1 Einleitung

Unternehmen setzen in vielfältiger Weise in immer mehr Bereichen Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) ein. Eine Reihe von Ökonom*innen gehen davon aus, dass der Einsatz von KI-basierten Verfahren und Anwendungen, in Kombination mit zunehmenden Rechenleistungen und steigender Verfügbarkeit von Daten, die Arbeitswelt grundlegend verändern können (Acemoglu und Restrepo 2018; Brynjolfsson und McAfee 2014; Huang et al. 2019). Auch Organisationsforscher*innen beschäftigen sich zunehmend mit der Frage, wie der Einsatz von KI Organisationen und die dort verrichtete Arbeit verändern kann – bisher jedoch primär in Form von konzeptionellen Beiträgen (Bailey et al. 2019; Faraj et al. 2018; Raisch und Krakowski, 2020; von Krogh 2018). Es konkurrieren dabei Ansätze, die primär eine Aufwertung von Arbeit vermuten (Rai et al. 2019) und solche, die vor einem Wegfall von Arbeit oder Aufgaben warnen (Arntz et al. 2017). Allerdings fehlen mitunter qualitative, empirische Daten, um die Auswirkungen konkret zu erfassen und zu analysieren. Dementsprechend groß ist der Bedarf an Studien, die den Einsatz von KI in Organisationen empirisch untersuchen.

KI ist zunächst ein Feld der Informatik, das sich mit der Entwicklung von Systemen beschäftigt, die Aufgaben ausführen, die gewöhnlich menschliche Intelligenz erfordern (Pesapane et al. 2018), d. h. Aufgaben wie Lernen, Planen und Problemlösen (De Bruyn et al. 2020). So beschäftigt sich das maschinelle Lernen, ein wesentlicher Bereich der KI-Forschung, mit Ansätzen, die es Computer ermöglichen, selbstständig von Daten zu lernen, ohne explizit dafür programmiert zu sein (Pesapane et al. 2018). In absehbarer Zeit verfügbare KI-Anwendungen sollten dabei präziser als schwache KI („weak AI“) bezeichnet werden, denn sie sind nur in der Lage, Entscheidungen für abgegrenzte, strukturierte Probleme zu treffen (Shrestha et al. 2019). Da die Bedeutung von KI weit über das Feld der Informatik hinausgeht, muss das Zusammenwirken von Technologie und menschlichem Verhalten stärker betrachtet werden.

Ziel dieses Kapitels ist es daher, anhand von konkreten Anwendungsfällen zu untersuchen, welche Anzeichen für Aufwertung oder Wegfall von Arbeit wir jetzt schon beim Einsatz von KI feststellen können. Dazu haben wir Interviews mit Beschäftigten aus 19 unterschiedlichen Organisationen geführt, die KI entweder als Anwender*innen nutzen oder KI-basierte Lösungen anbieten. Unsere Analyse der Interviews ergibt, dass der Einsatz von KI vier Typen von Auswirkungen auf die Arbeit haben kann. Zunächst kann der Einsatz von KI menschliche Arbeit ersetzen (Ersatz) oder Mitarbeiter*innen bei bestimmten Tätigkeiten unterstützen und sie dadurch entlasten (Entlastung). Darüber hinaus kann der Einsatz von KI den Handlungsspielraum von Menschen einschränken (Einschränkung). Zudem zeigen wir, dass der Einsatz von KI auch zu gänzlich neuen Formen von Arbeit führen kann, die jedoch direkt von Maschinen übernommen werden (Entstehung).

Das Kapitel ist wie folgt aufgebaut: Zunächst geben wir einen kurzen Überblick über die KI-Literatur aus der Organisations- und Managementforschung. Anschließend stellen wir unsere methodische Vorgehensweise und die Datengrundlage des Kapitels dar und präsentieren Vignetten von Unternehmen, um die unterschiedlichen Auswirkungen auf Arbeit zu veranschaulichen. Abschließend diskutieren wir die Implikationen unserer Ergebnisse für menschliche Arbeit, Organisationen und Gesellschaft.

2 Theoretischer Rahmen

2.1 Künstliche Intelligenz und Arbeit

Agrawal et al. (2018) sehen in KI eine Basistechnologie („general purpose technology“), die weitreichende Verwendung in praktisch allen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen finden wird, wenn in der nächsten Zeit zunehmend komplementäre Innovationen ihren Einsatz unterstützen. Dabei haben in den letzten Jahren Menge, Qualität und Vielfalt an Daten, die Unternehmen zur Verfügung stehen, stark zugenommen. Gleichzeitig stiegen die Rechenleistungen und Speicherkapazitäten und damit die Möglichkeiten der Datenverarbeitung.

Dennoch ist der Einsatz von KI-Anwendungen aktuell auf konkrete Arbeitsaufgaben eingeschränkt. KI-Anwendungen sind häufig gut geeignet für die Verarbeitung von großen Datenmengen im Kontext sich wiederholender, klar abgegrenzter Tätigkeiten, also Situationen, in denen Entscheidungen auf kodifizierbaren, speicherbaren und breit verfügbaren Daten beruhen. Viele Probleme der realen Welt im Unternehmenskontext betreffen jedoch Situationen, in denen keine historischen Daten verfügbar sind, oder Intuition, Wahrnehmung und persönliche Erfahrung zentrale Rollen spielen (Metcalf et al. 2019). Für diesen Einsatz von KI bedarf es also einer Modularisierung von Arbeit und einer Distinktion zwischen Anteilen, die KI und Menschen übernehmen, sowie der Definition von Schnittstellen zwischen beiden Anteilen (Tschang und Mezquita 2020). Die Implikationen von KI für die menschliche Arbeit sind dabei vielschichtig und die Interaktion von Mensch und Maschine im Arbeitskontext bedarf weiterer umfangreicher Forschung (Kellogg et al. 2020).

2.2 Automatisierung vs. Erweiterung als paradoxe Beziehung

Organisationen können KI-basierte Anwendungen dazu nutzen, Prozesse und Arbeit zu automatisieren und/oder menschliche Arbeit zu erweitern. Automatisierung bedeutet, dass Maschinen menschliche Arbeit ersetzen, indem sie Aufgaben von diesen übernehmen. In dieser Perspektive sind KI-Anwendungen, wie zuvor andere Technologien, Auslöser einer neuen Automatisierungswelle (Jarrahi 2018). Während Wissensarbeiter*innen bislang als immun gegen Automatisierung galten, betrifft diese KI-basierte Automatisierung nun auch komplexere Aufgabenstellungen, die den Umgang mit Wissen, Informationen und Entscheidungen beinhalten (Davenport und Kirby 2016). Ein vielzitierter Bereich für den Wegfall menschlicher Arbeit sind KI-basierte Anwendungen im juristischen Bereich. So berichtet Donahue (2018) über eine Software beim Beratungsunternehmen JPMorgan, die 2017 in Kreditverträgen nach bekannten Risiken und Anomalien suchte, was zuvor jährlich 360.000 menschliche Arbeitsstunden in Anspruch nahm.

Eine Erweiterung (im Englischen als „augmentation“ bezeichnet) beinhaltet, dass Mensch und Maschine eng miteinander kooperieren, um eine Aufgabe auszuführen (Raisch und Krakowski 2020). Dabei soll der maschinelle Einsatz die menschlichen Fähigkeiten erweitern (Jarrahi 2018), statt sie zu ersetzen. Davenport und Kirby (2016) nennen als Beispiel für eine solche Erweiterung menschlicher Fähigkeiten die KI-basierte Astrophysiksoftware KIGEN, die die Verteilung von dunkler Materie im Weltall kartographieren kann. Die Software ermöglicht völlig neue Erkenntnisse basierend auf ihren Ergebnissen, würde aber Forscher nicht ersetzen, die die Ergebnisse der Kartographie erst interpretieren und verwenden müssen.

Raisch und Krakowski (2020) zeigen, dass einige Managementforscher*innen Wegfall und Erweiterung menschlicher Arbeit durch KI als eine Art Trade-off beschreiben, und argumentieren, dass die Trade-off-Perspektive vernachlässigt, dass Automatisierung und Erweiterung in einer paradoxen Beziehung zueinander stehen. Paradoxien sind von beständigen Widersprüchen zwischen voneinander abhängigen Elementen gekennzeichnet (Gümüsay et al. 2020; Schad et al. 2016; Smith und Lewis 2011). Im Fall der Auswirkungen von KI auf die Arbeit mag es, wenn man sich auf eine bestimmte Aufgabe zu einem bestimmten Zeitpunkt fokussiert, zunächst so erscheinen, als müssten Manager*innen sich entscheiden, ob sie KI zum Wegfall oder zur Erweiterung menschlicher Arbeit nutzen wollen. Sobald man die räumliche oder zeitliche Skala jedoch erhöht, in dem man sich beispielsweise die Veränderung von Arbeit über einen längeren Zeitpunkt ansieht, wird, so Raisch und Krakowski (2020), jedoch sichtbar, dass ein Wegfall menschlicher Arbeitsprozesse nicht ohne die (periodische) Erweiterung menschlicher Arbeit möglich ist. Als Beispiel führen sie die Entwicklung einer KI-Anwendung an, die dabei hilft, Personal auszuwählen. So erfordert die Entwicklung der KI-Anwendung zunächst eine stärkere Involvierung von Personalexpert*innen, die eher technisch ausgerichtete Mitglieder des Entwicklungsteams dabei unterstützen, die für die KI-Anwendung relevanten Faktoren und Parameter zu identifizieren und diese entsprechend zu trainieren. Wenn die KI-Anwendung ausreichend trainiert ist, könnte es dann zeitweise zu einer Automatisierung der Erstauswahl von Bewerber*innen kommen. Spätestens zu dem Zeitpunkt, an dem sich die Kompetenzanforderungen an Jobprofile grundsätzlich ändern, müssten Personalexpert*innen jedoch wieder involviert werden.

3 Methodik

Unsere Studie basiert auf 19 Interviews von Oktober 2019 bis April 2020, die wir mithilfe von Mitarbeiter*innen mit Organisationen geführt haben, die KI-Anwendungen in ihren betrieblichen Abläufen einsetzen (KI-Anwender*innen) oder KI-Lösungen anbieten (KI-Anbieter*innen). Die Interviewteilnehmer*innen haben unterschiedliche Hintergründe, wobei die meisten Befragten der KI-Anwender*innen die KI-Einführung als Führungskraft begleitet haben. Wenn möglich wurden die Interviews aufgezeichnet und transkribiert. In Fällen, wo dies nicht möglich war, haben wir während des Gesprächs umfassend Notizen gemacht und diese anschließend in Gedächtnisprotokolle erweitert. Die Tab. 1 gibt eine Übersicht über die Organisationen, den Wirtschaftszweig (dem die Organisation zugeordnet werden kann), die Position der Interviewteilnehmenden sowie die Funktion der KI-Anwendung.

Tab. 1 Übersicht der befragten Organisationen

Die Datenanalyse beinhaltete eine ausführliche Analyse jedes einzelnen Anwendungsfalls hinsichtlich der Auswirkungen des KI-Einsatzes auf die Arbeit sowie einen systematischen Vergleich der Auswirkungen über die Fälle hinweg. Dazu haben sich die beteiligten Autoren mehrmals getroffen und die Kategorisierung der jeweiligen Auswirkungen und der jeweiligen Fälle diskutiert und abgestimmt. Im Ergebnisteil fokussieren wir uns auf vier Vignetten, die beispielhaft für die jeweiligen Typen von Auswirkungen auf die Arbeit stehen. Diese sind Ersatz, Einschränkung und Entlastung menschlicher Arbeit sowie Entstehung neuer, maschineller Arbeit.

4 Ergebnisse

4.1 Ersatz menschlicher Arbeit

Der Ersatz menschlicher Arbeit durch den Einsatz von KI lässt sich anhand des KI-Einsatzes im Kundendienst bei Organisation 4 illustrieren. Sie setzt eine KI-Anwendung im Kundendienst ein, die einfache, sich oft wiederholende Kundenanfragen, die die Plattform per E-Mail erreichen, herausfiltert und automatisch beantwortet. Infolgedessen können sich die Mitarbeiter*innen, so der Leiter des Kundendiensts, auf komplexere Anfragen fokussieren. Auch wenn die Mitarbeiter*innen im Kundendienst durch den Einsatz der KI-Anwendung nicht überflüssig werden – da es immer noch ausreichend komplexe Kundenanfragen gibt, die die KI-Anwendung nicht bearbeiten kann – so kann man doch, bezogen auf die Beantwortung der häufig wiederholten, einfachen Kundenanfragen, von einem Ersatz menschlicher Arbeit sprechen, weil diese von der KI-Anwendung selbstständig bearbeitet werden.

4.2 Einschränkung menschlicher Arbeit

Eine weitere Auswirkung auf die Arbeit, die nach unserem Wissen in der Literatur so bisher noch keine Erwähnung gefunden hat, ist, dass der Einsatz von KI zu einer Einschränkung menschlicher Arbeit führen kann. Nehmen wir hierzu die Einführung eines KI-basierten Assistenzsystems im Personalwesen von Organisation 3 als Beispiel. Die Personalsachbearbeiter*innen des Konzerns schätzen das Assistenzsystem grundsätzlich, weil es ihnen hilft, Anfragen von Mitarbeiter*innen des Konzerns effizienter zu beantworten. Gleichzeitig schränkt die Nutzung des Assistenzsystems sie jedoch auch ein, weil sie den Anwender*innen ein beschränktes Set an Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung stellt. Es ist durchaus denkbar, dass es in einigen Fällen Möglichkeiten zur Lösung des Problems eines Mitarbeitenden gegeben hätte, die nicht vom Assistenzsystem berücksichtigt werden. Eine Auswahl an Optionen ist somit nicht nur hilfreich, sondern auch einschränkend.

4.3 Entlastung menschlicher Arbeit

Die Entlastung menschlicher Arbeit durch KI lässt sich gut anhand des KI-Einsatzes im Ideenmanagement bei Organisation 6 veranschaulichen. Das Ideenmanagement ist eine Abteilung innerhalb des Personalbereichs, in der Verbesserungsideen der Mitarbeiter*innen zu betrieblichen Abläufen entgegengenommen und auf Basis definierter Regelungen begutachtet werden. Da jährlich mehr als 20.000 Ideen eingereicht werden, muss jede*r Mitarbeiter*in der Abteilung über 1000 Ideen pro Jahr bearbeiten. Die Bearbeitung einer Idee ist aufwendig und kompliziert. So müssen zur Bewertung zum Beispiel geeignete Gutachter*innen identifiziert werden, die Fachexpert*innen auf ihrem Gebiet sind. Diese ausfindig zu machen, ist aufgrund der Größe des Unternehmens und der Vielfalt der Themen sehr zeitaufwendig. Seit 2017 unterstützt eine intern von einem Mitarbeiter der Strategie- und Innovationsabteilung des Personalbereichs entwickelte KI-Anwendung die Mitarbeiter*innen des Ideenmanagements bei der Identifizierung von Gutachter*innen. Wenn ein*e Mitarbeiter*in die KI-Anwendung nutzt, sucht diese nach ähnlichen Ideen in einer Datenbank, in der frühere Verbesserungsideen archiviert werden. Aus den Vorschlägen der KI-Anwendung gehen auch die mit den Ideen betrauten Gutachter*innen hervor. Ob die Mitarbeiter*innen des Ideenmanagements die von der KI-Anwendung vorgeschlagenen Gutachter*innen für die Bearbeitung neuer Verbesserungsideen letztlich heranziehen, entscheiden diese jedoch basierend auf ihrem Fachwissen und ihrer Erfahrung selbstständig. Insgesamt führt der Einsatz der KI-Anwendung also zu einer engen Kooperation zwischen Mitarbeiter*innen des Ideenmanagements und der eingesetzten KI-Anwendung und damit zu einer Entlastung der Mitarbeiter*innen.

4.4 Entstehung neuer, maschineller Arbeit

Eine weitere Auswirkung des KI-Einsatzes ist die Entstehung neuer Arbeitsaufgaben, die von der KI übernommen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist Organisation 15, ein Start-up, das es Firmen ermöglicht, systematisch Informationen zu Marktgeschehen, politischen Entwicklungen und der Reputation des eigenen Unternehmens zu beobachten. Dazu analysiert die Anwendung kontinuierlich Daten aus Online-Quellen, wie z. B. sozialen Medien, Nachrichtenseiten und Blogs, ebenso wie Print, TV und Radio. Auch wenn es stets menschliche Medienbeobachter*innen gegeben hat, so war die Analyse und Auswertung oft eine Aufgabe, die mehrere Tage, Wochen oder gar Monate dauerte. Eine fast unmittelbare Auswertung einer Vielzahl von Online-Quellen wäre allein mit menschlicher Arbeit nicht möglich gewesen. Hier wird also von der KI Arbeit verrichtet, die sonst nicht ausgeübt worden wäre.

5 Implikationen

5.1 Künstliche Intelligenz und menschliche Arbeit

Es besteht die Möglichkeit, dass KI menschliche Arbeit quantitativ stärker ersetzen wird als vergangene Technologien (Acemoglu und Restrepo 2018). Mindestens so wichtig ist auch nach der Art und Qualität der Arbeit zu schauen (Wajcman 2019). Dabei müssen wir insbesondere versuchen, unbeabsichtigte Nebeneffekte von digitalen Technologien (Smith 1995) im Zusammenhang mit komplexer Wissensarbeit zu verstehen (Ogolla und Send 2020). Inwiefern der Einsatz von Technologien und insbesondere Automatisierung menschliche Arbeit qualitativ verändert, ist in der Soziologie eine Debatte mit langer Tradition (Giddens et al. 2016). Die empirischen Erkenntnisse zu diesem Thema gehen dabei weit auseinander und reichen von einer Abnahme menschlicher Freiheit und Kontrolle, Entfremdung und dem Abbau von Fähigkeiten bis zu diametral entgegengesetzten Überlegungen, wie dass Automatisierung zu einem Anstieg an Freiheit und abnehmender Entfremdung führt (Giddens et al. 2016). Der Fokus dieses Kapitels liegt darauf, wie der Einsatz von KI vom Menschen ausgeführte Aufgaben verändert. Es bedarf weiterer Untersuchungen dessen, wie die beteiligten Mitarbeiter*innen diese Veränderungen erfahren.

Wir haben die Auswirkungen entlang von 4E klassifiziert: Ersatz, Einschränkung, Entlastung und Entstehung. Die Implikationen des Ersatzes menschlicher Arbeit werden in der Literatur bereits prominent diskutiert. Zu wenig Beachtung finden hingegen die von uns beschriebenen Szenarien der Einschränkung und der Entstehung. Die Übergänge zwischen den 4E sind sicherlich fließend und teilweise lassen sich Fälle mehreren Typen von Auswirkungen zuordnen. Auch kann eine KI-Anwendung für einige Mitarbeiter*innen Entlastung und für andere Einschränkung bedeuten. Es ist wichtig zu betonen, dass der Einsatz von KI Arbeit vielschichtig prägt. Kellogg et al. (2020) bieten hierfür einen umfassenden konzeptionellen Rahmen, den wir durch empirische Beispiele komplementieren. Auch der Hinweis darauf, dass eine Erweiterung von Arbeit durch KI nicht gleichzusetzen ist mit mehr Freiheit und Optionen, ist eine wichtige Erkenntnis, die so in der Literatur noch nicht aufgezeigt wurde. Damit bieten wir auch einen Beitrag zur Paradoxliteratur (Gümüsay et al. 2020; Schad et al. 2016; Smith und Lewis 2011), indem wir empirisch zeigen, dass eine Auswahl von Optionen durch eine KI einerseits den Prozess erleichtert, andererseits auch einschränkt. Unsere Vignette zur Einschränkung ist im Grunde kognitiver Art. Kognitiv bedeutet hier, dass sich Arbeiter*innen aufgrund der Arbeit von KI keine anderen Optionen vorstellen können, obgleich sie noch möglich wären. Mindestens zwei weitere potenzielle Paradoxien sind technischer bzw. normativer Natur. Technisch bedeutet, dass die KI dem Menschen Arbeit abnimmt und gleichzeitig einschränkt, indem nur eine gewisse Anzahl an Optionen überhaupt auswählbar ist. Normativ bedeutet, dass andere Optionen durchaus denkbar sind, es allerdings schwierig sein kann, Optionen zu wählen, die nicht von der KI vorgeschlagen worden sind. Wiederholtes Abweichen, insbesondere bei negativen Folgen, kann so in Organisationen zu besonderem Rechtfertigungsdruck führen.

Die 4E können als Analyseraster dienen, um Auswirkungen des Einsatzes von KI-Technologie besser zu beschreiben und einen aktiven Umgang mit ihrem Einsatz zu finden. Unsere Fallbeispiele deuten darauf hin, dass die Frage, ob eine Technologie entlastend, einschränkend oder ersetzend wirkt, weniger eine Frage der Technologie, als eine Frage der organisatorischen Einbettung ist. Da der einschränkende Einsatz von Technologie kritische Implikationen wie Autonomieverlust und damit sinkende Attraktivität von Arbeitsplätzen (Güntert 2015), den Abbau von Fähigkeiten durch Deskilling (Davenport und Kirby 2016) und eine nachfolgende Abhängigkeit von IT-Systemen (Anderson et al. 2018) haben kann, sollte insbesondere der einschränkende Einsatz von KI bedacht und begründet gewählt werden.

5.2 Künstliche Intelligenz und organisationale Veränderungen

Während KI bisher vielfältig aber zugleich nur verstreut eingesetzt wird, hat die Technologie bereits eine sehr große Wirkungsmächtigkeit. Dies hat drei Gründe. Erstens wirft der Einsatz einer neuartigen Technologie viele grundsätzliche Fragen auf, die beantwortet werden müssen, unabhängig davon, ob eine Technologie umfassend oder nur teilweise eingesetzt wird. Zweitens gibt es große Erwartungshaltungen und Unsicherheiten, die mit KI verbunden sind, sodass teilweise weniger KI selbst, als vielmehr die Erwartung an KI Reaktionen hervorruft. Drittens hat der Einsatz von KI Auswirkungen auf die verschiedenen Schnittstellen, die mit der KI interagieren. Während KI also teils nur punktuell und modular eingesetzt wird, wirkt sie trotzdem direkt oder indirekt in weite Teile von Organisationen. Auswirkungen sowie Bedeutung von KI müssen daher organisational verankert werden.

5.3 Potenzielle gesellschaftliche Auswirkungen

Einige Forscher*innen gehen davon aus, dass die zunehmende Übernahme analytischer Aufgaben durch KI dazu führen könnte, dass Menschen mehr in Richtung von Aufgaben gravitieren, die Empathie und zwischenmenschliche Fähigkeiten benötigen, sodass wir zunehmend die Entstehung einer „feeling economy“ beobachten können und werden (Huang und Rust 2018; Huang et al. 2019). Unsere Ergebnisse deuten in eine ähnliche Richtung. So entlasten Chatbots in Bereichen wie Kundendienst oder auch Personalwesen die Mitarbeiter*innen von repetitiven und leicht zu beantwortenden Anfragen, sodass diese sich theoretisch verstärkt ihren Kund*innen widmen könnten – zumindest solange Beschäftigte im Zuge der teilweisen Automatisierung des Kundendiensts nicht abgebaut werden. Der Einsatz von KI kann daher ein hohes Maß an kreativem Potenzial ermöglichen, wenn er zu einer besonderen Arbeitsteilung führt, indem vergleichsweise banale Aufgaben von Technologien und anspruchsvollere Aufgaben durch Menschen ausgeübt werden. Wenn dieses weit verbreitet geschieht, kann das durchaus Auswirkungen auf das gesellschaftliche Zusammenleben haben: von der Stellung und dem Umfang von Arbeit bis hin zur grundsätzlichen Befähigung von Menschen. Mit anderen Worten kann anspruchsvollere Arbeit durchaus zu einer Art „upskilling“ führen.

6 Konklusion

Die Frage danach, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte, beschäftigt Praktiker*innen (Manyika 2017), Politiker*innen (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2018; Bundesministerium für Bildung und Forschung 2016; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014) und Wissenschaftler*innen unterschiedlichster Disziplinen (Brynjolfsson und McAfee 2014; Howard 2019; Jarrahari 2018; Spencer 2018). Der zunehmende Einsatz von KI spielt in dieser Debatte eine zentrale Rolle. Einige Autor*innen argumentieren, dass erste Anzeichen dafür, wie die Zukunft der Arbeit aussehen könnte, bereits sichtbar sind (Kaplan 2020; Lobo 2019; von Richthofen 2020). Die Erkenntnisse dieses Kapitels decken sich mit dieser Einschätzung. KI übernimmt zurzeit sehr spezifische Arbeitspraktiken. Allerdings haben selbst diese begrenzt intelligenten KI-Anwendungen bereits weitreichende potenzielle Implikationen für Arbeit, Organisationen und Gesellschaft. Wir haben die Auswirkungen auf die Arbeit exemplarisch empirisch aufgezeigt und deren organisationale und gesellschaftliche Implikationen erläutert. Mit der steigenden Nutzung von KI erwarten wir entsprechend eine Zunahme dieser Auswirkungen. Daher ist es wichtig, empirische Daten zur Nutzung und Verbreitung von KI in Organisationen zu sammeln und auszuwerten – insbesondere, weil selbst eine modulare Nutzung von KI bereits Auswirkungen außerhalb dieses Moduls hat. Während KI häufig modular konzipiert wird, müssen die Implikationen umfassender betrachtet werden.