Offizielles Hauptziel der Einführung des G-DRG-Systems war es, durch die leistungsgerechte und transparente Vergütung eine (i) wirtschaftlichere Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen zu ermöglichen, (ii) mehr Transparenz über Leistungen und Kosten der Krankenhäuser zu erhalten sowie (iii) die Ausgaben der GKV durch Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven zu stabilisieren. Daraus abgeleitet erwartete man sich (iv) eine Verkürzung der Verweildauer der Patienten im Krankenhaus, (v) mehr Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander sowie (vi) eine Förderung des Strukturwandels. Über allem aber stand das Prinzip: „Geld folgt Leistung“ (Friedrich et al. 2010; Tuschen 2007).
Wie die diagnoseorientierten Fallpauschalen das deutsche Gesundheitssystem verändert haben und ob es zu den gewünschten Effekten kam, ist Gegenstand einer breiten sowohl gesellschaftlichen als auch wissenschaftlichen Debatte. Die Bilanz fällt dabei – je nach Standpunkt – sehr unterschiedlich aus. Einzelne Akteure warnten schon bei Einführung des Systems vor dramatischen Fehlentwicklungen, hinsichtlich derer sich viele heute auch bestätigt sehen: So herrscht nach Aussagen des Bündnisses „Krankenhaus statt Fabrik“Footnote 2 in den Krankenhäusern Personalnot sowie Über-, Unter- und Fehlversorgung. Bei Entscheidungen über Behandlungen und die Dauer des Krankenhausaufenthaltes sind demnach nicht allein medizinische Kriterien entscheidend, sondern auch, was sich gewinnbringend abrechnen lässt. Immer mehr Krankenhäuser werden deswegen privatisiert, so das Bündnis Krankenhaus statt Fabrik (2018). Auch der deutsche Pflegerat hat u. a. 2009 in einer Art Zwischenbilanz eine dringliche Neujustierung erkannt, v. a. in puncto der Abbildung der Pflegelast und der Pflegequalität im Fallpauschalensystem (Müller 2009). Von Seiten der Ärzteschaft sowie des Deutschen Ethikrats gab und gibt es zum Teil heftige Widerstände gegen das Fallpauschalensystem (siehe u. a. Roeder et al. 2009; Kapitel III „Medizin“; Deutscher Ethikrat 2016 oder Dieterich et al. 2019).
Aus gesundheitsökonomischer Sicht gibt es aber auch andere Stimmen. So verdient demnach die DRG-Einführung Lob und Anerkennung und ist im Kern eine Erfolgsgeschichte (v. Stackelberg 2009; Baum 2009; Leber und Scheller-Kreinsen 2014; Beivers 2018, 2019b). Wesentliche Ziele der DRG-Einführung sind erreicht worden. Dies ist zum großen Teil der Arbeit des InEK zu verdanken, welches national wie auch international hohes Ansehen genießt. Es gibt wohl kein anderes Fallpauschalensystem, das in diesem Detaillierungsgrad und mit dieser Gründlichkeit kalkuliert ist (Augurzky et al. 2018a). In Hinblick auf Transparenz- und Wirtschaftlichkeitsziele hat das G-DRG-System daher eine weitgehend positive Bilanz aufzuweisen. So hat der Wettbewerb zwischen den Kliniken zugenommen (Waehlert et al. 2015; Beivers und Waehlert 2018), unter Beibehaltung einer respektablen Wirtschaftlichkeit (Leber und Scheller-Kreinsen 2014), wie u. a. die Darstellung der EBITDA-MargenFootnote 3 deutscher Kliniken im Zeitverlauf ab dem Jahr 2007 zeigt (Abb. 1.1).
Die unterschiedlichen Wahrnehmungen geben einen ersten Eindruck der kontroversen und nicht immer sachlich geprägten Diskussion. Neben den unterschiedlichen, zum Teil auch politischen und interessengeleiteten heterogenen Ansichten und Einstellungen trägt sicherlich auch die zunehmende Komplexität des DRG-Systems – bedingt u. a. durch eine Vielzahl von Reformen – dazu bei, dass das System für Nicht-Experten immer schwieriger zu durchschauen ist (Dieterich et al. 2019). Diese wahrgenommene „Intransparenz“ des DRG-Systems – als eine Art Nebenwirkung des deutschen „100-Prozent-Ansatzes“ – erschwert eine sachliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Aus diesem Grund untersucht dieser Beitrag die einzelnen, zu Beginn gesetzten Ziele analytisch und empirisch, um eine Bilanz zu ziehen. Daraus können dann bei fehlender Zielerreichung oder Fehlentwicklungen fundierte Verbesserungsvorschläge abgeleitet werden.
1.2.1 Das Ziel der wirtschaftlicheren Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen
In diesem Kontext gilt es zunächst zu klären, was unter einer „wirtschaftlichen Versorgung“ zu verstehen ist. Man kann hier die Mikro- und die Makroebene der Betrachtung unterscheiden. Sicherlich ist es auf Mikroebene – sprich auf der Ebene des einzelnen Krankenhauses – durch die Fallpauschalen zu einem deutlichen Anreiz gekommen, Patienten schneller (d. h. mit einer geringeren Verweildauer) und kostensparender zu behandeln (Geissler et al. 2010; Neubauer 2003a), da die Vergütung nicht mehr pro Tag, sondern pro Fall erfolgt. Demzufolge werden medizinische und pflegerische Entscheidungen auch in einem betriebswirtschaftlichen Kontext getroffen (Dieterich et al. 2019). Da im gegenwärtigen DRG-System die Erlöse vor allem über ärztliche Leistungen erzielt werden, wurden über die Jahre hinweg viele Ärzte eingestellt. Andere Personalgruppen sind bzw. waren weniger erlösrelevant und wurden zumindest in den ersten Jahren nach der DRG-Einführung abgebaut (Augurzky et al. 2019). Zusammen mit notwendigen Prozessoptimierungen zur Verweildauerreduktion und Outsourcing krankenhausferner Dienste agierten viele Kliniken damit insgesamt wirtschaftlicher als zu Zeiten der Selbstkostendeckung.
Auf der Makroebene stellt sich hingegen die Frage, ob zum einen die Ausgaben für die Behandlung der stationären Patienten gesunken sind (was im Folgenden noch genauer dargestellt wird) und ob es zum anderen zu einer Steigerung der Produktivität der Krankenhäuser gekommen ist. Ein erster Blick auf die Makroebene zeigt, dass das Marktvolumen der Krankenhäuser insgesamt kontinuierlich angestiegen ist, und zwar seit der Finanzkrise 2009 stärker als das Bruttoinlandsprodukt (Abb. 1.2).
Auch in Bezug auf die stationären Fallzahlen ist seit 2002 eine jährliche Steigerung der Krankenhauskosten je Fall von 3,2 % bei den Personalkosten und 2,9 % bei den Sachkosten zu beobachten, wie die Auswertungen des Krankenhaus Rating Reports 2019 zeigen. Das lässt nicht unbedingt mehr Wirtschaftlichkeit vermuten. Bei dem Versuch, die Entwicklung der Produktivität darzustellen, kann ein Vergleich der erlösrelevanten Vergütungspunkte (Casemix) mit den ärztlichen Vollkräften genutzt werden. Entgegen der Annahme einer Produktivitätssteigerung sank der Casemix je ärztliche Vollkraft im Zeitraum 2007 bis 2017 über alle Krankenhäuser um zwei Punkte auf 140, anstatt zu steigen. Lag der Wert im Jahr 2009 noch bei 150 Casemixpunkten je ärztliche Vollkraft, ging er im Jahr 2013 auf unter 146 zurück. Nach einem geringfügigen Anstieg im Jahr 2014 sank er 2017 weiter auf 140 Casemixpunkte je ärztlich Vollkraft (Abb. 1.3)Footnote 4. Unterschieden nach Trägerschaft konnten nur bei privaten Kliniken und Universitätskliniken die Casemixpunkte je ärztliche Vollkraft gesteigert werden. Universitätskliniken liegen aufgrund ihrer Besonderheit bei Forschung und Lehre im Schnitt unter 100 Casemixpunkten je ärztliche Vollkraft (Augurzky et al. 2019).
Betrachtet man hingegen die Pflege im Krankenhaus, ergibt sich ein etwas anderes Bild: Hier scheint es zu einer Produktivitätszunahme gekommen zu sein. So ist nach Auswertungen von Augurzky et al. (2016) im Zeitraum von 2006 bis 2014 die Anzahl der Casemixpunkte je Vollkräfte im Pflegedienst um 10 bis 20 % gestiegen. Auch die Analysen der Bertelsmann Stiftung weisen in eine ähnliche Richtung: Während eine Pflegevollkraft im Jahr 2003 in Allgemeinkrankenhäusern statistisch noch 57,3 Behandlungsfälle zu betreuen hatte, waren es 2015 schon 64, was 11,6 % mehr Patienten pro Pflegekraft bedeutet (Bertelsmann Stiftung 2017). Aktuelle Auswertungen weisen dabei auch auf trägerspezifische Unterschiede hin (Augurzky et al. 2018a).
Basierend auf diesen Daten kann folglich nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass es zu einer wirtschaftlicheren Versorgung der Bevölkerung mit stationären Leistungen in toto gekommen ist. Vielmehr ist auf Mikroebene ein heterogenes Abschneiden im Bereich der Produktivität zwischen den einzelnen Berufsgruppen wie auch den Krankenhäusern zu vermuten. Darauf weisen auch die Ergebnisse des Krankenhaus Rating Reports 2019 hin, wonach beispielsweise große Krankenhäuser typischerweise ein besseres Rating als kleine aufweisen. Aber auch ein hoher Grad an Spezialisierung beeinflusst das Rating positiv. Kliniken in freigemeinnütziger und privater Trägerschaft schneiden demnach besser ab als öffentlich-rechtliche Kliniken (Augurzky et al. 2019). Grund dafür dürften auch Unterschiede in der Produktivität der Patientenbehandlung sein.
Ein weiterer Aspekt bzgl. der Wirtschaftlichkeit der Versorgung auf der Makroebene ist die Frage, ob Krankenhäuser – bedingt durch das DRG-System – einen Anreiz haben, Patienten auch stationsersetzend (d. h. ambulant oder teilstationär) zu behandeln. Betrachtet man das wachsende stationäre Behandlungsvolumen, scheint dieses Ziel kaum erreicht worden zu sein. Deswegen ist die ambulant-stationäre Schnittstelle auch oftmals Gegenstand von Prüfungen des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen. Der Abschn. 1.3.2 weiter unten nimmt sich dieser Problematik detaillierter an und zeigt dabei auch Lösungsoptionen auf.
1.2.2 Das Ziel der Transparenz über Leistungen und Kosten der Krankenhäuser
Sicherlich hat das DRG-System zu einer Steigerung der Transparenz über die erbrachten Leistungen und die daraus resultierenden Kosten geführt. Standen zur DRG-Einführung knapp 660 DRGs zur Verfügung, sind es 2019 mit rund 1.320 doppelt so viele. Mit über 1.500 Diagnosecodes (Dreistellige ICD-Codes) und knapp 26.000 Prozedurencodes kann jeder stationäre Krankenhausfall beschrieben werden. Die regelmäßigen Auswertungen und bundesweiten Aufstellungen – z. B. im Rahmen der Begleitforschung durch das InEK oder durch das Statistische Bundesamt – schaffen Transparenz über die Leistungen der Krankenhäuser über die reinen Fallzahlen hinaus. Mit Einführung der Verpflichtung zur Veröffentlichung der strukturierten Qualitätsberichte wurde eine zusätzliche Quelle zur Transparenz über Fall- und Eingriffszahlen und Qualitätsindikatoren geschaffen, die auch für Patienten über diverse Internet-Plattformen zugänglich ist und verständlich aufbereitet wird.
Fraglich ist hingegen, ob die Transparenz über die Qualität der Leistungserbringung wesentlich gestiegen ist. So handelt es sich – ökonomisch betrachtet – bei den derzeitigen DRG-Entgelten um staatlich regulierte Einheitspreise, bei der viele Leistungserbringer kaum einen direkten Anreiz haben, die bestmögliche Qualität sicherzustellen, da sich die Ergebnisqualität der erbrachten Leistung nicht auf ihre Vergütung auswirkt. So haben die DRGs den Nachteil, dass für die Krankenhäuser lediglich die Prozessqualität im Mittelpunkt steht, um mit den kalkulierten Fallpauschalen den Behandlungsprozess finanzieren zu können (vgl. Braun et al. 2008; Geissler et al. 2012; Neubauer und Beivers 2010).
Deshalb ist es angebracht, die Herstellung von Qualität auch über Vergütungsanreize zu steuern, um für die Krankenhäuser einen direkten, monetären Anreiz zu schaffen. Eine direkte Steuerung der Qualität über Vergütungsanreize impliziert jedoch, dass sich die Ergebnisqualität erfassen, messen und bewerten lässt, um dann von den Kostenträgern über entsprechende Entgelte entweder belohnt oder sanktioniert zu werden. Betriebswirtschaftlich betrachtet ist es hingegen die ureigene Aufgabe eines Unternehmens, eine unter Qualitätsaspekten optimale Ressourcenallokation – unter der Restriktion beschränkter Finanzmittel – zu erreichen. In einem aufgrund mangelnder Marktfunktionalität notwendigerweise regulierten und dazu äußerst komplexen Vergütungssystem wie dem DRG-System kann es jedoch passieren, dass die vorherrschenden Preissignale unter dem Aspekt der Versorgungsqualität nicht immer die richtigen Anreize für Krankenhäuser setzen. Das im Status quo regulierte Vergütungs- bzw. Preissystem sollte daher sinnvoll ausgebaut werden und nach Augurzky et al. (2018a) auch um weitere Qualitätsaspekte ergänzt werden. Dabei sollte neben der medizinischen Ergebnisqualität beispielsweise auch die Pflegequalität als weitere Zielgröße in Betracht gezogen werden (Augurzky et al. 2018a).
1.2.3 Das Ziel der Stabilisierung der GKV-Ausgaben durch Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven
Dieser Punkt kann relativ kurz und deutlich erörtert werden: Betrachtet man die Ausgabendynamik der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im stationären Bereich pro Versicherten, so ist eindeutig festzustellen, dass das damalige Ziel der Ausgabenreduktion deutlich verfehlt wurde (Abb. 1.4).
Zwar ist es retrospektiv schwierig abzuschätzen, wie sich die Ausgaben ohne die DRGs entwickelt hätten. Doch kann dieser Befund für sich genommen nicht befriedigen. Aus gesundheitsökonomischer Sicht sollte ein wichtiges Ziel sein, diese Ausgabenentwicklung zu dämpfen. Denn die geburtenstarken Jahrgänge werden schon bald aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Der große „Rentenansturm“ ist im Laufe der 2020er-Jahre zu erwarten und mithin auch eine wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen, bei einer gleichzeitig relativ sinkenden Grundlohnsumme – und somit relativ schrumpfenden Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung (Augurzky und Beivers 2019). Umso wichtiger ist es, die Ausgabenentwicklung bereits heute durch das Vergütungssystem effektiv zu lenken.
1.2.4 Das Ziel der Verkürzung der Verweildauer der Patienten im Krankenhaus
Seit 1999 hat sich die durchschnittliche Verweildauer um 26,5 % reduziert (Abb. 1.5). Dieser Rückgang begann schon vor Einführung des DRG-Systems mit der Einführung der ersten Fallpauschalen. Seit 2004 lässt sich entgegen den Erwartungen sogar eine leichte Verlangsamung des Rückgangs erkennen. Gründe hierfür könnten sein, dass erstens stationäre Fälle mit kurzer Verweildauer verstärkt ambulant erbracht werden und zweitens der Anteil älterer Patienten mit durchschnittlich längerer Verweildauer zunimmt. Der starke Rückgang der Verweildauer führte zwischen 1999 und 2006 trotz steigender Zahl der Fälle zu einem beachtlichen Rückgang der Belegungstage. Seit 2007 bewegt sich die Zahl der Belegungstage jedoch relativ unverändert bei 142 Mio. Offenbar wurde die rückläufige Verweildauer exakt durch eine steigende Zahl an Fällen kompensiert (Augurzky et al. 2019).
Die gewünschte Verweildauerreduktion ist also zumindest teilweise eingetreten; es ist jedoch – gerade hinsichtlich der Fallzahlsteigerung (zumindest vor dem Krankenhausstrukturgesetz (KHSG)) – zu neuen Anreizen gekommen. Den Anreiz zur Mengenausweitung haben die verschiedensten wissenschaftlichen Studien untersucht (u. a. RWI 2012; Schreyögg 2014; Reifferscheid et al. 2012; Mostert et al. 2012; Lüngen und Büscher 2012). Es ist daher nach Reifferscheid et al. (2012) anzunehmen, dass sich die monetären Anreize der DRG-Vergütungssystematik maßgeblich auf die Entscheidungen des Krankenhausmanagements auswirken. Hinzu kommt, dass es im DRG-System für ein Krankenhaus den Anreiz gibt, mehrere erforderliche Eingriffe nicht im Zuge nur eines Krankenhausaufenthalts, sondern nach medizinischer Möglichkeit auf verschiedene Aufenthalte bzw. Krankenhausfälle zu verteilen.
Zu einem ganz ähnlichen Ergebnis kommt auch die Studie „Mengenentwicklung und Mengensteuerung stationärer Leistungen“ des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, die auf Grundlage der Daten nach § 21 KHEntgG den Anstieg des Casemix im Zeitraum von 2006 bis 2010 detailliert beleuchtet (RWI 2012). Daher hat sich nicht zuletzt die Gesundheitspolitik via KHSG dieses Themas angenommen und u. a. durch eine gezielte Absenkung von Bewertungsrelationen in einzelnen Indikationsgebieten wie v. a. auch durch den sogenannten Fixkostendegressionsabschlag (FDA) versucht, die Leistungsentwicklung zu steuern. Dies scheint Steuerungseffekte zu zeigen: So ist nun erstmals im Jahr 2018 ein Rückgang des Casemix-Volumens im deutschen Krankenhausmarkt zu verzeichnen.
1.2.5 Das Ziel der Förderung des Wettbewerbs der Krankenhäuser untereinander
Der v. a. bis zum Jahr 2009 zu beobachtende Abbau von Krankenhausbetten kann als Folge einer gestiegenen Wettbewerbsintensität interpretiert werden. Auch die Zahl der Krankenhäuser (Institutionskennziffern) verringerte sich seit 1999 um 13,8 % und seit 2003 um 11,6 % (Abb. 1.6). Parallel zu dieser Entwicklung war gerade zu Beginn der Fallpauschalen-Einführung ein vermehrter Trägerwechsel von Krankenhäusern hin zu privaten, gewinnorientierten Unternehmen zu beobachten (Abb. 1.7).
Die Privatisierung von Krankenhäusern wird seit Anfang der 1990iger Jahre kontrovers diskutiert. Zur Versachlichung der Debatte wurden in den Jahren 2009, 2012 und 2015 Faktenbücher zur Bedeutung der Krankenhäuser in privater Trägerschaft erstellt (Augurzky et al. 2018a). Sie zeigen u. a. den gestiegenen Wettbewerb der Krankenhausträger auf. Dies dürfte ein Effekt der Fallpauschalen-Einführung sein. Die Analysen verdeutlichen aber auch, dass bei gleichem Ressourceneinsatz private Träger – gemessen in Casemixpunkten – eine höhere Leistungsmenge als andere Träger erreichen. Sicherlich lassen sich daraus keine pauschalen Rückschüsse auf die Versorgungsqualität ableiten. Es zeigt sich darüber hinaus, dass private Krankenhäuser die geringsten Kosten und höchsten Investitionen je Casemixpunkt aufweisen. Seit 2012 stagnieren jedoch die Marktanteile der verschiedenen Trägerschaften weitgehend auf ihrem Niveau von 2011.
Parallel zur Kapazitätsreduktion und zu den Trägerwechseln ging die Bettenauslastung von 1999 bis 2005 von 81,1 auf 74,9 % zurück. Im Jahr 2017 lag sie bei 77,8 %. Bezogen auf eine maximale Auslastung von 85 % schätzt das RWI daher die Bettenüberkapazität für 2017 auf 8,5 % (Augurzky et al. 2019). Gemäß dieser Annahme könnten in Bezug auf Krankenhausstandorte rund 16 % geschlossen werden, wenn man die Krankenhausdichte Sachsens zugrunde legte. Das Bundesland Sachsen eignet sich in diesem Zusammenhang deswegen so gut als Benchmark, weil nicht nur die wirtschaftliche Lage der sächsischen Krankenhäuser bundesweit die Beste ist, sondern auch, weil die Kapitalausstattung sowie die Krankenhausstrukturen im innerdeutschen Vergleich als gut zu bezeichnen sind, wenngleich es im internationalen Vergleich trotzdem Verbesserungspotenziale gäbe (Augurzky et al. 2017). Andere Studien verweisen hier u. a. auch auf die Niederlande, die hinsichtlich der Bevölkerungszahl und Fläche mit Nordrhein-Westfalen vergleichbar sind, aber rund zwei Drittel weniger Krankenhäuser vorhalten, sowie auf Dänemark, das derzeit eine umfangreiche Zentralisierung seiner Krankenhausversorgung umsetzt (Hacker 2016; Geissler et al. 2010; Bertelsmann Stiftung 2019). Würde eines dieser Länder als Benchmark gewählt, könnte die Krankenhausdichte in Deutschland noch deutlich niedriger angesetzt werden. Jedoch ist der regulatorische Rahmen zwischen den OECD-Ländern sehr unterschiedlich, was die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit auf Deutschland einschränkt.
Der im Status quo in Deutschland vorzufindende Kapazitätsüberhang und die ökonomische Notwendigkeit der Fallzahlsteigerung in Kombination mit dem gestiegenen Qualitätsbewusstsein und Anspruchsverhalten der Patienten führen zu einem zunehmenden Konkurrenzdruck zwischen den Krankenhäusern (Hacker 2016; Bertelsmann Stiftung 2019; Dieterich et al. 2019). Neben der Zentralisierung und Verbundbildung versuchen die Krankenhäuser auch durch einen so genannten Innovationswettbewerb, d. h. die Vorhaltung von attraktiven Spezialzentren oder besonders minimalinvasiver Operationsverfahren, eine Steigerung der Patientenzahl zu generieren (Reifferscheid et al. 2012; Lüngen und Büscher 2012; Beivers 2010). So konkurrieren Krankenhäuser nicht nur auf der jeweiligen Versorgungsstufe miteinander, was Neubauer als horizontalen Wettbewerb bezeichnet, sondern auch auf unterschiedlicher Versorgungsstufe, dem so genannten vertikalen Wettbewerb (Neubauer 2002b; Neubauer und Beivers 2010; Neubauer et al. 2011). Somit unterwandern die Patienten die staatlich vorgesehene Krankenhaushierarchieplanung, was diese – zumindest zum Teil – obsolet erscheinen lässt. Durch den vertikalen Wettbewerb kommt es darüber hinaus zu einer Vorhaltung von Doppelkapazitäten.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Ziel einer höheren Wettbewerbsintensität zwischen den Krankenhäusern zwar erreicht wurde, aber gleichzeitig nur zu einem unterproportionalen Abbau redundanter Strukturen geführt hat.
1.2.6 Das Ziel der Förderung des Strukturwandels
Die DRG-Einführung war so angelegt, dass es zu Gewinnern und Verlieren kommt (Dieterich et al. 2019), was indirekt zu einem Strukturwandel der Krankenauslandschaft führen sollte. Inwiefern dieser Strukturwandel tatsächlich eingetreten ist und ob er zu gewünschten, neuen und bedarfsgerechten Versorgungsstrukturen geführt hat, ist kritisch zu hinterfragen.
Dies wirft die Frage nach einer Neujustierung bzw. einem ordnungspolitischen Anpassungsbedarf der G-DRG-Vergütungssystematik mit neuen Anreizen auf. (Roeder et al. 2007; Geissler et al. 2012; Braun et al. 2008). So tragen die Krankenhäuser unter DRG-Bedingungen die Kostenverantwortung für die Leistungserstellung und dürfen daher die wirtschaftlichen Aspekte nicht aus den Augen verlieren. Viele der sich potenziell durch den deutschen Weg der DRG-Einführung ergebenden Fehlanreize wurden schon in den 1990er-Jahren diskutiert. Sicherlich war und ist es ein hehres und vielleicht zu hoch gestecktes Ziel, primär mit der Einführung eines neuen Vergütungssystems die von der Gesundheitspolitik erkannten Strukturprobleme lösen zu wollen. Dies kann ein Fallpauschalensystem allein nicht erbringen. Nicht zuletzt deswegen hat der Gesetzgeber u. a. durch das KHSG und der Einführung des StrukturfondsFootnote 5 versucht, den angesprochen Wandel in die politisch gewünschte Richtung zu lenken.
Beispielsweise wurden die Mittel des Strukturfonds bis dato stark nachgefragt. Gemessen an den Anträgen, die bei den Bundesländern eingingen, waren sie mehr als zweifach „überzeichnet“. Bis Ende Mai 2018 wurden rund 80 % der zur Verfügung stehenden Mittel vom Bundesversicherungsamt bewilligt. Dabei entfielen 5 % auf die „Schließung“, 6 % auf „Umwandlung“ und 89 % auf „Konzentration“. Insgesamt beinhalten die bewilligten Projekte einen Abbau von 5.290 Betten. Davon werden 2.460 Betten an anderer Stelle wiederaufgebaut, sodass sich ein Netto-Abbau von 2.830 Betten ergibt. Die Mittel des Strukturfonds reichen aber nicht aus, um in Deutschland eine optimale Struktur der Krankenhäuser zu erreichen. Will man etwa die bereits erwähnte günstigere Struktur Sachsens erreichen, wären dafür ca. 11 Mrd. € nötig. Bundesweit müssten dann rund 280 Standorte geschlossen werden. Tatsächlich erreicht der Strukturfonds davon bereits etwa ein Zehntel, was näherungsweise der Relation der derzeit eingesetzten Mittel zu den dafür insgesamt benötigten Mitteln entspricht. Die beschlossene Fortführung des Strukturfonds ist daher sinnvoll. Doch es gibt Verbesserungspotenzial. Ordnungspolitisch richtig wäre es, dafür Steuermittel einzusetzen statt Mittel aus dem Gesundheitsfonds. Zudem ließe sich durch wettbewerbliche Elemente eine effizientere Allokation der Fondsmittel erreichen: Krankenhausträger sollten selbst in einem Wettbewerbsverfahren Anträge auf Mittel des Strukturfonds stellen können und diejenigen mit den besten Kosten-Nutzen-Relationen den Zuschlag erhalten (Augurzky et al. 2019).