1 Einleitung

Das Verhältnis von Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht ist kompliziert und spannungsreich – es verwundert daher nicht, dass seine juristische Bewältigung bis heute umstritten ist. Das zentrale Spannungsverhältnis besteht zwischen vorwiegend nationaler Zuordnung von Ausschließlichkeitsrechten und europäischem Wettbewerbsschutz vor Marktabschottungen: Während das Immaterialgüterrecht durch die Einräumung von zeitlich begrenzten Ausschließlichkeitsrechten die Innovatoren als Belohnung ihrer Leistung vor Wettbewerb schützen soll, also marktzugangsbeschränkend wirkt, hat das Wettbewerbsrecht gerade die Aufgabe, Wettbewerbsfreiheit zu bewahren und Märkte zu öffnen.Footnote 1 Die Kernfrage lautet daher: Wie ist das Verhältnis zwischen beiden Rechtsmaterien juristisch zu bestimmen? Bestehen Vorrangverhältnisse oder ist nicht doch eine harmonisierende Auslegung angebracht? Letztlich geht es also um Anwendungsbereichsfragen: Wie weit reicht der Schutz geistigen Eigentums, wie weit jener des funktionsfähigen Wettbewerbs? Ich werde zeigen, dass das Verhältnis zwischen beiden Rechtsgebieten partiell komplementär aufzufassen ist, was für eine harmonisierende Auslegung iSe einzelfallbezogenen Interessenabwägung und gegen formale Vorrangregeln spricht. Das entspricht zwar der heute herrschenden Meinung, ich möchte aber diesen Ansatz weiterentwickeln und die bislang uneinheitliche wettbewerbsrechtliche Anwendungspraxis von EuGH und Europäischer Kommission kritisch hinterfragen.

2 Zum Begriff des Wettbewerbsrechts

Bevor ich mich der Abgrenzung näher widme, erlauben Sie mir eine kurze Bemerkung zum Begriff des Wettbewerbsrechts, die zugleich eine Einschränkung des Themengebiets ist. Das Wettbewerbsrecht lässt sich grob in zwei Bereiche unterteilen:Footnote 2 Als staatsgerichtetes Wettbewerbsrecht adressiert es den Staat und seine Untergliederungen im Wege des Beihilfen- und Vergaberechts. Demgegenüber erfasst das unternehmensgerichtete Wettbewerbsrecht mit dem Kartellverbot, dem Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und der Fusionskontrolle (Kartellrecht iwS) sowie dem Lauterkeitsrecht vorwiegend das private Marktverhalten. Zwar finden sich Schnittstellen zum Immaterialgüterrecht in all den genannten Gebieten.Footnote 3 Die zentrale Konfliktlinie des Immaterialgüterrechts verläuft freilich zum Kartellrecht: So können Lizenzvereinbarungen zwischen Unternehmen dem Kartellverbot des Art 101 AEUV unterfallen, die Verweigerung einer solchen durch den Schutzrechtsinhaber einen Marktmissbrauch iSd Art 102 AEUV darstellen oder der Erwerb eines Schutzrechts einen kontrollpflichtigen Zusammenschluss bedeuten, wenn dieses Vermögen einen eigenständigen Geschäftsbereich mit Marktumsatz bildet.Footnote 4 Nicht unerwähnt bleiben darf idZ, dass das Kartellrecht über den Umweg des Loyalitätsgebots die Mitgliedstaaten adressiert.Footnote 5 Wettbewerbsschützende bzw -erzeugende Funktion haben ferner die Grundfreiheiten, die zwar nicht zum Wettbewerbsrecht gezählt werden, aber komplementäre Funktionen haben und daher auch hier Erwähnung finden sollen: Sie dienen der Marktöffnung und greifen bei Ausschließlichkeitsrechten niederschwelligerFootnote 6 ein als das voraussetzungsvollere Kartellrecht, richten sich aber eben von wenigen Ausnahmen abgesehenFootnote 7 nur an den Staat und damit auch an die Immaterialgüterrechtsgesetzgebung. Dafür ist der Raum für Rechtfertigungen weiter als jener im Rahmen des Kartellrechts – man denke hier etwa an Art 36 AEUV, der ausdrücklich das gewerbliche Eigentum als Rechtfertigung anführt. Die Grundfreiheiten spielen sodann eine praktisch wichtige Rolle bei der Auslegung des immaterialgüterrechtlichen Sekundärrechts: So hat der EuGH erst kürzlich im Schweppes-Fall die Erschöpfungsbestimmung in der MarkenRL im Lichte der Warenverkehrsfreiheit ausgelegt und dabei der Marktöffnung den Vorzug vor dem Ausschließlichkeitsrecht gegeben.Footnote 8

3 Der Ausgangspunkt: Die Konfliktthese

3.1 Entwicklung

Will man nun das Verhältnis zwischen Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht bestimmen, so ist der historische Ausgangspunkt die schon angesprochene Konfliktthese: Während das Immaterialgüterrecht ausschließliche Verfügungsrechte an immateriellen Gütern verleiht, steht das Wettbewerbsrecht derartigen „legal monopolies“ entgegen, weil sie den Wettbewerb und den Marktzugang behindern. Insofern kann das Immaterialgüterrecht als Antithese zum Wettbewerbsrecht betrachtet werden. Steht Ersteres für den Schutz vor dem Wettbewerb, steht Zweiteres gerade für den Schutz des Wettbewerbs vor jedweden Beschränkungen. Die angenommene Antinomie zwischen Schutzrechts- und Wettbewerbsgewährleistung erfordert zwangsläufig Konfliktregeln: Eine solche stellt die vom US Supreme Court entwickelte „inherency“-DoktrinFootnote 9 dar, die eine formale Grenzziehung zwischen den beiden Rechtsgebieten etablierte. Danach galt ein Vorrang des Immaterialgüterrechts für Verhaltensweisen, die sich innerhalb des sachlichen und zeitlichen Schutzbereichs des Immaterialgüterrechts bewegen: Solches Verhalten ist also maW kartellrechtsimmun, während schutzrechtsübersteigende Verhaltensweisen dem Kartellrecht unterliegen. Was also schutzrechtlich zulässigerweise zugesprochen wurde, soll kartellrechtlich nicht verwerflich sein.Footnote 10

Die „inherency“-Doktrin trat einen Siegeszug auch in Europa an: Sie findet ihre deutlichste und nachhaltigste Ausprägung in der Judikatur des EuGH zum sog „spezifischen Gegenstand“Footnote 11 von Immaterialgüterrechten, die die im Ergebnis nichtssagende judikative Unterscheidung zwischen unionsrechtlich unberührtem Bestand und kartellrechtlich erfasster Ausübung des nationalen Schutzrechts ablöste.Footnote 12 Maßgeblich für die Abgrenzung ist danach allein der Inhalt der einzelnen Schutzrechte. Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof ursprünglich auf Grundlage des Art 36 AEUVFootnote 13 entwickelt und auf das Kartellrecht übertragen. Auch hier bestand die ursprüngliche Intention darin, Verhaltensweisen, die vom spezifischen Gegenstand eines Schutzrechts gedeckt sind, von der Kartellrechtsanwendung und der Anwendung der Grundfreiheiten auszunehmen und mit diesem formalen Kriterium Rechtssicherheit zu schaffen. Der spezifische Schutzgegenstand wurde dabei grob damit beschrieben, dass der Inhaber des Schutzrechts in die Lage versetzt werden soll, andere von der Verwertung des Schutzgegenstandes ohne seine Zustimmung auszuschließen bzw das Inverkehrbringen der Schutzgegenstände durch die Lizenzvergabe kommerziell nutzen zu können. Dabei wurden nicht nur unmittelbar aus dem gewerblichen Rechtsschutz abzuleitende Verbote, sondern auch sonstige Wettbewerbsbeschränkungen dem „spezifischen Gegenstand“ zugezählt, wenn dies dem Schutzzweck der lizenzierten Immaterialgüterrechte entsprach, also nicht über das zur „Wahrung des spezifischen Gegenstands des fraglichen geistigen Eigentums ErforderlicheFootnote 14 hinausging (z. B. ausschließliche Lizenzen).Footnote 15 In seiner ursprünglichen Konzeption war diese Doktrin also als immanente Schranke der primärrechtlichen Binnenmarktregelungen, insb des Wettbewerbsrechts und der Warenverkehrsfreiheit, gedacht. Zum spezifischen Gegenstand rechnete der EuGH z. B. zeitliche Benutzungsbeschränkungen, Beschränkungen der Art der Benutzung des geschützten Rechtsguts, qualitätssichernde Maßnahmen sowie Lizenzgebühren, nicht aber Gebietsbeschränkungen, Höchstmengenbegrenzungen, Vertriebsbindungen, Preis- und Konditionenbindungen oder Nichtangriffsabreden. Der Vorrang immaterialgüterrechtlicher Prinzipien vor kartellrechtlichen wurde auch von der in Deutschland entwickelten Wettbewerbseröffnungs- oder Inhaltstheorie vertretenFootnote 16 und etwa bei wettbewerbsbeschränkenden Lizenzverträgen damit gerechtfertigt, dass der gewerbliche Rechtsschutz seinerseits das Ergebnis eines Interessenausgleichs zwischen der Wettbewerbsfreiheit und dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen von Unternehmen sei.

3.2 Schwächen

Die Konfliktthese leidet an mehreren Schwächen: Ihr ist zwar positiv anzurechnen, dass sie die wettbewerbsrechtliche Bedeutung des Immaterialgüterrechts erkannt hat.Footnote 17 Richtig ist, dass das Immaterialgüterrecht durch diverse Beschränkungen selbst einen Ausgleich zwischen Wettbewerbsfreiheit und Innovation schafft, so etwa durch die zeitliche Begrenzung der Ausschließlichkeitsrechte, den Erschöpfungsgrundsatz oder durch die spezialgesetzliche Normierung von Zwangslizenzen.Footnote 18 Sie übersieht aber, dass die auf dem Territorialitätsprinzip ruhende immaterialgüterrechtliche Gesetzgebung – insb soweit sie noch national geprägt ist und damit mit dem grenzüberschreitenden Binnenmarktrecht in Konflikt gerät – der kartellrechtlichen Korrektur im Einzelfall bedarf, denn auch ein entsprechend sensibilisierter Gesetzgeber wird die wettbewerbsrechtlichen Grenzen der Schutzrechte immer nur abstrakt bestimmen können. Offensichtlich ist ferner, dass die Kartellrechtsimmunität für Verhaltensweisen innerhalb des Schutzbereichs zu weitgehend ist. Gerade auch schutzrechtsimmanente Befugnisse können zur Beschränkung des (Rest-)Wettbewerbs auf dem Markt des geistigen Eigentumsrechts oder auf nachgelagerten Märkten eingesetzt werden.Footnote 19 So können Lizenzverträge im Ergebnis eine Marktaufteilung bewirken. Aus dogmatischer Sicht kehrt sie ferner die primärrechtlich festgelegten Vorrangverhältnisse – nämlich Vorrang des primärrechtlichen Kartellrechts vor sekundärrechtlichen oder mitgliedstaatlichen Immaterialgüterrechten – um und verkennt die ebenso primärrechtlich grundgelegte Regel-Ausnahme-Konstruktion des Kartellrechts. Die Konflitkthese übersieht weiterhin, dass zwischen Wettbewerbsrecht und Immaterialgüterrecht – wenn auch nur teilweise – Zielharmonie besteht, schließlich schützen beide den dynamischen Wettbewerb und damit Innovationen und Substitutionswettbewerb. Das rechtfertigt freilich noch nicht die Annahme vollständiger Harmonie, weil das europäische Wettbewerbsrecht nicht nur dynamischen, sondern auch statischen Wettbewerb, wettbewerbliche Strukturen an sich und die Wettbewerbsfreiheit der Konkurrenten schützt.

4 Die Komplementaritätsthese

Wenn weder Harmonie noch Konflikt das Verhältnis zwischen Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht ausreichend zu beschreiben vermögen, ist darauf abzustellen, dass die Wettbewerbsfunktionen von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht komplementär sind. Dabei kommt es nach wie vor auf den spezifischen Schutzgegenstand an, der dem Inhalt des Schutzrechts entspricht, weil er den Ausgangspunkt der Interessenabwägung zwischen möglichst freiem Wettbewerb und Innovationsanreizen bildet, nicht aber eine formale Grenzziehung erlaubt. „Letztlich erscheint“, so Nordemann, „das Konzept eines klar umzäunten Naturschutzparks Immaterialgüterrecht als untauglich, die komplexen Spannungen zwischen Immaterialgüterrechten einerseits und Kartellrecht abzubilden, auch wenn solche Lösungsmodelle für den Praktiker einfach handhabbar sind.“Footnote 20 So hat der EuGH festgehalten, dass die Lehre vom spezifischen Gegenstand nicht streng schematisch anzuwenden ist: Klauseln, die dem spezifischen Gegenstand des Schutzrechts unterfallen, sind nicht per se kartellrechtsfest, umgekehrt sind schutzrechtsübersteigende Klauseln nicht per se verboten.Footnote 21 Das gilt für Kartell- wie auch Missbrauchsverbot gleichermaßen. Es kommt vielmehr auf die Ermittlung der tatsächlichen Wettbewerbswirkungen an.Footnote 22 Das ist freilich nur der erste Schritt: Danach muss durch eine umfassende Interessenabwägung und unter besonderer Berücksichtigung des spezifischen Gegenstandes des Schutzrechts ein gerechter Ausgleich zwischen Wettbewerbsfreiheit und Immaterialgüterrechtsschutz gefunden werden.Footnote 23 Einen Beitrag dazu hat auch die zunehmende Ökonomisierung des Kartellrechts durch den more economic approach der Europäischen Kommission geleistet, der dazu führt, dass unternehmerisches Verhalten anhand seiner tatsächlichen und wahrscheinlichen Auswirkungen untersucht und beurteilt werden soll. Dieser Ansatz erleichtert es, die ökonomisch oftmals ambivalenten Auswirkungen von Immaterialgüterrechten zu berücksichtigen und kartellrechtlich zu bewerten. IdS zu verstehen ist die Aussage in den TT-Leitlinien, wonach geistige Eigentumsrechte einer kartellrechtlichen Kontrolle unterliegen, was aber nicht bedeute, „dass es einen immanenten Konflikt zwischen den Rechten des geistigen Eigentums und den Wettbewerbsregeln der Union gibt“.Footnote 24

Fasst man die neuere Rechtsprechung und Anwendungspraxis zusammen, so lassen sich daraus zwei Regeln für das Verhältnis von Kartellrecht und Immaterialgüterrecht ableiten, die durchaus miteinander in Konflikt stehen:

  • Je enger die wettbewerbsbeschränkende Regelung mit dem Inhalt des Schutzrechts (spezifischen Gegenstand) verbunden ist, desto weniger Rechtfertigungsaufwand bedarf es, um die Regelung als kartellrechtlich unbedenklich einzustufen.Footnote 25 Eine vollständige Kartellrechtsfreiheit existiert aber selbst im Bereich des spezifischen Gegenstands nicht.Footnote 26

  • Je höher das Allgemeininteresse (Konsumentenwohlfahrt) an der Marktöffnung ist und je eher ein Ausschließlichkeitsrecht selbst innovations- oder marktzugangshemmend wirkt, desto eher ist umgekehrt ein kartellrechtlicher Eingriff in das Schutzrecht geboten und gerechtfertigt.

5 Fallbeispiele

5.1 Prüfungsschema

Setzt sich das Immaterialgüterrecht in der Interessenabwägung durch, so führt dies beim Verbot von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen gem Art 101 AEUV (bzw § 1 KartG 2005) zu einer Tatbestandsreduktion. Andernfalls ist eine Freistellung nach Art 101 Abs 3 AEUV (§ 2 KartG) zu prüfen. IdZ kommen mehrere Gruppenfreistellungen in Betracht, z. B. die GVO Technologietransfer (TT-GVO)Footnote 27 und die GVO Forschung und Entwicklung.Footnote 28 Außerhalb des Anwendungsbereiches der GVO kann eine Einzelfreistellung erwogen werden. Für das Missbrauchsverbot nach Art 102 AEUV gilt Ähnliches: Weder begründen Schutzrechte per se eine marktbeherrschende oder marktstarke Stellung, noch stellt der durch die Schutzrechtsausübung bewirkte Ausschluss Dritter (Wettbewerber oder Abnehmer) immer einen Missbrauch einer marktmächtigen Stellung dar.Footnote 29 Im Unterschied zum Kartellverbot fehlt es allerdings – abgesehen von der regelmäßig nicht relevanten Ausnahmebestimmung für Daseinsvorsorgeunternehmen (Art 106 Abs 2 AEUV) – an einer ausdrücklichen Ausnahmebestimmung. Die Interessenabwägung ist daher auf Tatbestandsebene vorzunehmen (insb Bestehen einer marktbeherrschenden Stellung und Vorliegen eines Missbrauchs).

5.2 Kartellverbot

5.2.1 Preisabreden

Zur ersten Regel gehören die kartellrechtlichen Bestimmungen über Preisabreden in Lizenzverträgen: Zwar ist es grundsätzlich zulässig, Lizenzentgelte oder Entgelte für die Schutzrechtsübertragung zu verabreden, allerdings nur soweit es sich um angemessene Entgelte handelt. Das Kartellrecht akzeptiert als Ausfluss des Ausschließlichkeitsrechts also nur „angemessene“ VergütungenFootnote 30 und kontrolliert damit die Gewinnmaximierungsmöglichkeit des Schutzrechtsinhabers. Darüber hinausgehende Entgelte sind schutzrechtsübersteigend. Nach der TT-GVO fallen allerdings Gebührenregelungen zwischen Wettbewerbern bis zur Marktanteilsschwelle von 20 % unter die Gruppenfreistellung, auch wenn sie wettbewerbsbeschränkend wirken. Außerhalb des Safe-Harbour-Bereichs der Gruppenfreistellung ist Art 101 AEUV hingegen anwendbar, wenn Wettbewerber einander wechselseitig Lizenzen erteilen und Gebühren festlegen, die im Vergleich zum Marktwert der Lizenz eindeutig unverhältnismäßig sind und erheblichen Einfluss auf die Marktpreise haben. Es handelt sich dann um über die eigentliche Lizenzvereinbarung hinausgehende Preisabreden, die sich nicht mehr durch den spezifischen Schutzgegenstand von Schutzrechten rechtfertigen lassen. Strittig sind gemeinsame Vergütungsregeln, bei denen sich Verbände der Urheber bzw der ausübenden Künstler mit Verbänden der Verwerter über die Nutzungsvergütung verabreden,Footnote 31 also horizontale Preisabsprachen treffen. Diesbezüglich ist zweifelhaft, ob solche Abreden dem europäischen Kartellverbot standhalten können.Footnote 32

5.2.2 Standardisierung

Der zweiten Regel zuzuordnen sind etwa die kartellrechtlichen Regelungen betreffend die Standardisierung von Patenten uÄ durch Normungsorganisationen und Absprachen zwischen Unternehmen.Footnote 33 Kooperationen zwischen Wettbewerbern oder zwischen diesen und Abnehmern zur Schaffung eines technischen Standards, aber schon die Standardisierung selbst, werfen eine Vielzahl von Fragen an der Schnittstelle von Immaterialgüterrecht und Kartellrecht auf, da sie einerseits positive Wirkungen auf Innovation und Wettbewerb haben können, andererseits aber im standardisierten Bereich und unter Umständen in vor- und nachgelagerten Märkten zu einem Weniger an Wettbewerb führen können. Besondere Bedeutung hat idZ der Zugang zu sog standardessenziellen Patenten (SEP). Der Verstoß einer Standardisierungsvereinbarung gegen Art 101 Abs 1 AEUVFootnote 34 wird in der Regel dadurch vermieden, dass sich die Inhaber der standardessenzielle Patente (SEP) dazu verpflichten, Dritten zu FRAND-BedingungenFootnote 35 eine Lizenz an diesen Schutzrechten zu erteilen und ihnen so eine Teilhabe am Standard zu ermöglichen. Damit erklärt der Patentinhaber seine Bereitschaft, das SEP an jeden potenziellen Erwerber des Standards zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien BedingungenFootnote 36 zu lizenzieren. Dahinter steht der Gedanke, zwischen den Interessen der Patentinhaber und den Interessen der übrigen Marktteilnehmer, standardfähige Produkte zu angemessenen Bedingungen herzustellen und zu vertreiben, einen Ausgleich zu finden. So einleuchtend diese Vorgabe ist, so schwierig ist es in der Praxis, zu bestimmen, was FRAND ist und was nicht – es kommt also auf eine Angemessenheitsprüfung im Einzelfall an.Footnote 37

5.3 Marktmachtmissbrauch

5.3.1 Allgemeines

Ebenfalls einer Einzelfallbetrachtung bedarf die Abgrenzung zwischen Immaterialgüterrechten und Marktmachtmissbrauchsverbot: Denn weder begründen Schutzrechte per se eine marktbeherrschende Stellung (auch nicht unbedingt SEP), noch stellt der durch die Schutzrechtsausübung bewirkte Ausschluss Dritter (Wettbewerber oder Abnehmer) per se einen Missbrauch einer solchen Stellung dar – die bloße Gewährung eines Schutzrechts schließt aber auf der anderen Seite den Marktmachtmissbrauch auch nicht aus.

Nur einige Beispiele: So bildet nicht jede immaterialgüterrechtlich geschützte Leistung gleich einen eigenen sachlichen Markt, der einer Marktbeherrschung zugänglich wäre. Die missbrauchsrechtliche Bedeutung eines Schutzrechts hängt vielmehr vom konkreten Markt ab und nicht schon von der Existenz des Schutzrechts. Ein eigener sachlicher Markt liegt nur dann vor, wenn die geschützte Leistung aus Nachfragersicht nicht mit anderen Leistungen austauschbar ist (Bedarfsmarktkonzept). Im Bereich der patentgeschützten Technologie ist etwa eine Vermittlung von Marktbeherrschung durch das Patent dann gegeben, wenn keine andere marktgleiche Technologie vorhanden ist.Footnote 38 Einen eigenen Markt bildet daher eine patentierte Schlüsseltechnologie, die zu einer Industrienorm geworden ist. Dieses Phänomen findet sich verbreitet bei den erwähnten SEPs: Der Patentinhaber verfügt auf den entsprechenden Lizenzierungsmärkten notwendigerweise – soweit keine konkurrierenden Standards vorhanden sind – über ein Monopol und ist daher Adressat des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots.

5.3.2 Lizenzierungszwang

Auch in solchen Fällen greift das Kartellrecht in die Substanz des Immaterialgüterrechts ein und zwar hinsichtlich der Frage, ob Dritten eine Lizenz und damit Marktzugang erteilt wird oder nicht. Der grundsätzlichen Vertragsfreiheit stellt das Kartellrecht den Lizenzierungszwang entgegen, der seine Begründung darin findet, dass der Inhaber eines Patents über die Fähigkeit verfügt, den Zugang zum nachgelagerten Produktmarkt zu kontrollieren und den dortigen Wettbewerb signifikant zu beeinflussen. Der wettbewerbsrechtlich angeordnete Lizenzierungszwang ist daher eine kartellrechtliche Korrektur eines Immaterialgüterrechts, das Exklusivrechte auf der Anfangsstufe der Wertschöpfungskette vergibt, ohne die Konsequenzen für den Wettbewerb auf höheren Marktstufen zu beachten.Footnote 39 Der Konflikt zwischen Vertragsfreiheit und Wettbewerb wird – bei Vorliegen bestimmter Kriterien – durch die Sozialbindung des Ausschließlichkeitsrechts gelöst.

Dogmatisch findet das entsprechende Fallrecht seine Begründung in Art 102 lit b AEUVFootnote 40 und in der essential-facility-Doktrin.Footnote 41 Die Voraussetzungen für den Lizenzierungszwang hat der EuGH grundlegend in der Rs MagillFootnote 42 beschrieben und in der Folgejudikatur präzisiert:Footnote 43 Die Hürde für Eingriffe der Wettbewerbsbehörden in die Privatautonomie marktbeherrschender Lizenzinhaber wurde dabei gesenkt – insb die Microsoft-Judikatur des EuGFootnote 44 hat dazu beigetragen. Zwar anerkennen die europäischen Gerichte, dass Lizenzverweigerungen grundsätzlich zu den Prärogativen von Inhabern geistiger Eigentumsrechte gehören, doch könne „unter außergewöhnlichen Umständen“ eine Lizenzierungspflicht entstehen. Die Prüfung, ob derartige Umstände vorliegen, erinnert besonders deutlich an eine Verhältnismäßigkeitsprüfung:

  • Die Lizenzverweigerung verhindert ein neues Erzeugnis, nach dem eine potenzielle Verbrauchernachfrage besteht:Footnote 45 Darin kann das für Verhältnismäßigkeitsprüfungen typische öffentliche Interesse erkannt werden. Ein solches Interesse besteht aber dann nicht, wenn kein erkennbarer Mehrwert zwischen der Vorleistung und dem Endprodukt erkennbar ist. Mit dem Neuheitserfordernis bestätigt der EuGH die Bindung der Schutzrechte an die Innovationsfunktion des Wettbewerbs, umgekehrt beschränkt er den Anwendungsbereich des Kartellrechts durch eine marktevolutorische Betrachtungsweise. Was nun unter der „new product rule“ zu verstehen ist, ist angesichts des case law umstritten.Footnote 46 Einigkeit besteht wohl dahingehend, dass das neue Erzeugnis sich nicht auf die reine Duplizierung des bestehenden Erzeugnisses beschränken darf,Footnote 47 doch genügt es, wenn es sich in einzelnen Parametern, die Verbraucher als wichtig ansehen, vom bestehenden Erzeugnis unterscheidet.Footnote 48

  • Die Lizenzverweigerung muss ferner geeignet sein, den Wettbewerb auf einer anderen Produktionsstufe auszuschließen: Es muss nicht jeglicher Wettbewerb verunmöglicht werden, vielmehr genügt es, dass der wirksame Wettbewerb ausgeschlossen wird.Footnote 49 Ein benachbarter Markt kann ferner ein nur potenzieller oder hypothetischer Markt sein.

  • Weitere Voraussetzung ist die Unerlässlichkeit der Lizenz, die dann gegeben ist, wenn es keine zumutbare, allenfalls auch keine weniger günstige Alternative gibt.Footnote 50 Gemäß der Microsoft- Rechtsprechung kann Unerlässlichkeit auch gegeben sein, wenn Konkurrenten ohne die Lizenz auf der anderen Produktionsstufe nicht überleben können.Footnote 51 Es handelt sich diesfalls um eine modifizierte Erforderlichkeitsprüfung.

  • Die Lizenzverweigerung darf ferner nicht objektiv gerechtfertigt sein: Die bloße Existenz eines Rechts des geistigen Eigentums ist jedenfalls noch keine objektive Rechtfertigung. Im Lizenzverweigerungsrecht wurde bisher idZ va auf einen incentive balance test abgestellt, bei dem es um die Frage geht, ob die verminderten Innovationsanreize des beherrschenden Unternehmens (falls eine Zwangslizenz erteilt würde) schwerer wiegen würden als die Einschränkung der technischen Entwicklung (falls keine Zwangslizenz erteilt würde).Footnote 52 Dieser Test stellt der Sache nach eine Adäquanzprüfung dar.

Zusammengefasst tritt im kartellrechtlichen Prüfungsschema der Zwangslizenz der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als zentrales Abgrenzungskriterium zwischen kartellrechtsfreiem und kartellrechtlich begrenztem Schutzrecht besonders deutlich hervor. Schlägt er zugunsten des Lizenzierungszwangs aus, so ist der kartellrechtliche Eingriff in die Kernsubstanz des Immaterialgüterrechts gleichermaßen gerechtfertigt wie geboten. Die Zwangslizenz ist eine der zentralen Instrumente des Kartellrechts, um Rechte des geistigen Eigentums nicht als Fremdkörper, sondern als Fundament der Wettbewerbsordnung zu deuten.Footnote 53 Die progressive Ausweitung des Zwangslizenzenregimes in der Judikatur darf aber den Charakter geistigen Eigentums nicht in Frage stellen, nicht zuletzt weil Zwangslizenzen letztlich selbst innovationshemmend wirken können. Zu betonen ist daher der sachverhaltsbedingte Ausnahmecharakter der zitierten Fälle, der eines deutlich macht: Eingriffe in Immaterialgüterrechte bedürfen einer konzisen Rechtfertigung im Einzelfall. Eine freie Interessenabwägung zwischen Wettbewerb und Ausschließlichkeitsrecht griffe zu kurz.

5.3.3 Originärer bzw derivativer Erwerb von geistigen Eigentumsrechten sowie Unterlassungsklagen

Nicht nur die Ausübung, sondern auch der Erwerb oder die gerichtliche Durchsetzung eines geistigen Eigentumsrechts können unter Umständen kartellrechtlich relevant sein. Dies gleichwohl ebenfalls nur unter „außergewöhnlichen Umständen“: Missbräuchlich iSd Art 102 AEUV ist etwa der Erwerb von sog Sperr- oder Wegelagererpatenten, da diese den Zweck verfolgen, eine Erfindung der Nutzung durch Konkurrenten zu entziehen, ohne dass der Berechtigte selbst ein Verwertungsinteresse daran hätte.Footnote 54 Der Widerspruch zum unverfälschten Wettbewerb liegt in diesem Fall derart offen zutage, dass schon der originäre Erwerb einen Missbrauch darstellt. Dieselben Auswirkungen kann unter bestimmten Umständen der Erwerb von ausschließlichen Lizenzen zeigen: So wurde in der Sache Tetra Pak I der Erwerb einer ausschließlichen Patentlizenz an der einzigen Konkurrenztechnologie durch das beherrschende Unternehmen auf dem relevanten Markt als missbräuchlich angesehen.Footnote 55

Auch die Durchsetzung eines Rechts des geistigen Eigentums durch Erhebung einer Verletzungsklage gehört zu den originären Rechten des Schutzrechtsinhabers und stellt als solche keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung dar. Dennoch können willkürliche Unterlassungsklagen auf Grund von Ausschließlichkeitsrechten Wettbewerber in ihrem wirtschaftlichen Handlungsspielraum ungerechtfertigt behindern und damit dem Verbotstatbestand des Art 102 AEUV unterfallen. Dazu hat der EuGH erst kürzlich in der Rs HuaweiFootnote 56 ausgesprochen, dass der Inhaber eines SEP seine marktbeherrschende Stellung durch die Erhebung einer Patentverletzungsklage dann verletzt, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, insb wenn er die Pflicht zur Unterbreitung eines Lizenzangebots zu FRAND-Bedingungen nicht einhält.

Auch in diesen Fällen gilt als Grundstruktur der Abgrenzung zwischen Immaterialgüter- und Kartellrecht: Eine Bestandsgarantie für geistiges Eigentumsrecht gibt es nicht, der kartellrechtliche Eingriff ist gleichwohl nur unter „außergewöhnlichen Umständen“ und nur im Rahmen des Verhältnismäßigen zulässig.

6 Zusammenfassung

  • Kartell- und Immaterialgüterrecht stehen in einem komplementären Verhältnis. Gemeinsam ist ihnen das Ziel des Schutzes dynamischen Wettbewerbs. Dementsprechend ist das Immaterialgüterrecht wettbewerbsrechtlich, das Kartellrecht immaterialgüterrechtlich „aufgeladen“ oder „aufladbar“.

  • Die Zielidentität ist aber nicht vollständig: Das Wettbewerbsrecht schützt nämlich darüber hinaus auch wettbewerbliche Strukturen und die Wettbewerbsfreiheit (der Konkurrenten). Ferner unterscheiden sich Immaterialgüterrecht und Wettbewerbsrecht hinsichtlich des eingesetzten Instrumentariums (hier Ausschließlichkeitsrechte, dort Verbot wettbewerbseinschränkender Verhaltensweisen).

  • Zwischen beiden Rechtsbereichen besteht weder eine genuine Konfliktstellung noch vollständige Harmonie. Formale Vorrangregeln sind nicht geboten. Vermeintliche Normwidersprüche sind vielmehr durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zu lösen, für die sich das ursprünglich stringente Kartellrecht in den letzten Jahrzehnten geöffnet hat. Das entspricht erstens dem Regel-Ausnahme-Konzept des primärrechtlich abgesicherten EU-Wettbewerbsrechts, das stufenbautheoretisch betrachtet gegenüber den sekundärrechtlich oder mitgliedstaatlich normierten Schutzrechten Vorrang genießt. Mit einer Abwägungskonstruktion wird zweitens dem dahinterstehenden Spannungsverhältnis zwischen Eigentumsrecht des Schutzrechtsinhabers (Art 17 GRC) und unternehmerischer Freiheit des Konkurrenten (Art 16 GRC) sowie dem Umstand Rechnung getragen, dass das Unionsrecht mitgliedstaatliche Eigentumszuordnungen respektiert (Art 345 AEUV), ohne aber damit die Anwendbarkeit des Wettbewerbsrechts auszuschließen. Die Abwägung erfolgt dabei entweder schon im Rahmen der Tatbestandsauslegung (Art 101 Abs 1 und 102 AEUV) oder – soweit vorhanden – im Rahmen einer Ausnahmebestimmung (Art 101 Abs 3 AEUV). Praktisch relevant sind dabei va die die kartellrechtlichen Tatbestände konkretisierenden Fallgruppen (z. B. Behinderungsmissbrauch).

  • Die in der EuGH-Judikatur entwickelte Lehre des „spezifischen Gegenstands“ des Immaterialgüterrechts ist somit keine formale Vorrangregel. Der „spezifische Gegenstand“ – verstanden als unionsrechtlich anerkannte Substanz geistiger Eigentumsrechte – ist vielmehr „bloß“ legitimer Zweck einer potenziellen Wettbewerbsbeschränkung. Daher macht das Kartellrecht nicht vor dem „spezifischen Gegenstand“ des geistigen Eigentums Halt, der kartellrechtliche Eingriff muss aber gerechtfertigt sein.

  • Judikatur und Anwendungspraxis richten sich bei der Abgrenzung von Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht nach zwei abstrakten Prinzipien:

    • Je enger die Wettbewerbsbeschränkung mit dem Inhalt des Schutzrechts („spezifischer Gegenstand“) verbunden ist, desto weniger Rechtfertigungsaufwand bedarf es, um diese als kartellrechtlich unbedenklich einzustufen. Eine vollständige Kartellrechtsfreiheit existiert aber im Bereich des spezifischen Gegenstands nicht.

    • Je höher das Allgemeininteresse (Konsumentenwohlfahrt) an der Marktöffnung ist und je intensiver die Ausübung eines Ausschließlichkeitsrechts marktschließend und va innovationshemmend wirkt, desto eher ist umgekehrt eine kartellrechtliche Korrektur geboten.

  • Per se begründen Immaterialgüterrechte daher weder verbotene Kartelle noch Marktmachtmissbräuche, es müssen überdies noch „außergewöhnliche Umstände“ vorliegen, damit die Ausübung des geistigen Eigentumsrechts kartellrechtlich eingeschränkt werden kann. Dann aber greift das Kartellrecht in die Substanz bestehender geistiger Eigentumsrechte und mitunter auch schon in deren originären Erwerb ein. Im Ergebnis bestehen Konflikte zwischen Immaterialgüter- und Kartellrecht aber nur in Ausnahmesituationen – das liegt auch schon daran, dass in vielen Fällen der kartellrechtlich relevante Markt weiter ist als das Schutzrecht und somit z. B. eine Marktbeherrschung von vorneherein nicht vorhanden ist.

  • Außergewöhnliche Umstände rechtfertigen etwa eine Zwangslizenz auf Grundlage des Art 102 AEUV (Missbrauchsverbot), wenn die Nutzung des Immaterialgüterrechts für das Anbieten eines neuen, potenziell nachgefragten Produkts auf einem nachgelagerten Markt unerlässlich ist und deshalb durch die Lizenzverweigerung ein Wettbewerb auf diesem benachbarten Markt vollkommen ausgeschlossen werden würde. Einschränkend wirkt das Wettbewerbsrecht ferner ua auf die Möglichkeit, das immaterielle Recht im Klagsweg gegen Verletzer durchzusetzen (insb bei Unterlassungsklagen – Huawei-Judikatur). Dem originären Erwerb von geistigen Eigentumsrechten kann das Kartellrecht etwa bei Sperr- oder Wegelagererpatenten entgegenstehen, da diese per definitionem nur den Zweck verfolgen, eine Erfindung der Nutzung durch Konkurrenten zu entziehen, ohne dass der Berechtigte selbst ein Verwertungsinteresse daran hätte. Die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften wird in den genannten Fällen zum funktionalen Äquivalent für Vorschriften, die einer ungerechtfertigten Informationsmonopolisierung vorbeugen.

  • Bei der konkreten Prüfung der Kartellrechtswidrigkeit von Marktverhalten kommt es maßgeblich auf den wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhang im Einzelfall an. IdS belassen es EuGH und Europäische Kommission nicht beim formalen Hinweis auf den spezifischen Gegenstand des jeweiligen Schutzrechts, sondern nehmen eine mehr oder weniger ausgereifte Analyse der wettbewerblichen Wirkungen der schutzrechtsbezogenen Verhaltensweise vor. Hilfestellung bei der Bewertung der ökonomisch oftmals ambivalenten Wirkungen von Immaterialgüterrechten liefert dabei der more economic approach.

  • Die Verlagerung von formalen Abgrenzungsregeln auf eine wettbewerbsrechtliche Einzelfallanalyse reduziert die Rechtssicherheit. Diesem Verlust ist durch Sekundärrecht, soft law (Leitlinien) und stringente Rechtsanwendungspraxis entgegenzusteuern. Diese bilden aber – was nicht zuletzt dem komplexen Charakter des Verhältnisses von Kartell- und Immaterialgüterrecht geschuldet ist – derzeit ein mitunter zerklüftetes Bild. Einer „Notreparatur“ mittels Kartellrecht im Einzelfall ist daher ein modernes Immaterialgüterrecht vorzuziehen, dass – möglichst unionsweit – die wettbewerbsrechtliche Perspektive miteinbezieht.