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1 Einleitung

In den Vorreden zu seinem zuerst 1643 erschienen Erbauungsbuch Insomnis Cura ParentumFootnote 1 nimmt Johann Michael Moscherosch unter anderem Bezug auf zwei Zusammenhänge, die ihn dazu veranlasst hätten, ein solches Buch zunächst zu schreiben und dann auch zu publizieren. Zum einen schreibt er in der Vorrede an seine Ehefrau Anna Maria, dass die Rezeption eines ihn zum Verfassen eines Erbauungsbuchs angeregt habe.Footnote 2 Während die Benennung einer englischen Vorlage impliziert, dass eine Übersetzungsleistung stattgefunden haben muss, wird durch den zweiten der angesprochenen Umstände ein Kontext erkennbar, der für die Frage nach dem Übersetzen eines Textes mit religiösem Inhalt höchst bedeutend ist: Moscherosch widmet sein Erbauungsbuch dem Straßburger Theologen und Kirchenpräses Johann Schmidt.Footnote 3

Das Werk Johann Michael Moscheroschs (1601–1669) ist allgemein von Übersetzungsprozessen geprägt. So stellt der erste Teil seiner Wunderlichen und Wahrhafftigen Gesichte Philanders von Sittewalt (ab 1640) – eine über eine Rahmenhandlung lose verknüpfte Sammlung sieben moralsatirischer Traum-Episoden – zunächst eine aneignende Übersetzung von Francisco de Quevedos Sueños y discursos (Erstdruck 1627) dar, bevor sich Moscherosch mit den sieben Episoden des zweiten Teils von seiner Vorlage löst. Für die Gesichte Philanders von Sittewalt zentral ist die moraldidaktische Zielsetzung, unter deren Vorzeichen auch die Insomnis Cura Parentum steht.

Die zunächst vom Übersetzen geprägte Schreibpraktik stellt dabei für den deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts keine Besonderheit dar: Autoren waren bemüht, einen allgemein diagnostizierten ‚Rückstand‘ des Deutschen als Literatursprache einzuholen,Footnote 4 wobei man „in der Orientierung an den Leistungen der Antike und den Renaissanceliteraturen der Nachbarländer den einzig erfolgversprechenden Weg [sah]“.Footnote 5 Im 17. Jahrhundert nimmt dabei die Zahl der Übersetzungen und Bearbeitungen spanischer Vorlagen stark zu, sodass Moscherosch mit seiner Quevedo-Übersetzung einem Trend der Literatur seiner Zeit zu folgen scheint.Footnote 6

Moscherosch selbst äußert sich zwar an keiner Stelle theoretisch zu seinem Übersetzungsverfahren, jedoch besteht eine gewisse Nähe zu den übersetzungstheoretischen Überlegungen und dem übersetzungspraktischen Vorgehen Georg Philipp Harsdörffers, mit dem Moscherosch in Korrespondenz stand.Footnote 7 Dieser versteht Literatur und Übersetzen als Teil eines nationalen Bildungsprogramms, wobei er sich vermehrt an den europäischen Vorbildern seiner Gegenwart orientiert und zu relativ freien, an das deutsche Lesepublikum angepassten Übersetzungen tendiert.Footnote 8 Während das genaue Verhältnis der Übersetzungstheorie Harsdörffers zur Übersetzungspraktik Moscheroschs an dieser Stelle nicht untersucht werden kann, sei zumindest auf die Nähe zwischen Harsdörffers Verständnis von „Literatur und Lektüre […] im Dienst der allgemeinen Verfeinerung der Sitten“Footnote 9 und Moscheroschs dezidiert moraldidaktischer Intention hingewiesen.

Die moralischen Vorstellungen Moscheroschs waren dabei geprägt von der lutherischen Kirche in Straßburg,Footnote 10 wo Moscherosch das Gymnasium und die Universität besuchteFootnote 11 und wo er zwischen 1645 und 1655 als Fiskal am Policeygericht angestellt war.Footnote 12 Die Verbindung zur lutherischen Kirche Straßburgs wird nicht zuletzt auch daran erkennbar, dass Moscherosch der Insomnis Cura Parentum eine Widmungsvorrede an den Straßburger Kirchenpräses Johann Schmidt voranstellt.

Da Johann Schmidt (1594–1658) einen starken Einfluss auf das geistige Leben in Straßburg zwischen 1629 und 1658 hatteFootnote 13 und Moscherosch durch die Widmungsvorrede eine Verbindung zu ihm herstellt,Footnote 14 sollen Schmidts religiöse Vorstellungen an dieser Stelle kurz dargestellt werden. Als Theologe und Vertreter einer gelegentlich als ‚Reformorthodoxie‘ bezeichneten Frömmigkeitsbewegung verfolgte Schmidt ein Reformbestreben, das das aktive Handeln als Ausdruck der Frömmigkeit in den Vordergrund stellte.Footnote 15 Frömmigkeit bestand für ihn in einem stetigen Handeln entsprechend den christlichen Moralvorstellungen, wozu vor allem die Erbauung des Nächsten zählte.Footnote 16 Diese Vorstellungen guten christlichen Lebens formulierte Schmidt vor dem Hintergrund der Bedrohung des Dreißigjährigen Krieges, den er als Strafgericht Gottes über die Menschen verstand.Footnote 17

Damit Europa einen friedlichen Zustand wiedererlangen konnte, sah er eine tiefgreifende Reform in der Frömmigkeit des Einzelnen als unumgehbare Voraussetzung an,Footnote 18 die vor allem durch die christliche Erziehung der Kinder – damit verbunden aber auch der Erwachsenen – geschehen sollte.Footnote 19 Zu diesem Zweck legte er besonderen Wert auf die private Andacht innerhalb der Familie sowie auf die Verwendung von erbaulichen Büchern, wodurch in Straßburg und im lutherischen Elsass – als erstem lutherischen Gebiet im deutschsprachigen Raum – Erbauungsbücher nach englischem Vorbild eingeführt wurden.Footnote 20 Nachdem in den Jahren 1632 und 1634 zwei ursprünglich englische Erbauungsbücher in Straßburg nachgedruckt worden waren, beauftragte der Kirchenkonvent den Pfarrer Friedrich Heuppel, einen vereinfachten Katechismus für die Straßburger Lutheraner zu erarbeiten; 1641 wurde dessen Christliche Hauß = Schul bei Mülbe in Straßburg gedruckt.Footnote 21

Dadurch, dass Moscherosch die Insomnis Cura Parentum Schmidt widmet und innerhalb der Widmungsvorrede immer wieder betont, dass der Theologe eine wichtige Rolle für seine eigene religiöse Entwicklung gespielt habe,Footnote 22 stellt Moscherosch sich selbst als einen Schüler Schmidts dar. Es ist deshalb anzunehmen, dass Moscherosch ein ähnliches Frömmigkeitsideal verfolgte wie SchmidtFootnote 23 und dass er in seinem Erbauungsbuch auch ein solches Ideal zu vermitteln versucht. Dass Schmidts Frömmigkeitsvorstellungen und sein Reformbestreben auch die Rezeption eines englischen Erbauungsbuchs durch Moscherosch ermöglicht und gesteuert haben, wird bei einer Untersuchung des Rezeptionsweges, der von dem „Engel ndischen Trakt tlein“ bis zur Insomnis Cura Parentum führte, nochmals deutlich werden.

Aus der Erwähnung des Vorlagentexts in der Insomnis Cura Parentum lassen sich bereits einige Informationen darüber schließen, um was für einen Text es sich handelt und wie Moscherosch mit ihm in Berührung gekommen ist:

Hierzu [zum Schreiben eines Erbauungsbuchs – S.D.] aber hat mich auch desto mehr auffs newe angemahnet, ein kleines Engel ndisches Tract tlein, genant: Testament, so ein Mutter jhrem vngebornen Kindt gemacht hat, welches mir vor etlich wochen durch meiner geehrten Herren vnnd Freunde Joh. Philips Mülben in Straßburg, zugeschickt worden.Footnote 24

Das „Engel ndische Tract tlein“ konnte von Ludwig Pariser als Elizabeth Jocelyns The Mothers Legacy to her Vnborn Childe identifiziert werden.Footnote 25 Dieses conduct book wurde 1624 von dem Theologen Thomas Goad aus dem Nachlass der 1622 verstorbenen Jocelyn herausgegeben.Footnote 26 Bei dem genannten Johann Philipp Mülbe handelt es sich nicht allein um einen ‚Freund‘ Moscheroschs, sondern auch um den Verleger der ab 1640 fortlaufend erweiterten Wunderlichen und Wahrhafftigen Gesichte Philanders von Sittewalt, Moscheroschs bereits zu Lebzeiten am breitesten rezipierten Texts.Footnote 27 In den frühen 1640er Jahren scheint Mülbe Moscherosch, der zu dieser Zeit als Amtmann in Finstigen (heute Fénétrange) beschäftigt war, über Neuerscheinungen auf der Frankfurter Buchmesse informiert zu haben.Footnote 28

Dass Moscherosch The Mothers Legacy in der Originalsprache rezipiert haben könnte, erscheint vor dem Hintergrund der geringen Verbreitung von Englischkenntnissen im deutschsprachigen Raum des 17. Jahrhunderts eher unwahrscheinlich.Footnote 29 Ein Blick in den Bibliothekskatalog Moscheroschs bestätigt diese Annahme: Zwar werden dort insgesamt 18 Bücher in der Kategorie Libri Anglici verzeichnet,Footnote 30 ein Vergleich mit den 220 Büchern und 46 ungebundenen Drucken aus der Gruppe der Libri GalliciFootnote 31 macht jedoch deutlich, dass die englischsprachigen Bücher eine sehr kleine Gruppe innerhalb der Bibliothek Moscheroschs bildeten. Auch handelt es sich bei diesen englischen Büchern zumeist um Wörterbücher und Grammatiken. Es erscheint daher wahrscheinlich, dass Moscherosch zwar ein Interesse an der englischen Sprache pflegte, sie jedoch bei Weitem weniger gut beherrschte als das Französische.

Anzunehmen ist daher, dass der ursprünglich englischsprachige Text über eine Mittlerübersetzung in den deutschen Sprachraum gelangte, was im 17. Jahrhundert den Normalfall darstellte und häufig über das Französische oder Niederländische erfolgte.Footnote 32 Tatsächlich sind sowohl eine französische Übersetzung mit dem Titel Le Testament d’vne Mere à son Enfant à Naistre als auch eine Übersetzung in das Niederländische bekannt. Da die niederländische Übersetzung aus dem Jahr 1642 stammt,Footnote 33 Moscherosch die Arbeit an der Insomnis Cura Parentum jedoch explizit auf das Jahr 1641 datiert,Footnote 34 ist diese Übersetzung für Moscheroschs Rezeption des englischen Textes wohl nicht relevant. Zusätzlich findet sich unter dem Titel Testament / so eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat auch eine deutsche Übersetzung, auf die an späterer Stelle näher einzugehen ist.

Es stellt sich daher eine Reihe von Fragen bezüglich der Übersetzungen, etwa nach dem Verhältnis der französischen und deutschen Übersetzungen zueinander sowie zum englischen Original, oder auch nach dem Umgang Moscheroschs mit diesem Vorlagentext beim Verfassen der Insomnis Cura Parentum. Der Zusammenhang der einzelnen Übersetzungsstufen und die Art, wie kleinere und größere Variationen innerhalb dieser Texte seine Rezeption durch Moscherosch ermöglichten, soll im Folgenden untersucht werden, wobei Themen wie die Frömmigkeitskonzeptionen der einzelnen Autoren bzw. Übersetzer und ihres Umfelds, größere kirchenpolitische Zusammenhänge und – besonders im letzten Abschnitt – auch Buchhandelsbeziehungen berücksichtigt werden müssen.

Das Übersetzungsverständnis der Untersuchung ist dabei bewusst eng gehalten. So werden nur diejenigen Texte als ‚Übersetzungen‘ aufgefasst, die einen Text von einer Ausgangs- in eine Zielsprache übertragen. Moscheroschs Insomnis Cura Parentum, die sich zwar auf Jocelyns Erbauungsbuch bezieht, über eine bloße Übertragung ins Deutsche jedoch weit hinausgeht, ist daher explizit nicht als Übersetzung zu verstehen. Da die genaue Art, in der sich Moscherosch mit der Insomnis Cura Parentum auf The Mothers Legacy bezieht, im Rahmen dieses Beitrags nicht umfassend thematisiert werden kann, wird im Folgenden auf Bezeichnungen wie ‚Adaptation‘ oder ‚Bearbeitung‘ verzichtet. Stattdessen wird von einer Rezeption durch Moscherosch gesprochen.

Eine solch enge Auslegung des Übersetzungsbegriffs soll es ermöglichen, die unterschiedlichen Rezeptionsweisen im Umgang mit The Mothers Legacy, mit den Übersetzern auf der einen und Moscheroschs Rezeption auf der anderen Seite, auf begrifflicher Ebene voneinander zu trennen. Diese Trennung entspricht auch der Präsentation der Übersetzer und Moscheroschs in den (Para-)Texten: Der französische Übersetzer wird erst nach dem – von ihm hinzugefügten – Vorwort namentlich genannt,Footnote 35 der deutsche Übersetzer bleibt anonym, zudem sind beide Texte auf den Titelblättern als Übersetzungen gekennzeichnet.Footnote 36 Die Vermittlung des Textinhalts erscheint damit wichtiger als eventuelle Eigenanteile der beiden Übersetzer. Anders dagegen inszeniert sich Moscherosch mit Nachdruck nicht als Übersetzer des Textes, sondern als Verfasser eines eigenständigen Erbauungsbuchs, der sein Unterfangen durch seine Pflichten als Christ und Vater legitimiert sieht (s. u.).Footnote 37

2 The Mothers Legacy to her Vnborn Childe (1624)

Bereits ohne die Berücksichtigung der Mittlerübersetzungen finden sich in Jocelyns conduct book inhaltliche Veranlagungen, die eine spätere Rezeption durch Moscherosch erleichtert haben dürften, wobei die französische Mittlerübersetzung in diesem Zusammenhang eine wichtige ausdeutende Rolle einnimmt. Für die spätere Rezeption durch Moscherosch ausschlaggebende inhaltliche Aspekte des englischen conduct books betreffen dabei die Darstellung der jeweiligen Schreibsituation, aber – in einem geringen Ausmaß – auch die in beiden Texten vermittelten Frömmigkeitsideale.

Elizabeth Jocelyn (ca. 1595–1622) verfasste The Mothers Legacy to her Vnborn Childe im Jahr 1622,Footnote 38 als sie befürchtete, bei der Geburt ihres ersten Kindes zu sterben. In der Vorrede an ihren Ehemann schreibt sie:

Mine owne deare loue, I no sooner conceiued an hope, that I should bee made a mother by thee, but with it entred the consideration of a mothers duty, and shortly after followed the apprehension of danger that might preuent mee from executing that care I so exceedingly desired, I meane the religious training of our Childe.Footnote 39

Der eigentliche Grund zur Sorge ist damit nicht die Gefahr des Todes, sondern die Möglichkeit, dass sie der in ihren Augen eigentlichen Pflicht der Mutter, der religiösen Erziehung des Kindes, nicht nachkommen kann. In einer ähnlichen Situation sieht sich Moscherosch, der sich ebenso in erster Linie verpflichtet sieht, für das Seelenheil seiner Kinder zu sorgen. Er schreibt mit Bezug auf Jocelyn:

Auß welchem Tract tlein / nach vberlesung desselben, ich mir einen solchen Schluß gemacht, vnd bey mir also gesagt: Thut daß ein Weib? vnnd zwar gegen jhrem vngebornen Kind? vnnd in einer sicheren wolverwahrten Statt? in gutem Frieden? Was solte dann ich? Ein Mann? gegen meinen Lieben Kindern? in diesem vnsicheren vnd gef hrlichen Ort nicht thun wollen vnd sollen? Der ich allem e sserlichen ansehen nach, wo Gott mir nicht gen digste Rettung thut […] in dieser vnvermeidlichen gefahr des Lebens, meine Kinder endlichen als arme Waysen nach mir werde verlassen m ssen.Footnote 40

Seine eigene Lage schätzt Moscherosch als weitaus dringlicher ein als die Jocelyns, und das nicht nur, weil er als Amtmann in einer ländlichen Gegend den Gefahren des Krieges ausgesetzt ist, sondern vor allem, weil er als Mann und Hausvater schreibt, dem allgemein,Footnote 41 und in der Reformorthodoxie nochmals verstärkt,Footnote 42 Verantwortung für das Seelenheil der Angehörigen seines Haushalts zukommt. Das Schreiben eines Erbauungsbuchs legitimiert Moscherosch an dieser Stelle auf mehreren Ebenen:Footnote 43 Nicht nur handelt er aus einer grundsätzlichen Verantwortung heraus, durch die Kriegsgefahr gewinnt sein Anliegen auch zusätzlich an Dringlichkeit. Durch den Vergleich mit Jocelyn werden diese beiden Aspekte nochmals verstärkt.Footnote 44

Daneben können in Jocelyns conduct book einige Gemeinsamkeiten mit dem Frömmigkeitskonzept Johann Schmidts festgestellt werden, dessen Bedeutung für sein eigenes Frömmigkeitskonzept Moscherosch in der Widmungsvorrede der Insomnis Cura hervorhebt. Ähnlich wie Schmidt in seinen Predigten, betont auch Jocelyn die Bedeutung des frommen Handelns für eine gute christliche Lebensführung; sie fordert von ihrem Kind: „[…] order thy thoughts, words and actions to [God’s – S.D.] glory“.Footnote 45 Zwar wird das Handeln hier – anders als bei Schmidt – nicht als zentraler Aspekt der Frömmigkeit dargestellt und darf wohl auch nicht als Alleinstellungsmerkmal von Jocelyns Anleitung verstanden werden. Bei der Betrachtung der französischen Übersetzung wird die Relevanz dieses Berührungspunktes jedoch deutlicher werden.

Auch wird sowohl bei Jocelyn als auch bei Schmidt und Moscherosch die Bedeutung der privaten Andacht betont. Jocelyn empfiehlt ihrem Kind eine Einteilung seiner Freizeit, die der Beschäftigung mit der Religion eine vorrangige Stellung zuweist:

[…] vse any lawfull [re]creation, either for thy profit or pleasure, and from all these exercises reserue a time to sit downe to some good study, but vse that most that may make thee greatest, Diuinitie. It will make thee greater, richer, happier than the greatest Kingdome on earth, though thou couldst possesse it.Footnote 46

Auch Schmidt fordert die tägliche Beschäftigung mit der Bibel und dem Katechismus:

Habe st ts bey Handen deine Bibel / […] vnd mache dir die guten Spr che bekannt / verschaffe dir darneben / vber deinen Catechismum, ein kleines B chlein / in welchem alle Glaubens Articul in guter Ordnung […] beschrieben: Ließ t glich eine oder zwo Fragen / sampt der Antwort.Footnote 47

Ebenso empfiehlt Moscherosch seinen Kindern die tägliche Beschäftigung mit der BibelFootnote 48 und – besonders den Töchtern – mit Gebet- und Erbauungsbüchern.Footnote 49 Die Bedeutung der privaten Andacht in der Straßburger Reformorthodoxie ist jedoch nicht nur als Gemeinsamkeit zwischen Jocelyn und Moscherosch relevant, sondern kann auch die Lektüre eines (wahrscheinlich) konfessionell andersartigen Textes durch Moscherosch erklären.Footnote 50 So befürwortete Schmidt die Verwendung englischer Erbauungsliteratur in der privaten Andacht.Footnote 51 Es erscheint daher denkbar, dass diese Haltung Schmidts der englischen Erbauungsliteratur gegenüber die Rezeption von Jocelyns Erbauungsbuch in Straßburg ermöglichte, oder gar dass Moscherosch den Bezug zu einem englischen Prätext bewusst hervorhebt, um die Ähnlichkeit zwischen seiner religiösen Praktik und den Vorstellungen Schmidts zusätzlich zu betonen.

Inhaltliche Berührungspunkte zwischen Jocelyns conduct book und Moscheroschs Erbauungsbuch scheinen dabei bereits zu bestehen, bevor The Mothers Legacy den mehrstufigen Übersetzungsprozess durchläuft, der schließlich zu Moscheroschs Insomnis Cura Parentum führt. Dabei sind vor allem die einander ähnelnden religiösen Leitkonzepte von Bedeutung. Durch die französische Übersetzung werden einige für Moscherosch (und Straßburg) entscheidende Aspekte von Jocelyns Text jedoch nochmals hervorgehoben.Footnote 52

3 Le Testament d’vne Mere à son Enfant à Naistre (1628)

Da Jocelyns Legacy im 17. Jahrhundert überaus breit rezipiert wurde,Footnote 53 erscheint es wenig überraschend, dass bereits 1628 eine französische Übersetzung in Sedan bei Jean Jannon gedruckt wurde. Diese hatte ein Theodor Hamer de Worffelt verfasst, über dessen Biographie sich über die Herkunft aus der Grafschaft Jülich-Berg hinaus nur wenig sagen lässt.Footnote 54

Die beiden Orte Jülich und Sedan sind dabei durchaus relevant für die Frage nach der ‚Reiseroute‘ des englischsprachigen Erbauungsbuchs. Im Herzogtum Jülich-Berg, respektive Jülich-Kleve-Berg, hatte sich während einer längeren Periode konfessioneller Wechselhaftigkeiten bereits um das Jahr 1567 eine reformierte Gemeinde etabliert.Footnote 55 Stärkere Bezüge zum Calvinismus weist der Druckort Sedan auf: In der zweiten Hälfte des 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Sedan ein autonomes Fürstentum,Footnote 56 dessen Herrscher sich zwischen 1563 und 1637 zum reformierten Glauben bekannten.Footnote 57 Die in Sedan ansässigen Theologen scheinen damit wohl zu jenen „von wechselhaften Schicksalen unterworfenen Calvinisten“ zu gehören, die Sträter als „theologische und literarische Partner Englands auf dem Kontinent“ versteht.Footnote 58 Durch diesen konfessionshistorischen Hintergrund lässt sich auch die anscheinend ungewöhnliche Rezeption eines englischen Erbauungsbuchs in Sedan erklären.Footnote 59

Für die Rekonstruktion des Rezeptionsprozesses von The Mothers Legacy sind jedoch nicht nur die realweltlichen religionspolitischen Zusammenhänge von Bedeutung, sondern auch der Umgang des Übersetzers Hamer de Worffelt mit dem englischen Text. Dieser bearbeitet sowohl durch das Hinzufügen eines Paratextes als auch durch die eigentliche Übersetzung den Prätext auf eine Weise, die relevant für die spätere Rezeption durch Moscherosch ist.

In seiner Vorrede begründet Hamer seine Übersetzertätigkeit zweifach: Er habe The Mothers Legacy ins Französische übertragen „pour [s]’exercer [s]oy-mesme en ceste langue, & faisant voir à tous les vertus de ceste Dame, & celles qu’elle recommande à son enfant, leur bailler matiere de suivre son example, voire de s’exercer eux-mesmes en icelles“.Footnote 60 Neben der Betonung der Vorbildhaftigkeit Jocelyns findet in der Vorrede auch eine Umwertung bestimmter Aspekte ihres Frömmigkeitsverständnisses statt. So schreibt Hamer gleich zu Beginn der Vorrede:

Le deuoir du Chrestien ne consiste pas seulement à estre bien instruit en la crainte de Dieu, & à reduire en practique ce qu’il a appris, mais il faut aussi qu’il communique à son prochain ce qu’il plaist à Dieu de luy eslargir: Car comme en la generation naturelle il n’y a personne qui soit né pour soy-mesme seulement, vn chacun de nous estant redeuable de la principale partie (voire pour mieux dire du tout) à son Createur, de l’autre à son patrie, & de l’autre à son prochain: de sorte que ce qui nous y reste est bien petit.Footnote 61

Bereits im nächsten Absatz wird die hier betonte Nächstenliebe mit einem Handlungsaspekt in Verbindung gebracht: „Nul n’a receu ceste grace pour soy-mesme tant seulement, car si nous l’auons n’est-ce pas pour en glorifier Dieu en toutes nos actions? instruire, admonester & consoler nostre prochain ?“Footnote 62 Die Gnade, die den Menschen von Gott zukomme, habe also nur dann einen Wert, wenn sie zur Erbauung des Nächsten eingesetzt werde. Durch Ausdrücke dieser Art lässt sich durch die Vorrede Hamers eine auffällige Nähe zwischen dem Testament d’vne Mere und den Glaubensidealen in Moscheroschs Umfeld herstellen.

Die Annäherung zwischen The Mothers Legacy und den religiösen Reformbestrebungen in Straßburg geht dabei über die Vorrede hinaus und zeigt sich auch in der eigentlichen Übersetzung Hamers. Diese hält sich zwar zumeist relativ genau an den englischen Prätext, weist jedoch gleichzeitig einige Eigenheiten auf, die im Zusammenhang mit der späteren Rezeption durch Moscherosch verstanden werden können. In der französischen Übersetzung werden etwa mehrfach Verweise auf die Bibel oder andere Texte hinzugefügt, ausgelassen, verkürzt oder ausgedehnt.Footnote 63 Aufgrund der bereits erwähnten Betonung der Nächstenliebe in der Straßburger Reformorthodoxie können solche Eingriffe am abschließenden dreizehnten Kapitel von The Mothers Legacy/ Le Testament d’vne Mere, das sich mit ebendiesem Thema befasst, besonders gut dargestellt werden.

Während dieses Kapitel bereits bei Jocelyn durch die abschließende Position im Traktat eine hervorgehobene Stellung einnimmt, wird diese bei Hamer de Worffelt nochmals betont. So fällt im direkten Vergleich auf, dass der Umfang dieses Kapitels, und insbesondere der der letzten Sätze, stark ausgedehnt wird (s. Beispieledition). Ebenso an diesem Textabschnitt erkennbar ist ein Eingriff Hamers auf der Ebene der Diktion, der sich mit Blick auf den gesamten Text als konsequent herausstellt. Es werden hier an mehreren Stellen Bezeichnungen, die sich auf die Mitmenschen beziehen, im Französischen vereindeutigend mit „ton prochain“ wiedergegeben, obwohl sich im Englischen eine Reihe variierender Bezeichnungen findet.Footnote 64 Obwohl auf der inhaltlichen Ebene als Synonyme zu verstehen, findet durch die französische Übersetzung eine semantische Vereindeutigung statt, durch die ein zentrales Konzept der Reformorthodoxie zu einer Leitvokabel des französischen Textes wird. Mit Blick auf Moscherosch ließe sich daher von einer Art konfessionsspezifischem Sprachgebrauch sprechen, der – wenn auch ohne Intention – die Rezeption des Testament d’vne Mere im reformorthodoxen Straßburg vorbereitet hat. Gleichzeitig sei aber darauf hingewiesen, dass die Betonung der Nächstenliebe auch in der reformierten Kirche einen festen Platz hat,Footnote 65 wodurch noch einmal die Vermittlerposition der calvinistischen Regionen für die Rezeption englischer Erbauungsliteratur hervortritt.

4 Das Testament / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat (nach 1628)

Komplizierter als bei der französischen Übersetzung stellt sich nun die Frage nach dem Publikationszusammenhang der deutschen Übersetzung von The Mothers Legacy mit dem Titel Testament / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat dar. Durch paratextuelle Angaben und buchhändlerische Beziehungen lassen sich jedoch zumindest einige Überlegungen darüber anstellen, auf welchem Weg The Mothers Legacy zunächst in den deutschsprachigen Raum und später auch zu Moscherosch gelangte.

Zunächst ist festzuhalten, dass die deutsche Übersetzung von The Mothers Legacy nur im Anhang einer Ausgabe von Moscheroschs Insomnis Cura Parentum vorliegt. Es handelt sich dabei jedoch um die Ausgabe A1 von 1647, die wahrscheinlich ohne Genehmigung Moscheroschs gedruckt wurde.Footnote 66 Auf diesen Umstand nimmt Moscherosch in der Ausgabe von 1653 Bezug, wenn er in einem dem Haupttext vorangestellten lateinischen Gedicht schreibt: „Insomnis mea cura liber, bis liber in auras | Nunc abit“.Footnote 67 Wenn Moscherosch auf diese Weise betont, dass das vorliegende Buch aus dem Jahr 1653 die zweite rechtmäßige Ausgabe seiner Insomnis Cura ist, nimmt er damit Abstand von anderen kursierenden Drucken. Da es sich also bei der einzigen Ausgabe der Insomnis Cura Parentum, die gemeinsam mit einer deutschen Übersetzung des Prätextes abgedruckt wurde,Footnote 68 um eine nicht autorisierte handelt, ist zu hinterfragen, ob es sich bei Moscherosch überhaupt um den deutschen Übersetzer des Textes handelt.

Das deutsche Testament kann indessen als Ergebnis einer Übersetzung der oben besprochenen französischen Übersetzung Hamers de Worffelt verstanden werden. Bereits das eingefügte Titelblatt des Testaments / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat weist auf die Abhängigkeit von einer französischen Mittlerübersetzung hin, dort findet sich der Zusatz: „Erstlich von einer Gottseligen Matrone[n] in Englischer Sprach geschrieben / hernach in frantz sischer vnd Teutsche Sprach gebracht“.Footnote 69 Während nun nicht auszuschließen ist, dass noch eine weitere französische Übersetzung von The Mothers Legacy existierte, weist eine Reihe von textuellen Gemeinsamkeiten darauf hin, dass das Testament / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat eine Übersetzung von Hamers Testament d’vne Mere ist. Es finden sich im deutschen Text sämtliche Textpassagen, die von Hamer bei der Übersetzung hinzugefügt wurden, während keine der dort ausgelassenen Passagen Eingang in den deutschen Text findet (s. Beispieledition). Auch werden kleinere Veränderungen, die der französische Übersetzer in den Text eingeführt hatte, im Deutschen beibehalten, etwa die folgende Variation in der Wortreihenfolge: Während in der Approbation des englischen Textes die Rede ist von „constant temper, and more than womanly fortitude“,Footnote 70 wird dies in den Übersetzungen als „grand courage, & une patience plus que feminine“,Footnote 71 respektive „ein (mehr dan̅ Weiblich) hertzhafft Gm t vn̄ Gedult“Footnote 72 wiedergegeben. Derartige ‚Leitfehler‘ deuten darauf hin, dass die deutsche Übersetzung von der französischen Hamers abhängig ist.

Auch die oben beobachtete semantische Festlegung der Mitmenschen als „prochains“ findet sich in der deutschen Übersetzung wieder; dort wird konsequent von den „Nächsten“ gesprochen.Footnote 73 Ebenso wird als Teil des deutschen Testaments eine Übersetzung der Vorrede Hamers de Worffelt abgedruckt,Footnote 74 die die Bedeutung der aktiv-handelnden Nächstenliebe, und damit eine eigentlich nur in Ansätzen vorhandene Ähnlichkeit zwischen den Frömmigkeitsidealen Jocelyns und denen der reformorthodoxen Bewegung in Straßburg, besonders hervorhebt.

Gleichzeitig finden sich auch einige kleinere Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Übersetzung. So fällt bei einem genauen Vergleich auf, dass gelegentlich Attribute hinzugefügt, Metaphern verändert oder Verweise auf die Bibel durch genaue Angaben von Buch in Vers explizit gemacht werden; an zwei Stellen werden fehlerhafte Bibelverweise korrigiert, an zwei weiteren Stellen kommen dafür neue Fehler hinzu.Footnote 75 Auch führt der deutsche Übersetzer an einigen Stellen Zitate aus der Bibel, deren Unvollständigkeit bei Hamer angedeutet wurde, weiter aus, wobei dieser seinerseits angedeutete Auslassungen aus dem englischen Text ergänzt.Footnote 76 Der deutsche Übersetzer scheint damit dieses Vorgehen fortzusetzen.

Für die Frage nach dem Publikationskontext bietet nun das der Ausgabe A1 beigegebene Nachwort ‚An den Christglaubigen Leser‘ einige wichtige Anhaltspunkte. Dieses lautet in Gänze:

DIEweil in diesen Tract tlein viel n tzliche Erinnerungen f r die Jugend begrieffen / ist dasselbe auff vnterschidliches Ansuchen vnd Begehren von newem auffgelegt vnd gedruckt worden. Daß es aber anderst nicht / wie es in dem Hornbachischen Exemplar zu befinden gewest / gedruckt worden / ist auß Vrsachen geschehen / weil nicht so gar viel sonders darinnen seyn wird / das den Christglaubigen Leser offendiren / vnd jhme verd chtig seyn m chte. Derowegen wird er nur auff die Principal-Intention sehen / vnd sich das Vbrige nicht jrren lassen.Footnote 77

Zwei Dinge sind an dieser Stelle herauszuheben. Zum einen wird erkennbar, dass es sich bei dem in A1 abgedruckten Text vermutlich um den Nachdruck eines ‚Hornbacher Exemplars‘ handelt. Zum anderen lässt die Rechtfertigung, man habe das ‚Hornbacher Exemplar‘ nachgedruckt, „weil nicht so gar viel sonders darinnen seyn wird / das den Christgl ubigen Leser offendiren […] m chte“, darauf schließen, dass es dem Verfasser des Nachworts möglich erschien, mit dem Nachdruck für Kränkungen zu sorgen. Dies könnte, besonders aufgrund des religiös-erbaulichen Gegenstands sowohl des Testaments als auch der Insomnis Cura, auf eine konfessionelle Differenz zwischen dem Übersetzer des deutschen Testaments auf der einen und dem Herausgeber sowie dem intendierten Rezipierendenkreis von A1 auf der anderen Seite hindeuten. Kirchenhistorische Hintergründe verstärken diesen Eindruck: Hornbach gehörte im 17. Jahrhundert zum Herzogtum Zweibrücken, dessen Fürst Johann I. 1588 zum Calvinismus konvertiert war.Footnote 78 Der Herausgeber der Ausgabe A1 der Cura gibt dagegen zumindest vor, dass A1 in Straßburg gedruckt wurde,Footnote 79 und druckt den Text mitsamt seiner an Johann Schmidt gerichteten Widmungsvorrede ab, wodurch die Anbindung an die Reformorthodoxie aufrechterhalten wird.Footnote 80 Die calvinismus-kritischen Züge der Reformorthodoxie entsprechen dabei den konfessionellen Konflikten der Zeit und werden auch in der Insomnis Cura (in A1) deutlich.Footnote 81

Die Erwähnung Hornbachs als (wahrscheinlichen) Druckort des Erstdrucks des deutschen Testaments lässt dabei noch eine weitere Vermutung zu. In Hornbach hat es wohl nur eine einzige Offizin gegeben, namentlich die Wendelin Schmidts, die zwischen 1623 und 1631 dort angesiedelt war, als die Fürstliche Druckerei Zweibrückens für einen kurzen Zeitraum dorthin verlegt wurde.Footnote 82 Unter den aus der Offizin Schmidts belegten Drucken findet sich keiner des deutschen Testaments; da es sich dabei jedoch um eine überaus geringe Anzahl handelt,Footnote 83 ist nicht auszuschließen, dass ein entsprechender Druck des Testaments / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat existierte, heute aber nicht mehr erhalten ist. Auf die weiteren Implikationen dieser Umstände wird im nächsten Abschnitt näher eingegangen, in dem nun auch Moscheroschs Insomnis Cura Parentum in die Untersuchung mit einbezogen werden kann.

5 Die Insomnis Cura Parentum (1643)

Wie eingangs erwähnt nimmt Moscherosch in der zweiten, an seine Ehefrau gerichteten Vorrede zur Insomnis Cura Parentum explizit Bezug auf seine englische Vorlage. Jedoch bleibt es in Moscheroschs Angaben unklar, in welcher Sprache er den Text rezipiert hat und in welcher Weise die Vorlage Eingang in sein eigenes Erbauungsbuch gefunden hat. Nach der Erschließung der einzelnen Übersetzungsstufen können an dieser Stelle einige Überlegungen darüber angestellt werden.

Bei einem Vergleich des deutschen Testaments / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat mit der Insomnis Cura Parentum fällt zunächst eine gewisse Ähnlichkeit in der Struktur auf. So sind beide Texte in aufeinander aufbauende, briefähnliche Kapitel gegliedert, denen ein Brief an den Ehemann, respektive an die Ehefrau, vorangestellt ist. Auf einige inhaltliche Berührungspunkte wurde oben bereits verwiesen. Während diese Gemeinsamkeiten jedoch die Gesamtstruktur des Prätextes betreffen und daher unabhängig davon festgestellt werden können, in welcher Sprache The Mothers Legacy/ Le Testament/ Das Testament vorliegt, lassen sich auch einige Parallelen beobachten, die speziell das deutsche Testament betreffen. Diese zeigen sich vor allem in einigen markanten Ähnlichkeiten in Wortwahl und Ausdruck, wie es etwa am folgenden Beispiel aus der Insomnis Cura Parentum deutlich wird:

Ein new gschirr nimbt an vnd behaltet den geschmack dessen, damit es zum ersten befeuchtet vnd begossen wird. Also wann jhr ewere kinder anf nglich, in der zahrten Jugend, ehe die Welt, dz Fleisch vnd der Feind sie anfechten, mit dem H. Wort Gottes befestiget, so werden sie desto leichter vberwinden alle fewrige Pfeile des B sewichts. Vnd wird euch Gott sein gedeyen vnd H. Geist verleihen, ja selbst in euch wohnen. Allen eweren Feinden widerstehen vnd nicht zugeben, daß sie euch gewalt vnd vnrecht anthun.Footnote 84

Nahezu identisch heißt es im deutschen Testament:

Dann gleich wie ein new Geschirr / den Geschmack dessen / damit es zum ersten befeucht wird / lang beh lt: Also wann du deinem Sch pffer anf nglich in deiner Jugend dienest / ehe die Welt / dein Fleisch vnd der Teuffel dich gar einnehmen / so wird dich Gott lieben / vnd seinen H. Geist geben / der in dir wohnen / allen deinen Feinden widerstehen / vnd dich nicht zugeben wird / daß sie dir Gewalt vnd Vnrecht thun […].Footnote 85

Die vorhandenen Abweichungen erklären sich an dieser Stelle dadurch, dass Jocelyn – und in der Folge auch ihre Übersetzer – ein einzelnes Kind ansprechen, Moscherosch dagegen mehrere. Geht man nun davon aus, dass das Testament, wie im Nachwort dargestellt, auf ein bereits vorhandenes ‚Hornbacher Exemplar‘ zurückgeht, und schließt man gleichzeitig den höchst unwahrscheinlichen Fall aus, dass Moscherosch eine Übersetzung angefertigt hat, die im Wortlaut nahezu identisch zur Hornbacher Übersetzung ist, ist anzunehmen, dass die Übersetzung in A1 nicht von Moscherosch stammt. Wahrscheinlicher ist es, dass Moscherosch mit dem Text in Gestalt des ‚Hornbacher Exemplars‘ in Berührung gekommen ist und einzelne Textpassagen in leicht modifizierter Form in sein eigenes Erbauungsbuch übernommen hat.Footnote 86

Es stellt sich dann die Frage, wie Moscherosch mit dem ursprünglich in Hornbach hergestellten Buch in Berührung kommen konnte. Während diese Fragestellung für die Entstehung der beiden Übersetzungen von The Mothers Legacy unbeantwortet bleiben muss, lassen sich für den letzten Abschnitt der Entstehungsgeschichte der Cura auf der Basis von buchhandelshistorischen Begebenheiten einige Überlegungen anstellen. Grundsätzlich ist zu erwähnen, dass Erbauungsbücher im 17. Jahrhundert eine überaus beliebte Textsorte waren und damit eine wichtige Einnahmequelle für Buchdrucker und -händler darstellten.Footnote 87 Gleichzeitig können über die Geschichte einzelner Offizinen Verbindungen zwischen Hornbach/ Zweibrücken und Straßburg hergestellt werden.

Wie oben bereits dargestellt, kommt als Druckort des ‚Hornbacher Exemplars‘ wahrscheinlich nur die Fürstliche Offizin unter der Leitung Wendelin Schmidts in Frage, die zwischen 1623 und 1631 in Hornbach aktiv war. Diese war zunächst in Zweibrücken angesiedelt und als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung der fürstlichen Landesschule in Hornbach im Jahr 1623 dorthin verlegt worden.Footnote 88 Die Entstehung der fürstlichen Offizin kann auf die Zeit zwischen 1591 und 1595 datiert werden, in der zunächst eine Papiermühle und wenig später eine Druckerei in Zweibrücken eingerichtet wurden.Footnote 89 In dieser Anfangsphase des Zweibrücker Buchdrucks war nun ein Straßburger von besonderer Bedeutung: Verantwortlich für die Einrichtung sowohl der Papiermühle als auch der Druckerei war Josias Rihel d.J.,Footnote 90 der einer seit mindestens 1535 aktiven Straßburger Druckerfamilie angehörte.Footnote 91 Nach der Re-Lokalisierung der Druckerei von Zweibrücken nach Hornbach scheint Rihel zunächst in Zweibrücken geblieben zu sein und kehrte wohl um 1625 nach Straßburg zurück, um die Offizin des Vaters zu übernehmen.Footnote 92 Eine Aktivität der Offizin Rihel ist dort bis in das Jahr 1639 belegt.Footnote 93

Relevant für die Frage nach Moscherosch ist, dass das Rihelsche Typenmaterial im Jahr 1642 von Johann Philipp Mülbe, Moscheroschs zu dieser Zeit bevorzugtem Verleger, verwendetFootnote 94 und später von dessen Nachfolger Josias Städel erworben wurde.Footnote 95 Es erscheint daher denkbar, dass das ‚Hornbacher Exemplar‘ auf diesem Wege an Moscherosch gelangte. Josias Rihel d.J. könnte auch nach seinem Weggang aus Zweibrücken Handelsbeziehungen oder Kontakt mit seinen Nachfolgern in der Fürstlichen Zweibrücker Offizin, darunter Wendelin Schmidt, gepflegt haben. Da Tausch- und Handelsbeziehungen zwischen Rihel und Mülbe belegt sind, ist anzunehmen, dass ein Exemplar der in Hornbach erschienenen Übersetzung des Testaments / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat auf diese Weise in Mülbes Besitz gelangte. Die Datierung dieser Handelsgeschäfte zwischen den beiden Straßburger Offizinen auf die frühen 1640er Jahre entspricht außerdem dem Zeitraum, in dem die Insomnis Cura Parentum wahrscheinlich verfasst wurde.Footnote 96 Moscherosch war bis 1641 als Amtmann in Finstingen beschäftigt, bevor ihn die Verheerung der ländlichen Gegenden durch den Dreißigjährigen Krieg dazu veranlasste, im November des Jahres 1641 nach Straßburg zurückzukehren.Footnote 97 Kühlmann und Schäfer nehmen an, dass Mülbe und Moscherosch während dieser Zeit miteinander in Kontakt standen.Footnote 98 Es besteht außerdem die Möglichkeit, dass Mülbe Moscherosch den Text mit einer ökonomischen Absicht zuspielte.Footnote 99

Zusammenfassend erscheint daher für die Textgenese der Insomnis Cura Parentum der folgende Ablauf am wahrscheinlichsten: Jocelyns ohnehin breit rezipierter Traktat gelangte spätestens um das Jahr 1627 in das Umland von Sedan, wo er von Hamer de Worffelt in das Französische übersetzt und damit für deutsche Gelehrte zugänglich wurde. Zwischen 1628 und 1631 (dem Jahr der Rückverlegung der Hornbacher Offizin nach Zweibrücken) wurde eine deutsche Übersetzung dieser Übersetzung in Hornbach gedruckt, die etwa zehn Jahre später – womöglich über Josias Rihel d.J. – an Mülbe gelangte, von dem sie dann – möglicherweise aus finanziellem Interesse – an Moscherosch weitergegeben wurde. Dieser Text regte Moscherosch zum Verfassen seines eigenen Erbauungsbuchs an, in das er Textpassagen aus der deutschen Übersetzung von The Mothers Legacy übernahm und das 1643 zum ersten Mal publiziert wurde. 1647 erschien dann ein Raubdruck der Insomnis Cura Parentum,Footnote 100 in dem sowohl Moscheroschs Text als auch das wohl einigermaßen verbreitete Testament / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat gemeinsam abgedruckt wurden. 1653 erschien dann bei Städel, Mülbes Nachfolger, die erweiterte, zweite autorisierte Ausgabe der Insomnis Cura Parentum.

6 Fazit

Anhand des Rezeptionswegs von Jocelyns The Mothers Legacy to her vnborn Childe über Frankreich und Hornbach bis zu Moscherosch lassen sich einige Dinge beobachten, die spezifisch für diesen Fall sind, an denen sich aber auch typische Faktoren der Rezeption und Übersetzung von (erbaulichen) Texten in der Frühen Neuzeit illustrieren lassen.

Wenig überraschend dürfte sein, dass das konfessionelle Umfeld des Prätextes sowie das der Rezipient*innen und Übersetzer*innen sich darauf auswirken, ob ein Text überhaupt übersetzt und wie im Übersetzungsprozess mit ihm umgegangen wird. So hat etwa das Übersetzungsverhalten Hamers de Worffelt Auswirkungen auf die weitere Rezeption seiner Übersetzung: Durch die Verwendung einer Leitvokabel, die für Hamers konfessionelles Umfeld im reformierten Sedan prägend ist, dem prochain, wird Jocelyns Text auf subtile Weise für einen reformierten Rezipierendenkreis umgedeutet. Dieser Eingriff in die Diktion des Vorlagentextes betont außerdem eine Gemeinsamkeit zwischen reformierter Kirche und eben den Lehren, die für Moscherosch beim Schreiben der Insomnis Cura Parentum wichtig waren, denen des reformorthodoxen Theologen Johann Schmidt. Durch das Hinzufügen einer Vorrede, die die Nächstenliebe außerdem in Verbindung mit einem aktiven Frömmigkeitskonzept bringt, wird diese Gemeinsamkeit weiter betont. Die Kirchenpolitik im Straßburg der 1630er und 1640er Jahre ist dabei noch aus einer anderen Perspektive von Bedeutung: Es ist zumindest denkbar, dass die offene Befürwortung des Gebrauchs von Erbauungsbüchern in der privaten Frömmigkeitsübung, wie sie sich bei Schmidt fand, sich auf Moscheroschs Schreibgestus auswirkte: Mit der expliziten Aussage, eine englische Vorlage für die Insomnis Cura Parentum gehabt zu haben, betont Moscherosch die Nähe seiner eigenen Andachtspraktik zu den Reformgedanken Johann Schmidts.

Eng mit diesem Punkt verbunden ist eine zweite Beobachtung: Die Reformbestrebungen in Straßburg stellten einen Anreiz für das Schreiben eines Erbauungsbuchs nicht allein für Moscherosch, sondern auch für seinen Verleger Mülbe dar. Dieser scheint aus finanziellem Interesse gehandelt zu haben, als er Moscherosch auf das Testament / So eine Mutter jhrem noch vngebornen Kind gemacht hat aufmerksam machte. Die Nachfrage nach Erbauungsbüchern war hoch, es gab jedoch in den 1640er Jahren in Straßburg noch keines, das den spezifischen Vorstellungen eines einflussreichen Theologen auf so eindeutige Weise entsprach (mit Ausnahme von Heuppels Auftragsarbeit). Der frühneuzeitliche Buchmarkt kann daher als ein überaus relevanter Faktor für die Übersetzung und aneignende Rezeption von Texten gelten.

Es ist an diesen beiden Punkten zu erkennen, dass das Übersetzen in der Frühen Neuzeit sowohl von (kirchen-)politischen als auch von marktwirtschaftlichen Interessen geprägt ist. Diese Beobachtung lässt sich in die Richtung ausweiten, dass sich der einzelne Übersetzer oder auch Rezipient in einem komplexen Netzwerk bewegt, zu dem auch Verleger, Theologen und Landesherrscher gehören. Es scheint daher – gerade aufgrund regionsspezifischer Eigenheiten in der Konfessionalität – sinnvoll, Fragestellungen, die die Rezeption und Übersetzung fremdsprachiger Texte betreffen, im Kontext der regionsspezifischen kirchenpolitischen und frömmigkeitstheoretischen Strömungen zu betrachten.