Schlüsselwörter

1 Wege ins digitale Zeitalter

Die Digitalisierung der Lebens- und Arbeitswelten zählt zu den hervorstechenden Kennzeichen unserer Gegenwart. Dabei ist die aktuelle Ordnung des digitalen Zeitalters das Ergebnis langanhaltender Wandlungsprozesse. Inzwischen sind der Computer und sein Personal historisch geworden. So besitzen die Menschen und Maschinen des digitalen Zeitalters eine über sieben Dekaden währende Geschichte. Angesichts beschleunigter Veränderungsdynamiken gelten die 1990er Jahre manchen Autor*innen populärer Sachbücher bereits als „digitale Steinzeit“ (Lobe 2022). Indes grundieren von Anbeginn Euphorie und Ängste die lange und wechselvolle Geschichte des digitalen Wandels. Auch in Deutschland gewann dieser Wandel ab der Mitte der 1950er Jahre an Schwung. Aus zeithistorischer Perspektive gehört die Etablierung des Computers daher zu den „wichtigsten gesellschaftlichen Veränderungen der jüngeren globalen Zeitgeschichte“ (Bösch 2018, S. 7).

Neuere Forschungen haben eindrücklich gezeigt, dass die allmähliche Verbreitung von Computerwissen und -hardware in Industrie, Handel und Verwaltung, aber auch in Militär, Polizei und Nachrichtendiensten bis 1970 eine wachsende Zahl gesellschaftlicher Kontexte prägte und erhebliche soziale, politische und kulturelle Folgen zeitigte. Der Wandel der Arbeitswelten im Gefolge des Computers war in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Er war zum einen die Konsequenz neuer technischer Möglichkeiten, das heißt zunächst der zunehmenden Verbreitung von Großrechnern und später der Evolution der Mikroelektronik und des Ausbaus digitaler Netze in den „langen“ 1970er Jahren. Zum anderen war der Wandel aber auch das Ergebnis neuer sozialer Dynamiken und der Adressierung und Verarbeitung gesellschaftlicher Problemlagen, die die Formen des Computereinsatzes nachhaltig veränderten (Gugerli 2018). Je komplexer die Anwendungen der neuen Technik wurden, desto erfolgreicher waren auch neuartige Programmier- und Beratungsdienste. So muss neben der Geschichte der Hardware auch die Geschichte von Wartung, Reparatur und begleitenden (Beratungs-)Services stärker als bislang in den Blick genommen werden (Russel und Vinsel 2018; Krebs et al. 2018).

Im vorliegenden Beitrag wird die Ausbildung und Entwicklung von Computerdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er bis 1990er Jahren untersucht. Dazu wird ein historischer Überblick über die Voraussetzungen und Dynamiken der Entstehung dieser neuen Branche einer digitalen Dienstleistungsökonomie gegeben und zugleich erkundet, wie der Wandel digitaler Infrastrukturen und die Emergenz digitaler Expert*innen und neuen digitalen Know-hows diesen Prozess beeinflussten. Dies wird in drei Schritten geschehen. Erstens werden einige historisch-systematische Beobachtungen zur Geschichte des digitalen Zeitalters angestellt, um den Strukturwandel der Computerindustrie ab den 1950er Jahren zu erklären. Zweitens wird ein kurzer Überblick über den digitalen Wandel der Arbeitswelten und die Entwicklung der Branche der Computerdienstleistungen in der Bundesrepublik gegeben. Und drittens wird – am Beispiel der Debatte über die Frage „EDV in Eigenregie oder außer Haus?“ – die sich verändernde Rolle von Computerdiensten und die (De-)Zentralisierung von Ressourcen anhand ausgewählter Fallbeispiele näher diskutiert. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie sich die Durchdringung der Arbeitsprozesse und Unternehmensstrukturen durch digitale Technologien und die wachsende Bevölkerung der Arbeitswelten durch das Personal der Computer-Spezialist*innen auswirkte. Neben den politischen, rechtlichen und ökonomischen Kontexten soll dazu stets auch die breitere, medial angeheizte Debatte über den Siegeszug des Computers zur Sprache kommen.

2 Computergeschichte(n): Historische Perspektiven

Im Jahr 1970 publizierte eine Forschergruppe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit eine „Analyse der Entwicklung der Datenverarbeitung“ (Ulrich et al. 1970). Der darin skizzierte historische Abriss, der bis in die Frühphase des 17. Jahrhunderts zurückreichte, verzeichnete zwischen 1950 und 1970 eine gesteigerte Veränderungsdynamik, die sich aus der voranschreitenden Durchdringung des „öffentlichen Lebens“ durch den Computer ergab – ablesbar sowohl im Bereich der Computerproduktion und EDV-Anwendung, der Programmierung und Wartung von Anlagen, als auch im Feld der Ausbildung von Computer-Spezialist*innen in der Bundesrepublik. Wie hier, so kennzeichnete die Wahrnehmung, in einer Epoche beschleunigten, „revolutionären“ Wandels zu leben, die Gegenwartsdiagnostik des digitalen Zeitalters. Dabei hatten sich – in und über die Bundesrepublik hinaus – „Fachmänner“ von Beginn an in ihren Deutungen eines epochalen Wandels im Zeichen der „Informationsgesellschaft“ (Fritz Machlup; Tadao Umesao; Karl W. Deutsch) und „Wissensarbeit“ (Peter F. Drucker, Rob E. Lane, Daniel Bell) überschlagen (vgl. dazu Stehr 2001, 2022; Reinecke 2010). Neuere historische Forschungen haben die gedanklichen Wurzeln und sprachlichen Implikationen dieser Konzepte, die in die Sphäre des Managements und der Unternehmensberatung verweisen, einer kritischen Analyse unterzogen (Hirschi 2020). Zwar avancierte die „Digitalisierung“ über die Jahre zu einem schillernden „Modebegriff“ (Mertens et al. 2017, S. 63–65; Leonhard 2013, S. 172) bzw. einem „Meta-Tag“ (Pfeiffer 2021, S. 9) der Auseinandersetzungen. Im Gegensatz zur bis heute allgegenwärtigen Revolutions- und Innovationsrhetorik gilt allerdings in der historischen Forschung inzwischen als Konsens, dass die „digitale Transformation“ ein länger währender, evolutionärer Wandlungsvorgang war, der sich als widersprüchlicher, ambivalenter Prozess erwies und pluritemporale, aber auch räumlich verschiedene Dynamiken hervorbrachte (Homberg 2022a; Wichum und Zetti 2022; Heßler und Thorade 2019; Bösch 2018). Dabei sind Überlegungen zu digitalgeschichtlichen Epochenschwellen – angesichts der „digitalen Gräben“ zwischen Globalem Norden und Süden (Homberg 2022b; Mullaney et al. 2021; van Dijk 2020) – in globaler Perspektive ebenso zu differenzieren wie die abweichenden Dynamiken einer digitalen Durchdringung von Lebens- und Arbeitswelten.

In der Bundesrepublik gehörten ab Mitte der 1950er Jahre neben Industrie, (Dienstleistungs-)Unternehmen und staatlichen Behörden auch (außer-)universitäre Einrichtungen zu den Treibern des digitalen Wandels. Technologiepolitische Weichen stellte die BRD vergleichsweise spät; nur zögerlich kam es ab 1955 zur Förderung der EDV-Technik. Bundesweite Programme begannen ab 1967 (Homberg 2017; Bösch 2018), wobei der Fokus zu Beginn stärker der Förderung industrieller Forschung und Entwicklung und vor allem der Hardwareproduktion galt. Jedoch kam der Subventionierung der Hochschulen und der Ausbildung, aber auch der DV-Anwendung in der Folge rasch größere Bedeutung zu (Sommerlatte et al. 1982, S. 80, vgl. Leimbach 2010, S. 182–187). Besonderheiten des deutschen Falls lagen neben der Dominanz kleiner und mittelständischer Unternehmen, die den Prozess des digitalen Wandels prägten und verzögerten (Petzold 1985, S. 428–432; Leimbach 2010, S. 70), auch in den komplexen Bedingungen des deutschen Föderalismus (Thießen 2022). Der Einsatz von Computern in der Wirtschaft, so ließe sich zuspitzen, diente primär der Optimierung und Rationalisierung von Arbeitsprozessen. Hier waren Abrechnungen und Buchhaltung wichtige Motoren der bundesdeutschen Computerexpansion gewesen, noch bevor digitale Rechner oder auch Roboter zur Steuerung und Kontrolle in der Industrie zum Einsatz kamen. Zugleich indizierte die dynamische Verbreitung des Computers im Handel und im Banken- oder Versicherungswesen ab den 1950er Jahren aber auch weiterreichende gesellschaftliche Wandlungsprozesse, allen voran die Ausweitung von Massenkonsum und Wohlstand in der Bundesrepublik (Bösch 2018, S. 13; Heßler 2015; Müller 2020).Footnote 1

3 Datenarbeit: Die Geschichte der Computerdienstleistungen

Der Siegeszug digitaler Dienstleistungen wird in aller Regel als rezentes Phänomen wahrgenommen. Heute zählt die Branche der IT-Services – inklusive Beratungs- und Programmierdiensten, Systemtechnik und -integration sowie des Betriebs von Rechenzentren und Cloud-Diensten, aber auch des weiten Felds des Business Process Outsourcing – zu den wichtigsten und zugleich stark wachsenden weltweit. Inzwischen arbeiten über 50 Mio. Beschäftigte im IT-Service, wobei der Jahresumsatz kürzlich die magische Schwelle von 1 Mrd. US-Dollar überstieg (Statista 2023; Yost 2017, S. 1). Allein in der Bundesrepublik waren 2021 über eine Million Menschen im Bereich „Software & IT-Services“ beschäftigt (BITKOM 2022). Neben zahlreichen Gewinnern produzierte die Ausweitung der Computerdienste in den letzten Jahren allerdings auch Verlierer. So werden die zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeitsbeziehungen durch online-basierte Dienste und die gleichzeitig voranschreitende Erosion des Normalarbeitsverhältnisses durch mobile und in vielen Fällen prekäre Arbeitsformen, wie im Fall des Crowdworkings, als Kennzeichen eines neuen „digitalen Kapitalismus“ beschrieben, der eine „Enteignung von Arbeit“ und neue, neo-liberale „Risikokaskaden“ hervorbringe (Staab 2019; vgl. dazu auch Gray und Suri 2019; Pfeiffer 2021). In der Kritik an den neuen Ungleichheitsdynamiken im digitalen Zeitalter, etwa durch gewerkschaftliche Akteure (vgl. z. B. Dierks 2017), erschien „Datenarbeit“ als Symbol der neuen, digitalen Dienstleistungsökonomie des 21. Jahrhunderts. Doch reichte ihre Geschichte wenigstens bis in die 1950er Jahre zurück.

Um die Geschichte der EDV-Dienstleistungsbranche zu beschreiben, müssen die vorhandenen Zahlen zur Bundesrepublik vor der Folie verschiedener Erhebungs- und Auswertungsmethoden kritisch gelesen werden. Erste Studien aus den 1970er Jahren postulieren ein starkes Wachstum des DV-Marktes (Jonas et al. 1975; Kirsch et al. 1979; Neugebauer et al. 1976, 1980; Buttler und Simon 1987, S. 50–58). In diesen Untersuchungen wurden allerdings vor allem Einzeldaten zu Hardwareherstellern wie IBM und Siemens und deren Engagements in der Entwicklung von Programmier- und Beratungsdiensten zusammengetragen; sie sind daher ebenso schwer vergleichbar wie verallgemeinerbar. Erschwerend kam, wie eine Erhebung konstatierte, die „unüberschaubare Zahl von Klein- und Kleinstfirmen, die für kurze Zeit am Markt auftreten und z. T. wieder verschwinden“ hinzu, die einen neuen „Teilmarkt“ mit „niedrigsten Markteintrittsschranken“ hervorbrachte (Kloten et al. 1976, S. 153–155). Dennoch erlaubten die existierenden Kennzahlen – unabhängig von den exakten Umsatzvolumina der Branche – eine Trendaussage, die das amerikanische Magazin Forbes zur auch für den deutschen Fall durchaus treffenden Formulierung von der „software industry“ als „the growth industry’s growth industry“ veranlasste (Seneker 1981, S. 142; vgl. auch OECD 1985, S. 10–17; EG 1986, S. 59–66; Müller 1990, S. 1–3). Schätzungen zufolge, lag die Zahl der unabhängigen „Software-Unternehmen“, deren Jahresumsatz 1975 über 1 Million DM erreichte, in der Bundesrepublik bei rund 500. Im Jahr 1980 erreichten circa 750 Firmen diesen Wert, wobei rund 2650 Unternehmen in dieser Sparte existierten, die System- und Anwendungssoftware entwickelten sowie EDV-nahe Dienste übernahmen (Neugebauer 1986, S. 2–5; vgl. Dietz 1995; Leimbach 2010, S. 40–43).

Auch die Zahl der Beschäftigten wuchs beständig. Ende der 1970er Jahre arbeiteten rund 100.000 Personen in der EDV (Homberg 2018, S. 110–112; Bösch 2018, S. 28). Laut der Volkszählung 1987 waren rund 18 %, das heißt rund 42.000 Personen, der knapp 228.000 „Informatiker“ als „Rechenzentrums- und Benutzerservice-Fachleute“ tätig. Die DV-Beratung machte weitere 15.000 Personen aus, während etwa ein Drittel des Fachpersonals, mehr als 75.000 Personen, zu den „Softwareentwicklern“ zählte, darunter allein rund 45.000 Programmierer*innen (vgl. Dostal 2006, S. 95, 105, 111). Um die Jahrtausendwende expandierte das Feld der „IT-Dienstleistungen“ noch einmal stark; allein zwischen 1998 und 2001 erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten um knapp 45 %, während die IT-Branche um rund 15 %, von 710.000 auf knapp 820.000 Beschäftigte, wuchs (Boes 2003, S. 137 f.; vgl. auch Hachtmann 2015, S. 219–222).

Das rapide Wachstum der Branche zwischen den 1950er und 1990er Jahren erklärte sich auch aus dem Wandel der Computertechnik und der Praxis der Computerdienstleistungen. Dabei gehörte die Bundesrepublik um 1960 – nach den USA und neben England und Frankreich – zu den größten Computermärkten der Welt, gemessen an der Zahl der installierten Rechner und der Höhe der zu entrichtenden Monatsmieten für Computer (Jansen et al. 1969, S. 33 f.; Diebold Deutschland GmbH 1970, S. i; Diebold Deutschland GmbH 1971, S. 203 f.; Jacob und Jungemann 1972, S. 31–88, 181–188).Footnote 2

Ausgangs der 1950er Jahre, als sich „frei“ programmierbare Computersysteme zu verbreiten begannen, waren es noch vor allem die Hardwarehersteller, die System- und Anwendungsprogramme „im Paket“ mit dem Rechner auslieferten, die Anwender in eigenen DV-Schulen in der Nutzung des Systems ausbildeten und begleitende Services wie die Einrichtung, Wartung und Reparatur des Systems in die Vertragsverhandlungen integrierten. In den 1960er Jahren übernahmen dann – im Fall größerer Anwender – rasch eigene DV-Abteilungen die Entwicklung individuell zugeschnittener Anwendungslösungen (Gugerli 2018; Yost 2017; Campbell-Kelly 2003; Campbell-Kelly und Garcia-Swartz 2015; zur Bedeutung von Einzellösungen vgl. bereits Neugebauer et al. 1976, S. 170–172; Neugebauer et al. 1980, S. 62–67; Neugebauer et al. 1983, S. 11–15, 23–25).Footnote 3 Einige Großkonzerne gründeten überdies Tochterunternehmen aus, um Computerdienstleistungen anzubieten, wie beispielsweise die Mannesmann-Datenverarbeitungs-GmbH ab 1970Footnote 4 oder den IT-Dienstleister VW-GEDAS ab 1983. Hinzu kamen sukzessive auch externe Angebote herstellerunabhängiger „Software-Häuser“, die nun Standardanwendungen entwickelten. Freie und kooperativ genutzte Rechenzentren ergänzten herstellergebundene Hardwareangebote, die vor allem kleinere und mittlere Betriebe, aber auch Selbstständige und Kleinunternehmer (Jurist*innen, Mediziner*innen, Steuerberater*innen) nutzten – und dies bisweilen, wie im Fall der Volksbanken oder der DATEV, in genossenschaftlichen Modellen (Nähr 1967; Heinrich 1969, S. 87–103; Wolff 1971; Schwab 1972, S. 132; Straube 1972, S. 151–157; DATEV 1973; Oeffling 1982; Vollmer 1991; Dube 1993; Böbel 1998).Footnote 5

In der „Software-Krise“ 1968 (Naur und Randell 2001; vgl. Leimbach 2010, S. 216–237) rückten die Entwicklung und Anpassung von Computerprogrammen stärker in den Fokus und lösten den Bereich der Hardware als vorrangigen Kostentreiber ab. Zugleich eröffnete das sogenannte Unbundling („Entflechten“) von Hard- und Softwareproduktion neue unternehmerische Märkte. Dabei prägte von Beginn ein Mangel an Programmierer*innen (Ensmenger 2010, S. 23–25; Hicks 2017, S. 225–240) und an DV-Arbeiter*innen (Schlombs 2023, S. 67), etwa im Bereich des Lochkartenstanzens, die Entwicklung. Am Ende der Großrechner-Ära erschlossen die „Mittlere Datentechnik“ der 1970er Jahre (Sebinger 1976; Computerwoche 1977; Pleil 1982; vgl. auch Müller 2008, 2012)Footnote 6 und die Verbreitung der Personal Computer der 1980er und 1990er Jahre (Danyel 2012; Ehrmanntraut 2019; Albert 2019; Sarasin 2021; Halvorson 2022) neue Anwendergruppen.

Immer mehr Unternehmen setzten so über die Jahre die neuen digitalen Techniken ein. Der Computer spielte in diesem Prozess eine ambivalente Rolle: Zum einen war er Impulsgeber einer Rationalisierung der Büro- und Industriearbeit, zum anderen veränderte sich der Charakter der „Datenarbeit“ im Zuge des digitalen Wandels auch selbst. So erlebte die EDV-Branche zwischen den 1950er und den 1990er Jahren einen gravierenden „Strukturwandel“. In den Medien dominierte zu Beginn das Bild der (in aller Regel männlich imaginierten) Programmierer (Gugerli 2015) als ebenso elitäre wie wunderliche und geheimnisvolle „Menschen, die mit Maschinen sprechen“ (O’Brien 1961; vgl. auch Bednarik 1965). In der Praxis allerdings zeigten sich schon von den 1960er zu den 1970er Jahren deutliche Abweichungen von dieser Vorstellung: Während die sich etablierende mathematisch-theoretische Disziplin der „Informatik“ durchaus zu einer männlichen Domäne avancierte und auch Karrieren in Unternehmen im Bereich der EDV in vielen Fällen Männern vorbehalten blieben, war das Programmieren, vor allem aber die Datenverarbeitung – auch in der Bundesrepublik – über viele Jahre hinweg Frauen überlassen worden, die vorzugsweise als „Datentypistinnen“, „Rechenmädchen“ und „Locherinnen“ arbeiteten (vgl. dazu Driessen 1987, S. 187–190; Hoffmann 1987, S. 73–74, 125–153; Boß und Roth 1992, S. 195; Roth 1992, S. 93–99; Rohr und Zander 1992, S. 71 f.; Dietz 1995, S. 28–43; Dostal 2006, S. 107, 158; Homberg 2018, S. 108–110). Noch 1978 suchte der genossenschaftlich organisierte Datendienstleister DATEV in einer Stellenanzeige der Franken Rundschau ausdrücklich „Hausfrauen!“ und lockte mit dem gewissen „Extra-Geld“ für „Extra-Wünsche“. „Berufskenntnisse“ seien dazu „nicht erforderlich“, dafür aber biete das 850 Mitarbeiter*innen zählende Rechenzentrum während der Arbeitszeiten (14.30 bis 23.00 Uhr) einen „Kreis netter Kolleginnen“.Footnote 7

Diese geschlechterbezogenen Ungleichheiten in der Computerindustrie überlagerten zudem allgemein herrschende Klassenunterschiede. So reichte das Spektrum der Computer-Fachleute um 1970 von hochausgebildeten und -bezahlten Expert*innen, allen voran im Bereich Programmierung und IT-Beratung, bis hin zu EDV-Arbeiter*innen, die als Operateur*innen, Sortierer*innen und Tabellierer*innen tätig waren.Footnote 8 Dabei erwies sich gerade das Arbeiten in den Maschinenräumen der Rechenzentren als geistig und körperlich strapaziös. Hier war das Personal nicht selten einer hohen Lärmbelastung und schwierigen klimatischen Bedingungen ausgesetzt; auch waren Akkordarbeit (in der Stapelverarbeitung) und Schichtdienste an der Tagesordnung (vgl. Schramm 1976; Ullrich 1977, S. 280–290; Wolters 1978; Schmidhäusler 1979; Neef 1979, 1980; Röske 1981; Scheidel 1985; Karck 1985; Dahmen 1985a).

Wie divers das Feld der „Computerberufe“ war, bezeugen die Mikrozensus der 1970er und 1980er Jahre (vgl. Dostal 2006, S. 88–112; Leimbach 2010, S. 301–03). Obschon es in den „langen“ 1970er Jahren zu einer Pluralisierung der Karriere- und Ausbildungswege kam, dominierten auch weiter die Praktiker*innen (Kienbaum 1978, S. 10, 17) – „learning on the job“ lautete das Credo. Entsprechend hatten viele Gründer*innen von Computerfirmen zuvor bereits bei Hardwareherstellern oder großen DV-Anwendern gearbeitet, respektive ihre Ausbildung genossen. Mit der steigenden Zahl der (Fach-)Hochschulabsolvent*innen wurden indes auch universitäre Spin-offs üblicher (Domsch et al. 1983, S. 50–60; Neugebauer 1986, S. 1). Diese Tendenzen bewiesen sich exemplarisch im Fall der SAP, für deren Gründung 1972 ein Quintett ehemaliger IBM-Mitarbeiter verantwortlich zeichnete, ebenso wie im Fall des Instituts für Angewandte Informationsverarbeitung, aus dem, dank der Nähe zum Deutschen Rechenzentrum (DRZ) und der Darmstädter TU, schon drei Jahre zuvor die „Software AG“ hervorgegangen war (vgl. Dietz 1995, S. 50–62; Leimbach 2008, 2017).Footnote 9

Die Angebote der DV-Dienstleistungsbetriebe waren derweil so verschieden wie die Wünsche der DV-Anwender. Zur Branche gehörten klassische Programmierbüros, aber auch komplexere „Software-Häuser“, DV-Beratungen, Rechenzentrumsbetreiber und sogenannte System-Häuser, die ihre Services an konkrete Hardwaresysteme banden. Kleinere Programmierbüros waren besonders zahlreich, den größten Anteil an den DV-Märkten besaßen die „Software-Häuser“. Typologisch zu unterscheiden sind Firmen, die sich auch und gerade als Produktentwickler sahen, wie SAP, das eigene real-time systems (R/1) pilotierte, und solche, die vor allem das Dienstleistungsgeschäft oder auch hybride Modelle betrieben. Die in Hamburg ansässige Scientific Control Systems (SCS), ein Ableger der deutschen BP, übernahm beispielsweise die Auswahl von Computersystemen und dazu passende Programmierarbeiten, Schulungen und Training, aber auch das Feld der Organisationsberatung. Zu den Kunden gehörten staatliche Einrichtungen ebenso wie deutsche Großunternehmen wie VW, Siemens oder die Deutsche Bank, in denen nicht selten auch „Prestigegründe“ (Jaeggi und Wiedemann 1963, S. 11–16; Leimbach 2010, S. 297 f.) für den Erwerb von Computern ausschlaggebend waren. Zugleich erweiterten klassische Managementberatungen, wie die 1967 in München gegründete Firma Roland Berger, Mitte der 1970er Jahre ihre angebotenen Leistungen im Bereich der Konzeption und Implementierung von DV-Systemen und setzten hier eine wachsende Zahl an Mitarbeiter*innen ein (Dietz 1995, S. 54–57; Leimbach 2010, S. 289–293, 298–300; Lippold 2016, S. 38–40).

4 Computer-Dienstleister in der Bundesrepublik

4.1 Zentralisierte Hardware, dezentrale Dienste: Die Geschichte des „Mathematischen Beratungs- und Programmierungsdienstes“

Die Geschichte einer eigenständigen Branche von Computerdienstleistungen begann Mitte der 1950er Jahre. Im Februar 1957 wurde der Mathematische Beratungs- und Programmierungsdienst (mbp) als eines der ersten „Software-Häuser“ Europas mit einem Stammkapital von 100.000 DM von 14 Unternehmen in den Räumen der Dortmunder Industrie- und Handelskammer gegründet, darunter die Hoesch AG als größte Anteilseignerin (25 %), lokale Industriebetriebe, allen voran aus der Stahl- und Kohleindustrie und dem Maschinenbau, Banken und Handelskonzerne sowie Energieversorger. Die Idee zur Gründung einer privatrechtlichen Beratungs- und Entwicklungsgesellschaft im Feld der elektronischen Datenverarbeitung hatte der promovierte Mathematiker Hans Konrad Schuff, der bis zu seinem Tod 1968 Geschäftsführer von mbp blieb.

Das Rechenzentrum Rhein-Ruhr, eine Betriebsabteilung von mbp, ging zwei Jahre nach der Gründung des Unternehmens als erstes herstellerunabhängiges Dienstleistungsrechenzentrum in der Bundesrepublik in Betrieb (vgl. Ellerbrock 2010, S. 35–37).Footnote 10 Die Rechenanlage vom Typ X-1 der Firma Electrologica hatte die gigantische Summe von über 538.000 DM gekostet; zu den Schwerpunkten gehörten Berechnungen im „technisch-mathematischen“ Bereich (Mathematik/Physik, Baustatik, Operations Research), aber auch in der „kaufmännischen Datenverarbeitung“ (Beratung, Organisation, Programmierung), etwa zur Abwicklung der Finanz- und Lohnbuchhaltung (mbp 1968; Pärli 1982). Um 1970 zählte die Belegschaft, wie ein leitender Manager in einer Ringvorlesung vor angehenden Mathematiker*innen kundgab, rund 150 Personen, die meisten davon (40) waren in der Programmierung großer Systeme tätig (Ringkolloquium 1972, S. 123–133). Dabei hatte das Gros des akademischen Personals ein Studium der Mathematik, Physik oder auch der Ingenieurs- und Betriebswirtschaften abgeschlossen (wobei die Frauenquote bei mbp im wissenschaftlichen Personal bei beachtlichen knapp 20 % lagFootnote 11). Zwar gebe es Schulungen im Bereich der Datenverarbeitung, „im Wesentlichen“ aber erfolge auch hier die „Ausbildung ‚on the job‘“. Voraussetzung für den „verantwortungsvollen und hochbezahlten“ Beruf des Programmierers, der nach einigen Jahren durchaus 3000 bis 5000 DM verdienen könne, sei daher vor allem „Interesse und geistige Beweglichkeit“. Angesichts steigender Konkurrenz, allen voran zu US-amerikanischen Firmen, laute die Devise, „mobil“ und „flexibel“ zu bleiben, zumal der „Mitarbeiter“ das einzige „Produktionsmittel“ dieser neuen Industrie sei. Zur Kehrseite gehöre indes, dass sich die Angestellten bei den Arbeitszeiten „nach den Maschinen [zu] richten“ und so bisweilen auch Überstunden zu leisten hätten (Ringkolloquium 1972, S. 130 f.).

Um dem allgegenwärtigen Mangel an geeignetem Personal zu begegnen, bildete mbp, zusammen mit dem Dortmunder Arbeitsamt, deshalb auch Fachpersonal aus und veranstaltete Programmierlehrgänge (Interview Hans Pärli, in O’Brien 1961, S. 132; vgl. NDR-Film 1959; WDR-Film 1962). Zudem gab die Firma das Magazin elektronische datenverarbeitung heraus, das rasch zu einem der wichtigsten Fachorgane der Branche wurde. So war das Unternehmen binnen weniger Jahre – neben der 1962 von Friedrich A. Meyer gegründeten Wilhelmshavener Firma ADV/Orga – zu einem der Pionierunternehmen in der bundesdeutschen Geschichte der Computerdienstleistungen geworden, das in der Folge stark expandierte. In den 1970er Jahren gründete mbp Niederlassungen in der Bundesrepublik, in Frankreich, Großbritannien und in den USA. Zum 25. Firmen-Jubiläum beschäftigte mbp 450 Mitarbeiter*innen und erreichte einen Umsatz von rund 50 Mio. DM. 1993 wurde es an den amerikanischen Konzern EDS veräußert, noch bis 2008 arbeiteten ehemalige Beschäftigte in Dortmund. Später übernahm HP den Konzern. Heute wird die Gründung von mbp als „weitsichtige Wirtschafts- und Technologieförderung“ sowie als „Initial zur Begründung des IT-Standortes“ gesehen (Ellerbrock 2010, S. 35 f.).

Aus der Geschichte des Computerdienstleisters mbp lassen sich drei Erkenntnisse über die Dynamiken des digitalen Zeitalters ziehen: Erstens zeigt der Fall, dass die zu Beginn überragende Bedeutung zentralisierter Hardware – in Rechenzentren (Dommann et al. 2020) – in den „langen“ 1970er Jahren zusehends abnahm und dezentrale Arrangements und Beratungsangebote wichtiger wurden. Bis 1970 war „data work“ vielerorts vor allem „data center work“ – also „Rechenzentrumsarbeit“ – gewesen, auch weil die Akquise von Rechnern energie-, personal- und kostenintensiv und das Know-how rar waren. Vor allem kleinere Firmen schlossen sich daher zusammen, teilten sich Rechenzeiten („Time-Sharing“) und nutzten die Dienste der „Software-Häuser“.Footnote 12 Als um 1970 neue, günstigere Formen des Computereinsatzes – im Zeichen des Mikrochips – möglich wurden, entbrannte rasch eine „Make or Buy?“-Debatte unter dem Slogan „EDV in Eigenregie oder außer Haus?“ (Komor 1970), die auch die Erwartungen an Unternehmen wie mbp veränderte. Die Miniaturisierung der Hardware, in deren Folge Klein- und Mikrocomputer in Büros und Fabriken einzogen, aber auch der Ausbau digitaler Netze, die mobiles Arbeiten bzw. das „Telearbeiten“ von zu Hause möglich machten, erforderten eine Ausweitung des (Produkt-)Portfolios und eine Expansion in neue Segmente zur Optimierung von Prozessen, die sich auch in den Angeboten der Firma widerspiegeln (mbp: Bilanz- und GeschäftsberichteFootnote 13; vgl. auch Pärli 1982, S. 155 f.; FAZ 1990 sowie allg. Griese 1982, S. 147–150). So reichte das Spektrum alsbald von der Einrichtung „technischer Systeme“ – in den Bereichen Produktion und Management, aber z. B. auch Verkehr – über die Implementierung von Rechnernetzen und Kommunikationssystemen bis hin zur Programmierung komplexer Einzellösungen und der Installation, Wartung und Reparatur grafischer DV-Systeme. Dabei wurden auch die lokal eingesetzten Berater*innen und ihr Know-how zusehends zu einer mobilen, „teilbaren“ Ressource in der neuen, digitalen Dienstleistungsökonomie.

Zweitens kann man am Beispiel der Geschichte des mbp den digitalen Wandel der Arbeitswelten in den Blick nehmen. So eroberten die digitalen Expert*innen schnell die Unternehmen, transformierten Managementkonzepte und wirbelten, nicht ohne Konflikte, etablierte betriebliche Hierarchien durcheinander. Dabei waren allerdings deutliche Unterschiede auszumachen zwischen den neuen, elitären Angestellten, den Computer-Spezialist*innen, und der Masse der Locher*innen, Maschinenbediener*innen und Programmierer*innen (vgl. dazu allg. Jaeggi und Wiedemann 1963, S. 132–135, 182–195, 228 f.; Bednarik 1965, S. 26–28, 103–118; Hoos 1966, S. 38–87; Brandt 1967; Fischer 1970; Altmann und Kammerer 1970; Blau 1971; MM-Industrie-Journal 1973; Hytha 1976; Heibey et al. 1977; Neef 1979, 1980; Briefs 1980; Molitor 1984, S. 145–147; Littek et al. 1991, S. 15–17; Boß und Roth 1992, S. 253–280; Hartmann 1995). Zugleich beobachteten bereits die Zeitgenoss*innen die wachsende Gräben zwischen Dienstleistern und Kunden. Eindrücklich rieten die Beiratsvertreter den Computer-Fachleuten so am Rande einer Sitzung in der Hauptverwaltung der Hoesch-Werke Mitte der 1970er Jahre dazu, ihr „Datenverarbeitungs-‚Chinesisch‘ […] in eine allgemeinverständliche Sprache zu transponieren“.Footnote 14 Das war auch innerhalb des Hoesch-Konzerns wichtig, dessen Werkszeitung Werk & Wir wie schon der Industrie-Film „Im Bruchteil von Sekunden“ den Siegeszug der Computer in den 1960er und 1970er Jahren bildgewaltig inszenierte (Im Bruchteil von Sekunden 1960; Werk & Wir 1970). In den Betrieben und Beteiligungen der Hoesch Werke AG arbeiteten 1975 circa 50.000 Menschen, davon gehörten rund 500 Personen zur Stabsstelle „Zentrale Datenverarbeitung“ (ZDH); insgesamt waren 1250 Mitarbeiter*innen des Konzerns mit diversen „Computerfragen“ betraut, darunter auch die Angestellten des mbp. Das konzerneigene Rechenzentrum wurde im „Closed-shop-Betrieb“ geführt, sodass es einer Sondergenehmigung zum Betreten des Maschinenraumes bedurfte (Windfuhr 1976, S. 1–5). Eine solche hermetische Abschottung des Rechenzentrums erregte – auch über mbp hinaus – erheblichen Argwohn. So dokumentierte 1978 das Hörspiel „Datenverarbeitung“ die Gegensätze zwischen Computer-Spezialist*innen und Anwendern und verlieh dazu einer zynischen Kritik des Arbeitens in der EDV Ausdruck (Wolters 1978; vgl. dazu Schaumann 1981, S. 111–116; Hischenhuber 1985, S. 142–144).

Drittens sind die Verwandlungen des Dienstleistungsbetriebs besonders eindrücklich vor der Folie des „Strukturwandels“ in NRW zu analysieren. Im Herzen des Ruhrgebiets angesiedelt, war die Förderung der Computerindustrie und angeschlossener Services auch eine Frage von Prestige und Image. Im Land von „Kohle und Stahl“ (Raphael 2019, S. 465) avancierte der digitale Wandel so zum Versprechen der „Zukunftsfähigkeit“ (Thießen 2022, S. 68–73; vgl. auch Buchholz und Czierpka 2021, S. 145–167), wobei der Computer in den 1960er und 1970er Jahren besonders den Krisendiagnosen („Jobkiller“) angesichts des Zechensterbens und des langen „Abschieds vom Malocher“ (Hindrichs et al. 2000) Vorschub leistete, bevor in den 1980er und 1990er Jahre eine aktive Förderpolitik, inklusive millionenschwerer Subventionsprogramme, ein neues „Landesbewusstsein“ etablieren sollte (Hitze 2010). Im Geiste dieser Gegenwartsdiagnostik wurde auch mbp in Fernsehsendungen, allen voran im WDR, sowie in der Tagespresse als Sinnbild des digitalen Strukturwandels und eines unumkehrbaren Trends hin zur „Dienstleistungsgesellschaft“ beschrieben. Eine regionalhistorische Perspektive, die die Beziehungsgeschichten von kommunaler und landesstaatlicher Politik, Industrie und Verwaltungen in den Blick nehmen will, kann aus diesem Fallbeispiel lernen.

4.2 Die „Infrastruktur“ der Datendienstleistungen: Staatliche Förderungen, digitale Netze und kommunale (Service-)Rechenzentren

Die Frage nach der Zentralisierung oder Dezentralisierung der Computeranlagen und ihrer computergestützten Datendienste grundierte auch die Auseinandersetzung um die Relevanz von Rechenzentren. In den 1960er und 1970er Jahren kam es in der Bundesrepublik zu einem regelrechten Boom der (Service-)Rechenzentren. Um 1970 existierten so bereits über 500 Zentren, von denen wenigstens 150 bis 200 exklusiv oder partiell für Dritte arbeiteten (vgl. Schneider 1968, S. 87–95; Heinrich 1969, S. 77–83; Hellfors 1971, S. 5; MM-Industrie-Journal 1972, S. 400; Fischer und Frimmel 1976, S. 9; Kloten et al. 1976, S. 130–136; Oehler und Seibt 1980, letztere nennen rund 300 Service-Rechenzentren).Footnote 15 Der Verband deutscher Rechenzentren (Lange-Hellwig 1972, S. 34–52; VDRZ 1980) versammelte das Gros dieser Serviceanbieter.

Die Frage „Kleincomputer oder Rechenzentrum“ (Schneider 1968) bewegte dabei zusehends auch staatliche Planungsbehörden. Im März 1968 hatte das Bundeskabinett die Errichtung einer Koordinierungs- und Beratungsstelle für die EDV in der Verwaltung beschlossen, die ein Bundesdatenbanknetz etablieren sollte. Nur wenige Wochen später wurde die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) gegründet, die sich der Systemplanung und Programmierung sowie der Erprobung von Modellsystemen widmete (BT 1968, S. 1–7; vgl. Frohman 2020, S. 311–313). Der am 10. Februar 1970 gebildete Kooperationsausschuss Automatisierte Datenverarbeitung, kurz KoopA ADV, unternahm derweil den Versuch, die Sammlung und Verwaltung der Datenbestände in Bund, Ländern und Kommunen zentral zu organisieren und zu koordinieren (Brinckmann und Kuhlmann 1990, S. 123–133; vgl. allg. Fleischhack 2016, S. 38–65, 69–79). Länder und Kommunen beschlossen die legislativen Grundlagen, um den Datenverkehr in Form von „Informationssystemen“ zu synchronisieren. In der Folge etablierte sich ein Netz kommunaler Datenverarbeitungszentralen, sogenannter Gebietsrechenzentren (KGRZ), die regionale Datendienste für den öffentlichen Sektor anboten, beispielsweise die 1967 gegründete Aachener Datenverarbeitungsgesellschaft, die vier Jahre später eingesetzte Anstalt für Kommunale Datenverarbeitung in Bayern oder das 1972 errichtete Kommunale Gebietsrechenzentrum Kassel. Das Journal Öffentliche Verwaltung und Datenverarbeitung (ÖVD) berichtete über die Vorhaben zur Neuordnung des Datenverkehrs. Bis 1978 gab es bereits über 100 kommunale Rechenzentren (vgl. KGSt 1975, 1981; ADV 1987). Dabei war der Trend zur Vernetzung der Computersysteme Ausdruck einer stärkeren Zentralisierung und „Bund-Länder-Verflechtung“, wie sie in den 1970er Jahren generell charakteristisch war (Bösch 2018, S. 24 f., 29–32). Zugleich zeigte sich, dass der Ausbau digitaler Netze und „Infrastrukturen“ (van Laak 2018) insbesondere von divergierenden ökonomischen und politischen Zielsetzungen, aber auch regionalem Kompetenzgerangel und lokal-situativen Opportunitäten abhängig blieb (Thießen 2022, S. 64–68).

Eine zentrale Steuerungsinstanz war das Bonner Bundesministerium für das Post- und Fernmeldewesen, das sowohl die Tarife des digitalen Datenverkehrs kontrollierte als auch die bundesdeutschen Computermärkte zu regulieren versuchte. Ausdruck des dirigistischen Plankalküls zur Förderung zentralisierter DV-Dienste war die Gründung der Deutschen DATEL-Gesellschaft für Datenfernverarbeitung zum 1. Juni 1970, die im Dienste der Expansion der „Fernmeldewege“ und des „Ausbau[s] von Computer-Zentralen und deren Vermietung“ nach dem Modell des „Time-Sharings“ stand (Die ZEIT 1970; vgl. Novotny 1973; FAZ 1975; vgl. auch Röhr 2021, S. 193–196). Zu den Gründern zählte, neben der Deutschen Bundespost, ein Konsortium der Computerhersteller Siemens, Nixdorf, AEG und Olympia. Das Ziel der DATEL war es – in Kooperation zum Deutschen Rechenzentrum – klein- und mittelständischen Betrieben günstige EDV-Anwendungen und -Dienste anzubieten.Footnote 16 Der Traum erwies sich allerdings als kurzlebig, da die Allianz binnen weniger Jahre am wiederholten Dissens über organisationale, technologische und strategische Fragen zerbrach. Als Siemens und AEG ihren Rückzug ankündigten und die DATEL in die Hände ausländischer Wettbewerber (Générale de Service lnformatique Europe, GSI, Brüssel, sowie INDELEC, Schweizerische Gesellschaft für elektrische Industrie, Basel) geriet, sorgte sich der Bundestag im März 1975 um ein potenziell ausländisches Netzwerkmonopol (BT 1975, S. 10857).Footnote 17 Die Episode zeigt, wie stark der Ausbau digitaler Netze und Computerservices zugleich eine Frage regionaler und nationaler Förderpolitik war. So avancierten Rechenzentren zu kritischen „Infrastrukturen“.

4.3 Nationale Lösungen, internationale Verbindungen: Computerdienstleistungen zwischen „Böblingen und Bangalore“

Zu den wichtigsten Spielern im Bereich der Computerdienste in der Bundesrepublik gehörten US-amerikanische Computerhersteller, allen voran IBM, die bereits ab den 1950er Jahren hardwarenahe Dienste wie die Programmierung und Wartung von Maschinen anpries, wobei Vertrieb, Marketing und Beratung in der Praxis durchaus verbunden waren. Bis in die 1970er Jahre etablierte IBM ein dichtes Netz von Forschungs- und Entwicklungszentren rund um den Globus, darunter auch in Böblingen (gegr. 1953), und richtete in den 1990er Jahren schließlich eine eigene IBM Consulting Group ein, die globale Datendienste und strategische Beratungen anzubieten begann (FAZ 1972; Peter 1975, S. 75–79; Rösner 1978, S. 88–97; Howe 1993; Ganzhorn und Barsuhn 2005; Yost 2017, S. 45–62, 177–210; Cortada 2019, S. 471–473).

Schon an der Schwelle der 1970er Jahre waren viele Computerhersteller und -dienstleister dazu übergegangen, ihre Angebote zu „internationalisieren“. Zu diesem Zweck kam es zum einen zur Gründung von Auslandsgesellschaften, die – wie im Fall von Siemens, Nixdorf und SAP – auch deutsche Unternehmen zu Global Playern im Bereich des Computerhandels werden ließen. Bisweilen begannen die Ausgründungen von Tochter-Firmen und Auslandsdependancen ebenso wie die Verstärkung des Exports von Produkten in die USA, nach Großbritannien oder nach Japan sogar noch vor der Konsolidierung am deutschen Markt, wie der Expansionskurs der Software AG ab Mitte der 1970er Jahre bewies (Leimbach 2017; vgl. auch Leimbach 2010, S. 283–285, 393 f.). Zugleich gehörte zur viel beschworenen „Internationalisierung“ der Handel von Maschinen, Programmen und Datendiensten ins Ausland, allen voran im Prozess der Anpassung und Vereinheitlichung von IT-Prozessen in multinationalen Konzernen. Dabei gab es durchaus kontroverse Debatten über den neuen Kurs und bisweilen auch erhebliche Widerstände gegen den globalen Handel, etwa im Fall von Geschäftsbeziehungen, die Systemhäuser wie SCS oder mbp zu autokratischen Staaten anbahnten oder auch zu solchen, die wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen in der Kritik standen, wie zu Südafrika in der Apartheid-Ära, zu Ägypten oder auch zu Saudi-Arabien. Im September 1985 wurden die Rechenzentren der beiden Konzerne gar Opfer von Bombenanschlägen (vgl. z. B. WDR-Film 1985; zum Computer-Terrorismus vgl. zur Mühlen 1973; Dahmen 1985b; Campbell 1988, S. 1–15; Campbell 2011, S. 17 f., 37–45).Footnote 18 So wurden nationale Lösungen und Ansprüche zusehends vor der Folie globaler Verflechtungen gelesen.

Zum anderen avancierte die Verlagerung von IT-Jobs, gerade im Bereich der Computerdienste, in den 1990er Jahren zu einem markanten Zeichen der „Flexibilisierung“ (Sennett 2000, S. 27–30) und „Globalisierung“Footnote 19 der Arbeitswelten in der Computerindustrie (Homberg 2018; vgl. allg. Söbbing 2015). Hier rückten die Länder des Globalen Südens, allen voran Indien, in den Fokus auch der bundesdeutschen Debatte: „Bangalore statt Böblingen?“ (Boes und Schwemmle 2005) lautete demnach um die Jahrtausendwende die Frage. Indische Firmen kontrollierten nun rund zwei Drittel des globalen IT-Outsourcings und erreichten zudem bis 2007 einen Anteil von 45 % im Bereich Business Process Outsourcing (Mascarenhas 2010, S. 137). Neben der Auslagerung von Arbeitsplätzen und Know-how in Callcentern nearshore und offshore etablierte sich auch eine Praxis des „Bodyshoppings“, die Spezialist*innen rund um den Globus buchstäblich in Bewegung brachte und so die „global verteilte Kopfarbeit“ antrieb (vgl. Boes und Kämpf 2011; Feuerstein 2012; Sharma 2015; Mayer-Ahuja 2017). Die erste Euphorie (Friedman 2005) um die Ausbildung neuer digitaler, global vernetzter Arbeitsmärkte, in deren Zuge die Gegenwartsdiagnostik eine Einebnung globaler Hierarchien und Ungleichheiten prognostizierte, wich indes rasch der Skepsis. So blieben digitale Gräben zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden vielerorts bestehen. In historischer Perspektive sind die emanzipatorischen Versprechen, die die vielgestaltigen Wege ins digitale Zeitalter grundierten, daher kritisch zu bewerten. Hier erwies sich das Ringen um „digitale Unabhängigkeit“ – wie in Indien – schon angesichts der Dynamiken von Kaltem Krieg und Dekolonisierung, aber auch im Zeichen der neuerlichen, tektonischen Verschiebungen nach 1990 als ein bis heute hochgradig ambivalenter Prozess (Homberg 2022a, 2022b).

5 Fazit

Am Beispiel der wechselvollen Geschichte der Computerdienstleistungen in der Bundesrepublik ab den 1950er Jahren lassen sich exemplarische Überlegungen zum Einsatz von Computern in Industrie, Handel und Verwaltung diskutieren und darüber zugleich dynamische wie auch verzögernde Perioden der deutschen Digitalgeschichte bestimmen. Überdies erlauben die Beobachtungen, den allgemeinen und ab den 1950er Jahren – im Anschluss an die Thesen Jean Fourastiés – zusehends beschworenen, von Euphorie und Ängsten begleiteten Wandel zu einer „Dienstleistungsgesellschaft“ (Gross 1983) an einem sektoralen Beispiel kritisch zu beleuchten. Chronologisch lassen sich drei Phasen unterscheiden: In der ersten Phase der 1950er und beginnenden 1960er Jahre vollzog sich die „Datenarbeit“ noch vorrangig in eigens angelegten, riesigen Rechenzentren, die zu einem Werkzeug der Optimierung und Rationalisierung von Arbeitsprozessen wie Unternehmensstrukturen, aber auch der Veränderung von Business-to-Business-Beziehungen wurden. In der zweiten Phase der „langen“ 1970er Jahre richteten vor allem große Konzerne in der Bundesrepublik eigene EDV-Querschnittsabteilungen ein und erprobten durch die Entwicklung der Mikroelektronik dezentrale Wege der Datenverarbeitung, die im Zuge des „Unbundlings“ von Hardware und Programmierdiensten auch dezentrale (Unternehmens-)Beratungen im Bereich der Computer-Services hervorbrachten. Hier erlebte die Bundesrepublik eine „Make or Buy?“-Debatte, die unter dem Slogan „EDV in Eigenregie oder außer Haus?“ stand, wobei sich die Lösung des „Time-Sharings“ und des vernetzten Datenaustauschs insbesondere für die vielen klein- und mittelständischen Unternehmen in der BRD als probate Option erwies. In der dritten Phase ab Ende der 1970er Jahre und vor allem in den 1980er und 1990er Jahren bildete sich alsdann – parallel zum neuerlichen Trend zur Zentralisierung von „Datendienstleistungen“ – ein weites Netz von Berater*innen aus, die die zunehmend global vernetzten Arbeitsprozesse zu begleiten und zu gestalten begannen. Die lange Geschichte des Servicesektors spiegelte so in Diskurs und Praxis die verzweigten bundesdeutschen Wege in die „digitale Gesellschaft“ wider (Bösch 2018; vgl. auch Gugerli und Zetti 2018).