Schlüsselwörter

1 Einleitung

Mit der Verbreitung digitaler Technologien etablieren sich zunehmend neue Formen der Arbeitsorganisation und des Managements. Besonders augenscheinlich wird dies in entbetrieblichten Arbeitsformen, wie der plattformbasierten Gig- und Crowdwork. Doch auch bestehende Bereiche der Wertschöpfung werden durch den Einzug und die Ausbreitung digitaler Technologien transformiert. So finden sich in industriellen Produktionsbetrieben oder im Dienstleistungsbereich, insbesondere in der Logistik, vermehrt technische Systeme, die zu einer Reorganisation der Arbeit durch die Integration eines algorithmischen Managements beitragen. Unter algorithmischem Management wird die vollständige oder teilweise Automatisierung mehrerer oder einzelner Managementaufgaben durch den Einsatz von Software-Algorithmen verstanden (Lee et al. 2015; Kellogg et al. 2020; Wood 2021). Algorithmen können beispielsweise bei der Vergabe von Aufträgen, im Einstellungsprozess, bei der Zuweisung und Anleitung von Arbeitsaufgaben oder im Rahmen der Prozess- und Qualitätskontrolle eingesetzt werden. Bisherige Studien zeigen ein heterogenes Bild zum Einsatz digitaler Assistenztechnologien in Produktion und Logistik. Die Systeme werden teils als unterstützend und entlastend im Arbeitsprozess wahrgenommen, jedoch auch als Entwertung der Kompetenzen von Beschäftigten durch die Zentralisierung von Produktionswissen oder als störend im Arbeitsprozess durch das Aufbrechen bestehender Routinen und ständig erforderliches Feedback an die Systeme (Klippert et al. 2018; Kuhlmann et al. 2018; Warnhoff und de Paiva Lareiro 2019; Möncks et al. 2020; Krzywdzinski et al. 2022).

Durch die Art der Technikgestaltung und Implementierung können digitale Technologien neue Handlungsspielräume eröffnen, diese jedoch auch begrenzen. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, was diese neue Form der Kontrolle kennzeichnet. Zudem wird anhand von Forschungsergebnissen aus den Bereichen Produktion und Logistik analysiert, wie algorithmisches Management etablierte Bereiche der Arbeit und Wertschöpfung in stärker regulierten innerbetrieblichen Kontexten transformiert. Insbesondere wird dabei die Mikroebene der Veränderungen von Arbeitsprozessen, Handlungsmöglichkeiten und Autonomiespielräumen für Beschäftigte betrachtet, die sich durch den Einsatz von und die Interaktion mit digitalen Assistenzsystemen ergeben können (vgl. Pfeiffer und Nicklich in diesem Band).

Zunächst wird die Forschungsliteratur zum Konzept des algorithmischen Managements aufgearbeitet, um zu verdeutlichen, wie sich das Konzept von anderen etablierten Konzepten zur Analyse der technisch-gestützten Kontrolle von Arbeitsprozessen unterscheidet, beispielsweise von dem aus der Labour-Process-Debatte stammenden Konzept der technischen Kontrolle (Edwards 1980) und dem Konzept der Organisations- und Steuerungstechnologien (Benz-Overhage et al. 1981). Basierend auf einer Metaanalyse von Forschungsergebnissen zum Einsatz digitaler Assistenzsysteme in den Bereichen Logistik und Produktion wird anschließend erörtert, welche Rolle der Einsatz von Technologien, die ein algorithmisches Management ermöglichen, in der digitalen Transformation etablierter Sektoren einnimmt.Footnote 1 Dazu wurden Forschungsberichte, Befragungen, empirische Betriebsfallstudien und experimentelle Studien zu Assistenzsystemen sowie Analysen zur digitalen Transformation von Arbeit der letzten 20 Jahre in den obigen Sektoren bezüglich folgender Fragen ausgewertet: In welchen Tätigkeitsbereichen finden sich Systeme, die einer algorithmischen Steuerung der Beschäftigten dienen? Welche Managementfunktionen übernehmen die Systeme? Wie verändern sich die Arbeitsprozesse und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten durch den Einsatz der Systeme? Welche Faktoren beeinflussen den Grad der Nutzung von Assistenzsystemen für algorithmisches Management? Abschließend wird diskutiert, wie sich algorithmisches Management jenseits der Plattformökonomie gestaltet, welche Bedeutung es dort im Rahmen der Kontrolle und Steuerung von Arbeit hat und wie sich dies auf die digitale Transformation von Arbeit in den analysierten Bereichen auswirkt.

2 Die funktionale Konvergenz von Technologie und Organisation durch algorithmisches Management

Das Konzept des algorithmischen Managements von Kellogg et al. (2020) schließt an die von Edwards (1980) geprägten Termini der technischen und bürokratischen Kontrolle an. Laut Edwards übernehmen Kontrollsysteme in Betrieben drei zentrale Funktionen, und zwar „[…] direction of work tasks, evaluation of work done, and rewarding and disciplining of workers“ (Edwards 1980, S. 112).

Technische Kontrolle wird durch die Nutzung von Technologien ausgeübt, die den Arbeitsprozess zeitlich steuern und lenken (direction of work) (Edwards 1980). In der industriellen Produktion findet sie sich beispielsweise in Form getakteter Fließfertigung. Vor dem Hintergrund der damals entstehenden computergestützten Feedbacksysteme verwies Edwards in seinen Ausführungen zur numerischen Kontrolle, als einem Subtyp technischer Kontrolle, bereits auf die steigenden Kontrollpotenziale durch die Integration digitaler Technologien. Durch sie wird technische Kontrolle auf zwei Arten verändert: Einerseits wird die Kontrolldimension über Arbeitsanweisungen (direction of work) durch den Einsatz computerbasierter Kontrollmechanismen verstärkt und ausgeweitet (Edwards 1980, S. 125). Andererseits ermöglicht die Integration computergestützter Verfahren, wie die Anwendung automatisierter Testverfahren bei der Qualitätskontrolle innerhalb der Produktion, die technische Kontrolle auf die Dimension der Überwachung und Evaluierung von Arbeit (evaluation of work) sowie auf Anwendungsgebiete jenseits der Massenproduktion von Gütern auszuweiten (ebd.).Footnote 2

Im Gegensatz zur technischen Kontrolle, die primär durch technisch vermittelte Arbeitsvorgaben und Geschwindigkeitsvorgaben strukturierend auf den Arbeitsprozess wirkt, lässt sich Arbeit durch bürokratische Kontrolle zusätzlich evaluieren und durch Belohnung oder Bestrafung disziplinieren. Bürokratische Kontrolle basiert auf festgelegten Hierarchien, Regeln und Verfahren, ist in die sozialen und organisationalen Strukturen von Unternehmen eingebaut und stellt eine Institutionalisierung hierarchischer Machtbeziehungen innerhalb der Unternehmen dar (Edwards 1980).

Diese Institutionalisierung von Machtbeziehungen findet sich auch in Formen der technischen Kontrolle, beispielsweise in der Fließbandfertigung: „The actual power to control work is thus vested in the line itself, rather than in the person of the foreman.“ (Edwards 1980, S. 120) Technologien, die zur Steuerung und Kontrolle von Arbeit eingesetzt werden, sind nicht nur in die soziotechnischen Systeme eingebettet, die Arbeitsprozesse strukturieren, sondern auch Ergebnis dieser (Jarrahi et al. 2021). Diese Technologien sind als „hardened history, frozen fragments of human and social endeavor“ (Noble 2011, S. xiii) mitentscheidend dafür, „wer die Last der Arbeit hat, […] wer die Möglichkeit zu Intervention […] oder wer Zugang zu welchen Informationen bekommt“ (Rammert 1994, S. 15). Im Arbeitsprozess eingesetzte Technologien determinieren zwar nicht das menschliche Verhalten, wirken aber durch die Institutionalisierung und Verdinglichung menschlicher Entscheidungen zur Arbeitsprozessgestaltung ebenso strukturierend wie organisationale Entscheidungen zur Arbeitsteilung und Gestaltung, die als bürokratische Kontrolltechniken sichtbar werden.Footnote 3

Insbesondere technische Systeme mit einem stark handlungsanleitenden Charakter fungieren als klassisches Arbeitsmittel und zugleich als eine Art „mechanical foreman“ (Edwards 1980, S. 124). Sie übernehmen zusätzlich zu dem bestehenden Management und anderen technischen Elementen, die Arbeit vorstrukturieren, organisationale Funktionen der Aufgabenzuweisung und Prozesskontrolle. Benz-Overhage et al. (1981) beschreiben Informationstechnologien analog auch als Organisations- und Steuerungstechnologien, die eine „instrumentelle Einheit technischer wie organisatorischer Elemente der Gestaltung von Produktionsprozessen“ bilden (Benz-Overhage et al. 1981, S. 103). Organisationstechnologien werden genutzt, um „produktionsökonomische Realität durchzusetzen, die Produktionsfaktoren zeitlich abzustimmen bzw. die Teilarbeiten zu integrieren und unter die Maschinerie zu subsumieren“ (ebd.). Sie dienen als Abstimmungsmechanismus zwischen Arbeitsprozessen und ökonomischen Strukturbedingungen (Hirsch-Kreinsen 2018) und sind dadurch „Produktivkraft in der Form vergegenständlichter Herrschaft“, die zwar nicht selbst Quelle des Mehrwerts ist, jedoch eine „Bedingung wertrealisierender Arbeitskraft“ darstellt (Benz-Overhage et al. 1981, S. 103). Durch die Ausbreitung von Organisationstechnologien als technisch objektivierte Form betrieblicher Herrschaft werden Technologie und Organisation zunehmend ineinander verschränkt, sodass Machtstrukturen in technischen Artefakten und Systemen institutionalisiert und für Beschäftigte zum Teil vermittelt durch die Technologien im Arbeitsprozess sichtbar werden.

Da digitale Technologien immer stärker die Arbeitsprozesse durchdringen, wird ein weiteres Ineinandergreifen von Technologie und Organisation im Arbeitsprozess mithilfe algorithmischer Steuerung möglich. Die Ausbreitung von Technologien, die dem algorithmischen Management von Beschäftigten und Arbeitsprozessen dienen, lässt sich durch mehrere Faktoren erklären: Zum einen werden bestimmte Managementaufgaben immer besser durch Algorithmen, die auf maschinellem Lernen basieren, ergänzt oder ersetzt. Zum anderen verändern sich die normativen Vorstellungen von Arbeit und projektorientierte Arbeitsvereinbarungen, Plattformarbeit und nicht standardisierte Verträge nehmen zu (Khan et al. 2019; Jarrahi et al. 2021).

Kellogg et al. (2020) sehen im algorithmischen Management alle zentralen Aspekte betrieblicher Kontrolle vereint – die Zuweisung von Arbeitsaufgaben, die Bewertung der geleisteten Arbeit sowie die Belohnung und Disziplinierung der Arbeitnehmer*innen –, die sich zuvor entweder durch bürokratische Kontrolle oder ein Zusammenspiel aus bürokratischer und technischer Kontrolle realisieren ließen (vgl. Edwards 1980). Somit sind durch die Einführung von Technologien, die der algorithmischen Kontrolle der Arbeitsprozesse dienen, Elemente der bürokratischen und technischen Kontrolle miteinander verschmolzen. Algorithmisches Management wird laut Kellogg et al. durch sechs Mechanismen realisiert: Auf Basis von Algorithmen werden Beschäftigte durch Einschränkungen und Empfehlungen gelenkt („restriction and recommending“), durch Aufzeichnung und Bewertung ihrer Arbeitsleistung evaluiert („recording and rating“) und durch den drohenden Ersatz durch andere und Belohnung diszipliniert („replacing and rewarding“) (Kellogg et al. 2020, S. 368).

Anhand dieser Mechanismen unterscheidet sich algorithmisches Management in fünf zentralen Dimensionen von vorherigen Formen der rationalen Kontrolle, wie der technischen und bürokratischen Kontrolle. So ermöglicht der Einsatz algorithmischer Kontrolle, den Kontrollumfang auf Bereiche auszuweiten, wie beispielsweise die Kommunikation zwischen Kolleg*innen, die sich zuvor der betrieblichen Kontrolle entzogen (Kellogg et al. 2020, S. 386). Zugleich zeichnet sich algorithmische Kontrolle durch ihre Unmittelbarkeit und Interaktivität der Kontrollmechanismen aus. Beschäftige können durch Algorithmen in Echtzeit personalisiertes Feedback zu ihrer Arbeitsleistung durch sogenannte Nudges erhalten und so durch Belohnung oder Strafen gelenkt werden (ebd.). Während technische Kontrolle, wie die Taktzeiten in der Fließbandproduktion, und bürokratische Kontrolle in Form feststehender Regeln und Arbeitsanweisungen meist transparent für die Beschäftigten sind, ist algorithmisches Management häufig durch Intransparenz für die Beschäftigten charakterisiert (ebd., S. 387). Arbeiter*innen, die auf Crowdworkplattformen tätig sind, können beispielsweise häufig nicht nachvollziehen, warum ihre Arbeit abgelehnt wird oder wie Bezahlung und Bewertung der geleisteten Arbeit zustande kommen. Zudem unterscheidet sich algorithmisches Management von anderen Kontrollmechanismen durch die Disintermediation von Führungskräften, indem zentrale Managementaufgaben in den Bereichen der Zuweisung von Arbeitsaufgaben, Bewertung der geleisteten Arbeit sowie der Belohnung und Disziplinierung der Beschäftigten automatisiert werden (ebd., S. 21). Obwohl das algorithmische Management als effektiver Mechanismus gilt, der die Kontrolle durch das Management insgesamt verbessert, kann es auch die Macht und Handlungsfähigkeit der individuellen Manager*innen einschränken. Jarrahi et al. (2021) führen den Machtverlust nicht nur auf die Automatisierung von Funktionen des mittleren Managements zurück, sondern auch auf die Nutzung von Entscheidungsunterstützungssystemen in Managementprozessen und einen daraus resultierenden Verlust von Erfahrungswissen.

Kellogg et al. sowie viele Forschungsarbeiten zum Einfluss algorithmischen Managements auf die Ausgestaltung von Arbeit stützen ihre Analysen überwiegend auf Erkenntnisse aus den Sektoren der entbetrieblichten und dadurch insbesondere in ihrer Anfangszeit wenig regulierten, online vermittelten Gig- und Crowdwork, in denen algorithmisches Management einen zentralen Punkt der Arbeitsorganisation und Allokation von Aufträgen für Arbeiter*innen darstellt (Rosenblat und Stark 2016; Lücking 2019; Wood et al. 2019; Gerber 2020; Kellogg et al. 2020; Parth und Bathini 2021; Schreyer 2021; Lata et al. 2022).

Weitere Arbeiten deuten jedoch darauf hin, dass sich algorithmisches Management in der Plattformökonomie erheblich von dem in konventionellen Beschäftigungsverhältnissen unterscheidet (z. B. Schaupp 2021; Wood 2021). Gründe hierfür sind unter anderem die soziotechnische Einbettung algorithmischen Managements in bestehende organisationale Hierarchien und betriebliche Abläufe sowie die betriebliche Mitbestimmungsstruktur und ihre Möglichkeiten, Prozesse der Technologieeinführung zu beeinflussen (Jarrahi et al. 2021; Schaupp 2021). Wood (2021) verweist darüber hinaus auf rechtliche Regulierungen innerhalb der EU und Großbritannien, die eine vollständige Automatisierung von bestimmten Managemententscheidungen ausschließen würden. Aufgrund der verschiedenartigen regionalen, sektoralen und betrieblichen Einbettung sowie der Vielzahl an unterschiedlichen technischen Systemen algorithmischen Managements bezieht sich Wood (2021, S. 12) auf den Grad an Automatisierung von Managementfunktionen und die Möglichkeit zur Intervention menschlicher Entscheidungsträger, um zwischen der algorithmischen Unterstützung von Managementprozessen und der teilweisen oder vollständigen Automatisierung von Managementtätigkeiten durch algorithmisches Management zu unterscheiden. Das Konzept algorithmischen Managements, das sich auf sämtliche Kontrollfunktionen erstreckt, wie Kellogg et al. (2020) es skizzieren, soll daher im Folgenden als ein Idealtyp im Weber’schen Sinne gesehen werden, der das technologisch vorhandene Potenzial zur Institutionalisierung von Machtbeziehungen durch die funktionale Konvergenz von Technologie und Organisation beschreibt.

3 Digitale Assistenzsysteme in Industrie und Logistik: Zwischen Unterstützung und Kontrolle

Als zentrale Einsatzbereiche für digitale Assistenzsysteme gelten die Kommissionierung in der Logistik sowie Montageprozesse und Instandhaltungsarbeiten in der Industrie (Bannat 2014; Kasselmann und Willeke 2016; Niehaus 2017). Bei der Nutzung von digitalen Assistenzsystemen in Fertigungsprozessen und in der Kommissionierung handelt es sich um einen komplementären Technikeinsatz (Huchler 2022). Anders als bei klassischen Automatisierungsprozessen, die primär darauf abzielen, menschliche Arbeit an Robotik oder Software zu übertragen, werden Assistenzsysteme im Fertigungsprozess und in der Kommissionierung ergänzend zum Menschen eingesetzt. Indem die Arbeitsprozesse standardisiert und Fehler vermieden werden, sollen die Produktivität und Produktqualität gesteigert werden (Klapper et al. 2019; Mättig und Kretschmer 2020). Dafür werden Beschäftigte von den Systemen im Arbeitsprozess bei ihren Tätigkeiten physisch – beispielsweise in Form von Hebehilfen – und kognitiv durch die auditive, visuelle oder haptische Bereitstellung von Informationen zum Arbeitsprozess und echtzeitnahes Feedback unterstützt, um so das Arbeitsvermögen zu erweitern, zu erhalten oder eingeschränkte oder fehlende Fähigkeiten zu kompensieren (Blutner et al. 2007; Apt et al. 2018). Während die kontinuierliche Bereitstellung von Feedback eine Form algorithmischer Kontrolle darstellt (vgl. Kellogg et al. 2020), kann das automatisierte Hinweisen auf Fehler von Beschäftigten im Arbeitsprozess als entlastend wahrgenommen werden (Klippert et al. 2018). Insbesondere in einem stark von Zeitdruck geprägten Arbeitsprozess können Zeitersparnisse und reduzierte mentale Beanspruchungen dazu beitragen, dass die Nutzung von Assistenzsystemen trotz der Ausweitung von Kontrolle als hilfreich bewertet wird (Bläsing et al. 2021; Krzywdzinski et al. 2022).

Während physische Assistenzsysteme klar als Arbeitsmittel fungieren, haben kognitiv unterstützende Assistenzsysteme häufig eine Doppelfunktion. Einerseits können sie Nutzer*innen durch die situative Informationsbereitstellung als Werkzeuge für die Ausführung ihrer Tätigkeiten dienen und im Arbeitsprozess unterstützen oder sogar entlastend wirken. Andererseits nehmen sie durch die Vorstrukturierung und Steuerung von Arbeitsabläufen und die feedbackbasierte Überwachung der Arbeitsprozesse organisatorische Kontrollfunktionen wahr (Raffetseder et al. 2017; Kuhlmann et al. 2018; Schaupp 2021). Die Nutzung digitaler Assistenzsysteme zu Kontrollzwecken wird überwiegend kritisch betrachtet (Niehaus 2017; Hirsch-Kreinsen 2018; Backhaus 2019; Funk et al. 2019; Menz et al. 2019; Falkenberg 2021; Schaupp 2021). Zu einer gegenteiligen Einschätzung kommen Pitz et al. (2020), die zwar anerkennen, dass durch ständige Überwachung zur Fehlervermeidung die Handlungsfreiheit im Arbeitsprozess stark eingeschränkt sein kann. Jedoch sei der Einsatz von Assistenzsystemen zur Kontrolle „mitarbeiter*innenfreundlicher, weil sie objektiv, nicht wertend und meist anonym sind“ (ebd., S. 3). Laut Mühge (2018) können Assistenzsysteme, die beispielsweise Aufgaben der Maschinenbelegungs- oder Personalplanung in Produktionsbetrieben übernehmen, Beschäftigte in Fertigungsbereichen zwar unabhängiger von Produktionsplaner*innen machen, würden sich jedoch nicht positiv auf deren Autonomie auswirken.

Die Motive für den Einsatz digitaler Assistenzsysteme lassen sich in tätigkeitsbezogene und organisationsspezifische Strategien einteilen (Falkenberg 2018). Erstere zielen darauf ab, Fehlerquellen zu reduzieren oder Ergonomie und Sicherheit zu verbessern. Letztere beinhalten zum Beispiel die Standardisierung und Effizienzsteigerung von Anlernprozessen oder die verbesserte datenbasierte Nachverfolgbarkeit von Produktionsprozessen. Der Technikeinsatz kann der gegenwärtigen Umgestaltung von Produktionsprozessen dienen und durch die Datengewinnung zugleich das Potenzial für die Optimierung künftiger Arbeitsprozesse bieten (Schaupp 2021).

In der ingenieurwissenschaftlichen Literatur wird insbesondere das Potenzial der Assistenzsysteme hervorgehoben, die Arbeitsgeschwindigkeit zu erhöhen und mögliche Fehler seitens der Beschäftigten zu vermeiden (Tang et al. 2004; Reif und Günthner 2009). Denn menschliche Arbeit wird häufig als denkbare Fehlerquelle in Fertigungs- und Logistikprozessen angesehen, die durch technische Lösungen beseitigt werden soll, eine Vorstellung, die sich teils auch in Befragungen von Entwickler*innen digitaler Assistenztechnologien zeigte (Krzywdzinski et al. 2022). Da sich Assistenzsysteme meist ohne aufwendige Umbauprozesse in bestehende Produktionsabläufe integrieren lassen und daher im Vergleich zu klassischen Automatisierungslösungen für Industrie und Logistik vergleichsweise geringe Implementationskosten aufweisen, gelten sie als beliebte Technologien, um Arbeitsprozesse effektiver zu gestalten (Spath et al. 2013; Plattform Industrie 4.0 2014). Zudem trägt die Übereinstimmung mit den Steuerungs- und Kontrollbedürfnissen des Managements wesentlich dazu bei, dass neue Technologien in Betrieben implementiert werden (Wallace 2008; Pfeiffer 2019). Dabei werden verschiedenste Endgeräte eingesetzt. Neben stationär in den Arbeitsplatz integrierten Geräten, auf denen beispielsweise auf Monitoren mehr oder weniger interaktive Visualisierungssysteme angezeigt werden, die Fertigungsschritte anleiten, findet sich auch eine große Zahl mobiler Endgeräte (sogenannter Wearables) wie Headsets, Datenbrillen, Tablets, Smartwatches, RFID-Armbänder oder „smarte“ Handschuhe mit integrierten Scannern, die Daten im und über den Arbeitsprozess bereitstellen und sammeln können (Kasselmann und Willeke 2016; Niehaus 2017; Krzywdzinski et al. 2022).

Für die elektronische Überwachung des Arbeitsprozesses müssen die Assistenzsysteme technisch und organisational eingebunden sein. Zusätzlich zu den Assistenzsystemen selbst wird eine Rückkopplungseinheit benötigt, die mithilfe multimodaler Sensorik Informationen erfasst und mit einer Maschine, einem logistischen Transportfahrzeug oder einer betrieblichen Datenbank (z. B. ERP- oder MES-System) teilt (Kasselmann und Willeke 2016; Niehaus 2017). Bisherige Forschungsergebnisse deuten allerdings darauf hin, dass sich diese elektronische Überwachung von Arbeit überwiegend negativ auf das subjektive Empfinden der Überwachten bezüglich Beanspruchung, Commitment, Stress, Kontrolle und Zufriedenheit auswirkt (Backhaus 2019).Footnote 4

Kognitiv unterstützende Assistenzsysteme können Beschäftigte jedoch bei einer humanzentrierten Technikgestaltung auch zu selbstbestimmten Entscheidungen befähigen und von Routinetätigkeiten entlasten (Ittermann und Niehaus 2018). Zudem kann die Nutzung insbesondere in Stresssituationen von Beschäftigten als hilfreich wahrgenommen werden und ihnen sogar mehr Abwechslung ermöglichen (Kuhlmann et al. 2018). Voraussetzung für einen solchen flexibel und situationsangepassten Einsatz der Systeme ist deren Adaptivität (Oestreich et al. 2020; Bläsing et al. 2021; Maier und Vernim 2021). Allerdings steht eine adaptive Systemgestaltung den Managementinteressen einer Standardisierung und engmaschigen Prozesskontrolle entgegen. Bezüglich der von Entwickler*innen prognostizierten Leistungssteigerung durch elektronische Überwachung weisen Studien eher auf heterogene Aspekte hin. So kamen Leistungssteigerungen zum Teil dadurch zustande, dass der Fokus mehr auf Quantität als auf Arbeitsqualität gelegt wurde oder die überwachten Aufgaben gegenüber den nicht überwachten Aufgaben priorisiert wurden (Backhaus 2019).

4 Digitale Assistenzsysteme und algorithmisches Management im Spannungsfeld arbeitsplatzbezogener, betrieblicher und regulativer Anforderungen

In den Debatten über algorithmisches Management werden häufig die technischen Potenziale zur Datensammlung, Kontrolle und Substitution von Tätigkeiten betont. Diesen technischen Potenzialen stehen regulative, betriebliche und arbeitsplatzbezogene Anforderungen an die Technikgestaltung gegenüber. Auf europäischer Ebene legt die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) die rechtlichen Grenzen des Datenzugangs bezüglich der Grundsätze der Rechtmäßigkeit, Fairness, Transparenz, Zweckbindung und Datenminimierung fest und untersagt Disziplinierungen in Form von Entlassungen, die ausschließlich auf algorithmischen Entscheidungen basieren (vgl. Wood 2021; Molina et al. 2023). Für die Datenerfassung und -auswertung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle sind zudem Vorgaben im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) und im Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) formuliert, die eine vollumfängliche algorithmische Kontrolle eindämmen (Terhoeven 2020). Im deutschen Kontext sind darüber hinaus Gewerkschaften und deren Tarifverhandlungen sowie Mitbestimmungsprozesse auf betrieblicher Ebene bei der Implementierung digitaler Technologien entscheidend für die Regulierung algorithmischen Managements (Schaupp 2021; Krzywdzinski et al. 2023; Molina et al. 2023). In ihrer Analyse zum Einsatz tragbarer Assistenzsysteme (Wearables) in der Kommissionierung verweisen Krzywdzinski et al. (2022) auch auf die Bedeutung des regulativen Kontextes, in dem Assistenzsysteme zur algorithmischen Steuerung von Beschäftigten genutzt werden. Bei den untersuchten Betrieben aus der Industrie und dem Dienstleistungssektor fanden sich häufig Betriebsvereinbarungen, die den Einsatz der Geräte regelten und eine Leistungskontrolle auf individueller Ebene ausschlossen.

Auf betrieblicher Ebene spielt zudem die soziotechnische Einbettung digitaler Technologien eine wichtige Rolle. Diese wiederum wird geprägt von Managemententscheidungen, Technologieleitbildern, betrieblichen Aushandlungsprozessen, den Aneignungsprozessen seitens der Beschäftigten sowie externen Marktanforderungen, die zu einer Zu- oder Abnahme von Leistungsdruck beitragen können (Büchner 2018; Menz et al. 2019; Schaupp 2021). Als Resultat von Aushandlungsprozessen zwischen den Kontrollinteressen des Managements und der Vertretung der Beschäftigteninteressen durch Gewerkschaften und Betriebsräte kann algorithmische Kontrolle in Form kybernetischer Kontrolle auftreten, bei der Beschäftigte zur ständigen Selbstkontrolle animiert werden (Schaupp 2021).

Darüber hinaus sind die organisationalen Strukturen und Pfadabhängigkeiten bei der Gestaltung von Arbeitsprozessen zu berücksichtigen. So hängen „Detailsteuerung und Kontrolle der Arbeit […] nicht nur von den technischen Möglichkeiten, sondern auch von der inhaltlichen, fachlichen und organisatorischen Gestalt der Arbeits- und Produktionsprozesse ab“ (Menz et al. 2019, S. 187). In der Metaanalyse zeigte sich eine Tendenz, dass sich Autonomieunterschiede in der Arbeitsplatzgestaltung verfestigen (z. B. Klippert et al. 2018; Kuhlmann und Voskamp 2019; Krzywdzinski et al. 2022; Niehaus 2017). Bei repetitiven Kommissionier- und Montagetätigkeiten fanden sich häufig Systeme, die stark auf Prozesskontrolle ausgerichtet waren und wenig individuellen Handlungsspielraum boten. Dagegen lässt sich bei Assistenzsystemen für höherqualifizierte Beschäftigte und deren soziotechnischer Einbettung in betriebliche Prozesse ein eher größerer Spielraum feststellen. So konnten Beschäftigte in der Instandhaltung beispielsweise selbst über die Nutzung eines implementierten Assistenzsystems entscheiden und weitestgehend autonom über die Annahme und Bearbeitungsreihenfolge der gemeldeten Aufträge bestimmen (Baethge-Kinsky et al. 2018).

Der Vergleich zwischen zwei Assistenzsystemen im Fertigungsbereich eines Industriebetriebs illustriert diese Unterschiede in der Gestaltung und Nutzung digitaler Assistenztechnologien für verschiedene Beschäftigtengruppen: Die Arbeitsplätze der überwiegend angelernten Beschäftigten in der manuellen Montage wurden mit einem stark handlungsanleitenden Assistenzsystem ausgestattet, bei dem das Pick-by-Light-Verfahren zur Komponentenauswahl mit einem digitalen Manual zur Vorgabe und Bestätigung der Produktionsschritte kombiniert wird, und dessen Nutzung für den gesamten Fertigungsprozess vorgeschrieben ist. Die höherqualifizierten Beschäftigten wie Gruppen- und Teamleiter sowie Shop-Floor-Manager erhielten dagegen ein Assistenzsystem, das primär Entscheidungen unterstützen soll. Es liefert ihnen bei Bedarf echtzeitnah eine Visualisierung der relevanten Maschinen- und Prozessdaten auf Smartphones oder Tablets und wandelt diese automatisch in potenzielle Aufgaben inklusive Lösungsbeschreibungen um. Bei Art und Umfang der Nutzung dieses Systems wurde den Beschäftigten dieser Gruppe eine hohe Autonomie zugestanden (Warnhoff und de Paiva Lareiro 2019). In der Gestaltung der Systeme spiegeln sich also die bereits bestehenden Unterschiede in der Arbeitsplatzgestaltung bezüglich der Autonomie in der Organisation der eigenen Arbeitsabläufe wider, wodurch vorhandene Ungleichheiten fortgeschrieben werden. Die Nutzung digitaler Assistenzsysteme als Kontrollmedium folgt demnach weniger den technischen Potenzialen, sondern ergibt sich aus einem wechselseitigen Zusammenhang zwischen der Gestaltung von Technik und Arbeitsorganisation sowie der Ausrichtung der Managementkonzepte (vgl. Butollo et al. 2018; Jaehrling 2019).

5 Algorithmisches Management jenseits der Plattformökonomie: Kontrolle, Steuerung und digitale Transformation von Arbeit

Gestaltung und Einsatz von Assistenzsystemen orientieren sich an mehreren Faktoren: Neben unterschiedlichen regulativen Kontexten (juristische Rahmenbedingungen, Mitbestimmungsstrukturen etc.) beeinflussen Leitbilder in der Technikgestaltung, Managementideologien und Marktanforderungen sowie organisationale Pfadabhängigkeiten und Tätigkeitsanforderungen, in welchem Umfang Assistenzsysteme für algorithmisches Management genutzt werden. In den untersuchten Studien fand algorithmische Kontrolle am häufigsten durch die technologiegestützte Anweisung von Arbeitsaufgaben sowie die Bereitstellung von Feedback an die Nutzer*innen statt. Ein vollumfängliches algorithmisches Management mit den sechs von Kellogg et al. (2020) skizzierten Dimensionen wurde in keiner der ausgewerteten Studien zu industriellen Produktionsbetrieben und Logistikbetrieben des Dienstleistungssektors festgestellt.

In der konventionellen Beschäftigung wird algorithmisches Management in vielschichtige Kontrollprozesse eingebettet, bei denen im Arbeitsprozess auch Formen technischer Kontrolle, wie taktgebundenes Arbeiten in der Fließfertigung in Industriebetrieben, sowie bürokratische Kontrollinstrumente präsent sind. Ersetzen Assistenzsysteme wie Pick-by-Vision oder Pick-by-Light die analoge oder digitale Kommissionierliste, erstreckt sich die direkte Kontrolle im Arbeitsprozess auf die Zuweisung der Aufgaben, die lediglich durch ein anderes Medium vermittelt werden. Nutzen Beschäftigte in der Kommissionierung smarte Handschuhe zum Scannen von Barcodes statt Handscannern, bleibt auch hier die Funktion der Technik (Scanner) als Arbeitsmittel unverändert. Zwei neue Dimensionen kommen jedoch hinzu: die automatisierte Erfassung von Daten, die in die Planung oder Leistungsbewertung einfließen können, sowie die unmittelbare technische Bereitstellung von Feedback im Arbeitsprozess als zusätzliche Form der Kontrolle. Diese Institutionalisierung und Verdinglichung bürokratischer Kontrolltechnologien als wesentliches Merkmal algorithmischen Managements, das zu einer Entpersonalisierung und scheinbaren Objektivierung betrieblicher Herrschaft beiträgt, bleibt in den Analysen von Kellogg et al. (2020) unterberücksichtigt.

Eine zu einseitige Fokussierung auf Kontrolle verdeckt zudem den Blick auf andere wichtige Aspekte der Arbeitsplatzgestaltung, wie eine potenzielle Dequalifizierung von Beschäftigten durch die Zentralisierung von Produktionswissen in den Systemen sowie psychische Belastungen durch die kognitive Unterforderung und die mangelnde Kontrolle über die eigene Arbeit bei kleinteiliger, elektronischer Überwachung und Steuerung. Entscheidend dafür, ob Assistenzsysteme für Beschäftigte durch die Ausübung algorithmischen Managements autonomieeinschränkend oder handlungserweiternd wirken, sind die adaptive Gestaltung der Technologien im Einklang mit den Kompetenzen und Bedürfnissen der Beschäftigten. Darüber hinaus sind Datenschutz und betriebliche Mitbestimmung wichtige Instrumente, um eine Ausweitung betrieblicher Kontrolle durch den Einsatz digitaler Technologien zu begrenzen.