Schlüsselwörter

1 Einleitung

Die Frage, wie sich die digitale Transformation der Arbeitswelt fassen lässt, wird nach wie vor lebhaft diskutiert. Gerade weil dabei oftmals große Begriffe und revolutionäres Wording verwendet werden, warnen zahlreiche arbeitssoziologische Ansätze davor, verschiedene Realitäten von Digitalisierungsprozessen in der Arbeitswelt unter die Universaldiagnose eines radikalen digitalen Wandels zu subsumieren. Mit wachsendem Forschungsbestand zeigt sich zugleich immer deutlicher, dass differenzierte Empire ohne konzeptuelle Versuche, den roten Faden im Disparaten zu finden, unbefriedigend bleibt (u. a. Apitzsch et al. 2021; Butollo et al. 2021). Um zwischen theoretisch-abstrakten Analysen sozioökonomischer Entwicklungen und disparater Empirie konkreter Arbeitsprozesse zu vermitteln, schlagen wir daher eine konzeptuelle Perspektive vor, die sich auf unternehmerische Strategien der Digitalisierung richtet. Als Anknüpfungspunkt dient uns dabei der „Betriebsstrategieansatz“ (Altmann et al. 1978; Bechtle 1980), der technisch-organisatorische Veränderungen im Betrieb vor dem Hintergrund betrieblicher Verwertungsprobleme entschlüsselt. Der analytische Fokus auf unternehmerische Strategien erlaubt es, leistungspolitische Entwicklungen digitalisierter (Industrie-)Arbeit, auf die wir uns in unserem Projekt und in diesem Beitrag konzentrieren, im Zusammenwirken sozioökonomischer Rahmenbedingungen, technischer Innovation und betrieblicher Gestaltungsspielräume zu fassen. Anhand zweier Fallstudien von Automobilzulieferern beleuchten wir dabei nicht nur die Wirkungen des Zusammenspiels unterschiedlicher Digitalisierungsstrategien auf den Arbeitsprozess, sondern insbesondere auch ihre Brüche und Widersprüche.

Anknüpfend an die Klärung des Strategiebegriffs als konzeptueller Rahmen unseres Forschungsprojekts und dessen Verortung im Forschungsstand (Abschn. 2) nehmen wir die digital gestützte Reorganisation in den beiden Fallbetrieben in den Blick (Abschn. 3). Hierzu rekonstruieren wir Strategien der Digitalisierung, indem wir zunächst die ökonomische Einbettung des Betriebs sowie die entsprechenden Herausforderungen, auf die das Verwertungsinteresse stößt, analysieren und diese zu betrieblichen Maßnahmen der Digitalisierung in Bezug setzen (Abschn. 3.1). Die konkreten Veränderungen der Arbeits- und Leistungsbedingungen verorten wir im Spannungsfeld von explizit auf die Steuerung von Arbeitskraft gerichteten Strategien sowie von Digitalisierungsstrategien, die auf die durchgängige Transparenz von Prozessen und die Vereinheitlichung digitaler Systeme zielen (Abschn. 3.2). Die damit verbundenen Zielsetzungen richten sich auf eine systemische Rationalisierung der Arbeits- und Produktionsprozesse, die Einflussnahme auf Märkte und die Neuausrichtung der Geschäftsmodelle, erweisen sich jedoch als nicht unabhängig von der leistungspolitischen Gestaltung des Arbeitseinsatzes. Vielmehr ist mit dem Ziel, Prozesse unternehmensübergreifend digital möglichst flexibel und anpassungsfähig zu gestalten, auch ein spezifischer Modus des Einsatzes, der Kontrolle und der Steuerung von Arbeit verbunden, den wir als widersprüchliche Gleichzeitigkeit von Aktivierung und Einhegung bestimmen und der von einer digitalen Durchdringung der konkreten Arbeitstätigkeit mit Echtzeitdaten gekennzeichnet ist (Abschn. 3.3). Im anschließenden Abschnitt rekonstruieren wir gegensätzliche Dynamiken zwischen Digitalisierungsstrategie und bestehenden betrieblichen Prozessen und Erfordernissen der konkreten Arbeit (Abschn. 4). So scheitert die Praxis betrieblicher Digitalisierungsstrategien immer wieder an der Vermittlung von Widersprüchen zwischen Vorgaben und stofflichen Erfordernissen, zwischen internen (Produktion) und externen (Kunden, Lieferanten) Prozessen und vielem mehr. Zwar stellen betriebliche Strategien gerade Bewältigungsversuche jener widersprüchlichen Konstellationen dar, sie erzeugen aber systematisch neue Widersprüche, deren Lösung strukturell den Beschäftigten überantwortet wird. Im Fazit (Abschn. 5) rekapitulieren wir unsere Erkenntnisse, diskutieren einige theoretische Implikationen unserer empirischen Befunde und reflektieren die empirisch-konzeptuelle Aufgabe, beobachtbare Brüche und Fehlleistungen von Digitalisierungsprozessen im Kontext rekonstruierter Digitalisierungsstrategien als systematische Widersprüche greifbar zu machen.

2 Analyserahmen: Betriebliche Strategien und Leistungspolitik

In der digitalen Transformation der Arbeitswelt geht es nicht nur um die Veränderung von Märkten und ökonomischen Rahmenbedingungen, sondern wesentlich auch um die Frage, wie die innere Organisation der Arbeit – die Steuerung und Kontrolle von Leistung – durch den Einsatz digitaler Technologien beeinflusst wird. Zu Beginn der jüngeren Digitalisierungsdebatte seit den 2010er Jahren häuften sich hierzu arbeitssoziologische Diagnosen, die im ausgeweiteten Einsatz digitaler Technologien einen neuerlichen Aufschwung tayloristischer Steuerung zu erkennen glaubten (Brown et al. 2011; Staab 2015; Barthel und Rottenbach 2017; Altenried 2017). Gerade in ihrer einseitigen Zuspitzung ist diese Diagnose alsbald theoretisch (Nies 2021; Klur 2023) und empirisch vielfach kritisiert und die Aufmerksamkeit zunehmend auf Spielräume eigensinnigen Arbeitshandelns und Mikroprozesse des Widerstandes (Matuschek und Kleemann 2018; Birke 2022; Simon et al. 2022), Gestaltungsoffenheit und ambivalente Wirkungen digitaler Technologien (Jaehrling 2019; Apitzsch et al. 2021) sowie auf widersprüchliche Entwicklungstendenzen (Klur und Nies 2023) gelegt worden.Footnote 1 Folglich hat sich die Debatte in Bezug auf Formen der Leistungssteuerung geweitet. Gegen eine technikdeterministische Perspektive, die Kontrollformen allein aus der technologischen Entwicklung ableitet, werden Aushandlungsprozesse nicht nur auf institutioneller, sondern eben auch auf mikropolitischer Ebene starkgemacht und Brüche in der Realisierbarkeit managerieller Automatisierungsphantasien aufgedeckt, kurz: die digitale Transformation von Arbeit als ein umkämpftes Projekt definiert.

Dabei erfreut sich auch der Bezug auf unternehmerische Strategien als Gegenmodell zu technikdeterministischen Sichtweisen zunehmender Beliebtheit (Menz et al. 2019; Ziegler 2020; Nies 2021; Buss und Walker 2021; Thompson und Laaser 2021). Zwar hat sich damit der Blick erneut geweitet, dennoch ist auch die heutige Debatte von zwei (gegenläufigen) Problemen gekennzeichnet:

Auf der einen Seite der Debatte werden, trotz einer teilweisen Abkehr von der Diagnose eines digitalen Taylorismus, betriebliche Strategien immer noch auf bestimmte Formen der Kontrolle reduziert. Es lebt die (oftmals implizite) Annahme fort, dass unternehmerische Maßnahmen stets auf die lückenlose Kontrolle und Beherrschung des Arbeitsprozesses gerichtet sind. Dagegen tragen wir mit Bezugnahme auf den Betriebsansatz den Umstand Rechnung, „dass unternehmerisches Handeln zwar notwendig auf Kapitalverwertung zielt, sich dies aber in ganz unterschiedlichen betrieblichen Strategien ausdrücken kann“ (Nies 2021, S. 478). Das Kontrollproblem von Arbeit ist demnach nur ein Bezugspunkt unternehmerischer Strategien der Digitalisierung.

Auf der anderen Seite der Debatte wird dank des Bezugs auf unterschiedliche Strategien und Ziele von Unternehmen zwar sichtbar, dass es in den gegenwärtigen Bestrebungen, digitale Technik für Zwecke der Kapitalverwertung zu nutzen, längst nicht nur um die Rationalisierung und Kontrolle von Arbeitskraft geht, sondern auch um die Etablierung neuer Geschäftsmodelle, die Steuerung und Rationalisierung von Unternehmensnetzwerken und die Reorganisation gesamtbetrieblicher Prozesse. Mit dem Fokus auf Geschäftsstrategien rückt hier allerdings die Frage in den Hintergrund, wie unternehmerische Strategien auf lebendige Arbeit und die Arbeitsprozesse bezogen sind und sich auf diese auswirken (so etwa bei Ziegler 2020). Zumindest gerät die leistungspolitische Formung der Arbeitsverausgabung in den Hintergrund (so etwa bei Buss und Walker 2021). Mit der Perspektive auf betriebliche Strategien rücken wir dagegen den systematischen Zusammenhang von leistungspolitischen und anderen Strategien der Kapitalverwertung in den Vordergrund und thematisieren damit auch die oftmals indirekten Auswirkungen übergreifender Strategien auf die Arbeitsprozesse. Wir teilen damit die Prämisse, die Butollo et al. (2021) mit dem der Regulationstheorie entlehnten Begriff des Produktionsmodells formulieren (sowie etwas weniger konzeptuell zuvor Nachtwey und Staab 2020), dass die analytische Engführung auf den Arbeitsplatz zu überwinden ist. Wie Thompson und Laaser (2021) fokussieren wir aber den Arbeitsprozess als analytischen Fluchtpunkt, der in den weiteren konzeptuellen Zusammenhang mit politökonomischen Rahmenbedingungen einzubetten ist.

In Tradition des „Betriebsstrategieansatzes“ (Altmann et al. 1978; Bechtle 1980) verwenden wir hierbei den Begriff der Strategie somit nicht im Sinne einer Handlungsstrategie, die primär die intentionale Praxis von unternehmerischen Akteuren beschreibt, sondern als einen analytischen Begriff, der zwischen konkreten betrieblichen Realitäten und breiteren politökonomischen Bedingungen vermittelt. Die Grundannahme des Betriebsstrategieansatzes ist, dass betriebliche Prozesse zwar durch die gesellschaftlich-ökonomische Umwelt strukturiert sind, sich Entwicklungen innerhalb des Betriebs aber nicht als gänzlich determinierte Umsetzung dieser Umweltbedingungen in den Betrieb begreifen lassen. Umweltbedingungen implizieren nicht eine ausschließliche und eindeutige Handlungskonsequenz, sondern können unterschiedlich verarbeitet werden. Kapitalistische Umweltbedingungen zeichnen sich neben ihrer strukturierenden und beschränkenden Logik auch durch Kontingenz, Unvorhersehbarkeit und Uneindeutigkeit aus. In diesem Spannungsfeld aus ökonomischer und gesellschaftlicher Strukturierung des Betriebs, der gleichzeitigen Kontingenz jener Einflussfaktoren und der Unbestimmtheit betrieblicher Handlungsmöglichkeiten liegt die Autonomie (verstanden als Möglichkeit und Anforderung) des Betriebs, seine Verwertungsinteressen zu verfolgen – und genau hier setzt auch der Strategiebegriff an.

Eine ähnlich strukturierte Offenheit strategischen unternehmerischen Handelns thematisieren Thompson und Laaser (2021), indem sie die strategischen Wahlmöglichkeiten des Unternehmens in einem Mehrebenensystem aus kontextualisierenden Rahmenbedingungen, grundlegenden Entscheidungen zur Einbettung von Technik in Geschäftsmodellen („first order“) und der nachgelagerten Anwendung von Technik im jeweiligen Kontrollregime („second order“) fassen. Dabei betonen sie nicht nur die unternehmerische Wahlfreiheit, sondern auch die sie beschränkenden Faktoren. Analog bezeichnen wir in der Tradition des Betriebsansatzes mit dem Begriff „Strategie“ die Fähigkeit des BetriebsFootnote 2, mit technischen und organisatorischen Mitteln und unter der jeweils spezifischen Nutzung von menschlicher Arbeitskraft „auf die eigenen Bedingungen von Kapitalverwertung im Interesse ihrer möglichst weitgehenden Beherrschung permanent einzuwirken“ (Altmann et al. 1982, S. 19). Die Autonomie des Betriebs bleibt dabei aber immer eine „Autonomie innerhalb gesellschaftlich gesetzter Grenzen“ (Altmann et al. 1978, S. 154). Anders als Thompson und Laaser teilen wir zwar ebenfalls die Grundannahme der Labour Process Theory, dass in kapitalistisch organisierter Arbeit ein Kontrollimperativ vorherrscht und es immer managerieller Strategien zur Bewältigung des Transformationsproblems bedarf. Wir gehen aber nicht davon aus, dass Technik immer unter dem primären Gesichtspunkt der Effizienzsteigerung und damit zur Rationalisierung der Arbeitskraft eingesetzt wird. Demgegenüber erforschen wir erstens unterschiedliche Ziele der Leistungspolitik, die statt auf Effizienz etwa auch auf eine flexibilisierende Wirkung gerichtet sein können. Zweitens untersuchen wir auch Wirkungen von Technik auf Leistungspolitik, die als Nebeneffekt anderweitig orientierter Digitalisierungsstrategien auftreten können.

Betriebliche Strategien berühren damit immer auch die Frage, wie es dem Betrieb gelingt, den eigenen Einflussraum auszuweiten – ein Umstand, der insbesondere im späteren Konzept der „systemischen Rationalisierung“ (Altmann et al. 1986; Sauer und Döhl 1994) in den Vordergrund getreten ist: Der Begriff bezeichnet eine Verlagerung betrieblicher Rationalisierungsbestrebungen vom einzelnen Arbeitsplatz auf übergreifende, betriebsinterne und betriebsübergreifende Prozesse, die sowohl die Neuorganisation grundlegender Konzernstrukturen als auch die Integration und Optimierung von „Teilprozessen“ auf datentechnischer Grundlage umfassen. Hierbei geht es also weniger um die interne Verarbeitung externer Einflüsse, sondern um die aktive Bearbeitung der externen Umwelt. Jüngere Diagnosen im aktuellen Digitalisierungsdiskurs – wie etwa Pfeiffers These zur Bedeutung der „Distributivkräfte“ (Pfeiffer 2021, 2023) oder die wachsende Aufmerksamkeit gegenüber der Gestaltung von Wettbewerbs- und Marktbeziehungen mit digitalen Mitteln (Butollo 2021; Buss et al. 2022) – verdeutlichen die gestiegene Relevanz jener strategischen Orientierungen unternehmerischen Technikeinsatzes. Obwohl wir mit dem Ansatz betrieblicher Strategien also explizit die Perspektive über den Arbeitsprozess hinaus weiten, bleibt der Fluchtpunkt unseres Forschungsinteresses die betriebliche Leistungspolitik in ihrem Verhältnis zu übergreifenden Rationalisierungsstrategien. In diesem Sinne gehen wir den komplementären Weg von Butollo et al. (2021), die mit dem Ansatz des Produktionsmodells aus sozioökonomischer Perspektive auf den Arbeitsprozess blicken. Bezeichnet das Produktionsmodell aufeinander abgestimmte Strategien der Produktpolitik, der Prozessorganisation und der Gestaltung des Arbeitsprozesses, richtet sich die konzeptuelle Definition der betrieblichen Strategie (anders als der profane Begriff der Geschäftsstrategie) auf die Vermittlung von Verwertungsanforderungen, zwischenbetrieblichen Beziehungen, sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen sowie der (arbeits-)organisatorischen Gestaltung. Anders als Butollo und Kollegen sehen wir explizit von einer festen Zuordnung bestimmter Technologien zu bestimmten Strategien und Wirkungen auf den Arbeitsprozess (so etwa cyberphysische Systeme als Ausdruck systemischer Rationalisierung mit Wirkung verstärkter Vermarktlichung; ebd., S. 32) ab, um die unterschiedliche Wirkung ein und derselben Technologie vor dem Hintergrund unterschiedlicher Strategien analysieren zu können.

Um die Grundannahmen des Betriebsansatzes für die Analyse gegenwärtiger Formen der Leistungssteuerung im digitalisierten Unternehmen fruchtbar zu machen, bestimmen wir idealtypisch analytisch unterscheidbare, empirisch gleichwohl verschränkte Strategien der Digitalisierung, auf die wir leistungspolitische Entwicklungen rückbeziehen können. Hierzu gehören klassische arbeitskraftbezogene Rationalisierungsstrategien selbst, die sich unmittelbar auf die Kontrolle und Steuerung – oder auch die Substitution – lebendiger Arbeit richten, Strategien systemischer Rationalisierung, markt- und wettbewerbsbezogene Strategien sowie der diskurs- bzw. leitbildgetriebene Technikeinsatz (vgl. Nies 2021). Unser Erkenntnisinteresse richtet sich dabei explizit auf die Steuerung von Leistung im Kontext gegenwärtiger Digitalisierungsprozesse, nicht aber auf das Kartografieren der digitalisierten Arbeitswelt per se. Das Konzept der Strategie in der Tradition des Betriebsansatzes benennt nicht einfach die Bedeutung marktbezogener Unternehmensstrategien oder den Wandel von Geschäftsmodellen (hierzu etwa Ziegler 2020) und ihre Wirkungen auf Arbeit (Buss und Walker 2021), sondern beinhaltet selbst schon die Vermittlung von Organisationsumwelten und innerbetrieblichen Prozessen. Wir betrachten also innerbetriebliche Prozesse, deren Ausgestaltung wir aber in dem Kontext über- oder außerbetrieblich orientierter Digitalisierungsstrategien verorten. Der Begriff der Strategie ist dabei immer schon als eine Interpretation unternehmerischer Maßnahmen zu verstehen und nicht mit dem Verständnis der untersuchten Akteure von ihren Zielsetzungen und ihrem Handeln gleichzusetzen. Er ist analytisch in dem Sinne, dass der rote Faden, die Logiken und Bewältigungsformen betrieblicher Probleme, aus dem Flickenteppich von Unternehmensmaßnahmen herausgearbeitet wird; er ist objektivierend in dem Sinne, dass diese Maßnahmen nicht rein kontingenten und subjektiven Managemententscheidungen zugeschrieben, sondern auf die ökonomische Einbettung des Betriebs und die entsprechenden Verwertungsprobleme rückbezogen werden.

3 Leistungssteuerung in der digitalisierten Zuliefererindustrie

Wenden wir uns nach dieser Rekapitulation des Strategiebegriffs nun der empirischen Auseinandersetzung mit der Steuerung von Arbeit in den von uns untersuchten Fällen zu. Dafür setzen wir die arbeitskraftbezogenen Strategien und leistungspolitischen Wirkungen der Digitalisierung in den Kontext weiterer Digitalisierungsstrategien, die sich vor allem als digitale Forcierung systemischer Rationalisierung lesen lassen. Unsere empirische Basis besteht aus zwei Fallunternehmen der Automobilzuliefererindustrie. Leitend für die Fallauswahl war, charakteristische Merkmale der heutigen Zuliefererindustrie abbilden zu können: erstens die Monopolisierung bzw. Oligopolisierung der Zuliefererindustrie, zu deren zentralen Akteuren die Konzerne unserer Fälle gehören, und zweitens den vehementen Innovations- und Preisdruck der OEM, dem nicht nur kleine und mittlere Betriebe unterliegen, sondern auch die Standorte der Big Player. Fall A und Fall B sind multinationale Konzerne mit Hauptsitz in Deutschland, aber Produktions- und Entwicklungsstandorten in etlichen anderen Ländern. In Fall A wurden insgesamt 10 Experten- und 12 Beschäftigteninterviews geführt sowie zwei Gruppendiskussionen. Die Interviews decken hauptsächlich zwei große süddeutsche Standorte ab, die Gruppendiskussionen fanden in einem ostdeutschen Schließungsstandort statt. In Fall B haben wir 15 Experteninterviews und 15 Beschäftigteninterviews an einem süddeutschen Standort durchgeführt. Während wir in Fall A fast ausschließlich Facharbeiter*innen in internen Sonderproduktionsbereichen wie Werkzeug- und Sondermaschinenbau interviewt haben, stehen in Fall B (zumeist angelernte) Maschinenbediener*innen an Fertigungslinien im Fokus der Empirie.

3.1 Abhängigkeit und Autonomie in der Automobilzuliefererindustrie

Die Situation beider unserer Fallbetriebe ist charakteristisch für die Konstellation der Automobilzuliefererindustrie, die wir nachfolgend – sowohl allgemein als auch in Bezug auf unsere Fälle – kurz skizzieren wollen. Da uns insbesondere die Frage der betrieblichen Strategien im Umgang mit den veränderten Rahmenbedingungen gegenwärtiger Digitalisierungsprozesse interessiert, betrachten wir vor allem die Handlungsfähigkeit der betrieblichen Akteure in Reaktion auf ihre Verwertungsprobleme, kurz gesagt: die Autonomie der untersuchten Unternehmen und ihrer Betriebe. In den vermachteten Wertschöpfungsketten zeigt sich zunächst paradigmatisch, was schon in den 1980er Jahren unter der Diagnose systemische Rationalisierung gefasst wurde: Unternehmen verarbeiten nicht nur externe Einflüsse, sondern wirken auch aktiv auf ihre Umweltbedingungen ein. Autonomie ist dabei ein zwischen Unternehmen umkämpftes Feld, wodurch die Grenzen von internen und externen Bedingungen deutlich unschärfer werden. Während neue Wettbewerber aus dem Tech-Sektor teilweise in der Lage sind, die Abhängigkeitsverhältnisse im Wertschöpfungssystem mindestens auch zu ihren Gunsten zu gestalten (vgl. Boes und Ziegler 2021, S. 11 ff.), gilt für unsere Fallbeispiele aus der klassischen Zuliefererindustrie weiterhin, dass sie untergeordnete Partner in Abhängigkeit der Automobilkonzerne sind. Ihre Autonomie wird dabei durch konkrete Vorgaben der OEM, etwa zu Standards zur digitalen Rückverfolgbarkeit einzelner Teile, und durch extern gesetzte Anforderungen an Produktentwicklung und niedrige Preise beschränkt (vgl. auch Schwarz-Kocher und Stieler 2019, S. 43).Footnote 3 Neben der asymmetrischen Verteilung von ökonomischer Macht und Autonomie in den Wertschöpfungsketten ist die Verfügbarkeit von Investitionskapital ein entscheidender Faktor: Wegen dessen besonderen rechtlichen Einrichtung sind Anteile von Konzern B nicht an der Börse handelbar, wodurch der Zugang zu Fremdkapital eingeschränkt ist und Investitionen weitgehend aus dem laufenden Geschäft finanziert werden müssen. Zugleich stößt der Konzern mit dem Umstieg auf E-Mobilität in einen Markt, in dem er mit neuen Playern mit Zugang zu massivem Volumen an Fremdkapital konkurrieren muss. Dieses Problem trifft Konzern B wegen seiner Rechtsform zwar besonders, ist aber auch für Konzern A sowie insgesamt für die Automobilzuliefererindustrie charakteristisch, weil „im Zuge des technologischen Umbruchs Markteintrittshürden gesenkt“ (Boewe und Schulten 2023, S. 20) werden und neue Player aufgrund des einfachen Zugangs zu Kapital sowie agilerer Unternehmensstrukturen „eine ernsthafte Herausforderung für die traditionellen Hersteller“ (ebd.) darstellen.

Die eingeschränkte Autonomie unserer Zuliefererunternehmen bedeutet aber nicht, dass diese keine Spielräume für die Verfolgung eigener Strategien hätten. Zu diesen gehören marktbezogene Strategien, die nicht zuletzt auf die Gestaltung des Verhältnisses zu den OEM gerichtet sind. So entwickeln beide Fallunternehmen zunehmend spezifizierte, kombinierte Hardware-Software-Lösungen, mit denen sie die OEM zu einem gewissen Grad an sich binden können. Unsere Fallunternehmen fügen sich hier in den Trend, dass OEM die Entwicklung und Herstellung spezialisierter Komponenten an Zulieferer auslagern (Boewe und Schulten 2023, S. 41; Schwarz-Kocher und Stieler 2019, S. 38). Das Abhängigkeitsverhältnis bleibt in unseren Fällen dennoch weitgehend einseitig zugunsten der OEM bestimmt, die Zeithorizonte und Kostenrahmen diktieren. In Fall B schlägt sich das nicht zuletzt in der Beschleunigung und Flexibilisierung von Entwicklungsprozessen nieder, um OEM kurzfristig angepasste Lösungen anbieten zu können.

Im Ringen um den eigenen Einflussraum verfolgen unsere Fallunternehmen insbesondere auch Strategien des digitalen Technikeinsatzes, mit denen sie die Entwicklungs-, Produktions- und Lieferprozesse über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus zu steuern und so ihre flexible Anpassungsfähigkeit zu steigern versuchen. Im Sinne der systemischen Rationalisierung wird hier auf neuer Stufe fortgeführt, was mit den noch begrenzten Möglichkeiten datentechnischer Verknüpfung in den 1980er Jahren begonnen wurde. Informationsbasierte Fertigungssteuerungs- und ERP-Systeme wie SAP und deren zunehmende Integration dienen dabei als betriebsübergreifendes Steuerungsmoment, das direkt in die Prozesse der Subunternehmen eingreift. Indem sie die Beziehungen zu ihnen vorgelagerten Gliedern der Wertschöpfungskette rationalisieren geben unsere Fallunternehmen somit nicht nur den Preisdruck der OEM an vorgelagerte Zulieferer der Wertschöpfungskette weiter, sondern auch die Flexibilitäts- und Adaptionsanforderungen. So müssen etwa die Lieferanten von Fallunternehmen A Vereinbarungen über die Einrichtung eines digitalen Leistungsmonitors unterzeichnen, über die dem Fallunternehmen A regelmäßig automatisiert interne Prozesse berichtet werden; zudem müssen die Zulieferer ein einheitliches System für die Eingangslogistik implementieren, um Lagerkosten und -zeiten zu minimieren und Lieferengpässe zu vermeiden.

Unsere Fallunternehmen nutzen also zunächst Möglichkeiten digitaler Technik, um durch Eingriffe in die Unternehmensumwelt und die Reorganisation der internen Prozesse Autonomiespielräume zurückzugewinnen und die Adaptionsfähigkeit zu erhalten. Hier erweist sich digitale Technik als Verstärker bekannter Mechanismen systemischer Rationalisierung auf neuer Stufe. Diese Strategien werden von produktpolitischen Strategien begleitet, die bislang aber wenig an der Vermachtung innerhalb der Wertschöpfungskette zugunsten von OEM ändern. Wie wir nachfolgend zeigen, reagieren die Fallunternehmen aber nicht nur mit prozess- und marktorientierten Digitalisierungsstrategien auf den Druck von OEM. Vielmehr zielt der Einsatz digitaler Technologien auch auf die Steuerung und Rationalisierung lebendiger Arbeit, die sich spezifisch mit Strategien systemischer Rationalisierung verschränkt.

3.2 Verarbeitung im Inneren: Arbeitskraftbezogene Strategien zwischen Aktivierung und Einhegung

Als arbeitskraftbezogene Strategien der Digitalisierung bezeichnen wir jene Momente des Technikeinsatzes, die sich auf die Steuerung (Kontrolle und Aktivierung) oder aber auf die Substitution menschlicher Arbeitskraft beziehen. Dabei ist die sinnfälligste Form arbeitskraftbezogener Strategien der umfassende Stellenabbau im Rahmen breiter Restrukturierungsprogramme, die in beiden Fallunternehmen mit Auslagerungen und der Reorganisation der Konzernstrukturen einhergingen. Digitalisierungsprozesse treten hierbei gleichermaßen als Ermöglichung, als Grund sowie als Konsequenz dieser Restrukturierungsprozesse auf: Dass der Ausbau der digitalen Infrastruktur die teils weitreichenden Umstrukturierungen erst ermöglicht, dürfte wenig verwundern; gleichzeitig ist ein digitalisiertes Produktportfolio, das zunehmend Hardware-Software-Kombinationen einschließt, auch relevanter Anstoß für die Reorganisation. Der (hart umkämpfte) Abbau von Arbeitsplätzen im Zuge der Reorganisation wird unternehmensseitig wiederum zum Anlass für weitergehende Automatisierung genommen:

„Und nur so können wir ja sicherstellen, dass wir trotz weniger Mitarbeiter, die zur Verfügung stehen, ja unsere Arbeit machen können, also müssen wir digitalisieren. Genauso, wie wir in der Produktion automatisieren müssen, weil wir halt […] früher war es halt so, da wollten wir den Leuten eine Beschäftigung bieten, man hat wenig automatisiert, aber mittlerweile habe ich die Leute nicht mehr, also kann ich stärker automatisieren.“ (Fall B, Leiter Entgelt und Arbeitszeit)

Hinsichtlich der Frage, wie sich diese Digitalisierungsprozesse auf die Steuerung von Arbeit auswirken, beobachten wir mit dem Einsatz digitaler Technologien ein neues Zusammenspiel kontrollierender und aktivierender Steuerungsmechanismen. Die Abkehr von tayloristischen Steuerungsmodi und der möglichst umfassenden Einhegung der Beschäftigten zugunsten einer gezielten Aktivierung ihrer subjektiven Produktivitätspotenziale wurde über die letzten Jahrzehnte intensiv beforscht.Footnote 4 Genauso lange finden sich allerdings wiederkehrende Diagnosen einer Re-Taylorisierung von Arbeit – unlängst unter dem Terminus des „digitalen Taylorismus“ (bspw. Staab und Nachtwey 2016). Standardisierende Kontrollmodi und die subjektivierende Übertragung von Ergebnisverantwortung wurden teilweise aber auch als nicht-konträre Entwicklungsrichtungen behandelt und unter Schlagworten wie „subjektivierter Taylorisierung“ (Matuschek et al. 2007) oder „marktorientierte Standardisierung“ (Menz und Nies 2015) in ihrer Verschränkung betrachtet. Diese Verschränkung scheinbar widersprüchlicher Steuerungslogiken wird mit dem Einsatz digitaler Technik zum zentralen Charakteristikum des Steuerungsmodus in unseren Fallunternehmen (vgl. auch Klur und Nies 2023). In diesen beobachten wir eine eigentümliche Gleichzeitigkeit von tradierten Methoden der Kontrolle und Steuerungsstrategien, die auf die Aktivierung der Beschäftigten zielen.

Besonders markant tritt das im Fall B an den neu eingeführten Produktionslinien im Bereich E-Mobilität zutage. Diese sind deutlich stärker automatisiert und benötigen im Vergleich zu alten Linien signifikant weniger Beschäftigte; zudem wurden die Einzeltätigkeiten technisch weiter vereinfacht und determiniert, indem etwa Sensoren und Kameras die vorgesehene Abfolge von Arbeitsschritten sowie die Verwendung des richtigen Werkzeuges kontrollieren. Für die konkrete Arbeitsausführung des einzelnen Arbeitsschritts bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung individueller Einflussnahme sowie die Verselbstständigung zunehmend vorgegebener und technisch determinierter Prozesse gegenüber den Beschäftigten:

„Der Ablauf ist vorgegeben. Den Ablauf kannst du nicht brechen. Egal, auch wenn du jetzt einen anderen Schrauber nimmst und willst gerade das zuerst verschrauben, lässt er dich nicht. […] da sind bestimmte Sensoren, also ist alles hinterlegt. Wenn du den falschen Bit nimmst und verschrauben willst, sagt der, geht nicht.“ (Fall B, Maschinenbediener)

Zwar verwehren sich demgegenüber die Tätigkeiten der Facharbeiter*innen in Fall A solcher Standardisierung, doch wird auch hier auf die technische Vereinfachung einzelner Tätigkeitselemente gesetzt, wo immer dies möglich ist. Wie bereits in früheren Phasen der Technisierung wird auch hier die vereinfachte Maschinensteuerung dazu genutzt, Mehrmaschinenbedienung auszuweiten. So ist die Vereinfachung der einzelnen Tätigkeit durch vernetzte, großteilig automatisierte und hinter immer einfacheren Bedienoberflächen verschwindende Maschinen Voraussetzung dazu, den Bediener*innen die Verantwortung für mehrere, teils verkettete Maschinen zu übertragen.

„Früher hast du auch da […] Maschinenbedienung von 1:1 gehabt, dann sind sie mit der 2:1 kommen, jetzt haben sie die 3:1 eingeführt, also das heißt, die eine […] Hartdrehmaschine und Hohlmaschine ist jetzt verkettet worden, das heißt, an dieser einen Hohlmaschine hängen jetzt zwei Drehmaschinen mit dran. Also das heißt, du musst dich hier jetzt als Einzelner um drei Maschinen kümmern. Du hast natürlich bei den Drehmaschinen zwei Maschinen, wo du ständig messen musst, Material rauf, Material runter, deine Kontrollmessung zu machen, deine Meißelwechsel, also das ist natürlich schwieriger geworden und nicht einfacher.“ (Fall A, Maschinenbediener Großlager)

Die hier implizierte (und von den Befragten breit thematisierte) Leistungsintensivierung verdeutlicht, dass es sich bei der Mehrmaschinenbedienung nicht um eine humanisierungsorientierte Erweiterung der Aufgabentätigkeiten handelt, wie sie etwa im Kontext neuer Produktionskonzepte (Schumann et al. 1994) diskutiert wurde. Gleichzeitig aber ist die Übertragung der Verantwortung, unterschiedliche Arbeits- und Maschinenprozesse untereinander und mit flexiblen Außenanforderungen abzustimmen, auch weit von einem tayloristischen Kontrollmodus entfernt. Das wird insbesondere am Einsatz digitaler Steuerungssysteme deutlich. Auch wenn diese durchaus von autoritär auftretenden Vorgesetzten zur Überwachung und Disziplinierung eingesetzt werden, verweisen die Echtzeitsysteme, die in beiden Fallunternehmen in den vergangenen Jahren eingeführt wurden, vor allem auf die aktivierende Seite der Leistungspolitik: Wahlweise über große Bildschirme an den Linien (Fall B) oder an den Maschinenterminals (Fall A) werden Produktionsarbeiter*innen mit den Echtzeitdaten über Soll- und Ist-Zahlen konfrontiert. Diese Rückspiegelung dient zunächst der eigenverantwortlichen Kontrolle (und Anpassung) der eigenen Zielerreichungsstände. Den Facharbeiter*innen in Fall A werden zudem neue Spielräume in der flexiblen Anpassung der Auftragsbearbeitung überantwortet und sie werden mit erweiterten Zugriffsrechten zu SAP ausgestattet, um eigenständig Material für anstehende Aufträge bei der Logistik bestellen sowie Fehler und Störungen registrieren zu können.

„Es hat sich auf jeden Fall extrem verändert durch die Digitalisierung. Es sind auf jeden Fall mehr Aufgaben dazugekommen als früher. […] Einfach, dass man eben selbstständiger arbeiten muss und dadurch sich um viel kümmern muss, was früher nicht so war. Also zum Beispiel, früher musste ich mich nicht darum kümmern, ob mein Material schon da ist oder ob die Arbeitspläne alle passen und ob es zeitlich alles hinkommt. Früher kam eben einfach die Auftragskiste und dann hieß es, ja, jetzt machst du eben das. […] früher war es eben eher so, dass nur Teamleiter oder eben der Chef Zugriff aufs SAP hatte und wir gar nicht viel nachfragen konnten, wann welcher Auftrag reinkommt oder wie viel Zeit und wo das Material sich auch gerade noch befindet. Das können wir halt jetzt alles nachschauen und dadurch geht es natürlich auch schneller, weil wir direkt wissen, wo und was und wie. Aber vorher musste man immer den Teamleiter fragen oder der Teamleiter ist auf einen zugekommen und du hast dich selbst einfach nicht damit befasst.“ (Fall A, Facharbeiterin Werkzeugbau)

Zudem sollen Produktionsarbeiter*innen in Fall B in die Lage versetzt werden, Störungen – die zukünftig über besagte Bildschirme angezeigt werden – je nach Schwere der Störung eigenständig und ohne Techniker*innen zu bearbeiten. Beschäftigte werden so dazu angehalten, die eigene Arbeitsgeschwindigkeit und die Übernahme von Zusatzaufgaben selbstständig an die Erfordernisse der jeweiligen Situation bzw. das Erreichen der Sollzahlen anzupassen. Diese auf den ersten Blick paradoxe Situation lässt sich so charakterisieren: Während Beschäftigte einerseits in verselbstständigte technische Systeme eingespannt werden, sollen sie andererseits zugleich nicht nur mehr Arbeit in gleicher Zeit leisten, sondern auch bei Abweichungen eigenständig reagieren sowie administrative Zusatzaufgaben autonom übernehmen. Die beiden oftmals als gegensätzlich aufgefassten Modi der Leistungssteuerung – die Einhegung von Handlungsspielräumen auf der einen und die Aktivierung von Autonomie und Arbeitsleistung auf der anderen Seite – widersprechen sich hier nicht prinzipiell, sondern sollen sich für das Unternehmen produktiv verbinden.

Wir haben es also mit einer Bewegung in zwei Richtungen zu tun: Einerseits erweitern sich offenkundig die Möglichkeiten restriktiver Prozesssteuerung und engmaschiger Überwachung. Durch neue Möglichkeiten der technischen Determination von Arbeitsschritten nehmen Tendenzen der Verselbstständigung der Technik gegenüber den Beschäftigten zu. Andererseits zielt der Einsatz digitaler Technologien auf eine ausgeweitete Verantwortungsübertragung für Abstimmungsprozesse selbst in solchen Bereichen, denen oftmals ein rein restriktiver Kontrollmodus zugeschrieben wird.

Das konkrete Verhältnis von Aktivierung und Einhegung kann dabei nicht fixiert werden, sondern ist fall- und abteilungsspezifisch: Die niedrigqualifiziertere Bandarbeit in Fall B wird umfassender technisch determiniert und die Echtzeitsysteme sollen primär zum Einhalten oder Übertreffen der Taktzeiten motivieren. In Fall A dienen die digitalen Technologien im Werkzeug- und Sondermaschinenbau dazu, dass relativ autonome Produktionsbeschäftigte sich im Prozess verorten können und ihre Arbeitskraft entsprechend der akuten Anforderungen flexibel einsetzen. Die Modi der Leistungssteuerung, die wir in unserer Empirie beobachten können, fügen sich allerdings weder in tayloristische Prinzipien noch in Narrative des Empowerments zunehmend autonomer Produktionsarbeiter*innen ein. So ist beiden Fällen gemeinsam, dass hinter den betrieblichen Strategien nicht einfach ein entfesseltes Kontrollbedürfnis steht. Gegenüber der idealtypischen Form „indirekter Steuerung“, wie wir sie in der Vergangenheit für einen marktorientierten Produktionsmodus herausgearbeitet haben (vgl. Kratzer et al. 2008), zeichnet sich der hier beobachtbare Steuerungsmodus zugleich durch deutlich stärkere Bestrebungen der Standardisierung und teilweise auch durch empfindliche Einschnitte in die Autonomie der Beschäftigten aus – allerdings ohne diese aus der Eigenverantwortung und unternehmerischen Verantwortlichkeit zu entlassen.

3.3 Verschränkungen von arbeitskraftbezogener und systemischer Rationalisierung

Die untersuchten Unternehmen reagieren auf die Verwertungsprobleme mit einer Verbindung aus weitergefassten Digitalisierungsstrategien und einem zugleich aktivierenden und einhegenden Modus der Leistungssteuerung. Diese Verknüpfung zielt darauf, die widersprüchlichen Anforderungen durch die Nutzung der „elastischen Potenziale“ (Altmann et al. 1978) von lebendiger Arbeit und Technik zu bewältigen. Dabei verschränken sich die Strategien der Arbeitskraftrationalisierung mit jenen der systemischen Rationalisierung: In beiden Fällen gilt die digitale Integration und Kopplung betriebsinterner Prozesse durch die Integration und Vereinheitlichung des Flickenteppichs digitaler Steuerungssysteme als zentrale Herausforderung, um verfügbare Daten tatsächlich auch für die Steuerung betrieblicher Prozesse nutzbar zu machen. Digitale Tools werden eingesetzt, um die zuvor fragmentierten und dezentralisierten Unternehmenseinheiten durch erhöhte Transparenz und permanente Zugangsmöglichkeiten zu integrieren; sie werden als Mittel zur wechselseitigen Steuerung verschiedener Unternehmenseinheiten (und anderer Unternehmen der Wertschöpfungskette) anvisiert.

Zwar besteht das eigentliche Ziel nicht in der Rationalisierung lebendiger Arbeit, dennoch wirkt sich die Digitalisierungsstrategie unmittelbar auf die Leistungspolitik aus. Beispiele hierfür sind in Fall B die automatisierte Zusammenführung und Darstellung von Qualitäts-Kennzahlen in einem digitalen Tool zur Abstimmung von Produktionsbereichen und Qualitätsmanagement. Über andere Tools wiederum kann die Logistik in Echtzeit den aktuellen Status von Produktionsaufträgen einsehen, um die eigene Planung danach auszurichten und frühzeitig auf Abweichungen reagieren zu können. Die Arbeit von Logistiker*innen wird dabei stark von diesen digitalen (in SAP integrierten) Tools geprägt, die zwar primär der Abstimmung übergreifender Prozesse dienen, sich aber in den konkreten Arbeitstätigkeiten niederschlagen: Logistiker*innen müssen ihre Arbeitskraft gemäß der aktuellen, über die Systeme vermittelten, Anforderungen einsetzen und jeden Arbeitsschritt mit Handscanner rückmelden, um das System mit Daten zu füllen. Das originäre Ziel ist hier nicht die restriktive Arbeitskontrolle selbst, sondern eine umfassende Prozesstransparenz und flexible Prozessabstimmung. Diese schlägt sich gleichwohl auch leistungspolitisch nieder, indem sich der Einsatz digitaler Tools formalisierend und aktivierend auf die Arbeit der Logistiker*innen auswirkt. Ähnlich verschränkt sich in der Ausweitung des Aufgabenfelds von Maschinenbediener*innen (eigenständige Materialbestellung) in Fall A die Integration und Abstimmung betrieblicher Teilprozesse mit leistungspolitischen Momenten.

In der Zusammenschau lässt sich aus diesen Verschränkungen eine These ableiten, die auf eine Diffusion alter Unterscheidungen hinausläuft: Während systemische Rationalisierung in ihren Anfängen als „explizit nicht arbeitskraftbezogen“ (Altmann et al. 1986, 194) definiert wurde (und damit in Gegenposition zum Modell der neuen Produktionskonzepte stand), greifen in unseren beiden Fällen die (digitale) Integration übergreifender Prozesse und die arbeitskraftbezogene Rationalisierung zunehmen ineinander. Während die Diagnosen systemischer Rationalisierung ebenso wie jene eines digitalen Taylorismus mit der Nutzung technischer (statt menschlicher) „elastischer Potenziale“ assoziiert sind, werden in unseren Fallbeispielen technische Potenziale und jene der lebendigen Arbeit gleichzeitig genutzt: Die (digitale) Rationalisierung betrieblicher Prozesse entspricht auch einer Aktivierung der Beschäftigten. Zudem werden die Flexibilitätsanforderungen an das Unternehmen nicht rein technisch bewältigt, sondern durch Beschäftigte, die Technologien in ihrem Arbeitsalltag anwenden.

4 Systematisch gescheitert und dennoch erfolgreich? Brüche und Widersprüche digitalisierter Steuerung von Arbeit

Mit dem Versuch, Entwicklungen der Leistungssteuerung im Kontext von Digitalisierungsstrategien zu analysieren, scheinen wir eine Eindeutigkeit betrieblicher Digitalisierungsprozesse zu unterstellen, wie sie empirisch freilich nicht unmittelbar vorliegt. Denn die beobachteten Digitalisierungspraktiken lassen sich zwar analytisch in der Logik spezifischer Strategien interpretieren, sie gehen aber nicht in diesen auf. Während sich analytisch distinkte Strategien rekonstruieren lassen, sind die konkreten Maßnahmen und Vorgaben vonseiten der Unternehmen durchweg disparat, lückenhaft und in sich widersprüchlich und werden durch zahlreiche Faktoren beeinflusst und beschränkt. Darüber hinaus haben wir zwar gezeigt, wie die Fallunternehmen auf zuweilen konträre Anforderungen reagieren, dabei aber bislang ausgeblendet, inwiefern diese Strategien Widersprüche nie aufheben, sondern stets nur bearbeiten können und dabei systematisch neue Widersprüche hervorbringen. Strategien müssen sich somit immer mit und gegen zuweilen unhintergehbare Voraussetzungen und Eigenlogiken durchsetzen und werden immer gebrochen durch unaufhebbare systemische Widersprüche, stoffliche Eigenlogiken und den Eigensinn lebendiger Arbeit.

Weil Unternehmen auf widersprüchliche Systemanforderungen reagieren müssen, können auch die entsprechenden Strategien nicht frei von Widersprüchen sein. Wenig verwunderlich zeichnen sich die betrieblichen Maßnahmen der Digitalisierung durch eine ausgeprägte Inkohärenz und Inkonsequenz aus. Das zeigt sich etwa bei einem Vergleich zwischen Werkzeugbau und Sondermaschinenbau in Fall A. In beiden Bereichen handelt es sich um Facharbeit, wobei den Beschäftigten ein hoher Grad an Autonomie überantwortet wird. Während sie aber im Werkzeugmaschinenbau ausgeweitete Zugriffsrechte zu SAP und Zugriff auf Echtzeitsysteme besitzen, fehlen diese im Sondermaschinenbau gänzlich. Hier wird zwar in der Praxis auf die Selbstorganisation der Arbeiter*innen gesetzt, die dafür erforderlichen Zugangsrechte und digitalen Systeme werden aber aus Kostengründen nicht implementiert:

„[…] wir sind schon ziemlich hinten dran. […] vor zwei Jahren kam die Idee, wir könnten ja in der Werkstatt an die Werkbänke die Monitore mit PCs ausstatten, damit wir das alles abrufen können. Ja, das Projekt ist dann auch wieder eingeschlafen. Einmal Kosten, dann hat uns der ganze SAP-Zugang gefehlt, dass wir das überhaupt abrufen können. Das ist ja auch wieder mit Kosten verbunden [...]“ (Fall A, Facharbeiter Sondermaschinenbau)

Hinter dieser Widersinnigkeit stehen grundsätzlich widersprüchliche Anforderungen von (kurzfristiger) Kosteneffizienz und längerfristigen Perspektiven aktivierender Leistungspolitik. Insbesondere aber verschränken sich die Maßnahmen systemischer Rationalisierung, marktorientierte Strategien in der Umstellung der Produktpolitik und die Ziele arbeitskraftbezogener Rationalisierung nicht durchweg produktiv, sondern geraten regelmäßig in Widerspruch zueinander. Um die Arbeitskraft möglichst intensiv zu nutzen und zugleich sicherzustellen, dass Beschäftigte ihre Arbeitskraft auch produktiv und im intendierten Sinne verausgaben, setzen die Unternehmen auf Aktivierung und Einhegung. Zwar verhalten sich diese Pole wie oben beschrieben nicht grundsätzlich gegensätzlich, geraten aber in der Praxis doch regelmäßig in Konflikt: Trotz aktivierender Strategie sind die Beschäftigten in ein Netz aus Hierarchien, Zuständigkeiten und definierten Abläufen eingehegt, das beispielsweise der zwischenbetrieblichen Vereinheitlichung und der Herstellung von Prozesstransparenz dient, dabei aber der Aktivierung der Beschäftigten entgegensteht. Die Einhegung setzt hier der Aktivierung Grenzen, die unsere Befragten gleichwohl wiederholt umgehen (siehe unten).

Die mit den Digitalisierungsstrategien verbundenen Systemanforderungen verselbstständigen sich zugleich auch gegenüber den stofflich-funktionalen Notwendigkeiten (Klur und Nies 2023). Diese „real existierende Digitalisierung“ schlägt sich in den Shopfloors der Industrieproduktion durch zusätzliche Vereinheitlichungs-, Harmonisierungs- oder ganz konkrete Ausgleichsanforderungen an die Beschäftigten nieder. Diese sind somit nicht nur mit widersprüchlichen Anweisungen und Anforderungen „von oben“ konfrontiert, ihre Arbeit wird vielmehr maßgeblich von der Eigenlogik und den Anforderungen betrieblicher und stofflicher (Fertigungs-)Prozesse, aber auch der eingesetzten technischen Systeme bestimmt. Mit diesen Eigenlogiken können betriebliche Strategien an Grenzen stoßen, die sich weder problemfrei mit fertigen technischen Lösungen digitalisieren noch reibungslos gemäß den Strategien des Unternehmens umformen lassen. So ist etwa die Intensivierung qua Mehrmaschinenbedienung nicht in allen Abteilungen der Fallunternehmen gleichermaßen möglich: In der Dreherei von Fall A scheitert Mehrmaschinenbedienung daran, dass man immer „schauen und dabei sein“ (Fall A, Facharbeiter Dreherei) muss, um im Störungsfall eingreifen und Schaden an Werkzeug und Material verhindern zu können. Der Sondermaschinenbau in Fall A wiederum verwehrt sich gegen Echtzeitsysteme, die auf Maschinenlaufzeiten basieren, weil es hier stark auf die „individuelle Tätigkeit“ (Fall A, Facharbeiter SMB) in den Montageprozessen ankommt und nur ein Teil der Arbeitstätigkeit in der Maschinenbedienung besteht. Die Leistungsanforderungen des Unternehmens können zwar in die Technik (klassisch etwa durch schnellere Taktung) eingeschrieben werden, stoßen aber auf unhintergehbare Eigenlogiken der stofflichen Prozesse und der technischen Systeme. Technische Systeme bewegen sich somit zwischen produktions- und marktökonomischer Rationalisierungslogik, ohne deren Widersprüche aufheben zu können. Wenn also etwa die Systemintegration und Anbindung der Produktionsbeschäftigen an SAP teils als Beschleuniger externer und marktorientierter Anforderungen wirkt, setzt die Eigenlogik maschineller Systeme maßloser Anpassung an die gestellten Anforderungen zugleich materielle Grenzen.

Das verweist auf den Eigensinn lebendiger Arbeit als zentrale Quelle für Brüche in unternehmerischen Digitalisierungsstrategien. Zunächst bleibt die auf die Steuerung von Beschäftigten gerichtete Wirkung digitaler Technologien immer auch an deren Wahrnehmung und Aneignung gebunden. Augenfällig ist dies insbesondere bei der Steuerung von Echtzeitsystemen. Während für die einen die leistungspolitische Wirkung einer sich ständig verändernden „Soll-Ist-Kurve“ auf den Bildschirmen als permanenter Druck deutlich spürbar ist, üben sich andere in proklamierter Indifferenz oder Renitenz gegenüber ergebnisbezogenen Anforderungen:

„[…] ich sage mal, das ist nur Show und Schein. Für die Mitarbeiter, ganz offen und ehrlich, das interessiert da keinen, was auf den Terminals läuft, da guckt auch keiner großartig drauf, ob die Zelle läuft oder nicht. […] Das ist dann wirklich, wenn die Führung da durchläuft, dann sehen die halt, die Zelle steht oder steht nicht, da kann man halt dann mal gleich reagieren. Aber für die Produktionsmitarbeiter sind diese Terminals, also diese Bildschirme, eigentlich eher uninteressant.“ (Fall A, Facharbeiter Kugellager)

Wie sich solche Echtzeitsysteme auf den Arbeitsalltag der Beschäftigten auswirken, entscheidet sich folglich nicht allein an implementierten Unternehmensmaßnahmen, sondern bleibt abhängig von der konkreten Wahrnehmungs- und Aneignungspraxis. Dies bezieht sich nicht nur auf die Beschäftigten selbst, ausschlaggebend ist vielmehr auch, wie unmittelbare Vorgesetzte entsprechende Daten und Tools nutzen, um den Druck weiterzureichen. Wie bei den Beschäftigten lässt sich auch hier ein zweischneidiger Umgang beobachten, wenn Vorgesetzte mit ergebnisbezogenen Kennziffern konfrontiert werden, die sich von einem aufwandsbezogenen Leistungsbegriff entkoppeln und nicht im eigenen Wirkungsbereich liegen. Trotz der Ablehnung ergebnisbezogener Anforderungen bleibt die Konfrontation mit den Kennziffern dennoch nicht wirkungslos, „das macht ja auch was mit einem“.

„[…] hast du dir eigentlich eine Woche lang anhören dürfen […] wieso haben wir nicht genug Stückzahl gemacht auf den Schichten? Da ist es [die Kennzahl] eine Woche lang rot. Wir wissen aber seit einer Woche, dass wir gar nichts dafür können, weil wir lauter kleine Stückzahlen rauf bekommen. Das Auftragszentrum hat das eingesteuert. Aus dem und dem Grund, was weiß denn ich. […] Also es ist erklärbar, ich muss mir aber jeden Morgen anhören, dass das rot ist und dass das Scheiße ist. Das macht ja auch was mit einem. Jetzt kann ich raufgehen, kann zu meinen Leuten sagen, oh, alles Scheiße, unsere Kennzahlen sind rot oder du hältst halt die Klappe, weil ich glaube nicht, dass es einem Arbeiter hilft, wenn ich ihm auf dem Nacken sitze und sage, die Kennzahlen sind so schlecht. Aber auf unserer Ebene, auf der Teamleiterebene, war das Thema Kennzahlen brutal. Also das ist schon […] das hat mich halt auch mürbe gemacht zu sagen, das sind Kennzahlen, an denen du gar nichts verändern kannst.“ (Fall B, ehemaliger Teamleiter)

Insgesamt sind die Untersuchungsfälle, insbesondere im Lichte der permanenten Krisen- und Bedrohungsszenarien und erfolgreicher Überantwortung unternehmerischer Verantwortlichkeit, von einer ausgeprägten Leistungsbereitschaft auch gegenüber wenig gerechtfertigten Leistungsanforderungen geprägt. Nahezu durchgängig artikulieren die Interviewpartner*innen die Bereitschaft, informell Zusatzaufgaben zu übernehmen, „um dem Betrieb zu helfen“ (Fall A, Facharbeiter Dreherei). Insofern zeigt sich der Eigensinn lebendiger Arbeit in unseren Fällen zumeist weniger als Hürde für betriebliche Strategien, sondern als informelle, aber nicht weniger notwendige Ausgleichsleistung: Der Betrieb läuft nicht aufgrund elaborierter Strategien der Digitalisierung und Leistungssteuerung bzw. ihrer rationalen Implementierung, sondern aufgrund des informellen und zusätzlichen Arbeitshandelns von Beschäftigten.

5 Fazit

Ziel des Beitrags war es zu demonstrieren, dass es arbeitssoziologisch produktiv ist, Leistungspolitik vor dem Hintergrund betrieblicher Strategien der Digitalisierung, mit denen Unternehmen auf Verwertungsprobleme und externe Bedingungen reagieren, zu betrachten. Weil Strategien dabei auf widersprüchliche Anforderungen reagieren und sich auf unhintergehbare Bedingungen beziehen müssen, sind aber auch die Brüche und Widersprüche, auf die Strategien stoßen und die sie hervorbringen, nicht einfach zufällig, sondern haben selbst systematischen Charakter.

Konkret zeigen sich in unseren Fallunternehmen zwar starke Anzeichen eines Modus der Leistungssteuerung, der auf eine für das Unternehmen produktive Verbindung von Aktivierung und Einhegung von lebendiger Arbeit (nicht zuletzt qua digitaler Technologien) zielt. Dieser Steuerungsmodus erfährt aber diverse Brechungen. Die Gleichzeitigkeit von Aktivierung und Einhegung ist deshalb immanent widersprüchlich, weil sie den Handlungsspielraum von Beschäftigten beschränkt, den diese nicht zuletzt für informelle Arbeitsleistungen nutzen, die für die Funktionalität und Effizienz der Prozesse entscheidend sind. Auch wenn leistungspolitische Strategien auch darauf ausgerichtet sind, Leistungsbereitschaft der Beschäftigten zu aktivieren und Selbstorganisation zu befördern, funktionieren die Prozesse weniger aufgrund jener leistungspolitischen Strategien, sondern weil die Arbeiter*innen ihren Handlungsspielraum teilweise gegen die Einhegungen durchsetzen. Ihre Absicht dabei ist zumeist nicht, Unternehmensziele und -anforderungen zu sabotieren, sondern den Betrieb, der angesichts der ökonomischen Lage der deutschen Automobilzulieferer als Schicksalsgemeinschaft erscheint, zu sichern. Dass die Prozesse effizient laufen, liegt demnach weniger an funktionierenden Strategien, sondern an der Leistungsbereitschaft und dem informellen Arbeitshandeln von Beschäftigten, die Widersprüche und Inkohärenzen in den Strategien kompensieren. In ihrer empirischen Dynamik lässt sich die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von Aktivierung und Einhegung daher nur erfassen, wenn man neben Unternehmensstrategien, stofflichen und ökonomischen Anforderungen auch die Motivationen und Einstellungen der Beschäftigten beachtet:Footnote 5 Die „ideologisch-materielle Einbindung der Beschäftigten“ (Kunkel 2020, S. 135) muss als eine Voraussetzung für die aktivierende Seite des von uns dargestellten Steuerungsmodus betrachtet werden.

Unsere empirischen Ergebnisse haben darüber hinaus auch konzeptuelle Implikationen für den Strategieansatz: In den Gründungstexten des Ansatzes wurde der Betrieb als historisch-konkrete Ausformung des Einzelkapitals aufgefasst. Zwar wurden auch schon damals Verschränkungen von Einzelkapitalien untersucht, durch die Zentralstellung der Autonomie des Einzelkapitals blieben die einzelnen Betriebe sowie die Frage der Ausweitung oder Einschränkung ihrer Autonomie aber Ausgangs- und Fluchtpunkt der Analyse. Wir haben in diesem Beitrag geschildert, wie sich die seit den 1980er Jahren diskutierte Tendenz der immer engeren Verschränkung von Einzelkapitalien zu komplexen Produktionsketten fortsetzt, in denen die Autonomie der einen kaum ohne die der anderen Betriebe zu denken ist. Damit stellt sich einmal mehr (vgl. Pfeiffer und Schmierl 2005; Nies und Sauer 2010) die Frage, ob es sich beim Betrieb weiterhin um die historisch-konkrete Ausprägung des Einzelkapitals handelt. Zumindest für den Industriesektor sehen wir diese Tendenz aber als Verschärfung von Interdependenzen innerhalb der Form des Betriebs: durch die Monopolisierung zugunsten einiger weniger Großkonzerne (und das darauf aufsetzende Verhältnis von Konzern- und Standortstrategie) und durch die Extensivierung und Intensivierung vermachteter Wertschöpfungsketten.

Diese zunehmende Interdependenz von Einzelkapitalien betrifft nicht nur das Verhältnis der OEM zu ihren Zuliefererbetrieben, sondern auch das Verhältnis von Technikherstellern und -anwendern. In unserem Nachfolgeprojekt „Politics of Inscription“ spüren wir dem Verhältnis von Betrieben der chemischen Industrie zu den Herstellern von (digitalen) Technologien nach und können auch hierbei an die Perspektive von „strategic choices“ nach Thompson und Laaser – diesmal in Bezug auf unternehmerische Entscheidungen im Entwicklungs- und Implementierungsprozess von Technologien – anschließen. Zentrale Fragen werden dabei sein, welchen Einfluss Betriebe auf die strategische Gestaltung ihrer Produktions- und Organisationsprozesse haben, wenn diese umfassend von der Funktionsweise extern entwickelter und bezogener Technologie bestimmt werden, und wie sich umgekehrt die Strategien des (digitalen) Technikeinsatzes der Anwenderunternehmen bereits in der Entwicklungsphase von Technologien niederschlagen und deren Anwendungsmöglichkeiten und Funktionslogik präformieren.