Nach der abschließenden Ergebnisdarstellung wird nachfolgend das methodische Vorgehen sowie die entwickelte Definition, das Modell und das Erhebungsinstrument inhaltlich diskutiert. Die Ergebnisse werden unter Einbezug des theoretischen Hintergrunds konstruktiv reflektiert, sodass die zugrundeliegenden Forschungsfragen beantwortet werden.

9.1 Methodische Diskussion

Wie in Kapitel 7 (s. S. 95) beschrieben, liegt dieser Forschungsarbeit ein iteratives, sequenzielles Mixed-Methods-Studiendesign zugrunde, welches nachfolgend entlang der verwendeten Methoden diskutiert wird. Zuvor werden jedoch die Triangulation, die Einflussnahme der SARS-CoV-2-Pandemie sowie die Forschung mit MgB methodenübergreifend reflektiert und diskutiert.

Triangulation

„Der Beitrag der Triangulation zur Geltungsbegründung qualitativer Forschung ist, dass der methodisch-theoretische Zugang zum Untersuchungsgegenstand erweitert wird“ (Flick 2019, S. 481). Dabei wird das Konzept der Triangulation als Erweiterung des klassischen Forschungsansatzes hin zu einer Forschung beschrieben, in der ein Gegenstand mit mehreren Methoden und bzw. oder durch mehrere Forschende untersucht wird (Flick 2019). Von den vier Formen der Triangulation nach Denzin (2017) (methodologische Triangulation, Daten-Triangulation, Investigator-Triangulation, Theorien-Triangulation) wurden in dieser Forschung drei Triangulationen durchgeführt.

  • In der methodologischen Triangulation (auch „between-method“ genannt) werden verschiedene Methoden verwendet, um diverse Aspekte eines Gegenstandes zu beleuchten (ebd.). Im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit wurde eine methodische Triangulation aus qualitativen und quantitativen Elementen ausgewählt mit der Intention eine Definition, ein Modell sowie ein Erhebungsinstrument Digitaler Teilhabe für MgB zu entwickeln.

  • Durch das Forschungstandem liegt zudem eine Investigator-Triangulation vor, die sich durch die Zusammenarbeit mehrerer Forschender auszeichnet, um subjektive Einflüsse Einzelner in der Datenanalyse auszugleichen (ebd.).

  • Zudem erfolgte eine Theorien-Triangulation, also die Annäherung an den Forschungsgegenstand ausgehend von verschiedenen theoretischen Perspektiven (ebd.). Die thematisierten und ausgewählten Konzepte und Modelle zur Beschreibung von Teilhabe berücksichtigen die alltäglichen Lebensbereiche von Menschen, ohne jedoch die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels durch Digitalisierung explizit aufzugreifen. Dementsprechend wurden Modelle und Theorien aus verschiedenen Disziplinen für die Modellentwicklung Digitaler Teilhabe genutzt und weiterentwickelt.

Die Triangulation beschränkt sich nicht allein auf die Überprüfung von Gütekriterien, sondern wird zunehmend als Erkenntnisstrategie in der Forschung eingesetzt. Durch die Erweiterung der methodischen sowie theoretischen Perspektiven wird die Forschungsarbeit umfassender, als dies mit einem Zugang möglich wäre (Flick 2019). So wurde die Triangulation auch in dieser Forschungsarbeit als zentraler Bestandteil und nicht nur als Kriterium der Überprüfung oder zur Ergebnisbestätigung festgelegt.

Einfluss der SARS-CoV-2-Pandemie

Der Forschungsprozess (im Zeitraum von Oktober 2020 bis März 2023) wurde durch die SARS-CoV-2-Pandemie begleitet. Entsprechend wurden einige methodische Anpassungen vorgenommen, die sowohl Chancen als auch Limitationen für die jeweiligen Methoden bedeuteten. Die Durchführung des Scoping Reviews wurde durch die digital angelegte Arbeit kaum von Anpassungen während der SARS-CoV-2-Pandemie berührt. Die Vorbereitung, Durchführung sowie Auswertung des Reviews erfolgten zu Zeiten der Kontaktbeschränkungen, wobei der Austausch über digitale Besprechungen gesichert werden konnte.

Die Anwendung der empirischen Forschungsmethoden hingegen wurde eher durch die Auswirkungen der SARS-CoV-2-Pandemie beeinflusst. Da der Anspruch der Reflexionsformate I, II und III ein präsentischer Austausch mit der Zielgruppe war, konnten die einzelnen Veranstaltungen ausschließlich zu den Zeiten durchgeführt werden, in denen es die Betretungs- und Hygieneauflagen des Rekrutierungsortes (BBW Bethel) zuließen. Dadurch wurden teilweise sehr kurzfristige Entscheidungen getroffen, ob die Veranstaltung vor Ort stattfinden konnte. Da die Teilnehmenden häufig eine Tagesstruktur benötigen, sind spontane Terminentscheidungen eher mit Abbrüchen oder Terminabsagen verbunden. Während der Durchführung der Reflexionsformate wurde auf eine Corona-konforme Sitzordnung geachtet. Dabei wurden die Sitzplätze an einer Rundtischformation mit 1,5 Metern Abstand eingerichtet. Die Lüftungsmöglichkeiten im Gesprächsraum ermöglichten, dass die Teilnehmenden Ihre FFP2-Masken beim Sprechen am Sitzplatz absetzen konnten.

Für die Durchführung der drei Sitzungen in der Prüfgruppe zur Übersetzung der Definition in Leichte Sprache wurde hingegen auf ein Online-Format zurückgegriffen. Im Regelfall werden Prüfrunden in Präsenz durchgeführt. Durch die SARS-CoV-2-Pandemie traf sich die Prüfgruppe – unabhängig von dieser Forschungsarbeit – über das Videokonferenztool Cisco WebEx Meetings, wodurch die Prüfgruppe bereits über Vorerfahrungen in online-basierten Formaten verfügte. Entsprechend war hier die online-basierte Umsetzung eine adäquate Möglichkeit, um die Kontaktbeschränkungen einzuhalten und zugleich einen angemessenen Raum für die Diskussion der Definition Digitaler Teilhabe zu schaffen. Herausfordernd war hierbei jedoch, dass einige Internetverbindungen der Teilnehmenden abbrachen und somit nicht immer sichergestellt werden konnte, dass die Teilnehmenden die Inhalte nachvollziehen und ihre Verständnisprobleme mitteilen konnten. Dadurch, dass insgesamt drei Termine stattgefunden haben, konnte jedoch gewährleistet werden, dass alle Teilnehmenden im Laufe dieser Sitzungen ihre Verständnisprobleme thematisieren und diskutieren konnten. Da die Teilnehmenden der Prüfgruppe den zu prüfenden Definitionstext nicht in Printversion vorliegen hatten und zuvor nicht lesen konnten, wurde der Definitionstext über die Sharing-Funktion des Online-Tools geteilt und gemeinsam angeschaut. Dabei ist zu erwähnen, dass der Text nicht jederzeit von allen Prüfenden gut lesbar war. Leseschwierigkeiten aufgrund der digitalen Bildübertragung wurden jedoch sofort angesprochen und konnten dadurch schnell durch Vorlesen oder technischen Support durch die Moderatorin und Forscherinnen gelöst werden.

Bei der Durchführung der Fokusgruppe I wurde ebenfalls aufgrund der Kontaktbeschränkungen der SARS-CoV-2-Pandemie ein online-basiertes Format gewählt. Dieses Format erwies sich als geeignet, vor allem profitierte der Rekrutierungsprozess von der Online-Umsetzung, da die Teilnehmenden ohne längere Anfahrtswege ressourcenschonend an der Veranstaltung teilnehmen konnten. Zum Abschluss der Fokusgruppe I wurde von den Teilnehmenden ein Feedback zum Durchführungsformat eingeholt, das positiv ausfiel, sodass auch die Fokusgruppe II trotz gelockerter Kontaktbeschränkungen im Online-Format durchgeführt wurde.

Die quantitative Befragung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe fand ebenso im Zeitraum der SARS-CoV-2-Pandemie statt und wurde als online-basierte Befragung sowie Paper-Pencil-Befragung durchgeführt. Während der Rekrutierung zeigten sich Herausforderungen. Zum einen konnten die Rekrutierungsbesuche in den Schulen für Heilerziehungspflege nur bedingt und unter Berücksichtigung der Hygieneauflagen und Kontaktregelungen der jeweiligen Schule stattfinden. Teilweise waren Rekrutierungsbesuche aufgrund hoher Infektionszahlen nicht möglich.

Zum anderen wirkte sich die SARS-CoV-2-Pandemie auf die zeitlichen Ressourcen der Mitarbeitenden aus. Aufgrund des steigenden Versorgungsbedarfs und der verschärften Betretungs- und Hygieneauflagen in den Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe stieg vermutlich die Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden. Da die Teilnehmenden der Befragung zum Teil über die Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe rekrutiert wurden, meldeten einige Einrichtungen zurück, dass aufgrund des erhöhten Versorgungsbedarfs und der steigenden Arbeitsbelastung keine Ressourcen zur Teilnahme an der Befragung zur Verfügung stehen. Daher ist nicht auszuschließen, dass eine höhere Rücklaufquote erzielt worden wäre, wenn die quantitative Befragung ohne die Beschränkungen der SARS-CoV-2-Pandemie durchgeführt worden wäre. Die Auswirkungen der hohen Ressourcenbindung zeigte sich auch in der Durchführung der Fokusgruppe II, da zwei Fachkräfte für soziale Betreuung kurzfristig in ihrem Dienst in der Eingliederungshilfe einspringen mussten und nicht an der Fokusgruppe II teilnehmen konnten. Auch hier lässt sich vermuten, dass ohne die Bedingungen der SARS-CoV-2-Pandemie mehr zeitliche und personelle Ressourcen verfügbar und somit eine höhere Teilnahmequote möglich gewesen wäre.

Forschung mit MgB

In der Umsetzung erweist sich die Forschung mit MgB oft als herausfordernd. In bisheriger Forschung wird vor allem die Heterogenität der Zielgruppe als ursächlich angeführt (s. Kapitel 2, S. 9). Nach Theunissen und Kulig (2010) stellt dies einen möglichen Grund für die geringen Forschungsaktivitäten mit dieser Zielgruppe dar (ebd.). Häufig wird der Feldzugang zu der Zielgruppe der MgB als grundlegendes Problem angesehen (Trescher 2013; Katzenbach 2016). In der Regel besteht in sonderpädagogischen Institutionen, wie z. B. Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe, kein öffentlicher Zugang. Entsprechend ist der Zugang zu diesen Institutionen und folglich zur Zielgruppe über Gatekeeper notwendig (Trescher 2013). Der Zugang bzw. die Rekrutierung im Rahmen dieser Forschungsarbeit erfolgte dabei über persönliche Kontakte und ein bereits bestehendes Vertrauensverhältnis aus früherer Zusammenarbeit. Die Kooperation mit Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe erwies sich für den Zugang zur Zielgruppe MgB als unverzichtbar.

Um den partizipativen Anteil dieser Forschungsarbeit zu reflektieren, wird das Stufenmodell der Partizipation von Wright, Block und Unger (2010) herangezogen. In Anbetracht der Reflexionsformate kann von Partizipation gesprochen werden. Die Zielgruppe erhielt eine formale, verbindliche Rolle in der Entscheidungsfindung, sodass hier die Stufe 6 (Mitbestimmung) erreicht werden konnte. Die Entscheidungsträger (hier die Forscherinnen) hielten Rücksprache mit Vertretern der Zielgruppe (hier MgB), um wesentliche Aspekte mit ihnen abzustimmen. In dieser Stufe haben die Zielgruppenmitglieder ein Mitspracherecht, jedoch keine alleinige Entscheidungsbefugnis (ebd.). Stufe 7 (teilweise Übertragung von Entscheidungskompetenz) und Stufe 8 (Entscheidungsmacht) konnten nicht erreicht werden (ebd.). Eine Entscheidungsmacht und somit höhere Partizipation liegt jedoch in der Methode des iterativen Prüfgruppenprozesses zur Entwicklung einer Definition in Leichter Sprache vor. Hier oblag dem Konsens der Teilnehmenden, welche Änderungen vorgenommen und in der finalen Definition Digitaler Teilhabe von MgB einzupflegen waren.

Die Durchführung der quantitativen Befragung stellt in Bezug auf die Partizipation lediglich eine Vorstufe der Partizipation dar. Zwar konnte eine Einbindung der Zielgruppe stattfinden, eine direkte Einflussnahme auf die Prozesse konnte jedoch nicht sichergestellt werden. Sofern der Fragebogen von Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe ohne Einbezug der Zielgruppe ausgefüllt wurde, wird die dritte Stufe (Information) des Stufenmodells der Partizipation erreicht. Die Entscheidungsträger informieren die Zielgruppe, welche Probleme die Gruppe aus ihrer Sicht hat und zeigen verschiedene Handlungsmöglichkeiten für die Beseitigung oder Verringerung ihrer Probleme auf. Dabei wird das Vorgehen der Entscheidungsträger erklärt und begründet (ebd.). Im Ausfüllhinweis des Fragebogens wird jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass der Fragebogen im Idealfall gemeinsam mit einem Klienten ausgefüllt werden soll. Damit könnte die vierte Stufe 4 (Anhörung) bzw. die fünfte Stufe 5 (Einbeziehung) erreicht werden. Dabei lassen sich die Ausfüllenden von ausgewählten Personen aus der Zielgruppe beraten. Hierbei kann jedoch weder sichergestellt werden, dass die Beratungen einen verbindlichen Einfluss auf den Entscheidungsprozess haben, noch, dass der Einbezug der Klienten stattgefunden hat (ebd.).

Nachfolgend werden die jeweiligen methodischen Vorgehensweisen des Scoping Reviews, der Reflexionsformate, der Fokusgruppen sowie der quantitativen Befragung reflektiert.

9.1.1 Scoping Review

Das in Abschnitt 7.3.1 (s. S. 100) dargelegte Scoping Review wurde in Übereinstimmung mit den Standards des von Peters et al. (2015) skizzierten methodischen Ansatzes und in Übereinstimmung mit den Berichtsrichtlinien der PRISMA-ScR-Checkliste (Tricco et al. 2018) durchgeführt. Dennoch liegen dem Scoping Review Limitationen zugrunde, die bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen sind.

Für die Literaturrecherche und Auswahl der Studien wurde ein Scoping-Review-Protokoll in Anlehnung an den Leitfaden für Scoping Reviews von Peters et al. (2015) erstellt, um den Review-Prozess transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Somit wurde das Auftreten eines Reporting Bias (Verzerrungen bei der Berichterstattung) minimiert. Das Protokoll beschreibt detailliert die Kriterien, nach denen die beiden Reviewerinnen die Studien ein- bzw. ausschlossen, relevante Daten auswählten, extrahierten und darstellten (Elm, Schreiber & Haupt 2019).

Die methodische Reflexion erfolgt entlang der Recherchestrategie, dem Vorgehen bei der Auswahl der Studien, der Auswertung der eingeschlossenen Studien sowie der gewählten Form der Ergebnisdarstellung.

9.1.1.1 Recherchestrategie

Zur Entwicklung der Recherchestrategie wurden die PCC-Elemente (Population, Concept, Context) berücksichtigt, anhand derer Schlagworte für die einzelnen Suchen definiert wurden. Die Recherche in den einzelnen Datenbanken gestaltete sich dennoch herausfordernd. Dabei beschränkte sich die Recherche aufgrund des Untersuchungsgegenstandes auf die Zielgruppe MgB (Population). Es ist möglich, dass die Aufnahme von Artikeln zu anderen Zielgruppen andere Ergebnisse bzgl. des Begriffs Digitale Teilhabe ergeben hätten, da bislang überwiegend Forschung zu Menschen mit anderen Beeinträchtigungsarten vorgenommen wurde. Anzumerken ist außerdem, dass die Definition der Zielgruppe MgB unterschiedlich verstanden wird. In den sieben deutschsprachigen Studien wird das ICF-Modell der WHO (2005) angeführt (Bosse & Hasebrink 2016; Heitplatz 2017; Ramsten et al. 2017; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Amor et al. 2020; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020), dennoch werden unterschiedliche Begrifflichkeiten für die Zielgruppe MgB abgeleitet. Somit nutzen diese Studien verschiedene Zielgruppendefinitionen, die der nachfolgenden Tab. 9.1 (s. S. 405) zu entnehmen sind.

Tab. 9.1 Verwendete Zielgruppendefinitionen deutschsprachiger Studien. (Quelle: Eigene Darstellung)

In den englischsprachigen Studien wird die Zielgruppendefinition intellectual disabilities verwendet (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Chadwick, Quinn & Fullwood 2016; Normand & Sallafranque St-Louis 2016; Owuor & Larkan 2017; Ramsten et al. 2017; Shpigelman 2017; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Jenaro et al. 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019; Louw, Kirkpatrick & Leader 2019; Heitplatz 2020; Heitplatz, Bühler & Hastall 2020; Isaksson & Björquist 2020; Heitplatz, Bühler & Hastall 2021). Ausschließlich in der Studie von Heitplatz, Bühler und Hastall (2019) wird von cognitive disabilities gesprochen (ebd.). Hier ist jedoch anzumerken, dass die deutschsprachigen Autoren diesen Begriff vermutlich aus der deutschen Sprache abgeleitet haben, wodurch sich diese Abweichung erklärt. Divergierende Zielgruppendefinitionen erschweren nicht nur die Vergleichbarkeit, sondern auch eine Aussage über den Einfluss der Beeinträchtigung auf Digitale Teilhabe. Um diesbezüglich Klarheit in der heterogenen Gruppe der MgB zu erhalten, ist es bereits in der Durchführung zukünftigen Studien erforderlich, die Art der Beeinträchtigungen der Befragten differenzierter herauszustellen. So können diverse Einflüsse auf den Zugang und die Nutzung digitaler Technologien erforscht werden.

Da bisher keine eindeutige Definition des Konstruktes Digitale Teilhabe (insbesondere mit Bezug zu MgB) existiert, zeigte sich die Sammlung von geeigneten Schlagwörtern bzgl. des concepts als herausfordernd. Vor allem die Verwendung der englischen Übersetzung des Begriffs Teilhabe (participation) führte zu Ergebnissen, die überwiegend nicht dem für die Arbeit vorliegenden Begriffsverständnis von Teilhabe (s. Abschnitt 2.1, S. 9) entsprach. Auch mit der Kombination aus den Begriffen Teilhabe und Digitalisierung bzw. digital, befassten sich nur wenige Ergebnisse mit Digitaler Teilhabe. Zudem war in keiner der Datenbanken der Begriff Digitale Teilhabe ausreichend indexiert. Entsprechend wurde die Suchmatrix durch potenzielle Synonyme für Digitale Teilhabe ergänzt, um den inhaltlichen Bezug in den Ergebnissen zu erhöhen. Hierdurch zeigte sich eine weitere Limitation, da es möglicherweise Publikationen gab, die zwar von Digitaler Teilhabe handelten, dafür aber nicht den Begriff Digitale Teilhabe oder eines der eingesetzten Synonyme verwendeten, sodass einige relevante Publikationen nicht berücksichtigt wurden. Möglich ist ebenso, dass in anderen Fachdatenbanken der Begriff Digitale Teilhabe besser indexiert ist. Diese Wahrscheinlichkeit ist jedoch gering, da die Auswahl der verwendeten Datenbanken durch den Standard der Gesundheitswissenschaften sowie ein Beratungsgespräch mit einem Mitarbeitenden der Hochschulbibliothek Bielefeld reflektiert worden ist.

Auch die Überführung des contexts (Eingliederungshilfe, Behindertenhilfe) in geeignete Schlagwörter und somit in die Suchmatrix unterlag ähnlichen Herausforderungen. Dadurch, dass für das deutsche Versorgungskonzept der Eingliederungshilfe keine äquivalente Übersetzung existiert, ist die Recherche über synonyme Begrifflichkeiten erschwert. Der Bezug zur Eingliederungshilfe könnte daher zur Folge gehabt haben, dass über die Suche eine relativ hohe Zahl deutschsprachiger Publikationen (12 von 27 Studien) identifiziert und in die Auswertung eingeschlossen wurden (s. Tab. 9.2, S. 407). Dies könnte durch die Herausforderung der Übertragbarkeit der PCC-Elemente in die englische Sprache begründet sein. Zudem wurde die Suche in Google Scholar über „Digitale Teilhabe geistige Beeinträchtigung Lernschwierigkeit“ durchgeführt. Eine Übersetzung ins Englische fand nicht statt.

Tab. 9.2 Verteilung der Studien nach Land. (Quelle: Eigene Darstellung)

Eine Einschränkung des Studiendesigns wurde nicht vorgenommen, sodass jedwedes Studiendesign eingeschlossen wurde. Ungeachtet der Zielsetzung des Scoping Reviews war die Fokussierung auf ein spezifisches Forschungsdesign aufgrund der geringen Studienlage im adressierten Forschungsbereich zum Zeitpunkt des Scoping Reviews wenig sinnvoll. Zukünftig könnte das Studiendesign als ein weiteres Ausschlusskriterium definiert werden, sofern eine größere Anzahl an Studien vorliegt.

Die Literaturrecherche wurde in einschlägigen Fachdatenbanken und Fachbibliotheken durchgeführt. Die Suche sollte sich nicht auf wissenschaftliche Datenbanken beschränken, sondern ebenso eine Handsuche in spezifizierten themenrelevanten Zeitschriften einschließen (Al-Nawas, Baulig & Krummenauer 2010). Dementsprechend wurde ergänzend die Suche in der Datenbank für graue Literatur Google Scholar durchgeführt. Graue bzw. unveröffentlichte Literatur zu berücksichtigen ist für Scoping Reviews nach Sturma et al. (2016) üblich. Bei systematischen Reviews muss eine große Anzahl von Publikationen, im Idealfall randomisierte Kontrollstudien, vorliegen (ebd.). Dies ist für das hier vorliegende Themengebiet nicht der Fall, sodass der Einbezug der Datenbank Google Scholar im Rahmen des Scoping Reviews keiner kritischen Limitation unterliegt. Der Suchalgorithmus der Datenbank hingegen ist als Einschränkung zu bewerten. Da nicht mit Operatoren recherchiert werden konnte, ist es möglich, dass bei der Recherche ggf. relevante Publikationen nicht gefunden und einbezogen wurden. Ergänzend zu der Datenbankrecherche wurde ein Screening der Referenzlisten durchgeführt, sodass weitere thematisch relevante Veröffentlichungen eingeschlossen werden konnten (Wytrzens et al. 2012).

9.1.1.2 Auswahl der Studien

Der Auswahlprozess wurde mithilfe eines Flowcharts nach Moher et al. (2009) visualisiert. Die Durchführung wurde transparent entlang der einzelnen Phasen erläutert und dokumentiert. Somit ist das durchgeführte Scoping Review reproduzierbar. In der Überprüfungsphase wurden die identifizierten Studien von beiden Reviewerinnen anhand der formulierten Ein- und Ausschlusskriterien auf Eignung und Aufnahme in das Scoping Review überprüft. Hierbei ist anzumerken, dass die Ergebnisse von Scoping Reviews stark durch die vorliegenden Ein- und Ausschlusskriterien beeinflusst werden. Bereits geringfügige Unterschiede in der Formulierung oder der Beurteilung dieser Kriterien können zu anderen Ergebnissen führen (Sturma et al. 2016). Durch das Vier-Augen-Prinzip im Review-Prozess konnten die einzelnen Phasen von beiden Reviewerinnen unabhängig begutachtet werden. Dadurch wurden die einzelnen Phasen des Scoping Reviews zunächst getrennt voneinander durchgeführt. In der anschließenden Zusammenführung und Diskussion der Review-Ergebnisse konnten Konflikte gelöst und die Qualität des Scoping Reviews erhöht werden. Dennoch kann auch durch das Vier-Augen-Prinzip nicht ausgeschlossen werden, dass im gesamten Review-Prozess Informationen übersehen oder fehlinterpretiert wurden.

Ebenso ist ein möglicher Publikationsbias zu berücksichtigen, also eine statistisch verzerrte Darstellung der Datenlage in wissenschaftlichen Zeitschriften. Durch eine bevorzugte Veröffentlichung von Studien mit einem positiven oder signifikanten Ergebnis können diese in der Dateninterpretation überschätzt werden. Signifikant positive Studien werden als erkenntnisreicher empfunden und sind dadurch einfacher zu publizieren als Studien, die eine aufgestellt Hypothese nicht bestätigen können (Döring & Bortz 2016). Dieser Bias beeinflusst das Ergebnis des durchgeführten Scoping Reviews, da nicht veröffentlichte (negative) Ergebnisse nicht eingeschlossen und zur Interpretation herangezogen werden konnten (Sturma et al. 2016). Insgesamt konnten 27 Studien eingeschlossen werden. Da grundsätzlich jede Studie, die für die Beantwortung einer Fragestellung genutzt werden kann, einbezogen werden sollte, kann keine allgemeingültige Aussage zu einer angemessenen Fallzahl getroffen werden (ebd.).

9.1.1.3 Auswertung

Zur Auswertung der identifizierten Studien wurden eine Auswertungstabelle entwickelt. Vorbereitend für die Datenextraktion der Studien führten beide Reviewerinnen unabhängig voneinander einen Pretest für die entwickelten Auswertungstabellen anhand eines Artikels durch. Um sicherzustellen, dass die Bewertung der Studien objektiv erfolgt, wurden die Studien jeweils durch beide Reviewerinnen unabhängig voneinander beurteilt. Für eine hochwertige Ergebnisdokumentation und Auswertung wurde die Erweiterung des PRISMA-Statements für Scoping Reviews (PRISMA-ScR) genutzt. Dabei wird die strukturierte Darstellung der methodischen Prozesse und Ergebnisse vorgenommen, um die Nachvollziehbarkeit der systematischen Literaturrecherche zu gewährleisten (Tricco et al. 2018).

Bei einem Scoping Review wird in der Regel keine formale Bewertung der methodischen Qualität der eingeschlossenen Studien vorgenommen, da dies dem übergeordneten Ziel, einen Überblick über die vorhandene Evidenz zu geben, widersprechen würde. Somit ist es durch das Scoping Review möglich, Studienergebnisse jedweder Methodik als potenzielle Quellen glaubwürdiger Evidenz zu betrachten (Elm, Schreiber & Haupt 2019). Auch das Joanna Briggs Institute Framework nach Peters et al. (2015) sieht eine Bewertung der methodischen Studienqualität nicht vor. Um jedoch eine Übersicht der methodischen Studienqualität zu erhalten, wurde diese in der vorliegenden Forschungsarbeit ergänzend zur Qualitätssicherung durchgeführt, indem vorab Kriterien, die sich an der PRISMA-ScR-Checkliste zur Dokumentation und Auswertung von Studien orientieren, festgelegt wurden (Moher et al. 2009; Tricco et al. 2018). Die Beurteilung der methodischen Qualität hatte jedoch keinen Einfluss auf die Verwendung der Studie im Scoping Review und wurde lediglich bei der Interpretation der Ergebnisse zur Information herangezogen. Im Beurteilungsprozess der methodischen Qualität sind zwei Aspekte anzumerken. Am schlechtesten war die Kategorie Benennung der methodischen Limitationen zu bewerten. Hier wurden von 27 Studien 15 durch die beiden Forscherinnen als negativ beurteilt. Ebenfalls auffällig zeigt sich die fehlende Angabe zur Finanzierung in 19 Studien. Hier könnte ebenfalls ein Publikationsbias (Bortz & Döring 2006) vorliegen.

9.1.1.4 Darstellung der Ergebnisse

Die Ergebnisse der deskriptiven Merkmale der Studien wurden in einer strukturierten und narrativen Synthese grafisch und teilweise in tabellarischer bzw. grafischer Form aufbereitet. Zudem wurden die Erkenntnisse zu den forschungsfragenbezogenen Merkmalen der identifizierten Studien im Fließtext ausgewertet und eine Conceptual Map nach Anderson et al. (2008) aufbereitet. Mithilfe der Conceptual Map konnten die gewonnen Erkenntnisse organisiert und repräsentiert werden. Die Darstellung von Zusammenhängen und Beziehungen der einzelnen Schlüsselbegriffe, potenziellen Auswirkungen und potenziellen Einflussfaktoren erwies sich als gewinnbringend und hilfreich für die Modellentwicklung MDT1.

9.1.1.5 Schlussfolgerungen

Die beiden definierten Ziele (s. Abschnitt 7.3.1.1, S. 101) konnten durch die Durchführung des Scoping Reviews erreicht werden. Durch die ausgewählte Methode konnte eine Zusammenfassung der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz zu Begriffsverständnissen und themenrelevanten Schlüsselbegriffen, theoretischen Teilhabemodellen, Einflussfaktoren, Chancen und Risiken sowie Erfassungsansätzen der Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe erstellt werden. Die Conceptual Map nach Anderson et al. (2008) erwies sich als hilfreich für die Entwicklung der Definition Digitaler Teilhabe (DDT1) und des Modells Digitaler Teilhabe (MDT1). Somit kann die Durchführung des Scoping Reviews trotz angeführter Limitationen als gelungen beschrieben werden.

9.1.2 Reflexionsformate

Für die empirische Weiterentwicklung der Definition (DDT1) und des Modells Digitaler Teilhabe (MDT1) wurden zwei partizipativ und iterativ angelegte Reflexionsformate in Anlehnung an Schulz, Mack und Renn (2012) mit MgB als offene, leitfadengestützte Diskussion- bzw. Gesprächsräume durchgeführt. Ein drittes Reflexionsformat wurde bei der Entwicklung und Prüfung eines Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe zur Prüfung eines Erhebungsinstruments in einfacher Sprache (EIDT-ES1) durchgeführt. Dabei kamen MgB als Experten im eigenen Erleben von Digitaler Teilhabe in Kleingruppen zusammen, um die Entwürfe der Definition, des Modells und des Erhebungsinstruments miteinander zu diskutieren. In der methodischen Diskussion wird der Fokus auf die Herausforderungen in der methodischen Konzeption der partizipativen Umsetzung gelegt, die sich aus der Einbindung von MgB ergeben (Keeley 2015; Di Lorito et al. 2017; Stevenson & Taylor 2019). Die Diskussion orientiert sich dabei an der Rekrutierung und Zusammensetzung der Teilnehmenden, dem entwickelten Konzept sowie der Leitfadenentwicklung und abschließend der Datenanalyse.

9.1.2.1 Rekrutierung und Zusammensetzung

Hinsichtlich des Feldzugangs und der Rekrutierung der Teilnehmenden der Reflexionsformate zeigen sich Limitationen, die im Nachfolgenden kurz aufgeführt werden.

Die gewählte Sampling-Methode der maximalen Variation zielte darauf ab, ein möglichst heterogenes Sample von MgB zu rekrutieren. Die Heterogenität sollte sich dabei in den Merkmalen Alter, Geschlecht und der Betreuungssituation widerspiegeln. Dazu wurde ein Gatekeeper in den Rekrutierungsprozess eingebunden (s. Abschnitt 7.4.1.3, S. 116). Für den Feldzugang erwies sich der Kooperation mit dem Gatekeeper (hier Zugang über die Kontaktperson im BBW) zur Kontaktaufnahme mit der Zielgruppe als elementar, jedoch können in der Kooperation ebenso Herausforderungen entstehen, wie z. B. Zugangsbeschränkungen, möglichen Verzerrungen oder Abhängigkeiten von den Interessen der Gatekeeper (Wolff 2003). Aus diesem Grund ist es von entscheidender Bedeutung, die Rolle der Gatekeeper zu reflektieren und sicherzustellen, dass ihre Einbindung angemessen und transparent ist. Gemäß dem qualitativen Forschungsansatz wurde für die Reflexionsformate eine bewusste Auswahl der befragten Personen getroffen. Hierfür wurden vorab Ein- und Ausschlusskriterien definiert, über die Personen als Teilnehmende eingeschlossen werden konnten. Die Beurteilung der Ein- und Ausschlusskriterien erfolgte mithilfe der Ansprechpartnerin des BBWs und ggf. mit dem rechtlichen Betreuenden. Eine Einschätzung durch die beiden Forscherinnen wäre an dieser Stelle nicht sinnvoll gewesen, da hier spezifisches Wissen über die Teilnehmenden notwendig ist. Übernehmen Schlüsselpersonen in den Angeboten und Diensten die Auswahl von geeigneten Teilnehmenden für die Erhebung, könnte nach Schallenkammer (2016) ein Verzerrungsproblem der Ergebnisse durch die Selektion eines sogenannten Gatekeepers auftreten (ebd.). Dennoch kann der Kontakt zu der Zielgruppe durch eine Kontaktperson in der Einrichtung erleichtert werden (Trescher 2013).

Die Zusammenstellung des Samples in den Reflexionsformaten kann grundsätzlich als gelungen angesehen werden, da die Teilnehmenden über alle drei Merkmale hinweg Variationen aufweisen. So umfasst das Sample sowohl Männer als auch Frauen aus unterschiedlichen Wohn- und Betreuungskontexten der Eingliederungshilfe im Sample heterogen. Nichtsdestotrotz hätte das Sample vor allem hinsichtlich der Altersgruppen noch heterogener ausfallen können, da ausschließlich Personen zwischen 20 bis 34 Jahren Interesse bekundeten und rekrutiert werden konnten. Da sich die Zielgruppe von MgB hinsichtlich soziodemografischer und epidemiologischer Charakteristika divers und heterogen zeigt (s. Abschnitt 2.2, S. 13) ist ein Rückschluss auf MgB im Allgemeinen nur bedingt möglich. Die Ausweitung der Rekrutierung über weitere Einrichtungen wäre eine mögliche Alternative zum gewählten Vorgehen, jedoch war diese durch die verschärften Kontaktbeschränkungen während der Sars-CoV-2-Pandemie nicht möglich sowie durch die Absicht eines bereits vertrauten Miteinanders der Teilnehmenden durch die Angehörigkeit derselben Einrichtung nicht zielführend. Des Weiteren ist durch die Annahme eines Freiwilligen-Bias, also die Vermutung, dass sich die Beteiligten am Reflexionsformat mit hoher Wahrscheinlichkeit von Nicht-Teilnehmenden in bestimmten Kriterien unterscheiden, eine Abweichung zur Grundgesamtheit nicht auszuschließen. Vermeiden lässt sich der Freiwilligen-Bias in diesem Falle jedoch nicht, da aus ethischen Aspekten eine freiwillige Studienteilnahme durch die MgB erfolgen musste (Döring & Bortz 2016).

Der Feldzugang erfolgte wie beschrieben über das BBW. Diese Bildungseinrichtung der vBS Bethel wurde als Rekrutierungsort ausgewählt, da sich die Einrichtung bereits mit dem Thema Digitale Teilhabe auseinandersetzt. Da lediglich Personen eingeschlossen wurden, die in den vBS Bethel in Bielefeld betreut werden, schließt dies andere interessierte Personen aus anderen Einrichtungen oder anderen Städten bundesweit aus. In diesem Sinne wäre es spannend, die ausgewählte Methode in weiteren Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe anzuwenden. Nach Abschluss der Rekrutierungsphase konnten für alle drei Reflexionsformate insgesamt elf Interessenten gewonnen werden.

Final befragt wurden je nach Gruppe vier bis sechs Personen, was allgemein eine kleine Stichprobe darstellt. In qualitativen Forschungsdesigns gelten geringe Fallzahlen jedoch als gewöhnlich, da qualitative Untersuchungen besonders zeitintensiv sind. Daher wird der Stichprobenumfang dieser Arbeit als angemessen betrachtet. Für eine generelle und aussagekräftige Schlussfolgerung hinsichtlich der Grundgesamtheit ist jedoch eine Untersuchung mit einer höheren Fallzahl und einer heterogeneren Zusammensetzung notwendig (ebd.).

An dieser Stelle sei anzumerken, dass das Forschungsvorhaben bereits bei der Rekrutierung bei den MgB auf positive Reaktionen stieß. Für sie entstehe die Möglichkeit, gehört zu werden und eigene Eindrücke und Erfahrungen einzubringen und dadurch mitzugestalten.

9.1.2.2 Konzept Reflexionsformat

Um dem Anspruch des gesetzlich verankerten Leitgedankens von Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe im Forschungsprozess gerecht zu werden und dem Betroffenen die Möglichkeit zur Meinungsäußerung zu geben, ist es unabdingbar, die Betroffenen zu beteiligen. Vor allem im Hinblick auf die Erfassung der Bedingungen und möglicher Veränderungen lebensweltlicher Bereiche (hier durch Digitalisierung), ist die Meinung der Betroffenen und somit die Erhebung ihrer Perspektive von größter Relevanz (Keeley 2015).

Das Vorgehen der Fokusgruppe nach Schulz, Mack und Renn (2012) wurde an die Bedarfe und Bedürfnisse sowie Kompetenzen der Teilnehmenden angepasst. Die Nutzung von Visualisierung zur Erläuterung (Keeley 2015) wurde zwar angewendet, hätte aber stärker eingebunden werden können. Die Übersetzung der gesamten Materialien in einfache Sprache wurde von den MgB sowie den beiden Forscherinnen als Mehrwert empfunden. Der Zugang zu den Teilnehmenden und der Austausch zu einem komplexen Sachverhalt wurden erleichtert. Für die Übersetzung zeigte sich das Regelwerk für Leichte Sprache (Netzwerk Leichte Sprache 2021) als nützlich. So wurde auch bei der Formulierung des Leitfadens vorgegangen.

9.1.2.3 Leitfadenentwicklung

Für jedes Reflexionsformat wurde ein offener teilstandardisierter Leitfaden zur Unterstützung und Strukturierung der Durchführung des Reflexionsformates entwickelt. Die Leitfäden wurden in einem Pretest mit einem Vertretenden der Zielgruppe MgB auf Verständlichkeit überprüft.

Trotz des getesteten Leitfadens besteht die Gefahr der unbewussten sowie bewussten Verzerrung. Bewusste Verzerrungen gehen mit suggestiven Fragen oder Antwortvorgaben einher, wohingegen unbewusste Verzerrungen über das Erscheinungsbild der Durchführenden entstehen können (Steinke 2007). Die bewusste oder unbewusste Beeinflussung der Befragten wurde zwar aktiv vermieden, auszuschließen ist insbesondere die unbewusste Einflussnahme jedoch nicht. Ferner sind während der Befragung der Teilnehmenden Herausforderungen für die Forscherinnen entstanden. Zum einen forderte die Gestaltung des Leitfadens ein hohes Maß an Konzentration, da die Fragen des Leitfadens situativ gestellt wurden, jedoch zugleich die vollständige Abdeckung aller Themenbereiche sichergestellt werden musste (Helfferich 2011). Zum anderen gestaltete sich die Verständigung unter den Forscherinnen und den Befragten teilweise als anspruchsvoll. Dabei erwies sich die Berücksichtigung der einfachen Sprache als eine geeignete Möglichkeit Sprach- und Verständnisbarrieren abzubauen (Sonnenberg 2007). Vereinzelte Verständnisschwierigkeiten aufgrund zu offener Fragen, wurden mithilfe von konkreteren Nachfragen aufgelöst. Trotz durchgeführtem Pretest sind weiterhin unbemerkte Verständnisprobleme nicht auszuschließen, da die Fragen unterschiedlich ausführlich beantwortet werden konnten.

9.1.2.4 Datenerhebung

Nach Keeley (2015) erweist es sich insbesondere bei der Befragung von MgB als Vorteil, wenn die befragte Person den Gesprächsführenden als vertrauenswürdig anerkennt. Dementsprechend wurden die Reflexionsformate zunächst so angelegt, dass der Wiederholungscharakter des Formates die Vertrauensbasis zwischen den Forscherinnen und den teilnehmenden MgB stärken und so zur Qualität der generierten Ergebnisse beitragen sollte. In den drei Reflexionsformaten konnte jedoch nur eine Teilnehmerin an allen Gesprächsrunden teilnehmen. Die anderen Teilnehmenden konnten aufgrund von Erkrankungen oder Wechsel des Angebotes nicht regelmäßig teilnehmen. Dies könnte die Ergebnisse gegebenenfalls beeinflusst haben. Wie die nachfolgende Auswertung der Gesprächsanteile und die Beschreibung der Atmosphäre in den einzelnen Reflexionsformaten zeigt, scheint dies jedoch keinen zu starken negativen Effekt zu haben.

Die Gesprächsanteile der Teilnehmenden des ersten Reflexionsformates waren sehr unterschiedlich verteilt (s. Tab. 9.3, S. 414). T1 hatte den größten Gesprächsanteil (102 Beiträge). T3 und T4 haben mit 47 und 41 Beiträgen sehr ähnliche Gesprächsanteile. T2 hat im ersten Reflexionsformat mit 21 Beiträgen den geringsten Gesprächsanteil.

Tab. 9.3 Auswertung Gesprächsanteile Reflexionsformat I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Insgesamt herrschte während des gesamten Gesprächs eine angenehme Atmosphäre. Mit Blick auf die Gesprächsdynamik waren zu Beginn des Gesprächs verhältnismäßig kürzere Diskussionsbeiträge zu erkennen. Im Laufe des Gesprächs wurden die einzelnen Beiträge länger, was darauf zurückgeführt werden kann, dass zum einen eine vertrautere Atmosphäre entstanden ist und die Teilnehmenden sich zum anderen thematisch in dem Gespräch eingefunden haben.

Eine von den Teilnehmenden positiv wahrgenommene Atmosphäre lässt sich zudem durch ihre Teilnahmebereitschaft für die zukünftigen Reflexionsformate festhalten. So teilten T1 und T4 bereits in der Mitte des Gespräches mit, dass sie gerne an den nächsten Terminen teilnehmen möchten (s. Transkript Reflexionsformat I Z. 148–149). Darüber hinaus wurde zum Ende hin von T1 bekundet, dass sie an dem Gespräch großen Spaß hatte (s. Transkript Reflexionsformat I Z. 1244).

Die absoluten Gesprächsanteile der Teilnehmenden im Reflexionsformat II waren, ähnlich wie im ersten Reflexionsformat, unterschiedlich verteilt (s. Tab. 9.4, S. 415). T1 hatte mit 126 Beiträgen den größten Gesprächsanteil, T7 folgt mit 87 Beiträgen. T5 können 73 Beiträge und T6 insgesamt 58 Beiträge zugeschrieben werden. Dabei ist anzumerken, dass T5 das Reflexionsformat vorzeitig verließ.

Tab. 9.4 Auswertung Gesprächsanteile Reflexionsformat II. (Quelle: Eigene Darstellung)

Auch hier lassen sich mit Blick auf die Gesprächsdynamik zu Beginn des Gesprächs verhältnismäßig längere Diskussionsbeiträge erkennen. Im Laufe des Gesprächs werden die einzelnen Beiträge kürzer, was mit Blick auf die Erfahrungen aus dem Forschungsfeld mit MgB gegebenenfalls darauf zurückgeführt werden kann, dass die Konzentration der Gruppe mit Fortschreiten des Gesprächs abnahm. Wie bereits in Abschnitt 7.4.1 (s. S. 114) beschrieben, sollte nach Atteslander und Cromm (2003) eine Gesprächsdauer von 30 bis 60 Minuten eingehalten werden (ebd.). Dementsprechend wurde die Gesamtdauer des Reflexionsformates, unter Berücksichtigung der begrenzten Konzentrationsfähigkeit von MgB, auf maximal 45 Minuten inklusive einer 15-minütigen Erholungspause ausgelegt. Das Reflexionsformat II dauerte insgesamt eine Stunde und 37 Minuten, dabei wurde eine Pause von zehn Minuten eingehalten. Beide Forscherinnen hatten nicht den Eindruck, dass die Konzentrationsfähigkeit nachließ, da es keine Abnahme in der Gesprächsdynamik erkennbar war und die Teilnehmenden hierzu keine Rückmeldung gaben. Um die Diskussion nicht abzubrechen, wurde sich für eine leichte Überschreitung der ursprünglich geplanten Zeitspanne bewusst entschieden.

Dennoch sind vor dem Hintergrund der begrenzten Konzentrationsfähigkeit von MgB unentdeckte Konzentrations- und Motivationseinbußen nicht auszuschließen (Keeley 2015). Die Konzentrationsabnahme im Laufe des Gesprächs könnte gegebenenfalls zu einem unvollständigen Informationsgehalt geführt haben.

Eine von den Teilnehmenden positiv wahrgenommene Atmosphäre lässt sich auch in diesem Reflexionsformat durch die Teilnahmebereitschaft für die zukünftigen Reflexionsformate festhalten. So teilte T6 durch den Wunsch einer bestimmen Kuchensorte für die nächste Gesprächsrunde mit, dass er erneut teilnehmen möchte (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 1007). Wie in Abschnitt 7.4.1 (s. S. 114) beschrieben, wurden die Gespräche in einem vertrauten Setting und in einer gemütlichen Atmosphäre geführt. Der Kuchen wurde dabei von den Teilnehmenden an verschiedenen Stellen positiv kommentiert (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 112–15, 1005–1008). Zudem haben zum Ende des Reflexionsformates alle anwesenden Teilnehmenden der Gruppe applaudiert (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 1003). Zwei Teilnehmende legten Wert auf die mitgebrachten Unterlagen und wollten diese zum Nachlesen mit nach Hause nehmen (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 440) und sprachen dies noch einmal explizit an: „Darf ich die Mappe eigentlich mitnehmen? Bitte?“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 962). Zudem meldeten sich die Teilnehmenden immer wieder freiwillig zum Vorlesen des mitgebrachten Texts (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 396).

Eine neue Teilnehmende wurde sehr kurzfristig für das Reflexionsformat angemeldet und kam mit nicht erfüllbaren Wünschen an das Reflexionsformat. So äußerte sie vor der Tonaufnahme die Erwartung, etwas über Hacking zu lernen und Antworten auf spezielle Fragestellungen zu bekommen. Auch wenn ihr von den beiden Forscherinnen zuvor der Zweck der Reflexionsgruppe erklärt worden ist und explizit darauf hingewiesen wurde, dass diese Fragen nicht beantwortet werden, wollte sie an dem Format teilnehmen. Wurden Themen wie Datenschutz oder Datenmissbrauch thematisiert, äußerte sie sich schockiert: „Oh Gott, was?“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 147), „Bitte, was bitte?“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 154) oder „Was?! Entschuldigung. Das macht mir jetzt ein bisschen Angst“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 160). Die Ängste, die sie hier äußert, sind vermutlich auf bereits gemacht Erfahrungen zurückzuführen: „Ich wollte noch was sagen […] Ja, dann z. B. mein Facebook-Konto wurde auch gehackt. Da bin ich stinksauer“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 73–74). Eine Äußerung zur Verabschiedung lässt die Vermutung zu, dass sie weiterhin die Erwartung hatte, etwas zum Thema Hacking zu erfahren „[…] und dann werde ich mir das nochmal durch den Kopf gehen lassen. Was alles gehackt werden kann und was man alles mit digitalen Medien anstellen kann“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 435–445).

Zum einen wirkte dieselbe Teilnehmende auf die konzentrierte und ruhige Gesprächsatmosphäre durch Unterbrechen der anderen Teilnehmenden ein (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 399–408) und beeinflusste durch verschiedene Äußerungen das Gruppengespräch. Zum anderen fiel sie durch ein wechselhaftes Antwortverhalten auf. Auf die Frage, ob sie sich der Gruppe einmal vorstellen kann, antwortet Sie mit „Muss ich das?“ (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 90). Anschließend stellte sie sich dennoch der Gruppe vor und erzählte verhältnismäßig viel (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 678, 89–93). Auf äußere Einflüsse auf das Gespräch reagierte die Teilnehmende sensibel. Als im Nebenraum Möbel verrückt wurden, schrie sie eine unbekannte Person durch die Wand an (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 628, 181–187). Zudem fragte die Teilnehmende zwischendurch, wie lange das Reflexionsformat noch geht und kündigte an, eher gehen zu müssen, da sie auf der Arbeit noch etwas schaffen möchte (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 237–249). Wie angekündigt, verließ sie vorzeitig das Gesprächsformat und bedankte sich für die Materialien (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 435–445). Nichtsdestotrotz konnte in jeder Situation das unterbrochene Gespräch in der Gruppe wieder aufgenommen und an dem zuvor Gesagten wieder angeknüpft werden. Dass weiterführende Themen und Inhalte nach den Unterbrechungen von den Teilnehmenden nicht mehr angesprochen wurden, ist jedoch nicht auszuschließen.

Die Gesprächsatmosphäre im Reflexionsformat III war insgesamt als angenehm zu betrachten. Für alle Teilnehmenden war es in Ordnung, dass das Arbeits-Du verwendet wurde, auch wenn im Gesprächsverlauf zum Teil auf das Sie zurückgegriffen wurde (s. Transkript Reflexionsformat III Z. 1–2). Während der Veranstaltung herrschte vor allem eine erzählmotivierende Dynamik zwischen T2 und T3 bzw. T3 und T4. Dies äußert sich durch Erzählungen beider Personen, die aufeinander aufbauten bzw. die jeweils andere Erzählung ergänzten, ohne den jeweils anderen dabei zu unterbrechen (s. Transkript Reflexionsformat III Z. 163–172, 204–212, 534–549, 328–330, 602–610). Dem Datenmaterial sind kaum Unterbrechungen während des Gesprächs zu entnehmen. Auch neue Teilnehmende (wie T8) wurden von den anderen Teilnehmenden (wie T1), die bereits an einem vorherigen Reflexionsformat teilgenommen haben, gut in das Gespräch integriert. Dabei ist auch zu erwähnen, dass T1 initiativ und ausführlich antwortete (s. Transkript Reflexionsformat III Z. 118–131) und an Antworten anderer Teilnehmenden anknüpft (s. Transkript Reflexionsformat III Z. 163–172, 245–247). Mit Blick auf die Gesprächsanteile (s. Tab. 9.5, S. 418) ist anzumerken, dass die neue Teilnehmende T1 mit 171 Aussagen die meisten und T4 mit 40 Aussagen am wenigsten Gesprächsanteile hatte. T7 und T8 waren 87 und 61 kodierte Aussagen zuzuordnen, wobei T1 wie auch T8 zu längeren Aussagen neigen.

Tab. 9.5 Auswertung Gesprächsanteile Reflexionsformat III. (Quelle: Eigene Darstellung)

Nach Hagen (2002) können Phänomene des positiven Antwortverhaltens sowie der sozialen Erwünschtheit auftreten (ebd.). Auch wenn diese Phänomene bei allen qualitativen Forschungen festzustellen sind, zeigen Untersuchungen, dass insbesondere MgB zu einem derartigen Antwortverhalten tendieren (Keeley 2015). Nach Seifert (2006) können Ursachen dafür

„in einem sozialisationsbedingt überwiegend angepassten Verhalten liegen, das zu sozial erwünschten Antworten führt, oder in der fehlenden Kenntnis von Alternativen zur eigenen Lebenssituation, die als Vergleichsmaßstab herangezogen werden könnte“ (s.ebd., S. 75).

In diesem Zusammenhang spricht Perry (2008) von Zustimmungstendenz, weist jedoch darauf hin, dass die meisten befragten MgB trotz Präsenz dieser Problematik durchaus in der Lage sind, angemessen auf Fragen zu antworten (ebd.). Hagen (2002) zeigt auf, dass eine ausführliche Erläuterung des Forschungsansatzes sowie eine vorhergehende Beteiligung an der Entwicklung durch MgB den Einflussfaktor des positiven Antwortverhaltens minimieren kann (ebd.). Dementsprechend wurden die Informationsschreiben sowie Einwilligungserklärungen in einfacher bzw. Leichter Sprache entwickelt. Auch wurde die Zielsetzung des Formates durch die beiden Forscherinnen einleitend erläutert. Die entwickelten Leitfäden wurden zusätzlich mit einem Vertretenden der Zielgruppe MgB auf Verständlichkeit geprüft, sodass die Maßnahmen zur Minimierung des positiven Antwortverhaltens durchgeführt wurden.

Darüber hinaus zeigte sich herausfordernd, dass die abstrakte Aufgabe, sich mit dem Konstrukt Digitaler Teilhabe auseinanderzusetzen, viel Vorstellungskraft und Abstraktionsvermögen abverlangte. Infolgedessen sind mögliche Informationsdefizite während der Befragung nicht auszuschließen.

9.1.2.5 Datenaufbereitung und -analyse

Die Transkription wurde durch eine Forscherin vorgenommen, die Datenkontrolle erfolgte durch die jeweils andere Forscherin. Die Transkripte liegen somit geprüft vor. Die Anwendung des Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) wurde durch die beiden Forscherinnen als ausreichend beurteilt. Das System ermöglichte eine geglättete Transkription und fokussiert den semantisch-wörtlichen Inhalt. Es eignete sich als einfaches Transkriptionsverfahren zur inhaltsanalytischen Erfassung der Sachaussagen und subje tiven Sichtweisen (ebd.).

Der Einsatz von MAXQDA erwies sich als eine übersichtliche Methode, um das Datenmaterial unkompliziert und zügig nach den Kategorien zu strukturieren. Die computergestützte Transkription ermöglichte eine parallele sowie zeiteffiziente Auswertung der Transkripte durch beide Forscherinnen. Die angefertigten Gedächtnisprotokolle erwiesen sich in der Analyse als eine gute Ergänzung bei der Interpretation der Ergebnisse. Die Datenanalyse der Reflexionsformate erfolgte nach Rädiker und Kuckartz (2019). Andere Auswertungsverfahren wie die Grounded Theory oder die objektive Hermeneutik wurden als Methodenbasis dieser Arbeit ausgeschlossen, da keine Sprachprozesse analysiert wurden, sondern die Kommunikationsinhalte im Fokus standen (Döring & Bortz 2016). Die deduktive Erstellung des Kodierleitfadens sowie die induktive Ergänzung ermöglichte dabei eine fokussierte Aufbereitung des Datenmaterials. Die Auswertung des erhobenen Materials erfolgte durch beide Forscherinnen, sodass vor allem die Güte des Kriteriums der argumentativen Interpretationsabsicherung sichergestellt werden konnte (Mayring 2015). Durch die Tandemarbeit der beiden Forscherinnen konnte zudem der Einfluss der Subjektivität bei der Analyse und Interpretation verringert werden. Durch die fortlaufende transparente Dokumentation (Beschreibung Prozess, teilstandardisierte Leitfäden, Transkriptionen, Kategorisierung) wurde das Gütekriterium der intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Steinke (2003) gesichert.

9.1.2.6 Schlussfolgerungen

Die Forschungsarbeit hat von dem gewählten methodalen Setting profitiert, da dieses auf die Fragestellungen zugeschnitten wurde und ihre Beantwortung ermöglichte. Die beiden definierten Ziele des ersten Reflexionsformates (s. Abschnitt 7.4.1.1, S. 114) konnten durch die Verwendung der ausgewählten Methode erreicht werden. Die Anwendung eines partizipativen Forschungskonzeptes zur thematischen Einführung und Schaffung eines vertrauensvollen Austausches mit der Zielgruppe MgB kann als erfolgreich eingestuft werden. Die Erfassung von Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus der subjektiven Perspektive von MgB und eine Übertragung dieser in die Definition und das Modell Digitaler Teilhabe von MgB wurde umgesetzt. Auch die Zielstellungen für das Reflexionsformat II wurden durch die angewandte Methode erreicht. Die Ergebnisse des Scoping Reviews und somit der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz über den Diskurs Begriffsverständnissen und themenrelevanten Schlüsselbegriffen, theoretischen Teilhabemodellen, Einflussfaktoren, Chancen und Risiken sowie Erfassungsansätzen der Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe konnten aus Sicht der MgB verifiziert werden. Die Prüfung der entwickelten Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache (DDT-ES1) konnte durch das Reflexionsformat II erfolgreich abgeschlossen werden. Die gewählte Methode unterstützt auch das Ziel des dritten und letzten Reflexionsformates – die Möglichkeit, die Selbsteinschätzung Digitaler Teilhabe durch die Zielgruppe selbst zu testen.

Wenngleich die qualitative Untersuchung im Vergleich zu quantitativen Erhebungen einen höheren Zeitaufwand beansprucht (Döring & Bortz 2016), erscheint die Auswahl des Forschungsdesigns hinsichtlich der gewonnenen Erkenntnisse als angemessen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass das gewählte Forschungsdesign keine repräsentativen Ergebnisse generiert, da durch die Befragung eines anderen Vertretenden der Zielgruppe MgB eventuell abweichende Ergebnisse zustande gekommen wären und somit die Möglichkeit eines zufälligen Ergebnisstandes besteht. Somit sind die Ergebnisse nicht auf die Grundgesamtheit der MgB übertragbar. Nichtsdestotrotz wurde eine noch gering beforschte Zielgruppe beleuchtet und das grundlegende Ziel erreicht, durch ein partizipatives Forschungskonzept den Diskurs zu Begriffsverständnissen und themenrelevanten Schlüsselbegriffen, theoretischen Teilhabemodellen, Einflussfaktoren, Chancen und Risiken sowie Erfassungsansätzen der Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe aus der Perspektive der MgB anzureichern.

9.1.3 Iterativer Prüfgruppenprozess Leichte Sprache

Die entwickelte Defintion Digitaler Teilhabe für MgB (DDT2) zeigt sich als ein komplexes Wirkkonstrukt und ist von Fachsprache geprägt. Um die entwickelte Definition auch für die Zielgruppe MgB zugänglich und greifbar zu machen, wurden in einem iterativen Prüfgruppenprozess sprachliche Barrieren mithilfe des Konzeptes Leichte Sprache abgebaut und Inhalte leicht verständlich aufbereitet (Oomen-Welke 2015; Wilkes 2015).

9.1.3.1 Rekrutierung und Zusammensetzung

Die Übersetzung des Entwurfs in einfache Sprache (DDT-ES2) wurde von einer professionellen Prüfgruppe des Büros für Leichte Sprache Bethel vorgenommen. Dafür wurde die im Reflexionsformat II geprüfte Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache (DDT-ES2) auf das Niveau der Leichten Sprache gehoben. Hierfür war es notwendig, sich an der Zielgruppe des zu übersetzenden Textes zu orientieren (Winter 2014), sodass Vertretende der Zielgruppe MgB in den Prozess der Texterstellung eingebunden wurden. Die Notwendigkeit dieser Einbeziehung wird jedoch oft aufgrund von fehlenden zeitlichen oder finanziellen Ressourcen außer Acht gelassen (ebd.). Demnach ist diese methodische Einbeziehung als besonders positiv hervorzuheben. Die involvierte Prüfgruppe setzte sich aus mehreren Personen aus der Zielgruppe Leichte Sprache zusammen, sodass sich der Zugang über das Büro für Leichte Sprache hervorragend eignete.

Leichte Sprache wird in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch ambivalent konzeptualisiert. Auch wenn sie als Instrument der Partizipation gesehen wird, so wird sie teilweise auch als „Angriff auf die Bildungskultur und als Indiz des Sprachverfalls wahrgenommen“ (s. Bredel & Maaß 2016, S. 259). In diesen Diskussionen können drei Parameter herausgearbeitet werden, die Angriffspunkte für Provokation und Stigmatisierung liefern: (1) das Konzept der Leichten Sprache selbst, (2) die Produzenten Leichter Sprache und (3) die Adressaten Leichter Sprache. Diese stereotypengeprägte Wahrnehmung könnte potenziell eine Ausweitung des Textangebots gefährden. Dies kann nur durch eine geänderte Wahrnehmung der Leichten Sprache verhindert werden. So stellt Leichte Sprache beispielsweise keine Konkurrenz zur deutschen Standardsprache dar, sondern sollte grundsätzlich als ein Zusatzangebot gesehen werden (ebd.). Obwohl das Konzept der Leichten Sprache den Anspruch erhebt, „Texte in allen Kommunikationsbereichen adressatengerecht zugänglich machen zu können und damit Teilhabemöglichkeiten zu verbessern“ (s. Schuppener, Goldbach & Bock 2018, S. 361), wird zudem diskutiert, dass durch die Nutzung Diskreditierungsrisiken bestehen. Denn die Nutzung von Texten in Leichter Sprache geht auch immer mit Zuschreibung an das Gegenüber einher, auf das Konzept der Leichte Sprache angewiesen zu sein. Dem Lesenden wird damit ein Defizit unterstellt (Zurstrassen 2017). Hier sei jedoch darauf verwiesen, dass einer möglichen Stigmatisierung durch zahlreiche Strategien des Stigma-Managements begegnet werden kann. So wird die passive Zuschreibung der Stigmatisierung durch aktive Gestaltungsmöglichkeiten aufgelöst (Goffman 2020). Hierzu gehören zum einen defensive sowie reaktive Strategien, wie z. B. die Hervorhebung anderer Kompetenzen oder Selbststigmatisierung. Zum anderen zählen hierzu offensive und proaktive Strategien, wie z. B. selbstbewusste Enthüllung des Stigmas und Angriffe auf die stigmatisierende Gesellschaft (Meisenbach 2010).

MgB wird bei der Textprüfung für Leichte Sprache eine Schlüsselrolle zugeschrieben:

„Prüfen ist für Leichte Sprache sehr wichtig.

Prüfen gehört zur Leichten Sprache.

Das Prüfen machen Menschen mit Lern-Schwierigkeiten.

Nur sie können sagen, ob ein Text leicht genug ist“ (s. BMAS 2014, S. 22).

Dies impliziert, dass sich Texte in Leichter Sprache primär an MgB richten und entsprechend optimiert werden sollten. Das Konzept Leichte Sprache richtet sich jedoch auch an weitere und zahlenmäßig deutlich über diese Gruppe hinausgehende potenzielle Adressaten, wie beispielsweise „Menschen, die nicht so gut lesen können, Menschen, die nicht so gut Deutsch sprechen“ (s. ebd., S. 5). Somit ist das Konzept der Leichten Sprache aus politischer Perspektive ein relevantes Instrument zur Implementierung von Teilhabe für Personen mit Kommunikationseinschränkungen (Bredel & Maaß 2016).

9.1.3.2 Konzept iterativer Prüfgruppenprozess Leichte Sprache

Bei der Durchführung des iterativen Prüfgruppenprozesses Leichte Sprache wurde auf die Erstellung eines teilstandardisierten Leitfadens zur Unterstützung und Strukturierung des Gesprächsablaufes verzichtet. Die beiden Forscherinnen haben sich dem Regelprozess der bestehenden Prüfgruppe angepasst. Das Verfahren der Übersetzung in Leichte Sprache ist dabei je nach Einrichtung unterschiedlich strukturiert (Bock 2018). Das Büro für Leichte Sprache Bethel berücksichtigt bei der Übersetzung das Regelwerk des Netzwerkes Leichte Sprache (2021). Dieses wurde bereits von den Forscherinnen zur Übersetzung in einfache Sprache genutzt und war somit bekannt. Die Regeln für Leichte Sprache sind dazu geeignet, Texte in Leichter Sprache zu identifizieren. Für eine professionelle und eigenständige Übersetzung sind sie jedoch nicht differenziert genug. Die Regeln beschreiben oft nur einen gewünschten Zustand (beispielsweise kurze Sätze, aktive Wörter), enthalten jedoch keinen Ansatz, wie dieser Zustand erreicht werden kann (Bredel & Maaß 2016). Zudem lagen der Prüfgruppe drei Leitlinien (Proximität, Maximale Explizitheit, Kontinuität) nach Ballstaedt (2019) zugrunde, die zur Qualitätssicherung beitrugen.

9.1.3.3 Datenerhebung

Während der Prüfrunden waren Auffälligkeiten wahrzunehmen, die der digitalen Umsetzung geschuldet sind. Zum einen traten verschiedene Störgeräusche während der Diskussionen auf (z. B. durch Rückkopplungen, Telefonklingeln, Rascheln oder Signaltöne von Computerprogrammen). Auch die instabile Internetverbindung führte bei einer der Teilnehmenden zu einem mehrminütigen Ausschluss aus der Videokonferenz. Einige weitere Prüfende konnten zudem ihre Kamera nicht einschalten, da die Internetverbindung nicht stabil genug war für eine genügende Bildqualität. Zudem wurde die Diskussion zeitweise unterbrochen, da die Bildkacheln der Teilnehmenden in Zoom zum Teil nicht angezeigt wurden und Verwirrung bei den betroffenen Teilnehmenden entstand. Die Teilnehmenden haben sich regelmäßig rückversichert, ob sie gehört und gesehen werden können. So konnte auch sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden am Gespräch gleichermaßen teilnehmen konnten.

Eine weitere Herausforderung bestand in der Sichtbarkeit des geteilten Bildschirms. Da die Prüfenden den Definitionsentwurf nicht in Printversion vorliegen hatten, wurde der Text durch die Leitung der Prüfgruppe über die Sharing-Funktion in Zoom geteilt. Dieser geteilte Bildschirm führte bei den Prüfenden zur Verschiebung der Bildkacheln und erschien bei einzelnen Teilnehmenden nicht sofort auf dem Bildschirm. In der zweiten Prüfrunde wurde dieser Störfaktor aufgelöst, da das Textdokument vor der zweiten Prüfrunde an die Prüfgruppe verschickt wurde und die Prüfenden eine Printversion zur Verfügung hatten.

9.1.3.4 Datenaufbereitung und -analyse

Von einer Tonaufnahme, Transkription sowie strukturierten Datenanalyse der drei Prüfrunden von je 60 Minuten wurde abgesehen, da die Diskussionspunkte und Änderungsbedarfe aus den einzelnen Prüfgruppen von den beiden Forscherinnen fortwährend notiert und unmittelbar im Definitionstext festgehalten wurden. Nach Beendigung der Prüfrunden konnten die jeweiligen Notizen abgeglichen und die Überarbeitung des Definitionstextes abgeschlossen werden. Die jeweiligen Überarbeitungen der Prüfgruppe wurden in der Folgerunde erneut zur Diskussion gestellt, sodass sichergestellt werden konnte, dass kein essenzieller Punkt übersehen wurde.

Wie in der methodischen Diskussion des Reflexionsformates bereits erwähnt, sind durch die Dauer der Prüfrunden unentdeckte Konzentrations- und Motivationseinbußen aufgrund der gegebenenfalls begrenzten Konzentrationsfähigkeit von MgB nicht auszuschließen (Keeley 2015). Die Forscherinnen können vermutete Konzentrationsabnahmen im Laufe des Gesprächs allerdings nicht bestätigen, da alle Mitglieder der Prüfgruppe bis zum Ende motiviert und engagiert diskutierten.

9.1.3.5 Schlussfolgerungen

Das definierte Ziel des iterativen Prüfgruppenprozesses für Leichte Sprache konnte erreicht werden. Die Reflexion und Weiterentwicklung des Definitionsentwurfes von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in einfacher Sprache (DDT-ES2) hin zu einer Definition von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in Leichter Sprache (DDT-LS2) wurde durch die Durchführung des iterativen Prüfgruppenprozesses mit MgB ermöglicht. Dieses partizipative Verfahren ermöglichte die Prüfung des entwickelten Textes auf eine möglichst hohe Verständlichkeit durch die Zielgruppe selbst.

9.1.4 Fokusgruppen

Zur Anreicherung des theoretisch fundierten Definitions- und Modellansatzes sowie zur Prüfung der entwickelten Items für das angestrebte Erhebungsinstrument zur Quantifizierung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe wurden zwei iterativ aufgebaute Fokusgruppen nach Schulz, Mack und Renn (2012) durchgeführt.

9.1.4.1 Rekrutierung und Zusammensetzung

Die Rekrutierung der Teilnehmenden kann sowohl im wissenschaftlichen als auch praxisbezogenen Bereich als erfolgreich beschrieben werden. Von den angefragten Personen (n = 12) stimmten zehn Personen zu und nahmen an den Fokusgruppen teil. Konzipiert wurden die Fokusgruppen mit zehn Experten zu gleichen Anteilen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und praxisbezogenen Fachbereichen. Obwohl der Schwerpunkt der Rekrutierung auf einen gleichen Anteil von Experten unterschiedlicher wissenschaftlicher und praxisbezogener Fachbereiche gelegt worden ist, hatten die Experten aus der Praxis in beiden Fokusgruppen einen geringeren Gesprächsanteil im Vergleich zu den Experten aus der Wissenschaft. Nach Wright, Block und Unger (2010) gilt es bei der Zusammenstellung der Fokusgruppe mögliche Gruppeneffekte aufgrund von Differenzen zwischen den soziodemografischen Merkmalen zu berücksichtigen (ebd.). Dies könnte die vorliegende Disparität erklären. Zudem könnten trotz Aufklärung und Zusicherung des Datenschutzes, weiterhin Unsicherheiten bestanden haben, ob die Aufzeichnung des Gesprächs tatsächlich anonym ist, da die Rekrutierung über den Arbeitgeber erfolgte. Weiter könnte eine grundlegende Unsicherheit während der Gespräche entstanden sein, bedingt durch die ungewohnte Position in der Rolle eines Forschungsteilnehmenden.

An der ersten Fokusgruppe nahmen acht Personen teil, die zweite Fokusgruppe war mit vier Teilnehmenden besetzt. Eine Fokusgruppe sollte sich nach Schulz, Mack und Renn (2012) aus sechs bis zwölf Teilnehmenden zusammensetzen, da so genügend Informationen gesammelt werden können, ohne die Steuerung der Gruppe zu beeinträchtigen (ebd.). Die Gruppengröße der hier durchgeführten Fokusgruppen kann dementsprechend als angemessen beschrieben werden. Die Durchführung der zweiten Fokusgruppe erfolgte aufgrund kurzfristiger Erkrankungen lediglich mit vier, anstatt mit acht Teilnehmenden. Von einer Terminverschiebung wurde abgesehen. Um die vorbereiteten Rückmeldungen der verhinderten Teilnehmenden dennoch einzuholen, wurde jeder verhinderte Teilnehmende nach der Veranstaltung um eine kurze Rückmeldung zu den Arbeitsmaterialien gebeten. Aus dieser Rückmeldemöglichkeit ist ein weiteres Experteninterview entstanden, sodass der spontane Ausfall kompensiert werden konnte.

9.1.4.2 Konzept Fokusgruppen

Beide Fokusgruppen wurden als online-basierte Fokusgruppen durchgeführt. Diese sind methodisch erprobt (Prickarz & Urbahn 2002). Aufgrund der Dokumentationsnotwendigkeit wird in der Literatur ein Settingeffekt beschrieben. Dieser besagt, dass durch online-basierte Fokusgruppen weniger Material produziert werden kann als bei einem Face-to-Face-Format (Breitenfelder et al. 2004). Um diesem Settingeffekt und der dadurch prognostizierten Materialknappheit entgegenzuwirken, wurde neben Zoom zur Kommunikation das Moderationstool Miro eingesetzt. Dies ermöglichte eine strukturierte und übersichtliche Moderation, Diskussion und Dokumentation der Fokusgruppen. Diskussionspunkte und Vorschläge zu den komplexen Definitions- und Modellentwürfen sowie der Conceptual Map konnten die Forscherinnen durch das interaktive Tool direkt auf dem Miroboard transparent machen und einarbeiten. Zudem erhielten alle Teilnehmenden zusammen mit einer entsprechenden Vorbereitungszeit auch entsprechende Materialien, die einen angemessenen Themeneinstieg ermöglichten. Die Dauer der Fokusgruppe I von zwei Stunden sowie die 90 Minuten für die Fokusgruppe II erwiesen sich als ausreichende Zeitfenster, um die geplanten Inhalte zu diskutieren.

9.1.4.3 Leitfadenentwicklung

Leitfadengestützte Methoden verlangen dem Durchführenden hohe Anforderungen ab, unter anderem zentrale Inhalte an geeigneter Stelle zu thematisieren (Atteslander & Cromm 2003). Nach Schaeffer, Dykema und Maynard (2010) lassen sich Eigenschaften des Durchführenden in sichtbar und nicht-sichtbar unterscheiden. Die sichtbaren Eigenschaften werden von den Teilnehmenden direkt erfasst, sodass unmittelbare Auswirkungen auf ihr Verhalten möglich sind. Dazu gehören persönliche Merkmale (z. B. Geschlecht oder Ethnie des Durchführenden) sowie Eigenschaften, die sich auf die Rolle des Durchführenden beziehen (z. B. Auftreten, Körpersprache und verbales Verhalten des Durchführenden). Die nicht-sichtbaren Eigenschaften zeigen sich zumeist erst während der Interaktion und wirken indirekt auf die Befragten, da sie das sichtbare Verhalten des Durchführenden prägen. Dazu zählen stabile Persönlichkeitsmerkmale (z. B. Extrovertiertheit eines Durchführenden) sowie rollenbezogene Eigenschaften (z. B. die Einstellungen des Durchführenden gegenüber Thema und Teilnehmenden) (ebd.).

Bei der Leitfadenentwicklung wurde auf möglichst offen formulierte Fragen geachtet, die die Teilnehmenden der Fokusgruppen frei diskutieren und beantworten konnten. Der natürliche Gesprächsfluss wurde nicht durch ausformulierte Fragen unterbrochen. Zudem wurden die entwickelten Leitfäden der Fokusgruppen in einem Pretest mit je einem wissenschaftlichen und einem praxisbezogenen Vertretenden auf Verständlichkeit und Reliabilität überprüft.

9.1.4.4 Datenerhebung

Der von Schulz, Mack und Renn (2012) beschriebene gruppendynamische Effekt innerhalb der Fokusgruppen führte in der vorliegenden Forschungsarbeit zu einem hohen Engagement und beeinflusste die Auskunftsbereitschaft der Teilnehmenden positiv (ebd.). Dies ist der Analyse der Gesprächsatmosphäre zu entnehmen. Für beide Fokusgruppen wurde die Gesprächsatmosphäre gesondert ausgewertet und wird im nachfolgenden dargestellt.

Die absoluten Gesprächsanteile der Teilnehmenden waren innerhalb der Fokusgruppe I unterschiedlich verteilt. Wie Tab. 9.6 (s. S. 427) zu entnehmen ist, lag der größte Gesprächsanteil mit 55,71 % bei den beiden Forscherinnen. Dies ist damit zu begründen, dass neben einer allgemeinen Einführung ins Thema und in das Forschungsvorhaben die DDT1 und das MDT2 durch die beiden Forscherinnen vorgestellt wurden. Der zweitgrößte Gesprächsanteil liegt mit 33,71 % bei den Teilnehmenden aus der Wissenschaft. Hierbei ist T6 mit 14 Beiträgen und 15,68 % Gesprächsanteil am dominantesten. Die Vertretenden aus der Praxis haben einen Gesprächsanteil von 10,6 %. Hier streuen die einzelnen Beiträge zwischen 1,18 % und 3,84 %.

Tab. 9.6 Auswertung Gesprächsanteile Fokusgruppe I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Während der Fokusgruppe I herrschte insgesamt eine angenehme Atmosphäre. Einige der Teilnehmenden kannten sich bereits, dies betraf vor allem die Vertretenden aus der Wissenschaft. Beispielsweise äußerte sich T7 dazu folgendermaßen:

„Ich finde es immer wieder spannend, das Feld der Digitalen Teilhabe erweitert sich stetig, aber es sind doch häufig Gesichter, die man auch in anderen Zusammenhängen schon mal gesehen hat. Daher freue ich mich auch sehr, hier bekannte als auch neue Gesichter zu sehen“ (s. Transkript Fokusgruppe I Z. 82–86).

Auch in der Fokusgruppe II zeigen sich ähnliche absolute Gesprächsanteile (s. Tab. 9.7, S. 428). Durch die Vorstellung des überarbeiteten Modellentwurfs und der entwickelten Items lag der größte Gesprächsanteil mit 61,78 % bei den beiden Forscherinnen. Danach liegt der zweitgrößte Gesprächsanteil mit 21,97 % bei den Teilnehmenden aus der Wissenschaft, wobei T5 mit 50 Beiträgen und 15,68 % Gesprächsanteil einen höheren Gesprächsanteil hat als T8. Die Teilnehmenden aus der Praxis haben mit 16,25 % einen etwas geringeren Gesprächsanteil als die Teilnehmenden aus der Wissenschaft, jedoch ist die Zahl der Beiträge der beiden Vertretenden aus der Praxis mit 25 bzw. 26 sehr ausgeglichen.

Tab. 9.7 Auswertung Gesprächsanteile Fokusgruppe II. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Gesprächsatmosphäre im Rahmen der Fokusgruppe II kann als angenehm, offen, konstruktiv und angeregt beschrieben werden. Die Äußerungen der Teilnehmenden werden aufgrund fachlich fundierter und kritisch beleuchteter Äußerungen als sehr konstruktiv und offen wahrgenommen. Dies gilt sowohl in Bezug auf die vorgelegten Inhalte als auch auf die Äußerungen der jeweils anderen Teilnehmenden (s. Transkript Fokusgruppe II Z. 80–84, 229–234, 45–659, 1247–1250).

Die fachlichen Diskussionen sind an vielen Stellen durch gemeinsames Lachen aufgelockert worden (s. Transkript Fokusgruppe II Z. 667–671, 686–693, 1290–1295, 1389–1395, 1449–1462). Auch die Vernetzungswünsche über die Fokusgruppe hinaus, die Gelingenswünsche sowie die Danksagung für den spannenden Input zum Ende der gemeinsamen Diskussion über das Thema Digitale Teilhabe, unterstreichen noch einmal, dass es sich um eine angenehme Atmosphäre handelte (s. Transkript Fokusgruppe II Z. 1428–1436, 1449–1462).

Auf Seiten der beiden Teilnehmenden, die vorzeitig das Meeting verlassen mussten, zeichnete sich im Laufe der Diskussion trotz Einhaltung der Zeitplanung ein empfundener Zeitdruck ab, da die Teilnehmenden dies zwischenzeitlich betonten und ihre Diskussionspunkte zu später vorgesehenen Diskussionspunkten vorweggriffen (s. Transkript Fokusgruppe II Z. 1037–1042, 1138–1146).

9.1.4.5 Datenaufbereitung und -analyse

Beide Forscherinnen transkribierten jeweils eine Fokusgruppe. Eine Prüfung der Transkription fand durch die jeweils andere Forscherin statt. Die Transkripte liegen somit geprüft vor. Die Anwendung des Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) wurde auch hier als ausreichend beurteilt. Wie auch im Reflexionsformat zeigte sich der Einsatz von MAXQDA als eine übersichtliche Methode, um das Datenmaterial nach den Kategorien zu strukturieren. Die angefertigten Gedächtnisprotokolle erwiesen sich in der Analyse als eine gute Ergänzung bei der Interpretation der Ergebnisse.

Die Datenanalyse erfolgte ebenfalls nach Rädiker und Kuckartz (2019). Auch hier konnten andere Auswertungsverfahren wie die Grounded Theory oder die objektive Hermeneutik als Methodenbasis ausgeschlossen werden, da sich diese Analysen weniger auf die Kommunikationsinhalte stützen und eher Sprachprozesse fokussieren (Döring & Bortz 2016). Die Analyse des Materials erfolgte fortlaufend und gemeinsam, sodass auch für die Fokusgruppen das Gütekriterium der argumentativen Interpretationsabsicherung sichergestellt werden kann (Mayring 2015). Auch das Gütekriterium der intersubjektive Nachvollziehbarkeit von Steinke (2003), kann durch die fortlaufende transparente Dokumentation der Fokusgruppe erfüllt werden.

9.1.4.6 Schlussfolgerungen

Die beiden definierten Ziele für die Fokusgruppe I konnten durch die Durchführung der beiden Fokusgruppen erreicht werden. Durch die ausgewählte Methode konnte eine Reflexion und Weiterentwicklung des literaturbasierten Definitionsentwurfes sowie des ersten Modellentwurfes Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Anreicherung wissenschaftlicher Expertenmeinungen aus den Bereichen Sozial- und Medienwissenschaften, Medienpädagogik sowie praxisbezogener Expertenmeinungen der Eingliederungshilfe erzielt werden. Auch das Ziel der zweiten Fokusgruppe, die Reflexion und Weiterentwicklung der definierten Items zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Anreicherung wissenschaftlicher Expertenmeinungen aus den Bereichen Sozial-, Medienwissenschaften, Medienpädagogik sowie praxisbezogener Expertenmeinungen der Eingliederungshilfe konnte durch die ausgewählte Methode erreicht werden. Somit können die durchgeführten Fokusgruppen als gelungen bezeichnet werden.

Klassische Gütekriterien wie Objektivität, Validität und Reliabilität lassen sich für den reflektierten qualitativen Forschungskontext nur eingeschränkt überprüfen (ebd.; Döring & Bortz 2016). Ferner lassen sich für die qualitative Forschung eigene, gesonderte Gütekriterien übergreifend diskutieren. Dazu zählen Verfahrensdokumentation, argumentative Interpretationsabsicherung, Nähe zum Gegenstand, Regelgeleitetheit, kommunikative Validierung und Triangulation (Mayring 2015). Die Verfahrensdokumentation, also die transparente Beschreibung des methodischen Vorgehens, findet sich in dieser Arbeit in Form einer Darlegung des Forschungsvorhabens und der Vorgehensweise in Abschnitt 7.4.2 (s. S. 126). Eine argumentative Absicherung erfolgt durch die nachvollziehbare Interpretation der Datengrundlage. Das Kriterium der Regelgeleitetheit ist durch die Auswertung nach der Inhaltsanalyse Rädiker und Kuckartz (2019) erfüllt. Ebenso erfolgte die Triangulation, also die Verbindung verschiedener Methoden (Flick 2011) sowie die kommunikative Validierung durch den Diskurs zwischen den beiden Forscherinnen und den Teilnehmenden in den Reflexionsformaten sowie Fokusgruppen. Auch die Kriterien Nähe zum Gegenstand kann durch die Generierung und Verwendung von Primärdaten im Rahmen der Fokusgruppen, Reflexionsformate sowie Prüfgruppen als erfüllt beurteilt werden (Mayring 2015).

Das qualitative Vorgehen erwies sich demnach als geeignete Methodik, um die Forschungsfrage zu untersuchen und zu beantworten. Für Aktualisierungen und weitere Diskussionen der entwickelten Definition sowie dem Modell kann ein iterativer Prozess mit weiteren Vertretenden der Zielgruppe über Reflexionsformate bzw. Prüfgruppen für Leichte Sprache sowie mit wissenschaftlichen bzw. praxisbezogenen Experten über Fokusgruppen fortgeführt werden. Um die entwickelte Definition sowie das Modell in ihrer Komplexität zu diskutieren, können sich künftig auch ergänzende quantitative Verfahren wie z. B. mehrstufige Delphi-Befragungen zur Erhebung von kollektiven Experteneinschätzungen als sinnvoll erweisen (Cuhls 2019; Niederberger & Renn 2019).

Durch die Zusammenarbeit im Forschungsteam konnte zudem das Gütekriterium der reflektierten Subjektivität nach Steinke (2003) umgesetzt und die Rolle des Forschenden als Subjekt, konnte kritisch betrachtet werden. Das methodisch reflektierte Handeln, konnte nicht nur durch die Selbstbeobachtung im Forschungsprozess und Reflexionen während des Feldeinstiegs erfolgen (ebd.), sondern konnte auch von der jeweils anderen Forscherin durch eine Fremdbeobachtung unterstützt bzw. korrigiert werden.

9.1.5 Quantitative Befragung

Wie in Abschnitt 7.5.4 (s. S. 159) aufgezeigt, wurden in einer bundesweiten quantitativen Querschnittserhebung potenzielle Einflussfaktoren auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe erhoben. Im Folgenden werden die methodischen Schritte diskutiert – die Diskussion folgt dabei der Struktur des Methodenkapitels.

9.1.5.1 Pretests

Zur Entwicklung des Erhebungsinstrumentes EIDT3 wurde der überarbeitete Fragebogen EIDT2 an Mitarbeitende der Eingliederungshilfe gegeben und formativen (n = 11) sowie kognitiven (n = 14) Pretests unterzogen. Die formativen Pretests wurden gemäß Porst (2000) durchgeführt und durch das aktive Verfahren des kognitiven Pretests (Willis 2005; Beatty & Willis 2007) ergänzt. Durch formative Pretests konnte der Ablauf hinsichtlich der Praktikabilität geprüft und es konnten verlässliche Informationen über technische Mängel des Fragebogens eruiert werden. Zudem wurde durch das Verfahren eine durchschnittliche Befragungsdauer von ca. 25 Minuten geschätzt. Dennoch muss beachtet werden, dass dies ein passives Pretest-Verfahren ist, in dem der Testende lediglich beobachtet wird, ohne dass dabei das Verständnis von Fragen aktiv hinterfragt wird (Lenzner, Neuert & Otto 2015). Dementsprechend wurden die formativen Pretests durch kognitive Pretests ergänzt. Wie in Abschnitt 7.5.4.3 (s. S. 163) dargestellt, wurden dabei verschiedene Probing-Varianten eingesetzt (Comprehension Probing, Category Selection Probing, Information Retrieval Probing sowie Eeneral/Elaborative Probing). Es existiert keine allgemeingültige Regel, wie abwechslungsreich der Einsatz der verschiedenen Probing-Varianten innerhalb eines Pretests gestaltet werden sollte. Dennoch wird ein gewisses Maß an Abwechslung empfohlen, sofern das grundsätzliche Erkenntnisinteresse berücksichtigt wird (ebd.). Der Einsatz der benannten Verfahren erwies sich für die vorliegenden Pretests als sinnvoll. Dabei konnte die Verständlichkeit sowie der Schwierigkeitsgrad der Fragen eruiert und die Übereinstimmung der assoziierten Bedeutung der Frage mit der intendierten Bedeutung abgeglichen werden. Weiter wurden mögliche Interpretationsspielräume aufgedeckt und die Sinnhaftigkeit der Fragereihenfolge geprüft.

Prüfer und Rexroth (2005) empfehlen eine Mindestzahl von 10 formativen Pretests (ebd.). Für die aufwändigere Methode der kognitiven Pretest sollten nach Willis (2005) zwischen fünf und 30 Interviews pro Pretest(runde) durchgeführt werden, da die schwerwiegendsten Probleme bereits auf Basis einer relativ kleinen Anzahl von Test identifiziert werden können (ebd.). Die genannten Mindestanzahlen konnten sowohl für die formativen (n = 11) als auch für die kognitiven (n = 14) Pretests erreicht werden. Dabei wird von verschiedenen Autoren empfohlen, angepasste Fragestellungen nach kognitiven Pretests weiteren kognitiven Pretests zu unterziehen (Prüfer & Rexroth 2005; Willis 2005). Dieses iterative Verfahren wurde in der vorliegenden Arbeit angewendet, um die Wirksamkeit der Veränderungen zu evaluieren. Weiter kann angenommen werden, dass die gewählte Sprache, Abstraktion sowie Konsistenz der Begriffe aufgrund der Durchführung der Pretests als unproblematisch eingeschätzt werden können.

9.1.5.2 Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende der Eingliederungshilfe

In der vorliegenden Arbeit kam es im Laufe des Forschungsprozesses zu der Entscheidung, Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe anhand der Fremdeinschätzung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe zu erheben. Es wird im einleitenden Text des Erhebungsinstruments dennoch explizit darauf hingewiesen, dass die Fragen auch gemeinsam mit dem ausgewählten Klienten beantwortet werden können. Im Folgenden wird die Entscheidung für ein Fremdeinschätzungstool begründet diskutiert.

Schon im Scoping Review wurden mögliche Erfassungsansätze Digitaler Teilhabe identifiziert. Sechs der 27 eingeschlossenen Studien lag ein quantitatives Studiendesign zugrunde (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chadwick, Quinn & Fullwood 2016; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Jenaro et al. 2017; Ramsten et al. 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Weitere sechs bedienten sich an Mixed-Methods-Studiendesigns (Berger et al. 2010; Bosse & Hasebrink 2016; Normand & Sallafranque St-Louis 2016; Owuor & Larkan 2017; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die Studie von Chadwick, Quinn und Fullwood (2016) Menschen ohne Beeinträchtigung zur Fremdeinschätzung von Risiken in Bezug auf MgB befragten, sodass hieraus keine Maßnahmen abgeleitet werden konnten.

Die Analyse der Studien aus dem Scoping Review zeigt, dass Fragebögen in einfacher bzw. Leichter Sprache eine Grundvoraussetzung darstellen, sofern MgB befragt wurden (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Zudem ist die unterstützende Einbindung von formell Betreuenden beim Ausfüllen des Fragebogens essenziell (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Jenaro et al. 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Weiter wird in der Literatur ein möglichst kurzer Fragebogen von maximal 13 Items empfohlen (Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017). Die folgende Diskussion des Fremdeinschätzungstools orientiert sich dementsprechend an den drei Faktoren – Leichte Sprache, unterstützende Einbindung formeller Betreuender und Länge des Fragebogens.

Um zu prüfen, inwiefern die Selbsteinschätzung möglich ist, wurden ausgewählte Items aus EIDT2 in einfache Sprache übersetzt und im dritten Reflexionsformat mit der Zielgruppe MgB getestet. Die Ergebnisse zeigen, dass trotz einfacher Sprache, der Verwendung von Piktogrammen und weiteren Vereinfachungsmöglichkeiten ein Großteil der Fragen von den Teilnehmenden nicht korrekt verstanden wurde. Das vorliegende EIDT-ES1 müsste dementsprechend auf das Niveau der Leichten Sprache gehoben werden und durch eine professionelle Prüfgruppe übersetzt werden. Dabei ist anzumerken, dass die Entwicklung eines barrierefreien Fragebogens in einfacher bzw. Leichter Sprache sehr ressourcenaufwendig ist. Die ambivalente Konzeptualisierung von Leichter Sprache (s. Abschnitt 9.1.3, S. 420) gilt es hier ebenfalls zu berücksichtigen.

Menschen mit eingeschränkter Lese- und Schreibfähigkeit bräuchten für das Lesen und Ausfüllen weiterhin mehr Zeit bzw. Unterstützung von Personen aus dem Umfeld. Dabei ist anzumerken, dass eingeschränkte Lese- und Schreibfähigkeiten sowie ein funktionaler Analphabetismus grundsätzlich alle Teile der Gesellschaft betrifft, wenn auch in unterschiedlichem Umfang und aufgrund unterschiedlicher Ursachen (Buddeberg & Grotlüschen 2015).

Neben der Übersetzung von Fragebögen in Leichte Sprache müssten weitere Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit und damit der Usability formuliert werden. Hier ist beispielsweise die Komptabilität mit verschiedenen Hilfsmitteln anzuführen. Folglich resümieren Berger et al. (2010), dass barrierefreie (Online-)Fragebögen in der Gestaltung und Konzeption sehr aufwändig sind und hinsichtlich eines gleichberechtigten Zugangs dennoch nicht allen Teilnehmenden gerecht werden können (ebd.).

Die Einbindung formell Betreuender zur Unterstützung beim Ausfüllen des Fragebogens ist ebenfalls methodisch zu diskutieren. Ein stellvertretendes Ausfüllen der Fragebögen kann dazu führen, dass die Meinungen und Haltungen der Mitarbeitenden und nicht die der Zielgruppe widerspiegeln und somit die Ergebnisse verzerren (Seifert 2006). Die Studie von Alfredsson Ågren, Kjellberg und Hemmingsson (2019) zeigt jedoch: Selbst als die Befragten dazu angehalten wurden, die Umfrage selbstständig durchzuführen, füllte die Mehrheit der MgB die Umfrage mit einer anderen Person zusammen aus. Die Einbeziehung einer unterstützenden Person und folglich auch die Antworten können dann als nicht kontrollierbare Verzerrung betrachtet werden (ebd.). Im Reflexionsformat III divergierten zudem die mündlichen und schriftlichen Antworten der einzelnen Teilnehmenden. Die Divergenz zeigte sich dabei erst bei der Diskussion der ausgefüllten Fragebögen. Eine solche Reflexion ist im Format einer nicht begleiteten Selbsteinschätzung nicht gegeben.

Die dritte übergeordnete Fragestellung „Anhand welcher Indikatoren lässt sich Digitale Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung in der Eingliederungshilfe durch Mitarbeitende quantifizieren?“ zielt darauf ab, das entwickelte Modell MDT4 in Gänze zu testen. Hierbei ist anzumerken, dass das EIDT-ES1 nur ausgewählte und nicht alle Items aus EIDT2 abbildet. Dennoch zeigte sich die Länge des EIDT-ES1 im Reflexionsformat III bereits als problematisch. Aufkommende Schwierigkeiten (unter anderem Konzentrationsschwierigkeiten) zeigten, dass der Einsatz eines Fragebogens zur Testung des Modells und Selbsteinschätzung von Digitaler Teilhabe stark limitiert ist. Das finale EIDT3 (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 5 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar) umfasst sechs offene und 51 geschlossene Fragen. Die direkte Befragung der Zielgruppe der MgB kann somit die übergeordneten Forschungsfragen nicht vollumfänglich beantworten.

Insgesamt weisen die Ergebnisse des Pretests im Reflexionsformates III zu hohe Barrieren für die Anwendung des EIDT-ES1 zur Testung des MDT4 nach. Ein Grund ist die nicht begleitete Selbsteinschätzung der MgB, die in Anbetracht der Themenkomplexität und Länge des Fragebogens ein hohes Maß an Fragenverständnis und kognitiven Leistungsfähigkeiten voraussetzt. Hierfür ist weitere Forschung im Vorhinein notwendig, die das Forschungsfeld Digitale Teilhabe weiter eingrenzt und somit gezielte Inhalte für ein Erhebungsinstrument zur Selbsteinschätzung durch MgB in Leichter Sprache identifiziert. Eine weitere Hürde besteht für die begleitete Selbsteinschätzung durch Forschende oder Bezugspersonen. Dennoch ist zu betonen, dass diese Barrieren kein Argument darstellen, diese Entwicklung – auch im Sinne der Teilhabe – nicht weiter voranzubringen. In diesem Zusammenhang stellt Schallenkammer (2016) fest, dass die Forschung zu MgB meistens die Interessen und die Subjektivität der Personen missachtet. Dabei besteht im Sinne der Disability Studies eine besondere Pflicht, MgB in ihrer Besonderheit und ihren Fähigkeiten als gleichberechtigte Partner anzuerkennen (ebd.). Im Sinne des Empowerment-Gedankens sollte keine Forschung ausschließlich über, sondern immer auch mit der Zielgruppe stattfinden. Somit ist eine Weiterentwicklung dieser kontextspezifischen quantitativen Befragungen für MgB im Allgemeinen unabdingbar und die Weiterentwicklung des EIDT3 zur Erfassung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Selbsteinschätzung erstrebenswert.

9.1.5.3 Aufbau des finalen Erhebungsinstruments

Das finale EIDT3 umfasst insgesamt sechs offene sowie 51 geschlossene Fragen und enthält formulierte Items, die auf Grundlage der entwickelten Definition (DDT2) sowie dem Modell (MDT4) operationalisiert wurden. Da bei der Entwicklung des EIDT3 zum Teil auf bereits validierte Erhebungsinstrumente zurückgegriffen wurde, kann diesbezüglich von einer hohen Güte der Objektivität, Validität und Reliabilität ausgegangen werden.

Hinsichtlich der Fragebogenkonstruktion ist anzumerken, dass die Kurzskala Technikbereitschaft von Neyer, Felber und Gebhardt (2016) sowie die ICT Self-Concept Scale [ICT-SC25] von Schauffel et al. (2021) in Gänze genutzt wurden. Technikbereitschaft wird von den Autoren als dreifaktorielles Konstrukt mit den Faktoren Technikakzeptanz, Technikkompetenz- und Technikkontrollüberzeugungen verstanden und konstatiert die individuelle Bereitschaft zum Umgang mit Technik. Dabei beinhaltet das Instrument Items zur Erfassung der drei genannten Subskalen, die zu einer Gesamtskala zur Technikbereitschaft zusammengefasst werden können. Die Kurzskala wurde als Online- und als Paper-Pencil-Version angewandt. Dabei empfehlen die Autoren eine Anpassung an die Bedürfnisse der Teilnehmenden. Im deutschen Sprachraum kann die Skala für alle Altersgruppen eingesetzt werden (Neyer, Felber & Gebhardt 2012). Für die Kurzskala Technikbereitschaft wurde die faktorielle Validität getestet sowie die Geschlechts-, Alters- sowie Bildungsunterschiede geprüft. Die Auswertung der Item- und Skalenstatistiken und Prüfung der faktoriellen Struktur erfolgte durch die Autoren auf Basis von drei Stichproben (n = 825). Das postulierte dreifaktorielle Modell der Technikbereitschaft wurde mithilfe einer konfirmatorischen Faktorenanalyse unter Verwendung von Maximum-Likelihood-Schätzungen und eines Bootstrap-Verfahrens (B = 1000 Samples) getestet (ebd.; Neyer, Felber & Gebhardt 2016). Zudem wurden Items aus der ICT-SC25 modifiziert angewendet. Die ICT-SC25ist eine 25-Item-Skala basierend auf dem IKT-Kompetenzrahmen-DigComp 2.1 (Schauffel et al. 2021). Nach Angaben der Autoren stellt die ICT-SC25 eine ökonomische Erfassung (Bearbeitungszeit < 1 Minute pro Item) der digitalen Kompetenzen bezogen auf die Nutzung von IKT dar. Die ICT-SC25 misst kontextübergreifend und die Ergebnisse zeigen eine gute Reliabilität (interne Konsistenz, Test-Retest-Reliabilität). Konfirmatorische Faktorenanalysen unterstützen die faktorielle Validität. Theoriekonsistente Beziehungen zu Persönlichkeitsmerkmalen (beispielsweise emotionale Stabilität) und technikbezogene Maße (beispielsweise Häufigkeit der IKT-Nutzung, Technophobie) bestätigen die Konstruktvalidität. Die Skala zeigt dabei eine strenge Messinvarianz über Geschlecht und Länder hinweg (ebd.).

Eine Modifizierung der Fragestellungen war in einigen Fällen notwendig, da die ausgewählten Erhebungsinstrumente keine Fremdeinschätzungen vorsahen. Zudem wurden die Begriffe (beispielsweise Klient, Angebote und Dienste) vereinheitlicht. Zudem wurden eigene Items für die Fragestellungen entwickelt und durch die zweite Fokusgruppe und die Pretests geprüft. Die Verwendung von bereits getesteten Skalen sowie der selbstentwickelten Fragestellungen erweist sich dabei als zielführend. Die Ergebnisse der Fremdeinschätzung zeigen, dass der Großteil der Fragestellungen von den Mitarbeitenden stellvertretend beantwortet werden konnte. Lediglich hinsichtlich der soziodemografischen und -ökonomischen Merkmale der Klienten ist hier anzumerken, dass der Ausbildungsabschluss, der Schulabschluss und die Einkommenssituation von den Mitarbeitenden häufig nicht angegeben werden konnte. Im Schnitt antworteten 25 % der Teilnehmenden mit „ich möchte/kann hierzu keine Aussage tätigen“. Diese wurden aus der Berechnung der RDT ausgeschlossen.

Da das Erkenntnisziel die Testung und Entwicklung eines ersten Erhebungsinstrumentes war, erfolgte keine Überprüfung der Reliabilität (Zuverlässigkeit) über den Reliabilitätskoeffizienten Cronbachs Alpha unter Ausschluss von tau-äquivalenten (inhaltsähnlichen) Items und unkorrelierten Fehlervarianzen (Raykov & Marcoulides 2011). Die Durchführung einer Reliabilitätsanalyse für jedes Konstrukt stellt somit eine Limitation des entwickelten EIDT3 dar. Kritisch zu betonen ist jedoch, dass mit steigender Anzahl der Items auch das Cronbachs Alpha ansteigt und somit die Aussagekraft der internen Konsistenz eingeschränkt wird (Krebs & Menold 2022).

Die Prüfung der Validität (Messgültigkeit) von Messinstrumenten gliedert sich in die Augenscheinvalidität, Inhaltsvalidität, Kriteriumsvalidität und Konstruktvalidität und ist grundsätzlich mit Vorsicht zu interpretieren. Zur Interpretation sind Strukturgleichungsmodelle sinnvoll, die die Korrelation zwischen latenten Variablen beschreiben. Herkömmliche Methoden der Prüfung von Validität bieten diese Möglichkeit nicht (ebd.). Für die durchgeführte Befragung wurden hingegen die externe und interne Validität geprüft. Die externe Validität kann einerseits durch Unterschiede zwischen der Stichprobe und der Grundgesamtheit oder durch Unterschiede zwischen der Erhebungssituation und der natürlichen Situation verringert werden (ebd.). Durch den Fokus auf die Online-Befragung und einer möglichen Überrepräsentierung von Mitarbeitenden, die aktive Nutzende digitaler Technologien sind, ist eine mögliche Einschränkung der externen Validität gegeben. Mithilfe der internen Validität kann Auskunft über die Eindeutigkeit der Ergebnisinterpretation bzgl. der Hypothesenprüfung gegeben werden. Bei der Befragung wurde durch ein mehrarmiges Rekrutierungskonzept sowie standardisiertes Verfahren beabsichtigt, dass die Teilnehmenden gleiche Voraussetzungen und Bedingungen erhalten, um Störfaktoren der internen Validität zu kontrollieren. Einschränkungen der internen Validität sind jedoch aufgrund der bereits diskutierten Möglichkeit einer systematischen Auswahl von Teilnehmenden nicht auszuschließen.

Auch die Länge des EIDT3 ist als problematisch einzuschätzen. Bereits in den Pretests gaben vier Personen an, dass der Fragebogen insgesamt sehr lang sei. Dies ist insofern problematisch, als sich der entwickelte Fragebogen an Personen richtet, die den Fragebogen innerhalb ihrer Arbeitszeit ausfüllen sollen. Das Untersuchungsfeld ist geprägt durch eine hohe Arbeitsverdichtung, vor allem wenn die Teilnehmenden in Einrichtungen arbeiten, die aufgrund der SARS-CoV2-Pandemie Personalengpässe aufweisen. Die Analyse der Abbrüche im Onlinetool bestätigt diese Annahme jedoch nicht. Die durchschnittliche Zeit für das Ausfüllen des Fragebogens betrug für den vorliegenden Fragebogen im Durchschnitt 25 Minuten und 25 Sekunden. Für die Papierfragebögen konnte die durchschnittliche Ausfülldauer sowie die Abbruchquote nicht erhoben werden. Daher beziehen sich die nachfolgenden Angaben auf die Online-Befragung. Diese haben 48,09 % des Gesamtsamples abgebrochen. Die häufigsten Abbrüche sind direkt nach dem Ausfüllen des ersten Frageblocks zu verzeichnen (18,92 %). Zudem brachen 8,56 % zu Beginn des zweiten Frageblocks ab und nach dem vierten Frageblock 5,11 %. Nach dem Ausfüllen des ersten Frageblocks zeigte der Fortschrittsbalken 14 % des Fragebogens an. Möglicherweise sind die Abbrüche nach den Frageblöcken auf begrenzte zeitliche Ressourcen zurückzuführen. Eine mögliche Begründung der Abbrüche durch fehlendes Wissen oder bewusst nicht getätigte Antworten lässt sich in der Analyse der Angabe „Ich möchte/kann hierzu keine Angabe tätigen“ nicht erkennen (s. Abschnitt 8.3.3.1, S. 332).

Die Teilnahme an der schriftlichen Befragung war sowohl im Papier- als auch im Online-Format möglich. Grundsätzlich kann ein Mix aus Paper-Pencil- und Online-Befragungen empfehlenswert sein, da so den Teilnehmenden verschiedene Optionen zur Verfügung stehen, um an der Umfrage teilzunehmen. Zudem bevorzugen einige Teilnehmende möglicherweise die traditionelle Methode der Paper-Pencil-Umfrage, während andere die Online-Option bevorzugen. Durch die Bereitstellung beider Optionen kann sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben, an der Umfrage teilzunehmen, je nach ihren Präferenzen und/oder technischen Fähigkeiten. Eine Kombination aus beiden Methoden kann demnach dazu beitragen, die Antwortrate zu erhöhen, da einige Teilnehmende möglicherweise die Online-Umfrage aufgrund technischer Probleme oder fehlender Internetverbindung nicht abschließen können, aber eine Paper-Pencil-Option zur Verfügung haben (Dillman, Smyth & Christian 2015). Der Schwerpunkt der durchgeführten Erhebung lag jedoch auf der Online-Befragung, da sich diese zum einen aus forschungsökonomischer Perspektive mit geringen finanziellen Ressourcen als einfacherer Zugang zu Menschen an verschiedenen Orten erweist und dies die Repräsentativität der Ergebnisse erhöht. Zum anderen besteht ein Vorteil der Online-Befragung im Erreichen verschiedenster Personengruppen, die untereinander gut vernetzt sind (Taddicken 2013), so wie es bei Mitarbeitenden in Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe über die Wohlfahrtsverbände zumeist der Fall ist. Die Paper-Pencil-Befragung stand lediglich den Teilnehmenden der Berufsschulen für Heilerziehungspflegende zur Verfügung. Dabei ist kritisch zu betrachten, dass durch den Fokus auf die Online-Befragung die eher weniger technik-affinen Mitarbeitenden möglicherweise nicht oder nur geringfügig erreicht werden. Der Schwerpunkt auf die Online-Befragung wurde jedoch gewählt, da ein ausgeglichener Mix aus Paper-Pencil- und Online-Befragungen grundsätzlich höhere Kosten und Ressourcen erfordert, um sowohl die Papier-Umfrage zu drucken und zu verteilen als auch die Online-Umfrage zu erstellen und zu verwalten (Dillman, Smyth & Christian 2015). Vor dem Hintergrund, dass eine bundesweite Feldstudie angestrebt wurde und lediglich begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung standen, musste auf das Angebot, an die Teilnehmenden bei Bedarf Papierfragebögen postalisch zu versenden und die damit einhergehende zusätzliche manuelle Dateneingabe durchzuführen, verzichtet werden.

9.1.5.4 Feldzugang und Rekrutierung

Um statische Test durchzuführen, benötigen Stichproben eine Mindestgröße. Dabei ist die Mindeststichprobe von der Forschungsfrage und vom gewählten statistischen Modell abhängig (Döring & Bortz 2016). Für die vorliegende Arbeit wurde entsprechend eine Power-Analyse mit dem statistischen Programm G*Power von Faul et al. (2009) durchgeführt. Diese errechnete zur Identifikation eines mittleren Effekts mittels linearer multipler Regressionsanalyse unter Berücksichtigung von 50 Prädiktoren einen Stichprobenumfang von 323 Teilnehmenden.

Insgesamt konnte mittels der dargelegten Rekrutierungsstrategie (s. Abschnitt 7.5.4.5, S. 167) eine Stichprobe von 804 Personen (nGesamtsample = 804) erreicht werden. Damit liegt die tatsächliche Stichprobe über der empfohlenen Stichprobe der Power-Analyse. Hier ist jedoch anzumerken, dass nach der Datenbereinigung lediglich 501 Datensätze in die Analyse aufgenommen werden konnten (neingeschlossen = 501). Dies ist darin begründet, dass über die Online-Maske 271 Personen erfasst wurden, die die Befragung abgebrochen haben und aufgrund unvollständiger Angaben (weniger als 50 %) nicht in die Analyse eingeschlossen wurden. Weitere 32 Datensätze mussten aus der Analyse ausgeschlossen, da die Fragen für Klienten im Alter von 0 bis 13 Jahren beantwortet wurden. Durch den fallweisen Einschluss wurden letztendlich 244 Datensätze für die lineare multiple Regressionsanalysen verwendet. Zusätzlich ist anzumerken, dass lediglich 22 Prädiktoren im Modell berücksichtigt werden konnten.

Zur Rekrutierung der angestrebten Stichprobe war die Teilnahme an der Befragung in dem Zeitraum 28.08.2022 bis 15.02.2023 möglich. Ein wichtiger Faktor bei der Durchführung von Online-Umfragen ist der Zeitraum, in dem die Umfrage online ist. Hierbei ist es wichtig, einen ausreichend langen Zeitraum zu wählen, um eine ausreichend große Stichprobe zu erreichen, aber gleichzeitig auch nicht zu lang, um das Interesse der Teilnehmenden nicht zu verlieren (Kaplowitz, Hadlock & Levine 2004).

Eine der größten Herausforderungen bei der Umsetzung von Online-Befragungen sind Stichproben- und Samplingfehler (Taddicken 2013). Sofern kein ganzheitliches Zufallsverfahren angewendet wurde, können systematische Ausfälle zustande kommen, indem Vertretende der Zielgruppe mit bestimmten Merkmalsausprägungen über- oder unterrepräsentiert sind (Döring & Bortz 2016). Zur Streuung der Online- sowie Paper-Pencil-Befragung wurde ein fünfarmiges Rekrutierungskonzept basierend auf aktiven und passiven Vorgehensweisen umgesetzt. Sowohl die aktive als auch passive Rekrutierung bergen nach Döring und Bortz (2016) Vor- und Nachteile im Sampling, weshalb eine Mischung aus aktiver und passiver Rekrutierung gewählt wurde. Dadurch sollte einerseits einer willkürlichen und gering kontrollierten Stichprobe entgegengewirkt und andererseits der Anteil einer Selbstselektionsstichprobe mit besonders engagierten und themeninteressierten Teilnehmenden verringert werden.

Um ein gut kontrolliertes Sample zu erhalten, wurde im Rahmen der aktiven Rekrutierung bundesweit der Telefon- und E-Mail-Kontakt zu Schul- und Bereichsleitungen von Berufsschulen für Heilerziehungspflegende gesucht. Darüber hinaus wurden die Leitungen von Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe der 20 größten Wohlfahrtsverbände in Deutschland telefonisch und per E-Mail persönlich kontaktiert. Als dritter Schritt der aktiven Rekrutierung wurde zu je drei Zeitpunkten eine Social-Media-Kachel in zielgruppenbezogenen und geschlossenen Gruppen auf Social-Media-Plattformen gepostet. Das Posting in geschlossenen Gruppen diente der besseren Kontrollierbarkeit, da so dem Risiko einer schnellen Verbreitung des Postings und damit einhergehenden Zugänglichkeit für Personen, die nicht der Zielgruppe angehören, entgegengewirkt werden konnte. Die Teilnahme von Personen, die nicht der Zielgruppe angehören, kann jedoch nicht ausgeschlossen werden. Vor allem die bundesweite Rekrutierung über die Schul- und Bereichsleitungen der Berufsschulen für Heilerziehungspflegende erwies sich als erfolgreich, da insgesamt 18,78 % des Samples hierüber rekrutiert werden konnten. Die bundesweite Rekrutierung über die Leitungen der Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe der 20 größten Wohlfahrtsverbände in Deutschland erwies sich als weniger erfolgreich, da trotz persönlichen Anschreibens und Erinnerungen per E-Mail lediglich vier Wohlfahrtsträger sich zurückmeldeten. Die fehlende Rückmeldung lässt jedoch keinen Rückschluss auf eine nicht erfolgte Teilnahme zu. Ein telefonischer bzw. persönlicher Kontakt hätte gegebenenfalls zu einer höheren Resonanz geführt. Ebenso ist nicht auszuschließen, dass es ohne die SARS-CoV-2-Pandemie grundsätzlich eine höhere Resonanz gegeben hätte, da die Pandemie zu einer hohen Ressourcenbindung in der Eingliederungshilfe geführt hat. Zu der Rekrutierung über Social Media lässt sich kein Rückschluss auf die Rücklaufquote ziehen, da diese parallel zu anderen Rekrutierungssträngen erfolgte.

Die passive Rekrutierung erfolgte durch den Kontakt zu themenbezogenen Forschungsförderern, Stiftungen und Netzwerken, die einen vorgefertigten Informationstext und den Zugangslink zur Befragung über den jeweiligen Newsletter an die Newsletter-Abonnenten verschickten. Ebenso wurden themenbezogene Berufsverbände kontaktiert und um die Verbreitung der Befragung über den jeweiligen Newsletter gebeten. Bei beiden Rekrutierungssträngen lässt sich nicht nachvollziehen, welche Personen über die Newsletter erreicht wurden, weshalb zu berücksichtigen ist, dass möglicherweise Personen fernab der Zielgruppe an der Befragung teilgenommen haben und somit eine gering kontrollierte Auswahl stattgefunden hat. Der Rekrutierungserfolg lässt sich aufgrund der geringen Auswahlkontrolle sowie parallel initiierten Rekrutierungen nicht zuverlässig auf die einzelnen Rekrutierungsstränge zurückführen.

Neben der Rekrutierungsstrategie wird hinsichtlich möglicher Stichproben- sowie Samplingfehler auch das Sample kritisch beleuchtet, denn durch systematische Ausfälle kann es in Online-Befragungen dazu kommen, dass Personengruppen im Sample über- oder unterrepräsentiert werden (Taddicken 2013). Die Verteilung der soziodemografischen Merkmale der teilnehmenden Mitarbeitenden ist jedoch vergleichbar mit der Verteilung soziodemografischer Merkmale von Beschäftigten in der Heilerziehungspflege und Sonderpädagogik aus dem Jahr 2021. Der Anteil der weiblichen Mitarbeitenden betrug in der Stichprobe 64,3 % (im Vergleich: 2021 waren 80,0 % der Mitarbeitenden in diesem Berufsfeld weiblich). Der Anteil der männlichen Mitarbeitenden in der Stichprobe betrug 32,1 % (im Vergleich: 2021 waren 20,0 % der Mitarbeitenden in diesem Berufsfeld männlich). Entsprechend findet sich die überdurchschnittlich hohe Frauenquote in Gesundheitsdienstberufen und sozialen Berufen auch in der Stichprobe wieder. Die Geschlechtsangabe „divers“ (1,2 %) kann aufgrund fehlender Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes [GBE] nicht verglichen werden (GBE 2023a). Die Altersverteilung unterscheidet sich verglichen mit den Angaben aus der GBE (2023b) zu den Beschäftigten in der Heilerziehungspflege und Sonderpädagogik aus dem Jahr 2021 (ebd.): Die Altersgruppe der unter 30-Jährigen in der Stichprobe macht den größten Anteil aus und ist vergleichsweise höher (46,6 % in der Stichprobe vs. 20,0 % in der Berufsgruppe im Jahr 2023). Entsprechend der Merkmalsbeschreibung liegt eine eher junge Stichprobe vor. Dies kann zum einen durch einen verhältnismäßig hohen Rekrutierungsanteil von Teilnehmenden an den Berufsschulen für Heilerziehungspflegende erklärt werden. Zum anderen könnten durch die Online-Befragung vermutlich eher digital affine Teilnehmende adressiert worden sein. Auch hinsichtlich des Beschäftigungsverhältnisses zeigt sich zumindest hinsichtlich der Vollzeitbeschäftigung eine Verteilung in der Stichprobe, die mit der Statistik der Beschäftigten in der Heilerziehungspflege und Sonderpädagogik nahezu übereinstimmt. 28,1 % der Stichprobe befinden sich in einer Vollzeitbeschäftigung, die GBE (2023b) erfasst 26,7 %. Hinsichtlich der Teilzeitbeschäftigung unterscheiden sich die vorliegenden Daten stark voneinander. Hier befinden sich 17,4 % der Stichprobe in einer Teilzeitbeschäftigung, wohingegen laut GBE (2023b) ein deutlich höherer Anteil von 66,6 % in Teilzeit beschäftigt ist (ebd.). Knapp die Hälfte der Stichprobe befindet sich derzeit noch in einer beruflichen Ausbildung (49,7 %).

Zudem ist mit Blick auf die Stichprobe anzumerken, dass durch den Schwerpunkt auf die Online-Befragung mutmaßlich eher Mitarbeitende erreicht wurden, die digitale Technologien aktiv nutzen. Diese Vermutung stützt auch der hohe Anteil derer in der Stichprobe, die angaben, das Internet zu nutzen (96,4 %). Dieser Anteil liegt gemäß Initiative D21 e. V. (2022) für das Jahr 2021/2022 knapp über dem Anteil in der Allgemeinbevölkerung (91 %). Demnach ist anzunehmen, dass Mitarbeitende, die digitale Technologien nicht aktiv nutzen, in der Stichprobe unterrepräsentiert sind und einen blinden Fleck der Befragung darstellen. Diese könnten durch einen stärkeren Einsatz der Paper-Pencil-Befragung besser adressiert werden, wobei dadurch ein höherer Ressourcenaufwand zu erwarten wäre.

Die von den Mitarbeitenden betrachteten Klienten sind hinsichtlich des Geschlechts in der Stichprobe ähnlich verteilt wie die Daten des Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen [IT.NRW] (2022) es für diese Bevölkerungsgruppe angeben. Der Anteil der männlichen Klienten (50,7 % in der Stichprobe vs. 58,29 % in der Bevölkerungsgruppe laut (ebd.) überwiegt dabei leicht gegenüber den weiblichen Klienten (42,9 % vs. 41,71 %). Die Geschlechtsangabe „divers“ (2,4 %) kann aufgrund fehlender Daten nicht verglichen werden ((ebd.). Ebenso entspricht das Durchschnittsalter der betrachteten Klienten laut Angaben des Statistischen Bundesamtes dem tatsächlichen Durchschnittsalter der Bevölkerungsgruppe (40 Jahre in der Stichprobe vs. 34 Jahre laut Statistischem Bundesamt (2023)).

Auch ist zu betonen, dass die teilnehmenden Mitarbeitenden selbst einen Klienten für die Beantwortung der Fragen ausgewählt haben. Hier sind somit ebenfalls Verzerrungen möglich, indem Klienten mit bestimmten Merkmalsausprägungen nicht ausgewählt wurden.

Mit Blick auf die vorliegende Befragung ist anzumerken, dass Stichproben, die nicht ganzheitlich zufällig gezogen werden, aus forschungsökonomischer Perspektive üblich sind, wenn es um die Theoriebildung und Hypothesenprüfung geht (Döring & Bortz, 2016). Grundsätzlich ist eine Zufallsstichprobe erforderlich, wenn die Ergebnisse auf die Grundgesamtheit verallgemeinert werden sollen (Baur & Blasius 2019). Die Verallgemeinerung auf die Grundgesamtheit könnte durch eine weitere Studie mit einer Zufallsstichprobe geprüft werden, da diese Bedingung in der vorliegenden Befragung nicht gegeben ist.

9.1.5.5 Datenerhebung und Aufbereitung

Um die Objektivität (Durchführungs-, Auswertungs- und Interpretationsobjektivität) bei der Befragung sicherzustellen, wurde ein standardisiertes Befragungskonzept genutzt, sodass alle Befragten dieselben Fragen als „identische Stimuli“ (s. Krebs & Menold 2022, S. 551) erhielten. Eingeschränkt wird die Durchführungsobjektivität durch Effekte aufgrund der statischen Reihenfolge von Fragen sowie Antwortvorgaben. Die Auswertungsobjektivität bzw. die intersubjektive Nachvollziehbarkeit basierend auf dem Datenmaterial ist als hoch einzustufen. Die Dokumentation der Dateneingabe, -aufbereitung und -kontrolle erfolgte im Vier-Augen-Prinzip, sodass Umkodierungen, der Umgang mit Missing-Werten, die Indexbildung sowie die einzelnen Analyseschritte in der Syntax transparent festgehalten und die Auswertungsobjektivität dadurch gesichert wurden (ebd.).

Nachdem die Online-Umfrage am 15.02.2023 geschlossen wurde und die Rückläufer der Paper-Pencil-Befragung an den Berufsschulen für Heilerziehungspflegende vorlagen, wurde für die Auswertung eine Datenmaske mit der Statistik- und Analysesoftware SPSS Statistics Version 27 erstellt. Die manuelle Eingabe der Daten in SPSS kann dazu führen, dass es zu fehlerhaften Eingaben kommt und somit die Qualität der Daten beeinträchtigt wird. Dies ist der Fall, wenn die Eingaben nicht überprüft werden. Dabei können sich fehlerhafte Daten negativ auf die Ergebnisse der Analyse auswirken (Döring & Bortz 2016). Die Überprüfung der Eingaben erfolgte in dieser Forschungsarbeit durch die jeweils andere Forscherin, sodass hier von einer weitestgehend fehlerfreien Eingabe ausgegangen werden kann. Durch die manuelle Dateneingabe konnten Fragebögen identifiziert werden (n = 4), die ausgeschlossen wurden, da diese offensichtlich nicht ernsthaft bzw. sehr unvollständig ausgefüllt wurden. Ein geringer Prozentsatz an unvollständig bzw. unplausibel ausgefüllten Fragebögen ist typisch (ebd.). Bei den Daten, die über das Umfragetool Unipark eingelesen wurden, wurde ebenfalls geprüft, ob genügend plausible Werte vorliegen, um die Fälle in die Analyse einzuschließen. Bei elektronisch erfassten Daten kann ein Teil der Datenbereinigung bereits vorweggenommen werden. So kann beispielsweise die Eingabe von unzulässigen Werten unterbunden werden (ebd.).

Nach der Datenbereinigung wurden 32 Datensätze aus der Analyse ausgeschlossen, da die Fragen für Klienten im Alter zwischen 0 und 13 Jahren beantwortet wurden. Hier hätte eine Anweisung in der Fragebogeninstruktion formuliert werden müssen. Die Empfehlungen für die Nutzung von digitalen Technologien durch Personen dieser Altersgruppe variieren je Studie und Autor und hängen von verschiedenen Faktoren wie der Art der Medien, der Häufigkeit und Dauer der Nutzung und der individuellen Entwicklung des Kindes ab (Livingstone & Helsper 2008; Radesky et al. 2016). Die Meta-Analyse von Dong et al. (2020) konnte einen negativen Zusammenhang zwischen dem Internetgebrauch und der psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachweisen. Diese Autoren empfehlen daher eine Einschränkung der Internetnutzung durch Kinder und Jugendliche, dies gilt insbesondere für Kinder unter 14 Jahren (ebd.).

9.1.5.6 Datenanalyse

Im Folgenden wird die Datenanalyse dargestellt. Dazu wird zunächst die Formulierung der ungerichteten Hypothesen sowie die Messbarkeit der abhängigen Variable der RDT diskutiert, um anschließend auf die ausgewählten Testverfahren einzugehen. Diese sind dem Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial zu entnehmen und werden im Folgenden methodisch diskutiert.

Ungerichtete Hypothesen

Für die Forschungsarbeit konnten lediglich ungerichtete Hypothesen und somit keine Vorhersage über die Richtung eines Zusammenhangs zwischen Variablen formuliert werden. Nach Döring und Bortz (2016) sind „ungerichtete Hypothesen hinsichtlich ihres theoretischen Erklärungsanspruchs meist unbefriedigend“ (s. ebd., S. 661). Wenn aufgrund geringer Vorkenntnisse oder fehlender theoretischer Grundlagen keine klare Hypothese bzgl. der Effektrichtung formuliert werden kann, empfiehlt es sich, anstelle einer hypothesen- und theorieprüfend angelegten explanativen Studie eine explorative Studie durchzuführen. Durch eine solche explorative Studie können erste Erkenntnisse und Hinweise auf Zusammenhänge gewonnen werden, auf deren Basis dann gezielte Hypothesen formuliert und getestet werden können (ebd.). Das durchgeführte Scoping Review sowie der empirische Teil dieser Arbeit kann als explorative Studie betrachtet werden. Dabei zeigte sich, dass bislang keine verlässlichen Daten zum Untersuchungsgegenstand Digitale Teilhabe von MgB vorliegen, die die Bildung von gerichteten Hypothesen zulassen würden. Dementsprechend wurden in der vorliegenden Arbeit ausschließlich ungerichtete Hypothesen getestet. Um sicherzustellen, dass der Test weiterhin auf dem Signifikanzniveau α durchgeführt wird, muss beim zweiseitigen Test an jeder Seite der Verteilung die kritische Schwelle herangezogen werden (ebd.). Das Signifikanzniveau aller statistischen Tests liegt bei einem Alphafehler von 5 %.

Realisierte Digitale Teilhabe (RDT)

Wie beschrieben umfasst der Wert der realisierten Digitalen Teilhabe [RDT] einen Indexwert von 10 Punkten. Dieser setzt sich aus den Variablen zum tatsächlichen Zugang zu digitalen Technologien (4 Punkte) und der tatsächlichen Nutzung von digitalen Technologien (6 Punkte) zusammen. Zur Berechnung der RDT wurde ein Summenwert aus den beiden Skalen „Zugang zu digitalen Technologien“ (8 Items) und „Nutzung digitaler Technologien“ (12 Items) aggregiert (0–10). Die Auswahl der Variablen zur Berechnung eines Indexwertes sowie die Gewichtung der Indikatoren kann durch Subjektivität und Willkür limitiert werden. Um dem vorzubeugen, erfolgte die Auswahl der Variablen anhand der Bedingung, dass die erhobenen Inhalte der Variable Rückschlüsse auf die eingetretene Digitale Teilhabe ermöglichen. Alle weiteren Variablen, die Einflussfaktoren auf den Zugang und die Nutzung hypothetisch darstellen und somit keine Auskunft über Digitale Teilhabe geben, wurden aus der Berechnung ausgeschlossen. Die Gewichtung der beiden Indikatoren der RDT erfolgt basierend auf der Annahme der Gleichwertigkeit der verwendeten Items, um den Einfluss auf die RDT nach Maßgabe der Wichtigkeit der Indikatoren zu berücksichtigen. Durch die Gleichgewichtung können mögliche systematische Verzerrung nicht eindeutig ausgeschlossen werden. Die Beurteilung der methodischen Anschlussfähigkeit der Indexbildung an bisherige Forschung ist schwierig, da bislang kein vergleichbares Erhebungsinstrument zur RDT vorliegt.

Die Kürze der Berechnung der RDT ermöglicht jedoch, dass mit einem verhältnismäßig geringen Ressourcenaufwand eine erste Einschätzung der RDT von MgB in der Eingliederungshilfe vorgenommen werden kann. Die geringe Belastung sowie geringe Anforderung an das Erinnerungsvermögen der Ausfüllenden unterstreicht eine hohe Responserate. Wenn auch durch die Fremdeinschätzung ein Interview-Bias berücksichtigt werden muss, ermöglicht die Standardisierung der Antwortmöglichkeiten eine einfache Handhabung bei der Datenanalyse (Mensink & Burger 2004). Die Analyse wird allerdings durch den Umstand limitiert, dass die Multidimensionalität Digitaler Teilhabe im Rahmen des Fragebogens nicht vertiefend betrachtet werden kann, insbesondere da digitale Technologien bzw. Aktivitäten zusammenfassend dargestellt werden.

Um zu bestimmen, wie gut die RDT durch einen Satz erklärender Variablen (Prädiktorvariablen) vorhersagbar ist, wurden bivariate Analysen sowie eine multiple lineare Regressionsanalyse durchgeführt.

Pearson Produkt-Moment-Korrelation

Die Pearson Produkt-Moment-Korrelation ist ein häufig angewendetes statistisches Verfahren zur Untersuchung von Zusammenhängen zwischen zwei kontinuierlichen Variablen. Das Verfahren ist robust gegenüber Ausreißern, sofern diese nicht systematisch und die Daten normalverteilt sind (Field 2018). Die Ausreißeranalyse ergab die Beibehaltung aller Ausreißer bis auf relevante Ausreißer in der Variablen H14_Klientenbetreuung. Die Stichprobengröße wurde hierdurch minimal verringert. Durch die geringe Abweichung der neuen zur vorherigen Standardabweichung, kann davon ausgegangen werden, dass eine mögliche Verzerrung der Daten und Schätzung durch die Entfernung der Ausreißer äußerst gering ist. Was ebenfalls als gering eingestuft werden kann, ist die Fehleranfälligkeit des Shapiro-Wilk-Tests gegenüber Ausreißern sowie die Fehleranfälligkeit des Prüfergebnisses der aufgezeigten Normalverteilung. Dem Test lag eine ausreichend große Stichprobe zugrunde.

Die Produkt-Moment-Korrelation bildet lineare Zusammenhänge ab. Nicht-lineare Zusammenhänge, wie etwa quadratische oder exponenzielle Beziehungen, werden nicht erfasst. Zudem kann die Korrelation durch die Anwesenheit von Drittvariablen verzerrt werden, die mit beiden Variablen in Beziehung stehen und den Zusammenhang zwischen ihnen beeinflussen (Döring & Bortz 2016). In solchen Fällen kann die Kontrolle dieser Drittvariablen durch eine Multiple Regression sinnvoll sein (Cohen & Cohen 2013). Die Anwendung der Pearson Produkt-Moment-Korrelation kann keine Kausalität beweisen. Eine Korrelation von zwei Variablen bedeutet nicht zwangsläufig eine Kausalität, daher ist es wichtig, zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden und weitere Forschung durchzuführen, um die Beziehung zwischen den Variablen besser zu verstehen (Döring & Bortz 2016).

Spearman-Korrelation

Die Spearman-Korrelation ist ein statistisches Verfahren zur Messung des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen, die auf ordinaler Skala oder Rangskalenniveau gemessen werden. Im Vergleich zur Pearson Produkt-Moment-Korrelation ist die Spearman-Korrelation weniger anfällig gegenüber Ausreißern und nicht normalverteilten Daten, da sie auf der Rangfolge der Daten basiert. Eine wichtige Voraussetzung für die Anwendung der Spearman-Korrelation ist, dass die beiden Variablen monoton zusammenhängen, d. h. dass eine Zunahme oder Abnahme in einer Variable eine entsprechende Zunahme oder Abnahme in der anderen Variable zur Folge hat. Wenn der Zusammenhang zwischen den Variablen nicht monoton ist, kann die Spearman-Korrelation irreführende Ergebnisse liefern (ebd.).

Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Rangfolge der Daten die wahre Natur des Zusammenhangs widerspiegelt. Bei einer stark asymmetrischen oder diskreten Datenverteilung kann die Rangfolge der Daten unzuverlässig sein und zu einer Verzerrung der Korrelationskoeffizienten führen (ebd.). Ebenso ist es wichtig zu beachten, dass die Spearman-Korrelation nur die Stärke und Richtung des Zusammenhangs zwischen den Variablen misst, aber keine Aussage über kausale Zusammenhang zulässt (Krebs & Menold 2022).

Multiple lineare Regression

Für die Durchführung der multiplen linearen Regression erfolgte die Prüfung der Voraussetzungen für diese. Bis auf die Heteroskedastizität der Fehlervarianzen konnten alle Voraussetzungen anhand statistischer Tests oder Interpretation von Histogrammen bzw. Diagrammen geprüft werden. Zur Behebung der vorliegenden Heteroskedastizität hätte die abhängige Variable transformiert werden können, was jedoch zu Schwierigkeiten in der Interpretation des Gesamtmodells geführt hätte, da transformierte Daten in der Regel wenig Rückschlüsse auf die Originaldaten zulassen (Feng et al. 2014, S. 108). Stattdessen wurde als gängige Methode der robuste Standardfehler über das HC3-Verfahren berechnet (Hayes & Cai 2007), um heteroskedastische Fehlervarianzen verwendbar zu machen. Die Standardfehler wiesen nur zum Teil minimale Abweichungen zu den robusten Standardfehlern auf, sodass durch die Parameterschätzung mit den robusten Standardfehler zuverlässige Signifikanzen ermittelt werden konnten.

Die multiple lineare Regression wurde schrittweise durchgeführt. Dabei wurden Variablen ausgeschlossen, die lediglich durch eine Teilstichprobe (Mitarbeitende, die einen Klienten ausgewählt haben, der das Internet nutzt) bearbeitet wurden (777-Werte). Hierzu gehört die Technikbereitschaft der Klienten (nausgeschlossen = 195), die Selbstständigkeit bei der Nutzung auf Seiten der Klienten (nausgeschlossen = 194) sowie die Technikerfahrung der Klienten (nausgeschlossen = 209). Ferner wurden Variablen entfernt, die einen hohen Anteil von Missing-Werten (999-Werte) oder der Antwortoption „Ich möchte/kann hierzu keine Aussage treffen“ (998-Werte) aufwiesen. Die Entfernung von Variablen kann dabei Einfluss auf die Modellinterpretation haben, sodass dies bei der Interpretation der Regressionskoeffizienten und der relativen Bedeutung der erklärenden Variablen grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Zudem sind die Ergebnisse konstruktionsbedingt auf die erklärenden Variablen im Modell und auf Korrelationen zwischen Kovariaten beschränkt. Die ermittelten Regressionskoeffizienten weisen insgesamt weite Konfidenzintervalle auf (s. Tab. 8.9, S. 392), sodass trotz der Stichprobengröße eine Ungenauigkeit der Regressionskoeffizienten möglich ist. Mit der geringen Anpassungsgüte des Modells zeigt sich, dass das 7. Regressionsmodell für die Stichprobengröße angemessen war. Mit den aus der Regression ausgeschlossenen Variablen, könnte das Modell möglicherweise um weitere Variablen erweitert werden. Um Aussagen zu diesen Faktoren zu treffen, sollten weitere Erhebungen stattfinden, die die Beantwortung dieser Fragen durch alle Teilnehmenden berücksichtigen.

Die Ergebnisse der Regression limitiert weiterhin, dass mögliche Verzerrungen über Mediatoren, Moderatoren sowie Confounder nicht auszuschließen sind. Hierzu müssten entsprechende Analysen durchgeführt werden. Im Rahmen einer Moderatorenanalyse könnte untersucht werden, ob die Beziehung zwischen der RDT und einer oder mehreren unabhängigen Variablen durch eine dritte Variable (den sogenannten Moderator) beeinflusst wird (Müller 2009). Auch eine Mediatorenanalyse würde Aufschluss darüber geben, ob die Beziehung zwischen der berechneten RDT und einer unabhängigen Variable teilweise oder vollständig durch eine dritte Variable (den sogenannten Mediator) erklärt werden kann (Krebs & Menold 2022). Möglich ist ebenfalls die Einflussnahme von systematischen Verzerrungen. Die Durchführung einer Confounderanalyse wäre notwendig, um eine fälschlicherweise aufgezeigte Beziehung zwischen der RDT und einer unabhängigen Variable aufzudecken, die durch eine dritte Variable (den sogenannten Confounder) beeinflusst wird und sowohl mit der abhängigen als auch mit der unabhängigen Variable korreliert. Auch Residualconfounding durch zusätzliche Einflussfaktoren, die nicht erhoben wurden, kann nicht ausgeschlossen werden (McNamee 2005).

9.1.5.7 Schlussfolgerungen

Die drei definierten Ziele der quantitativen Erhebung (s. Abschnitt 7.5.4.1, S. 159) konnten durch die Durchführung der Befragung erreicht werden. Mithilfe der ausgewählten Methoden konnten definierte Items zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zur Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende in der Eingliederungshilfe (Bezugspersonen der MgB) finalisiert und getestet werden. Es erfolgte die Überprüfung der Erhebungsmöglichkeiten über die Fremdeinschätzung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe. Die Erfassungsmethode eignete sich grundsätzlich, jedoch sollten für personenbezogene Items in Bezug auf den Klienten (z. B. Ausbildungsabschluss, Schulabschluss und Einkommenssituation) andere Erhebungsmethoden gewählt werden. Es erfolgte ebenfalls die Ableitung einer Kurzskala zur Erfassung Realisierter Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe. Somit kann die Anwendung der Methode als gelungen bezeichnet werden. Limitierend sind die Aussagen zu den Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität des entwickelten Erhebungsinstruments (EIDT3) zur Erhebung der RDT, da diese aufgrund des Erkenntnisinteresses nur eingeschränkt möglich sind und weiterer Forschung bedürfen. Im Rahmen der künftigen Forschung ist – trotz der teilweisen Verwendung von bereits validierten Erhebungsinstrumenten – die Weiterentwicklung des EIDT3 unter Prüfung der Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität notwendig.

9.2 Inhaltliche Diskussion

Ziel dieser Forschungsarbeit ist die Entwicklung einer Definition, eines Modells sowie eines Instruments zur Erhebung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe. Diese drei entwickelten Forschungsgegenstände werden nachfolgend in Rückbezug zum theoretischen Hintergrund hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen ihrer Anwendung diskutiert, um die zugrundeliegenden Forschungsfragen zu beantworten.

9.2.1 Definitionen Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe

Zur Beantwortung der Forschungsfrage „Wie lässt sich Digitale Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung in der Eingliederungshilfe definieren?“ wurden Ergebnisse vorangegangener Forschung sowie Perspektiven von MgB, von Experten aus der Wissenschaft und von Experten aus der Eingliederungshilfe herangezogen. Dabei entstand eine Kurzdefinition, die einen kompakten Überblick über die Kernaspekte des Begriffs Digitaler Teilhabe geben soll sowie eine Langdefinition, die einzelne Aspekte in der Definition Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe näher erläutert und somit zu einem tieferen Verständnis beiträgt (s. Abschnitt 8.2.2.3, S. 264). Um einen niedrigschwelligen Zugang zu dem abstrakten Begriff Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zu erhalten, wurde darüber hinaus partizipativ mit der Zielgruppe MgB eine Definition in Leichter Sprache (DDT-LS) entwickelt (s. Abschnitt 8.2.4.1, S. 302).

9.2.1.1 Zusammenfassung der DDT2

Die entwickelte Definition zielt auf eine multidimensionale Betrachtung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe ab. Dabei wird Digitale Teilhabe als das Eingebundensein des Individuums in alle Lebensbereiche bezeichnet, die durch die digitale Transformation beeinflusst werden. Dieses Eingebundensein äußert sich durch die Teilhabe an, durch und in digitale(n) Technologien. Die Teilhabe an digitalen Technologien meint dabei einen möglichst zielgruppenorientierten und gleichberechtigten Zugang zu Hardware, Software und Infrastruktur sowie eine möglichst selbstständige und selbstbestimmte Nutzung digitaler Technologien. Die Dimension Teilhabe durch digitale Technologien umfasst hingegen den Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen und dortigen Aktivitäten, der durch digitale Technologien ermöglicht oder vereinfacht wird. Von Teilhabe in digitalen Technologien wird gesprochen, wenn das Individuum über die Nutzung digitaler Technologien in digitale Räume gelangt und diese aktiv mitgestalten kann. Aus diesen drei Dimensionen Digitaler Teilhabe resultieren für MgB Möglichkeiten, beeinträchtigungsbedingte Teilhabebarrieren zu kompensieren und an gesellschaftlichen sowie politischen Prozessen teilzuhaben. Digitale Teilhabe wird dabei als individueller und dynamischer Prozess verstanden, der durch personenbezogene, umweltbezogene sowie auf digitale Technologien bezogene Faktoren gefördert oder gehemmt wird. Dabei soll sich Digitale Teilhabe an den Interessen und Wünschen des Individuums orientieren und ausrichten.

9.2.1.2 Theoretischer Bezugsrahmen

Wie in Abschnitt 3.2 (s. S. 32) dargestellt, ist der Begriff Teilhabe von den Begriffen der Inklusion, der Integration und der Partizipation abzugrenzen. Verschiedene wohlfahrtstheoretische und sozialwissenschaftliche Konzepte, wie das Konzept der Befähigung (capabilities) oder der Lebenslagenansatz (s. Abschnitt 3.1, S. 27), beschreiben den Begriff der Teilhabe. Als theoretischer Bezugsrahmen der Definitionsentwicklung wurde die ICF herangezogen. Diese Entscheidung resultierte zum einen aus dem durchgeführten Scoping Review, da die bisherige Forschung zu Digitaler Teilhabe von MgB überwiegend das ICF-Modell verwendet (Bosse & Hasebrink 2016; Heitplatz 2017; Ramsten et al. 2017; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Amor et al. 2020; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Zum anderen stellt die ICF einen Bezugsrahmen für die Teilhabepraxis und -politik dar, was somit die Anwendbarkeit in der Wissenschaft, Theorie sowie Politik sicherstellt (Bartelheimer & Henke 2018). Die nachfolgend dargelegten Möglichkeiten und Grenzen der Anwendung dieses Begriffs müssen auch in der Diskussion der in dieser Forschungsarbeit entwickelten Definitionen berücksichtigt werden.

Die Anwendung der ICF dient der systematischen Beschreibung und Klassifizierung von Funktionsstörungen, Beeinträchtigungen und gesundheitsbezogenen Problemen von Personen und kann darüber hinaus bei der Identifikation von Teilhabebarrieren und Fördermöglichkeiten eines Individuums unterstützen. Sie stellt ein umfangreiches Klassifikationssystem dar, um Teilhabebeeinträchtigungen in den Lebensbereichen eines Individuums systematisch und transparent zu ermitteln (DIMDI 2005). Dennoch ist die Anwendung der ICF sowie die Interpretation der Ergebnisse komplex und ressourcenintensiv. Kritisch anzumerken ist, dass eine vollumfängliche Klassifizierung der Gesundheit eines Individuums über die ICF nicht gewährleistet werden kann, da die funktionale Gesundheit selbst nicht operationalisiert wird (Schröder & Göttgens 2014; Pitz 2021). Auch die Operationalisierung der Teilhabekonzepte in der ICF sowie die differenziertere Ausgestaltung des Teilhabeverständnisses wird in der Literatur kritisch diskutiert (Queri et al. 2018; Pitz 2021; Bernasconi 2022), da in der ICF „der Fokus auf Alltagsaktivitäten und Teilhabe in den Mittelpunkt gestellt wird, gleichzeitig aber nicht nach einem strengen Schema kodiert wird“ (s. ebd., S. 744). Zuletzt stützt die ICF die Identifikation und Kategorisierung von Teilhabebarrieren, -chancen sowie Hilfebedarfen. Allerdings geht die strukturierte Ableitung einer konkreten konzeptionellen Herangehensweise über die Aussagekraft der ICF hinaus, sodass sie nicht als umfassendes „Assessmentinstrument“ (s. Schröder & Göttgens 2014, S. 129) für die Teilhabeplanung über das Gesamtplanverfahren geeignet ist (ebd.).

Obwohl konzeptionelle Fragen offenbleiben, repräsentiert die ICF eine Struktur, die die grundlegenden Funktionen der Lebensführung systematisch kodiert. Diese detaillierte Systematik bietet eine systematische Grundlage für die Identifizierung potenzieller Unterstützungsbedarfen und die Etablierung einer standardisierten Sprache im Kontext funktionaler Gesundheit. Limitierend wies die WHO jedoch bereits in der ersten Fassung der ICF darauf hin, dass die ICF trotz der Fülle an Items nicht als eigenständiges psychometrisches Assessment genutzt werden kann und es einer weiteren wissenschaftlich fundierten Entwicklung bedarf (Wenzel & Morfeld 2016). Den Teilhabebegriff mithilfe der ICF zu präzisieren, sollte letztendlich kritisch beurteilt werden.

Dem steht der Vorteil der ICF gegenüber, Behinderung als Wirkungskonstrukt im Rahmen funktionaler Gesundheit zu modellieren. Daran angelehnt wird auch die geistige Beeinträchtigung in der Definition Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (DDT2) als komplexes, kontextabhängiges sowie soziales Wirkungskonstrukt verstanden, welches individualistisch zu betrachten ist. Seidel (2006) stellt dabei heraus, dass eine geistige Beeinträchtigung aufgrund dessen mitunter auf einer sozialen Ebene des Individuums als Beeinträchtigung von Teilhabe gesehen wird. In diesem Zusammenhang gilt es, auch das Konstrukt Teilhabe – und in diesem Kontext Digitale Teilhabe – grundsätzlich individualistisch zu betrachten. Die DDT2 ist als umfassende Definition zu berücksichtigen, die herausstellt, dass der Fokus auf individuelle Konstellationen notwendig ist, um Bedarfe im Einzelfall zu erfassen. Je vielfältiger und individueller die Lebensführung ist, desto schwerer ist es, normative Aussagen zu treffen. Wenn jedoch die Auswahlmöglichkeiten in bestimmten institutionellen Umgebungen oder für bestimmte Personengruppen eingeschränkt oder gar nicht vorhanden sind, deutet das darauf hin, dass auch die realisierte Teilhabe eingeschränkt wird. Bei der Verwirklichung von Teilhabe sollten mögliche Einschränkungen, Hindernisse und Präferenzanpassungen aufgedeckt und berücksichtigt werden. Erfolgt diese Berücksichtigung nicht und werden lediglich Teilhabechancen in den Blick genommen, können Teilhabebarrieren infolge von vorangegangenen individuellen Entscheidungen kaum aufgedeckt werden (Bartelheimer & Henke 2018). Diese Ausführungen sind auch für Digitale Teilhabe übertragbar und anwendbar.

Bezüglich der unspezifischen Beschreibung der ICF von Teilhabe als Einbezogensein in eine Lebenssituation kritisieren bereits Bartelheimer et al. (2020) die fehlenden Hinweise auf klassische sozialwissenschaftliche Bedeutungselemente. Dadurch, dass z. B. die Elemente raum-zeitliche Strukturierung, thematische Bestimmtheit, objektive Gegebenheiten und Ereignishorizonte (Dreitzel 1972) nicht präzise beschrieben werden, sei die Operationalisierung kaum möglich (Bartelheimer et al. 2020). Auf ebendiese Schwierigkeit wurde auch in der Fokusgruppe I hingewiesen und der Bedarf einer Operationalisierung des Ausdrucks Einbezogensein in eine Lebenssituation aufgezeigt (s. Transkript Fokusgruppe I Z. 312–315). Um dieser Problematik entgegenzuwirken, wurden zum einen bei der Formulierung von DDT2 die drei Teilhabedimensionen und ihre Bedeutung sowie der Bezug zu Lebensbereichen in der digitalen Transformation ergänzt. Zum anderen wurde eine Langdefinition entwickelt, die eine ausführliche Operationalisierung zulässt.

9.2.1.3 Multidimensionalität

Wie zuvor aufgezeigt, ist der Teilhabebegriff mehrdimensional angelegt. Um hieran anschlussfähig zu sein, wurde die DDT2 ausgehend von einer multidimensionalen Betrachtung Digitaler Teilhabe erarbeitet. Dabei zeichnete sich bereits beim Scoping Review die Multidimensionalität des Begriffs insofern ab, als dass Teilhabe über die drei Dimensionen an, durch und in digitale(n) Technologien erfolgen kann (Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Mit Blick auf den Digital Disability Divide weist auch Bosse (2016) auf eine multidimensionale Betrachtung hin. Auch wenn in weiterer Literatur der Begriff Digitaler Teilhabe in Bezug auf MgB in der Multidimensionalität kaum verwendet wurde, zeigten sich inhaltsverwandte Begrifflichkeiten, die sich auf eine dieser Dimensionen bezogen. Dabei bestand der Bezug im durchgeführten Scoping Review überwiegend zur ersten Dimension, also zur Teilhabe an digitalen Technologien, was zeigt, dass Digitale Teilhabe überwiegend als zielgruppenorientierter und gleichberechtigter Zugang zu Hardware, Software und Infrastruktur sowie als möglichst selbstständige und selbstbestimmte Nutzung digitaler Technologien verstanden wurde (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021; Amor et al. 2020; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Reichstein 2016; Edler 2015). Ein Fokus auf die zweite Dimension, die Teilhabe durch digitale Technologien (Owuor & Larkan 2017) sowie auf die dritte Dimension, die Teilhabe in digitalen Technologien (Normand et al. 2016; Lussier-Desrochers et al. 2017) wurde hingegen von weniger Studien gelegt.

Die aufgezeigten Dimensionen sowie der Ansatz der Unterscheidung von Teilhabe an, durch und in digitale(n) Technologien wurde zudem in der Fokusgruppe I sowie dem Reflexionsformat I und II bestätigt. Aus dem Reflexionsformat I resultiert eine verstärkte Perspektive auf die erste Dimension (s. Transkript Reflexionsformat I Z. 1153–1154), wobei hier der Fokus auch zwecks Themeneinstieg bewusst auf den realisierten Zugang und die Nutzung digitaler Technologien durch die Teilnehmenden gelegt wurde. Dennoch wurde deutlich, dass die zweite Dimension eine wesentliche Rolle spielt, da Möglichkeiten der Aufrechterhaltung von Kontakten sowie Informationsgewinn durch digitale Technologien thematisiert wurden (s. Transkript Reflexionsformat I Z. 1168–1170). Auch im Reflexionsformat II wurde die zweite Dimension stärker in den Fokus gerückt, indem auch der eigene Kompetenzgewinn durch digitale Technologien diskutiert wurde (s. Transkript Reflexionsformat II Z. 689–693, 721–729). Die Ergebnisse der Diskussion in der Fokusgruppe I stützen die definierte Multidimensionalität des Begriffs, da hier die Relevanz der umfassenden Betrachtung aller drei Dimensionen Digitaler Teilhabe herausgestellt wurde (s. Transkript Fokusgruppe I Z. 427–428, 384–387).

Auch im letzten methodischen Schritt, der quantitativen Befragung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe, finden sich die drei Dimensionen in den Freitextfeldern zum Verständnis Digitaler Teilhabe wieder. Auffällig ist hier, dass wie im Scoping Review zuvor erkannt, auch in der quantitativen Befragung überwiegend Begriffsverständnisse deutlich werden, die der ersten Dimension zuzuordnen sind. Digitale Teilhabe wird von befragten Mitarbeitenden überwiegend als Teilhabe an digitalen Technologien verstanden, wobei die Ermöglichung des Zugangs zu digitalen Technologien oder die Verbesserung von Zugangsvoraussetzungen für sie im Fokus steht. Ebenso zeigen sich Bezüge zu der Dimension Teilhabe in digitalen Technologien, wobei die Beispielangaben der Mitarbeitenden „Möglichkeit sich in Foren oder Social-Media-Kanälen auszutauschen, Webseiten gestalten oder Postings“ (s. Freitextantworten quantitative Befragung 512, 575, 619) sehr ähnlich sind zu den berichteten Erfahrungen zur Teilhabe in digitalen Technologien von den Teilnehmenden im Reflexionsformat I (s. Transkript Reflexionsformat I Z. 197–202, 326–333, 351–359, 413, 415–418, 445–446, 576–578).

Bei einem etwas geringeren Teil der Mitarbeitenden spiegelt sich auch ein zweidimensionales Verständnis Digitaler Teilhabe im Sinne der Teilhabe an und in digitalen Technologien wider. In diesem zweidimensionalen Verständnis wird gleichermaßen die Ermöglichung des Zugangs und der Nutzung als Digitale Teilhabe betrachtet sowie die Möglichkeiten aktiv in digitalen Räumen zu kommunizieren, zu gestalten und sozial zu interagieren (s. Freitextantworten quantitative Befragung 50 H, 322, 361, 168 H). Die Annahme, dass Digitale Teilhabe über die Verwendung digitaler Endgeräte hinausgeht und ebenso das Heranführen an digitale Technologien oder das Integrieren in digitalen Räumen umfasst, wird demnach auch von Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe vertreten.

Zur Dimension Teilhabe durch digitale Technologien enthalten die Freitextantworten wenige Bezüge. Dennoch verstehen einige Mitarbeitende der Eingliederungshilfe die Nutzung assistiver Technologien und die damit entstehenden Möglichkeiten, ohne Hilfe Dritter zu kommunizieren oder an Informationen sowie Hilfe zu gelangen, als Digitale Teilhabe (s. Freitextantworten quantitative Befragung 70 H, 180, 411, 556).

Darüber hinaus wies das in der quantitativen Befragung ermittelte Verständnis Digitaler Teilhabe als Teilhabeunterstützung durch soziale Strukturen eine enge Verbindung zum Arbeitskontext der Mitarbeitenden auf. Dabei wurde deutlich, dass Digitale Teilhabe von Mitarbeitenden als ihre eigene Aufgabe gesehen wird, zum Teil sogar als Übertrag der „analogen“ Aufgabenbereiche in digitale Räume (s. Freitextantworten quantitative Befragung 470). Die Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe verstehen unter Digitale Teilhabe mitunter konkrete Aufgaben, wie die Unterstützung und Begleitung des Klienten bei der Beschaffung digitaler Technologien, bei Aktivitäten im Internet oder beim Lernprozess, der darauf zielt, digitale Prozesse oder Prozesse in digitalen Räumen besser zu verstehen (s. Freitextantworten quantitative Befragung 15 H, 551, 614). Dies deutet darauf hin, dass die digitale Transformation in Lebensbereichen nicht mehr in Abgrenzung zur Teilhabe zu betrachten ist, sondern als Bestandteil wahrgenommen wird. Digitale Teilhabe wird jedoch auch von einigen wenigen Befragten (0,61 %) nicht mit direktem Bezug auf die eigene Arbeit mit Klienten verstanden, sondern mit Digitalisierung in der Eingliederungshilfe gleichgesetzt (s. Freitextantworten quantitative Befragung, 150 H, 151 H). Hier lässt sich vermuten, dass Mitarbeitende, die einen Arbeitsbezug zur Digitalen Teilhabe oder sich mindestens thematisch damit auseinandergesetzt haben, diese auch eher als Bestandteil der Arbeit betrachten und die Verzahnung der analogen sowie digitalen Elemente in der Arbeit wahrnehmen. Mitarbeitende, die keinen Arbeitsbezug zu Digitaler Teilhabe haben und sich thematisch noch nicht damit auseinandergesetzt haben, nehmen vermutlich eine etwas abstraktere Perspektive ein. Um eine abschließende Erklärung zu finden, ist jedoch weitere Forschung bzgl. des Verständnisses Digitaler Teilhabe aus der Perspektive der Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe notwendig. Insgesamt zeugen die dargelegten Fokusse auf eine oder mehrere Dimensionen von einem sehr heterogenen Verständnis Digitaler Teilhabe. Dies lässt jedoch nicht darauf schließen, dass einzelne Dimensionen außer Acht gelassen oder priorisiert werden. Vielmehr stützt es die Notwendigkeit der multidimensionalen Perspektive der DDT2, um ein umfassendes Verständnis Digitaler Teilhabe für den Diskurs in der Wissenschaft und Praxis entwickeln zu können und eine entsprechende Berücksichtigung in der wissenschaftlichen sowie praktischen Arbeit zu erreichen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Die im Rahmen der vorliegenden Forschungsarbeit entwickelte Definition Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (DDT2) kann unter kritischer Reflexion als ein umfassendes Begriffsverständnis Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe gesehen werden, welches die Inhalte der literaturbezogenen, qualitativen sowie quantitativen Forschung berücksichtigt. Ob die Aussagekraft der Definition über die Zielgruppe der MgB hinausgeht, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilt werden. Daher ist nicht auszuschließen, dass das Verständnis Digitaler Teilhabe bei Betrachtung anderer Zielgruppen vom dargelegten Verständnis abweicht. Auch die Vermutung, dass die Kernaussagen der DDT2 zur Individualität sowie Multidimensionalität in Bezug auf eine allgemeinere Personengruppe zutreffend sind, liegt zwar nahe, müsste jedoch in weiterer Forschungsarbeit geprüft werden.

Deutlich wird jedoch, dass die Komplexität und Multidimensionalität des Begriffsverständnisses von Digitaler Teilhabe von MgB die ganzheitliche Betrachtung Digitaler Teilhabe eines Individuums erschweren kann.

9.2.1.4 Vereinfachung

Über die Kurz- und die Langdefinition DDT2 hinaus wurde im Rahmen eines Prüfgruppenprozesses eines Übersetzungsbüros für Leichte Sprache eine Definition Digitaler Teilhabe in Leichter Sprache (DDT-LS) entwickelt, um einen niedrigschwelligen Zugang zu der komplexen Thematik zu ermöglichen. Insbesondere, wenn der Begriff Digitale Teilhabe in der Eingliederungshilfe Berücksichtigung finden soll, ist es maßgeblich, sprachliche Barrieren möglichst abzubauen und die sprachliche Bedeutung klar zu kommunizieren. Die DDT-LS soll hierbei unterstützen, indem die Formulierungen in Leichter Sprache – trotz des hohen Abstraktionsniveaus des Begriffs Digitaler Teilhabe – eine höhere Wahrnehmbarkeit und Verständlichkeit des Inhalts ermöglichen (Maaß & Bredel 2019).

Die DDT-LS verankert trotz der Komplexität des Begriffs all seine Kernaspekte. Die Begrifflichkeiten Teilhabe, Digitalisierung, digital und der Zusammenhang zu Digitaler Teilhabe werden erklärt. Auch die Multidimensionalität wird durch je ein Beispiel aufgezeigt. Vermutlich wäre eine Vertiefung der Dimensionen inhaltlich sinnvoll, um die verschiedenen Ausprägungen voneinander abzugrenzen und abzubilden. In Anbetracht der bisherigen Länge der DDT-LS wäre eine solche Vertiefung jedoch nicht zielführend. Zudem wird auf Chancen und Risiken durch die Nutzung digitaler Technologien eingegangen. Eine Abweichung von der DDT2 stellt die inhaltliche Ausführung des gesetzlichen Kontextes bzgl. Digitaler Teilhabe dar. Diese Ausführung wurde vorgenommen, um die Verbindung zum gesetzlichen Anspruch auf Teilhabe aufzuzeigen.

Wie bereits im Rahmen der Methodendiskussion (s. Abschnitt 9.1.3, S. 420) aufgezeigt, zeugte der Prüfgruppenprozess von einer intensiven und regelgeleiteten Auseinandersetzung mit dem Thema Digitale Teilhabe. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die DDT-LS mit Abschluss des Prüfgruppenprozesses den Begriff Digitale Teilhabe nach dem Verständnis der DDT2 im Kern erfasst und niedrigschwellig beschreibt. Wie bereits in Abschnitt 9.1.3 (s. S. 420) angemerkt, gilt es, die angesprochene ambivalente Konzeptualisierung der Leichten Sprache in der öffentlichen Wahrnehmung zu berücksichtigen. Dennoch bleibt das Konzept der Leichten Sprache aus politischer Perspektive ein relevantes Instrument zur Implementierung von Teilhabe für Personen mit Kommunikations-, Lese- und Schreibeinschränkungen (ebd.).

9.2.2 Modell Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe

Neben den Definitionen wurde zur Abbildung des komplexen Konstruktes auch ein Modell Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (MDT4) entwickelt. Dabei wurde der literaturbasierte Modellentwurf (MDT1) durch die Perspektiven wissenschaftlicher und praxisbezogener Experten sowie der Zielgruppe MgB in unterschiedlichen Forschungsformaten angereichert und weiterentwickelt. Die potenziellen Einflussfaktoren des finalen MDT4 wurden im Rahmen der quantitativen Befragung getestet.

9.2.2.1 Zusammenfassung des MDT4

Aus den vorgestellten Ergebnissen zur DDT2 können personenbezogene, umweltbezogene sowie auf digitale Technologien bezogene Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe für das MDT4 abgeleitet werden. Es gelten die angeführten Limitationen des zugrunde liegenden theoretischen Bezugsrahmens sowie der Grundsatz der Individualität und Multidimensionalität wie für DDT2.

Das MDT4 gibt einen Überblick über die Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe, die im Rahmen des Scoping Reviews, der Reflexionsformate I und II sowie der Fokusgruppe I identifiziert und zum Teil durch die quantitative Befragung überprüft wurden. Die nachfolgende Reflexion des MDT4 (s. Abschnitt 8.3.1.7, S. 342) wird zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage „Welche hemmenden und fördernden Faktoren determinieren Digitale Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung in der Eingliederungshilfe?“ genutzt.

Zur Abbildung Digitaler Teilhabe wurde sich in Abstimmung mit der Fokusgruppe I gegen eine lineare und für eine zyklische Darstellung entschieden, um die Dynamik sowie die Verzahnung der Teilhabe sowie der einzelnen potenziellen Einflussfaktoren zu verdeutlichen (s. Transkript Fokusgruppe I Z. 872–874, 880–882). Die Interpretation des MDT4 erfolgt auf zwei Faktorenebenen. Zwischen dem ersten Zahnrad (Teilhabe in der Gesellschaft) und dem äußeren Ring (Teilhabe an, durch und in digitale[n] Technologien) besteht eine Verbindung, die die drei Dimensionen Digitaler Teilhabe als Bestandteil der gesellschaftlichen Teilhabe beschreibt. Aus der bisherigen Datenlage konnten keine Aussagen zur Einflussnahme von Faktoren auf Digitale Teilhabe gewonnen werden, da Digitale Teilhabe nicht in der Multidimensionalität betrachtet wurde, wie in der Definition festgehalten. Jedoch wurde eine Einflussnahme hinsichtlich der unterschiedlichen Dimensionen erkannt (s. Abschnitt 8.1.4, S. 193). Das MDT4 dient somit als erstes Modell zur Beschreibung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe.

Das zweite Zahnrad erfasst die Oberkategorien der einflussnehmenden Faktoren. Hierzu gehören personenbezogene, umweltbezogene und auf digitale Technologie bezogene Faktoren. Die Unterteilung der Faktoren in personen- und umweltbezogene ist an die ICF angelehnt, die, wie bereits beschrieben, den theoretischen Bezugsrahmen der Definition darstellt. Erweitert wurden die beiden Ebenen um auf digitale Technologie bezogenen Faktoren, die über das Scoping Review als Determinanten identifiziert wurden (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Normand et al. 2016; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Shpigelman 2017; Louw, Kirkpatrick & Leader 2019; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Die nachfolgende Diskussion wird auf der Ebene des dritten Zahnrades vorgenommen.

9.2.2.2 Personenbezogene Faktoren

Nachfolgend werden die identifizierten personenbezogenen Einflussfaktoren auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe inhaltlich diskutiert.

Soziodemografische Faktoren

Hinsichtlich soziodemografischer Faktoren zeigen sich vorrangig Alter, Geschlecht, Bildung und Einkommen als Einflussfaktoren auf mindestens eine Dimension Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe.

So zeigt sich ein höheres Alter als hemmend bzgl. des Vorhandenseins von digitalen Endgeräten (ebd.), der Nutzung von Chat- und Instant-Messaging-Programmen (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011), der Nutzung digitaler Technologien im Allgemeinen (Bosse & Hasebrink 2016), der Nutzung von Online-Bildungsmöglichkeiten (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013) sowie des allgemeinen Interesses an Digitalisierung (Heitplatz 2020). Auch im Rahmen der quantitativen Befragung von Mitarbeitenden zur Fremdeinschätzung der MgB konnte ein signifikanter Einfluss des Alters (p < .001) auf die RDT festgestellt werden. Entsprechend der multiplen linearen Regression ergibt sich, dass für jedes zusätzliche Lebensjahr des MgB die RDT um 0.053 Punkte abnimmt (s. Tab. 8.9, S. 392).

Ein Einfluss des Geschlechts auf Digitale Teilhabe scheint jedoch nicht gegeben. Die bisherige Forschung konnte hinsichtlich des Geschlechts von MgB keinen Unterschied in der Nutzung digitaler Endgeräte und der Nutzungshäufigkeit (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021); der Nutzung von Chat- und Instant-Messaging-Programmen (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011) oder der Überbeanspruchung digitaler Technologien (Jenaro et al. 2017) feststellen. Ausschließlich in Bezug auf Spiele, E-Mails und Navigationsfunktionen wurde eine leicht höhere Nutzung bei männlichen MgB festgestellt (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). In der vorliegenden quantitativen Befragung konnte in der Stichprobe von männlichen und weiblichen MgB (50,7 % vs. 42,9 %) kein signifikanter Zusammenhang zwischen Geschlechtern und RDT festgestellt werden. Die Regressionsgleichung deutet jedoch darauf hin, dass die RDT bei weiblichem bzw. diversem Geschlecht im Vergleich zu männlichen MgB um 0.598 Punkte zunimmt. Im Vergleich zu bisherigen Erhebungen in der Allgemeinbevölkerung zeigt die Annahme zum Geschlecht in der Regressionsgleichung ein konträres Bild. Die D21-Studie stellt heraus, dass eher Männer als Frauen digital unterwegs sind (Initiative D21 e. V. 2018). Die Vergleichbarkeit der Ergebnisse ist jedoch aufgrund unterschiedlicher Studiendesigns limitiert.

Weiter wurde erkannt, dass MgB mit einem niedrigen sozioökonomischen Status eher keinen oder einen geringen Zugang zu digitalen Technologien haben bzw. diese nicht oder weniger nutzen (Berger et al. 2010; Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Normand et al. 2016; Jenaro et al. 2017; Lussier-Desrochers et al. 2017; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Heitplatz, Bühler & Hastall 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Hohe Kosten werden dabei mit einem eingeschränkten technischen Zugang assoziiert. Darunter fallen Beschaffungskosten von Hardware und Software sowie Internet (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Berger et al. 2010; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Heitplatz, Bühler & Hastall 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021), Kosten von Updates und speziellen Funktionen (Haage & Bühler 2019; Bosse & Haage 2020), Fixkosten sowie Kosten für spezifische Anfertigungen, die durch die Beeinträchtigung bedingt sein können (Normand et al. 2016; Lussier-Desrochers et al. 2017). Ebenso werden Bildungsprogramme und Schulungen eher nicht angenommen, wenn die Kosten für die Teilnahme subjektiv als zu hoch eingeschätzt werden (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Ein niedriges Einkommen sowie die Sozialhilfe als einzige Einkommensquelle sind Hindernisse für den technischen Zugang (Louw, Kirkpatrick & Leader 2019). Ein weiterer Zusammenhang besteht zwischen der Internetnutzung und der Bildung. MgB mit höherem Bildungsgrad nutzen eher das Internet als MgB mit niedrigerem Bildungsgrad (Amor et al. 2020). Ebenso wurde der hemmende Einfluss eines niedrigen sozioökonomischen Status auf Digitale Teilhabe in den Reflexionsformaten qualitativ bestätigt, da die Teilnehmenden unter anderem eher preiswerte digitale Endgeräte nutzen und auf die Anschaffung von kostenintensiveren digitalen Endgeräten aufgrund geringer finanzieller Mittel verzichten müssen (Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Im Rahmen der vorliegenden quantitativen Befragung wurden Bestandteile des sozioökonomischen Status verwendet, um eine Einschätzung zum sozioökonomischen Status zu erhalten. Erfragt wurde der Bildungs- und Berufsstand sowie die Einschätzung, ob die monatliche Nettohaushaltssumme von dem jeweiligen MgB als ausreichend empfunden wird. Auch wenn die kognitiven Pretests keinen Hinweis auf eine Einschätzungsproblematik zum Bildungs- und Berufsstand lieferten, konnten jeweils mehr als 20 % der Mitarbeitenden die Fragen zum Bildungs- und Berufsstand der MgB in der quantitativen Befragung nicht beantworten (s. Tab. 8.4, S. 335). Diese Faktoren konnten entsprechend nicht in der Regression berücksichtigt werden und wurden somit keiner Signifikanzprüfung unterzogen. Eine Überprüfung der Einflussnahme des sozioökonomischen Status sollte demnach in der Folgeforschung aufgegriffen werden.

Gesundheitliche Ressourcen

Als weiterer Aspekt zeigte sich in bisheriger Forschung das Vorliegen einer Mehrfachbeeinträchtigung als einflussnehmend auf die Nutzung digitaler Technologien. Je komplexer die Beeinträchtigung, desto geringer war die Nutzung digitaler Technologien (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Auch der Schweregrad der Beeinträchtigung wurde als Einflussfaktor und Ursache für Herausforderungen in der Internetnutzung herausgestellt (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Zudem konnte in vorherigen Studien nachgewiesen werden, dass beeinträchtigungsbedingte kognitive Herausforderungen bei der Internetnutzung vorliegen (Berger et al. 2010; Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Bosse & Hasebrink 2016; Normand et al. 2016; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Lussier-Desrochers et al. 2017; Shpigelman 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019; Louw, Kirkpatrick & Leader 2019). Im Rahmen der quantitativen Befragung wurden jedoch keine signifikanten Effekte einer Mehrfachbeeinträchtigung sowie des Schweregrades der geistigen Beeinträchtigung auf die RDT von MgB in der Eingliederungshilfe nachgewiesen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Teilnehmenden der quantitativen Befragung fast ausschließlich Klienten ausgewählt haben, die eine Mehrfachbeeinträchtigung haben (95,3 %) und die Einflussnahme einer Mehrfachbeeinträchtigung daher schwierig zu beurteilen ist. Eine weitere Untersuchung mit einer Stichprobe, die auch MgB ohne Mehrfachbeeinträchtigung einschließt, zeigt sich als schwierig: Wie bereits im Kapitel 2 (s. S. 9) herausgestellt, sind MgB zumeist von einer Mehrfachbeeinträchtigung betroffen (Lingg & Theunissen 2018). Eine kontrollierte Stichprobe, die auch MgB ohne Mehrfachbeeinträchtigung einschließt, würde somit nicht die Realität widerspiegeln.

Die Verteilung bzgl. des Schweregrads der geistigen Beeinträchtigung der ausgewählten Klienten zeigt einen Schwerpunkt auf Klienten, die überwiegend als etwas oder ziemlich schwer geistig beeinträchtigt eingeschätzt werden. Hier könnte eine weitere Untersuchung mit einer Stichprobe, die einen größeren Anteil der wenig oder stark geistig beeinträchtigten MgB erfasst, Aufschluss darüber geben, ob die nicht vorhandene Signifikanz reproduziert werden kann. Dabei ist auch die Erfassung einer geistigen Beeinträchtigung kritisch zu diskutieren. Die Diagnostik geistiger Beeinträchtigung bedarf multidimensionaler „Testkonstrukte, die differenziert Interessen und ressourcenbezogene Persönlichkeitsaspekte, Teilhabeeinschränkungen sowie Unterstützungsbedarfe“ (s. Eigner 2022, S. 430) erfassen. Entsprechend ist ein umfassendes Assessment notwendig, um eine Aussage zu dem Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung treffen zu können. Wie bereits in Abschnitt 2.2 (s. S. 13) angeführt, erlaubt der Einbezug des IQ ausschließlich eine Aussage über eine mögliche Intelligenzminderung. Er erlaubt jedoch keine Aussage über das Vorliegen einer geistigen Beeinträchtigung, wenn diese gemäß der ICF als Einschränkung in einer ganzheitlichen Lebenssituation erfasst wird (ebd.; DIMDI 2005). Zur Feststellung einer geistigen Beeinträchtigung sollten entsprechend Konstellationen standardisierter Konstrukte zur Messung der Intelligenz und des Entwicklungsstandes sowie individualisierte Testkonstrukte verwendet werden, um die ganzheitliche Lebenssituation zu erfassen. Die Zusammenstellung sowie Durchführung solcher Testverfahren bedürfen hoher diagnostischer Qualifikation (Eigner 2022) und sind entsprechend nicht durch Laien durchzuführen. In der vorliegenden quantitativen Befragung war die diagnostische Erhebung der geistigen Beeinträchtigungen der betrachteten Klienten nicht notwendig, da diese Information bereits durch die Tatsache der Versorgung im Rahmen der Eingliederungshilfe bzw. die Beanspruchung von Teilhabeleistungen sowie die Zielgruppendefinition der MgB als Voraussetzung zur Teilnahme an der Befragung bekannt war. Ein Restrisiko, dass die teilnehmenden Mitarbeitenden einen Klienten auswählen, der nicht der Zielgruppendefinition entspricht, bleibt dennoch bestehen. Um im Rahmen der Befragung eine Einschätzung zu kognitiven Leistungen des Klienten (Lern-, Denk-, Orientierungs- und Erinnerungsvermögen) zu gewinnen und somit geistige Beeinträchtigung näher zu operationalisieren, wurde ein Fragenkonstrukt nach Kersting et al. (2020) genutzt. Dieses ermöglicht eine effiziente Einschätzung unter der Limitation einer eingeschränkten Sicht auf die Komplexität geistiger Leistungen. Interessant wäre die Untersuchung, inwiefern sich umfassendere diagnostische Testkonstrukte geistiger Beeinträchtigung auf das Konstrukt Digitale Teilhabe auswirken.

Digitale Kompetenzen

In der quantitativen Befragung konnte der signifikante Einfluss digitaler Kompetenzen von MgB auf Digitale Teilhabe nachgewiesen werden. Bereits Normand et al. (2016) stellten fest, dass technische Kompetenzen für den Umgang mit digitalen Technologien, die Vermeidung von Risiken sowie das Lösen von Problemen notwendig ist. Die Entwicklung solcher Kompetenzen kann jedoch durch Beeinträchtigung in der Lern- und Denkfähigkeit verlangsamt oder eingeschränkt werden. Auch Bosse und Hasebrink (2016) sowie Kalcher und Kreinbucher-Bekerle (2021) erfassten bei MgB eine geringe Interneterfahrung sowie fehlende digitale Kompetenz als hemmende Faktoren auf die Nutzung digitaler Technologien. Die berichteten Erfahrungen der MgB in den Reflexionsformaten I und II sowie die Erfahrungen der Experten in der Fokusgruppe I bestätigten einen Einfluss geringer digitaler Kompetenzen auf die Sicherheit und eigenständige Nutzung digitaler Technologien. Die quantitative Befragung zeigt, dass die Mitarbeitenden die digitalen Kompetenzen der Klienten als überwiegend sehr gering bis gering einschätzen (71,0 %), wobei der Kompetenzbereich mit der geringsten Kompetenzeinschätzung der Bereich „Problemlösung“ ist. Begründen lässt sich eine solche Einschätzung in diesem Bereich gegebenenfalls damit, dass Mitarbeitende vor allem beim Auftreten von Problemen in der Nutzung digitaler Technologien von den Klienten konsultiert werden und der Unterstützungsbedarf sowie die fehlende Kompetenz entsprechend stärker auffällt. Das Resultat der Befragung unterstreicht dabei eine positive Einflussnahme höherer digitaler Kompetenzen (p < .001) auf die RDT von MgB in der Eingliederungshilfe. Der Regressionskoeffizient zeigt, dass für jeden Punkt in den digitalen Kompetenzen des Klienten die RDT um 0.436 Punkte zunimmt. Kritisch zu diskutieren ist dabei das verwendete Messinstrument. Mit dem zugrundeliegenden DigComp 2.0 wurde auf einen Referenzrahmen der Europäischen Kommission zurückgegriffen, der als umfassendes Modell zur Selbsteinschätzung und Orientierung für Länder, Institutionen sowie für Bildungseinrichtungen und Verbände gilt (European Commission 2016). Trotz der Etablierung in der Forschung ist die umfassende Abbildung digitaler Kompetenzen durch die Komplexität, Dynamik und Multidimensionalität erschwert und unterliegt somit der Gefahr, über vorhandene Instrumente nicht in seiner Gänze erfasst werden zu können. Bereits Soßdorf (2023) stellte heraus, dass aktuelle Kompetenzmodelle wie der DigComp 2.0 auf einer technologischen Perspektive der Digitalisierung fußen und den selbstbestimmten sowie kritischen Umgang mit digitalen Technologien fokussieren. Sie erlauben kaum eine kulturorientierte Perspektive auf die Digitalität. Demnach fehlen in bisherigen Kompetenzmodellen potenziell relevante Kompetenzbereiche, die eine ganzheitliche Betrachtung der Wechselwirkung digitaler und analoger Elemente erlauben und damit zusammenhängende Kompetenzfelder abdecken können. Solche Kompetenzbereiche müssen jedoch zunächst identifiziert und ergänzt werden, um „die benötigten Fähigkeiten für ein digital kompetentes Leben und zur selbstbestimmten gesellschaftlichen Teilhabe in einer Kultur der Digitalität“ (s. ebd., S. 265) erfassen zu können.

In diesem Kontext wurden auch Ansätze der Vermittlung digitaler Kompetenzen für MgB diskutiert. Eine Schlüsselrolle wird dabei den digitalen Kompetenzen der Nutzenden zugeschrieben (s. Transkript Fokusgruppe I), wobei ein selbstsicherer Umgang mit digitalen Technologien durch Workshops und weitere Lernmöglichkeiten erreicht werden kann (s. Transkript Reflexionsformat II). Die bisherige Forschung zeigt: Um die digitalen Kompetenzen und Zugangsmöglichkeiten der Zielgruppe langfristig zu erhöhen, ist das Vorhandensein und die Nutzung von Mentoring- und Trainingsprogrammen zur Kompetenzvermittlung essenziell (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Bosse & Hasebrink 2016; Heitplatz 2020). Zugleich wird aufgezeigt, dass bisher nur geringfügig Ansätze zur Kompetenzvermittlung etabliert sind (Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Amor et al. 2020) bzw. in Entwicklungskonzepten der Eingliederungshilfe Berücksichtigung finden (Bosse & Hasebrink 2016). Auch die Einschätzung der Mitarbeitenden aus der vorliegenden quantitativen Befragung zeigt, dass mehr als zwei Drittel (66,7 %) der betrachteten Klienten bislang keine Schulung zu Digitaler Teilhabe besuchen wollten oder konnten. Dies weist darauf hin, dass entweder nur geringfügig Schulungen zur Verfügung stehen oder kein Bedarf gesehen wird. Aufschluss zu den näheren Beweggründen könnte durch weitere Forschung gegeben werden.

Technikbereitschaft

Als Teilaspekt der Technikbereitschaft werden im Zusammenhang mit Digitaler Teilhabe eine positive Einstellung zu digitalen Technologien (Edler 2015) sowie eine hohe Motivation, diese zu nutzen (Berger et al. 2010; Heitplatz, Bühler & Hastall 2020), als fördernde Faktoren gesehen. In Bezug zur Nutzungsintention wird eine negative Einstellung gegenüber digitalen Technologien jedoch mit dem Fehlen eines subjektiven Mehrwerts gesehen (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Heitplatz 2020). Ähnliche Ergebnisse lieferten die Reflexionsformat I und II. So wird ein Zusammenhang zwischen der Einstellung zu digitalen Technologien und der Nutzungsintention aufgezeigt. Weiter wird deutlich, dass die einzelnen Aspekte der Technikakzeptanz von großer Bedeutung sind, teilweise jedoch zu kurz greifen. Besonders Begriffe der Nutzungsmotivation und Nutzungswünsche wurden vor dem Hintergrund diskutiert, dass MgB von etwas technisch partizipieren. Mit Blick auf Digitale Teilhabe umfassen Nutzungswünsche und -motivation allerdings mehr und meinen ebenso die Schaffung eines gesellschaftlichen Mehrwerts mithilfe digitaler Technologien. Darüber hinaus wird in der Literatur eine geringe Erfahrung im Umgang mit dem Internet als hemmend für Digitale Teilhabe erkannt (Bosse & Hasebrink 2016; Ramsten et al. 2017; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Die quantitative Befragung konnte hierzu jedoch keine Auskunft über signifikante Effekte geben, da die Fragen zur Technikerfahrung sowie zur Technikbereitschaft lediglich an die Mitarbeitenden adressiert wurden, die einen Klienten ausgewählt haben, der das Internet nutzt. Da dieser Anteil bei 52,1 % lag, mussten knapp die Hälfte der Fälle aus der Regression ausgeschlossen werden. Um einen signifikanten Einfluss auf die RDT zu überprüfen, ist weitere Forschung notwendig. Zudem ist anzumerken, dass knapp ein Drittel der Mitarbeitenden keine Einschätzung vornehmen konnten, wie lange der Klient bereits über Technikerfahrung verfügt. Hier kann der Einsatz eines anderen Erhebungsformates sinnvoll sein, entsprechend ist die Möglichkeit einer Selbsteinschätzung durch die Klienten zu prüfen. Gleiches gilt für die Erhebung der Technikbereitschaft, die durch subjektives Empfinden geprägt ist. Die Komponenten des gewählten Erhebungskonstrukts nach Schauffel et al. (2021) erwiesen sich bereits in den Pretests als Herausforderung, woraufhin der Frageblock zur Technikkontrollüberzeugung aus der Fremdeinschätzung entfernt wurde. Auch hier ist die Möglichkeit zu prüfen, eine Anpassung des Konstruktes vorzunehmen, um eine Selbsteinschätzung durch MgB zu ermöglichen.

9.2.2.3 Umweltbezogene Faktoren

Neben personenbezogenen Faktoren erwiesen sich auch umweltbezogene Faktoren als einflussnehmend auf Digitale Teilhabe von MgB.

Wohn- und Betreuungsform

Als Wohn- und Betreuungskontext werden mit Blick auf die Eingliederungshilfe unterschiedliche Hilfestrukturen verstanden, die die selbstständige Lebensführung infolge der körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen unterstützen. Für MgB erfolgt die Regelung der ihnen zustehenden Leistungen über die Hilfestrukturen der Eingliederungshilfe (Kruse & Tenbergen 2019). Die Wohn- und Betreuungsform der MgB stellen einen möglichen Einflussfaktor auf Digitale Teilhabe dar, indem bisherige Forschung auf einen geringeren Zugang zu digitalen Technologien in Wohneinrichtungen hinweist (Bosse, Zaynel & Lampert 2018; BMAS 2021). Durch diese Einschränkung im Zugang kommt es beispielsweise zu Unterschieden in der Nutzung digitaler Technologien bei MgB in stationären Einrichtungen (besonderen Wohnformen), im Vergleich zu ambulant betreuten Wohnformen (Wilke 2015). Durch die quantitative Befragung konnte kein signifikanter Einfluss der Wohn- und Betreuungsform auf die RDT nachgewiesen werden. Der Großteil der betrachteten Klienten in der vorliegenden quantitativen Befragung (79,2 %) wohnt in einer Einrichtung der Eingliederungshilfe, wohingegen 15,2 % der betreuten Klienten derzeit privat zur Miete, im Eigentum oder bei Familienangehörigen wohnen. Der Vergleich mit bisherigen Statistiken ist hier nicht zielführend, da keine einheitliche Erhebungsgrundlage besteht. So unterscheidet beispielsweise der aktuelle BAGüS-Report bei der Wohn- und Betreuungsform zwischen ambulant und stationär (BAGüS 2020). Um den Einfluss der Wohn- und Betreuungsform in weiterer Forschung anhand möglichst realitätsnaher Verteilungen zu überprüfen, wäre eine Stichprobe mit einem größeren Anteil von Klienten in ambulanten Wohnsettings notwendig.

Was jedoch in der Diskussion der Wohn- und Betreuungsform in der quantitativen Befragung als signifikant einflussnehmend identifiziert wurde, ist die technische Infrastruktur, die sich über die Häufigkeit des Internetzugangs in der Wohneinrichtung für private Zwecke (p = .034) darstellt. Entsprechend der Regressionsgleichung nimmt die RDT pro Kategorie (privater Internetzugang in der Einrichtung ist für den MgB nie, zeitweise oder jederzeit möglich) um 0.658 Punkte zu. Die bisherige Literatur zeigt dahingehend auf, das eine unzureichende oder fehlende technische Infrastruktur bzw. das Nicht-Vorhandensein eines Internet- und Stromanschlusses zu einer geringeren Internetnutzung führen kann (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Lussier-Desrochers et al. 2017; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Amor et al. 2020; Heitplatz & Sube 2020).

Unterstützung durch soziale Strukturen

Ein weiterer Einflussfaktor ist die Unterstützung durch soziale Strukturen. Damit sind übergreifend Personen im (in)formellen Umfeld des MgB bzw. das soziale Netzwerk gemeint. In vorherigen Studien wurden soziale Strukturen bereits als bedeutsam für den Zugang zu sowie die Aneignung und Nutzung digitaler Technologien herausgestellt (Edler 2015; Jenaro et al. 2017; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Vor allem die Betreuenden der MgB nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein (Berger et al. 2010; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019), da sie die Internetnutzung (Berger et al. 2010) sowie den Zugang zu digitalen Technologien von MgB personell und technisch unterstützen (s. Transkript Reflexionsformat I; ebd.). Dabei fungieren die Betreuenden oft als erste Ansprechpartner bei Anwendungsschwierigkeiten (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Auch die vorliegende quantitative Befragung gibt Aufschluss über einen signifikanten Einfluss sozialer Unterstützung (p < .001) auf die RDT. Dabei gilt, dass für jede Einheit (0 bis 5 Punkte) in der sozialen Unterstützung der MgB bei der Umsetzung Digitaler Teilhabe die RDT um 0.404 Punkte zunimmt. Zudem unterstreicht die quantitative Befragung die Relevanz und den Bedarf an Unterstützung durch Mitarbeitende, da 89,1 % der betrachteten MgB durch eben diese unterstützt werden und somit jene Unterstützung damit deutlich über der wahrgenommenen Unterstützung durch An- und Zugehörige, Freunde und Bekannte oder andere Klienten liegt. Hierbei ist jedoch auch anzumerken, dass die Einschätzung durch Mitarbeitende vorgenommen wurde und somit vermutlich die Kenntnis über Unterstützungsleistungen, die durch Mitarbeitende erfolgen, größer ist, während die Kenntnis über Unterstützungsleistungen durch An- und Zugehörige, Freunde und Bekannte oder andere Klienten eher geringer ist. Daher wäre es möglich, dass eine Verschiebung der Anteile von Unterstützungsleistungen zustande käme, wenn An- und Zugehörige, Freunde und Bekannte oder andere Klienten befragt würden. Solche Befragungen wären in der Folgeforschung aufschlussreich. Eine Möglichkeit, die tatsächlichen und nicht nur wahrgenommenen Unterstützungsleistungen durch soziale Strukturen eines Klienten qualitativ zu erheben, wäre die teilnehmende Beobachtung von Klienten im Alltag.

Im Zusammenhang mit dem Bedarf an Unterstützung durch Mitarbeitende werden in der bisherigen Literatur jedoch auch fehlende oder unzureichende Unterstützungsleistungen durch soziale Strukturen aufgrund fehlender zeitlicher Ressourcen aufgezeigt (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Edler 2015; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Heitplatz, Bühler & Hastall 2020; Amor et al. 2020; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Die (medien-)pädagogische Begleitung der MgB durch die Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe bedarf angemessener zeitlicher Ressourcen, die trotz grundsätzlicher Bereitschaft zumeist nicht vorliegen (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Heitplatz 2021b). Eine angemessene Unterstützung bei der Internetnutzung ist angesichts des Personalmangels mit anderen Verpflichtungen und Unterstützungsleistungen im Versorgungsalltag oftmals nicht vereinbar (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013). Die quantitative Befragung zeigt auf, dass die Unterstützung der Klienten bei der Nutzung digitaler Technologien für einen Großteil der Mitarbeitenden (63,6 %) regelmäßig Bestandteil der Arbeit ist. Über die Hälfte der Mitarbeitenden wenden pro Woche bis zu 25,0 % ihrer Arbeitszeit hierfür auf. Dabei ist jedoch anzumerken, dass eine weitere Aufgliederung der Arbeitszeit zwischen 0 bis 25 % mehr Aufschluss über den tatsächlichen Aufwand geben würde. Inwiefern der tatsächliche Aufwand auch den Unterstützungsbedarf der Klienten bzgl. Digitaler Teilhabe deckt, wäre in weiterer Forschung zu untersuchen. In Anbetracht der wahrgenommenen Arbeitsbelastung, die der Großteil der Befragten als deutlich (37,8 %) bzw. etwas (37,2 %) zugenommen empfindet, ist es möglich, dass sich zeitlich knappe Ressourcen auch auf die Unterstützungsleistungen bzgl. Digitaler Teilhabe auswirken.

Digitale Kompetenzen sozialer Strukturen

In Bezug auf die fehlende Unterstützung durch soziale Strukturen weist bisherige Literatur zudem auf einen Zusammenhang mit fehlenden digitalen Kompetenzen der Personen im sozialen Umfeld und der Vermittlung von Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien hin (Ramsten et al. 2017; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Die Fachkräfte verfügen häufig nicht über ein ausreichendes Überblickswissen, wodurch Potenziale von digitalen Technologien für MgB oftmals verborgen bleiben. Zudem sind Fachkräfte in ihrer eigenen digitalen Kompetenz oft verunsichert und fühlen sich häufig nicht in der Lage, MgB bei der Aneignung digitaler Kompetenz zu unterstützen (Mihajlovic 2012; Zaynel 2016). Die quantitative Befragung zeigt jedoch, dass die Mitarbeitenden ihre digitale Kompetenz als überwiegend hoch oder sehr hoch (72,3 %) einschätzen. Unter der Berücksichtigung eines möglichen Antwortverhaltens zur sozialen Erwünschtheit stehen diese Erkenntnisse der bisherigen Forschung konträr gegenüber. Einen möglichen Einfluss kann hier auch die verhältnismäßig junge Stichprobe haben, da fast die Hälfte der Teilnehmenden der Altersgruppe der 21- bis 40-Jährigen angehört, die eher mit digitalen Technologien aufgewachsen ist und durch die digitale Transformation sozialisiert wurde.

Hier ist limitierend zu erwähnen, dass das EIDT3 ausschließlich die Kompetenzselbsteinschätzungen der Mitarbeitenden sowie die Fremdeinschätzung für die MgB erfasst. Es werden keine standardisierten Kompetenztests durchgeführt, weshalb der Zusammenhang zwischen der vorgenommenen Selbsteinschätzung zu digitalen Kompetenzen und den tatsächlichen digitalen Kompetenzen der befragten Person vorhanden sein sollte (Krumsvik 2014). Wie auch bereits Rubach und Lazarides (2019) in einem anderen Forschungskontext feststellten, ist die standardisierte Erfassung digitaler Kompetenzen von Mitarbeitenden zur Selbsteinschätzung sowie zur Fremdeinschätzung und damit zusammenhängender Methoden der Annahme eines Zusammenhangs zwischen digitalen Kompetenzselbsteinschätzungen und der realen digitalen Kompetenz als Forschungsbedarf zu betrachten (ebd.).

Mentoring- und Trainingsprogramme für soziale Strukturen

Um als Mitarbeitender in der Eingliederungshilfe selbst Sicherheit im Umgang mit digitalen Technologien sowie in der Vermittlung von Kenntnissen an Dritte zu erhalten, bedarf es neben Zeit auch unterstützender Strukturen im Arbeitskontext, die die Aneignung fördern. In diesem Kontext wird die Nutzung von Mentoring- und Trainingsprogrammen für Betreuende als Mittel zur Reflexion von Bedarfen und Bedürfnissen und zur Aus- sowie Weiterbildung digitaler Kompetenzen benannt (Ramsten et al. 2017; Zorn, Schluchter & Bosse 2019; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Paus-Hasebrink 2019; Amor et al. 2020). Die vorliegende quantitative Befragung zeigt, dass die Mitarbeitenden fast zu gleichen Teilen derzeit über Schulungsmöglichkeiten verfügen, die sie in Anspruch nehmen können (34,7 %) oder derzeit keine Schulungsmöglichkeiten wahrnehmen können (37,1 %). Die Frage, ob der Wunsch bestehe, an einer Schulung zur Digitalen Teilhabe teilzunehmen, bejahte der Großteil der Befragten (46,0 %), wobei weitere 35,5 % keinen Schulungswunsch äußerten. Vor dem Hintergrund des überwiegenden Anteils der Mitarbeitenden, die für sich eine hohe oder sehr hohe digitale Kompetenz einschätzen, ist der Anteil derer, die einen Schulungswunsch haben, verhältnismäßig hoch. Hier wäre in weiterer Forschung zu vertiefen, in welchem thematischen Schwerpunkt ein Schulungswunsch zur Digitalen Teilhabe besteht. Hier sind Grundlagen in der Vermittlung im Umgang mit digitalen Technologien, gesetzliche oder (datenschutz-)rechtliche Rahmenbedingungen denkbar.

Neben Schulungsmöglichkeiten gehören einrichtungsinterne Medienkonzepte zur unterstützenden Struktur und wurden in bisheriger Forschung als notwendige Handlungsspielräume und Entscheidungsgrundlagen im Zugang und in der Nutzung digitaler Technologien aufgezeigt (Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Isaksson & Björquist 2020; Heitplatz 2021a). Dass in der quantitativen Befragung über ein Viertel der Teilnehmenden nichts zum Vorhandensein eines Medienkonzepts sagen wollten oder konnten, kann darauf zurückzuführen sein, dass dieses Thema in der Eingliederungshilfe noch nicht umfassend thematisiert wurde. Auch, dass 43,3 % der Mitarbeitenden Inhalte des Konzepts nicht bewerten wollen oder können, stützt diese Annahme. Der Bedarf eines Medienkonzepts in den Einrichtungen, die bislang nach Einschätzung der Mitarbeitenden über kein Konzept verfügen, wird durch die Zustimmung von 53,6 % aufgezeigt. Für das Erhebungsinstrument EIDT3 wurden, wie in Abschnitt 7.5.1 (s. S. 145) beschrieben, eigene Items zu Medienkonzepten entwickelt. Obwohl diese über die Fokusgruppe II und die Pretests geprüft wurden, ist nicht auszuschließen, dass diese im Feld auf inhaltlicher Ebene nicht beantwortet werden konnten. Der Einfluss von Medienkonzepten auf das Konstrukt Digitaler Teilhabe bleibt somit verborgen und ist durch weitere Forschung aufzudecken.

Technikbereitschaft sozialer Strukturen

Als weiterer Aspekt wird die Technikbereitschaft sozialer Strukturen diskutiert. Die dazugehörige Einstellung zu digitalen Technologien auf Seiten der Mitarbeitenden erweist sich dabei als einflussnehmend auf den Zugang und die Nutzung digitaler Technologien (Transkript Fokusgruppe I; Owuor & Larkan 2017; Heitplatz, Bühler & Hastall 2021). Vor allem eine negative Einstellung auf Seiten potenziell Unterstützender zum Thema digitale Technologien führt zu einem fehlenden Verständnis (Lussier-Desrochers et al. 2017), zur Sorge vor Stigmatisierung (Heitplatz, Bühler & Hastall 2020) oder zur Unerwünschtheit digitaler Technologien durch das soziale Umfeld (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Hinzu kommt, dass Betreuende ihren Klienten die Nutzung digitaler Technologien häufig gar nicht erst zutrauen (Eggert 2006). Dies begünstigt eine ablehnende Haltung und führt zu einer ausbleibenden Unterstützung. Ebenso die negative Einstellung der Kollegen und des Vorgesetzten (Amor et al. 2020) sowie des rechtlichen Betreuers (Bosse, Zaynel & Lampert 2018) sind potenziell hemmende Faktoren. Die Einstellung zur Thematik ist dabei auch von den bisherigen persönlichen Erfahrungen abhängig (ebd.; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Heitplatz 2020). Eine negative oder positive Einstellung der Mitarbeitenden gegenüber der Nutzung digitaler Technologien erweist sich im Rahmen der quantitativen Befragung nicht als signifikant einflussnehmend auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe. Dabei ist anzumerken, dass knapp die Hälfte der Mitarbeitenden eine positive Einstellung (48,5 %) bzw. etwas mehr als ein Drittel eine neutrale Einstellung (39,8 %) haben. Hingegen wird die Technikbereitschaft der Mitarbeitenden (p = .001) als signifikant einflussnehmend erkannt. Mit jedem Punkt (0 bis 12) nimmt die RDT um 0.440 Punkte zu. Im Gegensatz zu der Einschätzung bzgl. der Klienten konnte hier die gesamte Skala nach Schauffel et al. (2021) angewendet werden. Fast alle Mitarbeitenden schätzen für sich eine hohe bzw. sehr hohe Technikbereitschaft ein (92,0 %). Interessant wäre nun, in einer Folgeuntersuchung den Einfluss von weniger technikbereiten Mitarbeitenden bzw. Befragungen von weiteren Personen der sozialen Strukturen eines MgB (An- und Zugehörige, Freunde und Bekannte oder andere Klienten) durchzuführen, um Vergleiche ziehen zu können. Wie bereits in Abschnitt 9.1.5 (s. S. 430) herausgestellt, wäre zur Erreichung der weniger technikbereiten Vertretenden der Zielgruppe MgB die verstärkte analoge Rekrutierung sinnvoll.

Gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Als weitere umweltbezogene Faktoren wurden gesellschaftliche Rahmenbedingungen benannt, die die Einflussnahme durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf die Verfügbarkeit, Entwicklung sowie Nutzung digitaler Technologien widerspiegeln. Dabei steht die Schaffung einer barrierefreien Infrastruktur sowie einer sinnvollen und universellen Technologieentwicklung im Fokus. Darüber hinaus wurde die gesetzliche Verankerung zur Förderung von digitalen Kompetenzen sowie die Überführung von Leistungen Digitaler Teilhabe in die Leistungskataloge für MgB herausgestellt (Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Als konkrete Bezugstexte gelten die EU-Richtlinien 2016/2102; 2019/882, das BTHG (SGB IX 2019 § 84, Abs. 1,2), die DSGVO sowie die UN-BRK (Art. 4g, 9, 21, 24, 29, 30, UN-BRK 2017).

Die Einflussnahme gesetzlicher Rahmenbedingungen auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe lässt sich im Zuge der vorliegenden quantitativen Befragung nicht abschließend klären. Etwas weniger als die Hälfte der Teilnehmenden (44,9 %) konnte oder wollte den Frageblock zur Auswirkung gesetzlicher Rahmenbedingungen nicht beantworten. Möglicherweise war die Fragenformulierung zu abstrakt oder inhaltlich zu komplex, sodass es für den Einzelnen nicht einschätzbar bzw. bewertbar war. Auch wenn keine Ausfüllschwierigkeiten im Zuge der Pretests aufgezeigt wurden, wäre eine Reformulierung des Frageblocks mit geringerem Abstraktionsniveau zu überlegen, um eine bessere Beantwortbarkeit des Frageblocks zu erzielen. Anschließend ist die erneute Befragung einer weiteren Stichprobe notwendig.

Als besondere Form der gesetzlichen Bestimmungen sind Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen herauszustellen, welche durch zentrale rechtliche Vorgaben des Datenschutzes geregelt und im Rahmen der DSGVO beschrieben werden (DSGVO 2018; Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021). Daraus erwachsen im Zuge der Digitalisierung auch Herausforderungen für die Soziale Arbeit. Bei dem Einsatz digitaler Technologien ist der verantwortungsbewusste Umgang mit sensiblen bzw. personenbezogenen Daten eine Voraussetzung (Pudelko & Richter 2020). Dabei müssen Mitarbeitende von Einrichtungen der Eingliederungshilfe ihrem Aufklärungsauftrag nachkommen, indem sie die Klienten umfassend über die Gefahren von digitalen Technologien aufklären, um Unwissenheit aufzufangen und gleichzeitig Risikobewusstsein zu schaffen (DIVSI 2016). In Bezug auf die Privatsphäre und Sicherheit entstehen Bedenken im Umgang mit digitalen Technologien (Shpigelman 2017), die zu einer defensiveren Haltung gegenüber der Nutzung durch Klienten auf Seiten der Mitarbeitenden führen (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Somit können Einstellung und Haltung der Bezugspersonen das Engagement und die Bereitschaft abschwächen, wenn der Fokus auf Schutz und Ängsten bzgl. der Datensicherheit liegt (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013). Die Bedeutung des Datenschutzes für die Soziale Arbeit geht dabei über eine technokratische Ebene hinaus und erweist sich als wichtiges Fundament im Betreuungsalltag zur Sicherung der Arbeitsgrundlage. Besonders bei sozialen Einrichtungen, wo das Vertrauensverhältnis zu betreuenden MgB entscheidend ist, können die Thematisierung und Berücksichtigung von Datenschutzaspekten dieses Vertrauen weiter stärken. Infolgedessen ist die Gewährleistung des Datenschutzes grundlegend in jedem Betreuungsverhältnisses (Pudelko & Richter 2020).

Als rechtlicher Rahmen dienen diverse datenschutzrechtliche Anforderungen, wie beispielsweise des SGB II, SGB VIII und SGB X (SGB II 2022; SGB VIII 2022; SGB X 2022), der Landesdatenschutzgesetze, der Datenschutzgesetze der christlichen Kirchen, des Telemediengesetzes sowie des Strafgesetzbuches. Die DSGVO gilt jedoch als Grundstein des Datenschutzes und regelt die Wahrung von Transparenz im Umgang mit personenbezogenen Daten, sodass die Betroffenen jederzeit nachvollziehen können, was mit ihren Daten geschieht. Neben der DSGVO gilt § 9 des BDSG (2021) als gesetzlicher Rahmen der Datensicherheit. Hier wird der technische und organisatorische Umgang mit den entsprechenden Informationen reguliert (ebd.). In der DSGVO sind die Regelungen der Datensicherheit in Artikel 5 Abs. 1 f. unter den Begriffen „Integrität“ und „Vertraulichkeit“ zu finden (DSGVO 2018).

Die Umsetzung dieser gesetzlichen Rahmen ist in den heterogenen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit herausfordernd. Die DSGVO ist in vielen Alltagstätigkeiten zu berücksichtigen und durchzieht alle organisationalen Hierarchien. In der Regel werden zur Strukturierung Datenschutzbeauftragte benannt, die sich als Fachpersonal beispielsweise mit dem Beschäftigtendatenschutz, der Entwicklung eines Datenschutzkonzepts für die Arbeit in den Einrichtungen sowie der Sicherstellung der Vorgaben im Hinblick auf Datenschutz und Datensicherheit befassen (Pudelko 2021). Der Umgang mit diesen Regularien sowie die erforderliche Einhaltung dieser, um den Einsatz digitaler Technologien rechtlich und ethisch sicher zu gewährleisten, stellt sozial tätige Einrichtungen vor diverse Herausforderungen. So entstehen vor allem Herausforderungen in der Förderung der informationellen Selbstbestimmung und der digitalen Kompetenzen (DIVSI 2016; Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021). Eine DIVSI-Studie von 2016 zeigt, dass die informationelle Selbstbestimmung nicht vollumfänglich umgesetzt wird (DIVSI 2016). Dieses Phänomen ist auch bei Trägern der Sozialen Arbeit zu erkennen. Die Herausforderung ergibt sich hier durch die notwendige Unterstützung und Befähigung der Klienten bei der Wahrnehmung ihrer Rechte als Nutzende digitaler Angebote. Zum einen können Mitarbeitende Aufklärung leisten und Menschen, für die Datenschutz und -sicherheit ein schwer fassbares Konstrukt ist, unterstützen. Zum anderen können Mitarbeitende über die Auswirkungen der Rechtewahrnehmung aufklären, die Selbstwirksamkeit bedeutet (Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021).

Herausfordernd ist hierbei die Heterogenität der Zielgruppe, die technikbereite und weniger technikbereite sowie kompetente und weniger kompetente Personen umschließt (Abb. 8.21, s. S. 348, Abb. 8.22, s. S. 350). Die Gruppe der Nutzenden umfasst zum einen Personen, die digitale Anwendungen beherrschen und teilweise selbst (weiter-)entwickeln, aber auch Personen, die digitale Technologien nutzen, jedoch ihre Nutzung sowie Verwendung von Nutzerdaten durch Dritte nicht reflektieren (Verständig, Klein & Iske 2017). Ein risikoarmer bzw. durch aktiven Datenschutz geprägter Einsatz digitaler Technologien setzt jedoch ein gewisses Maß an Wissen und Bereitschaft voraus, sich mit Selbstschutzmechanismen bei der Nutzung digitaler Anwendungen auseinanderzusetzen (Pudelko 2021).

Die Bedingung hierfür ist jedoch zum einen, dass die Mitarbeitenden in ihren Beratungs- und Betreuungsangeboten ein umfassendes Bild der Einstellungen der Klienten im Umgang mit persönlichen Daten haben oder den Umgang mit sensiblen Daten richtig einschätzen können. Zum anderen müssen die Mitarbeitenden über Kompetenzen verfügen, mögliche Konsequenzen einzuschätzen, um den Klienten Möglichkeiten aufzuzeigen, wie weniger oder gar keine Datenspuren entstehen (Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021). Hierfür ist es unabdingbar, dass sich die Mitarbeitenden mit Fragestellungen aus dem Bereich der technischen und organisatorischen Vorkehrungen befassen, die beispielsweise allgemeine Themen der Digitalisierung beleuchten. Hierzu gehört z. B. die Nutzung von digitalen und internetfähigen Geräten und der Umgang mit sozialen Netzwerken sowie Messengerdiensten in der Sozialen Arbeit, aber auch datenschutzbezogene Themen wie die Verschlüsselung, das Erstellen von Passwörtern sowie Zugangscodes (Pudelko 2017; Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021).

Bei der vorliegenden quantitativen Befragung zeigte sich, dass der Frageblock zur Einschätzung der Auswirkung von Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen auf Digitale Teilhabe im Vergleich zum Frageblock zu gesetzlichen Rahmenbedingungen eher beantwortet werden konnte, wenngleich der Anteil derer am größten war, die „teils/teils“ angekreuzt haben und sich somit nicht klar positioniert haben.

Ein weiterer Aspekt sind Refinanzierungsmöglichkeiten von Unterstützungsleistungen zu Digitaler Teilhabe. Gesetzliche Regularien, wie das BTHG, können eine Refinanzierung ermöglichen und somit die Attraktivität von Unterstützungsleistungen zu Digitaler Teilhabe steigern (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Zwar bieten die gesetzlichen Regularien erste Anhaltspunkte für die Abrechnung von Leistungen (z. B. über Fachleistungsstunden), jedoch sind keine ausreichenden und gesetzlich geregelten Refinanzierungsmöglichkeiten in den Einrichtungen der Eingliederungshilfe bekannt (s. Transkript Fokusgruppe I; Bosse, Zaynel & Lampert 2018). Auch hier zeigte die vorliegende quantitative Befragung, dass ein verhältnismäßig hoher Anteil der Teilnehmenden die Fragen zur Refinanzierung (31,0 %) nicht beantworten konnte bzw. wollte, sodass auch hier von einer verhältnismäßig erschwerten Einschätzung ausgegangen werden kann.

Da sich die Fragen bzgl. der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen, gesetzliche Rahmenbedingungen und Refinanzierungsmöglichkeiten) nicht für die Operationalisierung eines Einflussfaktors auf Digitale Teilhabe eigneten, mussten diese aus der Koeffizientenanalyse sowie Regressionsanalysen ausgeschlossen werden. Dennoch sollten diese in weiteren Untersuchungen zwingend betrachtet werden. Um die Auswirkungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf Digitale Teilhabe erfassen zu können, bedarf es der umfassenden Auseinandersetzung mit ethischen, rechtlichen und sozialen Fragestellungen. Da rechtliche, ethische sowie soziale Aspekte über die individuelle Ebene hinausgehen, ist dabei ebenso die organisationale (hier die Träger der Eingliederungshilfe) sowie gesellschaftliche Ebene in die Diskussion einzubeziehen. Letztere ist aufgrund der gesellschaftlichen Bedeutung und den Bezug zur gesellschaftlichen Teilhabe ebenso relevant (Henne 2019).

Mithilfe der sogenannten ELSI-ImplikationenFootnote 1 lassen sich ethische Prinzipien wie Fürsorge, Sicherheit, Gerechtigkeit, Privatheit, Teilhabe und Selbstbestimmung prüfen sowie relevante Fragestellungen diskutieren, mit dem Ziel, ethisch vertretbare Lösungen zu finden. Zur Diskussion steht beispielsweise in welchem Maße und unter welchen Rahmenbedingungen digitale Technologien sinnvoll im Alltag unterstützen können. Auch die Technikfolgenabschätzung und der damit verbundene Mehrwert gegenüber nicht-technischen Lösungen ist ein elementarer Diskussionsgegenstand (ebd.).

Handlungsleitend sind hierbei ethische und rechtliche Fragestellungen, die in verschiedenen Spannungsfeldern entstehen. Um diese Spannungsfelder und dort entstehende Spannungsbögen zu reflektieren, wurden in den vergangenen Jahren verschiedene Modelle und Leitlinien entwickelt, die eine ethische und rechtliche Reflexion unterstützen sollen (ebd.). Dabei haben sich verschiedene Methoden wie beispielsweise das MEESTAR-Modell nach Manzeschke et al. (2013), die Action Sheets oder die Ethics Canvas entwickelt, die eine ethische Reflexion strukturieren und unterstützen können (Weber 2019).

Bei der ethischen Reflexion von Einsatzmöglichkeiten und Nutzungsformen digitaler Technologien sowie der Diskussion der dahinterliegenden Fragestellungen werden Potenziale und Risiken gegeneinander abgewogen. Grundsätzlich wird das Potenzial digitaler Technologien bei der Schaffung von Teilhabechancen in allen Lebensbereichen sowie zur Überwindung beeinträchtigungsbedingter Barrieren aufgrund unzureichender Umweltfaktoren und gesundheitlichen Ressourcen gesehen. Voraussetzung hierfür ist, dass digitale Technologien sinnvoll und mit bildungsfördernden Möglichkeiten gekoppelt eingesetzt werden und eine selbstständige und selbstbestimmte Nutzung durch den Menschen ermöglichen (Haage & Bühler 2019). Erst dann können die Potenziale digitaler Technologien, wie etwa die Ermöglichung oder Erleichterung der (a-)synchronen Kommunikation (Bosse & Hasebrink 2016; Bosse & Haage 2020) oder die aktive Gestaltung in sozialen Medien (wie z. B. Vernetzen sowie Publizieren, Teilen und Kommentieren von Inhalten) durch MgB ausgeschöpft werden (ebd.). Damit einhergehen können gesamtgesellschaftliche Auswirkungen, wie etwa die Förderung der sogenannten disability culture online, die durch einen gestärkten sozialen Austausch zwischen den Nutzenden sowie ein gestärktes Empowerment (Dobransky & Hargittai 2016) die Prägung des gesellschaftlichen Diskurses über Beeinträchtigung in den sozialen Medien verändern kann (Dirks & Linke 2019; Bosse & Haage 2020).

Um eben solche gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen und Entwicklungen zu erforschen, bedarf es weiterer Forschung zur Operationalisierung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und der weiteren Prüfung des potenziellen Einflussfaktors auf Digitale Teilhabe sowie einer umfassenden Auseinandersetzung mit den ethischen, rechtlichen und sozialen Fragestellungen und Auswirkungen.

9.2.2.4 Auf digitale Technologie bezogene Faktoren

Als letzte Oberkategorie wurden auf digitale Technologien bezogene Faktoren untersucht, die den technischen Zugang, die Beschaffenheit von Hard- und Software sowie die Aufbereitung der Inhalte umfassen.

Technischer Zugang

Über die verfügbare Infrastruktur hinaus, die bereits unter dem umweltbezogenen Teilfaktor Wohn- und Betreuungskontext diskutiert wurde, werden unter dem Faktor Technischer Zugang (jederzeit) vorhandene und zugängliche Hardware (wie beispielsweise Computer, Smartphones, Tablets) und Software (Programme) verstanden. Der Zugang stellt eine wichtige grundlegende Determinante dar, der die Teilhabe an digitalen Technologien ermöglichen kann. Ein nicht vorhandener oder eingeschränkter Zugang zur Medienausstattung (s. Transkript Reflexionsformat I; Transkript Reflexionsformat II; Lussier-Desrochers et al. 2017; Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019; Amor et al. 2020; Heitplatz & Sube 2020; Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011) führt zu einer geringeren Internetnutzung (ebd.). Da die Fragen nach dem technischen Zugang zu verschiedener Hard- und Software in der vorliegenden quantitativen Befragung zur Berechnung der RDT genutzt wurden, werden die Erkenntnisse an dieser Stelle nicht als Einflussfaktoren diskutiert. Die Diskussion der RDT wurde in Abschnitt 9.1.5.6 (s. S. 443) vorgenommen.

Beschaffenheit von Hard- und Software sowie Aufbereitung der Inhalte

Ferner zeigt sich in der Literatur, dass die Beschaffenheit von Hard- und Software, die sich aus technisch-funktionalen Barrieren oder Barrieren aufgrund des Designs der Benutzerschnittstellen zusammensetzt, auf die Teilhabe an digitalen Technologien Einfluss nimmt. Technisch-funktionale Barrieren beruhen dabei auf verwendeten Programmierungen, die zu Softwareeinschränkungen führen können bzw. auf vorhandenen Hardwareeinschränkungen durch fehlende Usability (beispielsweise fehlende Einbettung von Plug-Ins) zurückzuführen sind. Barrieren aufgrund des Designs der Benutzerschnittstellen entstehen durch unzureichende Gestaltung (beispielsweise geringe Kontraste, zu kleine Schriftgrößen) (Berger et al. 2010). Die Beschaffenheit von Hard- und Software wirkt sich auf die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit von digitalen Technologien aus. Die Beschaffenheit von Hard- und Software ist ein potenzieller Einflussfaktor Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (Shpigelman 2017; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Eine benutzerfreundlichere Entwicklung der Hard- und Software (Normand et al. 2016), die Entwicklung und der einfache Zugang zu unterstützenden Hilfsmitteln (Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017) sowie die Schaffung eines zielgruppengerechten Designs der Benutzerschnittstellen können förderlich auf die Nutzung digitaler Technologien wirken (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019; Louw, Kirkpatrick & Leader 2019; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021).

Die Aufbereitung der Inhalte sollte sich immer an der jeweiligen Zielgruppe orientieren. Hier spielen redaktionelle und inhaltliche Barrieren, die auf einer unzureichenden redaktionellen und strukturellen Aufbereitung des Inhalts und deren Umsetzung beruhen, eine Rolle. Dies kann beispielsweise die Verwendung von schwerer Sprache oder fehlende Textstrukturen sein (Berger et al. 2010). Die redaktionelle und sprachliche Aufbereitung von Inhalten in digitalen Technologien für MgB, insbesondere mit Blick auf die Verständlichkeit von Texten, hat einen Einfluss auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe. Die Verwendung von einfacher bzw. Leichter Sprache kommt dabei einer verständlichen Aufbereitung von Inhalten gleich (s. Transkript Reflexionsformat I; Transkript Reflexionsformat II, Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Bosse & Hasebrink 2016). Zu redaktionellen und sprachlichen Barrieren zählt die Verwendung schwerer Sprache (Berger et al. 2010; Shpigelman 2017), die Verständnisprobleme verursacht und durch die Verwendung von Leichter Sprache (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Bosse & Hasebrink 2016; Heitplatz & Sube 2020) sowie durch eine Reduktion der Informationsfülle (ebd.) aufgehoben werden kann. Als hemmend wirkende Faktoren auf die Nutzung digitaler Technologien wurden folgende Aspekte benannt: der Umgang mit schwerer Sprache (wie Fremdwörter und Fachsprache) (Berger et al. 2010; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019), die Informationsüberflutung (Heitplatz & Sube 2020), die hohen Anforderungen an die Lese- und Schreibfähigkeiten bei der Nutzung sozialer Medien sowie ein komplexes Design der Benutzeroberfläche, dass auf abstrakter Sprache beruht (Shpigelman 2017).

Da sich die auf digitale Technologien bezogenen Faktoren nur in Bezug auf konkrete digitale Technologien einschätzen lassen, konnten diese im Zuge der quantitativen Befragung nicht überprüft werden. Hierfür eignen sich eher Testverfahren aus der Usability-Forschung, in denen die Wahrnehmung der Benutzerschnittstellen sowie die Aufbereitung von Inhalten während der Nutzung der digitalen Technologie durch den Nutzenden selbst eingeschätzt werden kann. Entsprechend ist hier eine weitere Forschung bzgl. der Weiterentwicklung solcher Usability-Testverfahren hinsichtlich der Überprüfung auf die Einflussnahme auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe notwendig.

9.2.2.5 Verzahnung der Faktoren

Insgesamt zeigen sich personenbezogene, umweltbezogene und auf digitale Technologie bezogene Faktoren als einflussnehmend auf die RDT von MgB in der Eingliederungshilfe. Die Studienlage unterstreicht die Notwendigkeit der individuellen Betrachtung Digitaler Teilhabe. Die Konstellationen der Determinanten können individuell verschieden sein und somit der Wille, die Fähigkeit oder die Möglichkeit der jeweiligen Person, digitale Technologien einschätzen und aktiv nutzen zu können, eine wesentliche Rolle für die gesellschaftliche Teilhabe spielt (Bosse et al. 2019). Vorliegende Daten zur Digital Disability Divide und somit zu Determinanten Digitaler Teilhabe zeigen dabei vor allem Wechselwirkungen von Barrieren auf technischer, finanzieller, motivationaler sowie sozialer Ebene auf. Dies deutet auf eine Verzahnung von Faktoren hin (Sachdeva et al. 2015; Bosse & Haage 2020), die auch im Modell berücksichtigt wurde. Mithilfe der multiplen linearen Regression konnte insbesondere die Verzahnung von personenbezogenen Faktoren (Soziodemografie und digitale Kompetenzen) sowie umweltbezogenen Faktoren (Unterstützung durch soziale Strukturen sowie Technikbereitschaft der Mitarbeitenden) festgestellt werden.

9.2.2.6 Anwendbarkeit und Grenzen

Die Anwendbarkeit des Modells Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (MDT4) ist durch verschiedene Faktoren limitiert. Zum einen erhebt das Modell keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wissenschaftliche Modelle basieren oft auf Vereinfachung der Realität, um sie quantitativ darstellen zu können. Hierdurch wird vor allem die modellhafte Erfassung komplexer Phänomene – in diesem Fall Digitaler Teilhabe – erschwert. Nach dem Verständnis von Lippke und Renneberg (2006) geben Modelle Aufschluss darüber, in welcher (Wechsel-)Wirkung Einflussfaktoren eines Untersuchungsgegenstandes stehen und durch welche Bedingungen dieser Untersuchungsgegenstand beeinflusst wird. Trotz umfassender Methodik besteht daher die Möglichkeit, dass weitere Einflussfaktoren vorhanden sind, die im Rahmen der Entwicklung und Prüfung jedoch nicht identifiziert und ins Modell aufgenommen wurden. Möglich ist beispielsweise Die Einflussnahme des Migrationshintergrundes, der ethnischen Zugehörigkeit sowie Religionszugehörigkeit oder des Familienstandes. Diese Faktoren wurden zwar noch nicht mit Blick auf Digitale Teilhabe von MgB untersucht, sie werden jedoch im Digital-Divide-Kausalmodell nach van Dijk (2005) als potenziell einflussnehmend auf digitale Ungleichheit, spezifisch auf den Zugang und die Nutzung digitaler Technologien, herausgestellt (ebd.). Demnach könnte Folgeforschung den Einfluss dieser Faktoren auf Digitale Teilhabe von MgB überprüfen. Außerdem bleibt die quantitative Überprüfung der auf digitale Technologie bezogenen Faktoren sowie der Einflussnahme gesellschaftlicher Rahmenbedingungen für Folgeforschung offen, die im Rahmen der vorliegenden quantitativen Befragung nicht möglich war. Sofern weitere Einflussfaktoren identifiziert wurden, gilt es darüber hinaus Veränderungen in den Wechselwirkungen zwischen den einzelnen identifizierten Einflussfaktoren zu überprüfen. Hier besteht die Möglichkeit, dass sich die Interaktionseffekte zwischen identifizierten Faktoren und weiteren Faktoren zukünftig verändern wird. Da es sich bei der Abbildung Digitaler Teilhabe um einen dynamischen Prozess handelt, der sich verändernden Einflüssen unterliegt, muss hierzu weitere Forschung durchgeführt werden. Dies ist mit Blick auf die Vorhersage- bzw. Aussagekraft zu berücksichtigen. Dabei ist jedoch anzumerken, dass die Genauigkeit wissenschaftlicher Modelle von der Qualität und Quantität der zugrunde liegenden Daten abhängt, die nach Benennung der Limitationen in der umfassenden Reflexion (s. Abschnitt 9.1.5.3, S. 334) als hoch einzustufen sind.

Nichtsdestotrotz kann das MDT4 herangezogen werden, um Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in seiner Komplexität zu verstehen und zu berücksichtigen. Die stetige Weiterentwicklung des Modells ist jedoch unabdingbar, um der Dynamik und Komplexität Digitaler Teilhabe gerecht zu werden.

9.2.3 Erhebungsinstrument EIDT3 und Kurzskala RDT

Um abschließend die dritte und letzte Forschungsfrage zu beantworten, nämlich „Anhand welcher Indikatoren lässt sich Digitale Teilhabe von Menschen mit einer geistigen Beeinträchtigung in der Eingliederungshilfe durch Mitarbeitende quantifizieren?“, werden nachfolgend die Anwendbarkeit sowie die Grenzen des Erhebungsinstrumentes Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe (EIDT3) sowie der Kurzskala RDT vor dem theoretischen Hintergrund diskutiert.

9.2.3.1 Zusammenfassung von EIDT3 und der Kurzskala Digitaler Teilhabe

Das entwickelte EIDT3 diente in dieser Forschungsarbeit dazu, Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe sowie die damit verbundenen Einflussfaktoren systematisiert und zusammenhängend zu erfassen. Es umfasst sechs offene und 51 geschlossene Fragen, gliedert sich in fünf Blöcke mit untergeordneten Fragen bzw. Frageblöcken EIDT3 (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 5 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar) und stellt eine Fremdeinschätzung von Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe dar.

Um einen Index Digitaler Teilhabe zu berechnen, wurde das EIDT3 auf die Items reduziert, die sich ausschließlich mit der realisierten Digitalen Teilhabe (RDT) auseinandersetzen. Diese sind in der Kurzskala RDT (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 7 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar) abgebildet und umfassen Items in den Bereichen Zugang zu digitalen Technologien sowie Nutzung digitaler Technologien. Die Kurzskala konzentriert sich somit ausschließlich auf die Erfassung realisierter Digitaler Teilhabe und ist nicht zur Identifikation oder Überprüfung von Einflussfaktoren gedacht.

9.2.3.2 Anwendbarkeit und Grenzen

Wie bereits in Abschnitt 3.4 (s. S. 41) dargelegt, existieren qualitative und quantitative Erhebungsansätze von Teilhabe. Bartelheimer et al. (2020) verdeutlichen in diesem Kontext die Herausforderungen, Teilhabe als ganzheitlichen Prozess zu erfassen und die individuellen Entscheidungsspielräume und Wahlhandlungen im Erhebungsprozess zu berücksichtigen (Bartelheimer et al. 2020). Die Teilhabeplanung ist ein komplexer Prozess, der individuelle Bedarfe, Bedürfnisse und Wünsche von MB ermittelt. Auf dieser Grundlage werden passende Unterstützungsmaßnahmen formuliert. Das EIDT3 konnte eingesetzt werden, um einflussnehmende Faktoren auf Digitale Teilhabe systematisch zu prüfen und diente somit als Gegenstand der Grundlagenforschung. Es eignet sich nicht, um Bedarfe, Bedürfnisse und Wünsche für die Teilhabeplanung vertiefend zu erfassen und nutzbar zu machen. Die abgeleitete Kurzskala RDT eignet sich zur Ersteinschätzung Digitaler Teilhabe. Mit Abfrage des Zugangs und der Nutzung wird jedoch nur eine der drei Dimensionen Digitaler Teilhabe adressiert und erlaubt die Abbildung der Teilhabe an digitalen Technologien. Dennoch bildet die Kurzskala den Erfassungsgegenstand angemessen ab, indem sie die Items aus dem EIDT3, die sich zur Messung der RDT eignen, aufgreift.

Die Abbildung der Teilhabedimensionen „in digitalen Technologien“ sowie „durch digitale Technologien“ wird hierbei nicht berücksichtigt. Der Index der realisierten Digitalen Teilhabe sollte diese künftig ebenfalls betrachten. Dazu fehlt es derzeit jedoch an Erhebungsmöglichkeiten, sodass hier weiterer Forschungsbedarf besteht, inwiefern Items die beiden weiteren Dimensionen abbilden können. Konkrete Aktivitäten sind leichter beschreib- und messbar, wodurch sich bisherige Erhebungen auf diese Dimension fokussieren. Zudem sind die Teilhabedimensionen „in digitalen Technologien“ sowie „durch digitale Technologien“ vermutlich von hoher Subjektivität geprägt, weshalb die Möglichkeit der Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende kritisch geprüft werden müsste.

In Gesprächen und in der Aushandlung mit MgB geht es darum, die individuellen Teilhabebeeinträchtigungen zu verstehen, das individuelle Teilhabeverständnis zu rekonstruieren und so die Teilhabeziele zu ermitteln. Dies lässt sich nach Hirschberg (2009) schwer standardisieren und ist somit nur unter Einbeziehung der Betroffenen selbst und geschulter Fachkräfte umsetzbar (ebd.).

In Bezug auf MB sollen Teilhabeanzeiger helfen, die Teilhabechance einzuschätzen. Mit Blick auf die Ratifizierung der UN­BRK gibt es Versuche, die Artikel in Indikatoren zu überführen (BMAS 2013). Diese Bestrebungen mündeten im sogenannten Teilhabebericht, der Unterschiede in der Teilhabe zwischen Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen sowie Entwicklungen aufzeigt. Dieser Bericht strukturiert entsprechend die Ist-Zustände sowie Fortschritte bei der Umsetzung der politischen Rahmung und befähigt politische Akteure, geeignete Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenssituation von MB zu entscheiden (BMAS 2021). Dabei schreibt der dritte Teilhabebericht der Bundesregierung die beiden Vorgängerberichte (BMAS 2013, 2016b) fort, indem er fundierte Informationen zur Lebenslage von MB zur Verfügung stellt und somit eine Gesamtschau durch die Verbindung verschiedenste Daten schafft. Der aktuelle Teilhabebericht zeigt erstmals exemplarisch Daten aus einer repräsentativen Teilhabebefragung von MB auf (BMAS 2021).

Im aktuellen Teilhabebericht wird der Begriff Digitalisierung nur sporadisch (achtmal auf 827 Seiten) aufgeführt. Zudem wird dieser lediglich im Zusammenhang mit der SARS-CoV-2-Pandemie verwendet. Digitale Teilhabe wird lediglich einmal im Kapitel „Teilhabechancen über digitale Gesundheitsangebote: Digitale Inklusionthematisiert. Hier wird jedoch der Fokus auf den Zugang zu digitalen Gesundheitstechnologien und technischen Assistenzsysteme gelegt. Der Teilhabebericht weist hier explizit darauf hin, dass „Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, die in Wohneinrichtungen leben“ (s. ebd., S. 559) weitestgehend vom Zugang zu digitalen Technologie ausgeschlossen sind. Belegt wird dies durch die Studie von Bosse, Zaynel und Lampert (2018).

„Aus der Perspektive des Zugangs zur Gesundheitsförderung (durch Kommunikation, Information und Unterhaltung) leitet sich Handlungsbedarf auf mehreren Ebenen ab: Zum einen muss die materielle Ausstattung deutlich verbessert werden, um allen Menschen, die dies möchten, die Nutzung des Internets zu ermöglichen. Parallel dazu müssen jedoch auch Bildungsangebote vorgehalten werden, die in den Gebrauch der digitalen Medien einführen sowie Medienkompetenz vermitteln“ (s. BMAS 2021, S. 560).

Weiterhin weist der Teilhabebericht darauf hin, dass die Maßnahmen (insbesondere die isolierenden Maßnahmen) im Zuge der SARS-CoV-2-Pandemie Teilhabehindernisse verstärkt und Benachteiligungen stattgefunden haben. So konnten MgB während des Lockdowns auf keine digitalen Technologien zurückgreifen und digital teilhaben. Die damit verbundenen Möglichkeiten der Kommunikation, Information sowie die damit verbundene Inanspruchnahme von gesundheitlichen Dienstleistungen oder Notrufen blieb der Zielgruppe verwehrt (ebd.).

„Dies unterstreicht nochmals […], wie wichtig die Überbrückung der dargestellten Digitalisierungslücken für alle Interessierten sowie das Erreichen aller Leistungsberechtigten mit Beeinträchtigungen und Behinderung ist, um die Gefahr einer digitalen Spaltung abzuwenden“ (s. ebd., S. 560).

Weiterhin wird darauf hingewiesen, dass digitale Leistungen in den Sozialleistungskatalogen noch nicht verankert sind. Gefordert wird, dass auch Mensch-Technik-Beziehungen und in diesem Zusammenhang auch Mensch-Soziales-Netzwerk-Technik-Strategien betrachtet werden müssen. Der Teilhabebericht fordert eine Partizipation durch Technik:

„Personengruppen, die aus materiellen oder auch Fähigkeitsgründen noch nicht auf einem digitalen Weg sind, dürfen dabei nicht ausgeschlossen werden. Personen die auf Finanzierung, Wartung und Weiterentwicklung der genutzten Technologien angewiesen sind, dürfen auch in Krisensituationen nicht aus dem Blick geraten“ (s. ebd., S. 560).

Allerdings wird auch hier der Fokus auf die Verfügbarkeit von Technik gelegt „Computertechnologien sind Hilfsmittel, die flächendeckend und auch situationsangepasst verfügbar sein müssen“ (s. ebd., S. 560).

Der aktuelle Teilhabebericht greift somit das Thema Digitale Teilhabe kaum auf. Die hier hergestellten Bezüge zeigen ausschließlich die Auseinandersetzung mit Zugangsmöglichkeiten. Dabei wird aufgezeigt, dass digitale Leistungen noch nicht in den Sozialleistungskatalogen Einzug gehalten haben (ebd.).

Über den Teilhabebericht hinaus sind Teilhabeindikatoren Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung und ähnlich wie Qualitätsindikatoren zu verstehen. Nach Gromann (2016) ergeben sich durch die Analyse von objektiven Lebensbedingungen und subjektiven Verwirklichungschancen sinnvolle Indikatoren. Wie bereits in Abschnitt 2.3 (s. S. 16) aufgezeigt benötigt die Wirkungs­ oder Teilhabeorientierung von Leistungen in der Eingliederungshilfe belastbare Indikatoren aus Nutzersicht, die die sehr unterschiedliche Lebensrealität von MB in Deutschland abbilden. Die Teilhabeberichterstattung des BMAS stellt dazu fest, dass vulnerable Gruppen „keine Berücksichtigung in den datenbasierten Aussagen finden, wie Menschen mit schweren geistigen Beeinträchtigungen, Personen mit umfassenden Beeinträchtigungen der Kommunikation und Personen, die durch ihren Wohnort von der Beteiligung an Haushaltserhebungen ausgeschlossen sind“ (s. BMAS 2013, S. 65).

Die in dieser Forschungsarbeit entwickelten Instrumente könnten durch eine Weiterentwicklung dazu beitragen, die Wirkungs­ oder Teilhabeorientierung von Leistungen durch belastbare Indikatoren aus Nutzersicht für Digitale Teilhabe aufzuzeigen. Dies ist für die Aufnahme der Leistungsangebote zur Förderung Digitaler Teilhabe in den Sozialleistungskatalogen unabdingbar und könnte somit die Refinanzierung durch die Kostenträger mit sich bringen. Hierbei ist jedoch anzumerken, dass die Erfassung von Teilhabeeinschränkungen therapeutischen oder sozialmedizinischen Ansprüchen genügen muss. Linden (2016b) stellt hier „eine Reihe grundsätzlicher Probleme“ (s. ebd., S. 1150) fest. Einige Instrumente sind auf enge Anwendungsbereiche eingeschränkt, wie beispielsweise die Activities of Daily Living Skalen (Mahoney & Barthel 1965; Linden 2016b). Andere erlauben nur sehr globale und damit nur bedingt verwertbare Beurteilungen, wie beispielsweise das Global Assessment of Functioning (Endicott et al. 1976; Linden 2016b). Zudem wird nicht hinreichend präzise zwischen Funktion, Fähigkeit und Teilhabe unterschieden, wie beispielsweise in den ICF-Instrumenten zur Erfassung komplexerer Fähigkeiten (ICF d160–d179) (Molz et al. 2010; Linden 2016b) oder in dem World Health Organization Disability Assessment Schedule II (Üstün et al. 2010; Linden 2016b). „Das entscheidende Problem aller vorgenannten Skalen ist der fehlende Kontextbezug und damit ein nicht an den Prinzipien der ICF orientiertes Qualifying“ (s. ebd., S. 1150).

Aufgrund der Befragungskürze ist die entwickelte Kurzskala RDT aus zeitökonomischer Sicht vermutlich in der Praxis gut einsetzbar. Um darüber hinaus eine Anschlussfähigkeit in der Anwendbarkeit der Kurzskala RDT für die Teilhabeplanung in der Eingliederungshilfe zu erzielen, wäre die Prüfung und Weiterentwicklung der Kurzskala RDT zur Anwendung in der Teilhabeplanung im Rahmen der Folgeforschung notwendig. Konkret kann geprüft werden, inwiefern die Kurzskala RDT als standardisiertes Verfahren in der Teilhabeplanung zur Erfassung der thematischen Komplexität sowie Ermittlung von Teilhabebarrieren sowie -chancen hinsichtlich Digitaler Teilhabe unterstützen kann. Die stetige Weiterentwicklung des Erhebungsinstruments ist jedoch unabdingbar, um der Dynamik und Komplexität Digitaler Teilhabe gerecht zu werden.

Um die Vergleichbarkeit einer gelingenden oder beschränkten (Digitalen) Teilhabe zu erzielen, empfehlen Bartelheimer et al. (2020) die Längsschnittdatenerhebung der Wirkungserfassung auf Lebensverlaufsmuster, die im Idealfall individuell erhoben und auswertet werden (Bartelheimer et al. 2020). Auch fußt die Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen auf mehreren Teilstudien und Erhebungen bei Menschen mit und ohne Behinderung (Kersting et al. 2020). Zudem weist Leßmann (2007) darauf hin, dass aktuelle Forschung im Kontext des Lebenslagenansatzes sowie Befähigungsansatzes ein Bewusstsein für die Notwendigkeit wiederkehrender Messungen von Lebensbedingungen und Qualifikationsmethoden zu unterschiedlichen Zeitpunkten geschaffen hat (ebd.). Um Teilhabewirkungen zu erforschen ist es entsprechend unabdingbar, potenziell einflussnehmende Faktoren auf die Teilhabe zu mindestens zwei Zeitpunkten zu messen. Dadurch können Auswirkungen von Teilnahmebeschränkungen auf die realisierte Teilhabe über die Lebensphasen hinweg identifiziert sowie die Entwicklung eventueller Nachteile oder Vorteile auf die Lebensführung herausgestellt werden. Neben dem bereits diskutierten notwendigen partizipativen Ansatz (s. Abschnitt 9.1.5.2, S. 432) findet sich hier eine weitere Begründung für die Weiterentwicklung des EIDT3 sowie der Kurzskala RDT hin zu einem Selbsteinschätzungsbogen, um Längsschnittdatenerhebung der Wirkungserfassung auf Lebensverlaufsmuster zu berücksichtigen.

Ein weiterentwickeltes EIDT3 zur Selbsteinschätzung könnte zur Überprüfung der Einflussfaktoren genutzt werden, die bislang über die Fremdeinschätzung abgebildet wurden. Zudem könnte die Beantwortbarkeit der Faktoren wie Einkommen, Ausbildungs- sowie Berufsstand des Klienten gesteigert werden, zu denen im Rahmen des EIDT3 nur kaum Antworten gegeben werden konnten. Darüber hinaus können die auf digitale Technologie bezogenen Faktoren im Zuge der Selbs einschätzung erfasst und als Einflussfaktoren überprüft werden.

Auch ist nach einer Weiterentwicklung des Instrumentes die Anwendung bei Menschen ohne und mit verschiedenen Behinderungen sinnvoll, um Vergleichbarkeiten zu anderen Bevölkerungsgruppen zu generieren. Hierfür ist eine zielgruppengerechte Ansprache sowie Vorgehensweise im Rahmen des Erhebungsverfahrens notwendig (Kersting et al. 2020). Vor allem bei der Prüfung des Einflusses gesetzlicher Rahmenbedingungen ist die Herausforderung eines hohen Abstraktionsniveaus der Frageinhalte zu beachten.

Das EIDT3 lieferte eine erste Grundlage, um die RDT sowie die Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe online oder über Paper-Pencil-Verfahren zu überprüfen. Um dem Anspruch der dargelegten Erhebungsabsicht gerecht zu werden, bedarf es darüber hinaus weiterer Fassungen eines Erhebungsinstruments, die auf unterschiedliche Zielgruppen und ihre Bedarfe zugeschnitten und flexibel einsetzbar sind, z. B. Lang- und Kurzbögen, Instrumente in Alltagssprache und Leichter Sprache (ebd.).

Um eine Anschlussfähigkeit im Gesamtplanverfahren der Eingliederungshilfe zu erreichen, sollten nach einer Ersteinschätzung über die Kurzskala RDT tiefergehende Fragen entwickelt werden, die die Bedarfsermittlung von Teilhabeleistungen bei der Ziel- und Leistungsplanung unterstützt. Dabei sollten zwingend alle Dimensionen Digitaler Teilhabe (an, durch, in) berücksichtigt werden. Ähnlich wie bei dem Instrument BEI_NRW, könnte die Beurteilung des Teilhabegrades – im Sinne der ICF – über Fragestellungen erfolgen, mit denen vor allem der Grad der Aktivitäten und der Umweltfaktoren beurteilt werden kann (Roters, Dieckmann & Reinersmann 2019).