Keine Telekommunikation ohne Formular. Daran erinnern tagtäglich jene Interfaces, die selbst dann, wenn sie als unauffällige Kommunikationsschnittstellen in die digitale Umwelt eingelassen sind, ihren Schreibflächen- und Textfeldcharakter nicht abstreifen können (vgl. Bratton 2015; Galloway 2012; Hookway 2014). Das Formular als Bereitstellung von Schreibflächen war bereits ein Grundbaustein der frühesten Telekommunikationsmedien. Dort, wo Kommunikation nicht mehr auf der Interaktion räumlicher Anwesenheit basierte, wurden Nachrichten nun in Textfeldern eingeschrieben. Dies war zum ersten Mal bei jenen optischen Telegraphen der Fall, die in vielen europäischen Ländern zwischen dem späten 18. Jahrhundert und dem Siegeszug der elektrischen Telegraphie in der Mitte des 19. Jahrhunderts in meist staatlichem Gebrauch waren. Das Medium basierte auf Signalposten, die mit beweglichen Balken oder Klappen Zeichen bildeten, welche vom jeweils nächsten Posten notiert und wiederholt wurden. Formulare standen am Anfang und am Ende der neuen technischen Übertragungsketten; selbst die einzelnen technischen Vermittlungsschritte hatten ihre Schreibflächen. Die technisch-formularischen Übertragungsketten der Telegraphen sollen im Folgenden am Beispiel der französischen optischen Telegraphie ausführlicher beschrieben und die daran anknüpfenden Kulturtechniken historisch beleuchtet werden.

Das Leitproblem dieser Technologie bestand aufgrund der Kette einzelner Signalposten in der Beglaubigung einer Nachricht, deren Authentizität sich nicht mehr durch die Präsenz des gesprochen Worts oder durch die Materialität der Schrift und ihres Trägers sichern ließ. In drei Paradoxien lässt sich dieses Problem entfalten: Es handelt sich erstens um die grundsätzliche Paradoxie der Authentizität einer auf Wiederholungen basierenden Mitteilung. Zweitens liegt im Fall der französischen Staatstelegraphen das Problem vor, dass staatliche Autoritätsmarkierungen in Form offizieller Vordrucke neben der Authentizität der Nachricht auch medientechnische Souveränität beglaubigen sollten, der Vordruck aber zirkulationsfähig und damit nicht territorial gebunden war. Drittens dienten Telegraphenformulare als »Datentransformationsmedien« (Plener 2019) dazu, die Spannung zwischen schriftlicher Mitteilung und technischer Codierung zu überbrücken, konfrontierten aber ihre Nutzer etwa durch Übersetzungsschwierigkeiten umso mehr mit eben dieser Spannung zwischen briefartig konzipierten Nachrichten und technischem Mitteilungsapparat. Anhand dieser drei eng verflochtenen Paradoxien sollen Ansätze einer Medien- und Verwaltungsgeschichte früher Telekommunikationsformulare erarbeitet werden.

Formulare und Signaturen telegraphischer Kommunikation

Die Übertragungskette optischer Telegraphen basierte auf einer Reihe von Schnittstellen aus Handschrift, Druck und Signaltransmission. Das Kommunikationssystem bestand aus weithin sichtbaren Signalanlagen in Gestalt beweglicher Balken, deren unterschiedliche Positionen als Zeichen codiert waren. Die Posten, auf denen die Signalanlagen montiert waren, befanden sich in einem Beobachtungsabstand von 5 bis 10 km voneinander entfernt und bildeten Linien, die Paris sternförmig mit Städten wie Lyon, Straßburg oder Bordeaux verbanden (vgl. Bertho 1981).

Der Formularcharakter telegraphischer Schriftlichkeit resultierte zunächst aus Erfordernissen einer solchen auf Wiederholung basierenden Kommunikation. Wenn beispielsweise ein französischer Minister eine Nachricht von Paris nach Lyon senden wollte, ließ er eine Notiz mit dem handschriftlichen Text bei der zentralen Telegraphenverwaltung einreichen. Das dortige Personal übertrug diese Notiz in telegraphischen Code, der aus Piktogrammen der zu verwendenden Balkenstellungen bestand. Der erste Posten formte nun mit seinen Balken diese Positionen. Das Personal des zweiten Postens beobachtete die Signale des ersten, notierte sie auf einen Vordruck – spätestens hier lag das erste Formular vor – und wiederholte sie, damit der dritte sowie alle nachfolgenden Posten sie wiederum beobachten, festhalten und weiterleiten konnten. Das Personal in den einzelnen Stationen verstand den Code selbstverständlich nicht. Nur die Telegraphendirektoren an den Endpunkten von Linien oder in wichtigen Städten dazwischen waren in der Lage, die Nachrichten zu entschlüsseln. Bei einer Übertragungstechnik, die grundsätzlich auf Sichtbarkeit beruhte, hätte alles andere eine potenzielle Preisgabe des Codes bedeutet. Die Angestellten notierten in ihren Vordrucken nur die sichtbaren Geheimnisse der Telegraphensignale.Footnote 1

Am Zielort angelangt, dechiffrierte der dortige Telegraphendirektor die Nachricht und übertrug sie auf einen offiziellen Vordruck. Dieser enthielt auch bildliche Elemente: Meist prangte auf den Vordrucken der römische Gott Merkur als Telegraphist, eine Darstellung, die den Beschleunigungsanspruch der im Jahre 1794 begründeten französischen optischen Telegraphie zum Ausdruck brachte (Flichy 1991, 21–24). Entscheidend waren aber die Textelemente der finalen Depesche. Der Vordruck enthielt den Kopf ›Télégraphie. Ligne de_____‹ – hier trug der Beamte den Zielort der Telegraphenlinie ein, in diesem Beispiel Lyon. Ein weiteres Textfeld, dem die vorgedruckten Worte ›Dépêche télégraphique de‹ vorausgingen, wurde mit Absender, Ort und Datum der Depesche ausgefüllt. Danach trug der Telegraphendirektor den übermittelten und dechiffrierten Depescheninhalt ein. Schließlich versah er die formularisch aufgebaute Telegraphendepesche mit seiner Unterschrift und dem Vermerk ›pour copie conforme‹ beziehungsweise ›pour copie‹. Mitunter entwickelte sich dieses ausgefüllte Telegraphenformular zu einer Art Schreibfläche zweiter Ordnung, wenn der Empfänger, häufig der Präfekt des jeweiligen Département, die nunmehr in den Status einer Akte überführte Depesche am Rand mit Vermerken versah, etwa zu weiteren Empfängern der Nachricht oder zu daran anschließenden Briefen und Protokollen.Footnote 2

Die Telegraphennachricht war eine Summe ihrer Abschriften; diese fanden auf formatierten Schreibflächen statt. Das Formular diente hier aber nicht allein als unumgängliche Benutzeroberfläche. Vielmehr erfüllte es eine Funktion, die sich aus dem Wiederholungscharakter telegraphischer Kommunikation ergab. Wenn eine Nachricht für den Empfänger nur mehr das Endresultat einer langen Kette von Abschriften war, so bedurfte es einer Authentizitätsgarantie. In Bezug auf die Richtigkeit der Übertragung war eine Kontrolle nur als nachträgliche Überprüfung möglich, wenn nach wenigen Tagen die Kopie der Nachricht auf dem Postweg eintraf und wenn die zuständigen Telegrapheninspekteure in den Protokollen der einzelnen Posten nach Übertragungsfehlern suchten (Boubault 1993, 277). Da sich die Richtigkeit der empfangenen Botschaft bei Erhalt zunächst nicht feststellen ließ, bedurfte es erst recht einer Garantie für die Geltung der Depesche. Denn die Differenz der Depesche zum in seiner Materialität konstanten Brief war den Zeitgenossen deutlich bewusst.

Noch über 20 Jahre nach Einführung der optischen Telegraphie in Frankreich bestand in der öffentlichen Verwaltung Unklarheit darüber, ob eine Depesche in derselben Weise rechtsgültig sei wie ein Brief. So fragte im August 1816 der Generalstaatsanwalt von Lyon den französischen Justizminister in einer Telegraphendepesche, ob eine solche Depesche über »assez d’authenticité«Footnote 3 verfüge, um die Ausführung eines Erlasses zu autorisieren. Die – im Medium selbst ausgedrückten – Zweifel an der Authentizität von Depeschen richteten sich zugleich auf deren Autorität.

Eine Garantie für die Geltung – wenn schon nicht für die inhaltliche Integrität – staatlicher Telegraphendepeschen bot der Vordruck, auf dem die Nachricht bei Empfang übertragen wurde. Beglaubigende Funktion hatten einerseits die Unterschrift des Beamten mit dem Zusatz ›pour copie conforme‹, andererseits die Komponenten des Vordrucks.Footnote 4 Somit spielte das Formular innerhalb der zu diesem Zeitpunkt staatlich monopolisierten Telekommunikation eine Rolle, die an den Übergang von der Akte zur Urkunde erinnert. Zwischen Spätantike und Mittelalter, so Cornelia Vismann, erhielten die invarianten Elemente der Akte, die formulae, zunehmend beglaubigende Funktion (vgl. Vismann 2000, 127). Insofern diese beglaubigende Funktion bei der Telegraphendepesche Fragen staatlicher Souveränität betraf, konnte sie freilich im konkreten Gebrauch zu Verwicklungen führen, vor allem dort, wo Souveränitätsverhältnisse nur bedingt klar waren.

Vordrucke imperialer Souveränität

Hatte die Depesche als Formular wie bereits geschildert eine Garantiefunktion, so war diese eine doppelte: Nicht nur wurde die Authentizität der Nachricht durch die Autorität des staatlichen Vordrucks garantiert, sondern auch staatliche Autorität durch die Authentizität des Vordrucks. Der Vordruck spielte als Souveränitätsgarant schon früh eine Rolle in der optischen Telegraphie. Bisweilen zeigten sich im Gebrauch der Vordrucke jedoch Verhältnisse, die quer zu den offiziellen Souveränitätsmarkierungen dieser Formulare lagen.

Nachdem er sich 1805 zum Kaiser der Franzosen gekrönt hatte, gab Napoleon, der zugleich in Personalunion über große Teile Italiens herrschte, den Auftrag, eine über Lyon verlaufende Telegraphenverbindung zwischen Paris und Mailand einzurichten. Mailand, die Hauptstadt des napoleonischen Satellitenkönigreiches Italien, wurde 1809 angebunden, Venedig folgte ein Jahr darauf. Die norditalienische Telegraphenverwaltung nahm eine eigentümliche Stellung zwischen imperialem Zentrum und Peripherie ein: Der Mailänder Telegraphendirektor Paul de Morainville war dem italienischen Vizekönig untergeben und damit Verantwortlicher einer Institution des Königreichs Italien, nicht in erster Linie des französischen Kaiserreichs. Insofern schien er primär dem italienischen Vizekönig, Eugène de Beauharnais, und dem Mailänder Kabinett weisungspflichtig. Zugleich erhielt der Leiter der italienischen Telegraphie einen Großteil seiner Weisungen direkt aus der zentralen Telegraphenverwaltung in Paris; und auch in budgetären Fragen lag das letzte Wort nicht in Mailand (vgl. de Saint Denis 1993, 120; Fedele 1994).

Dennoch spielte die formale Trennung zwischen französischem Kaiserreich und dem Königreich Italien in der administrativen Praxis eine wichtige Rolle, wie der Gebrauch unterschiedlicher Vordrucke zum Notieren der Depeschen zeigt. So schienen die Zuständigkeiten des Königreichs Italien und des napoleonischen Kaiserreichs auf dem für moderne Staatlichkeit so zentralen Papier deutlich voneinander abgegrenzt zu sein. Während der Telegraphendirektor im annektierten Turin Vordrucke aus Paris auf Kosten des französischen Staates erhielt, war dies bei Morainville nicht der Fall, der in Mailand den Druck entsprechender Blätter durch das Königreich Italien zu veranlassen hatte.Footnote 5

Über die Frage der Vordrucke bestand keineswegs stets Klarheit. So fragte der Telegraphendirektor in Venedig kurze Zeit nach seiner Ernennung, ob die Zentralverwaltung ihm entsprechende Vordrucke für die Protokolle der Telegraphenposten bereitstellen könne. Auf diese Nachfrage reagierte die Pariser Verwaltung freilich ablehnend, da sie die Zuständigkeit hierfür bei der italienischen Regierung sah und der französische Staat nicht für den Bedarf des Direktors in Venedig aufkommen könne. In diesem Zusammenhang sollte Morainville zudem Briefköpfe entwerfen, welche über die Depeschen aus Mailand und Venedig zu drucken seien.Footnote 6 Waren die einen Vordrucke auf Französisch gehalten, so waren die anderen in italienischer Sprache gedruckt, mit der Staatsbezeichnung ›Regno d’Italia‹ im Kopf.Footnote 7 Diese saubere Abgrenzung de jure souveräner Staaten galt de facto nur auf dem Papier – und kaum beim Einsatz dieses Papiers.

Zwar galt grundsätzlich die Weisung, dass die auf dem Boden des Königreichs Italien gelegenen Abschnitte der Telegraphenlinie mit italienischen Vordrucken für Depeschen und Protokolle operieren sollten. Aber die Pariser Zentralverwaltung modifizierte diese Vorgabe, indem sie sich über papierene Grenzziehungen hinwegsetzte. Dies hing mit der Inkongruenz nationaler und administrativer Grenzen zusammen. Die französisch-italienische Grenze verlief als vermeintlich natürliche Grenze entlang des Po.Footnote 8 Dem entsprach aber keine telegraphische Grenzziehung, denn sowohl das zum Königreich Italien gehörende lombardische Ufer als auch die französisch regierte piemontesische Seite gehörten zur selben Division der Telegraphenlinie, also einem ungefähr zehn Posten umfassenden Linienabschnitt, der jeweils einem Telegrapheninspekteur zur Begutachtung und Wartung unterstand. Da der Inspekteur dieser grenzüberschreitenden Division von italienischer Seite bezahlt wurde, setzte sich in Vordruckfragen budgetärer Pragmatismus durch. Auch auf den zum französisch annektierten Piemont zugehörigen Posten der Division sollten die Formulare mit dem Kopf des italienischen Satellitenstaates verwendet werden, aus Gründen der Buchhaltung.Footnote 9

Nur kurz stand diese pragmatische Grenzziehung zur Disposition, als die Telegraphendirektoren in Turin und in Mailand am 9. Dezember 1811 Schreiben der Pariser Zentralverwaltung erhielten, dass eine Verlegung des bisherigen Grenzverlaufs zwischen der neunten und der zehnten Division der Linie zu erwägen sei. Ein Telegrapheninspekteur hatte sich beklagt, dass er bei seinen regelmäßigen Kontrollen des größtenteils im Königreich Italien liegenden zehnten Linienabschnitts den im Winter schwer passierbaren Po überqueren müsse, um vier auf dem linken Ufer gelegene Posten zu erreichen.Footnote 10 Die territorialen und formularischen Unstimmigkeiten der napoleonischen Telegraphie wurden allein durch die Schwierigkeiten eines Inspekteurs mit dem Terrain infrage gestellt. Da eine Verschiebung der Divisionsgrenzen eine Überlastung des ohnehin schon stark beanspruchten, die Alpen miteinschließenden Abschnitts bedeutet hätte, blieb die Inkongruenz jedoch bestehen.Footnote 11

Auch jener Teil der Division, der auf französischem Boden lag, wurde vermittels bedruckten Papiers weiterhin als Teil des Königreichs Italien behandelt, das Kaiserreich vom Satellitenstaat also formularisch vereinnahmt – freilich nur ein Zeichen für die napoleonische Indifferenz gegenüber Abstufungen formeller und informeller Herrschaft.Footnote 12 Vordrucke im Feld der Telegraphie waren ganz besonders dazu geeignet, solche informellen Interpretationen von Souveränität in der Verwaltung sichtbar zu machen. Denn als Kommunikationsverbindung kreuzte die Telegraphenlinie französisches Staatsgebiet, annektierte Territorien und quasi souveräne, faktisch abhängige Satellitenstaaten. Technisch-pragmatische Notwendigkeiten der Telegraphenverbindung hielten sich nicht an eine solche Einteilung des imperialen Raums in Abstufungen von Souveränität; Einteilungen, die auf den Vordrucken hingegen nur zu deutlich dargestellt wurden. Italienischsprachige, mit dem Wappen des Königreichs Italien versehene Formulare auf französischem Staatsgebiet machten die Widersprüche imperialer Souveränität sichtbar. Da sein Text fixiert, sein räumlicher Einsatz jedoch variabel war, unterlief der Depeschenvordruck jenes Programm abgrenzbarer Souveränität, welches die Formulare eigentlich hätten zum Ausdruck bringen sollen.

Signal, Kanal, Semantik

Indem die Telegraphie auf der Übersetzung von Sprache in Code und zurück basierte, operierte sie mit einer Unterscheidung zwischen Signalprozessierung und Semantik (vgl. Stourdzé 1987, 81–87; Gießmann 2005, 60). Der ausgefüllte Vordruck einer Depesche schien am Schluss der Übertragung diese Unterscheidung wieder aufzuheben und den Sinn der Mitteilung als Einheit wiederherzustellen. Paradoxerweise zeigte das ausgefüllte Telegraphenformular häufig umso deutlicher, welche Differenz zwischen der technischen Übertragung von Zeichen und der erwünschten Übertragung sinnhafter sprachlicher Information lag. Eine solche Unstimmigkeit zeigte sich, wenn lückenhafte Eintragungen auf der finalen Depesche Aufschluss über faktische Übertragungsdefizite gaben, aber auch, wenn die Sprache sich an die Beschränkungen telegraphischer Codierung zu halten hatte.

Die am Zielort transkribierten und auf ein Formular übertragenen Depeschen legten oftmals Zeugnis von den Übertragungsschwierigkeiten der Kommunikationstechnologie ab. Zu den größten und kaum zu vermeidenden Problemen der optischen Telegraphie zählten Einschränkungen der Sicht. Die Telegraphen konnten nur tagsüber operieren. Die Abenddämmerung bedeutete somit den Aufschub einer Übertragung auf den nächsten Tag. Vor allem aber erwiesen sich Nebel und starker Regen als regelmäßige Störungsquellen. Diese Einschränkungen begleiteten die Telegraphie über Jahrzehnte hinweg, da sich kaum eine technische Lösung für solche der optischen Übertragung inhärente Schwierigkeiten finden ließ. Insbesondere auf der Linie von Paris nach Lyon kam es aufgrund der Witterung im Rhônetal häufig zu Störungen. Diese lassen sich gleichsam im Raster des Formulars beobachten (Saint Denis 1993, 130).

Waren die witterungsbedingten Einschränkungen der Sichtbarkeit auf einer Linie zu groß, so unterbrachen die Angestellten des jeweiligen Telegraphenpostens die angefangene Übertragung und verwendeten ein Meta-Signal, um das Fragment als solches kenntlich zu machen. Die Fortsetzung folgte bei vorteilhafterem Wetter meist am nächsten Tag. Am Zielort übersetzte der jeweilige Telegraphendirektor die fragmentarische Nachricht und übertrug sie auf einen Vordruck, nicht ohne eine Anmerkung zur Unvollständigkeit der Depesche. Beispielsweise wurde am 13. Juni 1820 eine nach Lyon bestimmte Depesche zur Verabschiedung des neuen Wahlgesetzes auf halbem Weg im Burgund durch regnerisches Wetter unterbrochen. In Lyon kam nur der unfertige Satz »La loi sur les élections a passé hier, à la majorité de cent cinquante quatres…«Footnote 13 an. Der Telegraphendirektor musste sich damit begnügen, unter das Fragment die bewährte Beglaubigungsformel ›pour copie‹ sowie seine Unterschrift zu setzen und in einer Randnotiz die Witterungseinwirkungen zu erwähnen. Mochte der Informationsverlust in diesem Fall gering sein, so zeugte das ausgefüllte Depeschenformular doch unübersehbar von der Fragilität und Umweltabhängigkeit jener Zeichenketten, die dem säuberlich notierten Depeschentext zugrunde lagen.

Gravierender war es, wenn durch wetterbedingte Übertragungsfehler eine Signalfolge innerhalb der Nachricht dergestalt am Zielort angelangte, dass die Übersetzungsversuche des Telegraphendirektors versagten und in der Mitte einer Depesche eine Information fehlte. Als am 14. Februar 1820 noch kurz vor Dämmerung eine Depesche aus Paris in Lyon eintraf, trat ein ebensolcher Informationsverlust auf. Die vom Innenminister an den Präfekten des Rhône-Départements gerichtete Depesche berichtete knapp von einem Attentat in der Hauptstadt. Der Name des Ermordeten fehlte jedoch. Der Telegraphendirektor ersetzte den fehlenden Namen im Textfeld des Vordrucks durch Auslassungspunkte und notierte am Rand des Formulars seine – zutreffende – Vermutung, es handele sich wahrscheinlich um den Duc de Berry, den Neffen des Königs.Footnote 14 Der auf einem Vordruck notierte Depeschentext zeigte hier nur zu gut sichtbar die Spuren seines prekären Übertragungswegs. Der Lückentext des Depeschenvordrucks ließ somit die lückenhafte handschriftliche Eintragung der Nachricht umso deutlicher hervortreten, die ihrerseits den Lücken der Signalkette entsprach.

Mangels technischer Lösungen versuchte die Telegraphenverwaltung, dem Problem auf der Ebene des Nachrichtenflusses zu begegnen. Die Telegraphendirektoren in der Provinz erhielten gegen Ende der 1820er Jahre häufig Anweisungen, auf die Länge und Redundanz von Nachrichten zu achten, um die Linien nicht zu überlasten. So wurden die Direktoren darauf eingeschworen, vor allem in der kalten Jahreszeit die lokalen Autoritäten wie zum Beispiel die Präfekten daran zu erinnern, ihre Nachrichten knapp und ohne Wiederholung bereits bekannter Begebenheiten zu verfassen.Footnote 15 In anderen Fällen musste daran erinnert werden, auf Höflichkeitsformeln zu verzichten, da diese aufgrund ihrer Konventionalität auch ohne Kenntnis des Ausgangstexts nach Ermessen des Übersetzers eingebaut werden könnten.Footnote 16 Die Formalisierung der Sprache, wie sie auf dem Vordruck sichtbar wurde, entsprach somit einer Kanalisierung des Signalflusses.

Besonders deutlich wurde die Abhängigkeit des Depeschentexts und mehr noch seiner Anordnung auf dem Formular von den Erfordernissen der Signalübertragungen bei Meldungen, die sich aus Sicht der Verwaltung auf wenige Unterscheidungen reduzieren ließen. Das war insbesondere bei Wahlergebnissen der Fall. Die optische Telegraphie kam zum ersten Mal bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer 1824 zur Übertragung von Ergebnissen zum Einsatz. Die Übertragung erfolgte jedoch noch nicht nach einem systematischen Schlüssel; dementsprechend bestand in mehreren Fällen Korrekturbedarf. Die Zentralverwaltung der Telegraphie warf den jeweiligen Direktoren vor, ihre Nachrichten mit Details zum lokalen politischen Geschehen zu überlasten. Nur das Ergebnis habe Vorrang; in den Begriffen des siegreich aus der Wahl hervorgehenden Ultraroyalismus bedeutete dies in der restaurationskonformen Telegraphenverwaltung, dass es nur darum gehe, zu wissen »qu’un libéral n’avoit [sic!] pas été nommé.«Footnote 17 In den Wahlen 1827 und 1830 erübrigten sich solche Ermahnungen, da nun ein System vorlag, nach dem Ergebnisse priorisiert und mithilfe weniger Zeichen nach Paris übertragen werden konnten, um dort in vorgefertigte Tabellen den jeweiligen Wahlmännerkollegien zugeordnet werden zu können.Footnote 18 Noch 1849, bereits unter der Zweiten Republik, wurde auf eine solche formularbasierte Vorgehensweise zurückgegriffen, um die Kapazität der telegraphischen Nachrichtenkanäle nicht zu überlasten.Footnote 19

Den Telegraphennutzern blieb nicht verborgen, dass sich ihre Nachrichten auf dem für den Empfänger gedachten Vordruck mitunter anders lasen als auf der ursprünglich bei der Telegraphenverwaltung eingereichten Notiz. Hier trafen sich die von der Verwaltung erwünschten sprachlichen Restriktionen mit ohnehin schon bestehenden Übersetzungsproblemen, da in der optischen Telegraphie nicht Buchstaben, sondern ganze Begriffe codiert wurden. Das Codieren einer Nachricht ging darum häufig mit Anpassungen am Depeschentext einher, um den Sinn der Nachricht, oder was die Telegraphenbeamten dafür hielten, zu konservieren und zugleich die Übertragung reibungsärmer gestalten zu können. Eben diesen Umstand musste die Pariser Zentralverwaltung der Telegraphie im Dezember 1827 dem Marineminister mitteilen, nachdem sich der Marinepräfekt von Toulon über das Verschieben von Wörtern in seinen Depeschen beschwert hatte. Die Umstellung von Sätzen diene dazu, Uneindeutigkeiten in der telegraphischen Signalfolge zu vermeiden.Footnote 20 Der Marinepräfekt wiederholte seine Beschwerde jedoch in den Folgemonaten, sodass auf allzu große Kürzungen und Änderungen verzichtet wurde.Footnote 21 Die codierungs- und signalflussbedingten Anpassungen im Depeschentext waren also zum Teil verhandelbar; als Vergleich zum ursprünglich eingereichten Text dienten Nutzern wie dem Marinepräfekten die ausgefüllten Telegraphenformulare.

Nicht immer war Kürze das Leitkriterium bei der Anpassung des Depeschentexts. Im Juli 1826 musste sich der Telegraphendirektor in Bayonne, nahe der spanischen Grenze, mit der möglichst adäquaten Codierung von Nachrichten befassen, die er vom französischen Botschafter in Spanien nach Paris weiterleiten sollte. Die Zentralverwaltung gab dabei die Weisung aus, die Diplomaten auf einen nicht allzu lakonischen Stil, vor allem aber möglichst eindeutige Formulierungen zu verpflichten. Sprache musste für die Telegraphenbeamten hinreichend transparent sein, um codiert werden zu können; »il faut au moins qu’elles présentent une idée et un sens quelconque,«Footnote 22 lautete das Urteil der Zentralverwaltung bezüglich diplomatischer Begriffe. Fragen der Codierung waren in der optischen Telegraphie somit stets Fragen der jeweiligen sprachlichen Darstellung in Textfeldern. Die Zurichtung von Sprache in Telegraphendepeschen hing nicht allein von den Erfordernissen der Hardware ab; vielmehr stand sie in jedem Übersetzungsschritt, das heißt mit jeder Übertragung in ein Formular, aufs Neue zur Debatte.

Die Textfelder der Telegraphendepesche waren der mediale Ort, an dem die Trennung von Semantik und Signalprozessierung aufgehoben werden sollte – aber aufgrund von Übertragungs- und Übersetzungsschwierigkeiten oft umso deutlicher zum Vorschein kam. Dem begegnete die frühe Telekommunikationbürokratie der Administration centrale des télégraphes mit Anweisungen zur Vermeidung von Redundanz, mit vorgefertigten Formularen im Fall der Wahlergebnisse sowie mit Aufforderungen zum Gebrauch einer möglichst eindeutigen Sprache. Schauplatz dieser Interventionen waren vorgedruckte Depeschen, Tabellen und Protokolle. Die Kopplungen der Telekommunikation fanden im frühen 19. Jahrhundert in Formularen statt.

Schluss: Formularvergessenheit

Die Geschichte der Telekommunikationsmedien ist eine Geschichte der Formulare. Der Fall der optischen Telegraphie und ihrer Vordrucke verweist einerseits auf die Einschreibungen und Übersetzungen, auf die administrativen Praktiken, die der Unmittelbarkeitsfiktion technischer Medien zuwiderlaufen (vgl. Sprenger 2012). Andererseits zeigt sie, wie die auf dem Papier stattfindende Kopplung von Handschrift, Druck und Telekommunikation bereits am Übergang des 19. Jahrhunderts das Formular zu einem medientechnischen Artefakt machte, das über seine Rollen als Schnittstelle von Verwaltung und Bürger oder als Instrument des Willens zum Wissen moderner Staaten hinausweist (vgl. Becker 2009).

Ausgangsparadoxie der Telegraphie, auf das sich die Depeschenvordrucke in ihrer konkreten Gestaltung bezogen, war das Missverhältnis zwischen der auf Wiederholung basierten Übertragung und der mit dem Anspruch von Authentizität auftretenden Nachricht. Hierin kam vor allem die beglaubigende Funktion des Formulars zum Tragen, die schon in der antiken Herkunft des Begriffs angelegt war. Diese in römischen Magistraturen und mittelalterlichen Kanzleien entwickelte Beglaubigungsfunktion erhielt einen neuen Stellenwert, als sich im Zusammenhang mit frühen Telekommunikationsmedien die Authentizität einer Nachricht nicht mehr mithilfe der Beständigkeit von Briefpapier und Siegel verbürgen ließ. Der Vordruck sollte die Authentizität einer Nachricht bezeugen, die auf einer prekären Kette von Übertragungen basierte und ihren Empfänger stets als Kopie einer ganzen Staffel von Kopien erreichte. Im Fall der staatlichen optischen Telegraphie im Frankreich des frühen 19. Jahrhunderts bedeutete dieser Authentizitätsbeleg auch, die Autorität der übertragenen Weisungen zu beglaubigen. Freilich zeigt dieser Staatlichkeitsbezug des Telegraphenformulars, dass der optischen Telegraphie nur das Vertrauen in Verwaltung blieb, welches sich im Formular ausdrückte. Es bleibt zu untersuchen, inwiefern die elektrische Telegraphie und die daran anschließenden Medien ab der Jahrhundertmitte auf ähnliche Kulturtechniken des Formulars zurückgriffen.

Das Depeschenformular, aber auch die vorgedruckten Übertragungsprotokolle in den einzelnen Posten, fixierten die prekären Telegraphennachrichten und verliehen ihnen staatlich verbürgte Geltung. Zugleich handelte es sich bei den Vordrucken um zirkulationsfähige Papierartefakte. Ihr Gebrauch richtete sich nicht zwingend nach den für moderne Staatlichkeit scheinbar so charakteristischen Formen von Territorialität (vgl. Maier 2010). Darin liegt die zweite hier untersuchte Paradoxie des Telegraphenformulars. In einem heterogenen Herrschaftsraum wie der napoleonischen Hegemonialsphäre, die nicht nur aus dem eigentlichen Staatsgebiet des Kaiserreichs, sondern auch aus Satellitenstaaten und annektierten Gebieten bestand, bedeuteten Infrastrukturen wie die optischen Telegraphenlinien einen transversalen Schnitt durch Territorien und Grenzen. Die Vordrucke der optischen Telegraphie machten die säuberlichen Souveränitätsabstufungen des napoleonischen Europa als pragmatische Unterscheidungen sichtbar, wenn der Vordruck mit der Kopfzeile ›Regno d’Italia‹ aus Verwaltungspragmatismus im von Frankreich annektierten Piemont auftauchte. Kontinuitäten und Analogien zu dieser imperialen Pragmatik des Kommunikationsformulars in den Kolonialreichen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts den Globus prägen sollten, sind bislang kaum erforscht.Footnote 23

Eine weitere Paradoxie früher Telekommunikationsformulare bestand darin, dass die für den Empfänger bestimmte Verschriftlichung der Depesche auf dem entsprechenden Vordruck eigentlich die Doppelexistenz der Nachricht als Text und als Signalfolge aufheben sollte, aber in ihrem Lückentext die Kluft zwischen Semantik und Signal vielmehr geöffnet hielt. Das ausgefüllte Depeschenformular zeigte die Übertragungsfehler und Störungen, die bei einer auf Sicht basierten und damit von Umweltfaktoren abhängigen Medientechnologie kaum zu vermeiden waren. Aufgrund dieser Störungsanfälligkeit sahen sich die Nutzer des Telegraphen mit sprachlichen Anpassungen und Reduktionen ihrer Botschaften konfrontiert, die sie häufig erst in Gestalt der übertragenen, auf den Vordruck zurückübersetzten Depesche zu ihrem Erstaunen sahen. Das lässt an Friedrich Kittlers Überlegung denken, der Telegrammstil – und im Rückschluss jeglicher Stil – sei »eine direkte Funktion der verfügbaren Kanalkapazitäten« (Kittler 1986, 361).

In der Tat richteten sich die Stilvorgaben der optischen Telegraphie nach den Beschränkungen des Übertragungskanals, darunter auch die nicht-alphabetische Codierung der Signale. Doch lag zwischen Sender und Empfänger nicht nur ein technischer Kanal, sondern vor allem ein Meer von Formularen. Eine vom technischen Apriori ausgehende Medienarchäologie weist hier denselben blinden Fleck auf wie eine sich an Autorschaft klammernde traditionelle Archivistik. Denn in den französischen Archives Nationales wird als ›Originaldepesche‹ nur die vor der technischen Übertragung stehende handschriftliche Notiz des gewünschten Depescheninhalts klassifiziert, nicht aber eine der unzähligen in formatierten Textfeldern vorgenommenen Abschriften von Abschriften, die als Ganzes erst eine übertragene Depesche ausmachten (vgl. Chaumié und Ritter 1962). Die im Archiv als solche kategorisierte Originaldepesche ist keine Depesche. Entledigt man sich der Fixierung auf den technischen Code einerseits, auf das sich mitteilende Subjekt andererseits, so öffnet sich der Blick auf Interfaces und Formulare, sprich auf die Verwaltung zwischen aller Kommunikation.