berufsbezeichnungen, Objektbezeichnungen, äußere Merkmale u. a.). Die semantische Koppelung in Text-Bild-Gefügen funktioniert nach der Elaboration (van Leeuwen 2005) in Form von Beispielen, Erklärung und Spezifikation. So profitiert die Erzählung von Stimmungsbildern des umgebenden Raums, Rollenzuweisung und dramaturgischen Darstellungsmomenten. Hinzu kommt die Extension (ebd.) durch die einfache Addition von inhaltlichen und räumlichen Zusatzinformationen. In audio-/visuellen Bewegtbildern positionieren sich Protagonist/innen zueinander und gestalten so eine narrative Dramaturgie auf eine humorvolle und unterhaltsame Art. Mithilfe ihrer Performanz setzen sie Ereignisse relevant und stiften so den Sinn für die Erzählung. Damit ist u. a. eine emotionalisierende und beziehungskonstituierende Komponente verbunden. Im narrativen Gefüge können an der Handlung Beteiligte in audiovisuelle Bewegtbilder eingeführt und charakterisiert sowie Aussagen spezifiziert werden. Ebenfalls kann das Dargestellte zu einem essenziellen Teil der Spannungskurve werden (z. B. Höhepunktgestaltung oder Auflösung). Daher besteht eine enge Koppelung zwischen dem Twittertext und Fotografien/audio-visuellen Bewegtbildern.

8. Insgesamt sehe ich in den uRE einen narrativen Werbehybrid für ein konstruiertes Unternehmens-Selbst. Das herausgearbeitete Verortungsschema, anhand dessen ich die heterogene Datenlage mittels narratologischer Spezifika erfasse, verdeutlicht zwei Aspekte. Zum einen unterscheiden die Daten sich prinzipiell hinsichtlich des narrativen Planungsgrads und dem Grad der Reflektiertheit darüber, was denn nun eigentlich zu einer Erzählung gehört. Dabei ist interessant, dass diese Überlegungen unabhängig vom Level der Professionalisierung der Autor/innen sind. Während Laienautor/innen von Corporate Blogerzählungen mit klassisch narrativen Stilelementen spielen, um ihre uRE individueller zu gestalten, werden professionell erstellte Unternehmensgeschichten veröffentlicht, die über keinen narratologischen Anschluss verfügen. Zum anderen teilen diese uRE aber zentrale Merkmale. Das bedeutet, sie benötigen (a) eine/n Vermittler/in, die/der sich konsequent auf reale bzw. überprüfbare „Wirklichkeiten“ bezieht. (b) Die Merkmale der Geschehensdarstellung nach Martinez (Konkretheit, Temporalität, Kontiguität) sind trotz der äußerst verschiedenen Realisierungen gegeben. (c) Die uRE muss sich als erzählenswert ausweisen. Dabei sind affektive Aspekte als narrative Indikatoren in Form von subjektivierenden Merkmalen von großer Bedeutung. Darüber lassen sich vor allem die inhaltlichen Merkmale der Erfahrungshaftigkeit und der Evaluation realisieren, die die uRE deutlich kennzeichnen.