Der Themenkomplex der Luftreinhaltung präsentiert sich – ungeachtet der aktuellen politisch brisanten Diskussionen – als juristische Querschnittsmaterie. Im öffentlichen Recht vorrangig im Bereich des Klimaschutz- und Umweltschutzrechts beheimatet, weisen staatliche Luftreinhaltemaßnahmen vielfach verkehrsrechtliche Anknüpfungspunkte auf bzw bedingen verkehrspolitische Lenkungs- und Planungsakte. Als solche werden nachfolgend sogenannte Verkehrs- oder Fahrverbote und -beschränkungen behandelt, die ein Spannungsfeld zwischen individueller Mobilität und Luftreinhaltung eröffnen.

Der vorliegende Beitrag widmet sich den rechtlichen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen, unter denen Verkehrsverbote nach der gegebenen österreichischen Rechtslage grds zulässig sind.

1 Ausgangssituation

Europas BallungszentrenFootnote 1 sind mit ua durch den Kraftfahrzeugverkehr emittiertenFootnote 2 und im hohen Maße gesundheitsschädlichen StickstoffoxidenFootnote 3 belastet.Footnote 4 Aufgrund der wiederholten ÜberschreitungFootnote 5 europarechtlich vorgegebener Luftreinhaltegrenzwerte besteht hier besonderer Handlungsbedarf; dies trotz bereits in verschiedenen Mitgliedstaaten eingerichteter „Luftsanierungsgebiete“.Footnote 6

Von einer breiten Öffentlichkeit wenig beachtet, erließ die Europäische Gemeinschaft seit den frühen 1980er-Jahren gesetzliche Regelungen, welche die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer bestimmten Luftqualität verpflichten.Footnote 7 Die Richtlinienvorgaben sind verursacherneutral ausgestaltet; dh sie stellen grundsätzlich nicht auf die Verursacher bestimmter Luftschadstoffe ab und geben somit von diesen unabhängig ImmissionsgrenzwerteFootnote 8 für bestimmte Luftschadstoffe wie zB Schwefeldioxid, Stickstoffoxide und Feinstäube vor.Footnote 9 Diese Immissionsgrenzwerte basieren auf Empfehlungen und Studien der Weltgesundheitsorganisation WHOFootnote 10 und sind seit 2010 in der sog Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EGFootnote 11 festgeschrieben. Sie gelten in „Gebieten und Ballungsräumen“, welche von den Mitgliedstaaten festzulegen sind.Footnote 12 Diese Grenzwerte sind seit dem Ablauf des Übergangszeitraums seit dem 1. Jänner 2010 verbindlich.Footnote 13

2 Europäische Vorgaben

Seit Jahren versuchen die Mitgliedstaaten vergeblich, den Herausforderungen der europäischen Luftqualitätsvorgaben gerecht zu werden.Footnote 14

Nach Art 13 Abs 1 UAbs 2 iVm Anhang XI Luftqualitätsrichtlinie darf etwa die Konzentration von Stickstoffdioxid einen Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro m3 LuftFootnote 15 nicht überschreiten;Footnote 16 zudem definiert die Luftqualitätsrichtlinie eine Schwelle von 50 Mikrogramm, die an nicht mehr als 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf.Footnote 17

Aus Art 13 Abs 1 Luftqualitätsrichtlinie ergibt sich keine Pflicht zur Anordnung bestimmter Maßnahmen, welche die Einhaltung der einschlägigen Luftgrenzwerte gewährleisten, sondern beschränkt sich auf eine „Ergebnisverpflichtung“.Footnote 18 Den Mitgliedstaaten bleibt zunächst die Wahl überlassen, welche Maßnahmen sie zur Verwirklichung von Art 13 Abs 1 Luftqualitätsrichtlinie setzen: Als Beispiele seien hier etwa die Einführung einer „City-Maut“ gem § 8 Abs 5 F-VG, die Statuierung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs, die Erhöhung von Verkehrssteuern (etwa im Anwendungsbereich des Mineralölsteuergesetzes), die Gewährung von Förderungen, aber auch die Einführung von sogenannten Fahrverboten und Verkehrsbeschränkungen gem § 43 Abs 2a StVO oder §§ 9a ff iVm §§ 10; 14 IG-LFootnote 19,Footnote 20 genannt.

Verstößt ein Mitgliedstaat gegen die Zielvorgaben der Luftqualitätsrichtlinie und werden die darin festgelegten verbindlichen Grenzwerte überschritten, legt die Richtlinie dem Mitgliedstaat normative „Daumenschrauben“ an,Footnote 21 als solche dienen sodann die sogenannten Luftqualitätspläne iSd Art 23 Luftqualitätsrichtlinie bzw §§ 9a ff IG-L:

Diese Luftqualitätspläne müssen gem Art 23 Abs 1 UAbs 2 Satz 1 Luftqualitätsrichtlinie „geeignete Maßnahmen“ enthalten, welche effektiv gewährleisten, dass die Grenzwerte in „absehbarer Zeit“ eingehalten werden. Der Zeitraum der (weiteren) Nichteinhaltung muss dabei „so kurz wie möglich gehalten werden“.Footnote 22

Hinsichtlich der Interpretation dieser Bestimmung vertritt das dt BVerwG die Auffassung, dass die zu ergreifenden Maßnahmen jedenfalls nicht unmittelbar zur Zielerreichung führen müssen; vielmehr sei nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein Vorgehen in mehreren Stufen zur korrekten Anwendung der Vorgaben der Luftqualitätsrichtlinie ausreichend.Footnote 23

Im Unterschied dazu hat sich der EuGH bislang noch nicht eindeutig positioniert; in seiner Entscheidung C-336/17 stellte der Gerichtshof lediglich fest, dass Maßnahmen, die erst zwischen 2020 und 2024 (also zehn oder sogar erst 14 Jahre nach der erstmaligen Feststellung einer Grenzwertüberschreitung) wirksam werden, nicht den Vorgaben der Luftqualitätsrichtlinie entsprechen würden.Footnote 24

Wie nun rezente Entscheidungen des dt BVerwGFootnote 25 gezeigt haben, kommt im Fall von Grenzwertüberschreitungen als sofort „wirksame Maßnahme“Footnote 26 derzeit insb ein (zumindest) partielles Fahrverbot für motorbetriebene, vor allem dieselbetriebene Fahrzeuge,Footnote 27 in Betracht. Diese Maßnahme wäre als Bestandteil eines solchen Luftreinhalteplans gem Art 23 Abs 1 Luftqualitätsrichtlinie umzusetzen.

Mit Blick auf die österreichische Rechtslage stünde ein solches Verbot auf den ersten Blick in diametralem Widerspruch zu § 1 StVO, wonach öffentliche Straßen von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden dürfen. Der Gemeingebrauchsregel der StVO kommt jedoch kein grundrechtlicher Charakter zu; sie ist folglich nicht als absolut zu sehen. Sie überlässt den zuständigen Vollziehungsbehörden SpielraumFootnote 28 und steht der Erlassung von Fahrverboten nicht entgegen.

Nachdem die gesetzliche Zulässigkeit von Fahrverboten bejaht werden kann, stellt sich somit die Frage, wie nun mit einem solchen Fahrverbot in Österreich umzugehen wäre? Im Anschluss werden am Beispiel des IG-L die Vorgaben und Grenzen für die Einführung von Verkehrsbeschränkungen skizziert.

3 Ausgestaltung von Fahrverboten am Beispiel IG-L

Bereits nach geltendem RechtFootnote 29 können Fahrverbote in belasteten Ballungsräumen, in denen Grenzwerte überschritten werden, mittels Verordnung oder Bescheid angeordnet werden. Personen, die von einer Grenzwertüberschreitung unmittelbar betroffen sind, sowie anerkannte Umweltorganisationen gem § 19 Abs 6 ff UVP-G, haben einen Rechtsanspruch auf Erlassung entsprechender Maßnahmen (§ 9a Abs 11 IG-L).Footnote 30

Zuständig für die Erlassung eines solchen Fahrverbots ist der jeweilige Landeshauptmann, welcher jedoch vor Erlassung eines solchen eine GrundlagenforschungFootnote 31 vorzunehmen und zwingend folgende (Planungs-)Grundsätze zu berücksichtigen hat:

  1. 1.

    Zunächst ist zu klären, welche Schutzgüter (bspw die Gesundheit der Anrainer) durch Luftschadstoffe beeinträchtigt werden; dem ist sodann im Sinne des Verursacherprinzips vorzubeugen. Nach Möglichkeit sind Luftschadstoffe an ihrem Ursprung zu bekämpfen.

  2. 2.

    Zudem sind Emittenten, die im Beurteilungszeitraum einen nennenswerten Einfluss auf die Immissionsbelastung, insbesondere im Zeitraum der Überschreitung des Immissionsgrenzwerts, gehabt haben, zu berücksichtigen;

  3. 3.

    Sodann sind die Maßnahmen vornehmlich bei diesen hauptverursachenden Emittenten unter Berücksichtigung der auf sie fallenden Anteile an der Immissionsbelastung, des Reduktionspotenzials und des erforderlichen Zeitraums für das Wirksamwerden der Maßnahmen zu setzen; dabei sind vorrangig solche Maßnahmen anzuordnen, bei denen den Kosten der Maßnahme eine möglichst große Verringerung der Immissionsbelastung gegenübersteht;

  4. 4.

    Solche Maßnahmen sind nicht vorzuschreiben, wenn der mit der Erfüllung der Maßnahmen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Anordnungen angestrebten Erfolg steht;

  5. 5.

    Mit solchen Maßnahmen verbundene Eingriffe in bestehende Rechte sind auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken; bei der Auswahl von Maßnahmen sind die jeweils gelindesten, zum Ziel führenden Mittel zu ergreifen;

  6. 6.

    Außerdem ist neben der Höhe der Immissionsbelastung auf die Häufigkeit der Grenzwertüberschreitungen, die zu erwartende Entwicklung der Emissionen des betreffenden Luftschadstoffs sowie auf eingeleitete Verfahren, angeordnete Sanierungsmaßnahmen und gebietsbezogene Maßnahmen nach IG-L Bedacht zu nehmen. Darüber hinaus sind andere Verwaltungsvorschriften, sofern diese Einfluss auf die Immissionssituation haben, zu berücksichtigen;

  7. 7.

    Ferner sind sonstige öffentliche Interessen (Aufrechterhaltung der Gesundheitsversorgung, die Versorgung der Bevölkerung etc) einzubeziehen.

4 Interessenabwägung als Dreh- und Angelpunkt der Fahrverbotserlassung

Das Unionsrecht (Art 20; 52 Abs 1 GRC) und das nationale Verfassungsrecht (vgl etwa Art 7 Abs 1 B-VG) verpflichten die zuständigen nationalen Behörden zu einer Interessenabwägung, bevor Fahrverbote erlassen werden können. § 9b Z 5 IG-L, der diese Vorgabe der Interessenabwägung konkretisiert, ist dementsprechend unionsrechts- und verfassungskonform anzuwenden und somit Dreh- und Angelpunkt der unions- und verfassungsrechtlich vorgegebenen Interessenabwägung: Die zuständige Behörde hat vor der Erlassung eines Fahrverbotes die Rechte von Anrainern, welche von den Grenzwertüberschreitungen im relevanten Ballungsgebiet unmittelbar betroffen sind (ua auf Gesundheit und Leben gem Art 2 und 8 EMRK), mit jenen von betroffenen Fahrzeugeigentümern und -haltern, die ihrerseits von einem Fahrverbot gem Art 1 1. ZP EMRK in ihrem Schutz auf Eigentum unmittelbar betroffen wären, abzuwägen. Bei einer solchen Interessenabwägung hat die zuständige Behörde auch zu berücksichtigen, inwieweit die Bevölkerung und die Wirtschaft im relevanten Ballungsgebiet weiterhin adäquat versorgt werden können.

5 Arten von Fahrverboten

Aus dem Gesagten folgt schließlich, dass sich Fahrverbote primär auf dieselbetriebene Fahrzeuge als relevante Verursacher konzentrieren müssen.Footnote 32 Wie den bereits zitierten Entscheidungen des dt BVerwG entnommen werden kann, sind verschiedene Arten von Fahrverboten denkbar: Einerseits kommen streckenbezogene (zB für innerstädtische Hauptverkehrsstraßen), andererseits zonale Verkehrsverbote – man denke an die autofreie Kärntner Straße in Wien – zur Einhaltung der Luftreinhaltegrenzwerte in Betracht

Des Weiteren wäre es auch denkbar, Fahrverbote zeitlich gestuft einzuführen: In einer ersten Stufe könnte „ab sofort“ ein Fahrverbot für ältere Fahrzeuge, konkret Dieselfahrzeuge bis zur Abgasnorm Euro 0-4 und Fahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Abgasnorm Euro-3, eingeführt werden, während zonale Verbote für Euro-5-Fahrzeuge erst ab einem späteren Zeitpunkt vorgesehen werden könnten.Footnote 33 Sollte dies nicht ausreichen, Grenzwertüberschreitungen hintanzuhalten, könnten Verkehrsverbote entgegen dem von dt BVerwG entwickelten Ansatz auch „sofort“ für Euro-6-Fahrzeuge verordnet werden. Dies vor allem, wenn man bedenkt, dass Euro 6-Fahrzeuge die EU-rechtlich definierten Grenzwerte aktuell um 100 % überschreiten.Footnote 34

Aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz iVm § 9b IG-L ergibt sich schlussendlich, dass Verkehrsverbote nicht „pauschal“ verordnet werden dürfen – gebotenenfalls sind Ausnahmen, etwa für Elektrofahrzeuge, in der Fahrverbotszone wohnende Anrainer, oder Unternehmen, die bspw zu einer Baustelle anfahren müssen, zu berücksichtigen. Ausnahmen sind daher dann zu verordnen, wenn diese Ausnahme zur Vermeidung von „Härtefällen“ erforderlich ist (dies betrifft sowohl zonale als auch streckenbezogene Fahrverbote).Footnote 35 Allerdings sind im Zweifel die Ausnahmeklauseln nach Art des § 14 Abs 2 IG-L im Sinne der ratio der Luftqualitätsrichtlinie restriktiv anzuwenden und auszulegen.

Hier ist zudem darauf hinzuweisen, dass gegen die Zulässigkeit von Fahrverboten (va auf verfassungsrechtlicher Ebene) nicht eingewendet werden kann, dass entsprechende (va streckenbezogene) Maßnahmen zu Verkehrsverlagerungen führen könnten. Dass das zu erwartende Ausweichverhalten von Anrainern oder die längere Fahrtstrecke von Arbeitnehmern, bspw als Folge von Fahrverboten, andernorts sogar zu einer Zunahme von Emissionen führen könnte, muss nach der Konzeption von IG-L und Luftqualitätsrichtlinie nicht beanstandet werden. Es spricht im Licht der Systematik und des Telos der genannten Rechtsquellen gerade nicht gegen die Erlassung von Verkehrsverboten. Weder die Luftqualitätsrichtlinie noch das IG-L statuieren ein allgemeines Minimierungsgebot für einzelne lokale Gebiete, die von einem Fahrverbot betroffen sein könnten, sondern lediglich die Einhaltung der Immissionsgrenzwerte in bestimmten Gebieten und Ballungsräumen.Footnote 36 Anderes gilt erst, wenn es durch ein Fahrverbot zu Umlenkung von Verkehrsströmen kommt, die wiederum zur Überschreitung von Grenzwerten an anderer Stelle führen; dies kann – iS einer ultima ratio – gegen die Erlassung von Fahrverboten sprechen.

Bei unions- und gesetzeskonformer Planung können solche „Extremeffekte“ indes, eine vorausschauende behördliche Planung vorausgesetzt, in den Luftreinhalteplänen vorab berücksichtigt und damit abgefedert werden.

6 Resümee

Was folgt aus dem Gesagten für Österreich? Droht Österreich ebenfalls eine Lawine an Fahrverboten? Die Antwort ist: Nein; das wäre ein voreiliger und überschießender Befund.Footnote 37

Österreich erhielt vor Jahren zwar ebenfalls einen „Mahnbrief“ der Kommission; verschiedene Vertragsverletzungsverfahren wurden eingeleitet und sind noch anhängig. Mittlerweile sind die Grenzwerte aber im Rahmen. Nach den jüngsten veröffentlichten Zahlen hat sich die Luftqualität in österreichischen und europäischen Ballungszentren verbessert.Footnote 38 Gegen die Erlassung von Fahrverboten in österreichischen Städten sprächen daher derzeit die voranstehend dargelegten Verhältnismäßigkeitserwägungen, die freilich einzelfallbezogen vorzunehmen wären.

Was bleibt, ist ein letztlich akademischer Befund: Es ist positiv, dass durch die gerichtliche Prüfung von Fahrverboten eines der letzten umweltrechtlichen „Tabus“ gebrochen wurde. Dank der Pionierleistung der deutschen Rechtsprechung hat auch in Deutschland das deutliche Bekenntnis zur Luftqualitätsrichtlinie und zu umfassendem Gesundheits- und Umweltschutz die politische und juristische Diskussion beflügelt.

Es bleibt im Ergebnis zu hoffen, dass im Umweltrecht keine weiteren beschwerlichen „Reisen“ mehr bis nach Luxemburg beschritten werden müssen, bis die Mitgliedstaaten ihre europäischen Verpflichtungen vollständig erfüllen.