1.1 Arbeitsgestaltung im Kontext der Digitalisierung

Die digitale Transformation der Arbeitswelt verändert die Art und Weise, wie wir bereits heute und vor allem in Zukunft arbeiten und wirtschaften. Digitale Geschäftsmodelle und Technologien beeinflussen schon heute bestehende Formen der Arbeitsorganisation und die Entwicklung von Arbeitsmitteln. Die Digitalisierung ermöglicht und verstärkt neue Arrangements der Zusammenarbeit und der Wertschöpfung. Die Erwerbsarbeit wird in den kommenden Jahren noch stärker von informations- und kommunikationstechnischen Arbeitsmitteln und digitalen Arbeitsgegenständen geprägt sein. Die Schnittstelle zwischen Mensch und Technik ist in den vergangenen zehn Jahren immer enger geworden. Der Arbeitsalltag wird bereits heute in vielen Branchen und Berufen durch Algorithmen und Sensorik begleitet, gesteuert und strukturiert.

Betrachtet man die digitale Transformation der Arbeitswelt aus der Perspektive der Gestaltung und Regulierung auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse, werden verschiedenste Bedarfe im Sinne von guter und menschengerechter Arbeit deutlich. So ergeben sich durch die Digitalisierung Veränderungen in den Arbeitsprozessen, die wiederum Auswirkungen auf die Organisation von und auch auf die Bedingungen der Arbeit haben. Die Einführung digitaler Arbeitsmittel und die Überführung der Arbeitsgegenstände in die digitale Sphäre verändert das unmittelbare Arbeitsumfeld der Beschäftigten und die konkrete Erledigung der Arbeitsaufgaben. Diese Transformation der organisationalen und individuellen Aspekte der Arbeit führen im Ganzen zu einer Veränderung des Arbeitssystems, das unter anderem die räumlichen und zeitlichen Arbeitsstrukturen wie auch die Arbeitskultur umfasst.

In dieser Zeit der Transformation ist es von entsprechend großer Bedeutung, dass die Chancen und Risiken sowie die facettenreichen Gestaltungserfordernisse und -potenziale zielgerichtet identifiziert und analysiert werden. Basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen und anwendungsnahen Erprobungen sollten konkrete Hinweise, Leitlinien und Empfehlungen für die Gestaltung und Regulierung der Arbeit aufgestellt werden.

Der vorliegende Sammelband umfasst fünfzehn Beiträge aus sechs Verbundvorhaben, die im Rahmen des Förderschwerpunkts „Arbeit in der digitalisierten Welt“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterschiedliche Entwicklungen im Transformationsprozess der Arbeitswelt analysieren, konkrete Lösungsansätze entwickeln und wissenschaftlich begleiten und evaluieren. Die Autoren der Beiträge geben Einblicke in ihre Erkenntnisse und die entwickelten Konzepte. Hieraus lassen sich für Akteure aus Politik und Wirtschaft entsprechende Handlungsempfehlungen ableiten und es ergeben sich neue Forschungsimpulse für Akteure aus der Wissenschaft.

1.2 Förderschwerpunkt „Arbeit in der digitalisierten Welt“

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat es sich im Jahr 2015 zum Ziel gemacht, die Digitalisierung als soziale Innovation zu verstehen und zu gestalten. Einerseits sollen die Akteure der Erwerbsarbeit in die Entwicklung einbezogen werden und andererseits soll in Konzepte investiert werden, die in unserer Gesellschaft weiterhin gute Arbeit und ein gutes Leben ermöglichen. Die Chancen, die die digitale Transformation mit sich bringt, sollen auch im Sinne der Beschäftigten genutzt werden. Angemessene und durchdachte Arbeitsgestaltung und Arbeitsorganisation sowie eine Arbeits- und Organisationskultur sind für das BMBF wesentliche Bestandteile, um die Digitalisierung als soziale Innovation zu verstehen und im Sinne von guter Arbeit zu gestalten.

Das Forschungsprogramm „Zukunft der Arbeit“ (2014–2020) hat das Ziel, im Zusammenspiel von Theorie und Praxis die Möglichkeiten der digitalen Transformationen zu identifizieren und innovative Lösungen zu entwickeln und nutzbar zu machen. Im Kontext dieses Forschungsprogramms ist die Absicht des BMBF-Forschungsschwerpunkts „Arbeit in der digitalisierten Welt“, dass Forschungseinrichtungen und Unternehmen gemeinsam praxisorientierte Konzepte erarbeiten, erproben und evaluieren, um Erwerbsarbeit und Wertschöpfung in Deutschland zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Der BMBF-Forschungsschwerpunkt umfasst 30 Verbundprojekte, die mit einer Fördersumme von rund 50 Millionen Euro ausgestattet sind. In den Verbundprojekten arbeiten etwa 70 Forschungseinrichtungen und rund 90 Unternehmen zusammen, um die Ziele des Forschungsschwerpunkts zu erreichen und Beiträge zur Weiterentwicklung der Erwerbsarbeit in Deutschland im Sinne von guter Arbeit zu leisten.

1.3 Begleitung durch TransWork

Das Verbundprojekt „TransWork – Transformation der Arbeit durch Digitalisierung“ ist eines der Verbundprojekte und zugleich das Begleitvorhaben. TransWork begleitet und vernetzt die 29 Verbundprojekte untereinander und unterstützt und fördert den Transfer der Ergebnisse in Richtung (Fach-)Öffentlichkeit über Publikationen und Veranstaltung. Die Verbundprojekte wurden in fünf themengeleitete Schwerpunkgruppen gefasst, um die zielgerichtete Forschung und die inhaltliche Vernetzung gleichermaßen zu unterstützen.

  • Assistenzsystem und Kompetenzentwicklung

  • Projekt- und Teamarbeit in der digitalisierten Arbeitswelt

  • Produktivitätsmanagement

  • Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit

  • Arbeitsgestaltung im digitalen Veränderungsprozess

Auf diese Weise wurden Verbundprojekte mit ähnlichen und sich ergänzenden Inhalten vernetzt und der Austausch in regelmäßigen zeitlichen Abständen zu entsprechenden Themen gefördert. Neben den Treffen der Schwerpunktgruppen dienten auch schwerpunktgruppenübergreifende Veranstaltungen dem internen wie auch externen Austausch. Darüber hinaus erfolgt der Transfer der Ergebnisse in die (Fach-) Öffentlichkeit unter anderem über folgende gemeinsame OpenAccess-Publikationen, die aus dem Verbundprojekt TransWork heraus initiiert wurden:

  • Broschüre mit Übersicht der Verbundprojekte im Förderschwerpunkt (OpenAccess)

  • Broschüre mit Zwischenergebnissen aus den Verbundprojekten im Förderschwerpunkt (Bauer et al. 2019)

  • Sammelband der Schwerpunktgruppe Projekt- und Teamarbeit in der digitalisierten Welt (Mütze-Niewöhner et al. 2020)

  • Buch der Schwerpunktgruppe Produktivitätsmanagement (Jeske und Lennings 2020)

  • Buch der Schwerpunktgruppe Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit (vorliegender Band)

  • Buch als Abschlusspublikation des Förderschwerpunkts (Bauer et al. in Vorbereitung)

1.4 Die Schwerpunktgruppe „Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit“

Die fünf Verbundprojekte der Schwerpunktgruppe „Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit“ erforschen die Besonderheiten digitalisierter Arbeit und entwickeln Gestaltungsansätze, wie eine gute, humane Arbeit auch unter veränderten Bedingungen einer vernetzten, zeitlich und örtlich flexibilisierten Erwerbsarbeit gelingen kann. Die entwickelten Lösungsansätze für eine gute digitale Arbeitsgestaltung umfassen unterschiedliche Gestaltungsfelder. Sie zielen erstens auf eine stärkere Befähigung zur Eigenverantwortung von Beschäftigten und Führungskräften. Zweitens stehen neue Kooperationsformen bei standortverteiltem Arbeiten in Coworking-Spaces im Fokus. Drittens werden Fragen eines angemessenen Erreichbarkeitsmanagements bei mobiler Arbeit adressiert. Und viertens wird untersucht, wie soziale Medien im Betrieb für eine gute Arbeitsgestaltung, zur Einbindung der Beschäftigten und zur Steigerung der Produktivität genutzt werden können. Im Zusammenwirken von Wissenschaft und Wirtschaft wurden geeignete Konzepte umgesetzt, um die positiven Aspekte einer digitalisierten Arbeitswelt für Unternehmen und Beschäftigte zu erschließen und zu evaluieren.

Die Schwerpunktgruppe umfasst folgende Verbundprojekte:

• EdA

Empowerment für die digitale Arbeitswelt – Nachhaltige Konzepte für die Digitalisierung entwickeln

• Hierda

Humanisierung digitaler Arbeit in Coworking-Spaces

• ICU

Internes Crowdsourcing in Unternehmen: Arbeitnehmergerechte Prozessinnovationen durch digitale Beteiligung von Mitarbeiter/innen

• SANDRA

Gestaltung der Arbeitswelt der Zukunft durch Erreichbarkeitsmanagement

• SB:Digital

Social Business: Digitale soziale Netzwerke als Mittel zur Gestaltung attraktiver Arbeit

1.5 Überblick zum Sammelband

Im vorliegenden Herausgeberband stellen die fünf Verbundprojekte sowie der TransWork-Projektpartner INPUT Consulting aktuelle Ergebnisse im Kontext der Gestaltung und Regulierung vernetzt-flexibler Erwerbsarbeit in einer digitalen Arbeitswelt vor. Das übergreifende Ziel ist hierbei, der Leserin bzw. dem Leser konkrete Eindrücke aus den hier dargestellten Vorhaben und aus deren Forschungs-, Erprobungs- und Evaluationsarbeiten zu geben. Einerseits werden in den Beiträgen theoretische Fragestellungen thematisiert, andererseits werden auch Gestaltungskonzepte und deren Ergebnisse präsentiert. Die Beiträge sind im Sammelband thematisch zusammengestellt und beleuchten jeweils die adressierten Themenfelder aus dem Kontext ihrer Verbundprojekte in Zusammenwirken mit den Anwendungsunternehmen. Die Transformation hin zur digitalen Arbeitswelt ist insbesondere dadurch geprägt, dass ein größer werdender Teil der Erwerbsarbeit an jedem Ort und zu jeder Zeit erledigt werden kann. Diese Entwicklung, deren Auswirkungen sowie die Gestaltungserfordernisse und Lösungsansätze sind Gegenstand von sechs Beiträgen in diesem Sammelband.

Daum und Zanker (TransWork) widmen sich in ihrem Beitrag Kap. 2 dem Status quo und den Perspektiven der staatlichen Regulierung von orts- und zeitflexibler Arbeit und analysieren auf Basis arbeits- und rechtswissenschaftlicher Literatur und des politischen Diskurses, inwieweit Reformbedarf bei der Regulierung von Orts- und Zeitflexibilität besteht und wie die Chancen digitalisierter Arbeit genutzt werden können und gleichzeitig die hohen Arbeitsschutzstandards gewahrt bleiben. Der Beitrag von Saternus et al. (SANDRA) Kap. 3 knüpft an diese Debatte an. Die Autoren präsentieren ihre Forschungsergebnisse zu den Erwartungen der Nutzenden an ein technisches System des Erreichbarkeitsmanagements auf Grundlage von qualitativen und quantitativen Erhebungen. Miedzianowski (SANDRA) Kap. 4 geht in ihrem Beitrag auf die rechtlichen Anforderungen eines technischen Systems zur Erreichbarkeitssteuerung ein und zeigt auf, welche technischen Anforderungen aus den teils abstrakten und unbestimmten rechtlichen Anforderungen abgeleitet werden können. Grießhaber et al. (SANDRA) Kap. 5 geben einen Überblick über organisatorische und technische Lösungsansätze, um die zeitliche Flexibilität der digitalisierten Arbeit beherrschbar zu machen. Ihren Erkenntnissen aus dem Testbetrieb zufolge ist davon auszugehen, dass der Einsatz eines Erreichbarkeitsassistenten zu einer Verringerung der Belastung führt.

Auf die neuen Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt reagierend, stellen Boes et al. (EdA) Kap. 6 Ansatzpunkte einer konsequenten Stärkung des Empowerments in Unternehmen vor. Die Ziele sind Autonomiezuwachs und echte Handlungsfähigkeit für Beschäftigte, um in der agilen Arbeitsorganisation den Aufgaben gerecht zu werden. Gül et al. (EdA) Kap. 7 haben auf diesen Erkenntnissen aufbauend unterschiedliche zukunftsweisende Gestaltungsansätze für das Empowerment entwickelt und getestet.

Die Nutzung digitaler sozialer Netzwerke gewinnt im Unternehmenskontext als Kollaborationsmittel stetig an Bedeutung. Zinke-Wehlmann et al. (SB:Digital) Kap. 8 gehen in ihrem Beitrag auf die Gestaltung dieser Prozesse der digitalen Zusammenarbeit ein. Anhand des eigens entwickelten Reifegradmodells zeigen sie methodische sowie technische Möglichkeiten auf, um digitale Kollaboration bedarfsorientiert und zielgerichtet im Unternehmen zu etablieren. Schiller und Meiren (SB:Digital) Kap. 9 verdeutlichen, dass der Einsatz von Social Business-Systemen kein Selbstläufer ist, sondern konkreten Handlungsempfehlungen folgen sollte. Ihr Referenzmodell, das Rollen und Verantwortlichkeiten im Kontext von sozialen Netzwerken definiert, soll Unternehmen dabei unterstützen, die Akzeptanz der Beschäftigten sicherzustellen. Huber et al. (SB:Digital) Kap. 10 schließen in ihrem Beitrag daran an und gehen auf den Einsatz eines Social Media Tools zur Kanalisierung von interner und externer Kommunikation ein. In ihrem Fallbeispiel werden die technischen wie auch organisatorischen Hindernisse durch den Datenschutz beschrieben und Lösungsansätze hierfür erläutert.

Unternehmensinternes Crowdsourcing ist Gegenstand von drei Beiträgen in diesem Sammelband. Wedel und Ulbrich (ICU) Kap. 11 stellen ihre Ergebnisse zur Erarbeitung systemtheoretischer Grundlagen für diese neue Form der Arbeitsorganisation vor. Sie bieten theoretische Empfehlungen zur Konzeption und Systematik von internem Crowdsourcing und tragen dazu bei, die bestehende Forschungslücke in diesem Feld zu verkleinern. Darauf aufbauend, legen Ulbrich und Wedel (ICU) Kap. 12 den Entwurf eines Prozess- und Rollenmodells zum internen Crowdsourcing dar. Das theoretisch fundierte Modell basiert auf der projektbezogenen Praxisanwendung von internem Crowdsourcing beim Anwendungspartner GASAG AG und orientiert sich an der Konzeption des agilen Vorgehensmodells von Scrum. Simmert et al. (EdA) Kap. 13 gehen in ihrem Beitrag der Frage nach, inwiefern das Empowerment in einer internen Crowd einen zentralen Erfolgsfaktoren darstellt. Sie zeigen dabei auf, wie sich die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit im Rahmen dieser digitalen Arbeitsform grundlegend verändert, was wiederum einer neue Organisations- und Führungskultur bedarf.

Die Digitalisierung der Arbeitswelt erweitert neben der zeitlichen auch die räumliche Komponente, bedeutet jedoch nicht, dass Menschen in vollkommener Flexibilität arbeiten wollen. Ein neues, zunehmend verbreitetes und örtlich gebundenes Arbeitsmodell ist das Coworking, das Gegenstand des Beitrags von Görmar und Bouncken (Hierda) Kap. 14 ist. Die Autoren beleuchten die Entstehung und Nutzung von Coworking und Coworking-Spaces (CWS) und zeigen auf, welche Unterschiede es unter den Anbietern sowie den Nutzenden gibt und was zentrale Treiber und Barrieren für deren Erfolg sein können. Sington et al. (Hierda) Kap. 15 beschreiben in ihrem Beitrag anhand eines konkreten Anwendungsfalls vor welchen Herausforderungen CWS-Betreibende stehen und welche Ansätze erprobt wurden, um die Chancen dieser neuen Arbeitsform zu nutzen.

Die Herausgeberin und Herausgeber bedanken sich bei den beitragenden Autorinnen und Autoren und freuen sich mit diesem Sammelband einen facettenreichen Beitrag für die Gestaltung vernetzt-flexibler Arbeit präsentieren zu können.