Ziel von ReApp ist es, den Entwicklungsprozess von Roboteranlagen durch die Nutzung von wiederverwendbaren Softwarebausteinen deutlich effizienter zu machen. Die Hemmnisse für wiederverwendbare Software bestehen heute vor allem in der stark heterogenen Landschaft der Robotik- und Automatisierungskomponenten, unterschiedlichen Roboterprogrammiersprachen und fehlenden Schnittstellenstandards. Um diese Hindernisse zu überwinden, sollen in ReApp nach dem Muster von Android (The Android Source Code) die Grundlagen für ein Ecosystem für die Robotik geschaffen werden. Das Android-Ecosystem ist aus wenigen Kernelelementen zusammengesetzt. Die Android Hardware-Abstraction Layer (HAL) definiert Schnittstellen (APIs), die von den Smartphone-Herstellern implementiert werden. Dadurch ist gewährleistet, dass alle Android-Apps auf allen Android-Smartphones lauffähig sind, obwohl in den Smartphones unterschiedliche Kameras, Displays und Sensoren verbaut sind. Die Hersteller haben den Vorteil, dass alle Apps im globalen App-Repository, dem Google App-Store, kompatibel zu ihren Smartphones sind. So lässt sich der hohe Marktanteil der Android-Systeme von über 80 %Footnote 1 erklären. Neben der HAL, die sicherlich ein Schlüsselelement des Ecosystems darstellt, sorgen Entwicklungswerkzeuge, die Android SDK Tools, für die einfache Entwicklung von neuen Apps und die Einhaltung von Standards. Für ein standardisiertes Deployment (d. h. Installation und Ausführung der Apps) sorgt die Laufzeitumgebung, Android Runtime.
Um die Zielsetzung von ReApp zu verdeutlichen, sind die einzelnen Elemente des avisierten ReApp-Ecosystems in Abb. 10.1 den einzelnen Elementen des Android-Ecosystems gegenübergestellt. Die Rolle der Android HAL wird dabei dem OpenSource Robotik-Framework ROS-IndustrialFootnote 2 zugeordnet.
10.1.1 Das ReApp-Projektkonsortium
Das ReApp-Konsortium setzt sich neben den Forschungspartnern fortiss gGmbH (FORTISS), dem FZI Forschungszentrum Informatik, dem Karlsruhe Institute of Technology (KIT) und dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA aus einer Vielzahl von Industriepartnern zusammen. Die Technologiepartner SICK und fluid Operations AG bringen Sensorik und Cloud-Technologien in das Projekt mit ein. Die Unternehmen dresden elektronik ingenieurtechnik GmbH (DDE), BMW AG und Fischer IMF GmbH & Co. KG werden die Ergebnisse von ReApp als Endanwender beurteilen, die Unternehmen Ruhrbotics GmbH und InSystems Automation GmbH als Systemintegratoren. Damit deckt das Konsortium alle Beteiligten ab, die für die Entwicklung von roboterbasierten Automatisierungslösungen heute eine Rolle spielen. Dies ist erforderlich, um die unterschiedlichen Aspekte und möglichen Auswirkungen des Forschungsprojekts vollumfänglich beurteilen zu können.
10.1.2 Der ReApp-Lösungsansatz
Um die in Abschn. 10.1.1 genannten Projektziele zu erreichen, wurden zu Beginn des Projekts die einzelnen Elemente des ReApp-Ecosystems (Abb. 10.2) konzipiert, bei der alle in der Vorhabenbeschreibung definierten Teilziele (Entwicklung von intelligenten Plug&Produce-Komponenten, Integrationsplattform, Komposition und Konfiguration von Programmbausteinen, intuitive Entwicklungsumgebung etc.) zu einer Gesamtlösung integriert werden. Ein großer Schwerpunkt liegt dabei auf der Schaffung einer durchgängigen Entwicklungsumgebung, der ReApp Engineering Workbench, die sowohl die Verbindung zum App-Repository, dem ReApp-Store, als auch zur Ausführungsschicht und der Hardware bereitstellen muss.
Mit dem „Component Modeling Tool“ (CMT) können neue Apps, z. B. Hardware-Treiber oder höherwertige Software-Komponenten, entwickelt und, nach erfolgreichem Durchlaufen einer Qualitätssicherung, dem Testframework, in den Store eingestellt werden. Das CMT stellt dabei sicher, dass die entwickelte Komponente einem standardisierten Komponentenmodell entspricht, das Eigenschaften, Strukturen und die Semantik von Komponenten definiert und dadurch die Kompatibilität der Komponenten gewährleistet. Die Komponenten werden dann automatisch bezüglich der ReApp-Ontologie (Zander et al. 2015) klassifiziert, die eine spätere Suche im Store erheblich vereinfacht.
Mit dem „Skill und Solution Modeling Tool“ (SSMT) können Apps zu komplexeren Anwendungen komponiert werden. Die Grundidee ist, dass zunächst hardwareunabhängige Fähigkeiten oder Skills erstellt werden, die eine hohe Wiederverwendbarkeit gewährleisten. Ein generischer Pick-and-Place-Skill könnte z. B. aus den folgenden Basis-Apps aufgebaut sein: einer Objektlageerkennung, die mithilfe eines Farbbildes und eines Objektmodells die Position und Lage des Objektes im Bild wiedergibt, und einer Trajektoriengenerierung, die mithilfe von Tiefendaten der Umgebung und dem Robotermodell eine kollisionsfreie Trajektorie berechnet. Soll der Skill dann für einen bestimmten Roboter und eine bestimmte Kamera wiederverwendet werden, müssen lediglich die Treiber-Apps für die Hardware hinzugefügt werden. Aus dem Skill wird so eine „Solution“. Sowohl Skills als auch Solutions können im Store bereitgestellt werden.
Schließlich kann die erstellte Solution mithilfe der ReApp-Deployment-Umgebung auf einer konkreten Anlage installiert, konfiguriert und ausgeführt werden. Dabei hilft die ebenfalls standardisierte Steuerungshardware, die sogenannte „Integrationsplattform“. Sie bietet physikalische Schnittstellen für gängige Feldbusse, sodass Robotersteuerungen oder SPS-Steuerungen einfach angebunden werden können. Damit ist eine durchgängige Deployment-Kette vom Store bis auf die Steuerung geschaffen, die vom Entwickler abstrahiert wird. Das bedeutet, dass der Systemintegrator weder die üblichen Schnittstellenanpassungen noch Modifikationen für die Steuerungsarchitektur durchführen muss. Er kann sich darauf verlassen, dass alle Apps im Store, die über die ReApp-Deployment-Umgebung auf die Integrationsplattform installiert wurden, auch kompatibel und lauffähig sind. Wie in Abb. 10.2 dargestellt, kann das Deployment auch zunächst in einer virtuellen Laufzeitumgebung in der Cloud getestet werden.
Die ReApp Engineering Workbench unterstützt somit den gesamten Lebenszyklus von roboterbasierten Automatisierungsanlagen: Konzeption, Simulation und Test, Aufbau und Inbetriebnahme, Konfiguration und Rekonfiguration, Deployment und Operation.
10.1.3 Auswirkungen auf betriebliche Funktionen
Da Industrieroboterzellen heute in aller Regel durch Systemintegratoren konzipiert, aufgebaut, programmiert, eingerichtet, in Betrieb genommen und gewartet werden, ist diese Berufsgruppe sicherlich am unmittelbarsten und am umfangreichsten von den ReApp-Lösungskonzeptionen betroffen. Durch ReApp soll eine Plattformtechnologie geschaffen werden, mit der eine um ein Vielfaches erhöhte Wiederverwendbarkeit bereits existierender Lösungen erzielt werden soll. Der Entwicklungsprozess wird sich daher vor allem in der Designphase stark ändern: Anstatt Hardwarekomponenten für den Aufbau der Automatisierungszelle nur nach Erfahrung und Wunsch des Kunden auszusuchen, wird in Zukunft die technische Eignung für die Anwendung des Kunden eine größere Rolle als bisher spielen, da der Entwicklungsaufwand durch die Plattformtechnologie weitgehend unabhängig von der Wahl des Herstellers ausfällt.
Während große Endanwender wie BMW eher indirekt durch den geänderten Entwicklungsprozess bei den Systemintegratoren tangiert werden, könnten kleine und mittelständische Unternehmen in die Lage versetzt werden, auch für kleine Stückzahlen roboterbasierte Automatisierung einzusetzen.
Durch die ReApp-Infrastruktur sollen die folgenden betrieblichen Rollen durch standardisierte Schnittstellen und verbesserte Datendurchgängigkeit besser separiert werden:
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Entwickler von Automatisierungskomponenten (z. B. Sensoren, Aktoren, Steuerungen)
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Entwickler von Softwarekomponenten (z. B. Bilderkennung, HMI etc.)
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Entwickler von Simulationssoftware/Simulationsmodellen
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Anlagenentwickler/Systemintegratoren
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Entwickler von Applikationssoftware
Neben Entwicklerfunktionen wird ReApp auch Auswirkungen auf Endanwender haben. Zum einen soll durch die verbesserte Effizienz in der Anlagenentwicklung und -einrichtung eine Erhöhung des Automatisierungsgrads auch bei kleinen Stückzahlen ermöglicht werden. Monotone (und damit fehleranfällige) sowie einfache Tätigkeiten werden so reduziert. Zum anderen soll Endanwendern durch entsprechende Schnittstellen eine größere Möglichkeit gegeben werden, Systemparameter zu konfigurieren und die Anlage in gewissem Maße eigenständig umzurüsten.
In ReApp wurden im ersten Projektjahr drei Pilotdemonstratoren spezifiziert, die unterschiedliche Aufgaben der Endanwender behandeln. Dazu gehören das Kommissionieren bei einem Automobilzulieferer, das Löten für einen Elektronikhersteller und die Türfertigung für einen Autohersteller. In Pilotdemonstratoren ändern sich die Arbeitsabläufe für die folgenden Funktionen/Tätigkeiten:
Im Folgenden wird anhand eines der drei Pilotdemonstratoren erörtert, welche Auswirkungen sich durch den Einsatz einer roboterbasierten Automatisierungslösung ergeben und welche Rolle die Projektergebnisse von ReApp dabei spielen.