1 Einleitung

Ein beachtlicher Teil des grenzüberschreitenden Warenhandels erfolgt per Eisenbahntransport. Zwischen dem internationalen Kaufrecht und dem Eisenbahngüterbeförderungsrecht gibt es daher zwangsläufig viele Berührungspunkte. An einer solchen Transaktion beteiligt sind zum einen die Parteien des Kaufvertrages und zum andern mindestens ein Beförderer, der in der Regel mit dem Verkäufer als Absender der Ware in einer vertraglichen Beziehung steht, gleichzeitig aber auch gegenüber dem Empfänger der Ware gewisse Pflichten hat bzw. von diesem unter bestimmten Voraussetzungen ins Recht gefasst werden kann. Dem Transportvertrag kommt dabei faktisch die Funktion eines Hilfsgeschäfts des Kaufvertrages zu,Footnote 1 auch wenn sich der Beförderer rechtlich um die Beziehung zwischen dem Verkäufer und dem Käufer nicht zu kümmern braucht.Footnote 2 Sinnvollerweise sorgen daher die Parteien des Kaufvertrages dafür, dass der Beförderungsvertrag mit dem Kaufvertrag gut koordiniert wird, etwa hinsichtlich der Organisation des Transports, der Kostentragung und dergleichen mehr.

Der internationale Kaufvertrag kann grundsätzlich irgendeinem durch kollisionsrechtliche RegelnFootnote 3 bestimmten nationalen Recht unterliegen. Sehr oft wird indessen das UN-Kaufrecht (CISG)Footnote 4 auf ihn anwendbar sein, dessen örtlicher Geltungsbereich sich nach Art. 1 CISG bestimmt. Haben die Kaufvertragsparteien ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten, die Vertragsstaaten des UN-Kaufrechts sind, so findet das Abkommen immer Anwendung, ausser wenn es die Kaufvertragsparteien abgewählt haben (opting out).Footnote 5

Verträge über den grenzüberschreitenden Eisenbahntransport von Frachtgütern unterliegen in sehr vielen Fällen den Einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern (CIM),Footnote 6 deren Anwendungsbereich sich nach Art. 1 CIM bestimmt. Diese Rechtsvorschriften sind insbesondere massgebend, wenn der Ort der Übernahme des Gutes zur Beförderung und der für die Ablieferung vorgesehene Ort in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten der OTIFFootnote 7 liegen.Footnote 8 Da sehr viele europäische Staaten Vertragsstaaten des UN-Kaufrechts und zugleich Mitgliedstaaten der OTIF sind, erfolgt ein beträchtlicher Teil des europäischen Warenhandels kaufrechtlich unter der Herrschaft des CISG und transportrechtlich unter der Herrschaft der CIM. Ein Blick auf verschiedene Berührungspunkte zwischen diesen beiden Regelungsmaterien ist daher interessant.

Zwischen CISG und CIM bestehen zahlreiche Querbezüge. Im Folgenden sollen ein paar dieser Querbezüge näher betrachtet werden.

2 Die Organisation des Transports

2.1 Die Regelung des Transports im Kaufvertrag

Es ist Sache der Kaufvertragsparteien, im Kaufvertrag zu bestimmen, wie die Ware im grenzüberschreitenden Handel vom Verkäufer zum Käufer gelangt. Ohne gegenteilige Regelung hat der Verkäufer die Ware dem Käufer an dem Ort zur Verfügung zu stellen, an dem der Verkäufer bei Vertragsschluss seine Niederlassung hatte, allenfalls auch an dem Ort, an dem sich die Ware bei Vertragsschluss befand.Footnote 9 Diesfalls ist es Sache des Käufers, sich um den Transport der Ware an den von ihm gewünschten Bestimmungsort (z. B. an seine Niederlassung) zu kümmern. Im vorliegenden Zusammenhang ist diese Konstellation nicht von Interesse.

In der Praxis werden die Kaufvertragsparteien sehr oft eine abweichende Regelung über den Transport der Ware treffen, z. B. durch den Einbezug einer IncotermklauselFootnote 10 in den Kaufvertrag. Die Lieferverpflichtung kann dabei unterschiedlich ausgestaltet werden. Weit verbreitet ist die Vereinbarung einer Versendungs- bzw. Schickschuld. Dabei verpflichtet sich der Verkäufer zur Übergabe der Ware an einen Beförderer zur Übermittlung an den Käufer.Footnote 11 Mit einer solchen Verpflichtung zwangsläufig verbunden ist die Pflicht des Verkäufers zum Abschluss eines Beförderungsvertrages (unter genauer Angabe der Empfängeranschrift).Footnote 12 Die Durchführung des Transports selber schuldet der Verkäufer aber nicht. Bei den Incoterms entsprechen cum grano salis die C-Klauseln einer solchen Versendungsschuld.Footnote 13 Mit der Vereinbarung einer Versendungsschuld ist an sich noch nicht gesagt, dass der Verkäufer im Verhältnis zwischen den Kaufvertragsparteien auch die Transportkosten zu tragen hat; die C-Klauseln der Incoterms sehen allerdings eine solche Kostentragungspflicht bis zu einem benannten Bestimmungsort vor. Eine andere Möglichkeit ist die Vereinbarung einer Bringschuld. Bei einer Bringschuld verpflichtet sich der Verkäufer nicht bloss zur Organisation, sondern auch zur Durchführung des Transports.Footnote 14 Bei den Incoterms entsprechen die D-Klauseln (auch Ankunfts- oder Delivery-Klauseln genannt) einer solchen Bringschuld.

Speziell von Interesse ist hier der (in der Praxis wohl wichtigste) Fall der Vereinbarung einer Versendungsschuld.Footnote 15 Vereinbaren die Parteien nichts Näheres, so hat der Verkäufer einen Transportvertrag über ein nach den Umständen angemessenes Beförderungsmittel auf der üblichen Route und zu den für solche Beförderungen üblichen Bedingungen zu schliessen.Footnote 16 Die Wahl des Transportmittels steht dem Verkäufer – andere Abreden vorbehalten – frei.Footnote 17 Ob ein Eisenbahntransport als angemessen gilt, kann nur aufgrund einer Würdigung aller Umstände beurteilt werden. Problematisch könnte dies z. B. sein, wenn die Liefermenge die Grössenordnung einer Wagenladung umfasst und der Käufer nicht über ein Anschlussgleis verfügt, denn Umladungen (jedenfalls von grösseren Gütermengen) sind tendenziell eher zu vermeiden.Footnote 18 Beim Versand von Stückgütern (die leicht umgeladen werden können) oder bei einem Transport einer grossen Gütermenge über eine sehr lange Strecke wird aber ein Eisenbahntransport in der Regel als angemessen gelten dürfen.

2.2 Die Bestimmung der „üblichen Route“ im Falle einer Versendungsschuld

Die Wahl der „üblichen Route“ kann in Krisenzeiten heikel werden. Grundsätzlich müssen Krisengebiete vermieden bzw. umfahren werden.Footnote 19 Dabei ist auf die Art der Krise und der zu transportierenden Ware Rücksicht zu nehmen. Das lässt sich anhand eines „historischen“ Beispiels sehr gut illustrieren: Wer wenige Tage vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs von Belgien aus in die Schweiz deutsche Ware per Eisenbahn über französisches Staatsgebiet transportieren liess (wo die Ware nach Kriegsausbruch als „Feindvermögen“ beschlagnahmt wurde), hat nach meinem Dafürhalten keine den Umständen angemessene Route gewählt.Footnote 20 Für französische Ware wäre die gleiche Transportroute demgegenüber angemessen gewesen.

2.3 Die Bestimmung der „üblichen Beförderungsbedingungen“ im Falle einer Versendungsschuld

2.3.1 Allgemeines

Beim Kriterium der „üblichen Beförderungsbedingungen“ stehen zwei Aspekte im Fokus: die Transportkosten und die Haftungsbedingungen. Der erste Aspekt spielt allerdings nur eine Rolle, wenn gemäss Kaufvertrag der Käufer die Kosten zu tragen hat. Der zweite Aspekt dagegen ist beim Versendungskauf stets von Bedeutung. Denn die Ware reist (beim Versendungskauf) auf Risiko des Käufers, weshalb er im Fall der Beschädigung oder eines Totalverlusts ein eminentes Interesse hat, vom Beförderer Schadenersatz zu erhalten.Footnote 21 Der Abschluss eines Transportvertrages zu Tarifbestimmungen gilt hinsichtlich der Kosten im Allgemeinen als angemessen.Footnote 22 Die Frage der Angemessenheit der Kosten kann gegebenenfalls die Wahl des Transportmittels beeinflussen: Sollte ein Eisenbahntransport deutlich günstiger als ein Lastwagentransport sein, so wäre dies ein gewichtiger Umstand für die Wahl dieser Transportart. In Bezug auf angemessene Haftungsbedingungen ist sich die Lehre einig: Diese sind auf jeden Fall angemessen, wenn sie internationalen Abkommen wie z. B. den CIM entsprechen.Footnote 23 Problematisch wären Haftungsfreizeichnungen. Bei Eisenbahntransporten sind diese aber nicht möglich, da die Haftungsregeln der CIM relativ zwingendes Recht darstellen, d. h. vertraglich nicht zu Gunsten des Beförderers abgeändert werden können.Footnote 24

2.3.2 Die Tragung der Transportkosten im Besondern

Wer im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer die Kosten zu tragen hat, bestimmt sich nach dem Kaufvertrag.Footnote 25 Ist diese Frage im Kaufvertrag nicht geregelt, so sind diese Kosten im Zweifel vom Käufer zu übernehmen.Footnote 26 Gegenteilig verhält es sich im Eisenbahntransportrecht. Im Verhältnis zum Beförderer ist der Absender kostenbelastet, sofern die Parteien des Transportvertrages nichts anderes vereinbaren, die Kosten also auf den Empfänger „überweisen“.Footnote 27 Selbst bei einer solchen vertraglichen Abrede bleibt der Absender aber kostenbelastet, wenn der Empfänger weder den Frachtbrief einlöst noch seine Rechte aus dem Beförderungsvertrag gemäss Art. 17 § 3 CIM geltend macht, noch den Beförderungsvertrag gemäss Art. 18 CIM abändert.Footnote 28 Alleiniger Schuldner der Kosten gegenüber dem Beförderer wird der Empfänger bei einer „Überweisung der Kosten“ auf ihn demgemäss, wenn er vom Beförderer die Ablieferung des Frachtguts verlangt (Art. 17 § 3 CIM), den Frachtbrief einlöst oder den Beförderungsvertrag ändert (Art. 18 CIM).Footnote 29 Voraussetzung für eine gegenüber dem Empfänger wirksame „Überweisung der Kosten“ ist allerdings eine Eintragung der Kostenüberweisung im Frachtbrief gemäss Art. 7 § 1 lit. o CIM.Footnote 30

Für den Verkäufer als Absender der Ware empfiehlt es sich, dass er die Kostentragung im Frachtvertrag gleich regelt wie im Kaufvertrag. Ob ihm dies möglich ist, wenn gemäss Kaufvertrag der Käufer die Kosten zu übernehmen hat (was wie erwähnt im Zweifelsfall gilt), ist allerdings nicht sicher. Denn dem Beförderer steht es frei, eine „Überweisung der Kosten“ auf den Empfänger i. S. v. Art. 10 § 2 CIM abzulehnen.Footnote 31 Übernimmt der Absender gegenüber dem Beförderer die Frachtkosten (wie dies in der Praxis wohl oft vorkommen dürfte), so kann er sie im Innenverhältnis auf den kostenbelasteten Käufer überwälzen. Die gegenteilige Situation dagegen ist heikel: Hat der Verkäufer gemäss Kaufvertrag die Kosten zu übernehmen und überweist er sie im Frachtvertrag dennoch auf den Empfänger, so verletzt er den Kaufvertrag. Dasselbe gilt, wenn er die Kosten zwar nicht „überweist“, aber auch nicht bezahlt und der Beförderer – was grundsätzlich zulässig ist – die Ablieferung von der Zahlung der sich aus dem Frachtbrief ergebenden Kosten abhängig macht.Footnote 32 Damit versetzt der Verkäufer den Käufer in ein Dilemma. Nimmt dieser die Sendung an, so muss er dem Beförderer die Kosten bezahlen und sich anschliessend gegenüber dem Verkäufer schadlos zu halten versuchen. Das verursacht keine besonderen Probleme, wenn er den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat, da er die Kosten vom Preis abziehen kann. Andernfalls ist er indessen auf eine Rückforderungsklage gegen den Verkäufer angewiesen. Nimmt der Empfänger die Sendung nicht an, so stellt sich die Frage, ob er damit seinerseits eine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag verletzt. Denn grundsätzlich ist der Käufer zur Annahme der Ware verpflichtet.Footnote 33 Eine solche Verpflichtung besteht nur dann nicht, wenn dem Käufer ein Zurückweisungsrecht zusteht. Nach wohl einhelliger Meinung existiert – von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen – ein solches Zurückweisungsrecht jedoch bloss, wenn der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung i. S. v. Art. 25 CISG begeht.Footnote 34 Ob eine kaufvertragswidrige „Überweisung der Kosten“ auf den Empfänger oder das sonstige Nichtbezahlen der Transportkosten kaufrechtlich als wesentlich gilt, ist zu bezweifeln; die Lehre äussert sich dazu soweit ersichtlich nicht. Sachgerecht wäre nach meinem Dafürhalten eine differenzierte Auffassung: Wenn der Käufer den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat, erleidet er durch die kaufvertragswidrige Kostenregelung im Beförderungsvertrag keinen schweren Nachteil, da er sich gegenüber dem Verkäufer leicht schadlos halten kann. Anders ist die Sachlage, wenn der Käufer den Kaufpreis schon geleistet hat, den Kostenersatz also nur auf dem beschwerlichen Weg einer Rückforderungsklage geltend machen kann.Footnote 35 Allerdings wird der Käufer bei dieser Konstellation oft kein Interesse an der Annahmeverweigerung haben, da die Rückforderung des gesamten Kaufpreises nach einer Aufhebung des Vertrages in der Regel mit noch grösseren Risiken verbunden sein dürfte.

3 Die Verpackung der Ware/des Frachtguts

3.1 Die Pflicht des Verkäufers zur Verpackung der Ware

Im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer bestimmt sich die Frage, ob und wie die Ware vom Verkäufer zu verpacken ist, nach dem Kaufvertrag. Fehlt eine entsprechende Bestimmung, so muss der Kaufgegenstand in der für Ware dieser Art üblichen Weise oder, falls es eine solche Weise nicht gibt, in einer für die Erhaltung und den Schutz der Ware angemessenen Weise verpackt sein.Footnote 36

Keine nennenswerten Probleme dürften sich in der Praxis ergeben, soweit die Verpackung Bestandteil der Ware selbst ist, wie etwa die Originalverpackung von Markenartikeln oder die für den Weiterverkauf bestimmte Dauerverpackung (z. B. Flaschen bei Getränken).Footnote 37 Schwieriger kann die Beurteilung der Frage sein, wie die Ware darüber hinaus vom Verkäufer für den Transport richtig zu verpacken ist, z. B. in einen Container, in Kisten, in Plastikfolien etc. Zu berücksichtigen sind dabei – soweit vertragliche Abreden fehlen – auf jeden Fall aber die Art und die Dauer des Transports sowie die Empfindlichkeit der Ware. Der Verkäufer hat die Ware so zu verpacken, dass sie während der Beförderung hinreichend vor Beschädigung geschützt ist.Footnote 38 Hierbei geht es darum, die legitimen Interessen des Käufers am Erhalt unbeschädigter Güter zu wahren.

3.2 Die Pflicht des Absenders zur Verpackung des Frachtguts

Anders ist die Optik des Transportrechts. Gemäss Art. 14 CIM haftet der Absender dem Beförderer für alle durch das Fehlen oder die Mangelhaftigkeit der Verpackung des Gutes verursachten Schäden und Kosten, es sei denn, dass der Mangel offensichtlich oder dem Beförderer bei der Übernahme des Gutes bekannt war und er diesbezüglich keine Vorbehalte gemacht hat. Die CIM gehen damit stillschweigend davon aus, dass das Frachtgut ordentlich zu verpacken ist.Footnote 39 Ordentlich verpackt ist die Ware, wenn sie Schutz vor den üblichen Gefahren bei einem normalen Verlauf des Eisenbahntransports bietet.Footnote 40 Gleichzeitig ergibt sich aus der Haftungsregelung von Art. 14 CIM aber auch, dass der Absender gegenüber dem Beförderer dessen Interessen zu wahren hat, indem das Frachtgut das Transportmittel oder andere TransportgüterFootnote 41 nicht beeinträchtigt; die Interessen des Käufers an ordentlicher Verpackung spielen insoweit keine Rolle. In der Praxis können zwar die Interessen des Käufers und die Interessen des Beförderers identisch sein (so etwa, wenn durch eine bruchsichere Verpackung verhindert werden soll, dass Flüssigkeit ausläuft), müssen aber nicht (so etwa, wenn eine bruchsichere Verpackung nur dazu dient, die Ware gegen Beschädigung zu schützen, deren Beschädigung – etwa beim Bruch von Geschirr oder leerem Glas – den Beförderer aber nicht schädigt). Seltener dürften Fälle sein, bei denen ein Verpackungsmangel beim Beförderer einen Schaden verursacht, die Interessen des Käufers aber nicht tangiert. Da das Transportrecht die Transportverpackung im Auge hat, nicht die zur Ausstattung der Ware gehörende Verpackung,Footnote 42 sind solche Ausnahmen aber denkbar, muss doch eine Beschädigung der Transportverpackung (die zu einem Schaden am Beförderungsmittel führen kann) nicht zwangsläufig die Ware selber beschädigen. In einem solchen Fall würde der Verkäufer dem Käufer nicht haften.Footnote 43

Transportrechtliche Verpackungsmängel können nicht nur zur Schadenersatzpflicht des Absenders gegenüber dem Beförderer, sondern ebenso zu einer Haftungsbefreiung des Beförderers führen,Footnote 44 die auch gegenüber dem Empfänger wirkt. Der Käufer kann sich diesfalls aber an den Verkäufer halten, da eine Beschädigung der Ware aufgrund eines solchen Verpackungsmangels stets auch eine Verletzung der Pflichten des Verkäufers aus dem Kaufvertrag darstellt.Footnote 45

4 Das Verfügungsrecht über die reisende Ware/das Frachtgut

Der Problemkreis des Verfügungsrechts über die reisende Ware bzw. das Frachtgut bildet einen weiteren interessanten Berührungspunkt zwischen CISG und CIM.Beide Regelungsmaterien kennen Bestimmungen zu dieser Frage. Wie zu zeigen sein wird, können diese Bestimmungen miteinander in Konflikt geraten.Footnote 46

4.1 Das Anhalterecht (right of stoppage in transitu) gemäss UN-Kaufrecht

Gemäss Art. 71 Abs. 1 CISG kann eine Partei die Erfüllung ihrer Pflichten aussetzen, wenn sich nach Vertragsschluss herausstellt, dass die andere Partei einen wesentlichen Teil ihrer Pflichten nicht erfüllen wird, (a) wegen eines schwerwiegenden Mangels ihrer Fähigkeit, den Vertrag zu erfüllen, oder ihrer Zahlungsfähigkeit, oder (b) wegen ihres Verhaltens bei der Vorbereitung der Erfüllung oder bei der Erfüllung des Vertrages. Nach Art. 71 Abs. 2 Satz 1 CISG kann sich der Verkäufer, der die Ware bereits abgesandt hat, bevor sich die in Absatz 1 bezeichneten Gründe herausstellen, der Übergabe der Ware an den Käufer widersetzen, selbst wenn der Käufer ein Dokument hat, das ihn berechtigt, die Ware zu erlangen. Man nennt dieses Recht des Verkäufers an der reisenden Ware das sogenannte Anhalterecht oder auch right of stoppage in transitu (bzw. right of stoppage in transit).Footnote 47 Bildhaft umschrieben wird dieses Recht auch etwa als „suspension of performance after performance“.Footnote 48 Das Anhalterecht wurde aus dem englischen Recht in das UN-Kaufrecht übernommen.Footnote 49 Es soll dem Verkäufer zur Hauptsache ermöglichen, sich die Zahlung des Kaufpreises zu sichern. Das Anhalterecht gemäss UN-Kaufrecht steht dem Verkäufer etwa zu, wenn sich nach der Absendung der Ware die Zahlungsfähigkeit des Käufers deutlich verschlechtert hat.Footnote 50 Der Verkäufer hat das Anhalten der Ware zu beenden, wenn der Käufer für die Erfüllung seiner Pflichten hinreichend Sicherheit bietet.Footnote 51

Das Anhalterecht geht unter, sobald die Ware in den Besitz des Käufers gelangt, selbst wenn der Kaufpreis in diesem Zeitpunkt nicht beglichen ist.Footnote 52 Ein solcher Besitz kann auch durch Übergabe der Sache an eine vom Käufer ermächtigte Person begründet werden. Die Übergabe an den Beförderer genügt dazu in der Regel jedoch nicht,Footnote 53 und zwar selbst dann nicht, wenn der Käufer – z. B. weil in den Kaufvertrag eine F-Klausel der Incoterms einbezogen wurde – den Transport organisiert und daher den Beförderer beauftragt.Footnote 54 Das Gegenteil soll nur gelten, wenn der Beförderer anzeigt, dass er die Ware anstelle des Käufers und nicht bloss zum Zweck des Transports in Empfang nimmt.Footnote 55 Schliesst der Verkäufer – z. B. weil in den Kaufvertrag eine C-Klausel der Incoterms einbezogen wurde – den Transportvertrag, so kann der Beförderer auf jeden Fall die Ware nicht für den Käufer entgegennehmen.Footnote 56 Von Ziegler fasst die Sachlage treffend wie folgt zusammen: „In other words, Article 71 (2) gives a seller the right to stop delivery in a window of time between the seller’s ‘handing over’ to the carrier (under sales law) and the carrier’s ‚handing over‘ to the receiver/buyer (under the contract of carriage).“Footnote 57 Wann genau die Übergabe an den Käufer (oder seinen Bevollmächtigten) erfolgt, lässt sich allerdings nicht immer einfach beantworten. Unklar ist insbesondere z. B., ob das Einlagern der Ware in einem Lagerhaus am Ankunftsort das Anhalterecht beendet.Footnote 58

Ob dieses Recht in der (kontinentaleuropäischen) Praxis von grosser Bedeutung ist, ist fraglich; jedenfalls gibt es zu Art. 71 Abs. 2 CISG kaum Gerichtsurteile.Footnote 59 Dies dürfte zum einen darauf zurückzuführen sein, dass das Anhalterecht dem kontinentaleuropäischen Denken fremd ist, zum andern und hauptsächlich aber wohl auf den Umstand, dass heute im internationalen Handel andere Mechanismen zur Sicherung des Zahlungsanspruchs des Verkäufers (wie z. B. Akkreditive oder Bankgarantien) im Vordergrund stehen.Footnote 60 Beim Transport der Ware mit der Eisenbahn wird die praktische Bedeutung des Anhalterechts zusätzlich noch dadurch verringert, dass (anders als etwa beim Schifftransport über das Meer) die Beförderungszeit in der Regel relativ kurz sein dürfte.

Aus transportrechtlicher Sicht besonders interessant ist Art. 71 Abs. 2 Satz 2 CISG. Nach dieser Bestimmung betrifft das Anhalterecht nur die Rechte auf die Ware im Verhältnis zwischen Käufer und Verkäufer. Den Beförderer tangiert dieses Recht ausdrücklich nicht. Ob der Verkäufer das ihm zustehende right of stoppage in transitu effektiv ausüben kann, d. h. ob er berechtigt ist, vom Beförderer zu verlangen, dass die Ware dem Käufer nicht übergeben wird, beurteilt sich ausschliesslich nach dem massgebenden Transportrecht.Footnote 61 Von Ziegler drückt dies plastisch wie folgt aus: „The CISG only addresses the permissibility of a conveyance, not the possibility thereof.“Footnote 62

In diesem zentralen Punkt unterscheidet sich das UN-Kaufrecht klar vom englischen Kaufrecht.Footnote 63 Nach englischem Kaufrecht wirkt das Anhalterecht auch gegenüber dem Beförderer (wobei gewisse Einschränkungen bestehen, wenn ein Konnossement ausgegeben wurde).Footnote 64 Das kann den Beförderer in Schwierigkeiten bringen, wenn gemäss Transportrecht bereits der Empfänger zur Verfügung über die Ware berechtigt ist und dieser die Herausgabe verlangt, gleichzeitig aber der Verkäufer von seinem Anhalterecht Gebrauch macht.Footnote 65 Diese Schwierigkeiten bestehen nicht, wenn für die Beziehung zwischen Absender und Empfänger das UN-Kaufrecht massgebend ist. Daher müsste man im Grunde jedem Beförderer davon abraten, Ware zu transportieren, die unter englischem Kaufrecht gehandelt wird. Fragt sich bloss: Woher kann der Beförderer wissen, welchem Recht das Verhältnis zwischen Absender und Empfänger untersteht? Im Transportalltag ist diese Frage für den Beförderer nur deshalb von geringer Relevanz, weil das Anhalterecht wie erwähnt heute keine grosse praktische Bedeutung mehr hat. Hinzu kommt, dass die Wirkung des right of stoppage in transitu gegen den Beförderer gemäss englischem Recht von anderen Jurisdiktionen eventuell nicht anerkannt und so der Beförderer gegen Ansprüche des Verkäufers geschützt wird.Footnote 66

4.2 Das Verfügungsrecht über das reisende Frachtgut gemäss CIM

Das Verfügungsrecht über das reisende Frachtgut ist in Art. 18 CIM geregelt. Grundsätzlich steht dieses Recht zunächst einmal dem Absender zu.Footnote 67 Das Recht des Absenders zur Verfügung über das Frachtgut erlischt aber, wenn der Empfänger den Frachtbrief eingelöst oder das Gut angenommen oder seine Rechte aus Art. 17 § 3 CIM geltend gemacht (d. h. nach Ankunft des Gutes am Ort der Ablieferung vom Beförderer die Ablieferung verlangt) hat.Footnote 68 Das gilt selbst dann, wenn der Absender das Frachtbriefdoppel besitzt.Footnote 69

Noch wichtiger ist ein weiterer Tatbestand, in dem das Verfügungsrecht vom Absender auf den Empfänger übergeht:Footnote 70 Gemäss Art. 18 § 3 CIM steht das Recht zur Änderung des Beförderungsvertrages dem Empfänger bereits von der Ausstellung des Frachtbriefes an zu. Von diesem Zeitpunkt an hat der Beförderer nur noch die Verfügungen und Anweisungen des Empfängers zu befolgen.Footnote 71 Dieser Übergang des Verfügungsrechts auf den Empfänger entfällt nur dann, wenn ein entsprechender Vermerk in den Frachtbrief aufgenommen wurde.Footnote 72 Ebenso findet ein solcher Übergang natürlich nicht statt, wenn gar kein Frachtbrief ausgestellt wirdFootnote 73 (was zwar nicht der Regelfall sein sollte,Footnote 74 die Gültigkeit des Vertrages aber nicht tangiert).Footnote 75 In der Lehre wurde die Bestimmung, wonach das Verfügungsrecht ohne gegenteiligen Vermerk im Frachtbrief von dessen Ausstellung an auf den Empfänger übergeht, als Fehlkonstruktion der CIM 1999 bezeichnet.Footnote 76 Denn wenn ein solcher Vermerk fehlt, kann sich der Absender selbst dann das Verfügungsrecht über das Frachtgut nicht sichern, wenn er das Frachtbriefdoppel behält.Footnote 77 Immerhin kann er aber auf diese Weise zumindest verhindern, dass der Empfänger bereits sein Verfügungsrecht während des Transports ausüben kann; denn dazu müsste der Empfänger dem Beförderer das Frachtbriefdoppel vorlegen können.Footnote 78 Art. 18 § 3 CIM kann faktisch „ausgeschaltet“ oder eingeschränkt werden, wenn der gegenteilige Vermerk ohne anderslautende Weisung des Absenders standardmässig in den Frachtbrief aufgenommen wird, wie dies in der Praxis gewisse Beförderer offenbar vorsehen.Footnote 79 Ebenso kann Art. 18 § 3 CIM in seinen für den Absender ungünstigen Wirkungen faktisch dadurch „ausgeschaltet“ werden, dass der Absender mit dem Beförderer eine Wertnachnahme vereinbart.Footnote 80 Das Verfügungsrecht des Empfängers steht dann unter der suspensiven Bedingungen, dass dieser dem Beförderer zuhanden des Absenders den Kaufpreis bezahlt.Footnote 81

4.3 Das Spannungsverhältnis zwischen CISG und CIM hinsichtlich des Verfügungsrechts über die reisende Ware bzw. das Frachtgut

Ein Vergleich zwischen Art. 71 Abs. 2 CISG und Art. 18 CIM macht sofort klar: Das kaufrechtliche Verfügungsrecht des Verkäufers und das transportrechtliche Verfügungsrecht des Absenders stimmen nicht immer überein.

Kein Konflikt zwischen diesen beiden Verfügungsrechten ergibt sich im Falle von Art. 18 § 2 lit. b CIM. Wenn der Empfänger das Frachtgut entgegengenommen hat, ist er im Besitz der Ware. Damit ist nicht nur das transportrechtliche, sondern auch das kaufrechtliche Verfügungsrecht des Verkäufers untergegangen.

Nicht vollkommen kompatibel ist der Übergang der beiden Verfügungsrechte im Falle von Art. 18 § 2 lit. a CIM. Gemäss Ingo Koller erfolgt die „Einlösung des Frachtbriefs“ durch Aushändigung des Frachtbriefs (d. h. des Originals, das die Fracht begleitet)Footnote 82 an den Empfänger mit dessen Einverständnis.Footnote 83 Der blosse Besitz des Empfängers am Frachtbrief bedeutet noch nicht Besitz an der Ware. Hier geht somit das transportrechtliche Verfügungsrecht auf den Empfänger in einem Zeitpunkt über, in dem das kaufrechtliche Anhalterecht des Verkäufers noch gilt. In der Praxis dürften sich daraus allerdings keine nennenswerten Probleme ergeben, da der Empfänger in der Regel kurz nach der Entgegennahme des Frachtbriefs die Herausgabe der Ware verlangen und diese vom Beförderer auch erhalten wird, womit das kaufrechtliche Anhalterecht des Verkäufers untergeht.

Ähnliches gilt im Falle von Art. 18 § 2 lit. c CIM. Gemäss Art. 17 § 3 CIM kann der Empfänger nach Ankunft des Gutes am Ort der Ablieferung vom Beförderer die Übergabe des Frachtbriefes und die Ablieferung des Gutes verlangen. Zwar geht damit das kaufrechtliche Anhalterecht des Verkäufers noch nicht unter.Footnote 84 Indessen dürften in der Praxis Fälle selten sein, bei denen dem Empfänger das Gut vom Beförderer entgegen dessen Verlangen nicht umgehend ausgehändigt wird (so etwa wenn der Empfänger sich weigert, dem Beförderer die Kosten zu bezahlen, obwohl sie gemäss Art. 10 § 2 CIM auf ihn überwiesen sind).Footnote 85 Zwischen dem Übergang des transportrechtlichen Verfügungsrechts auf den Empfänger und dem Untergang des kaufrechtlichen right of stoppage in transitu wird daher in der Regel nur eine sehr kurze Zeitspanne liegen.

Ganz anders verhält es sich im Fall von Art. 18 § 2 lit. d CIM. In dieser Konstellation geht das transportrechtliche Verfügungsrecht des Absenders wesentlich früher unter als sein kaufrechtliches Anhalterecht. Da der Absender sein Verfügungsrecht bereits mit dem Ausstellen des Frachtbriefs verliert, und zwar selbst dann, wenn er das Frachtbriefdoppel behält, kann er faktisch sein kaufrechtliches Anhalterecht während der ganzen Reise der Ware nicht mehr durchsetzen. Gegen diese Aushöhlung des right of stoppage in transitu kann sich der Verkäufer nur schützen, indem er entweder (a) keinen Frachtbrief ausstellt (was aber wegen Art. 6 § 7 CIM in vielen Fällen ausgeschlossen ist) oder (b) in den Frachtbrief einen Vermerk gemäss Art. 18 § 3 CIM aufnimmt oder (c) mit dem Beförderer eine Wertnachnahme vereinbart (was indessen im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer nur zulässig ist, wenn dies im Kaufvertrag so vorgesehen ist). Ebenfalls hilfreich (wenn auch nur begrenzt) kann es sein, wenn der Verkäufer dem Käufer das Frachtbriefdoppel nicht aushändigt. Zwar schliesst dies wie erwähnt nicht aus, dass der Absender sein transportrechtliches Verfügungsrecht verliert, aber der Adressat der Frachtsendung kann wegen der Sperrwirkung des Frachtbriefdoppels zumindest während des Transports das Frachtgut nicht durch eine Änderung des Frachtvertrages umleitenFootnote 86 (wohl aber bei der Ankunft am Zielort die Herausgabe der Ware verlangen).Footnote 87

Wohlgemerkt: Rechtlich gesehen steht dem Verkäufer gegenüber dem Käufer das Anhalterecht auch dann weiterhin zu, wenn sein transportrechtliches Verfügungsrecht bereits untergegangen, der Käufer aber noch nicht im Besitz der Ware ist. Die Durchsetzung dieses Rechts ist indessen mit Schwierigkeiten und Risiken verbunden, wenn der Absender gegenüber dem Beförderer nicht mehr weisungsbefugt ist. Der Verkäufer muss diesfalls sein Recht gegenüber dem Käufer geltend machen, etwa indem er vom Richter eine einstweilige Verfügung erwirkt, mit welcher dem Käufer die Inbesitznahme der Ware untersagt wird.Footnote 88 Ob dem Verkäufer dies stets rechtzeitig gelingen und ob sich der Käufer immer an eine solche richterliche Verfügung halten wird, ist allerdings offen. Kaum etwas nützen wird es dem Verkäufer auch, wenn er – wie in der kaufrechtlichen Literatur zum Teil (halbherzig) vorgeschlagen wird – den Beförderer ermächtigt, sein kaufrechtliches Anhalterecht gegenüber dem Empfänger geltend zu machen.Footnote 89 Denn der Beförderer hat kein Interesse, von dieser Ermächtigung Gebrauch zu machen, soweit er dadurch seine (transportrechtlichen) Pflichten gegenüber dem Empfänger verletzt.

Das Fazit ist klar: Faktisch kann der transportrechtlich verfügungsberechtigte Käufer das Anhalterecht des Verkäufers unterlaufen, wenn er vom Beförderer die Herausgabe des Frachtguts verlangt. Und das Transportrecht bietet ihm – wie skizziert – etliche Möglichkeiten zu einem solchen Vorgehen. Gegebenenfalls verletzt er dadurch zwar eine Pflicht aus dem Kaufvertrag, die ihn gegenüber dem Verkäufer schadenersatzpflichtig werden lässt. Dieser Schadenersatzanspruch ist für den Verkäufer, der ja ohnehin gegen den Käufer einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises hat, jedoch kaum etwas wert.Footnote 90 Pejovic hat eine der Funktionen des transportrechtlichen „right of control“ des Absenders wie folgt umschrieben: „Right of control also protects the seller, and does so even more effectively by allowing the seller to retain control over the goods until the price is paid.“Footnote 91 Für den Seetransport unter einem Konnossement stimmt dies zweifelsohne. Für den Transport unter einem Eisenbahnfrachtbrief gilt dies indessen nur in beschränktem Masse. Von Ziegler empfiehlt, bei der Ausgestaltung des Transportvertrages das frachtrechtliche Verfügungsrecht (kauf)vertragskompatibel auf den Empfänger zu übertragen.Footnote 92 Erreicht werden kann dies am besten mit einem „Sperrvermerk“ im Sinne von Art. 18 § 3 CIM. Aber daran muss der Verkäufer/Absender zuerst einmal denken.

5 Die Annahmeverweigerung durch den Käufer/Empfänger

5.1 Die Pflicht des Käufers zur Annahme der Ware gemäss UN-Kaufrecht

Gemäss Art. 53 CISG ist der Käufer nicht nur zur Zahlung des Kaufpreises, sondern auch zur Annahme der Ware verpflichtet. Näher geregelt ist diese Annahmepflicht in Art. 60 CISG. Im UN-Kaufrecht ist diese Annahmepflicht des Käufers als Vertragspflicht ausgestaltet, die dem Verkäufer einen Erfüllungsanspruch einräumt und bei deren Verletzung der Verkäufer die Rechtsbehelfe nach Art. 61 ff. CISG ausüben kann.Footnote 93 Verweigert der Käufer die Annahme der Ware ungerechtfertigt, so verletzt er nicht bloss eine Obliegenheit, die ihn – in nationalen Rechtskategorien gedacht – in Gläubigerverzug geraten lässt,Footnote 94 sondern er verletzt damit (auch) eine Schuldpflicht.Footnote 95

Eine der Pflichten des Käufers zur Annahme besteht gemäss Art. 60 lit. b CISG darin, die Ware zu übernehmen. Unter gewissen Voraussetzungen steht ihm allerdings ein Zurückweisungsrecht zu, so bei einer vorzeitigen Lieferung und bei einer ZuviellieferungFootnote 96 sowie dann, wenn der Verkäufer eine wesentliche Vertragsverletzung welcher Art auch immer (Lieferung vertragswidriger Ware, verspätete Lieferung etc.) i. S. v. Art. 25 CISG begeht.Footnote 97 Besteht kein solches Zurückweisungsrecht, so ist die Annahmeverweigerung unberechtigt.

Beim Versendungskauf geschieht die Übernahme der Ware i. S. v. Art. 60 lit. b CISG durch deren Inbesitznahme am Bestimmungsort, nachdem der Beförderer dem Empfänger das Frachtgut zur Entgegennahme angeboten hat.Footnote 98 Zu den Pflichten des Käufers soll es dabei auch gehören, dass er (sofern nichts anderes vereinbart ist) die Ware entlädt oder zumindest die Kosten der Entladung übernimmt.Footnote 99 Das wird indessen in dieser Absolutheit kaum gelten können. Ob der Käufer zur Entladung der Ware verpflichtet ist, wenn im Kaufvertrag nichts Gegenteiliges vereinbart wurde, kann nach meinem Dafürhalten nur unter Beizug transportrechtlicher Gepflogenheiten beurteilt werden.Footnote 100 Sieht das Transportrecht eine Entladepflicht des Empfängers vor, wird man auch von einer kaufrechtlichen Entladepflicht ausgehen können, andernfalls aber nicht.Footnote 101 Beim Eisenbahntransport heisst dies: Vereinbaren der Absender und der Beförderer nichts anderes, so hat der Beförderer Stückgut zu entladen, während bei Wagenladungen transportrechtlich der Empfänger zum Entladen verpflichtet ist.Footnote 102 Allerdings wird man auch bei Wagenladungen in gewissen Fällen von einer stillschweigenden anderweitigen Abrede ausgehen dürfen, so wenn für die Entladung spezielle Vorrichtungen wie ein Kran, eine Hebebühne, Kipp- und Schüttvorrichtungen, Pumpen und Schläuche etc. erforderlich sind, über welche der Empfänger am Bestimmungsort nicht verfügt.Footnote 103 Eine solche stillschweigende Abrede müsste dann nicht bloss transportrechtlich, sondern auch kaufrechtlich massgebend sein.

5.2 Die Pflicht des Empfängers zur Annahme des Frachtguts gegenüber dem Beförderer

Gegenüber dem Beförderer entsteht eine allfällige Pflicht des Empfängers zur Entladung erst, wenn er sich auf den Frachtvertrag eingelassen hat.Footnote 104 Nach wohl herrschender Lehre genügt es dazu, dass der Beförderer dem Empfänger das Gut zur Verfügung stellt und dieser zur Entgegennahme bereit ist; eine Einlösung des Frachtbriefes soll nicht erforderlich sein.Footnote 105 Ebenso muss es genügen, wenn der Empfänger die Ablieferung des Frachtguts verlangt.Footnote 106 Die allfällige kaufrechtliche Pflicht zur Entladung der Ware des Käufers gegenüber dem Verkäufer wird jedoch nicht berührt, wenn sich der Empfänger auf den Frachtvertrag nicht einlässt.

Wie die Ablieferung transportrechtlich im Einzelnen zu erfolgen hat, ist in Art. 17 CIM detailliert geregelt. Auch diesbezüglich wird man davon ausgehen dürfen, dass diese Bestimmung im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer ebenfalls gilt, sofern im Kaufvertrag nichts anderes bestimmt wird.Footnote 107 Die Ablieferungsstelle ergibt sich aus dem Frachtbrief.Footnote 108 Je nach den am Ort der Ablieferung geltenden Vorschriften kann die Ablieferung durch Übergabe an eine Zoll- oder Steuerverwaltung oder durch Einlagerung des Gutes beim Beförderer oder dessen Hinterlegung bei einem Spediteur oder in einem öffentlichen Lagerhaus erfolgen.Footnote 109

Wie der Beförderer vorzugehen hat, wenn der Empfänger die Übernahme des Frachtguts verweigert, ist in Art. 21 CIM geregelt. Verweigert der Empfänger die Annahme, so hat der Beförderer den Absender davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen und seine Anweisungen einzuholen, sofern der Absender nicht durch eine Angabe im Frachtbrief verlangt hat, dass ihm das Gut bei Eintritt eines Ablieferungshindernisses ohne weiteres zurückgesandt wird.Footnote 110 Dem Absender werden durch die Verweigerung der Annahme in aller Regel Kosten erwachsen, z. B. für den Rücktransport der Ware oder für deren Einlagerung am Ablieferungsort.

5.3 Auswirkungen einer Annahmeverweigerung gegenüber dem Beförderer auf den Kaufvertrag

5.3.1 Allgemeines

War die Annahmeverweigerung kaufrechtlich unberechtigt, so kann der Absender die Kosten, die aus der Annahmeverweigerung transportrechtlich resultieren, gegenüber dem Empfänger aus Kaufvertrag als Schaden geltend machen.Footnote 111 Zudem stehen dem Verkäufer – was hier aber nicht von Interesse ist – sämtliche weiteren Rechtsbehelfe zu, die das UN-Kaufrecht bei einer Verletzung der Annahmepflicht des Käufers gewährt.

Anders verhält es sich, wenn der Empfänger die Annahme des Frachtguts verweigert, nachdem er den Frachtbrief eingelöst hat. Mit der Einlösung des Frachtbriefes wird der Empfänger gegenüber dem Beförderer zur Annahme verpflichtet,Footnote 112 und dies unter gleichzeitiger Entlastung des Absenders.Footnote 113 Unter gewissen Voraussetzungen kann der Empfänger gegenüber dem Beförderer die Annahme berechtigt verweigern.Footnote 114 Die Rechtsfolgen einer unberechtigten Annahmeverweigerung durch den Empfänger sollen sich gemäss der transportrechtlichen Lehre nach dem ergänzend anwendbaren Landesrecht beurteilen.Footnote 115 Nach schweizerischem Recht läge diesfalls ein Gläubigerverzug i. S. v. Art. 91 ff. OR vor. Indessen macht eine Anwendung von Landesrecht diesfalls kaum Sinn. Denn Art. 22 CIM regelt die Folgen eines Ablieferungshindernisses ausführlich (Anspruch auf Kostenerstattung, Einlagerung des Frachtguts, Verkauf des Frachtguts). Den Absender braucht dies nicht weiter zu interessieren, da sich der Beförderer in dieser Konstellation nur noch mit dem Empfänger auseinanderzusetzen hat. Eine Verletzung der kaufrechtlichen Annahmepflicht steht diesfalls nicht zur Debatte.

5.3.2 Bei der Verweigerung der Zahlung der Kosten gegenüber dem Beförderer im Besondern

In der Praxis wird eine wohl nicht allzu seltene Konstellation von besonderem Interesse sein. Gemäss Art. 17 § 1 CIM hat der Beförderer dem Empfänger das Gut gegen Zahlung der sich aus dem Beförderungsvertrag ergebenden Forderungen abzuliefern. Zur Hauptsache wird es sich dabei um die Kosten des Transports handeln. Bis zur Zahlung steht dem Beförderer sowohl gegenüber dem Absender als auch gegenüber dem Empfänger ein Zurückbehaltungsrecht zu.Footnote 116 Verweigert der Empfänger die Zahlung, obwohl er dazu transportrechtlich verpflichtet ist (weil die Kosten auf ihn überwiesen sind und er den Frachtbrief angenommen hat),Footnote 117 so gerät er ebenso in Gläubigerverzug, wie wenn er die Annahme des Frachtguts verweigern würde. Wenn er kaufrechtlich zur Tragung der Kosten verpflichtet ist, verletzt er dadurch gegenüber dem Verkäufer aber keine Vertragspflicht, denn eine Verletzung der kaufrechtlichen Annahmepflicht steht wie erwähnt nicht zur Debatte. Anders verhält es sich, wenn der Empfänger frachtrechtlich nicht zur Zahlung verpflichtet ist, er aber gemäss Kaufvertrag die Transportkosten zu tragen hat. Diesfalls verletzt er mit der Zahlungsverweigerung gegenüber dem Beförderer gleichzeitig seine kaufrechtliche Annahmepflicht gemäss Art. 60 CISG gegenüber dem Verkäufer.

Verlangt der Beförderer bei der Ablieferung die Zahlung der Kosten, obwohl der Käufer/Empfänger weder transportrechtlich noch kaufrechtlich dazu verpflichtet ist, so gerät Letzterer – wie bereits dargelegtFootnote 118 – in ein Dilemma. Zwar verletzt der Verkäufer eine Pflicht aus dem Kaufvertrag, wenn er den Beförderer nicht befriedigt und diesen so veranlasst, die Transportkosten beim Empfänger einzufordern. In der Regel wird eine solche Vertragsverletzung indessen keine wesentliche sein, so dass dem Käufer an sich kein Zurückweisungsrecht aus Kaufrecht zustehen würde. Will der Käufer nicht seinerseits seine Pflichten aus Kaufvertrag verletzen, so wäre er gezwungen, dem Beförderer die Frachtkosten zu bezahlen und sich anschliessend gegenüber dem Verkäufer schadlos zu halten. Das kann indessen dem Käufer nur zugemutet werden, wenn er den Kaufpreis noch nicht bezahlt hat und die Kosten verrechnen kann, nicht aber wenn er auf eine Rückforderungsklage angewiesen ist.Footnote 119

6 Gefahrtragung und Aktivlegitimation zur Geltendmachung frachtrechtlicher Schadenersatzansprüche

Wird das (gehörig verpackte)Footnote 120 Frachtgut während des Transports beschädigt oder geht es verloren, so stellt sich die Frage, zu wessen Lasten dieser Schaden im Verhältnis zwischen Verkäufer und Käufer geht. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der Absender oder der Empfänger aus Transportrecht gegenüber dem Beförderer allfällige Schadenersatzansprüche geltend machen kann.

6.1 Die Gefahrtragung im Kaufrecht

Kaufrechtlich hat diejenige Vertragspartei den Nachteil aus einer Beschädigung oder einem Verlust der Ware zu tragen, welche gefahrbelastet ist. Trägt der Verkäufer während des Transports die Preisgefahr, so kann er bei einem Totalverlust den Kaufpreis nicht fordern und im Falle einer Beschädigung hat er dem Käufer für die Vertragswidrigkeit der Ware einzustehen.Footnote 121 Ist dagegen der Käufer bereits während des Transports gefahrbelastet, so muss er bei einem Totalverlust den Kaufpreis dennoch bezahlen und im Falle einer Beschädigung hat er keine Ansprüche gegen den Verkäufer aus Vertragswidrigkeit, sondern ist zur vollen Preiszahlung verpflichtet.Footnote 122 Dies gilt selbstverständlich nur, wenn der Untergang oder die Beschädigung der Ware nicht auf eine Handlung oder Unterlassung des Verkäufers oder einer ihm zurechenbaren Hilfsperson zurückzuführen ist.Footnote 123 Keine solche zurechenbare Hilfsperson ist der Beförderer,Footnote 124 wenn der Verkäufer – wie z. B. bei einem Versendungskauf – nicht zur Durchführung des Transports, sondern bloss zu dessen Organisation verpflichtet ist.Footnote 125 Für den Transporteur hat der Verkäufer diesfalls nur – aber immerhin – einzustehen, wenn ein Schaden wegen ungenügender, d. h. nicht der vertraglichen Regelung bzw. subsidiär Art. 32 Abs. 2 CISG entsprechender Organisation der Beförderung eintritt.Footnote 126

Wann die Gefahr vom Verkäufer auf den Käufer übergeht, können die Parteien im Kaufvertrag regeln. In der Praxis geschieht dies sehr häufig durch den Einbezug einer Incotermklausel in den Kaufvertrag. Bei der CPT-Klausel und der CIP-Klausel z. B. geht die Gefahr mit Übergabe der Ware durch den Verkäufer an den Frachtführer am Lieferort (an einer gegebenenfalls vereinbarten Lieferstelle) auf den Käufer über.Footnote 127 Regeln die Parteien den Gefahrübergang im Kaufvertrag nicht, so kommen die Art. 66 ff. CISG zur Anwendung. Als subsidiäre Grundregel gilt dabei bei einem Distanzkauf, dass die Gefahr mit Übergabe der Ware an den ersten Beförderer auf den Käufer übergeht, wenn der Kaufvertrag eine Beförderung der Ware erfordert und der Verkäufer nicht zur Übergabe an den Käufer an einem bestimmten Ort verpflichtet ist.Footnote 128 Als Faustregel für den Versendungskauf lässt sich somit grob gesehen festhalten: Während des Transports ist der Käufer bereits gefahrbelastet.Footnote 129

Die praktische Bedeutung von Gefahrtragungsregeln im Kaufrecht ist erheblich. Im internationalen Handel dienen diese Regeln in erster Linie der Zuweisung der Auseinandersetzungslast mit Versicherern und gegebenenfalls mit einem haftpflichtigen Frachtführer bzw. Beförderer. Besteht keine Versicherungsdeckung,Footnote 130 kann kein Beförderer haftbar gemacht werden oder sind Versicherer bzw. Frachtführer insolvent, so führen die kaufrechtlichen Gefahrtragungsregeln zu einer definitiven Verlustzuweisung an die gefahrbelastete Partei. Dasselbe gilt, wenn sich ein Prozess z. B. gegen einen an sich haftbaren Beförderer vernünftig nicht führen lässt.Footnote 131 Aus der Sicht der gefahrbelasteten Partei des Kaufvertrages ist es unter diesen Umständen von grosser Bedeutung, ob sie befugt ist, gegen den Beförderer allfällige Haftungsansprüche zu erheben.

6.2 Die Aktivlegitimation zur Geltendmachung frachtrechtlicher Haftungsansprüche

Wer berechtigt ist, allfällige Haftungsansprüche aus dem Beförderungsvertrag geltend zu machen, ist in Art. 44 CIM geregelt.

Grundsätzlich ist dies zunächst einmal der Absender. Das versteht sich im Grunde von selbst, ist er doch der Vertragspartner des Beförderers. Allerdings ist dieses Recht zeitlich beschränkt und wird unter bestimmten Umständen durch das Recht des Empfängers abgelöst, den Beförderer zu belangen. Die Aktivlegitimation zur Geltendmachung frachtrechtlicher Ansprüche geht vom Absender auf den Empfänger über, wenn Letzterer den Frachtbrief einlöst oder das Gut angenommen hat oder die ihm gemäss Art. 17 § 3 CIM oder Art. 18 § 3 CIM zustehenden Rechte geltend gemacht hat (d. h. vom Beförderer die Übergabe des Frachtbriefes und die Ablieferung des Gutes verlangt oder den Beförderungsvertrag geändert hat).Footnote 132 Die gerichtliche Geltendmachung ist dabei an gewisse formelle Voraussetzungen geknüpft, die hier nicht von Interesse sind.Footnote 133 Sobald der Empfänger aktivlegitimiert ist, erlischt die Klagebefugnis des Absenders; eine Doppellegitimation ist ausgeschlossen.Footnote 134 Art. 44 CIM betrifft sämtliche vertraglichen Ansprüche aus dem Transportvertrag, insbesondere auch Haftungsansprüche nach Art. 23 CIM.Footnote 135

In der Lehre wird z. T. ausgeführt, die Klagebefugnis sei an das Verfügungsrecht über das Gut gekoppelt.Footnote 136 Das ist nicht ganz präzis. Der Übergang des Verfügungsrechts und der Aktivlegitimation stimmen nur in den Fällen von Art. 18 § 2 lit. a bis c CIM bzw. Art. 44 § 1 lit. a/b Ziff. 1, 2 und 3 erste Variante CIM überein, d. h. wenn der Empfänger den Frachtbrief einlöst oder das Gut angenommen hat oder die Ablieferung des Gutes verlangt hat. Anders verhält es sich mit dem Übergang des Verfügungsrechts nach Art. 18 § 3 CIM. Ohne gegenteiligen Vermerk im Frachtbrief wird der Empfänger nach dieser BestimmungFootnote 137 bereits mit der Ausstellung des Frachtbriefes verfügungsberechtigt. Die Klagebefugnis geht aber nach Art. 44 § 1 lit. a/b Ziff. 3 zweite Variante CIM erst auf ihn über, wenn er von diesem Recht Gebrauch macht. Unterlässt er dies, so bleibt die Aktivlegitimation während der ganzen Transportdauer beim Absender.

6.3 Das Zusammenwirken von kaufrechtlicher Gefahrtragung und frachtrechtlicher Zuweisung der Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen

Art. 44 CIM bestimmt bloss, wer in einem Haftungsfall (ausschliesslich) gegen den Beförderer gerichtlich vorgehen kann, mit andern Worten also, wer formell anspruchsberechtigt ist,Footnote 138 macht aber keine Vorgaben, in wessen Interesse der formell Anspruchsberechtige handelt.Footnote 139 Ob durch einen Haftungsfall der Absender oder der Empfänger geschädigt worden ist, beurteilt sich nicht nach dieser Norm. Massgebend für die Beurteilung der Frage, ob ein während des Transports eingetretener Schaden den Absender oder den Empfänger trifft, ist wie dargelegt die kaufrechtliche Gefahrtragung. Daher ist es ohne weiteres möglich, dass der Schaden kaufrechtlich nicht bei derjenigen Vertragspartei eintritt, welche gemäss Frachtrecht zur Klage gegen den Beförderer legitimiert ist. Bei Versendungskäufen dürfte dies in der Praxis oft der Fall sein, wenn man sich die beiden skizzierten Faustregeln vor Augen hält, wonach der Käufer während des Transports schon gefahrbelastet, der Absender aber noch klagebefugt ist.

Fallen die kaufrechtliche Schadenzuweisung und die frachtrechtliche Zuweisung der Aktivlegitimation auseinander, so entsteht zwischen dem Kaufrecht und dem Transportrecht faktisch eine Diskrepanz und damit auch ein Problem: Die geschädigte Partei ist nicht klagebefugt, die klagebefugte Partei nicht geschädigt. Damit könnten weder der Absender noch der Empfänger den Beförderer haftbar machen. Das würde zu einer sachlich nicht gerechtfertigten (zufälligen) Entlastung des Beförderers führen.Footnote 140 Die wohl herrschende Lehre behilft sich hier mit der Rechtsfigur der sogenannten Drittschadensliquidation, die es dem Klagebefugten ermöglicht, Schäden des nicht mehr oder noch nicht klageberechtigten Transportbeteiligten geltend zu machen.Footnote 141 Bildhaft gesprochen wird so der materielle Schaden eines Dritten zum formell Anspruchsberechtigten gezogen,Footnote 142 d. h. der Berechtigte hat Anspruch auf Ersatz eines fremden Schadens und kann deshalb auf Leistung an den Geschädigten oder an sich selbst klagen.Footnote 143 Im letzteren Fall muss allerdings der Klagebefugte den Prozessgewinn dem Geschädigten zukommen lassen.Footnote 144

Damit offenbart sich nun aber ein weiteres Problem. Da dem Anspruchsberechtigten, der selber nicht geschädigt ist, kein Prozessgewinn verbleibt, fehlt ihm letztlich ein Anreiz zur Prozessführung gegen den Beförderer, selbst wenn ihm (im Verhältnis zum effektiv Geschädigten) eine Pflicht zur Geltendmachung des Drittschadens zudiktiert wird.Footnote 145 Wer nimmt schon die Risiken eines Zivilprozesses in Kauf, wenn er einen allfälligen Prozessgewinn vollumfänglich abführen muss? In der Lehre wurde denn auch schon zutreffend ausgeführt, die Drittschadensliquidation erfordere „stets ein Mindestmass an Kooperationsbereitschaft seitens des Anspruchsinhabers“.Footnote 146 Begegnen kann man diesem Problem dadurch, dass der Klageberechtigte sein Recht an den Geschädigten zediert und diesem so selber die Prozessführung ermöglicht. In der Lehre wird eine solche Abtretung der transportrechtlichen Klagebefugnis (zu Recht) als zulässig erachtet.Footnote 147 Dem Geschädigten wird man gar ein Recht auf Abtretung dieses Rechts gegenüber dem Klagebefugten zugestehen müssen.Footnote 148 Folgt man dem, so wird auf dem Umweg über die Zession faktisch der Gleichlauf von Klagebefugnis und kaufrechtlicher Schadenzuweisung wieder hergestellt, die Diskrepanz zwischen Kaufrecht und Transportrecht mithin behoben. Von Ziegler hat darauf hingewiesen, in der Praxis müsse sichergestellt werden, dass die Klageberechtigung im Fall von Güterschäden oder Verlusten während des Transports entsprechend der Gefahrtragungsregelung im Kaufvertrag zugeteilt werde.Footnote 149 Das ist wörtlich genommen kaum möglich, da es völlig unpraktisch wäre, im Kaufvertrag den Gefahrübergang mit dem Übergang der Aktivlegitimation gemäss Art. 44 § 1 CIM zu verknüpfen. Im Ergebnis kann aber ein solcher Gleichlauf über den skizzierten Weg der Forderungsabtretung erreicht werden.

Eine solche Zession kann nun allerdings in der Praxis dann, wenn der Käufer bereits während des Transports gefahrbelastet ist (so typisch beim Versendungskauf), auf einfache Weise gegenstandslos werden. Geht das Frachtgut verloren oder wird es beschädigt, so braucht der Käufer bloss den Frachtbrief einzulösen oder seine Rechte gegenüber dem Beförderer gemäss Art. 17 § 3 CIM geltend zu machen. Auf diese Weise kann er die Klagebefugnis einseitig an sich ziehen, ohne dass sie ihm vom Verkäufer zediert werden muss. Anders verhält es sich demgegenüber, wenn der Verkäufer während des Transports die Preisgefahr trägt (wie bei der Bringschuld), das Klagerecht aber gestützt auf Art. 44 § 1 CIM bereits auf den Empfänger übergegangen ist. Dann wäre im Grunde eine „Rückübertragung“ der Klagebefugnis auf den Verkäufer gestützt auf eine Zession erforderlich, damit dieser als effektiv Geschädigter (und damit am Prozess Interessierter) gegen den Beförderer klagen kann.Footnote 150

6.4 Schluss

Der vorstehende Streifzug durch das UN-Kaufrecht und das COTIF-Eisenbahngütertransportrecht hat gezeigt, dass zwischen diesen beiden Teilrechtsgebieten – nicht überraschend – viele Querbezüge mit Problempotenzial bestehen.Footnote 151 Zu Recht hat von Ziegler darauf hingewiesen, schon der Kaufvertrag müsse so aufgebaut sein, dass daraus klar und sachgerecht die logistischen Folgerungen gezogen werden könnten.Footnote 152 Idealerweise sollten daher im Einzelfall der Kaufvertrag und der Beförderungsvertrag gut aufeinander abgestimmt werden.Footnote 153 Das ist wegen der Komplexität der Materie nicht ganz einfach. Dennoch kann sich der beratend tätige Jurist dieser Aufgabe nicht entziehen. Von Ziegler drückt es treffend wie folgt aus: „Wer als Jurist vor dieser Komplexität die Augen schliesst und ganze Themenbereiche ausblendet, schickt den Klienten in ein Umfeld, in dem die Verträge stören statt helfen. (…) Die Realien hat der Jurist nicht vorzugeben, sondern vielmehr – zusammen mit dem Klienten – zu ertasten und zu erkunden.“Footnote 154