2.1 Begriffe und Definitionen des Landschaftswasserhaushalts

Dieses Kapitel beschreibt den Landschaftswasserhaushalt und wesentliche Begriffe, Komponenten und Prozesse, die beim Niederschlag-Abfluss-Prozess von Bedeutung sind. Darüber hinaus werden Einzugsgebiete charakterisiert, da sie die wesentliche räumliche Bezugsgröße zur Bilanzierung von Wasserflüssen darstellen. Eine Übersicht wichtiger, in diesem Handbuch verwendeter Begriffe und Definitionen ist glossarartig in Abschn. 2.1.4 zusammengestellt. Die Inhalte stützen sich auf etablierte Grundlagenwerke [1,2,3,4].

2.1.1 Komponenten und Bilanzgleichung des Wasserhaushalts

Für Hochwasserereignisse hat der Niederschlag eine zentrale Bedeutung. Seine Eigenschaften bestimmen in erheblichem Maße die Eigenschaften einer Überflutung. Die Begriffe Überschwemmung, Überflutung und Hochwasser werden hier synonym als Überbegriff für Überschwemmungen aller Art verwendet. Eine Abgrenzung unterschiedlicher Überschwemmungstypen erfolgt in Abschn. 2.2; dort wird auch auf unterschiedliche Starkregenarten eingegangen. Der Niederschlag (N) teilt sich auf in die Komponenten abfließender oder abflusswirksamer oder effektiver Niederschlag (Neff), Evapotranspiration (ET) und Änderung des Gebietsrückhalts bzw. Gebietsspeichers (ΔS). Zusammen bilden sie eine geschlossene Bilanzgleichung (2.1), die besagt, dass alles Wasser, das sich als Abfluss in einem Gewässer wiederfindet, seinen Ursprung im Niederschlag hat:

$$ N_{eff} = N - ET - \Delta S $$
(2.1)

Die Bezeichnungen abfließender oder abflusswirksamer oder effektiver Niederschlag haben sich im deutschen Sprachraum eingebürgert, da häufig nicht zwischen Oberflächenabfluss und Zwischenabfluss unterschieden werden kann oder die Unterscheidung nicht zweckmäßig ist. Gleiches gilt für den Begriff Direktabfluss, der ebenfalls den Teil des Niederschlags bezeichnet, der unmittelbar oder nur mit kurzer zeitlicher Verzögerung nach einem Regen einem Gewässer zufließt. Er ist ebenfalls synonym zum effektiven Niederschlag und wird oft verwendet, wenn Neff einem Gewässer zugeflossen ist. Trotz des ähnlichen Namens, darf aber Neff keinesfalls mit dem Niederschlag N gleichgesetzt werden, da der Gebietsrückhalt ΔS bei den meisten (kleineren und mittleren) Regen wesentlich größer als Neff ist und dann Neff nur einen kleinen Anteil des Niederschlags ausmacht.

Verglichen mit N und Neff ist ET bei Hochwasserereignissen üblicherweise sehr klein, weshalb ET in der quantitativen Betrachtung großer Niederschlag-Abfluss-Ereignisse vernachlässigt werden kann. Die Speicheränderung, d. h. der Teil des Niederschlags, der bei einem Regen im Gebiet zurückgehalten wird, ergibt sich aus der Wassermenge, die infiltriert, und dem Wasser, dass an der Oberfläche, z. B. auf Pflanzen oder in Mulden, zurückgehalten wird. Neff entspricht also bei kurzzeitiger Betrachtung der Differenz von N und ΔS:

$$ N_{eff} = N - \Delta S $$
(2.2)

Die wesentliche Herausforderung bei der Bestimmung von Neff liegt daher in der Schätzung des Gebietsrückhalts ΔS, der von unterschiedlichen Aspekten abhängt und sich über die Zeit verändert. Sind N und Neff bekannt, lässt sich aus ihrem Quotienten der volumetrische Abflussbeiwert (Ψ) bestimmen. Er ist eine dimensionslose Verhältniszahl und variiert zwischen Null und Eins. Ein Wert von Ψ = 0,6 bedeutet, dass 60 % des Niederschlags abfließen.

$$ \Psi = \frac{{N_{eff}}}{N} $$
(2.3)

In der ingenieurhydrologischen Praxis spielen Abflussbeiwerte (und Ansätze, sie zu bestimmen) eine wichtige Rolle, um das zu erwartende Abflussvolumen abzuschätzen. Abflussbeiwerte sind hoch bei flachgründigen Standorten mit geringem Porenvolumen, bei Böden mit hohen Tongehalten, bei hohem Anteil überbauter und versiegelter Flächen im Einzugsgebiet und bei intensivem Ackerbau mit hohem Reihenkulturanteil und wendender Bodenbearbeitung. Umgekehrt treten niedrige Abflussbeiwerte häufig bei geringem Versiegelungsgrad, hohem Waldanteil und auf tiefgründigen, durchlässigen Standorten auf. Auf landwirtschaftlichen Nutzflächen können konservierende Maßnahmen (z. B. Mulchbedeckung ≥ 30 % oder nicht-wendende Bodenbearbeitung) die Abflussbeiwerte deutlich reduzieren (vgl. Abschn. 4.5.3).

Wenn hier vom Niederschlag gesprochen wird, ist üblicherweise der Gebietsniederschlag gemeint, also die mittlere (abflusswirksame) Niederschlagshöhe eines Einzugsgebietes. Sie ist für den Hochwasserabfluss von grundlegender Bedeutung, da sie multipliziert mit der Einzugsgebietsfläche (AEZG) das Abflussvolumen (Q) ergibt:

$$ Q = N_{eff} \cdot A_{EZG} $$
(2.4)

2.1.2 Wichtige Prozesse des Niederschlag-Abfluss-Vorgangs und ihre Terminologie

Der Abflussprozess gliedert sich in drei wesentliche Vorgänge: i) die Bildung von Effektivniederschlag (Abflussbildung) auf der Fläche, ii) die Bündelung des Effektivniederschlags in der Fläche (Abflusskonzentration) und iii) den Fließprozess in Gerinnen und Gewässern (Wellenablauf). Die Vorgänge laufen gleichzeitig ab und können in zahlreiche Unterprozesse aufgegliedert werden. Da der Fokus des Handbuchs auf kleinen Einzugsgebieten und damit vor allem auf den Bereichen oberhalb der Gewässer III. Ordnung liegt, wird der Wellenablauf in dauerhaften Gewässern weitgehend ausgeblendet. Praxistaugliche Verfahren zu seiner Beschreibung können beispielsweise den Veröffentlichungen der Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg entnommen werden [5,6,7].

Die Abflussbildung (Kap. 4) hängt von der Zwischenspeicherung des Niederschlags auf der Vegetation (Interzeption), der Wasserspeicherung auf der Bodenoberfläche und der Infiltration ab. Besonders bedeutsam ist die Infiltration, die ihrerseits von Eigenschaften der Oberfläche und des Bodens bestimmt wird.

Die Abflusskonzentration (vgl. Kap. 5) erfolgt, während der abflusswirksame Niederschlag über ober- und unterirdische Fließpfade, die an der Wasserscheide beginnen und bis in die Gewässer reichen, lateral abfließt. Wesentliche Kenn- und Einflussgrößen der Abflusskonzentration sind die Länge und Dichte der Fließpfade sowie deren hydraulische Eigenschaften. Sie beeinflussen die Geschwindigkeit, mit der Wasser aus der Fläche abgeleitet wird, und damit auch die Scheitelhöhe einer Abfluss- oder Hochwasserwelle. Grundsätzlich gilt: Je länger und hydraulisch rauer der Fließweg, desto langsamer der Abfluss und desto geringer der Scheitel einer Abflusswelle. Die Anzahl landschaftsgliedernder Elemente und Strukturen und deren Beziehung zueinander hat daher einen hohen Einfluss auf den Wasser- und Stoffhaushalt eines Einzugsgebietes [8].

Häufig wird Abfluss anhand seiner Fließpfade in (Land-)Oberflächenabfluss und Zwischenabfluss unterschieden. Oberflächenabfluss im engeren Sinn ist Wasser, das gar nicht in den Boden infiltriert, z. B. weil die Oberfläche versiegelt, verschlämmt oder der Bodenporenraum gesättigt ist. Häufig infiltriert Oberflächenabfluss auch entlang des Fließpfades und wird dann zu Zwischenabfluss, häufig auch Interflow genannt, um lateral (oberflächennah) im Boden, z. B. entlang von Horizontgrenzen abzufließen. Umgekehrt exfiltriert Zwischenabfluss entlang des Fließweges auch häufig z. B. am Hangfuß, weswegen sich beide Abflusskomponenten oft schlecht trennen lassen. Wesentlich ist, dass beide Komponenten im Vergleich zum Grundwasserabfluss hohe Fließgeschwindigkeiten aufweisen. Dadurch sind sie meist gemeinsam für den Abfluss bei starken Niederschlägen verantwortlich. Zusammen werden sie auch als Direktabfluss bezeichnet, da sie zeitlich unmittelbar nach einem Niederschlagsereignis einem Gewässer zufließen. In diesem Handbuch erfolgt keine strenge Trennung zwischen beiden Komponenten. Oberflächenabfluss wird als Synonym für alle Abflussarten verwendet, die mit nur kurzer Verzögerung nach einem Regen an oder nahe der Oberfläche auftreten und in ein Gewässer gelangen bzw. diesem zufließen.

Zur quantitativen Beschreibung der verschiedenen Wasserhaushaltskomponenten hat sich eine bestimmte Terminologie etabliert. Dabei werden Wortverbindungen verwendet, die die jeweiligen Komponenten benennen und diese mit einem Substantiv verbinden, das die Dimension der Komponente oder deren Bezugsgröße beschreibt. Beispielsweise wird häufig von der Niederschlagshöhe oder -intensität und von Abfluss bzw. Abflusssumme oder -spende gesprochen. Tab. 2.1 enthält eine Zusammenfassung dieser Substantive, die die Dimension ausdrücken.

Tab. 2.1 Übliche Wortverbindungen zur Beschreibung von Wasserhaushaltsgrößen und deren Bedeutung

2.1.3 Einzugsgebiete und ihre Abgrenzung

Einzugsgebiete sind die zentrale Flächeneinheit zur Beschreibung von Wasserflüssen. Sie werden durch Wasserscheiden begrenzt und umfassen das Gebiet, von dem ein konkreter Bezugspunkt seinen Abfluss bezieht. Solche Bezugspunkte können der Hangfuß eines Ackers, in den die darüber liegende Nutzfläche entwässert, die Mündung eines Baches in ein anderes Gewässer oder eine Ortschaft sein, durch die ein Bach fließt. Einzugsgebiete lassen sich daher beliebig fein in Teileinzugsgebiete untergliedern, solange bis eine Wasserscheide erreicht ist (Abb. 2.1, links). Sie können, abhängig von der Lage des Bezugspunktes, wenige Quadratmeter bis viele tausend Quadratkilometer groß sein. Bei kleinräumiger Betrachtung von Wasserflüssen in der Landschaft müssen neben den natürlichen Wasserscheiden, die sich aus der Topographie bzw. den geologischen Eigenschaften des Untergrunds ergeben, auch alle die Landschaft zerschneidenden Elemente der Infrastruktur wie Wege und Straßen, Wälle oder Bahndämme berücksichtigt werden. Sie können zusätzliche, künstliche Wasserscheiden schaffen sowie die natürliche Einzugsgebietsabgrenzung und das Fließpfadmuster ändern.

Abb. 2.1
figure 1

Untergliederung des 46 km2 großen Schwimmbacheinzugsgebietes bei Marklkofen in Niederbayern (links) anhand der topographischen Wasserscheiden in unterschiedliche feine Teileinzugsgebiete (verschieden starke rote Linien). Die blauen Linien kennzeichnen das Gewässernetz. Die rechte Tafel zeigt einen Landschaftsausschnitt bei Kirchdorf an der Amper mit unterschiedlicher topographischer (rote Linien) Wasserscheide und hydrogeologischem Einzugsgebiet (hellblaue Fläche) (Geobasisdaten: Bayerische Vermessungsverwaltung)

Darüber hinaus wird zwischen dem oberirdischen bzw. topographischen Einzugsgebiet und dem unterirdischen bzw. hydrogeologischen Einzugsgebiet unterschieden. Beide stimmen in ihrer Größe und Lage nur selten überein (Abb. 2.1, rechts). Bei Starkregenereignissen ändert sich der Grundwasserabfluss meist nur langsam. Es kommt vor allem auf den Oberflächenabfluss an, der durch das topographische Einzugsgebiet bestimmt wird. Dies erleichtert die Festlegung des Einzugsgebietes stark, auch wenn es im Bereich der Mikrowasserscheiden, d. h. auf Feld- oder Hangskala, immer noch schwierig sein kann, weil bereits die durch die Bodenbearbeitung verursachte Rauheit den Wasserfluss leiten kann. Wenn hier Unsicherheiten bestehen und die genaue Abgrenzung wichtig ist, muss eine Kartierung der Fließpfade erfolgen (vgl. Anhang 8.8). Auch der meist langandauernde Abfluss bei der Schneeschmelze bietet eine gute Gelegenheit, die Fließpfade zu beobachten. Allerdings können sich die Fließpfade und damit die Einzugsgebietsgrenzen auch während eines Abflussereignisses ändern, z. B. wenn ein zuvor abflussableitender Rain plötzlich bricht oder überflutet wird.

2.1.4 Begriffe, Definitionen, Synonyme und ihre Einheiten und Formelzeichen

Das Handbuch bedient sich vieler Fachbegriffe. Zur einfacheren Handhabung wurden die wichtigsten in Tab. 2.2 glossarartig zusammengefasst.

Tab. 2.2 Beschreibung verwendeter Fachbegriffe, Formelzeichen und übliche Einheiten

2.2 Starkregen – Auslöser für unterschiedliche Hochwasserarten

Hochwasser heißt zunächst nur, dass die Wasserführung in einem Gewässer – vom zeitweise wasserführenden Graben bis zum Strom – gegenüber dem mittleren Abfluss, der auch null sein kann, erhöht ist. Hier werden speziell die Hochwässer behandelt, die so groß sind, dass sie zu Überflutungen führen, weil die Kapazität der Hauptabflussrinne überschritten wird. Auch dann ist Hochwasser nicht gleich Hochwasser. Sturzfluten und Flusshochwasser laufen unterschiedlich ab und lassen sich dadurch auch auf verschiedene Art und Weise beeinflussen. Um das Ausmaß einer Überflutung zu mindern, ist es daher wichtig zu wissen, wie ein Ereignis ausgelöst wird, wie Abfluss entsteht und wie er sich sammelt, überlagert und abfließt.

Auslöser einer Überflutung ist immer eine große Niederschlagsmenge. Dabei muss im Wesentlichen zwischen wolkenbruchartigen Schauern hoher Intensität und langanhaltenden, großflächigen Niederschlägen, sogenannten Landregen (bzw. einer Schneeschmelze), relativ geringer Intensität unterschieden werden (Tab. 2.3). Auch wenn dies keine eindeutige Trennung ist, sondern Übergänge ebenso auftreten können, ist die Unterscheidung der beiden Niederschlagstypen wichtig, weil der Niederschlagstyp bestimmt, wie Abfluss entsteht und ob eine Sturzflut oder eine (Fluss-) Überschwemmung folgt. Ebenso unterscheiden sich auch die Maßnahmen zur Abflussminderung.

Tab. 2.3 Übersicht über Niederschlagshöhe, Ereignisdauer und mittlere Ereignisintensität von Sturzfluten (S) und Bach- bzw. Flussüberschwemmungen (F) in Bayern [15,16,17,18]

Ein gemeinsames Merkmal großer Niederschlagsereignisse ist, dass sie selten, aber natürlich sind. In der wissenschaftlichen Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass im Zuge des Klimawandels von einer weiteren Zunahme und Verschärfung extremer Wetterlagen auszugehen ist [10,11,12,13]. Bis 2050 ist mit etwa einer Verdopplung extremer Niederschläge gegenüber 2015 zu rechnen. Starkregen und in Folge Überflutungen sind daher nirgendwo vermeidbar. Es gilt: Nach der (Sturz-)Flut ist vor der (Sturz-)Flut oder anders gesagt, das Auftreten einer Überschwemmung ist immer nur eine Frage der Zeit. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn Schutzmaßnahmen (Dämme, Retentionsbecken) ergriffen wurden. Schutzmaßnahmen vergrößern nur das Wiederkehrintervall von Überschwemmungen, können sie aber nicht vollständig verhindern [14]. Schutzmaßnahmen können daher auch grundsätzlich nicht versagen, sondern nur die in sie gestellten Erwartungen können falsch sein.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Starkregen, die Sturzfluten bzw. Flussüberschwemmungen verursachen, ist deren räumliche Ausdehnung. Flussüberschwemmungen sind die Folge großer Tiefdruckkomplexe oder langsam vordringender Fronten, die große Einzugsgebiete (wenige bis viele tausend km2) überregnen und meist an das Auftreten typischer Großwetterlagen gekoppelt sind (z. B. Vb oder Tief Mitteleuropa) [19,20,21]. Daher treten solche Regen selten überraschend auf. Typische Vorwarnzeiten liegen in der Größenordnung von vielen Stunden bis hin zu wenigen Tagen. Neben ihrer großen Ausdehnung verfügen sie auch über ein typisches räumliches Muster, da Niederschlagsschwerpunkte üblicherweise an die Orographie gekoppelt sind. Demgegenüber entstehen Wolkenbrüche, die Sturzfluten auslösen, durch die rasche Hebung feucht-warmer Luftmassen (Konvektion). Einzelne Gewitterzellen sind immer klein, mit einem Radius von typischerweise unter 5 km [22,23,24]. Erst durch ihre Zugbahn und die Überlagerung mehrerer Zellen zu Multi- oder Superzellen können größere Gebiete betroffen sein. Durch die geringe Ausdehnung setzt der Niederschlag oft unerwartet und plötzlich ein. Typische Vorwarnzeiten vor Wolkenbrüchen liegen in der Größenordnung von mehreren Minuten bis hin zu wenigen Stunden. Ein weiteres Kennzeichen von wolkenbruchartigen Starkregen ist, dass sie kein typisches räumliches Muster aufweisen. Solche Starkregen und in Folge Sturzfluten können also nicht nur plötzlich, sondern auch überall und unabhängig von der Topographie auftreten. Das wird anhand der Extremwertauswertung radarbasierter Niederschlagsmessungen aus dem Zeitraum von 2001 bis 2018 in Abb. 2.2 deutlich [25, 26]. Die räumliche Vorhersagegenauigkeit beschränkt sich daher bisher auf die Angabe einer Region oder die Ebene von Landkreisen.

Abb. 2.2
figure 2

(Quelle: Deutscher Wetterdienst, 2019)

Niederschlagsmenge 20-jährlicher, einstündiger Niederschläge in Deutschland basierend auf Daten der Radarklimatologie.

Starke, lang andauernde Landregen werden meist als ausgesprochen nasse, aber nur selten als bedrohliche Ereignisse wahrgenommen. Sie können dazu führen, dass Gräben und kleine Gewässer deutlich erhöhte Abflüsse führen. Auch das Auftreten von Oberflächenabfluss ist möglich. Kritische Abflüsse und größere Überschwemmungen durch Ausuferungen von Gewässern treten aber in der Regel im überwiegenden Teil eines Einzugsgebietes nicht auf. Erst in tief gelegenen Bereichen des Einzugsgebietes werden die Kapazitäten der bestehenden Abflussbahnen überschritten Bach- oder, denn Flussüberschwemmung entstehen durch die Bündelung und Überlagerung von Abfluss aus dem gesamten Einzugsgebiet. Die Aue wird vom Gewässer ausgehend überschwemmt (Abb. 2.3). Sind Auen vom Gewässer entkoppelt, besteht die Gefahr, dass Dämme oder Deiche brechen. Das gilt vor allem für große Flusssysteme, wo sich der Wellenablauf über viele Tage erstrecken kann, da das Risiko einer Durchweichung des Dammkörpers mit der Dauer des Einstaus steigt.

Abb. 2.3
figure 3

Schematische Gegenüberstellung der unterschiedlichen Gefährdungslagen durch Überflutungen infolge von Starkregen (a) und durch Ausuferung von Gewässern (b) [obere Grafik: 27]

Sturzfluten (Englisch: flash floods = blitzartige Überflutung) entstehen dagegen durch einen heftigen und wegen der hohen Intensität oft auch als bedrohlich empfundenen Starkregen. Wesentlich ist, dass die Intensität solcher Regen zeitweise größer als die Infiltrationsrate des Bodens ist. Dadurch bildet sich im Bereich der Starkregenzelle schnell und flächig Oberflächenabfluss. Das gilt insbesondere bei hohem Versiegelungsgrad oder wenn die Bodenoberfläche nicht oder nur spärlich bedeckt ist, wie im Mai und Juni, wenn die Pflanzendecke nach einer Frühjahrssaat noch wenig ausgebildet ist. Dann verschlämmt die Bodenoberfläche und wird nahezu wasserundurchlässig (Abb. 2.4). Entsteht Oberflächenabfluss, folgt er noch in der Fläche dem größten Gefälle und fließt auf dem Landweg über Rinnen und Rillen, Hangmulden und Gräben bis in Vorfluter, Bäche und größere Gewässer. Bei entsprechend hoher Niederschlagsrate und insbesondere bei steilem Relief „stürzt“ das Wasser dabei regelrecht aus der Fläche. Der Abfluss in Tiefenlinien, Sammelgerinnen und Vorflutern kann binnen kurzer Zeit stark ansteigen (Abb. 2.3, linke untere Tafel). Im Gegensatz zu Fluss- oder Bachüberschwemmungen erwächst das große Schadenspotenzial bei diesen Ereignissen wegen ihrer kleinen räumlichen Ausdehnung nicht durch den Einstau gewässernaher Bereiche, sondern vor allem aus der Zerstörung von Infrastruktur und Siedlungsbereichen, die sich in oder entlang von Abflusspfaden befinden. Ein erhebliches Risiko geht dabei vor allem von der hohen Fließgeschwindigkeit des Wassers aus. Letztere verleiht dem Abfluss zum einen Überraschungspotenzial und zum andern eine enorme Schleppkraft. Bereits ab wenigen Dezimetern Wasserstand vermag der Abfluss nicht nur beachtliche Schlammfrachten, sondern auch schweres Geröll, Bäume, Strohballen und (ab etwa 50 cm) auch schwere und voluminöse Gegenstände wie größere Geländewagen mitzureißen. Engstellen wie Brücken, Stege, Zäune, Verrohrungen oder Rechen können sich dann zu besonderen Gefahrenpunkten entwickeln, wenn dort Verklausungen auftreten und der Fließquerschnitt durch angeschwemmtes Treibgut verengt wird. Sturzfluten verursachen daher häufig katastrophale Schäden. Ihre Kraft und ihr, im Vergleich zu Flussüberschwemmungen blitzartiges Auftreten, birgt oft nicht nur große Gefahren für Hab und Gut, sondern auch für Leib und Leben.

Abb. 2.4
figure 4

(Foto: K. Auerswald)

Zunehmende Verschlämmung einer ungeschützten Bodenoberfläche nach 1 mm, 30 mm, 40 mm und 70 mm Niederschlag (von links nach rechts).

2.3 Ansätze und Wirkung dezentraler Hochwasserschutzmaßnahmen

Dezentrale Maßnahmen zum Hochwasserschutz sind oft kleine, unscheinbare Maßnahmen, die an einer Vielzahl von Stellen im Einzugsgebiet, oft abseits von Gewässern in der Fläche oder entlang der kompletten Entwässerungswege umgesetzt werden können. Ihre wesentliche Stärke liegt darin, Abfluss am oder nahe des Ortes der Abflussentstehung zurückzuhalten oder zu bremsen.Sie schützen bei lokalen Ereignissen ganzheitlich und vermindern, bei konsequenter Umsetzung, hohe Abflüsse und die Verlagerung von Nährstoffen, Pflanzenschutzmitteln und Bodenmaterial. Größere, zentrale Hochwasserschutzmaßnahmen sind in dieser Hinsicht wirkungslos, da sie üblicherweise erst in den Mittel- und Unterläufen von Gewässer vorhanden sind und sich ihre Wirkung zwangsläufig auf den Bereich unterhalb der Maßnahme beschränkt.

Dezentrale Hochwasserschutzmaßnahmen sind Gegenstand vieler Publikationen [z. B. 28,29,30,31,32,33,34] und umfassen ein weites Spektrum. Zu ihnen gehören die Förderung der Versickerung auf landwirtschaftlichen Flächen (z. B. durch hohe und kontinuierliche Bodenbedeckung, nicht-wendende Bodenbearbeitung oder die Umwandlung von Acker in Grünland), der Rückhalt von Abfluss in kleinen Speichern und Rückhalteräumen (z. B. Muldenspeicher und Kleinstrückhaltebecken) sowie zahlreiche strukturelle Maßnahmen (z. B. kleinteilige und höhenlinienparallele Flurgliederung, wasserlenkende Strukturen, abflussbremsende Entwässerungswege wie begrünte Abflussmulden und verkrautete, flach gemuldete Wegseitengräben, Vermeidung von Verrohrungen, Versickerungen, z. B. zur Entwässerung von Wegen). Darüber hinaus tragen auch Maßnahmen der Gewässerentwicklung (Verbreiterung des Abflussquerschnitts, Laufverlängerung, Förderung von Ausuferungsmöglichkeiten und Wiederherstellung natürlicher Retentionsflächen) zur Abflussminderung bei, ebenso wie, die Erhöhung der hochwasserschützenden Wirkung von Wäldern (z. B. durch standortsgerechte, stufig aufgebaute und gut strukturierte Mischwälder, kleinflächige Verjüngungsmaßnahmen, die Förderung und Sicherung von Auwäldern) sowie als wichtigste Maßnahme die Beschränkung des Wegebaus und der Verzicht auf Wege und Gräben, die tiefe Hangeinschnitte erfordern. Für den dezentralen Hochwasserschutz ergeben sich daher nicht nur zahlreiche Ansatzpunkte, die an sehr unterschiedlichen Stellen im Einzugsgebiet und entlang der Entwässerungswege umgesetzt werden können, sie betreffen auch zahlreiche unterschiedliche Akteure (Abb. 2.5).

Abb. 2.5
figure 5

Übersicht typischer Ansätze zum Wasserrückhalt und zum Bremsen des Abflusses in der Flur (weiße Beschriftung) und Akteure (schwarze Beschriftung), deren Beitrag für eine Umsetzung der Maßnahmen unerlässlich ist (Bildquellen von A: W. Bauer (Agroluftbild), B: www.boden-staendig.eu, C: [35], D: Illertaler (Wikipedia), E: K. Schneider (USDA Natural Resources Conservation Service), F: [36])

Die bei Weitem wichtigste Maßnahme des dezentralen Hochwasserschutzes ist es aber, auf Maßnahmen zu verzichten, die den Abfluss erhöhen und beschleunigen. Dazu zählen vor allem;

  • Versiegelungen (Überbauung, Pflasterung),

  • Verrohrungen und Gräben wie Wegseitengräben oder Drainagegräben,

  • Hangeinschnitte, besonders im steilen Gelände (Waldbau),

  • Verlust an landschaftlicher Vielfalt (Flächengliederung, Strukturelemente, Landnutzungen).

Im Grunde sollte jede dieser abflussfördernden Maßnahmen, wenn sie nicht vermieden werden kann, durch zusätzliche abflussmindernde Maßnahmen aus der oben genannten Liste ausgeglichen werden. Diese Zusammenhänge und die Vielzahl potenzieller Ansatzpunkte verdeutlichen, dass dezentrale Maßnahmen zur Abflussminderung nicht einer einzigen Akteursgruppe zugeordnet werden können, sondern dass vorbeugender Schutz vor Hochwasser als gesamtgesellschaftliche Aufgabe verstanden werden muss. Dies ergibt sich zwangsläufig daraus, dass beispielsweise die Landwirtschaft nicht Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der Kommunen und die Wasserwirtschaft nicht die Aufgaben der Ländlichen Entwicklung übernehmen kann oder umgekehrt.

Dezentrale Maßnahmen unterscheiden sich wesentlich von den klassischen (zentralen) Hochwasserschutzmaßnahmen, die vor allem punktuell auf eine rasche Ableitung oder eine Eindämmung des Gewässers (z. B. durch Deiche) abzielen. Rasche Ableitung und Eindämmung verbessern zwar die Abflusssituation am beabsichtigten Punkt, auf dem weiteren Fließweg steigt dadurch jedoch grundsätzlich die Hochwassergefahr. Zudem kann keine dieser Maßnahmen, nicht einmal Rückhaltespeicher, die aufgrund der hohen Kosten zudem selten gebaut werden, einen Beitrag zum Wasser- und Stoffrückhalt in dem oberhalb der Anlage liegenden Einzugsgebiet leisten. Dezentrale Hochwasserschutzmaßnahmen gehen den entgegengesetzten Weg und versuchen, das Abfließen von Überschusswasser zu verzögern und im Verbund eine große Fläche unterhalb zu schützen. Durch den Klimawandel ist zu erwarten, dass Starkregen zunehmen und dass ebenfalls lange Wassermangelperioden dazwischen auftreten. Dezentrale Hochwasserschutzmaßnahmen sind auch unter dem Aspekt des Wassermangels die richtige Antwort, weil sie die negativen Wirkungen der Trockenphasen mindern können. Das rasche Ableiten von Überschusswasser verstärkt die Trockenheit dagegen noch weiter.

Zur Wirkung dezentraler Hochwasserschutzmaßnahmen liegen inzwischen viele Erfahrungen vor (siehe Tab. 8.1 im Anhang). Sie bestätigen, dass dezentrale Maßnahmen einen deutlichen und positiven Effekt zur Hochwasser- und Sturzflutvorsorge in kleinen Einzugsgebieten (<50 km2) leisten können. Insbesondere in Gebieten < 10 km2 kann oft ein Schutz vor 20- bis 30-jährlichen Abflussereignissen erreicht werden. In einzelnen Fällen vermochten dezentrale Maßnahmen sogar, den Scheitel eines HQ100-Ereignisses um bis zu 50 % zu reduzieren. Allgemein gilt, dass dezentrale Maßnahmen eher klein sind und ihre Wirkung auf die Abflüsse direkt unterhalb der Maßnahme beschränkt ist. Fließt im weiteren Verlauf weiteres Wasser zu, können sie auf das zusätzliche Wasser keine große Wirkung mehr haben, auch wenn die ursprüngliche Wirkung trotzdem erhalten bleibt. Dies bedeutet, dass viele Maßnahmen im kompletten Einzugsgebiet umgesetzt und kombiniert werden müssen. Durch die Verbundwirkung werden dann aber selbst die Abflüsse größerer Einzugsgebiete beeinflusst.

Die in Tab. 8.1 aufgeführten Studien und Projekte zielen überwiegend auf den dezentralen Rückhalt von Abflussvolumen. Entsprechend werden Rückhaltebecken als effektivste Maßnahme zur Abflussminderung beschrieben [28]. Untersuchungen zur Wirkung abflussverzögernder Maßnahmen erfolgten in der Praxis dagegen bisher nur exemplarisch für wenige Einzelmaßnahmen, z. B. begrünte Abflussmulden [37]. Das liegt daran, dass solche Versuche aufwendig sind, insbesondere, wenn viele dieser Maßnahmen auf Landschaftsebene umgesetzt werden sollen, wodurch Messdaten per se rar sind. Hinzu kommt, dass auch die Abbildung des Oberflächenabflusses bei Starkregen in der Fläche mit hydrodynamischen Modellen in der Vergangenheit nur sehr selten untersucht wurde und hydrologische Modelle das Fließen entlang der Oberfläche (Oberflächenrouting) nicht adäquat abbilden können. Infolge können sowohl viele Einzelansätze als auch deren Verbundwirkung auf Landschaftsebene bislang häufig nicht angemessen beurteilt werden. Aus diesen Gründen wird ihre Bedeutung vermutlich stark unterschätzt. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Metastudie, die die Effektivität von Maßnahmen zum Wasser- und Stoffrückhalt von 101 Studien aus Europa verglichen hat [38]. Dort wird gezeigt, dass der Fokus vielfach auf landwirtschaftlichen Maßnahmen der Bodenbearbeitung liegt, z. B. nicht-wendende oder höhenlinienparallele Bodenbearbeitung, obwohl diese wenig effektiv sind. Effektiver wären Maßnahmen zur Boden- und Vegetationsbedeckung und zur Veränderung der Gebietsstruktur, wie die Anlage von Terrassen, die gleichermaßen auf Volumenrückhalt und Abflussverzögerung wirken. Solche Versuche sind aber wesentlich schwieriger umzusetzen als beispielsweise ein Beregnungs- oder Bodenbearbeitungsversuch. Daher mangelt es gerade bei den vermutlich effektivsten Maßnahmen in unseren Breiten gravierend an Erfahrung.

Obwohl bis heute in Deutschland in keinem größeren Gebiet (50–100 km2) flächendeckend dezentrale Hochwasserschutzmaßnahmen konsequent umgesetzt wurden, wird häufig angenommen, dass ihre Wirkung zur Abflussminderung mit zunehmender Gebietsgröße abnimmt [28]. Diese Annahme entbehrt einer fachlichen Grundlage, da Feldstudien, bei denen in größeren Gebieten konsequent Maßnahmen zur Abflussminderung in der Fläche umgesetzt wurden, fehlen und die Effekte vieler Maßnahmen in Simulationsstudien nicht explizit berücksichtigt werden [8]. Tatsächlich zeigen Erfahrungen aus China das Gegenteil. Dort werden dezentrale Maßnahmen zum Wasser- und Stoffrückhalt seit den 1950er-Jahren auf politische Anordnung hin großflächig im Lössplateau umgesetzt [39]. In der bisher besten und umfassendsten Studie dazu belegen Messwerte, dass die Sedimentfracht im zweitgrößten Fluss Chinas, dem Gelben Fluss (Huang He), gegenüber früher durch dezentrale Maßnahmen stark reduziert werden konnte. Dazu wurden großflächig Terrassen angelegt und viele kleine (durchströmbare) Querbauwerke (engl. „check dams“) entlang von Entwässerungswegen und kleinen seitlichen Bächen und Zuflüssen geschaffen. Dadurch hat die Sedimentmobilisation deutlich (um 30 %) abgenommen und eine Wiederablagerung (um 10 %) innerhalb der Teileinzugsgebiete konnte erreicht werden (Abb. 2.6) [40]. Die Sedimentation konnte dadurch in den zur Wassernutzung angelegten großen Staudämmen wesentlich vermindert und deren Wert erhalten werden. Das ist aus zwei Gründen besonders beachtlich: Zum einen wurden bislang nur 39 % der Fläche terrassiert und auch die Querbauwerke wurden bei Weitem nicht an allen Stellen angelegt, wo dies möglich wäre. Zum zweiten umfasst das chinesische Lössplateau eine Fläche von rund 500.000 km2 und ist damit wesentlich größer als Deutschland. Dezentrale Maßnahmen sind daher selbst auf größter Skala ebenso effizient wie auf kleiner, sofern sie denn flächendeckend und konsequent etabliert werden. Auch wenn die Wirkung der Maßnahmen auf den Abfluss nicht 1:1 übernommen werden kann, so lässt sich doch die Größenordnung der potenziellen Wirkung kleiner Maßnahmen erahnen. Aus Parzellenversuchen ist beispielsweise bekannt, dass Maßnahmen zum Wasser- und Stoffrückhalt den Bodenabtrag um rund 70 % und den Abflussbeiwert um etwa 50 % reduzieren können [41]. Da zusätzlich zur Senkung des Abflussbeiwertes auch noch die Abflussverzögerung hinzukommt, dürfte die Wirkung auf die Hochwasserwelle mindestens so hoch sein wie auf den Stoffrückhalt. Es liegt daher die Vermutung nahe, dass es nur an der fehlenden Umsetzung und nicht an der fehlenden Effizienz liegt, warum verbreitet davon ausgegangen wird, dass dezentrale Maßnahmen in größeren Einzugsgebieten keine Wirkung haben.

Abb. 2.6
figure 6

Sedimentbilanzenfür das chinesische Lössplateau mit einer Fläche von ca. 500.000 km2 am Gelben Fluss in China zwischen den Pegeln Lanzhou und Huayuankou für 1950 (oben) und 2005 (unten) nach Anlage von Terrassen auf 39 % der Fläche, der Anlage von Querbauwerken in Rinnen („check dams“) und der Anlage von zwei großen Stauseen [Daten aus 40]