Schlüsselwörter

1 Einleitung

Entgegen überschwänglicher Prognosen einer „vierten industriellen Revolution“ erwies sich die Digitalisierung in Deutschland in den vergangenen Jahren als graduelle Entwicklung. Vor diesem Hintergrund wurde die COVID-19-Pandemie oftmals als Impuls wahrgenommen, der der digitalen Transformation Auftrieb verleihen sollte (Apitzsch et al. 2023). Tatsächlich beschleunigte die Coronakrise die digitale Vernetzung und Virtualisierung der Arbeitswelt und veränderte so nachhaltig die Art und Weise, wie wir arbeiten (Detje und Sauer 2021; Krzywdzinski et al. 2022a). Viele, bereits vor der Pandemie vorhandene, „technologisch gegebene Gestaltungsoptionen von Arbeit“ (Hirsch-Kreinsen 2018, S. 11) wurden erst im Zuge der Coronakrise auch jenseits digitalisierungsaffiner Vorreiterunternehmen eingesetzt. Unternehmen sahen sich unvermittelt gezwungen, Arbeitsprozesse zu dezentralisieren und mobiles Arbeiten zu ermöglichen, Kommunikationskanäle mit Kund*innen zu digitalisieren und Lieferketten neu zu organisieren. Dies stellte Unternehmen vor die Aufgabe, das Zusammenspiel von Technik, Arbeit und Organisation neu auszutarieren, sodass Aspekte der Arbeitsorganisation durch die Coronakrise weiter an Bedeutung gewonnen haben.

Zugleich stellte sich während der Pandemie die Frage nach der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen mit neuer Vehemenz. Da Unternehmen diese in kürzester Zeit umsetzen mussten, kam es insbesondere in den ersten Monaten der Pandemie zu einer erheblichen Belastung der Beschäftigten, die zu einer Herausforderung für die Akzeptanz der Digitalisierung und der neuen Arbeitsformen wurde (Schröder et al. 2020). Nach nur wenigen Monaten entstanden allerdings neue Praktiken und Regeln und insbesondere das mobile Arbeiten entwickelte sich immer mehr zu einer sehr stark akzeptierten Arbeitsform (Kunze et al. 2021). Auf Basis der arbeitssoziologischen Forschung ist anzunehmen, dass die zunehmende Akzeptanz der Digitalisierungsprozesse im Laufe der Pandemie nicht nur auf Lernprozesse seitens der Beschäftigten zurückgeführt werden kann, sondern auch darauf, dass Unternehmen neben der Bereitstellung der benötigten technischen Infrastrukturen auch ihre Organisationsstrukturen anpassten. Da Betriebe soziotechnische Systeme sind, muss die Einführung von Technologien auch mit organisatorischen Veränderungen einhergehen.

Der vorliegende Artikel baut auf der existierenden Forschung auf, die insbesondere im Bereich des mobilen Arbeitens, aber auch in anderen Feldern wie der Administration (Krzywdzinski et al. 2022a; Butollo et al. 2023a) einen COVID-19 bedingten Digitalisierungsschub feststellt. Im Fokus stehen zwei Fragen:

  1. 1.

    Wie hat sich die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen bei Beschäftigten im Laufe der Pandemie entwickelt?

  2. 2.

    Welche Faktoren haben aus Sicht des Managements und der Betriebsräte die Entwicklung der Akzeptanz beeinflusst und welche Rolle spielten insbesondere Prozesse des organisationalen Wandels?

Unsere Ergebnisse beruhen auf 34 Fallstudien von Unternehmen in sechs Branchen (Automobil, Maschinenbau, Chemie, Logistik, Finanzdienstleistungen, Gesundheit), die wir von 2020 bis 2022 in zwei Interviewwellen erhoben haben. Die Fallstudien wurden durch eine ebenfalls in zwei Wellen durchgeführte standardisierte Befragung von 540 (2021) und 605 (2022) Unternehmen ergänzt. In den Fallstudien und in der quantitativen Befragung wurde untersucht, welche Digitalisierungsmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie vorangetrieben wurden, inwieweit und inwiefern diese Maßnahmen mit organisatorischen Veränderungen kombiniert wurden und wie die Beschäftigten diese Veränderungen nach Einschätzung des Managements und der Betriebsräte wahrgenommen haben.

Konzeptionell knüpft unser Beitrag an die Forschung zu soziotechnischen Systemen an, die einen engen Zusammenhang zwischen technischen und organisatorischen Veränderungen betont (Hirsch-Kreinsen 2020). Demnach bringt die Einführung neuer Technologien auch eine Restrukturierung von Praktiken und Organisationsrollen mit sich (Barley 2020). Zudem greifen wir auf Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Forschung zur Technikakzeptanz von Beschäftigten zurück. Diese hebt neben klassischen Faktoren wie der Nützlichkeit der Technologie, die zentral im Technology Acceptance Model (Davis 1989; Venkatesh et al. 2016) ist, auch die Bedeutung der Einführungsprozesse im Unternehmen (Bahnmüller et al. 2023) und die Auswirkungen auf Handlungsmöglichkeiten, Be- und Entlastung und Beschäftigungssicherheit (Droste 2020; Hoose et al. 2021; Krzywdzinski et al. 2022b) hervor.

Unsere Studie ist folgendermaßen aufgebaut: wir diskutieren zunächst den Forschungsstand und stellen die Datengrundlage und die Analysemethoden vor. Anschließend präsentieren wir die Ergebnisse der Fallstudien und analysieren auf Basis der quantitativen Befragung die Häufigkeit unterschiedlicher Entwicklungen und Zusammenhänge zwischen organisatorischen Maßnahmen und Akzeptanz. Der Beitrag endet mit übergreifenden Schlussfolgerungen.

2 Forschungsstand: COVID-19-Pandemie, Digitalisierung und Akzeptanz

Eine der weitreichendsten Veränderungen, die die COVID-19-Pandemie mit sich brachte, ist zweifelsohne die Ausdehnung der orts- und zeitflexiblen Arbeit (Detje und Sauer 2021; Krzywdzinski 2022). Während die technischen Voraussetzungen für das mobile Arbeiten bereits lange vor der Pandemie gegeben waren, setzte sich diese Arbeitsform bis zur Coronakrise allenfalls teilweise und zögerlich durch. Erst die COVID-19-Pandemie beschleunigte die Verbreitung des mobilen Arbeitens in Angestelltenbereichen, die innerhalb kürzester Zeit ins (improvisierte) Homeoffice verlagert wurden (Kunze et al. 2021).

Formen der virtuellen, digital-vernetzten Arbeit prägten nicht nur die Zusammenarbeit innerhalb der Betriebe. Auch in Tätigkeitsbereichen mit Kundenkontakt wie dem Vertrieb und Außendienst kam es durch die COVID-19-Pandemie zu einem Digitalisierungsschub, der sich in der zunehmenden Nutzung von Onlinebestellungen im Handel und in der Gastronomie, aber auch in der vermehrten Durchführung von virtuellen Inbetriebnahmen, Fernabnahmen und -wartungen im Maschinen- und Anlagenbau zeigte (Butollo et al. 2023a; Krzywdzinski et al. 2022a). Unter Digitalisierungsprozessen verstehen wir dabei Maßnahmen, die auf die Computerisierung sowie informations- und kommunikationstechnologische Vernetzung von Arbeitsprozessen abzielen (Butollo et al. 2018; Hirsch-Kreinsen 2020). Zudem wurden im Kontext der Pandemie in einem geringeren Ausmaß auch Automatisierungsmaßnahmen vorangetrieben, die sich auf die Produktion und auf administrative Prozesse erstreckten.

Unternehmen mussten nicht nur die notwendige technische Infrastruktur – mobile Endgeräte, Monitore und Zubehör, Cloud-Kapazitäten und VPNs sowie diverse Kollaborationsplattformen und -software – bereitstellen, sondern auch die Arbeitsorganisation verändern. Mit der Ausweitung mobiler und vernetzter Arbeit wurden Arbeitsroutinen überdacht und neue Konzepte für Arbeitszeitmodelle, Arbeitsplatzgestaltung, Führungskonzepte und Leistungssteuerung gesucht (Detje und Sauer 2021; Frodermann et al. 2021; Krzywdzinski 2022). Das Framing als „arbeitskulturelle Revolution“ (Berzel und Schröder 2021, S. 5) signalisiert die Tragweite der Veränderungen. Empirische Untersuchungen zum Organisationswandel unter COVID-19 deuten auf eine teilweise Enthierarchisierung von Arbeitsbeziehungen hin (Rüb 2021; Krzywdzinski et al. 2022a). Durch die Ausbreitung mobiler Arbeit verliert die Präsenzkultur, die direkte Formen der Kontrolle durch Vorgesetzte impliziert, in Unternehmen an Bedeutung. Stattdessen wird ein stärker vertrauensbasierter, ergebnisorientierter Führungsstil sichtbar, der Mitarbeiter*innen mehr Autonomie und Flexibilität einräumt.

Die Kehrseite solcher Flexibilitätsgewinne bilden Entgrenzungs- und Überlastungstendenzen. Betriebsräte sehen sich zunehmend mit der Problematik konfrontiert, dass Arbeits- und Gesundheitsschutzstandards unterlaufen werden, etwa durch mangelhafte technische und ergonomische Ausstattung im Homeoffice und Arbeitszeitmodelle, die eine Nicht-Erfassung von Überstunden und ständige Erreichbarkeit begünstigen (Bahnmüller et al. 2023; Behrens und Brehmer 2022; Detje und Sauer 2021; Donath und Engelmann 2023; Flemming 2023.). Durch die orts- und zeitflexible Arbeit können nicht nur Grenzen von Erwerbsarbeit und Privatleben verschwimmen, auch steigen dabei möglicherweise die Koordinationsaufgaben, die die Beschäftigten bewältigen müssen (Flemming 2023; Krzywdzinski 2022; Schreyer et al. 2023). Neben der Gefahr einer erhöhten Arbeitsbelastung und Entgrenzung im Homeoffice, kann die verminderte Präsenz von Beschäftigten im Betrieb auch dessen Rolle als Sozial- und Lernort schwächen (Meyer et al. 2023). Die möglichen sozialen und gesellschaftlichen Folgen der Ausweitung mobiler Arbeit werden sich erst langfristig vollständig darstellen und beurteilen lassen.

Mobile Arbeit ist demnach in einem Spannungsfeld zwischen Autonomie- und Flexibilitätsgewinnen und Entgrenzungsgefahren verortet. Dies wirft die Frage auf, wie sich die Veränderungen während der COVID-19-Pandemie auf die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen ausgewirkt haben. Studien zur mobilen Arbeit unter COVID-19 bestätigen, dass eine Mehrheit der Beschäftigten, deren Tätigkeit sich ins Homeoffice verlagern lässt, das mobile Arbeiten begrüßte (Kunze et al. 2021). Die räumliche sowie teilweise zeitliche Entgrenzung der Arbeit wird von vielen Beschäftigten als Ausweitung ihrer Autonomiespielräume und Zeitsouveränität empfunden. Die hohe Zustimmung, die die mobile Arbeit erfährt, ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Beschäftigte das Homeoffice mit einem Mehr an Selbstbestimmung assoziieren (Berzel und Schröder 2021; Krzywdzinski 2022). Ein zentrales Motiv ist hierbei insbesondere die erhöhte Vereinbarkeit von Arbeit und Fürsorgearbeit sowie der allgemeine Wunsch, die Lohnarbeit stärker an die subjektiven Bedürfnisse der Lebensführung anzupassen.

Fragen zur Akzeptanz von Digitalisierungsprozessen sind in der bisherigen Forschung aus verschiedenen Perspektiven betrachtet worden. In der Wirtschaftsinformatik dominiert das Technology Acceptance Model (TAM) (Davis 1989), das in seiner Ursprungsversion zwei zentrale Determinanten der Technologieakzeptanz betont: die wahrgenommene Nützlichkeit der Technik im Arbeitsprozess und die wahrgenommene Benutzungsfreundlichkeit. Dieses Modell wurde weiterentwickelt (Venkatesh et al. 2016) und stellt vier zentrale Determinanten der Technologieakzeptanz in den Vordergrund: die Erwartungen an die Leistung der Technologie (Nützlichkeit), die Erwartungen an den Aufwand der Implementierung (Benutzungsfreundlichkeit), soziale Einflüsse (Konformität, Status) und weitere potenzielle förderliche Rahmenbedingungen (vgl. Venkatesh et al. 2003, S. 451, S. 453). Als förderliche Rahmenbedingung gilt etwa das Vorhandensein einer organisatorischen und technischen Infrastruktur zur Unterstützung der Nutzung des Systems aus Sicht der Beschäftigten.

Arbeitssoziologische Analysen haben ebenfalls verschiedene Faktoren herausgearbeitet, die die Akzeptanz von Digitalisierung beeinflussen können. Für eine gelungene Ausgestaltung des Zusammenhangs zwischen Technik und Organisation wird in der Forschung die Rolle von Beteiligungsverfahren hervorgehoben. Direkte Partizipationsmöglichkeiten und eine aktive Einbindung von Interessensvertretungen in Planungs- und Implementierungsprozesse wirken sich positiv auf die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen aus (Gerst 2020; Hoose et al. 2021; Krzywdzinski et al. 2022b; Bahnmüller et al. 2023). Sind Mitgestaltungsmöglichkeiten dagegen unzureichend, führen die Digitalisierungsmaßnahmen häufig zu Mehrbelastungen und Zusatzaufwänden und werden folglich von den Beschäftigten abgelehnt (Rüb 2021; Kalff und Kutlu 2022; Apitzsch et al. 2023).

Darüber hinaus hängt die Akzeptanz von Digitalisierungsprozessen auch davon ab, wie sich die getroffenen Maßnahmen auf die Arbeitsinhalte, die Arbeitsbelastung und die Autonomie der Beschäftigten auswirken. Offenkundig fällt die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen dann geringer aus, wenn mit ihnen ein Abbau von Arbeitsplätzen oder ein Anstieg an Arbeitsbelastung, etwa in Form erhöhter Flexibilitätsanforderungen, oder eine stärkere Arbeitskontrolle verbunden wird oder einhergeht (Droste 2020; Hoose et al. 2021; Krzywdzinski et al. 2022b). Deshalb müssen gerade die Schnittstellen und Interdependenzen zwischen den technischen, sozialen und organisationalen Teilsystemen in den Blick genommen, und unter Berücksichtigung von Leitbildern guter Arbeit ausgestaltet werden (Apitzsch et al. 2023).

Aus diesen theoretischen Überlegungen lassen sich für unsere empirische Untersuchung die Erwartungen ableiten, dass die Akzeptanz der im Zuge der COVID-19-Pandemie eingeführten Digitalisierungsmaßnahmen dann höher ausfällt, wenn Unternehmen die digitalen Technologien durch organisatorische Veränderungen mit der „soziotechnischen Arbeitswirklichkeit“ (Apitzsch et al. 2021) der Beschäftigten in Einklang bringen. Aufgrund erster Studien zur Wahrnehmung der Arbeit im Homeoffice nehmen wir an, dass die Möglichkeit der Selbstorganisation und der arbeitszeitlichen Flexibilität eine wichtige Rolle spielen.

3 Datengrundlage und Methoden

Die in unserer Analyse genutzten Daten stammen aus dem Projekt „Automatisierung, Digitalisierung und Virtualisierung der Arbeitswelt infolge der COVID-19-Krise“, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördert wurde und mit dem DFG-Schwerpunktprogramm „Digitalisierung der Arbeitswelten“ assoziiert war.

Ausgewertet wurden Daten aus zwei Wellen einer quantitativen Unternehmensbefragung sowie Fallstudien in sechs Branchen: der Automobilindustrie, der Chemieindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Logistikbranche, der Gesundheitsbranche und dem Finanzdienstleistungssektor. Die Branchenauswahl verfolgt zwei Ziele: zum einen wollten wir sowohl Fertigungs-, als auch Dienstleistungsbranchen erfassen, und zum anderen solche Branchen, in denen Auswirkungen der COVID-19-Krise auf Digitalisierungs- und Automatisierungsstrategien zu erwarten waren. In der Befragung sowie in den Fallstudien wurden soweit möglich Vertreter*innen von Management und Betriebsräten zu ihrer Wahrnehmung der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen unter Beschäftigten interviewt. Die Fallstudien und die Befragung wurden 2021 und 2022 in zwei Wellen durchgeführt, sodass neben den kurzfristigen Auswirkungen auch die Stabilisierung der wahrgenommenen Akzeptanz untersucht werden konnte.

Grundlage der Befragung war eine Zufallsstichprobe, die hinsichtlich der Größe der Unternehmen und der Verteilung der Betriebe auf die Bundesländer (unter Berücksichtigung der beschränkten Fallzahl) weitgehend der faktischen Branchenstruktur entspricht (vgl. Tab. 1).

Tab. 1 Zusammensetzung der befragten Betriebe (standardisierte Befragung)

Die 34 qualitativen Fallstudien schließen Unternehmen unterschiedlicher Größe und Position in der Wertschöpfungskette der jeweiligen Branche (z. B. Endhersteller und Zulieferer in der Automobilindustrie) ein. Dabei wurden vor allem auch Großunternehmen berücksichtigt, die in der Zufallsstichprobe der standardisierten Befragung eine kleine Minderheit bilden (vgl. Tab. 2). In den qualitativen Fallstudien bilden Großunternehmen mit Abstand die Mehrzahl der Fälle.

Tab. 2 Zusammensetzung der Fallstudienunternehmen

Die Unternehmen für die Fallstudien wurden so ausgewählt, dass Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Digitalisierungsprozessen in verschiedenen Unternehmenstypen erfasst werden können. Es wurden Vertreter*innen des Managements (Personen aus den Bereichen Digitalisierung, aber auch Personal- oder Betriebsleitungen) und Betriebs- bzw. Personalräte sowie Branchen- und Unternehmensexpert*innen interviewt. Der Fokus auf die Sicht von Management und Betriebsräten folgt der Überlegung, dass diese die entscheidenden Akteure der untersuchten Veränderungsprozesse sind.

Insgesamt wurden 143 jeweils ein- bis zweistündige leitfadengestützte Interviews geführt. Im Unterschied zur standardisierten Befragung standen hier zumeist ganze Unternehmen im Mittelpunkt, wobei in manchen Fällen die Entwicklungen anhand ausgewählter Betriebe erläutert wurden. Wir zitieren nachfolgend die Fallstudien unter Angabe des Branchenkürzels (z. B. Auto, Maschbau, Ges) und der Fallstudiennummer.

4 Fallstudienbefunde: Einflussfaktoren auf die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen

In den Fallstudien wurden Management- und Betriebsratsvertreter*innen als Expert*innen für die Entwicklung der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen in ihren Unternehmen und Betrieben interviewt. Wie erwartet wurde eine möglichst frühe Einbeziehung der Belegschaft als wichtige Voraussetzung für die Akzeptanz genannt (Ges-6, Maschbau-6). Dies wurde damit begründet, dass Beschäftigte oftmals am besten über ihre Arbeitsprozesse und bestehende Schwachstellen Bescheid wissen. Somit können sie passgenaue Lösungen vorschlagen und benennen, wo Digitalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen gewinnbringend eingesetzt werden können und tatsächlich eine Arbeitserleichterung darstellen (Ges-6, Maschbau-6, Logistik-6). Ein untersuchter Fallbetrieb führte ein Vorschlagswesen für den Einsatz von Robotic-Process-Automation-Anwendungen (kurz RPA) ein, was von den Beschäftigten sehr positiv angenommen wurde (Maschbau-6). Auch sollte den Beschäftigten im Vorfeld vermittelt werden, wie sich die Arbeit durch Neueinführungen tatsächlich verändern wird und wie sie langfristig den Alltag verbessern:

„Wir versuchen immer, Mitarbeiter mitzunehmen, versuchen immer, so dieses Big Picture zu zeichnen. [Smart Hospital], was bedeutet das? Wie wird sich das Arbeitsumfeld verändern? Wie wird es sich hoffentlich in vielen Dingen auch verbessern? Aber natürlich auch, welche Anforderungen sind damit verbunden?“ (Ges-4)

Ähnliche Beobachtungen zeigen sich im Logistik-Bereich. Dort verlief die RPA-Einführung unseren Gesprächspartner*innen zufolge zwar zu Beginn holprig, wurde dann aber gut angenommen, weil die Projektzuständigen den Abteilungen die neue Technologie detailliert vorgestellt haben: „Damit es überhaupt erstmal akzeptiert wird und die Leute auf die Idee kommen, Mensch, hier gibt es irgendwie eine stumpfsinnige Arbeit, die ich dann vielleicht diesen Bot machen lassen kann.“ (Logistik-6).

Über Fragen der Partizipation hinaus wurden in den Fallstudien von den interviewten Betriebsratsmitgliedern und Managementvertreter*innen die folgenden sechs Cluster von Faktoren genannt, die die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen beeinflussen (drei Cluster mit positiven und drei mit negativen Faktoren). Obwohl wir in den Interviews auf spezifische Entwicklungen während der COVID-19-Pandemie Bezug genommen haben, handelt es sich doch um Faktoren, die allgemeinen Charakter haben und nicht pandemiespezifisch sind. Einen positiven Einfluss hatten aus Sicht der interviewten Personen vor allem die Erhöhung der Handlungsspielräume, die Stärkung von Selbstorganisation und Veränderung der Führungskonzepte sowie die Entlastung von Beschäftigten.

Erhöhung der Handlungsspielräume von Beschäftigten: Insbesondere im Kontext der Einführung bzw. Zunahme des mobilen Arbeitens wurde oftmals betont, dass diese Art der Arbeitsorganisation für die Beschäftigten eine massive Ausweitung der Selbstbestimmung über die Arbeitszeit bedeutet. Die eingeführten Möglichkeiten wurden in den allermeisten untersuchten Betrieben gut angenommen. Unmut und Kritik entzündeten sich vor allem an Versuchen des Managements, die neu gewonnenen Handlungsspielräume der Beschäftigten wieder zu begrenzen (z. B. Auto-5, Auto-6, Fin-2, Maschbau-3, Ges-4). Allerdings kamen die Zugewinne an Selbstbestimmung und Flexibilität durch mobiles Arbeiten nicht allen Beschäftigungsgruppen gleichermaßen zugute: Beschäftigte in der direkten Produktion und in produktionsnahen Arbeitsbereichen konnten während der COVID-19-Pandemie meist nicht ins Homeoffice wechseln, sodass in einigen Fallunternehmen Gerechtigkeitsdebatten und „Neidsituationen“ entstanden (Auto-4, Chemie-2, Fin-1). Um dem entgegenzuwirken, versuchten einige Betriebe, Lösungen zu finden, mit denen auch Produktionsbeschäftigte, wo möglich (z. B. bei Schulungen), mobiles Arbeiten nutzen können (Chemie-2, Fin-1).

Veränderung der Organisationsstrukturen und Führungskonzepte: In mehreren Fallstudien wurde hervorgehoben, dass für eine sinnvolle Umsetzung mobiler Arbeit die Organisationsstrukturen verändert werden müssen (Chemie-2, Auto-6, Fin-2, Maschbau-1). Da mobile Arbeit den Beschäftigten eine höhere Autonomie bei der Gestaltung ihrer Arbeitszeit und der Entscheidung über ihren Arbeitsort verleiht, müssen Prozesse der Kommunikation und Zusammenarbeit im Team neu abgestimmt werden. Zudem müssen auch Führungskonzepte angepasst werden. Um Gefahren der Isolierung und des Verlusts an sozialer Bindung im Betrieb aufzufangen, müssen die Führungskräfte viel stärker als Coaches und Kommunikator*innen in ihren Einheiten fungieren. Zugleich müssen sie auf Versuche verzichten, ihre Mitarbeiter*innen in allen Einzelprozessen zu kontrollieren, und stärker auf eine Vertrauenskultur setzen. Die Entwicklung entsprechender neuer Organisationsformen ist wichtig für die Funktionsweise der Betriebe und damit auch für die Akzeptanz der Digitalisierung unter Beschäftigten (z. B. Auto-1, Chemie-2, Chemie-3, Fin-1, Fin-3, Logistik-3, Logistik-6, Maschbau-5).

Entlastung: Eine hohe Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen wurde berichtet, wenn die technischen Neuerungen für Entlastungen sorgten, insbesondere bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten. Im Produktionsbereich wurden in einigen Fällen während der Pandemie Roboter eingeführt, die schwere Teile heben (z. B. Auto-2, Logistik-2, Logistik-4, Logistik-6). In anderen Fällen wurde auch von Entlastungen durch die Digitalisierung administrativer Tätigkeiten berichtet, beispielsweise durch Employee-Self-Services, mit denen Beschäftigte eigenständig Urlaubszeiten oder Krankheitstage eintragen können und die Verwaltungsbeschäftigten diese Vorgänge nicht mehr übernehmen (z. B. Auto-1, Auto-2, Chemie-3, Fin-3, Logistik-3, Logistik-4, Maschbau-1, Ges-3). Eine Entlastung war auch der Wegfall von repetitiven Tätigkeiten: Ein Maschinenbau-Betriebsrat berichtete, dass während der COVID-19-Pandemie ein Enterprise-Resource-Planning-System (kurz ERP) eingeführt wurde, das automatisch den Eingang von Rechnungen, Aufträgen und Bestellungen kontrolliert. Damit wurde den Beschäftigten „stupide“ Arbeit abgenommen. Auch neue RPA-Lösungen wurden von den Beschäftigten in der Buchhaltung als Entlastung wahrgenommen (Maschbau-1, Maschbau-6).

Negative Wirkungen auf die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen wurden von den Managementvertreter*innen und Betriebsratsmitgliedern berichtet, wenn es durch die Technologieeinführung zu neuen Belastungen, zu einer Steigerung der Kontrolle oder auch zu Sorgen um die Arbeitsplätze kam.

Belastungen: Vor allem aus den Einführungsphasen neuer Technologien wurden Belastungen berichtet. Beispielhaft dafür ist die digitale Patientenakte, die in der Gesundheitsbranche schon seit Längerem umgesetzt werden soll. In der COVID-19-Pandemie wurde in mehreren unserer Fallunternehmen versucht, die Digitalisierung der Patientenakten voranzutreiben. Die Umstellung war allerdings meist noch nicht komplett vollzogen, sodass Beschäftigte doppelt dokumentieren mussten – analog und digital (z. B. Ges-1, Ges-2, Ges-3, Ges-6). Essenziell bei Neueinführungen war deshalb immer, die Beschäftigten über den langfristig gewonnenen Mehrwert aufzuklären.

„Man muss davon ausgehen, dass die meisten Leute, wenn etwas Neues kommt, erstmal nicht begeistert sind. Also, das dauert ja doch immer so eine Zeit, bis es akzeptiert ist. Und irgendwann, wenn nochmal was Neues eingeführt wird, war das ehemalige Neue dann doch besser. Es braucht halt seine Zeit, bis es akzeptiert ist.“ (Ges-6)

Dabei zeigt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Alter der Beschäftigten und deren Digitalisierungsakzeptanz. In einzelnen Fallunternehmen wurde zwar festgestellt, dass sich ältere Beschäftigte mit digitalen Tools und technischen Neuerungen schwerer tun (Auto-2, Ges-4, Fin-1), allerdings würden die Akzeptanz und entsprechende Berührungsängste auch von der technischen Affinität der Beschäftigten (Fin-2, Fin-3) sowie ihrem Qualifikationsniveau (Auto-2, Chemie-5) abhängen. In einzelnen Fällen nahm durch die Digitalisierung längerfristig die Belastung zu, was sich negativ auf die Akzeptanz auswirkte. Beispielsweise verstärkte sich im Finanz- und Bankensektor während der COVID-19-Pandemie der Trend weg von der direkten persönlichen Kundenberatung in den Filialen hin zu Beratungen via (Video-)Telefonie aus großen Beratungszentren heraus. Dies bedeutet für die Kundenberater*innen eine veränderte Arbeitsweise, die mit einer subjektiv wahrgenommenen Arbeitsverdichtung und schlechteren Arbeitsbedingungen einhergeht. Während die Zielvorgaben angehoben wurden, sodass die Berater*innen einen höheren Durchlauf an zu beratenden Kund*innen pro Tag bewältigen müssen, fallen gleichzeitig persönliche Kontakte bei der Arbeit weg (Fin-2).

Intensivierung der Kontrolle: Eine verstärkte Skepsis unter den Beschäftigten wurde insbesondere dort von den Betriebsratsmitgliedern berichtet, wo die Digitalisierung mit einer höheren Transparenz der Arbeitsprozesse einherging. So führten einige ambulante Pflegedienste während der COVID-19-Pandemie eine elektronische Tourenplanung ein. Dies weckte Ängste: „Aber schon diese Kontrolle: Wo sind wir? Wie lange sind wir wo? Um halt auch betriebswirtschaftlich zu gucken, wie viel kostet der Mitarbeiter, wie viel kosten die Fahrzeiten?“ (Ges-3) Unbehagen wegen des „gläsernen Mitarbeiters“ wurde auch in den Fallstudien im Logistikbereich kommuniziert. So berichteten Betriebsräte, dass die digitalen Handscanner, die mit Assistenzsystemen verbunden sind, nicht nur die Beschäftigten durch die Arbeitsprozesse leiten, sondern auch für die Führungskräfte sichtbar machen, wann die Beschäftigten an welchem Fach welche Artikel entnommen haben (Logistik-1, ähnlich auch Fin-2). Um Leistungskontrollen beim mobilen Arbeiten zu verhindern, existierten in einigen Fallunternehmen zum Zeitpunkt der Interviews schon entsprechende Vereinbarungen (Chemie-1, Chemie-2, Fin-3, Ges-2, Ges-3, Logistik-4). So können Führungskräfte beispielsweise nicht einsehen, wann Endgeräte gestartet oder heruntergefahren wurden, und auch der Aktivitätsstatus in Meeting-Programmen bleibt verborgen.

Angst vor Arbeitsplatzverlust: In unseren Fallbeispielen wurde diese Befürchtung hauptsächlich in Bezug auf die direkten Beschäftigten thematisiert. Dem wird – auch aufgrund des Fachkräftemangels in vielen Branchen – mit der Weiterbildung der eigenen Beschäftigten begegnet (Chemie-1, Chemie-5, Auto-1, Auto-2). Dennoch reagierten gerade in den Produktionsbereichen Beschäftigte häufig skeptisch, wenn neue Automatisierungsmaßnahmen eingeführt wurden. Sorge um Arbeitsplatzverluste wurde auch mehrfach von den interviewten Betriebsräten angesprochen: „Wenn ich in die Zukunft gucke, dann wird mir schon ein bisschen Angst und Bange, weil der Arbeitgeber schon noch mehr automatisieren möchte.“ (Logistik-4, ähnlich auch Auto-3, Auto-4, Fin-1, Logistik-5, Logistik-6) Auch wenn sich Betriebsräte insbesondere in Produktions- und Logistikbereichen wegen des möglichen Arbeitsplatzverlusts von Beschäftigten sorgen, so wird in unseren Fallbeispielen vereinzelt auch davon berichtet, dass administrative Tätigkeiten verlagert werden. Demnach scheint im Personalbereich das Potenzial zur Automatisierung von Sachbearbeitungstätigkeiten hoch zu sein.

Die Befunde der Fallstudien entsprechen den Erwartungen, die aus dem Forschungsstand abgeleitet wurden. Interessant sind vor allem die beobachteten Veränderungen von Organisationsstrukturen und Führungskonzepten, die deutlich auf die von der COVID-19-Pandemie verursachten „arbeitskulturellen“ (Berzel und Schröder 2021, S. 5) Umbrüche hinweisen. Wir stellen nachfolgend zwei Fälle vor. Der erste Fall illustriert einen besonders weitgehenden und strategisch betriebenen Organisationswandel. Der zweite Fall, der sicherlich typischer für die untersuchten Unternehmen ist, zeigt einen kulturellen Umbruch im Unternehmen, der eher reaktiv verlaufen ist.

4.1 Fallbeispiel: Auto-6

In diesem Fallbeispiel, einem Konzern der Automobilindustrie, wurden im Zuge der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden starken Zunahme von Homeoffice grundlegende organisatorische Veränderungen angegangen. Zentraler Ausgangspunkt dabei war die Annahme, dass die Praxis des ortsunabhängigen, digital-vernetzten Arbeitens auch Veränderungen der Teamorganisation und der Führung nach sich ziehen muss. Auf zentraler Ebene wurde ein vom Personalmanagement geleitetes Team „Smart Work“ eingerichtet. Die Aufgabe dieses Teams wurde bewusst allgemein gehalten: Die Erfahrungen der Pandemie sollten aufgearbeitet werden, um zu erfassen, „was macht COVID-19 mit der Arbeit im Unternehmen und wie soll diese künftig gestaltet werden“ (Auto-6).

Zwar gab es schon vor der Pandemie eine Betriebsvereinbarung zum Thema mobiles Arbeiten, allerdings gehen die vom Team „Smart Work“ erarbeiteten Konzepte über die Inhalte der Betriebsvereinbarung hinaus. Das Team konnte feststellen, dass die Nutzung mobiler Arbeit und auch ihre Akzeptanz während der Pandemie massiv gestiegen sind. Die Beschäftigten wollen auch in Zukunft einen Teil ihrer Arbeitszeit nicht im Büro ableisten, wobei aber die Wünsche nach dem Umfang des Homeoffice sehr unterschiedlich und nicht leicht miteinander zu vereinbaren sind. Deshalb machte das Team „Smart Work“ einen radikalen Vorschlag: Teams sollen den Umfang von Homeoffice sowie die dazu benötigten Strukturen von virtuellen und in Präsenz ablaufenden Abstimmungsprozessen, Arbeitsmeetings und anderen Formen der Zusammenarbeit gemeinsam diskutieren und beschließen. Die Führungskräfte nehmen an diesen Diskussionen zwar teil, können aber nicht das Team überstimmen. Die Resultate können unterschiedliche Formen annehmen: Während manche Teams beschließen, dass zwei Tage Homeoffice pro Woche für alle möglich, aber zugleich einige Kernpräsenztage für gemeinsame Arbeit im Büro notwendig sind, arbeiten andere Teams fast vollständig virtuell und legen beispielsweise einen Präsenztag im Monat fest. Das Ziel ist eine Struktur, in der die Teams eigenständig festlegen, welche Arbeitsform für sie am besten funktioniert.

Der Grundsatz dieser Selbstorganisation der Teams wurde in einer neuen Betriebsvereinbarung zum Thema „Smart Work“ festgeschrieben, wobei die Standorte des Unternehmens selbst entscheiden können, inwieweit, also ob und für welche Bereiche, sie diese umsetzen wollen. Begleitet wird die Betriebsvereinbarung von Schulungsangeboten für Führungskräfte und Teams, denn das „Smart Work“-Konzept verändert die Funktionsweise von Führung erheblich. Für das Monitoring der Umsetzung arbeiten jeweils Mitglieder der Personalabteilung mit Betriebsräten und Managementvertreter*innen an den Unternehmensstandorten zusammen.

4.2 Fallbeispiel: Chemie-4

Das zweite Fallbeispiel ist ein Konzern der Chemiebranche. Auch in diesem Unternehmen bewirkte die COVID-19-Pandemie eine massive Ausweitung von mobilem Arbeiten, die erstmal improvisiert werden musste. Eine Betriebsvereinbarung für mobiles Arbeiten war im Unternehmen noch nicht vorhanden, da das Management bis dahin kein Homeoffice zugelassen hatte. Begünstigt wurde die Einführung dadurch, dass seit kurz vor der Pandemie mit dem MS-Office-Paket auch die Kollaborationssoftware Microsoft Teams eingesetzt wurde.

War das Unternehmen also zuvor ein Musterbeispiel für ein konservatives Management, wandelte sich die Führungskultur im Laufe der Pandemie von Grund auf. Beschleunigt wurde dies durch den Umstand, dass eine Reihe überwiegend männlicher Manager altersbedingt ausschied und die jüngeren Führungskräfte den Veränderungen positiv gegenüberstanden. Es fand ein „kompletter Generationenwechsel“ statt, der sich in der Unternehmenskultur widerspiegelt, so der Betriebsrat (Chemie-4). Ein wichtiger Grund für den Wandel war aber auch die Erfahrung des Fachkräftemangels. In der Pandemie sind Möglichkeiten des mobilen Arbeitens zu einer zentralen Forderung von Bewerber*innen geworden und das Unternehmen musste einsehen, dass ohne eine entsprechende Arbeitskultur keine gut qualifizierten Personen gewonnen werden konnten.

In der letzten Phase der Pandemie wurde eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten geschlossen, die den Beschäftigten relativ weitreichende Autonomiespielräume zubilligt. Bis zu 40 % der wöchentlichen Arbeitszeit können Beschäftigte im mobilen Arbeiten verbringen. Daneben wurde im Betrieb ein Pilotprojekt initiiert: In zwei Unternehmensbereichen mit insgesamt circa 80 Beschäftigten können diese frei wählen, wie viel Arbeitszeit sie pro Woche mobil Arbeiten, und zwar unabhängig von der Betriebsvereinbarung. Sie müssen dazu nur wöchentlich vorab angeben, ob und an welchen Tagen sie ins Büro kommen. Begleitend wurde die gesamte Bürostruktur verändert. Zwar gibt es weiterhin Einzelbüros und Besprechungsräume, allerdings sind die Einzelbüros nicht mehr fest den Beschäftigten zugewiesen, sondern werden über ein neu eingerichtetes Officemanagement gebucht. Dieses stellt sicher, dass für die im Büro arbeitenden Beschäftigten Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Die Arbeitszeit wird eigenständig digital hinterlegt, wobei der Arbeitsort und die Arbeitszeiten nicht mehr von der Führungskraft freigegeben werden müssen. Nach Einschätzung des Betriebsrats wird das Pilotprojekt sehr gut angenommen, die Akzeptanz sei hoch, wobei Beschäftigte – wenn man ihnen die Entscheidung überlässt – sogar häufiger zum Arbeiten ins Büro kommen als erwartet.

4.3 Zusammenfassung

Die beiden Fallbeispiele Auto-6 und Chemie-4 illustrieren, dass nur durch einen Organisationswandel das Potenzial digitaler Technologien genutzt und auch Akzeptanz für ihren Einsatz geschaffen werden kann. Chemie-4 ist dabei ein relativ typisches Beispiel: Ein konservatives Unternehmen, das mobile Arbeit vor der Pandemie eher abgelehnt und durch die Pandemie einen Kulturwandel durchlaufen hat. Es experimentiert nun mit Maßnahmen, die den Beschäftigten neue Selbstregulierungsmöglichkeiten hinsichtlich Arbeitszeit und Arbeitsort geben. Auto-6 ist ein bislang eher seltener Fall, in dem dieser Organisationswandel mit einer übergreifenden Strategie verbunden wird, um Teamorganisation und Führungskonzepte zu verändern. Es ist allerdings zu hoffen, dass Lernerfahrungen wie im Fall Chemie-4 auch zu strategisch orientierten Veränderungsprozessen wie im Fall Auto-6 führen.

5 Unternehmensbefragung: Akzeptanz und organisationaler Wandel

Die beiden exemplarisch vorgestellten Fallstudien zeigen, dass einige Unternehmen die Zeit der COVID-19-Pandemie genutzt haben, um organisatorische Veränderungen anzustoßen und vor allem die Selbstorganisationsmöglichkeiten der Beschäftigten zu verbessern und die Führungskonzepte zu reformieren. Wie häufig sind allerdings solche Veränderungen und wie wirken sie sich auf die Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen aus?

Hierzu geben die Ergebnisse der quantitativen Befragung Auskunft. Ein wichtiger Befund ist, dass der Anteil von Unternehmen im Laufe der Pandemie erheblich gestiegen ist, die Maßnahmen wie die Einführung flacherer Hierarchien, die Förderung eines neuen Führungsverständnisses, die Stärkung teamübergreifender Zusammenarbeit und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten berichteten. In unserer Befragung 2021 nannten 16 % der Unternehmen Maßnahmen zur Förderung eines neuen Führungsverständnisses, in der Befragung 2022 waren es 28,8 % (vgl. Abb. 1). Wir können dies so interpretieren, dass im Zuge der Pandemie immer deutlicher wurde, wie entscheidend es ist, Digitalisierungsmaßnahmen organisatorisch zu flankieren. Insofern weisen die Zahlen auf einen Lernprozess der Unternehmen hin, dass technische Veränderungen von entsprechenden organisatorischen Veränderungen begleitet werden müssen.

Abb. 1
figure 1

(Quelle: Krzywdzinski et al. 2023)

Organisationsmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie.

Zugleich werden Unterschiede zwischen den organisatorischen Maßnahmen sichtbar. Maßnahmen zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten sowie zur Stärkung teamübergreifender Zusammenarbeit (um die mit der Verbreitung des mobilen Arbeitens einhergehende Fliehkraft wieder einzufangen) wurden 2022 in fast der Hälfte der befragten Unternehmen ergriffen. Maßnahmen zur Veränderung des Führungsverständnisses wurden hingegen nur in knapp 30 % der Unternehmen umgesetzt und Maßnahmen zur Reduktion von Hierarchien nur in einem Fünftel.

Unsere quantitativen Daten erlauben keine genaueren Aussagen über die Reichweite der Maßnahmen, also etwa über den Anteil der Führungskräfte, die bei Maßnahmen zur Veränderung des Führungsverständnisses einbezogen wurden, oder über den Umfang der Hierarchiereduktion. Wir vermuten, dass die Reichweite der durchgeführten Maßnahmen sehr stark variiert: In manchen Fällen werden sie eher „kosmetischen“ Charakter haben, in anderen einen tiefgreifenden.

Welcher Zusammenhang der organisatorischen Maßnahmen mit der Akzeptanz von Digitalisierung lässt sich feststellen? Schauen wir zuerst auf die berichtete Akzeptanz allgemein. In beiden Wellen der quantitativen Befragung teilen sich die Unternehmen in drei relativ ähnlich große Gruppen. 2021 gaben 39 % der befragten Unternehmen eine stark gestiegene Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen an, 35 % eine teilweise gestiegene Akzeptanz und 26 % eine schwache oder gar keine Zunahme der Akzeptanz. Im Jahr darauf berichteten 34 % eine stark gestiegene Akzeptanz, 39 % eine teilweise gestiegene Akzeptanz und 27 % eine schwache oder gar keine Zunahme der Akzeptanz. Dabei zeigt sich, dass eine gestiegene Akzeptanz der Digitalisierung von strukturellen Faktoren abhängt. Größere Unternehmen gaben eher eine gestiegene Akzeptanz der Digitalisierung an, ebenso Unternehmen, die ein starkes Wachstum während der Pandemie durchlaufen haben. Dieser Zusammenhang ist statistisch signifikant (p < 0.01).

Außerdem wurde deutlich, dass eine gestiegene Akzeptanz der Digitalisierung auch davon beeinflusst wird, zu welchem Sektor das Unternehmen gehört. So berichteten insbesondere im Finanzdienstleistungssektor (58 %) und in der Chemiebranche (42 %) die Unternehmen von einer starken Zunahme der Akzeptanz der Digitalisierung. Im Gesundheitssektor waren es immerhin 33 % der Unternehmen, in den anderen Sektoren (Automobil, Maschinenbau, Logistik) nur rund ein Viertel der Unternehmen. Auch der Zusammenhang zwischen Sektor und berichteter Akzeptanz der Digitalisierung ist statistisch signifikant (p>0.01).

Eine gestiegene Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen hängt auch deutlich mit Investitionen in die Digitalisierung zusammen, und zwar in beiden Befragungswellen in einem sehr ähnlichen Umfang (vgl. Abb. 2). 60 bis 70 % der Unternehmen, die während der COVID-19-Pandemie in Digitalisierungsprojekte investiert haben, berichteten in beiden Wellen eine gestiegene Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen. Demgegenüber waren es nur etwa 20 % der Unternehmen, die während der Pandemie nicht in die Digitalisierung investiert haben. Offenbar werden Digitalisierungsmaßnahmen stärker akzeptiert, wenn sie mit funktionierenden Infrastrukturen einhergehen. Erst wenn Unternehmen Digitalisierungsprojekte aktiv gestalten und entsprechende Ressourcen bereitstellen, kann Akzeptanz entstehen.

Abb. 2
figure 2

(Quelle: Krzywdzinski et al. 2023)

Akzeptanz der Digitalisierung und Investitionen in Digitalisierungsprojekte.

Darüber hinaus zeigt auch der Umfang der mobilen Arbeit einen statistisch signifikanten (p > 0.01) Zusammenhang mit der Zunahme der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen. Dies entspricht dem Ergebnis anderer Umfragen, wonach sich mobile Arbeit einer hohen Zustimmung erfreut (Kunze et al. 2021) und damit zur Akzeptanz der Digitalisierung beiträgt.

Bei dem für uns besonders spannenden Zusammenhang zwischen organisatorischen Veränderungen und der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen wird ein interessantes Muster sichtbar. Grundsätzlich gehen organisatorische Veränderungen im Sinne von mehr Selbstmanagement, weniger hierarchischer Führung und mehr Arbeitszeitflexibilität aus Sicht der befragten Manager*innen mit einer höheren Akzeptanz von Digitalisierung einher. Allerdings schwächt sich dieser Zusammenhang zwischen den beiden Befragungswellen ab (vgl. Abb. 3). Während 2021 über 80 % der Unternehmen, die verstärkt Maßnahmen zur Förderung neuer Führungskonzepte umgesetzt hatten, eine deutlich zunehmende Akzeptanz der Digitalisierung berichteten, waren es 2022 nur etwa 60 %. Hatten 2021 über 60 % der Unternehmen, die die Flexibilisierung der Arbeitszeiten spürbar vorangetrieben hatten, eine starke Zunahme der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnamen berichtet, so waren es 2022 nur noch etwa 40 %. Ein positiver Zusammenhang zwischen organisationalen Veränderungen und der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen besteht in beiden Wellen, fällt für 2022 jedoch schwächer aus.

Abb. 3
figure 3

(Quelle: Krzywdzinski et al. 2023)

Organisationale Veränderungen und Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen, 2021 und 2022.

An dieser Stelle können nur vorläufige Überlegungen zur Erklärung dieser Entwicklung präsentiert werden. Möglicherweise berichteten in der Befragungswelle 2021 vor allem Vorreiterunternehmen von organisationalen Veränderungen, während die Befragung 2022 bereits viele Nachzügler einschließt, die der Diskussionen über den Bedarf an einer organisatorischen Flankierung der technischen Maßnahmen folgen, ohne ihre Organisation auch tatsächlich in der benötigten Tiefe umzustrukturieren. Vielleicht wird hier aber auch ein langsames Zurückrudern des Managements im Hinblick auf Organisationsmaßnahmen sichtbar. Zwar geben immer mehr Unternehmen an, dass sie die neue Welt der virtuellen Arbeit durch veränderte Führungskonzepte begleiten. Allerdings zeichnet sich die Tendenz ab, dass das Management die Regeln für mobile Arbeit und die Virtualisierung von Prozessen wieder strikter handhabt und verstärkt auf Präsenz im Betrieb drängt. Dementsprechend kann die Schwächung des Zusammenhangs zwischen den berichteten organisationalen Veränderungen und der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen auch auf eine Ernüchterung aufseiten der Beschäftigten hindeuten. Setzten sie am Anfang größere Hoffnungen in die Veränderung von Arbeitsabläufen, den Abbau von Hierarchien und eine größere Autonomie, müssen sie nun zunehmend feststellen, dass die organisationalen Maßnahmen in den Unternehmen in diesem Sinne nicht ausreichen oder dass durch hybride Modelle unbeliebte Aspekte des alten Status quo wiederhergestellt werden. Auch wenn sich der Zusammenhang zwischen Organisationsveränderungen und der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen während der COVID-19-Pandemie etwas abschwächt, bedeutet das keineswegs eine Rückkehr zum Status quo vor der Pandemie. Das mobile Arbeiten sowie die eingeführten Automatisierungs- und Digitalisierungsmaßnahmen werden die Arbeitswelt in der Zukunft prägen.

6 Schlussfolgerungen

Unsere Analyse zeigt, dass die COVID-19-Pandemie einen partiellen Digitalisierungsschub ausgelöst hat, der Arbeitsorganisation und Organisationskultur nachhaltig verändert hat. Die virtuelle Zusammenarbeit im Homeoffice erfuhr eine erhebliche Ausweitung und initiierte auch die Digitalisierung verschiedener anderer Prozesse, insbesondere in der Administration und im Vertrieb. Viele dieser Digitalisierungsprozesse befanden sich jedoch schon vor der Pandemie in der Planung und wurden durch die Coronakrise beschleunigt.

Die Coronakrise bestätigte eine der Grundlagen der soziologischen Technikforschung: Betriebe sind soziotechnische Systeme, weshalb eine technische Umgestaltung auch von organisatorischen Veränderungen begleitet werden muss. Zu Beginn der Pandemie führten Digitalisierungsprozesse oftmals zu Überforderung und stießen auf wenig Akzeptanz. Organisatorische Anpassungen und zusätzliche Investitionen im Laufe der Pandemie bewirkten dann eine steigende Akzeptanz der Maßnahmen. Wie unsere Fallstudien zeigen, hängt diese Akzeptanz von einigen Faktoren ab, die in der Forschung bekannt, und von der Pandemie unabhängig sind: die Be- oder Entlastung durch Technologien, die Erweiterung von Handlungsspielräumen oder die Verstärkung der Kontrolle sowie der Einfluss auf die Beschäftigungssicherheit.

In den Fallstudien trat aber auch ein Faktor zutage, den wir in der quantitativen Befragung vertieft haben: organisatorische Veränderungen spielen eine wichtige Rolle im Umgang mit der verstärkten Arbeit im Homeoffice und steigern die Akzeptanz, wenn sie der Stärkung der Selbstorganisation und Arbeitszeitflexibilität von Beschäftigten dienen. Direkte hierarchische Kontrolle stößt dagegen an ihre Grenzen, sodass Unternehmen zunehmend ihre Führungskonzepte überdenken müssen.

Am Beispiel von zwei Fallstudien zeigten wir unterschiedliche Ausprägungen dieser Entwicklung. Der Fall Chemie-4 repräsentiert ein konservatives Unternehmen, das in der COVID-19-Pandemie von seiner Ablehnung mobiler Arbeit abrücken und mehr Selbstorganisation und Flexibilität zulassen musste, da es sonst massiv an Attraktivität für Beschäftigte verloren hätte. In der Zeit fand ein Generationenwechsel im Management statt, die Regeln für das mobile Arbeiten wurden verändert und Pilotversuche für neue Formen des Selbstmanagements von Teams unternommen.

Der Fall Auto-6 steht hingegen für eine strategische Veränderung der Arbeitskultur. Das Unternehmen besaß bereits eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten, realisierte aber im Zuge der Pandemie, dass nicht nur Anwesenheitszeiten geregelt, sondern auch die Funktionsweise von Teams und von Führung verändert werden müssen.

In unserer quantitativen Befragung wurde sichtbar, dass im Laufe der Pandemie die Zahl von Unternehmen gestiegen ist, die solche organisatorischen Veränderungen vornehmen. Wir konnten allerdings nicht die Tiefe der Veränderungen messen, sondern nur die Tatsache, dass sich Unternehmen während der Pandemie stärker mit Selbstorganisation, neuen Führungskonzepten und Arbeitszeitflexibilität befasst haben.

Darüber hinaus stieg die Akzeptanz von Digitalisierung während der Pandemie gleichbleibend an: In beiden Erhebungswellen 2021 und 2022 berichteten 34 bis 39 % der befragten Unternehmen eine starke oder sehr starke Zunahme der Akzeptanz von Digitalisierungsmaßnahmen, und weitere 35 bis 39 % eine teilweise Zunahme. Die Befragung bestätigt auch, dass die Akzeptanz dort stärker zunimmt, wo Führungskonzepte verändert, Teams mehr Selbstmanagement zugebilligt und den Beschäftigten mehr Arbeitszeitflexibilität ermöglicht wurde. Allerdings schwächt sich dieser Effekt zwischen den beiden Erhebungswellen leicht ab. Je mehr Unternehmen diese Veränderungen vornehmen, desto geringer sind die gemessenen Auswirkungen im Hinblick auf die wahrgenommene Akzeptanz. Möglicherweise orientiert sich die wachsende Zahl von Unternehmen, die von organisatorischen Maßnahmen berichtet, an den Vorreiterunternehmen, setzt die Maßnahmen aber nur halbherzig um, sodass diese entsprechend weniger akzeptiert werden.

Die Ergebnisse unser Studie sind insbesondere dadurch limitiert, dass wir die Akzeptanz von Digitalisierungsprozessen lediglich auf Basis der Wahrnehmungen des Managements und der Betriebsräte messen konnten und Beschäftigte nicht direkt befragt wurden. Zugleich verweisen unsere Ergebnisse deutlich auf Veränderungen der Arbeitskultur nach der COVID-19-Pandemie.