1 Die Europäische Verkehrspolitik

Bereits im Vertrag von Rom, unterzeichnet im Jahre 1957, hoben die Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Bedeutung einer gemeinsamen Verkehrspolitik (Art 74–Art 84)Footnote 1 die neben der Agrar- und Handelspolitik zu den ersten gemeinsamen Politikbereichen der Gemeinschaft gehörte, hervor. Die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik erfolgte jedoch erst nach einer Untätigkeitsklage des Europäischen Parlaments und dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. Mai 1985.Footnote 2 Der Rat wurde darin aufgefordert tätig zu werden und die Entwicklung einer gemeinsamen Verkehrspolitik in die Wege zu leiten.

1.1 Ziele der Europäischen Verkehrspolitik

Die europäische Verkehrspolitik fällt unter die geteilte Zuständigkeit der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten und ist im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) im Art 4 Absatz 2 Buchstabe g und Titel VI AEUV verankert.Footnote 3

Der Verkehr ist ein wichtiger Pfeiler der Europäischen Integration und ist von entscheidender Bedeutung für die Verwirklichung des freien Warenverkehrs, der Dienstleistungsfreiheit und der Personenfreizügigkeit. Der Verkehr stellt einen wichtigen Sektor für die europäische Wirtschaft dar und umfasst rund 1,2 Mio. private und öffentliche Unternehmen mit rund 10,5 Mio. Beschäftigten. Die Bruttowertschöpfung (BWS) lag im Jahr 2015 bei 651 Mrd. EUR und im Jahr 2017 bei 675 Mrd. EUR. Damit machte der Transportsektor inkl. Lagerdienstleistungen (einschließlich Post- und Kurierdienstleistungen) etwa 5 % der gesamten BWS in der EU-28 aus.Footnote 4

Die anfänglichen Prioritäten der europäischen Verkehrspolitik lagen zunächst auf der Verwirklichung eines Verkehrsbinnenmarktes. Die Vollendung des Europäischen Binnenmarktes, der Wegfall der Binnengrenzen und die sinkenden Beförderungspreise im Zusammenhang mit der Öffnung und Liberalisierung der Verkehrsmärkte, sowie Effizienzsteigerungen bei den Produktions- und Lagerverwaltungssystemen, führten zu einem stetigen Wachstum des Personen- und Güterverkehrs. So wurde im Jahr 2015 die gesamten Güterverkehrsaktivitäten in der EU-28 auf 3516 Mrd. tkm und im Jahr 2017 auf 3731 Mrd. tkm geschätzt. Diese Zahl umfasst den Luft- und Seeverkehr innerhalb der EU. 49 % (2017: 50,1 %) davon entfielen auf den Straßenverkehr, 11,9 % (2017: 11,33 %) auf die Schiene, 4,2 % (2017: 3,9 %) auf die Binnenwasserstraßen und 3,3 % (2017: 3,1 %) auf Ölpipelines. Der EU-interne Seeverkehr war mit einem Anteil von 31,6 % der zweitwichtigste Verkehrsträger, während der EU-interne Luftverkehr nur 0,1 % der Gesamtmenge ausmachte.

Die gesamten Personenbeförderungsaktivitäten in der EU-28 mit motorisierten Verkehrsmitteln wurden im Jahr 2015 auf 6602 Mrd. Passagierkilometer oder durchschnittlich 12.962 km pro Person, im Jahr 2017 auf 6913,3 Mrd. Passagierkilometer oder durchschnittlich 13.305 km pro Person geschätzt. Diese Zahl umfasst den Luft- und Seeverkehr innerhalb der EU, jedoch nicht die Verkehrstätigkeiten zwischen der EU und dem Rest der Welt. 71,5 % (2017: 70,9 %) davon entfielen auf Personenkraftwagen, 1,9 % (2017: 1,8 %) auf Zweiräder, 8,2 % (2017: 7,4 %) auf Busse, 6,7 % (2017: 6,8 %) auf Eisenbahnen und 1,6 % auf Straßenbahnen und U-Bahnen. Der Luftverkehr und der Seeverkehr innerhalb der EU trugen zu 9,8 % (2017: 11,2 %) bzw. 0,3 % (2017: 0,4 %) dazu bei.Footnote 5

Der über die Jahre stark wachsende Personen- und Güterverkehr führte zu zunehmenden sozialen und ökologischen Belastungen. Es bedarf innovativer Verkehrsmodelle, die die nachhaltige Mobilität in den Mittelpunkt stellen.

Die europäische Verkehrspolitik zielt heute darauf ab, mithilfe integrierter Netzwerke für alle Verkehrsträger (Straße, Schiene, Wasser und Luft), für einen reibungslosen, effizienten, sicheren und freien Personen- und Warenverkehr innerhalb der EU zu sorgen. Nachhaltige Mobilität, Digitalisierung im Verkehrsreich, Innovation und Forschung zu sauberen Kraftstoffen, Fahrgastrechte und Bürokratieabbau bei Zollangelegenheiten sind nur einige wichtige Themen, die im Rahmen der europäischen Verkehrspolitik behandelt werden.

Der gemeinsame politische Rahmen der europäischen Verkehrspolitik ist im EU-Weißbuch zum Verkehr von 2011Footnote 6 mit dem Titel „Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem“, enthalten. Das Weißbuch enthält 40 Maßnahmen zur nachhaltigen Förderung des Wachstums und der Beschäftigung, zur Verringerung der Abhängigkeit von Ölimporten und zur Senkung der Kohlenstoffemissionen des Verkehrssektors. Bis zum Jahr 2050 sollen 60 % der Verkehrsemissionen gegenüber dem Stand von 1990 verringert werden.

Ermöglicht werden soll dies unter anderem durch die Erreichung der Verkehrsverlagerungsziele. 30 % des Güterverkehrs über 300 km soll bis zum Jahr 2030, und 50 % bis zum Jahr 2050 von der Straße auf die Eisenbahn- oder den Schiffsverkehr verlagert werden. Zur Erreichung dieser Ziele braucht es einen massiven Infrastrukturausbau, der über die Politik der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) gefördert wird.

1.2 Transeuropäische Verkehrsnetze (TEN-V)

Eine gut funktionierende Verkehrsinfrastruktur und der Aufbau eines modernen, integrierten Verkehrssystems stärkt die globale Wettbewerbsfähigkeit der EU und trägt zur Bewältigung der Herausforderungen, die zu einem nachhaltigen, integrierten und intelligenten Wachstum führen, bei. Im Jahr 2017 umfasst das Verkehrsinfrastrukturnetz der EU mehr als 217.000 km Eisenbahnstrecken, 77.000 km Autobahnen, 42.000 km Binnenwasserstraßen, 329 wichtige Seehäfen und 325 Flughäfen.Footnote 7

Anfang der neunziger Jahre beschlossen die damals zwölf Mitgliedstaaten auf Gemeinschaftsebene die Infrastrukturpolitik der Transeuropäischen Netze (TEN) für Verkehr, Energie und Telekommunikation einzurichten, um das Funktionieren des Binnenmarktes zu garantieren. Mit der Politik der Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V) verfolgt die EU das Ziel, ein umfassendes, europaweites Verkehrsinfrastrukturnetz aufzubauen, das Eisenbahnlinien, Straßen, Binnenwasserstraßen, Seeschifffahrtsrouten, Häfen, Flughäfen und Eisenbahnterminals umfasst.

Basierend auf der Rechtsgrundlage Art. 170–192 AEUV erließ die EU im Jahr 2013 mit der TEN Richtlinie,Footnote 8 Leitlinien, die die Ziele und Prioritäten des TEN-Ausbaus sowie einzelne Vorhaben von gemeinsamem Interesse festlegen. Die bereits vorab identifizierten 30 vorrangigen ProjekteFootnote 9 wurden in der TEN-Richtlinie aufgenommen und in den Netzwerkansatz der TEN-V integriert. Darunter auch das vorrangige Projekt der Eisenbahnachse Berlin-Verona/Mailand-Bologna-Napoli-Messina-Palermo, mit dem Brennerbasistunnel als Kernstück. Vorrangige Projekte bieten einen besonderen Mehrwert für die Union und tragen zur bedeutenden Verbesserung des europäischen Verkehrssystems bei. Aus diesem Grund wird die Umsetzung dieser Projekte mit einem erhöhten Ko-Finanzierungssatz von bis zu 50 % von der Europäischen Union mitfinanziert.

Die TEN-V Politik verfolgt das Ziel Lücken im Verkehrsnetz zu schließen, Engpässe und technische Hindernisse zu beseitigen und die Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts zu fördern. Diese Ziele sollen insbesondere durch die ressourcenschonende und nachhaltige Verknüpfung und Interoperabilität zwischen den nationalen Verkehrsnetzen erreicht werden. Im Zentrum steht die harmonisierte Anwendung innovativer und neuer Technologien und digitaler Lösungen auf allen Verkehrsträgern, die zu einer Verringerung der Umweltbelastung durch den Verkehr, eine Verbesserung der Energieeffizienz und eine Erhöhung der Sicherheit führen soll.

Das TEN-V ist auf einer zwei-Ebenen-Struktur aufgebaut, das ein Gesamtnetz und ein Kernnetz umfasst. Die Infrastrukturplanung erfolgt auf diesen beiden Ebenen. Das Kernnetz ist das Rückgrat des multimodalen Verkehrsnetzes und umfasst mit neun Kernnetzkorridoren alle wichtigsten Verbindungen und Knoten. Die Umsetzung konzentriert sich primär auf Maßnahmen mit denen der größte europäische Mehrwert erzielt werden kann, darunter grenzüberschreitende Abschnitte, fehlende Verbindungen, multimodale Anschlusspunkte und Engpässe. Das Gesamtnetz, die zweite Ebene, sollte die Erreichbarkeit und Anbindung aller Regionen in der Union, auch der abgelegenen Gebiete, der Inselgebiete und der Gebiete in äußerster Randlage, sicherstellen.

Die TEN Verordnung legt den Umsetzungszeitrahmen des TEN-V Kernnetzes für das Jahr 2030 und des Gesamtnetzes für das Jahr 2050 für die Mitgliedstaaten gesetzlich fest. Eine Evaluierung der bestehenden TEN-V Politik war von Seiten der Europäischen Kommission im Jahr 2019 vorgesehen.Footnote 10

1.3 Der europäische Beitrag zum Brennerbasistunnel

Der längste der neun Kernnetzkorridore mit einem Kernschienennetz von mehr als 9300 km und einem Kernstraßennetz mit rund 6300 km ist der Skandinavien-Mittelmeer TEN-V Korridor, der als Nord-Süd Achse eine besondere Rolle für die europäische Wirtschaft spielt. Der Korridor erstreckt sich von Finnland und Schweden im Norden bis nach Malta im Süden und umfasst Dänemark, Nord-, Mittel- und Süddeutschland, Norditalien und die süditalienischen Häfen. Der Scan-Med Korridor umfasst insgesamt 592 geplante oder bereits in Umsetzung befindende Projekte, mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 188,5 Mrd. EUR.Footnote 11

Einer der größten Engpässe entlang des Scan-Med ist die grenzüberschreitende alpine Verbindung zwischen München und Verona. Der Bau des 55 km langen Brennerbasis-Eisenbahntunnels, mit seinen nördlichen und südlichen Zulaufstrecken soll diesen beheben und entscheidend zur Fertigstellung der Nord-Süd Achse beitragen. Der Brenner Basistunnel soll nach voraussichtlicher Inbetriebnahme im Jahr 2028 die Eisenbahnkapazität auf 400 Züge pro Tag erhöhen und die Reisezeit zwischen München und Verona von 5,5 auf 3 Stunden reduzieren.

Grenzüberschreitende Vorhaben haben in der Regel einen großen europäischen Mehrwert und werden laut TEN Verordnung durch die Union vorrangig gefördert, um ihre Durchführung sicherzustellen.Footnote 12 Der Brenner Basistunnel ist aktuell das am höchsten geförderte Infrastrukturprojekt Europas mit Ko-Finanzierungen über die Fazilität „Connencting Europe“ (CEF), ein EU-Programm das die Errichtung der TEN-V unterstützt. Zwischen 2016 und 2020 wurden 50 % der Kosten des Erkundungsstollens (ca. 303 Mio. Euro) und 40 % der Kosten der beiden Haupttunnelröhren (knapp 880 Mio. Euro) von der EU gefördert.Footnote 13

1.4 Finanzierung der europäischen Verkehrspolitik

Die Umsetzung des TEN-V Politik erfolgt in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und der finanziellen Unterstützung aus einer Reihe von EU-Programmen. Die wohl wichtigste Finanzierungsquelle der TEN-V ist die Faziliät „Connecting Europe“ (CEF),Footnote 14 die im Jahr 2013 parallel zur Strategie der Transeuropäischen Netze als EU-Finanzierungsinstrument für strategische Investitionen im Bereich Verkehr, Energie und digitaler Infrastruktur eingeführt wurde. Für den europäischen Mehrjahreshaushalt 2014–2020 standen über die Fazilität „Connecting Europe“ für den Verkehrssektor insgesamt 23,07 Mrd. EUR in Form von Beiträgen zur Verfügung, wovon 11.306 Mrd. EUR aus dem Kohäsionsfonds übertragen wurden und ausschließlich jenen Mitgliedstaaten, die Zugang zu den Mitteln aus dem Kohäsionsfons haben,Footnote 15 zur Verfügung standen. Insgesamt flossen bis 2019 884,3 Mio. EUR nach Österreich und 1592,2 Mio. EUR nach Italien.Footnote 16

Im Juni 2018 veröffentlichte die Europäische Kommission den neuen Vorschlag der CEF für den mehrjährigen EU-Haushalt 2021–2027Footnote 17 mit einem Gesamtbudget von 30,6 Mrd. EUR. Die Umsetzung des TEN-V, des Kernnetzes bis 2030 und das Gesamtnetzes bis 2050, steht nach wie vor im Mittelpunkt der CEF, mit besonderem Fokus auf grenzüberschreitenden- und fehlenden Verbindungen. Weiter im Fokus rücken in der nächsten Finanzperiode die Dekarbonisierung und Vernetzung, Nachhaltigkeit sowie die Integration und Sicherheit im Verkehrssektor. Wie auch in der vorhergehenden CEF sind 10 Mrd. EUR aus dem Kohäsionsfonds vorgesehen, die den EU-Ländern, die für eine Kohäsionsfinanzierung in Frage kommen, vorbehalten sind. Neu im Vorschlag enthalten ist die Komponente der militärischen Mobilität, für die 5,8 Mrd. EUR vorgesehen sind. Basierend auf dem Aktionsplan zur militärischen MobilitätFootnote 18 soll die Durchführung von Verkehrsprojekten mit ziviler und militärischer Doppelnutzung im Rahmen der CEF erfolgen. Eine weitere Neuerung liegt darin, dass 60 % der Finanzausstattung zur Verwirklichung der Klimaziele eingesetzt werde sollen. Angesichts der Notwendigkeit dem Klimawandel entgegenzuwirken verpflichtet sich die EU im nächsten Haushalt mindestens 25 % aller EU-Ausgaben zur Verwirklichung der Klimaziele einzusetzen. Aufgrund der hohen Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor ist die Verantwortung der CEF besonders hoch, einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung dieser Ziele zu leisten. Der Kommissionsvorschlag wurde 2019 im Europäischen Parlament und dem Rat diskutiert.Footnote 19

Im Weißbuch zum Verkehr 2011 werden für den verkehrsbedarfsgerechten Ausbau der EU-Infrastruktur für den Zeitraum 2010 bis 2030 rund 1500 Mrd. EUR veranschlagt. 550 Mrd. EUR davon müssten allein in die Vollendung des TEN-V Netzes fließen, wovon rund 215 Mrd. EUR für die Beseitigung der Hauptengpässe benötigt würden.Footnote 20 Im Vergleich zu diesen astronomischen Summen sind die Beiträge der EU über die Fazilität „Connecting Europe“ überschaubar. Die EU ist bestrebt, über innovative Finanzinstrumente private Investoren und Finanzinstitute in nachhaltige Verkehrsprojekte zu involvieren. Ein Beispiel ist die CEF Mischfinanzierungsfazilität (Blending Facility), die EU-Beiträge als Hebelwirkung für private Investitionsquellen nutzt.Footnote 21 Weitere Finanzmittel für den Verkehrssektor werden über den Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI)Footnote 22 in Form von Garantien vergeben.

2 Europa in Bewegung: Fairer Wettbewerb und Bekämpfung illegaler Praktiken im Straßengüterverkehr

Der Verkehr verursacht fast ein Viertel der Treibhausgasemissionen in Europa und ist die Hauptursache für die Luftverschmutzung in den Städten. Diese Herausforderung erfordert eine europäische Antwort und einen unumkehrbaren Wandel hin zu einer emissionsarmen Mobilität.Footnote 23

Als Teil der Strategie zur Energieunion,Footnote 24 im Einklang mit dem Arbeitsprogramm 2017Footnote 25 und als Folgemaßnahmen zur EU Strategie für emissionsarme MobilitätFootnote 26 legte die EU im Jahr 2017 und 2018 drei umfangreiche Maßnahmenpakete für eine saubere, wettbewerbsfähige und vernetzte Mobilität vor. Im folgenden Abschnitt werden die drei Maßnahmenpakete kurz umrissen und über den aktuellen Verhandlungsstand einiger Legislativvorschläge aus dem ersten Paket „Europa in Bewegung“ informiert.

Das erste Maßnahmenpaket vom 31. Mai 2017 unter dem Titel „Europa in Bewegung“ beinhaltet acht Gesetzgebungsinitiativen mit dem Schwerpunkt auf dem Straßenverkehr. Das Ziel ist, ein besseres Funktionieren des Straßengüterverkehrsmarktes sowie Verbesserungen der Beschäftigung und sozialen Bedingungen der Arbeitnehmer im Verkehrssektor zu gewährleisten. Im folgenden Teil wird auf den Diskussionsstand im Europäischen Parlament und dem Rat zur Kabotageregelung, den Lenk- und Ruhezeiten, der Entsendung von Fahrern und die Änderung der Wegekostenrichtlinie eingegangen.

Das zweite Maßnahmenpaket vom 8. November 2017 unter dem Titel „Paket für saubere Mobilität“ enthält eine Reihe von Maßnahmen und Gesetzesvorschläge um den Übergang zur emissionsarmen und emissionsfreien Mobilität zu beschleunigen. Die Kommission schlägt unter anderem neue Zielvorgaben für die durchschnittlichen CO2-Emissionen für neue Pkw und Lkw in der EU vor.

Das dritte Maßnahmenpaket vom 17. Mai 2018 enthält eine Reihe von Maßnahmen und Legislativvorschläge, die eine sichere, umweltfreundliche, vernetzte und automatisierte Mobilität fördern. Das Paket enthält eine integrierte Strategie für die Zukunft der Straßenverkehrssicherheit mit Maßnahmen zur Fahrzeug- und Infrastruktursicherheit, erstmals CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge, einen strategischen Aktionsplan für die Entwicklung und Herstellung von Batterien in Europa und eine zukunftsorientierte Strategie für die vernetzte und automatisierte Mobilität.

2.1 Überarbeitung der Kabotageregelung

Teil des ersten Pakets „Europa in Bewegung“ ist die Überarbeitung der Verordnung für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs in Bezug auf die Kabotage.Footnote 27 Unter Kabotage versteht sich die Erbringung von Güterkraftverkehrsdienstleistungen durch ein ausländisches Verkehrsunternehmen, das anschließend an der Grenzüberquerung weitere Dienstleistungen durchführt. Die seit 2010 gültigen Regelungen erlauben im Anschluss an eine grenzüberschreitende Beförderung innerhalb von sieben Tagen höchstens drei Kabotagefahrten. Kabotagebeschränkungen werden damit begründet, um nationale Unternehmen gegen Konkurrenz aus anderen Staaten zu schützen, die Straßengüterverkehrsdienstleistungen zu massiv günstigeren Bedingungen durchführen können. Solange keine vollständige Harmonisierung der Sozialvorschriften in allen Mitgliedsstaaten besteht, sind Kabotageregelungen notwendig um den fairen Wettbewerb zu ermöglichen.

Der neue Kommissionsvorschlag sieht die Aufhebung der Höchstzahl der im Ausland erlaubten Kabotagebeförderungen im Anschluss an eine grenzüberschreitende Lieferung vor, vermindert jedoch die Höchstzahl der Tage, innerhalb deren solche Beförderungen durchgeführt werden dürfen.

Nach lang anhaltenden Diskussionen im Parlament wurde am 10. Januar 2019 ein Kompromissvorschlag im Verkehrsausschuss angenommen, der im April im Plenum abgesegnet werden soll. Der Vorschlag sieht unbegrenzte Kabotage-Operationen innerhalb eines Zeitraums von drei Tagen nach einer grenzüberschreitenden Beförderung vor. Ein Karenzzeitraum („Cooling-off“-Phase) von 60 Stunden nach der Rückkehr in den Niederlassungsmitgliedstaat des Spediteurs muss eingehalten werden, bevor weitere Kabotagen in demselben Land mit demselben Fahrzeug durchgeführt werden können. Des Weiteren werden Fahrer dazu verpflichtet, alle 4 Wochen in das Niederlassungsland des Arbeitgebers zurückzufahren. Der Anwendungsbereich der Verordnung soll auf alle Transportfahrzeuge, inklusive auf kleine Nutzfahrzeuge ab 2,4 Tonnen ausgeweitet werden.

Der Rat erzielte im Dezember 2018 eine politische Einigung und legte seinen Standpunkt in Form einer allgemeinen Ausrichtung dem Parlament vor. Der Rat behielt die Regelung der maximal drei Operationen innerhalb eines Zeitraums von sieben Tagen bei und schlug eine 5-tägige Karrenzzeit, bevor eine weitere Kabotagefahrt durchgeführt werden kann, vor.

Der Vorschlag wurde im April 2019 dem Europäischen Parlament zur Annahme vorgelegt, anschließend konnten die Trilogverhandlungen zwischen dem Parlament und dem Rat beginnen.Footnote 28

2.2 Lenk- und Ruhezeiten

Ein weiterer Legislativvorschlag sieht die Änderung der Lenkzeitenverordnung und Fahrtenschreiber-Verordnung vor,Footnote 29 mit dem Ziel die Arbeitsbedingungen für Kraftfahrer zu verbessern, einen fairen Wettbewerb zwischen den Unternehmen zu gewährleisten und die Sicherheit auf den europäischen Straßen zu erhöhen. Der Kommissionsvorschlag zur Änderung der Lenkzeitverordnung sieht die Anpassung der wöchentlichen Ruhezeiten an den sektorenspezifischen Bedarf vor, mit dem Ziel die Ruhebedingungen der Kraftfahrer zu verbessern und die Durchsetzung der Regelungen zu vereinfachen. Wöchentliche Ruhezeiten können innerhalb eines Zeitraums von vier aufeinanderfolgenden Wochen flexibler gehandhabt werden und erlauben zwei regelmäßige wöchentliche Ruhezeiten von mindesten 45 Stunden und zwei reduzierte wöchentliche Ruhezeiten von mindestens 24 Stunden. Die wöchentliche Ruhezeit in Höhe von 45 Stunden darf nicht in einem Fahrzeug verbracht werden und der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Kraftfahrer eine geeignete Unterkunft mit angemessenen Schlafgelegenheiten und sanitären Einrichtungen bereitzustellen. Der Kommissionsvorschlag zur Änderung der Fahrtenschreiber-Verordnung hingegen sieht vor, dass die Merkmale der „intelligenten“ Fahrtenschreiber dahingehend verbessert werden sollen, um die Bestimmung des genauen Standorts eines Fahrzeugs, das für grenzüberschreitende Beförderungen eingesetzt wird, zu ermöglichen. Darüber hinaus werden die Kraftfahrer verpflichtet, bei Erreichen des ersten geeigneten Halteplatzes nach einer Grenzüberschreitung, den Standort ihres Fahrzeugs in einem Fahrtenschreiber aufzuzeichnen. Auf diese Weise wird es leichter, die Einhaltung der Sozialvorschriften zu überwachen. Diese Vorgabe entfällt, wenn ein Fahrzeug mit einem „smarten“ oder auch „intelligenten“ Fahrtenschreiber ausgestattet ist.

Über den ersten Berichtsentwurf des Verkehrsausschusses wurde im Juli 2018 im Plenum abgestimmt, wobei der geänderte Bericht abgelehnt und an den Ausschuss zurückgewiesen wurde. Dies zeigt deutlich mit welcher Kontroversität die Bestimmungen im Europäischen Parlament diskutiert wurden. Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Litauen, Polen, Rumänien und Slowenien sprachen sich in einer gemeinsamen ErklärungFootnote 30 gegen die Änderungsvorschläge für Arbeitnehmer, den Fahrzeiten und Kabotagebestimmungen aus und argumentieren, dass die Einführung zusätzlicher Bestimmungen und finanzieller Belastungen eine protektionistische und diskriminierende Auswirkung auf den europäischen Markt hätten.

Bei der Abstimmung über die neuen Kompromissvorschläge im Verkehrsausschuss am 10. Januar 2019 konnte keine Mehrheit erreicht werden. Die Arbeit hin zu einer gemeinsamen Position wird im Parlament weitergeführt.Footnote 31

2.3 Entsendung von Fahrern

Mit der Änderung der EntsenderichtlinieFootnote 32 geht die Kommission einen weiteren Schritt hin zu einer sozial gerechten und wettbewerbsfähigen Mobilität. Die Entsendung ist eine Situation, in der ein Lkw-Fahrer für einen begrenzten Zeitraum in einem anderen EU-Mitgliedstaat arbeitet und dort vorübergehend die in diesem Mitgliedstaat gültigen soziale Rechte erwirbt; zum Beispiel das Recht das für das jeweilige Mitgliedsland angepasste Gehalt zu verdienen. Der Kommissionsvorschlag legt einen Entsendezeitraum von 3 Tagen fest, bei dessen Unterschreitung die Bestimmungen für den Mindestlohn und bezahlten Jahresurlaub des Aufnahmemitgliedstaats für grenzüberschreitende Beförderungen nicht gelten. Wenn der Fahrer mindestens 3 Tage im Monat in einem Mitgliedstaat mit höherem Vergütungssatz arbeitet, muss eine angepasste Vergütung vorgesehen werden. Hingegen wird der Verwaltungsaufwand für die Unternehmen bei der Entsendung ihrer Fahrer in andere EU-Länder vermindert. Das Ziel dabei ist, mehr Klarheit in Hinblick auf die verhältnismäßige und wirksame Anwendung der Mindestlohngesetze zu haben.

Über einen ersten Berichtentwurf des Verkehrsausschusses wurde im Juli 2018 im Plenum abgestimmt, wobei auch hier der geänderte Bericht abgelehnt und an den Ausschuss zurückgewiesen wurde. Es wird aktuell weiter an der gemeinsamen Position des Parlaments gearbeitet.Footnote 33

2.4 Änderung der Wegekostenrichtlinie

Ein weiterer Vorschlag aus dem Paket „Europa in Bewegung“ ist die Änderung der Richtlinie aus dem Jahr 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, auch Eurovignetten bzw. WegekostenrichtlinieFootnote 34 genannt. Die Wegekostenrichtlinie regelt die Gebührenerhebung für die Benutzung von Straßen durch Nutzfahrzeuge. Der Änderungsvorschlag der Kommission zielt darauf ab, Fortschritte bei der Anwendung des Verursacherprinzips („der Verursacher zahlt“) und des Nutzerprinzips („der Nutzer zahlt“) zu erzielen und dadurch einen finanziell und ökologisch nachhaltigen sowie sozial gerechten Straßenverkehr zu fördern. Der Vorschlag sieht die schrittweise Einstellung zeitbasierter Nutzungsgebühren (Vignetten) zunächst für Lkws und Busse und dann für Personenkraftwagen und Lieferwagen vor, die durch entfernungsabhängige Gebühren ersetzt werden sollen. Während die gegenwärtigen Vorschriften nur für Lkws gelten, sollen in Zukunft auch Personenkraftwagen, Kleinbusse und Kleintransporter sowie Kraftomnibusse miteinbezogen werden. Ein weiterer Bestandteil des Kommissionsvorschlags sieht eine stärkere Internalisierung der externen Kosten, wie z. B. Luftverschmutzung und Lärmbelastung in der Preisgestaltung der Straßengebühren vor, wobei dieser Aspekt den Mitgliedsstaaten als Option freigelassen werden soll. Zusätzlich zu Infrastrukturgebühren soll die Erhebung von Staugebühren ermöglicht werden. Die Möglichkeit, Lkws unter 12 Tonnen von der Straßenbenutzungsgebühr auszunehmen, wurde ausgeschlossen.

Dieser neue Vorschlag der Wegekostenrichtlinie bietet den Mitgliedsstaaten eine Reihe von Instrumenten zur Verkehrslenkung und zur Förderung der Dekarbonisierung des Straßengütertransports.

Das Europäische Parlament unterstützt seit jeher eine Verbesserung der Nachhaltigkeit des Straßenverkehrs und fordert regelmäßig, dass ehrgeizige Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen von Schwerlastfahrzeugen umgesetzt werden müssen. Die Position des Parlaments wurde am 25. Oktober 2018 im Plenum angenommen. Diese sieht die obligatorische Einführung der externen Kostenabgabe für Lärm- und Luftemissionen nach dem Verursacherprinzip ab 1. Jänner 2021 für alle Lkws und leichten Nutzfahrzeuge (nur jene die Gütertransport professionell durchführen) vor. Des Weiteren sollen Aufschläge in Höhe von bis zu 50 % zu den Infrastrukturgebühren in sensible Bergregionen ermöglicht werden, da in diesen Gebieten die Umwelt besonders unter dem Einfluss des ständig steigenden Straßenverkehrs leidet. Die Abschaffung der zeitabhängigen Benutzungsgebühren (Vignetten) wird unterstützt, mit dem ehrgeizigen Ziel, diese ab 2023 für Lkws und ab 2026 für PKWs abzuschaffen. Auch leichte Nutzfahrzeugen für Gütertransport (Sprinter und Transporter unter 3,5 T) sollen ab 2020 in der Regelung mit aufgenommen werden. Gebühren für externe Kosten müssen zur Reduktion von Lärm- und Luftverschmutzung des Straßenverkehrs und zur Finanzierung von nachhaltigen Transportmodalitäten und dem Ausbau der TEN-T Netzwerken verwendet werden.

Die Diskussion im Rat hingegen erweist sich als sehr kontrovers und bis dato konnte keine Position erreicht werden.Footnote 35

2.5 Abschluss

Der Straßenverkehr ist sowohl für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit als auch für die Stärkung des sozialen, wirtschaftlichen und territorialen Zusammenhalts der EU von großer Bedeutung. Im Rahmen des ersten Mobilitätspakets „Europa in Bewegung“ mit dem Schwerpunkt auf dem Straßenverkehr wird versucht, das sich über die Jahre hinweg entwickelte Ungleichgewicht und die unter Druck gesetzte Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Straßengüterverkehr auszugleichen.

Die europäische Transportwirtschaft hat sich in den letzten Jahren stark in jene mittel- und osteuropäische Länder verlegt, die bei den EU-Erweiterungen in den Jahren 2004, 2007 und 2013 der Union beigetreten sind. Erhebliche Unterschiede bei den arbeitsrechtlichen Bestimmungen und den Löhnen führten zu massiven Wettbewerbsverzerrungen innerhalb der Union und zu Bedingungen, unter denen der Transportsektor in den westlichen EU-Ländern nicht mehr konkurrieren konnte. Zugleich wurde deutlich, dass es dringend gesamteuropäischer Regelungen bedarf, nicht nur um das Funktionieren des Straßengüterverkehrsmarktes zu garantieren, sondern auch um die sozialen Bedingungen der Arbeitnehmer im Verkehrssektor zu verbessern.

Die jahrelangen Debatten im Europäischen Parlament verdeutlichten, dass es sich hierbei nicht um eine Diskussion zwischen den politischen Gruppen, sondern zwischen den sogenannten „alten und neuen“ Mitgliedsstaaten handelt. Während der Transportsektor in den westlichen EU-Ländern mit dem Kostendruck angesichts der niedrigeren Sozialstandards nicht mehr mithalten konnte, wehren sich Länder wie Bulgarien, Kroatien, Ungarn, Litauen, Polen, Rumänien und Slowenien gegen neue Auflagen, die strengere Sozialstandards verlangen und sich in Form von höheren finanziellen Belastungen äußern.

Die Regelungen aus dem ersten Mobilitätspaket mit dem Schwerpunkt auf dem Straßenverkehr bringen wieder mehr Gleichgewicht in den europäischen Transportsektor, doch um einen vollständig fairen Wettbewerb zu ermöglichen, bedarf es der Harmonisierung von Vorschriften auch in anderen Bereichen, wie zum Beispiel bei den Sozialvorschriften oder den Steuerlasten.