1 Einführung

Die Medizin kennt nur wenige kurative Ansätze, wie zum Beispiel die Heilung eines Knochenbruchs oder einer Infektion. Die meisten medizinischen Ansätze stellen auf die Symptome und nicht auf die Ursache ab. Das ändert sich mit der regenerativen Medizin. Aus humanen pluripotenten Stammzellen können zum Beispiel Herzmuskelzellen entstehen, die nach einem Herzinfarkt den betroffenen Ventrikel regenerieren.Footnote 1 Diabetiker hoffen auf Insulin-produzierende Betazellen. Manches klingt noch wie Science Fiction, aber bereits heute sind schon zellbasierte Produkte zur Therapie zugelassen (z. B. Strimvelis oder Holoclar). Humane induzierte pluripotente Stammzellen (hiPS-Zellen) gelten in diesem Zusammenhang als eine Schlüsseltechnologie.

Jedes allogene Gewebeprodukt beginnt mit einer Spende von Blut oder Gewebe.Footnote 2 Das gilt auch für hiPS-Zell-basierte Produkte. Die Spende von Körpermaterialien verpflichtet die handelnden Personen, ob natürlich oder juristisch, das Beste aus jeder einzelnen Spende zu machen. Die Gewebespende muss darüber hinaus Rücksicht nehmen auf die Spender und ihre Angehörigen, insbesondere im Zusammenhang mit dem fortwirkenden Persönlichkeitsrecht des Spenders. Diese Rücksichtnahme gewinnt an Bedeutung, je weniger eigenständig der Spender ist und je invasiver sich die Spende auf den Spender auswirkt. Die Spende von einem gesunden, mental gefestigten Spender, dem Blut abgenommen wird, kann gegebenenfalls anders bewertet werden als eine postmortale, invasiv entnommene Gewebespende, in die Angehörige in einer belastenden Situation einwilligen.Footnote 3 Die Besonderheiten der Spende von Keimbahnzellen sollen in diesem Aufsatz außen vor gelassen werden. Die autologe Spende, die weit weniger problembeladen ist, soll nur am Rande erwähnt werden.

Die Abgabe von Geweben an Dritte ist ein gesetzlich und ethisch komplexes Feld.Footnote 4 Daraus erwachsen erhebliche wirtschaftliche Risiken. Auf den ersten Blick scheint die Aufgabe einfach: die gespendeten Gewebe sollten die Einrichtungen erreichen, die medizinisch nachgefragte Produkte herstellen.Footnote 5 In einer idealen Welt sind Gewebespenden unbegrenzt verfügbar und ungehindert verteilbar. In der Realität sind viele Gewebe rare Güter, deren Entnahmen, Abgabe an Dritte und deren Austausch in der Europäischen Union durch in nationales Recht umgesetzte europäische Normen eingeschränkt wird.

Die Be- und Verarbeitung von Geweben ist also in einem hohen Maße durch gesetzliche und technische Standards reguliert. Die hohen Standards dienen dem Schutz der Spender, die durch die Spende keine Nachteile erfahren sollen, der Sicherheit der Mitarbeiter, die mit potenziell infektiösem Material arbeiten und der Patienten, die mit sicheren Gewebeprodukten behandelt werden sollen. Die Verfahren müssen so ausgelegt sein, dass mit den Spenden nur die eingewilligten Ziele verfolgt werden. Der hohe Organisationsgrad in pharmazeutischen Unternehmen, detaillierte Normen und die ständige interne und externe Auditierung lässt bei der Be- und Verarbeitung kaum Spielraum, der zu ethischen Konflikten führen könnte, sofern Normen und Gesetze eingehalten werden. Fragestellungen, die sich aus der Be- und Verarbeitung ergeben könnten, werden daher hier nicht diskutiert. Auch Fragestellungen zu gewerblichen Schutzrechten bleiben außen vor, die ein eigenes komplexes Thema sind, über welches bereits vielfach publiziert wurde.Footnote 6

Der EU-Gesetzgeber unterscheidet zwischen einer substanziellen und nicht-substanziellen Be- und Verarbeitung von Geweben.Footnote 7 Produkte, die mit nicht-substanziell verändernden Methoden hergestellt wurden, wie zum Beispiel Zellen, aus denen hiPS-Zell-Linien entstehen sollen, bleiben Gewebe, für die ein sehr weitgehendes Handelsverbot gilt. Produkte, die mit substanziell verändernden Methoden hergestellt wurden, wie zum Beispiel hiPS-Zell-basierte-Produkte, transformieren zu Arzneimitteln für neuartige Therapien (auch Advanced Therapy Medicinal Products, ATMP), die vom Handelsverbot ausgeschlossen sind.

Die öffentliche Hand investiert hohe Summen in die Stammzell-Technologie: Allein das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert jährlich Projekte in Höhe von circa 25 Millionen Euro.Footnote 8 Hinzu kommen Investitionen aus der Europäischen Union und von Unternehmen. Diesem Kapitaleinsatz steht eine Gewinnerwartung gegenüber, sei es um die eingegangenen Risiken zu kompensieren oder um Steuereinnahmen zu generieren, die wiederum in neue Ansätze der Zukunftssicherung investiert werden können. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie hoch ein Gewinn ausfallen darf, um den altruistischen Gedanken der Gewebespende nicht zu kompromittieren, oder ob überhaupt Gewinn gemacht werden darf.Footnote 9

2 Der Bedarf von hiPS-Zellen und Geweben

Der medizinische Bedarf an hiPS-Zellen ist wahrscheinlich so mannigfaltig wie es Krankheiten gibt, die auf zellulären Fehlfunktionen basieren. Für jedes einzelne hiPS-Zell-basierte Therapeutikum gelten hohe Qualitätsansprüche. Das stellt Behörden und Unternehmen vor große Herausforderungen. Ein chemisch definiertes Medikament kann sehr genau auf Zusammensetzung, Reinheit, Sterilität etc. geprüft werden. Lebende Zellen sind nur unzureichend mit chemisch-physikalischen Methoden beschreibbar. Bei diesen Produkten erhalten die Herkunft und die angewandten Methoden eine besondere Bedeutung bei der Beurteilung der Qualität.

Bereits die Stammzell-Linien, auf denen hiPS-Zellen aufbauen, müssen in einem sehr hohen Maße charakterisiert sein. Die Qualitätsansprüche umfassen die Prüfung auf Immunogenität, Kanzerogenität und andere Parameter. Um die Problematik der Immunogenität zu umgehen, könnten autologe Zellen verwendet werden. Die Verwendung von autologen Zellen ist immer dann sinnvoll, wenn diese nicht modifiziert, sondern lediglich expandiert werden müssen. Dieser Ansatz ist für bestimmte Zelltherapien, zum Beispiel dem Knorpelersatz, bereits etabliert. Bei hiPS-Zell-Linien ist die Situation anders. Für jeden Patienten müsste innerhalb eines therapeutischen Zeitfensters zunächst eine individuelle hiPS-Zell-Linie etabliert und charakterisiert werden. Die hiPS-Zell-Linie wird dann in die therapeutischen Zellen, zum Beispiel Kardiomyozyten, differenziert und gegebenenfalls expandiert. Die etablierten Standards, mit denen die geforderte Qualität für die hiPS-Zell-Linien und die Kardiomyozyten nachgewiesen wird und die aufwändige Begutachtung der Qualitätsnachweise sind weder schnell noch effektiv und binden neben Zeit auch große Mengen Kapital.

Daher liegt der Gedanke nahe, eine hinreichend große Zahl von hiPS-Zell-Linien zu etablieren und zu charakterisieren, die der immunologischen Variabilität möglichst vieler Patienten Rechnung trägt. Hochrechnungen, die auf der Untersuchung embryonaler Stammzellen basieren, zeigen, dass wenige hundert Stammzell-Linien ausreichen könnten, um einen Großteil der Patienten immunologisch verträglich zu therapieren.Footnote 10

Voll charakterisierte und freigegebene hiPS-Zell-Linien werden als Master Cell Banks in geeigneter Form gelagert, zumeist bei sehr tiefen Temperaturen verglast. Aus den Master Cell Banks werden Working Cell Banks angelegt, die schließlich in die gewünschten Zellen differenziert werden. Die Zellbanken werden also verbraucht und müssen von Zeit zu Zeit erneuert, also wieder aus Gewebespenden gewonnen werden. Stammzell-Linien, die unbegrenzt vermehrt werden können, stellen im therapeutischen Zusammenhang eher ein Risiko dar, da diese Stammzell-Linien auf ein kanzerogenes Potenzial hinweisen.

Sollte sich die allogene hiPS-Zell-Technologie durchsetzen, wird es einen Bedarf an Gewebespenden geben, um das immunologische Spektrum bei allen Herstellern von hiPS-Zell-Linien zu gewährleisten und um die verbrauchten Stammzell-Linien regelmäßig zu ersetzen. Nachfolgend sollen die bestehenden Ansätze dargestellt und abschließend die Herausforderungen aus unternehmerischer Sicht benannt werden.

3 Rahmenbedingungen der WHO, des Europarates und der Europäischen Union

3.1 WHO Guiding Principles

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat in 2010 insgesamt elf Guiding Principles für die Gewebe- und Organspende formuliert, von denen sechs direkte Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln haben können.Footnote 11 Die relevanten WHO Guiding Principles werden nachfolgend wortgetreu wiedergegeben und erläutert.

Guiding Principle 5: „Cells, tissues and organs should only be donated freely, without any monetary payment or other reward of monetary value. Purchasing, or offering to purchase, cells, tissues or organs for transplantation, or their sale by living persons or by the next of kin for deceased persons, should be banned. The prohibition on sale or purchase of cells, tissues and organs does not preclude reimbursing reasonable and verifiable expenses incurred by the donor, including loss of income, or paying the costs of recovering, processing, preserving and supplying human cells, tissues or organs for transplantation“.Footnote 12

Danach ist es verboten, für die Spende an sich, also das Gewebe oder das Organ, eine Bezahlung zu leisten. Die größten Gefahren sieht die WHO bei der Ausbeutung der Ärmsten, die zu einer Ressource für die Organspende degradiert werden können. Die WHO sieht aber auch Gefahren, wenn Zahlungen für Gewebe und Organe an Angehörige verstorbener Personen, an Verkäufer, Makler oder Institutionen mit Zugang zu Leichen geleistet werden. Davon grenzt die WHO die Entschädigungen für die Kosten der Spende ab sowie die Kosten, die entstehen, um die Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit von menschlichen Zell- und Gewebeprodukten und Organen für die Transplantation zu gewährleisten. Diese Kosten sind legitim, solange der menschliche Körper und seine Teile als solche nicht zu einem finanziellen Gewinn führen. Hier orientiert sich der weitgehende supranationale Konsens an den Maßgaben einer Kantischen Ethik, die den Menschen stets als Zweck, und nie als Mittel zum Zweck sehen will.

Guiding Principle 6: „Promotion of altruistic donation of human cells, tissues or organs by means of advertisement or public appeal may be undertaken in accordance with domestic regulation. Advertising the need for or availability of cells, tissues or organs, with a view to offering or seeking payment to individuals for their cells, tissues or organs, or, to the next of kin, where the individual is deceased, should be prohibited. Brokering that involves payment to such individuals or to third parties should also be prohibited“.Footnote 13

Das Verbot betrifft jegliche Werbung, die potenziellen Spendern, deren Angehörigen oder anderen im Besitz befindlichen Personen (z. B. Bestattern) für die Beschaffung von Geweben oder Organen Vorteile versprechen.

Guiding Principle 8: „All health-care facilities and professionals involved in cell, tissue or organ procurement and transplantation procedures should be prohibited from receiving any payment that exceeds the justifiable fee for the services rendered“.Footnote 14

Diese Bestimmung stärkt vorherige Leitsätze, indem sie ungerechtfertigte Entgelte bei der Gewinnung und Implantation von Geweben und Organen verbietet. Die WHO spricht in dem erklärenden Kommentar von „profiteering“, also von Wucher.Footnote 15 Die Entgelte sollten sich an vergleichbaren Dienstleistungen orientieren und staatlich überwacht werden.

Guiding Principle 9: „The allocation of organs, cells and tissues should be guided by clinical criteria and ethical norms, not financial or other considerations. Allocation rules, defined by appropriately constituted committees, should be equitable, externally justified, and transparent“.Footnote 16

Die WHO beschreibt sehr konkret, wie die Zuteilung gesteuert werden soll: Entsprechen die Spendenquoten nicht der klinischen Nachfrage, so sollten die Zuteilungskriterien auf nationaler oder subregionaler Ebene von einem Ausschuss festgelegt werden, dem Experten der relevanten medizinischen Fachrichtungen, der Bioethik und der öffentlichen Gesundheit angehören. Eine solche Interdisziplinarität ist wichtig, um sicherzustellen, dass bei der Zuteilung nicht nur medizinische Faktoren, sondern auch gemeinschaftliche Werte und allgemeine ethische Regeln berücksichtigt werden. Die Kriterien für die Verteilung von Zellen, Geweben und Organen sollten im Einklang mit den Menschenrechten stehen und insbesondere nicht auf Geschlecht, Rasse, Religion oder wirtschaftlicher Lage des Empfängers beruhen. Dieser Grundsatz bedeutet auch, dass kein Empfänger allein aus finanziellen Gründen ausgeschlossen werden sollte.

Guiding Principle 10: „High-quality, safe and efficacious procedures are essential for donors and recipients alike. The long-term outcomes of cell, tissue and organ donation and transplantation should be assessed for the living donor as well as the recipient in order to document benefit and harm. The level of safety, efficacy and quality of human cells, tissues and organs for transplantation, as health products of an exceptional nature, must be maintained and optimized on an ongoing basis. This requires implementation of quality systems including traceability and vigilance, with adverse events and reactions reported, both nationally and for exported human products“.Footnote 17

Die WHO fordert immer da, wo es sinnvoll ist, eine systematische und rationale Nachverfolgung von Spendern und Patienten, um eine fundierte Risiko-Nutzen-Abwägung treffen zu können.

Guiding Principle 11: „The organization and execution of donation and transplantation activities, as well as their clinical results, must be transparent and open to scrutiny, while ensuring that the personal anonymity and privacy of donors and recipients are always protected”.Footnote 18

Die geforderte Transparenz umfasst barrierefreie, aktuelle und aussagekräftige Informationen zu relevanten Prozessen, insbesondere zur Allokation, zu Transplantationstätigkeiten und -ergebnissen sowie zur Organisation einschließlich finanzieller Informationen. Die Informationen dienen der wissenschaftlichen Auswertung, der staatlichen Kontrolle und dem Risikomanagement, um Spender und Patienten vor Schäden zu bewahren.

3.2 Europarat

Der Europarat (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat oder dem Rat der Europäischen Union), ist eine 1949 gegründete Organisation, die zurzeit 47 Mitgliedsstaaten zählt und sich zur Aufgabe gemacht hat, einen engeren Zusammenschluss unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen.Footnote 19 Deutschland ist seit 1951 Vollmitglied des Europarates. Der Europarat äußert sich regelmäßig zur Verwendung von menschlichen Zellen und Geweben.Footnote 20 Grundlegende ethische Fragestellungen werden in dem Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin: Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin (die Oviedo-Konvention)Footnote 21 erörtert. Dort heißt es kurz und bündig in Artikel 21, Verbot finanziellen Gewinns:

„The human body and its parts shall not, as such, give rise to financial gain“.

Der Europarat erklärt in einem erläuternden Bericht diesen Grundsatz:

„(…) Nach dieser Bestimmung sollten Organe und Gewebe als solche, darunter auch Blut, weder gekauft noch verkauft werden, noch der Person, der sie entnommen worden sind, noch einem Dritten, (…), zu finanziellen Gewinnen verhelfen können. Dagegen können technische Handlungen (wie Probenahme, Durchführung von Tests, Konservierung, Ansatz von Kulturen, Transport … etc.), die mit diesen Körperteilen vorgenommen werden, rechtmäßigerweise Gegenstand einer angemessenen Vergütung sein. So untersagt dieser Artikel z. B. nicht den Verkauf von Gewebeteilen, die Bestandteil einer medizinischen Vorrichtung sind oder Herstellungsprozessen unterlagen, solange das Gewebe nicht als solches verkauft wird.“Footnote 22

Die Oviedo-Konvention ist sowohl von Deutschland als auch von einer ganzen Reihe anderer führender europäischer Mitgliedsstaaten schlussendlich nicht ratifiziert worden und entfaltet somit in diesen Staaten auch keine direkt bindende rechtliche Wirkung. Gleichzeitig ist es naheliegend, dass bei der Interpretation von grundsätzlichen menschenrechtlichen Fragen auf Basis der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäischen Menschenrechtskonvention) die Erwägungen der Oviedo-Konvention Einfluss auf die Interpretation durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat. Das European Directorate for the Quality in Medicine (EDQM), eine Organisation des Europarates, ist Herausgeberin der Europäischen Pharmakopöe, dem europäischen Referenzwerk für die Qualität pharmazeutischer Produkte.Footnote 23 Das EDQM ist auch Herausgeberin des Guide to the quality and safety of tissues and cells for human application (nachfolgend „Leitfaden“ genannt), welcher regelmäßig überarbeitet und erweitert wird.Footnote 24 Jeder Neuauflage des Leitfadens geht eine Public Consultation Phase voraus, in der zu konstruktiven Änderungen am Text eingeladen wird.Footnote 25 Mit der dritten Auflage wurde der Leitfaden um das Kapitel „Developing Applications“ erweitert, welches auf die ATMP eingeht. Es darf erwartet werden, dass dieses Kapitel in den nächsten Jahren deutlich detaillierter ausgestaltet wird, da hier die größte Dynamik zu erwarten ist.

Der Leitfaden formuliert konkrete technische Empfehlungen. Er hat keine Gesetzeskraft und wird daher in einigen Staaten, wie zum Beispiel in Deutschland, eher als ein Diskussionsbeitrag ohne bindende Wirkung gesehen. Andere Staaten, wie zum Beispiel Österreich, betrachten die technischen Spezifikationen als normativ weisend. Diese Entwicklung hat für Unternehmen, die Gewebeprodukte in Europa vertreiben möchten, praktische Auswirkungen. Bei der Frage, wie die Motivation zu spenden erhöht und die Leistungen bei der Be- und Verarbeitung der Gewebespenden erstattet werden können, verweist der Leitfaden auf die Oviedo-Konvention:

„(…) Nevertheless, it is essential to recall the Oviedo Convention which, in Article 21, clearly states that the human body and its parts must not, as such, give rise to financial gain. This notion is reiterated in the Additional Protocol to that Convention, which also clearly states in its Article 21 that the human body and its parts must not, as such, give rise to financial gain or comparable advantage. The aforementioned provision does not prevent payments that do not constitute a financial gain or a comparable advantage, in particular: (a) compensation of living donors for loss of earnings and any other justifiable expenses caused by the removal or by the related medical examinations; (b) payment of a justifiable fee for legitimate medical or related technical services rendered in connection with transplantation; (c) compensation in cases of undue damage resulting from the removal of tissues or cells from living persons. In the donation of any tissue or cell, removal of barriers to donation must not render a decision to donate non-altruistic.“Footnote 26

Der Leitfaden belässt es bei der Diskussion der Allokationskriterien beim allgemeinen Appell, dass diese „(…) equitable, externally justified and transparent“ sein sollen.Footnote 27 Teil B des Leitfadens diskutiert sehr detailliert die praktische Anwendung der Regeln für Sicherheit und Qualität auf einzelne Gewebe. Konkrete Ausführungsbeispiele für die Allokation werden nicht ausgeführt. Das mag auch daran liegen, dass bei der Ausarbeitung des Leitfadens vor allem Regulatoren und Vertreter von Gewebebanken mitwirken, jedoch keine Patientenorganisationen, medizinische Fachgesellschaften oder Ethiker.Footnote 28

3.3 Europäische Union

Es gibt zahlreiche Richtlinien der Europäischen Union zur Gewebespende, die umfassend technische und organisatorische Maßnahmen beschreiben, um die Qualität von Geweben und die Sicherheit für Spender und Patienten zu gewährleisten.Footnote 29 Dabei hat die Europäische Kommission zum Teil technische Anforderungen gestellt, die viele potenzielle Spender ausschließt. Grundsätzlich werden zum Beispiel Spender mit einer Tumorerkrankung, auch wenn diese abgeklungen ist, explizit von der Spende ausgeschlossen.Footnote 30 Dem liegt der nachvollziehbare Gedanke zugrunde, dass kein Patient der Gefahr einer Tumortransmission ausgesetzt werden soll. Es werden jedoch zunehmend Möglichkeiten erkannt, Tumorzellen zuverlässig abzutöten oder vom gespendeten Gewebe abzutrennen. Deren Entwicklung wird nicht offensiv vorangetrieben, da die gesetzlichen Rahmenbedingungen eine praktische Anwendung blockieren. So bleiben möglicherweise potenzielle Spender ausgeschlossen und benötigte Spenden können nicht realisiert werden. Ein weiteres Beispiel sind mikrobiell kontaminierte Gewebespenden, die oft durch geeignete Verfahren sterilisiert werden könnten, aber dennoch ausgesondert werden müssen. Hohe Verwurfquoten können zu einer geringen Bedarfsdeckung führen. Eine geringe Bedarfsdeckung führt jedoch immer dazu, dass zwischen Patienten abgewogen werden muss, die das Gewebe erhalten sollen. Diese Beispiele zeigen, dass die Wirkung restriktiver gesetzlicher Vorgaben, die an der technischen Entwicklung vorbeigehen und zu einer Verknappung der Gewebespenden führen können, ethische Fragestellungen bedingen.

§ 72b AMG i.V.m Richtlinie (EU) 2015/566Footnote 31 stellt klar, dass bei der Einfuhr von Geweben und Zellen die gleichen Maßstäbe anzulegen sind, wie bei einer Gewebespende innerhalb der Mitgliedsstaaten. Das betrifft die ethischen Grundlagen ebenso wie die Anforderungen an die Qualität und Sicherheit.Footnote 32

4 Umsetzung in Deutschland

4.1 Qualität und Sicherheit

Alle Richtlinien der Europäischen Union zur Gewebespende wurden in nationales Recht überführt, wobei es jedem Land freisteht, zusätzliche Regeln zu schaffen. In Deutschland wurden die Qualitäts- und Sicherheitsansprüche der europäischen Richtlinien unter anderem im Arzneimittel- und Transplantationsgesetz sowie in entsprechenden Verordnungen umgesetzt, deren Umsetzung und Überwachung mal Bundes- und mal Ländersache sind. Dabei kam es zu Regelungen, die schwer nachvollziehbar sind. Beispielsweise dürfen Untersuchungslabore für die Blutspende keine Gewebespender untersuchen (es sei denn, sie haben eine entsprechende Erlaubnis nach § 20b AMG),Footnote 33 obwohl vergleichbare Qualitätsstandards erfüllt werden müssen. Problematischer ist es, dass die Entnahmeeinrichtung, die das Gewebe entnimmt, alle Untersuchungsergebnisse zusammenführt und schließlich den Spender und die Spende bewertet. Das Bewertungsergebnis kann sehr unterschiedlich ausfallen: Eine Spenderin, die Augenhornhaut spendet, ist gegebenenfalls nicht als Spenderin für Zellen, aus denen hiPS-Zellen generiert werden sollen, geeignet. Ein arbeitsteiliger Prozess, bei dem eine Einrichtung den Spender anamnetisch und makroskopisch bewertet und eine zweite Einrichtung die notwendigen Laboruntersuchungen durchführt und schließlich die Gesamtheit aller Ergebnisse zusammenführt, um über die Freigabe oder Ablehnung der Gewebespende für eine ausgesuchte Anwendung zu befinden, ist nicht zulässig.Footnote 34 Das hat Auswirkungen auf die Organisation der Gewebespende, die nachfolgend diskutiert werden.

4.2 Organisation der Gewebespende

Das im Guiding Principle 6 der WHOFootnote 35 geforderte staatliche Engagement zur Aufklärung der Bevölkerung und zur Erklärung der altruistischen Organ- und Gewebespende ist im § 2 TPGFootnote 36 verankert. Danach sollen Land und Bund ergebnisoffen über die Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende, die Voraussetzungen der Organ- und Gewebeentnahme bei toten Spendern und über die Bedeutung der Organ- und Gewebeübertragung für kranke Menschen aufklären. Eine gesetzliche Pflicht des Bundes zur Aufklärung lebender Spender oder über die Be- und Weiterverarbeitung von Gewebespenden besteht nicht.

Obwohl die gesetzliche Gleichwertigkeit gegeben ist und obwohl die Gewebespende von großer medizinischer Bedeutung ist, misst der Staat dieser in seinem Handeln eine gegenüber der Organspende untergeordnete Rolle bei, die sich in zahlreichen Beispielen zeigt. Die Einwilligung in die postmortale Gewebespende erfolgt in der Regel auf dem Organspendeausweis, der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung herausgegeben wird und mit dem Slogan „Organspende. Die Entscheidung zählt“ beworben wird.Footnote 37 Der Titel dieser Einwilligungserklärung ist irreführend. Erst auf der Rückseite der Ausweisvordrucke erfährt der Spender über die Möglichkeit der postmortalen Gewebespende. Deutschland verfügt über keine nationale Organisation, welche die Gewebespende koordiniert und für gleiche Chancen bei der Gewebespende sorgt. Die Spende wird ausschließlich nicht staatlichen Initiativen überlassen. Damit geht einher, dass es keine strukturelle Förderung der Gewebespende gibt. Ganz im Gegenteil: Einrichtungen, die sich um diese Aufgabe bemühen und eine entsprechende Erlaubnis beantragen, müssen an den Staat Bearbeitungsgebühren in Höhe von bis zu 25.500 EUR leisten.Footnote 38 Hinzu kommen die Kosten für den Unterhalt der Entnahmeeinrichtung, für Personal und regelmäßige Audits.

Die Aufklärung durch die Behörden, insbesondere durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, soll die gesamte Tragweite der Gewebespende umfassen.Footnote 39 Um diesen Anspruch zu erfüllen, wäre sowohl die Einbeziehung lebender Spender als auch eine Aufklärung über die Be- und Verarbeitung von Geweben, zum Beispiel zu hiPS-Zellen, wünschenswert.

Die Organspende ist ein öffentlich präsentes Thema, erreicht aber bisher nur in unzureichendem Maße die potenziellen Spender.Footnote 40 Ungleich problematischer ist die Lage bei der Gewebespende, die nicht öffentlich diskutiert und nicht beworben wird. Viele kennen diese Spendemöglichkeit gar nicht, die niedrigschwelliger sein kann als die Organspende. Die Unkenntnis über die Möglichkeit der Gewebespende schließt viele potenzielle Spender und Spenderinnen aus.

Gewebe werden in medizinischen Einrichtungen gespendet. Diese medizinischen Einrichtungen haben aufgrund der Regelungen zur Freigabe der Spende zur weiteren Be- und Verarbeitung zwei Alternativen sich zu organisieren: (i) Sie werden entweder eine voll integrierte Entnahmeeinrichtung, die sich um den gesamten Prozess von der Ansprache der Spender/innen oder ihrer Angehörigen, der Anamnese, der Entnahme, der makroskopischen Bewertung und der Entscheidung über die Ablehnung oder Annahme zur weiteren Be- und Verarbeitung für Gewebeprodukte kümmert. Dieser Weg bindet organisatorische Kapazität, die sich nur schwer im Klinikalltag organisieren lässt; oder (ii), die medizinische Einrichtung wird eine Betriebsstätte einer Entnahmeeinrichtung, die viele Aufgaben zentralisiert organisieren kann.Footnote 41 Die zweite Alternative ist der in der Praxis bevorzugte Weg. Die größte Entnahmeeinrichtung in Deutschland wird von vier Universitätskliniken betrieben.Footnote 42, Footnote 43Aber auch Unternehmen können Entnahmeeinrichtung oder mit gemeinnützigen Organisation verflochten sein.Footnote 44 Dabei können die Entnahmeeinrichtungen auch unter Namen firmieren, die einen öffentlichen Auftrag suggerieren.

4.3 Verteilungsregeln für Gewebespenden

Bei der Abgabe zur Be- und Verarbeitung an Dritte beschränkt sich die gesetzliche Vorgabe darauf, dass Gewebe nur von Gewebeeinrichtungen angenommen werden dürfen, die eine Erlaubnis nach § 20b AMG haben. Ein Algorithmus für die Verteilung, insbesondere für Gewebe, deren Bedarf das Angebot übersteigt, wird nicht erwartet, erst Recht nicht ein ethisch fundierter. Es existieren weder auf supranationaler, noch auf nationaler oder regionaler Ebene konkrete Verteilungsregeln, die von Entnahmeeinrichtungen, medizinischen Fachgesellschaften, Bioethik, öffentlicher Gesundheit oder von anderen Personen ausgearbeitet wurden.

Um dem Versprechen „das Beste aus einer Spende zu machen“ gerecht zu werden, sollte zumindest jede Entnahmeeinrichtung entsprechend dem Guiding Principle 9 der WHOFootnote 45 Verteilungsregeln aufstellen und veröffentlichen. Diese Form der Transparenz und Verbindlichkeit ist wichtig, da Entnahmeeinrichtungen in einem Interessenkonflikt stehen können. Wenn eine Entnahmeeinrichtung selbst Gewebeprodukte in den Verkehr bringt, kann der Eindruck entstehen, dass die eigenen Kapazitäten bevorzugt ausgelastet werden, unabhängig davon, ob es bessere Optionen bei Dritten gibt. In der Therapie wird dann zur zweitbesten Alternative gegriffen, da die beste nicht verfügbar ist.

Der mögliche Einwand, dass gemeinnützige Einrichtungen ihre Verteilungsregeln nicht zu veröffentlichen brauchen, da sie nachweislich dem Gemeinwohl verpflichtet sind, ist irreführend. Das Kriterium der Gemeinnützigkeit wird rein fiskalisch bewertet.Footnote 46 Solange die gespendeten Gewebe den berechtigten Empfängern zur Transplantation zur Verfügung gestellt werden (und aufgrund des Mangels in der Regel auch verwendet werden) und solange Gewinne entsprechend der Abgabenordnung verwendet werden, sind die Kriterien der Gemeinnützigkeit erfüllt. Die Qualität der Verteilung von Gewebespenden „(…) guided by clinical criteria and ethical norms (…)“ ist kein Kriterium für die Gemeinnützigkeit, wohl aber eine Forderung des WHO Guiding Principle 9.

4.4 Handelsverbot von Geweben

Der weitgehende supranationale Konsens des Handelsverbotes mit Geweben und Organen ist auch in der deutschen Gesetzgebung verankert. In der Gesetzesbegründung zu § 16 TPG a.F. (Verbot des Organhandels; nunmehr § 17 TPG) wird angeführt:

„Im Hinblick auf den derzeitigen Mangel an geeigneten Spenderorganen wächst die Versuchung, aus eigensüchtigen wirtschaftlichen Motiven die gesundheitliche Notlage lebensgefährlich Erkrankter in besonders verwerflicher Weise auszunutzen. Satz 1 begegnet dieser Gefahr, indem er – als Voraussetzung für eine Strafbarkeit nach § 17 – normiert, daß der gewinnorientierte Umgang mit menschlichen Organen verboten ist. (…) Schutzobjekt ist neben der körperlichen Integrität des Lebenden auch die durch Artikel 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde, die über den Tod hinaus Schutzwirkung entfaltet, und das Pietätsgefühl der Allgemeinheit. Die Garantie der Menschenwürde wird verletzt, wenn der Mensch bzw. seine sterblichen Reste zum Objekt finanzieller Interessen werden. (…)“.Footnote 47

Das TPG übernimmt das Merkmal des Handeltreibens ausdrücklich in der weiten Interpretation der Rechtsprechung zum Betäubungsmittelrecht. Insoweit führt die Gesetzesbegründung aus:

„Tätigkeit nach Satz 1 ist das Handeltreiben mit den bezeichneten Körpersubstanzen. Zur Auslegung des Begriffs kann auf die umfangreiche Rechtsprechung des Reichsgerichtes (…) und des Bundesgerichtshofes (…) zurückgegriffen werden, die der Gesetzgeber im Betäubungsmittelgesetz aufgegriffen hat und die seither eine weitere Differenzierung erfahren hat (…)“.Footnote 48

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Begriff des Handeltreibens im Betäubungsmittelrecht weitest auszulegen. Er reicht danach von einfachen, rein tatsächlichen Handlungen bis zu komplexen Finanztransaktionen.Footnote 49 Das Handeltreiben umfasst auch die absatzorientierte Beschaffung. Es ist daher nicht auf Tätigkeiten beschränkt, die in einem auf Entäußerung gerichteten Tun die Sache dem Erwerber näherbringen.Footnote 50

Mit der sehr weiten Auslegung des Handelsbegriffes will der Gesetzgeber der Kommerzialisierung von Organen per se entgegenwirken.Footnote 51 Das Schutzziel im Betäubungsmittelrecht ist der Empfänger. Konsequenterweise werden die Mechanismen pönalisiert, die eine unkontrollierte Verbreitung von Betäubungsmitteln ermöglichen. Auf der anderen Seite beschreibt der Gesetzgeber aber auch sehr detailliert, wie Betäubungsmittel abgegeben werden dürfen.Footnote 52 Das Schutzziel der oben genannten supranationalen Organisationen und des Transplantationsgesetzes sind die Beteiligten der Organspende, die nicht ausgenutzt werden sollen. Gleichzeitig sollte es aber möglich sein, Gewebe gezielt zu gewinnen und so zu verteilen, dass eine ausreichende und gleichmäßige Versorgung von Patienten möglich ist. Dieser Verteilungsbedarf wird steigen, da mit der individualisierten Medizin die Spezialisierung bei der Be- und Verarbeitung von Geweben zunehmen wird.

Die Nähe zur Strafbarkeit bei der Verteilung von Geweben schafft dabei nicht nur rechtliche und in der Folge pragmatische Probleme, sondern wirkt insgesamt verunsichernd und lähmend, da jeder Austausch von Geweben unter dem Generalverdacht des verbotenen Handels steht. Es wäre daher angebracht, die bisherige rechtliche Einschätzung zu überdenken und stattdessen Regeln aufzustellen, unter welchen Bedingungen Gewebe verteilt werden können, um den Schutzinteressen von Spendern und Patienten gerecht zu werden.

4.5 Handel mit Gewebeprodukten

Wie bereits in Abschn. 1 erläutert, unterscheidet der EU Gesetzgeber zwischen nicht-substanziell manipulierten Geweben, wie zum Beispiel Zellen, die für die Generierung von hiPS-Zellen notwendig sind, und substanziell manipulierten Geweben, wie den hiPS-Zell-Linien oder daraus differenzierten Zellen, die therapeutisch verwendet werden. Substanziell manipulierte Gewebe sind nach § 17 Abs. 1 Nr. 2 TPG vom Handelsverbot ausgenommen.

4.6 Erstattung

Um innovative Arzneimittel in den Verkehr zu bringen, müssen über viele Jahre Kosten für die Entwicklung, Zulassung und Markteinführung vorgestreckt werden. Diese Kapitalkosten werden aus späteren Gewinnen mit dem Produkt finanziert. Die Rendite ergibt sich dann aus dem Differenzbetrag zwischen Gewinn und Entwicklungskosten. Die zu erwartende Rendite und das Finanzierungsvolumen sind wichtige Parameter für eine Investitionsentscheidung.

Die Unterscheidung zwischen nicht-substanziell und substanziell manipulierten Geweben setzt sich bei der Frage nach der Erstattungsgrundlage fort. Bei ATMP kann für das Arzneimittel an sich eine Erstattung verlangt werden.Footnote 53 Diese richtet sich nach § 35a SGB V, wenn der pharmazeutische Charakter im Vordergrund steht (z. B. bei oraler Einnahme des Arzneimittels), und nach § 135 SGB V, wenn die Art und Weise der Verabreichung für einen erfolgreichen Therapieausgang ebenso wichtig ist wie das aktive Wirkungsprinzip des Produktes (z. B. chirurgische Implantation). Der Erstattungsbetrag wird letztlich zwischen dem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-Spitzenverband verhandelt. Die Rendite entwicklungsintensiver Produkte liegt zurzeit bei ca. 3 %.Footnote 54 Die geringe Wirtschaftlichkeit hat bereits zu ersten Rückgaben von Zulassungen von ATMP geführt: Vericel Denmark ApS/Maci in 2014,Footnote 55 Dendreon/Provenge in 2015,Footnote 56 TiGenix NV/ChondoCelect in 2016Footnote 57 und uniQure NV/Glybera in 2017.Footnote 58

Für nicht-substanziell manipulierte Gewebe darf für das Gewebe an sich kein Entgelt verlangt werden, wohl aber für die Leistungen, die erbracht werden, um eine erfolgreiche Transplantation zu ermöglichen. In der Gesetzesbegründung zu § 16 TPG a.F. (nunmehr §§ 17 TPG) wird zum Verbot des Organhandels ausgeführt:

„Nummer 1 stellt klar, daß derjenige nicht eigennützig handelt, der im Rahmen dieser Tätigkeiten ein Entgelt gewährt oder annimmt, das den angemessenen Ersatz für die zur Erreichung des Ziels der Heilbehandlung gebotenen Maßnahmen nicht übersteigt. Dies schließt ein Entgelt für das Organ, Organteil oder Gewebe selbst aus, nicht jedoch eine angemessene Vergütung für die in diesem Rahmen durchzuführenden Tätigkeiten, wie z. B. Klärung der Voraussetzungen für eine Entnahme nach den §§ 3, 4 oder § 7, Nachweis des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der gesamten Hirnfunktion oder des endgültigen, nicht behebbaren Stillstands von Herz und Kreislauf nach § 5, Durchführung der in § 15 genannten Maßnahmen, Vermittlung nach § 11, ärztliche, pflegerische und sonstige Leistungen im Zusammenhang mit der Organentnahme oder -übertragung einschließlich deren Vorbereitung. (…)“.Footnote 59

In der Gesetzesbegründung wird ferner der Weg konkretisiert, wie das angemessene Entgelt festzulegen ist:

„Der Begriff des Entgelts umfaßt jeden vermögensweiten Vorteil. Angemessen sind insbesondere die üblichen Vergütungen, wie sie z. B. in den Vereinbarungen mit Leistungsträgern im Sinne des § 16 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch oder durch Gesetz oder Rechtsverordnung oder in aufgrund gesetzlicher Bestimmungen getroffenen Vereinbarungen festgesetzt sind. Eine Pauschalierung dieser Vergütungen ist zulässig“.Footnote 60

Bei der Bestimmung des angemessenen Entgelts für Dienstleistungen an nicht-substanziell manipulierten Geweben, die als Ausgangsstoffe für die hiPS-Zell-Technologie verwendet werden sollen, bietet sich beispielsweise eine Anlehnung an die Gebührenordnung für Ärzte an. Bei nicht-substanziell manipulierten Geweben, die in den Verkehr gebracht werden sollen, ist das Verfahren nach § 6 Abs. 2 KHEntgGFootnote 61 (Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) eine Möglichkeit, mit den genannten Leistungsträgern, also Krankenversicherungen, Unfall-, Pflege- und Rentenversicherung, oder Kassenärztlichen Vereinigungen das angemessene Entgelt zu bestimmen.

Üblicherweise kommt eine Preisbildung zwischen dem Anbieter und dem Kunden zustande. In beiden oben genannten Verfahren ergibt sich die Preisbildung zwischen zwei Dritten: zwischen den Ärzten und den Krankenkassen bzw. zwischen den Krankenhäusern und den Krankenkassen. So wird schon strukturell verhindert, dass der Anbieter von Geweben unangemessene Entgelte erhalten kann.

Beide Verfahren zur Bestimmung des angemessenen Entgelts lassen auch Spielraum für einen unternehmerischen Gewinn zu, der in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ebenso berücksichtigt wird, wie beim Verfahren nach § 6 Abs. 2 KHEntgG (NUB). Da weder die GOÄ noch ein NUB für einen pharmazeutischen Unternehmer verhandelbar sind, kann der Gewinn nur durch sparsames Wirtschaften erzielt werden. Dabei haben gemeinnützige Einrichtungen einen großen Vorteil, weil sie keine Gewinne an Gesellschafter ausschütten. Bei der Erstattung gleichwertiger Leistungen orientieren sich die Krankenkassen am günstigsten Anbieter.Footnote 62 In diesem Fall verhindern Marktmechanismen hohe Gewinnspannen und bevorteilen gemeinnützige Einrichtungen. Aus unternehmerischer Sicht stellt sich daher eher die Frage, ob der realisierbare Gewinn die geringe Skalierbarkeit der Prozesse, die hohen technischen und regulatorischen Aufwendungen und die hohen Gebühren angemessen kompensieren kann, um auch eine Rendite zu ermöglichen. Betrachtet man die Anzahl der genehmigten Gewebezubereitungen, so fällt auf, dass weniger als 10 % von Unternehmen stammen, aber über 90 % von gemeinnützigen Einrichtungen oder Krankenhäusern, und dass über 90 % der Gewebezubereitungen, die in den letzten 5 Jahren genehmigt wurden, „me-too“-Präparate sind.Footnote 63 Monopolpositionen, die zum Beispiel durch gewerbliche Schutzrechte, besondere Zulassungsrechte oder durch einen marktbeherrschenden Zugang zu Gewebespenden entstehen, können zu unwirtschaftlichem Verhalten und damit zu Verschwendung führen. Unabhängig von anderen Problemen, die Monopole mit sich bringen, begründet auch Verschwendung ein nicht gerechtfertigtes Entgelt.

4.7 Vigilanz/Nachbeobachtung

Die WHO verlangt im Guiding Principle 10 eine Nachverfolgung von Spendern und Patienten, um fundierte Nutzen-Risiken-Abwägungen treffen zu können. Im Falle der hiPS-Zell-Technologie werden Gewebe sehr wahrscheinlich wenig risikoreich und in kleinen Mengen entnommen, zum Beispiel durch Blutentnahme, Fettabsaugung etc. Da es sich hierbei um routinierte Prozeduren handelt, steht der Aufwand für eine dezidierte Nachverfolgung der Spender möglicherweise in keinem Verhältnis zur verwertbaren Erkenntnis. Die Notwendigkeit der Spender-Vigilanz wird jedoch zurzeit kontrovers diskutiert, da es Verdachtsmomente gibt, die möglicherweise eine intensivere Nachbeobachtung der Spender verlangen.Footnote 64

Da hiPS-Zell-basierte Produkte als ATMP eingestuft werden, sind klinische Studien Bestandteil des zentralen Zulassungsverfahrens. Mithin wird die Forderung nach Nachverfolgung der Patienten gewährleistet. Nach der Zulassung fordern zudem die allgemeinen Regeln der Vigilanz immer dann eine Nachverfolgung, wenn dem Inverkehrbringer eine schwerwiegende unerwünschte Reaktion bei einem Patienten gemeldet wird.Footnote 65 Allerdings werden in der Praxis die unerwünschten Ereignisse nur sporadisch an den Inverkehrbringer gemeldet.

Anders sieht dies bei nicht-substanziell manipulierten Geweben aus, die in den Verkehr gebracht werden. Auch hier gelten die allgemeinen Regeln der Vigilanz.Footnote 66 Klinische Beobachtungsstudien sind keine Pflicht für die Genehmigung zur Inverkehrbringung und werden daher nur sehr selten durchgeführt. Bewertungsgrundlage der klinischen Sicherheit für die Genehmigung sind wissenschaftliche Berichte. Hier greifen dann die Regeln der Krankenkassen, die regelmäßig nur dann ein angemessenes Entgelt leisten, wenn „(…) der Gemeinsame Bundesausschuss (…) Empfehlungen abgegeben hat über (…) die Anerkennung des (…) therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit“.Footnote 67 Nach Genehmigung gelten die gleichen Pflichten zur Nachverfolgen wie nach Zulassung.

5 Ausblick

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation hat eine „Kultur der Organspende“ angemahnt.Footnote 68 Wünschenswert wäre auch eine „Kultur der Gewebespende“. Diese Kultur kann nur dann gelingen, wenn die Beteiligten transparent von Erfolgen, Misserfolgen, Fehlern und den Herausforderungen berichten und strukturelle Änderungen einleiten.

5.1 Staatliches Engagement

Viele ethische Probleme im Zusammenhang mit der Verwendung menschlicher Gewebe sind in der geringen Bedarfsdeckung begründet. Daher liegt es nahe, zunächst einmal die Anzahl der Gewebespenden zu erhöhen, ohne Druck auf potenzielle Spender auszuüben und ohne die Qualität der Spende zu mindern. Dies kann gelingen, wenn die Organisation der Gewebespende nachhaltig gestärkt wird. Dafür muss diese gefördert werden. Das bedeutet nicht nur den Wegfall der Gebühren für Erlaubnisverfahren, sondern aktive, unterstützende Beratung bei der Antragstellung und eine nachhaltige finanzielle Unterstützung beim Aufbau und dem Erhalt einer operativen Spendenstruktur. Der durchschnittliche Verwaltungsaufwand für die Länder könnte durch einheitliche Antrags-, und Nachweisverfahren, Bewertungskriterien und gegenseitige Anerkennungen von Teilen der Erlaubnis deutlich reduziert werden.

Die Aufklärungs- und Einwilligungsgespräche mit Gewebespendern und Angehörigen sollen umfassend und ergebnisoffen sein. Eine staatliche Organisation kann glaubwürdiger aufklären als medizinisches Personal, welches zuvor möglicherweise für die Genesung des Spenders gekämpft hat, oder als Vertreter von Entnahmeeinrichtungen, denen ein einseitiges Interesse an der Spende unterstellt werden kann. In einer staatlichen Organisation wäre es zudem einfacher, allen Interessenten die gleichen Informationen zur Verfügung zu stellen. Bei der allogenen Spende sollte es daher als eine staatliche Aufgabe verstanden werden, diese Gespräche zu führen. Das ist nicht als Kritik an der Arbeit der Mitarbeiter zu verstehen, die diese Gespräche zurzeit führen, oder als Kritik an Organisationen, die sich der Aufgabe angenommen haben, sondern als eine Kritik am Staat, der sich einer Verantwortung entzieht, obwohl bei der Gewebespende die im Grundgesetz garantierte Würde des Menschen unmittelbar berührt wird.

Gewebespenden sind oft weder örtlich noch zeitlich planbar. Demgegenüber steht der Anspruch, die Spende bestmöglich für die Therapie von Patienten zu verwenden und die wirtschaftliche Notwendigkeit, personelle und technische Kapazitäten bei der Be- und Verarbeitung möglichst gleichmäßig auszulasten, um das System finanziell nicht zu überlasten. Ein Ausgleich kann nur durch eine möglichst breit angelegte Organisation geschaffen werden, welche die Spende und deren Verwendung steuert. In den USA werden alle potenziellen Spender, sei es für Organe oder Gewebe, an zentrale Koordinierungsstellen, zum Beispiel dem United Network for Organ Sharing oder Statline, gemeldet. Diese prüfen, ob eine Spende erfolgversprechend eingeleitet werden kann und ob und wo ein Bedarf vorliegt. Erst wenn wesentliche Bedingungen erfüllt sind, wird der Spendeprozess eingeleitet, der wie in der Europäischen Union mit der Frage nach der Einwilligung beginnt.Footnote 69 Die Meldepflicht und die Vorabprüfung ermöglichen eine gezielte Ansprache und eine bedarfsorientierte Verteilung, Verarbeitung und Verwendung der Spende. Ein vergleichbarer Organisationsgrad wäre für Deutschland überlegenswert, weil so die Transparenz und Effizienz gesteigert werden könnte, ohne das Entscheidungsprinzip bei der Organ- und Gewebespende in Frage zu stellen.

Der Forderung nach gerechten, unabhängig begründeten und transparenten Allokationsregeln für Gewebe wird zurzeit nicht Rechnung getragen. Statt diese Diskussion konstruktiv, proaktiv und verbindlich zu führen, wird seitens des Gesetzgebers die Verteilung von Geweben qualitativ mit der Abgabe von Betäubungsmitteln verglichen, ohne aber gleichwertige Regelungen zur Verschreibung, Abgabe und den Nachweis des Verbleibs zu schaffen. Der Mangel an Transparenz und Regulation sind Nährboden für eine Skandalisierung des Themas. Die Angst vor öffentlicher, aber auch privater Stigmatisierung belastet Mitarbeiter und Investoren und führt eher zu einem Rückzug als zu Offenheit.

5.2 Unternehmerisches Engagement

Gewebeeinrichtungen, gleich ob gemeinnützig oder nicht, sollten über Tätigkeiten mit Spenden berichten. Spender oder deren Angehörige bringen diesen Einrichtungen Vertrauen entgegen. Dieses Vertrauen kann auf Dauer nur durch Transparenz gerechtfertigt werden. Keinem anderem Ziel dient auch der Jahresbericht von Aktiengesellschaften, der den Aktionären über das dem Unternehmen anvertraute Kapital berichtet.

Die Art und Weise wie Gewebe oder Gewebezubereitungen angedient werden, sollten Unternehmen kritisch hinterfragen. Die Aufforderung zur Transparenz gebietet möglichst große Offenheit. Ein freier Bestellzugang, zum Beispiel über das Internet, kann jedoch als Herabwürdigung zur „Ware Mensch“ verstanden werden und sollte vermieden werden.Footnote 70

Der Dank an die Spender wird zurzeit mündlich oder schriftlich ausgedrückt. Es ist auch ein Ausdruck von Dank und Anerkennung, sich materiell erkenntlich zu zeigen. Die direkte Zuwendung an Spender oder deren Angehörige käme einer Bezahlung nahe, die aus bekannten Gründen weder vertretbar noch erlaubt ist. Es könnte aber eine Überlegung sein, Zuwendungen an einen Fond zu richten, der die Gewebespende fördert, Menschen, die die schwierigen Aufklärungsgespräche führen, unterstützt, Spender und deren Angehörige begleitet oder Patienten, die eine Spende erhalten haben, im Alltag hilft.Footnote 71 Die Aufzählung ist nicht abschließend und soll lediglich den Personenkreis eingrenzen, denen Dank und Fürsorge im Rahmen der Gewebespende gebührt und die möglicherweise Unterstützung benötigen. Diese materielle Anerkennung könnte sich in einem Anteil vom Umsatz oder Gewinn ausdrücken, welche Einrichtungen, die Gewebeprodukte in den Verkehr bringen, an den Fond überweisen.

5.3 Gesellschaftliches Engagement

Die Forderung der WHO, dass Zuteilungskriterien auf nationaler oder subregionaler Ebene von einem Ausschuss festgelegt werden, dem Experten der relevanten medizinischen Fachrichtungen, der Bioethik und der öffentlichen Gesundheit angehören, ist bisher ungehört verhallt.

Ersatzweise können die Gewebeeinrichtungen Beiräte bilden, welche diese Forderung umsetzen. Vertreter der öffentlichen Gesundheit werden nur dann in entsprechenden Ausschüssen teilnehmen, wenn diese einen gesetzlichen Auftrag erhalten, der zurzeit nicht existent ist. Für die medizinischen Kriterien können medizinische Fachgesellschaften befragt werden. Bei Vertretern der Bioethik wird die Frage schon schwieriger. Nur wenige Personen beschäftigen sich mit diesen Fragestellungen. Zudem besteht bei diesen wenigen Personen wenig Bereitschaft in einen Unternehmensbeirat als Governance Council einzutreten, da um die akademische Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit gefürchtet wird.Footnote 72 Gegebenenfalls könnten Patientenorganisationen diesen Platz einnehmen, wobei diese naturgemäß eher Anwälte der Spendenempfänger wären. Spenderorganisationen, die Spender vertreten und nicht um Spenden bemüht sind, sind nicht bekannt. Hier könnten möglicherweise Laienvertreter begeistert werden, die Vertretung in einem Beirat wahrzunehmen. Am Ende kommt es also wahrscheinlich auf das gesellschaftliche Engagement von Patienten- und Laienvertretern an, die Erwartung der WHO zu erfüllen.