Dieser Forschungsarbeit liegt eine methodische Triangulation aus qualitativen und quantitativen Elementen zugrunde, die auf die Entwicklung einer Definition, eines Modells sowie eines Erhebungsinstruments zur Digitalen Teilhabe von MgB abzielt.

7.1 Forschungsdesign

Die Beantwortung der aufgezeigten Fragestellungen (s. Kapitel 6, S. 87) erfolgt anhand aufeinander aufbauender qualitativer (Fokusgruppen und Reflexionsformate) sowie quantitativer (schriftliche Befragung) Methoden der empirischen Sozialforschung, einem sogenannten sequenziellen Mixed-Methods-Studiendesign (Schoonenboom & Johnson 2017). Um Digitale Teilhabe zu definieren und modellhaft abzubilden, ist zunächst das Verständnis von Theorien und Modellen festzulegen. Die Begriffe werden in dieser Arbeit nach dem Verständnis von Lippke und Renneberg (2006) verwendet. Demnach geben Theorien und Modelle Aufschluss darüber, in welcher (Wechsel-)Wirkung Einflussfaktoren eines Untersuchungsgegenstandes stehen und durch welche Bedingungen dieser Untersuchungsgegenstand beeinflusst wird. Aus den aufgezeigten (Wechsel-)Wirkungen im Modell können Hypothesen theoriegeleitet formuliert werden, die in weiteren Forschungsvorhaben überprüft, weiterentwickelt und modifiziert werden können (ebd.). Eine Übersicht der verwendeten Forschungsmethoden sowie daraus abgeleiteter Meilensteine ist Abb. 7.1 (s. S. 96) zu entnehmen.

Abb. 7.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung)

Übersicht der Forschungsmethoden und Meilensteine.

Um eine Forschungsgrundlage zu schaffen, erfolgte im ersten Methodenschritt die literaturbasierte Entwicklung einer Definition [DDT1] sowie eines Modells Digitaler Teilhabe [MDT1]. Hierfür wurde mittels Scoping Review in Anlehnung an Peters et al. (2015) der aktuelle Diskurs zu bestehenden Begriffsansätzen, Einflussfaktoren und Auswirkungen Digitaler Teilhabe für MgB strukturiert erfasst, aufbereitet und für die Entwicklung einer ersten Definition und eines ersten Modells Digitaler Teilhabe in Bezug auf die Zielgruppe verwendet. Zur Visualisierung der zentralen Ergebnisse des Scoping Reviews wurde eine Conceptual Map in Anlehnung an Anderson et al. (2008) entwickelt. Der erste Methodenschritt wurde mit der Ableitung eines Definitions- und Modellentwurfes abgeschlossen.

Auf Grundlage der Erkenntnisse erfolgte im zweiten Methodenschritt die empirische Weiterentwicklung der Definition [DDT2] und des Modells Digitaler Teilhabe [MDT2–MDT4], indem der Entwurf der Definition und des Modells Digitaler Teilhabe durch zwei parallel stattfindende empirische Prozesse angereichert und weiterentwickelt wurde. Zum einen wurden zwei partizipativ und iterativ angelegte Reflexionsformate (I und II) in Anlehnung an Schulz, Mack und Renn (2012) mit MgB (n = 4–5) durchgeführt, um deren subjektive Erwartungshaltungen und Ansichten in Bezug auf die Thematik, Definition und Modellentwicklung einzuholen. Zum anderen wurde Fokusgruppe I mit ausgewiesenen wissenschaftlichen und praxisbezogenen Experten durchgeführt, um durch ihre Perspektive den Definitions- und Modellentwurf qualitativ anzureichernDie Teilnehmenden der Fokusgruppe stammten aus den Forschungsfeldern Sozial- und Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie aus dem praktischen Arbeitsfeld der Eingliederungshilfe. Die Auswertung der qualitativen Methoden erfolgte in Anlehnung an die strukturierende Inhaltsanalyse nach Rädiker und Kuckartz (2019). Aus den Erkenntnissen der Reflexionsformate I und II konnte ebenso ein Definitionsentwurf Digitaler Teilhabe in einfacher SpracheFootnote 1 abgeleitet werden. Um diesen Definitionsentwurf für MgB verständlicher zu gestalten, wurde er in einem iterativen Prüfgruppenprozess eines Übersetzungsbüros für Leichte Sprache in Leichte Sprache übersetzt. Der zweite Methodenschritt schloss mit der Überarbeitung der Definitions- und Modellentwürfe auf Grundlage der empirisch ermittelten Erkenntnisse ab.

Die im zweiten Schritt generierten Ergebnisse wurden für den dritten Methodenschritt herangezogen, der Entwicklung und Prüfung eines Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe [EIDT1–EIDT3] von MgB in der Eingliederungshilfe. Hierfür wurden aus der entwickelten Definition und dem entwickelten Modell relevante Faktoren für die schriftliche Befragung festgelegt sowie Items abgeleitet. Diese Items wurden in einem inhaltlich reduzierten Fragebogenformat in einfacher Sprache ausformuliert, um die Selbsteinschätzung von MgB in der Eingliederungshilfe zur Digitalen Teilhabe zu prüfen und MgB im Sinne der partizipativen Forschung miteinzubeziehen. Dieser Fragebogen wurde im Reflexionsformat III mit den Teilnehmenden getestet. Überdies wurden die Items im Fragebogenformat vollumfänglich durch die Fokusgruppe II diskutiert. Die Auswertung erfolgte wie bei dem vorangegangenen qualitativen Vorgehen in Anlehnung an die strukturierende Inhaltsanalyse nach Rädiker und Kuckartz (2019). Aus der Diskussion mit den Experten konnten einige Änderungsvorschläge und Hinweise für die Anwendung des Erhebungsinstruments gewonnen werden, sodass das modifizierte Erhebungsinstrument in den anschließenden Pretests (formativ in Anlehnung an Porst [2000] (n = 11); kognitiv in Anlehnung an Häder [2015] (n = 14)) gegeben wurde. Dadurch konnten auftretende Messschwierigkeiten und Verständnisprobleme bzgl. des Erhebungsinstruments beseitigt werden. Das finale Erhebungsinstrument wurde in einer bundesweiten schriftlichen Querschnittsbefragung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe (n = 804) getestet. Die Auswertung erfolgte mithilfe deskriptiver und statistischer Analyseverfahren. Dadurch konnte die Eignung des Erhebungsinstruments zum einen durch die Anwendung von Mitarbeitenden unterschiedlicher Einrichtungen der Eingliederungshilfe und zum anderen durch eine explorative Anwendung im Reflexionsformat III MgB geprüft werden. Mit Abschluss des Forschungsvorhabens liegt ein grundlegender Ansatz für die Erfassung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe vor.

Bevor die Durchführung der einzelnen Methodenschritte aufgezeigt wird, erfolgt zunächst die Darlegung der zugrundeliegenden Forschungsethik sowie der Aspekte des Datenschutzes.

7.2 Forschungsethik und Datenschutz

Bei der Durchführung der Fokusgruppe sowie bei der Erhebung im Bereich der Eingliederungshilfe wurden unter anderem personenbezogene DatenFootnote 2 erhoben und verarbeitet, sodass es ethische sowie datenschutzrechtliche Aspekte zu beachten galt (Flick 2019). Das Vorhaben folgt strengen Datenschutzbestimmungen gemäß der Datenschutzgrundverordnung [DSGVO], um den Datenschutz der involvierten Teilnehmenden zu gewährleisten (DSGVO 2018). Dem Daten- sowie Persönlichkeitsschutz der Teilnehmenden wurde in dieser wissenschaftlichen Forschungsarbeit höchste Priorität beigemessen.

Bei der Rekrutierung der Teilnehmenden wurden ethische Aspekte bzgl. der Freiwilligkeit der Studienteilnahme beachtet (Rädiker & Kuckartz 2019). Mit einem Informationsschreiben (in einfacher Sprache) wurden die Teilnehmenden über das Forschungsvorhaben und die folgenlose Rücktrittsmöglichkeit informiert. Das Dokument wurde von den Teilnehmenden gelesen, mit den Forscherinnen unmittelbar vor den Forschungsformaten besprochen und bei Rückfragen mündlich aufgearbeitet. Die Teilnahme wurde über eine Einwilligungserklärung (in Leichter Sprache) zugestimmt.

Ferner wurden die Teilnehmenden während des gesamten Forschungsprozesses mündlich und schriftlich umfassend über das Forschungsvorhaben und die für diese Forschung notwendige Datenverarbeitung aufgeklärt. Ebenso wurden sie wiederholt auf die Rücktrittsmöglichkeit und Freiwilligkeit sowie auf die Anonymität und Pseudonymisierung der Teilnahme hingewiesen (ebd.). Die Teilnehmenden konnten zu jeder Zeit ohne Angabe von Gründen ihre Einwilligung zurückziehen.

Während der inhaltlichen Strukturierung der Leitfäden für die Fokusgruppe sowie des Reflexionsformates wurde in der Vorbereitungsphase im Hinblick auf den Datenschutz darauf geachtet, dass keine personenbezogenen Daten, wie z. B. der vollständige Name oder die Arbeitsstelle einer Person, schriftlich erfasst werden, sondern lediglich über das Aufnahmegerät aufgenommen werden. Die Audioaufnahmen wurden in anonymisierter Form verschriftlicht. Die Zuordnung der Gesprächspartner zu dem erhobenen Datenmaterial erfolgte zur Wahrung der Anonymität über einen Identifier [ID] (ebd.).

Einsicht in das erhobene, nicht-anonymisierte Datenmaterial erhielten ausschließlich die Forscherinnen, beide verpflichteten sich im Umgang mit den Daten zur absoluten Verschwiegenheit gegenüber Dritten. Zur Dokumentation des Umgangs mit ethischen sowie datenschutzrechtlichen Aspekten wurde ein Datenschutzkonzept für die gesamte Promotion entwickelt und mit dem Kompetenzzentrum Forschungsdaten der Universität BielefeldFootnote 3 abgestimmt. Dieses Konzept enthält Informationen zur Beschreibung und zum Umfang der Datenverarbeitung und regelt die Speicherung und Löschung der (personenbezogenen) Daten sowie die Datensicherheit und den Datenzugriff während und nach der Promotion.

Zur Beurteilung der ethischen Unbedenklichkeit des Promotionsprojekts wurden am 19.10.2020 für die Fokusgruppen und die schriftliche Befragung formale Basisanträge mit den Antragsnummern 2020–159 und 2020–160 und am 13.12.2020 für das Reflexionsformat ein ausführlicher Ethikantrag mit der Antragsnummer 2020–151-W1 eingereicht. Auf der Grundlage dieser Anträge wurde das methodische Vorgehen von der Ethikkommission der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld als ethisch unbedenklich eingestuft. Nachfolgend wird das methodische Vorgehen der dargelegten drei Schritte des Studiendesigns in chronologischer Reihenfolge detailliert aufgezeigt.

7.3 Literaturbasierte Definitions- und Modellentwicklung Digitaler Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Wie bereits beschrieben, wurden für die Beantwortung der aufgezeigten Fragestellungen aufeinander aufbauende qualitative sowie quantitative Methoden der empirischen Sozialforschung angewandt. In dem sequenzielle Mixed-Methods-Studiendesign erfolgte im ersten Methodenschritt die literaturbasierte Entwicklung einer Definition (DDT1) sowie eines Modells Digitaler Teilhabe (MDT1). Das Vorgehen wird nachfolgend näher erläutert.

7.3.1 Scoping Review

Zu Beginn erfolgte die literaturbasierte Entwicklung einer Definition (DDT1) sowie eines Modells Digitaler Teilhabe (MDT1) mithilfe eines Scoping Reviews. Die Auswahl sowie Anwendung der zugrundeliegenden Methode des Scoping Reviews wird nachfolgend erläutert. Dazu werden zunächst die Ziele sowie die handlungsleitenden Fragestellungen dargelegt. Es folgt die begründete Auswahl der angewandten Methoden zur Durchführung des Scoping Reviews nach Peters et al. (2015) und zur Entwicklung der Conceptual Map nach Anderson et al. (2008). Daran anknüpfend werden die Recherchestrategie und die Auswahl der Studien dargelegt. Das Verfahren zur Auswahl der Studien wird in einem Flowchart nach Moher et al. (2009) abgebildet und phasenweise erläutert. Abschließend wird die Aufbereitung der ausgewählten Studien sowie die Festlegung der forschungsbezogenen Untersuchungsgegenstände beschrieben.

7.3.1.1 Ziele und Fragestellungen

Dieses Scoping Review untersucht den Diskurs über Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe, um diesbezüglich verwendete Begriffsverständnisse, themenrelevante SchlüsselbegriffeFootnote 4, Einflussfaktoren auf Digitaler Teilhabe sowie mögliche Chancen und Risiken für MgB zu identifizieren. Aus diesen Inhalten wird eine konzeptionelle Übersicht erstellt. Somit werden für das Scoping Review folgende Ziele definiert:

  • Zusammenfassung der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz über den Diskurs zu Begriffsverständnissen und themenrelevanten Schlüsselbegriffen, theoretischen Teilhabemodellen, Einflussfaktoren, Chancen und Risiken sowie Erfassungsansätzen Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe.

  • Erstellung einer Conceptual Map nach Anderson et al. (2008) mit den identifizierten Schlüsselbegriffen, Einflussfaktoren und Auswirkungen im Diskurs über Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zur Entwicklung eines ersten Definitions- und Modellentwurfes.

Zur Erreichung dieser Ziele sind folgende Fragestellungen bei der Durchführung des Scoping Reviews handlungsleitend:

  • Welche Begriffsverständnisse sowie themenrelevante Schlüsselbegriffe Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe werden in identifizierten, themenbezogenen Studien verwendet?

  • Welche theoretischen Teilhabemodelle werden in den identifizierten Studien berücksichtigt?

  • Welche umweltbezogenen, personenbezogenen, organisationalen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren hemmen und fördern die Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe?

  • Welche Chancen und Risiken entstehen für MgB durch Digitale Teilhabe?

  • Welche Ansätze zur quantitativen Erhebung der zielgruppenbezogenen Digitalen Teilhabe werden in den identifizierten Studien aufgezeigt?

Die Auswahl und Anwendung der Methoden werden nachfolgend begründet.

7.3.1.2 Begründung des Forschungsansatzes

Arksey und O'Malley (2005) entwickelten einen methodischen Leitfaden für die Durchführung eines Scoping Reviews, der im Rahmen darauffolgender Forschung weiterentwickelt und modifiziert wurde (Levac, Colquhoun & O'Brien 2010; Peters et al. 2015). Anders als systematische Reviews beabsichtigt das Scoping Review nicht die Beantwortung einer spezifischen Forschungsfrage mithilfe von qualitativ bewerteten Studien. Vielmehr zielt ein Scoping Review losgelöst vom Studiendesign auf einen strukturierten Überblick über einen Literaturkorpus ab, um Schlüsselkonzepte und Begriffsdefinitionen sowie Schlüsselcharakteristika in Bezug auf diese Konzepte zu identifizieren. Dabei wird deutlich, wie Forschung zu einem Thema durchgeführt wird und welche Wissenslücken sowie Arten der verfügbaren Evidenz bestehen (Chavez et al. 2005; Crilly, Jashapara & Ferlie 2010; Tricco et al. 2018). In der Regel wird dabei keine formale Bewertung der methodischen Qualität der eingeschlossenen Studien vorgenommen, denn dies würde nicht dem übergeordneten Ziel entsprechen, einen Überblick über die vorhandene Evidenz zu geben. Somit ist es durch das Scoping Review möglich, Studienergebnisse jedweder Methodik als potenzielle Quellen glaubwürdiger Evidenz zu betrachten (Elm, Schreiber & Haupt 2019).

Mit Blick auf die Ziele und Fragestellungen (s. Kapitel 6, S. 87) wurde ein Scoping-Review-Ansatz als die am besten geeignete Art der Review-Methode angesehen. Zur Erläuterung der Auswahl des Scoping-Review-Frameworks nach Peters et al. (2015) wird dieses weiteren Ansätzen nachfolgend gegenübergestellt.

Das renommierte Framework von Arksey und O'Malley (2005) eignet sich grundlegend zur Beantwortung der Fragestellungen des Scoping Reviews, da das Verfahren den Einschluss von Studien mit unterschiedlichen Stichproben und Designs erlaubt. Außerdem ermöglicht dieser Ansatz die Identifikation von Hauptfaktoren, die mit einem Konzept verbunden sind, sodass die Evidenz zu einem Thema dargestellt und themenbezogene Forschungslücken spezifiziert werden können (ebd.).

Dieses Framework wurde durch Levac, Colquhoun und O'Brien (2010) angepasst, indem die einzelnen Phasen konkretisiert wurden und somit ein noch nachvollziehbarer und strengerer Überprüfungsprozess erfolgen kann. Weitere Anpassungen des Frameworks wurden von Peters et al. (2015) vorgenommen. Sie erweitern den Überprüfungsprozess und berücksichtigen die grafische Darstellung der Evidenz und zielen auf die Zusammenfassung der Evidenz in Bezug auf Zielsetzungen und Fragestellungen ab.Die grafische Darstellung dient der ersten Modellentwicklung Digitaler Teilhabe, sodass die Planung und Durchführung dieses Scoping Reviews in Anlehnung an den Ansatz von Peters et al. (2015) erfolgt. Wie in dem Forschungsdesign (s. Abschnitt 7.1, S. 95) dargelegt, wird der Erkenntnisgewinn des Scoping Reviews in den Fokusgruppen sowie im Reflexionsformat mit Expertenmeinungen angereichert.

Für eine qualitativ hochwertige Ergebnisdokumentation und Auswertung wurde die sogenannte PRISMA-Checkliste [Preferred Reporting Items for Systematic reviews and Meta-Analyses] herangezogen. Bei der Entwicklung der PRISMA-Checkliste lag der Fokus auf randomisierte Studien, dennoch kann PRISMA auch als Grundlage für das Berichten von systematischen Übersichten verwendet werden. PRISMA ermöglicht die kritische Bewertung publizierter systematischer Übersichten (Moher et al. 2009). Unter Beteiligung internationaler Experten wurde 2018 eine Erweiterung des PRISMA-Statements für Scoping Reviews [PRISMA-ScR] entwickelt, um eine einheitliche Berichterstattung gewährleisten zu können. Dabei werden die methodischen Prozesse und Ergebnisse strukturiert dargestellt, um die Nachvollziehbarkeit der systematischen Literaturrecherche zu gewährleisten (Tricco et al. 2018). Eine Bewertung der methodischen Studienqualität ist nach dem Joanna Briggs Institute Framework nach Peters et al. (2015) nicht vorgesehen (ebd.).

Die Conceptual Map bzw. das Concept Mapping stellt eine Methode zur strukturierten visuellen Darstellung dar (Anderson et al. 2008; Levac, Colquhoun & O'Brien 2010; Elm, Schreiber & Haupt 2019). Es ist ein grafisches Werkzeug, mit dessen Hilfe Wissen organisiert und repräsentiert werden kann. Ziel ist die Darstellung von Zusammenhängen und Beziehungen einzelner Begriffe. Dies erfolgt durch die Propositionen zweier oder mehrerer Begriffe. Dazu werden beschriftete Pfeile verbunden und zu sinnstiftenden Einheiten zusammengefasst (Novak & Gowin 1984).

Trotz unterschiedlicher Definitionen und Anwendungsbezüge ist die Conceptual Map ein anerkanntes Verfahren, um themenbezogene Schlüsselbegriffe in ihren relevanten Aspekten in Bezug zu setzen und zu visualisieren. So können beispielsweise Unterschiede in der Bedeutung von Wörtern oder Ausdrücken sowie komplexe Zusammenhänge verständlicher aufgezeigt werden (Anderson et al. 2008). Die entstandene Conceptual Map fungiert im Rahmen des Forschungsvorhabens zudem als ein erster Definitions- und Modellentwurf.

7.3.1.3 Recherchestrategie und Auswahl der Studien

Für die Literaturrecherche und Auswahl der Studien wurde a priori ein Scoping Review Protokoll in Anlehnung an den Leitfaden für Scoping Reviews von Peters et al. (2015) erstellt, um den Reviewprozess transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Das Protokoll beschreibt detailliert die Kriterien, nach denen die beiden Reviewerinnen beabsichtigten, Studien ein- bzw. auszuschließen, relevante Daten auszuwählen, zu extrahieren und darzustellen (Elm, Schreiber & Haupt 2019). Das Protokoll wurde nicht publiziert.

Die Literaturrecherche wurde von Januar 2021 bis März 2021 in den einschlägigen Datenbanken und Fachbibliotheken PsyndexFootnote 5, APA PsychInfoFootnote 6, Web of ScienceFootnote 7, LivivoFootnote 8 und PubMedFootnote 9 durchgeführt. Die Auswahl der Fachdatenbanken erfolgte nach einem Beratungsgespräch mit einem Mitarbeitenden der Hochschulbibliothek Bielefeld. Ergänzend wurde in der Datenbank für graue Literatur Google ScholarFootnote 10 recherchiert. Der Ablauf der Literaturrecherche wird nach Moher et al. (2009) dargestellt.

Die Basis des Scoping Reviews stellten empirische Studien aus den wissenschaftlichen Disziplinen Sozial- und Gesundheitswissenschaften sowie der Psychologie dar. Um eine vollständige Suche zu gewährleisten, wurden neben relevanten deutschen Schlagworten auch Synonyme und englische Übersetzungen verwendet. Mit einer Trunkierung (*) wurde der Suchbegriff auf einen Wortstamm reduziert, was eine umfassendere Suche zulässt. Um Begriffe zu verbinden, wurden bei der Suche zwei Begriffe mit dem Boolschen Operator AND in Bezug gesetzt. Der weitere Boolsche Operator OR ermöglichte es, Literatur zu finden, in der entweder der eine oder der andere Begriff vorkommt (Kleibel & Mayer 2005). Zudem wurden für die Suche unterschiedliche Begriffskombinationen verwendet. Hierfür sammelten die beiden Reviewerinnen potenziell wichtige Suchbegriffe und durchsuchten relevante Studien nach Schlagworten. Zusätzlich wurde in dem Schlagwortregister der Datenbank PubMed mithilfe von Medical Subject Headings [MeSH] TermsFootnote 11 nach weiteren relevanten Begrifflichkeiten gesucht. Unter Berücksichtigung der PCC-Elemente (Population, Concept, Context) konnten folgende Schlagworte definiert werden:

  • Population (Zielgruppe): Geistige Behinderung, Lernschwierigkeiten, Lernbehinderung, kognitiv* Beeinträchtigung*, geistig* Beeinträchtigung*, Intelligenzminderung, mentale Retardierung, intellectual disability, mental disability, mental handicap, mental retardation.

  • Concept (Konzept): Digital* Teilhabe, Inklusion, Partizipation, Kluft*, Spaltung*, Lebenswelt*, Selbstbestimm*, digital inclusion, digital divide, digital exclusion.

  • Context (Kontext): Eingliederungshilfe, Behindertenhilfe.

Ausgehend von diesen vordefinierten Schlagworten wurde mithilfe der Datenbank PSYNDEX die Suchmatrix präzisiert. PSYNDEX wertet deutschsprachige psychologische Fachliteratur aus und übersetzt die deutschsprachigen Titel zusätzlich ins Englische. PSYNDEX eignet sich als Einstiegsdatenbank, um sich das englischsprachige Fachvokabular zu erschließen. APA PsycINFO verwendet die gleichen englischsprachigen Schlagwörter. Entsprechend können die einzelnen Suchbegriffe ebenfalls in APA PsycINFO eingegeben und weitere englischsprachige Fachbegriffe identifiziert werden. Zudem wurden weitere forschungsrelevante Suchbegriffe in den Titelangaben aus der Datenbank PSYNDEX herausgefiltert und eingearbeitet.

Anschließend wurden die vordefinierten Schlagworte und die Ergebnisse von PSYNDEX sowie APA PsycINFO zu einem Gesamtvokabular zusammengefügt und daraus für die Datenbanken PSYNDEX, APA PsycINFO, Web of Science und LIVIVO, PubMed sowie Google Scholar eine geeignete Suchstrategie entwickelt.

Da die verschiedenen Datenbanken individuelle Suchoberflächen haben, konnten diese nicht mit einer einheitlichen Suchmatrix bedient werden. Somit wurde für jede Datenbank eine eigene Suchmatrix auf Basis der beschriebenen Vorgehensweise erstellt. Die so entstandenen individuellen Suchmatrizen wurden abschließend mit einem Mitarbeitenden der Hochschulbibliothek Bielefeld diskutiert sowie finalisiert und sind der nachfolgenden Tab. 7.1 (s. S. 107) zu entnehmen.

Tab. 7.1 Übersicht der datenbankbezogenen Suchmatrix. (Quelle: Eigene Darstellung)

Um im Rahmen der Studienauswahl die aktuellen Entwicklungen des Diskurses über Digitale Teilhabe zu berücksichtigen, wurden die Publikationsjahre zwischen 2010 und Januar 2021 eingegrenzt. Es wurde lediglich deutsch- und englischsprachige Literatur einbezogen. Neben der Datenbankrecherche wurden zusätzlich Referenzlisten gescreent. Hierdurch konnten weitere thematisch relevante Veröffentlichungen gesucht werden, indem das Literaturverzeichnis oder vorhandene Zusammenfassungen ausgewertet wurden (Wytrzens et al. 2012).

Der durchzuführende Reduktionsprozess sieht vor, dass in jedem Schritt die genaue Anzahl der Studien explizit benannt wird, die gefunden, überprüft, ausgeschlossen und anschließend tatsächlich verwendet wurde. Die Vorgehensweise des Recherche- und Auswahlprozesses ist der folgenden Flowchart nach Moher et al. (2009) in Abb. 7.2 (s. S. 109) zu entnehmen.

Abb. 7.2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Moher et al. [2009])

Flowchart zum Auswahlverfahren der Studien.

Mit der in Tab. 7.1 (s. S. 107) dargestellten Suchmatrix wurden zunächst 1.686 Studien gefunden. Die identifizierten Studien wurden anschließend auf Duplikate geprüft, eventuelle doppelt identifizierte Titel wurden eliminiert. Die identifizierten Treffer wurden im Sinne der Themenstellung systematisch nach Titel und Abstract auf ihre Relevanz überprüft (Überprüfungsphase). Entsprechend reduzierte sich die Zahl der verbleibenden Artikel. Anschließend wurden die Volltexte auf die definierten Ein- und Ausschlusskriterien hin überprüft. Der Ausschluss einer Studie in der Volltextanalyse wurde begründet (Auswahlphase). Abschließend ergab sich die Anzahl der geeigneten Studien (n = 27), die in das Scoping Review eingeschlossen wurden (Einschlussphase). Nachfolgend werden die Durchführungsprozesse dieser einzelnen Phasen näher erläutert.

Identifizierungsphase

Die identifizierten Publikationen aus den wissenschaftlichen Fachdatenbanken PSYNDEX (n = 64), PsychInfo (n = 335), Web of Science (n = 318), PubMed (n = 190), Livivo (n = 226) sowie aus der Datenbank für graue Literatur Google Scholar (n = 553) ergeben insgesamt 1.686. Diese identifizierten Studien (n = 1.686) wurden auf Duplikate von den Reviewerinnen geprüft und entsprechend auf 1.659 Publikationen reduziert.

Überprüfungsphase

Im weiteren Schritt wurden die Titel von 1.659 Publikationen von beiden Reviewerinnen unabhängig voneinander geprüft, wobei 1.594 Publikationen ausgeschlossen wurden. Durch die Lesung des Abstracts wurden weitere 32 Publikationen ausgeschlossen.

Auswahl- und Einschlussphase

Die Volltexte der verbleibenden 33 Publikationen wurden abschließend auf die zuvor definierten Ein- und Ausschlusskriterien (s. Tab. 7.2, S. 110) und somit auf Eignung und Aufnahme in das Scoping Review überprüft.

Tab. 7.2 Ein- und Ausschlusskriterien zur Beurteilung der identifizierten Studien. (Quelle: Eigene Darstellung)

Eingeschlossen wurde aktuelle Literatur zwischen 2011 und Januar 2021 in englischer oder deutscher Sprache. Entsprechend der Fragestellung wurde der Bezug zu MgB als Einschlusskriterien festgelegt. Um den Versorgungskontext zu erfassen und den Teilhabebezug herzustellen, wurde der Bezug von sozialen Teilhabeleistungen in der Eingliederungshilfe oder äquivalenten Versorgungsformen (s. Abschnitt 2.3.3, S. 18) als Kontext definiert. Entsprechend wurden Studien ausgeschlossen, in denen ausschließlich spezifische Teilhabeleistungen der Eingliederungshilfe zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur Teilhabe an Bildung fokussiert werden. Um neben dem Teilhabebezug ebenso die Bezüge zur Digitalisierung der Teilhabebereiche aufzugreifen, wurde als Konzept die Nutzung von, die Einstellung zu und der Umgang mit digitalen Technologien definiert, wobei die rein therapeutische und medizinische Nutzung digitaler Technologien aufgrund des spezifischen Bezugs zur medizinischen Rehabilitation ausgeschlossen wurden. Um das Forschungsfeld vollumfänglich zu erschließen, wurden Forschungsvorhaben mit qualitativen, quantitativen und Mixed-Methods-Studiendesigns und Literaturübersichten, einschließlich Studien, die als Dissertationen oder Masterarbeiten veröffentlicht, eingeschlossen. Studien mit niedrigem Evidenzlevel, wie beispielsweise Fallberichte, Expertenmeinungen, Abstracts oder Poster wurden hingegen ausgeschlossen.

Ergänzend wurden Referenzlisten der identifizierten Publikationen (n = 33) gescreent, um zusätzliche Publikationen (n = 3) zu identifizieren. Diese durchliefen den gleichen Screeningprozess wie die anderen Studien. Nach Screening der Referenzlisten beliefen sich die identifizierten Studien auf 36 Volltexte. Die Analyse dieser erfolgte unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Ein- und Ausschlusskriterien. Insgesamt wurden neun Volltexte in der Analyse als ungeeignet beurteilt. Die Ausschlussbegründung der einzelnen Studien sind dem Flowchart (s. Abb. 7.2, S. 109) zu entnehmen. Bei Konflikten zwischen den Reviewerinnen im Auswahlprozess wurde eine dritte Person mit wissenschaftlicher Expertise zur Entscheidung hinzugezogen. In die qualitative und quantitative Synthese wurden final 27 geeignete Studien eingeschlossen. Zur besseren Übersicht wurde den eingeschlossenen Studien eine Studien-ID zugeteilt (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 1 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.).

7.3.1.4 Aufbereitung der ausgewählten Studien

Um die identifizierten Studien auszuwerten, wurden zwei verschiedene Auswertungstabellen entwickelt. Zur Sicherstellung der objektiven Bewertung der Studien, wurden diese jeweils durch beide Forscherinnen unabhängig voneinander beurteilt.

Zur Übersicht der ausgewählten Studien wurde zudem eine Extraktionstabelle erstellt, die die grundlegenden deskriptiven Merkmale der Studien enthält (Autor, Jahr, Titel, Ziel und Fragestellung, Studienpopulation und Methodik). Um die gewonnenen Inhalte in der Conceptual Map übersichtlich darzustellen, wurde jeder Studie eine Ziffer zugeteilt. Zur Beantwortung der oben aufgeführten Fragestellung (s. Abschnitt 7.3.1.1, S. 101) wurden folgende forschungsfragenbezogenen Merkmale extrahiert:

  • Begriffsverständnis von Digitaler Teilhabe bei MgB,

  • Verwendete theoretische Teilhabemodelle für MgB,

  • Erfassungsansätze von Teilhabe an digitalen Technologien bei MgB,

  • Fördernde Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe von MgB,

  • Hemmende Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe von MgB,

  • Chancen durch Digitale Teilhabe von MgB,

  • Risiken durch Digitale Teilhabe von MgB.

Vorbereitend für die Datenextraktion der 27 geeigneten Studien führten beide Forscherinnen unabhängig voneinander einen Pretest für die beiden entwickelten Auswertungstabellen anhand eines Artikels durch. Die separaten Pretests wurden zusammengeführt und Unstimmigkeiten diskutiert und geklärt. Unter Beibehaltung des Vorgehens setzten beide Forscherinnen die Datenextraktion aller Artikel fort.

Die Ergebnisse der deskriptiven Merkmale (Publikation nach Erscheinungsjahr, Sprache, Land, Untersuchungsgegenstand sowie Methodik) wurden in einer strukturierten und narrativen Synthese grafisch und in tabellarischer Form aufbereitet.

Ebenso wurden die Erkenntnisse zu den forschungsfragenbezogenen Merkmalen der identifizierten Studien im Fließtext ausgewertet und durch die strukturierte visuelle Darstellung mittels Concept Mapping nach Anderson et al. (2008) als Conceptual Map aufbereitet.

Die modifizierte PRISMA-ScR Extraktionstabelle wurde von beiden Reviewerinnen unabhängig voneinander unter Berücksichtigung der forschungsfragenbezogenen Merkmale durchgesehen. Dabei dienten diese als Oberkategorien. Identifizierte Schlagworte wurden als Unterkategorien im Bezug zur jeweiligen Studie eingeordnet. Die separat erstellten Kategoriensysteme der Reviewerinnen wurden zusammengeführt.

Im nächsten Schritt wurde das Kategoriensystem bzw. die zentralen Erkenntnisse mithilfe der Online-Visualisierungsplattform MiroFootnote 12 grafisch visualisiert. Nach Novak und Gowin (1984) werden die Zusammenhänge und Beziehungen der einzelnen Schlagworte mittels beschrifteter Pfeile verbunden und zu sinnstiftenden Einheiten als Conceptual Map zusammenfassend dargestellt (ebd.). Die entstandene Conceptual Map dient als erster literaturbasierter Modellentwurf Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe und als Grundlage für die Formulierung eines Definitionsentwurfes. Mit der Formulierung dieses Definitionsentwurfes sowie der Erstellung der Conceptual Map schließt der methodische Schritt der literaturbasierten Entwicklung einer Definition sowie eines Modells Digitaler Teilhabe ab. Anschließend erfolgt die empirische Weiterentwicklung der Definition und des Modells Digitaler Teilhabe (DDT2 und MDT2–MDT3), indem die Entwürfe durch zwei parallel stattfindende Prozesse angereichert wurden. Das methodische Vorgehen hierfür wird im nachfolgenden Kapitel näher erläutert.

7.4 Empirische Definitions- und Modellweiterentwicklung Digitaler Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Die empirische Weiterentwicklung der Definition (DDT2) und des Modells Digitaler Teilhabe (MDT3) erfolgte durch zwei parallel stattfindende empirische Prozesse. Dabei wurde zum einen das partizipativ und iterativ angelegte Reflexionsformat I in Anlehnung an Schulz, Mack und Renn (2012) mit MgB (n = 4) als offene, leitfadengestützte Diskussions- bzw. Gesprächsräume durchgeführt, um die Erwartungshaltungen und Perspektiven auf die Thematik, Definition und Modellentwicklung zur Überarbeitung der Entwürfe einzuholen. Zum anderen wurde zur kritischen Auseinandersetzung sowie Weiterentwicklung von DDT1 und MDT2 die Fokusgruppe I durchgeführt. Nachdem der Definitions- und der Modellentwurf auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Reflexionsformat I sowie der Fokusgruppe I angereichert und überarbeitet wurden, erfolgte die Diskussion der überarbeiteten Version in einfacher Sprache mit Vertretenden der Zielgruppe MgB im Rahmen des Reflexionsformates II. Um die entwickelte Definition in einfacher Sprache für die Zielgruppe MgB selbst zugänglich und greifbar zu gestalten, wurde der Definitionsentwurf im Rahmen eines iterativen Prüfgruppenprozesses für Leichte Sprache weiterentwickelt.

Die einzelnen Methoden werden nachfolgend näher ausgeführt.

7.4.1 Reflexionsformat I

Das Reflexionsformat I zielte auf die Erhebung und gemeinsame Reflexion der Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB ab. Im Folgenden wird die Methodik des Reflexionsformates I im Rahmen des Forschungsvorhabens erläutert. Dazu werden zunächst die Ziele sowie die handlungsleitenden Fragestellungen des Reflexionsformates dargelegt. Anschließend wird die Auswahl der angewandten Methoden zur Durchführung des Reflexionsformates I erläutert. Daran anknüpfend wird der Feldzugang sowie die Rekrutierung von Teilnehmenden und die Konzeptentwicklung beschrieben. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der Auswertungsmethode nach Rädiker und Kuckartz (2019).

7.4.1.1 Ziele und Fragestellungen

Aufbauend auf den Ergebnissen des Scoping Reviews, das den Diskurs um Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe und diesbezüglich verwendete Begriffsverständnisse, themenrelevante Schlüsselbegriffe, Einflussfaktoren sowie mögliche Chancen und Risiken Digitaler Teilhabe für MgB untersucht hat, diente das Reflexionsformat I zur Weiterentwicklung der literaturbasierten Definition und des ersten Modellentwurfes Digitaler Teilhabe. Hier liegt der Fokus auf einem partizipativen Forschungsdesign, um die Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB in die Definition und das Modell einfließen zu lassen. Somit wurden für das Reflexionsformat I folgende Ziele definiert:

  • Anwendung eines partizipativen Forschungskonzepts zur thematischen Einführung und Schaffung eines vertrauensvollen Austausches mit der Zielgruppe MgB.

  • Erfassung von Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB und Berücksichtigung dieser in der Definition und dem Modell Digitaler Teilhabe von MgB.

Zur Erreichung dieser Ziele sind folgende Fragestellungen bei der Durchführung des Reflexionsformates I handlungsleitend:

  • Welche Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB ergeben sich in Bezug auf Digitale Teilhabe?

  • Welche umweltbezogenen, personenbezogenen, organisationalen und gesellschaftlichen Einflussfaktoren hemmen und fördern Digitale Teilhabe von MgB?

  • Welche Chancen und Risiken entstehen für MgB durch Digitale Teilhabe?

7.4.1.2 Begründung des Forschungsansatzes

Die partizipative Einbindung der Zielgruppe in den Forschungsprozess ist etabliert, um „das Subjekt in seiner Lebenswelt zu verstehen, seine Sicht von Wirklichkeit annährungsweise zu rekonstruieren, um Ansatzpunkte für Veränderungen im Interesse des Personenkreises zu gewinnen“ (s. Seifert 2009, S. 79). Im Kontext dieses Forschungsvorhabens stellen MgB mit ihren subjektiven Erfahrungen bzgl. Digitaler Teilhabe eben diese relevante Bevölkerungsgruppe dar. Es sind zwar zunehmend Studien mit diesem Zielgruppenfokus zu verzeichnen, jedoch sind MgB überwiegend nicht aktiv an dem Forschungsprozess beteiligt (Keeley 2015). Um den gesetzlich verankerten Leitgedanken von Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe im Forschungsprozess gerecht zu werden, nach dessen Verständnis Vertretenden der Zielgruppe die Möglichkeit zur Meinungsäußerung gegeben werden sollte, ist es unabdingbar, diese zu beteiligen. Vor allem im Hinblick auf die Erfassung der Bedingungen und möglicher Veränderungen lebensweltlicher Bereiche (hier durch Digitalisierung), ist die Meinung der Zielgruppe und somit die Erhebung und Einbeziehung ihrer Perspektive von größter Relevanz (ebd.).

7.4.1.3 Rekrutierung und Feldzugang

Die Zielgruppe dieses Forschungsvorhabens schließt MgB in der Eingliederungshilfe ein. Im Prozess des Samplings steht die Frage im Vordergrund, welche Fälle in eine Forschungsstudie einbezogen werden sollen. Im Gegensatz zu standardisierten Untersuchungen hat die qualitative Forschung nicht das Ziel, dass die Verteilung der ausgewählten Stichprobe mit der Verteilung der Gesamtheit übereinstimmt. Stattdessen liegt der Fokus darauf, die "Vielfalt der in einem Untersuchungsfeld vorhandenen Konstellationen" (Przyborski & Wohlrab-Sahr 2022, S. 134) innerhalb eines Untersuchungsfeldes zu erfassen. Für die Reflexionsformate wurde die Sampling-Methode der maximalen Variation gewählt, da diese Methode darauf abzielt, eine möglichst breite Palette unterschiedlicher Fälle der Zielgruppe auszuwählen, um die Vielfalt innerhalb des Forschungsfeldes abzudecken (Flick 2011). Da MgB eine heterogene Zielgruppe darstellen (s. Kapitel 2, S. 9), erscheint diese Methode als geeignet. Die Auswahl der Fälle soll dabei verschiedene Merkmale umfassen, wie beispielsweise unterschiedliches Alter, beide Geschlechter und verschiedene Wohnformen. Die Ausprägung weiterer Beeinträchtigung(en) war nicht relevant.

Um im Umgang mit sensiblen oder geschützten Informationen, wie beispielsweise in sozialwissenschaftlich geprägten Forschungsbereichen, einen Feldzugang zu erhalten, bedarf es der Zustimmung und Unterstützung von sogenannten Gatekeepern (Wolff 2003). Somit war der Kontakt bzw. Zugang zu Einrichtungen der Eingliederungshilfe notwendig, um die Rekrutierung von teilnehmenden MgB durchzuführen. Ein solcher Feldzugang erfolgte gemäß den Empfehlungen von Wolff (2003) über die Einbindung eines Gatekeepers, der als regulatorische Instanz, den Zugriff auf spezifische Informationen oder Ressourcen kontrolliert (ebd.). Als Gatekeeper und Rekrutierungsort für alle Reflexionsformate wurde das Berufsbildungswerk [BBW] Bethel – ein Angebot im Stiftungsbereich proWerk der v. Bodelschwinghsche Stiftungen Bethel [vBS Bethel]Footnote 13 – kontaktiert. Diese Einrichtung gehört einem der größten diakonischen Träger in Deutschland an (Wohlfahrt intern 2019) und verfügt über den Zugang zu Personen aus unterschiedlichen Betreuungskontexten, die im Erkenntnisinteresse der Forschungsarbeit liegen. Durch die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Einrichtung sollte durch die Rekrutierung über das BBW ein Sample zustande kommen, das möglichst unterschiedliche Vertretende der Zielgruppe zusammenbringt und zugleich, durch die Angehörigkeit derselben Einrichtung, ein vertrautes Miteinander der Teilnehmenden ermöglicht. Nach erster telefonischer Kontaktaufnahme mit dem BBW wurde eine Kontaktperson zur Unterstützung vor Ort in den Rekrutierungsprozess eingebunden. Für das Reflexionsformat I wurde zwischen dem 01.07.2021 und dem 31.07.2021 ein Informationsaushang im BBW platziert. Durch die Kontaktperson vor Ort konnten Interessierte an die Forscherinnen vermittelt werden. Der Informationsaushang wurde durch die Forscherinnen erstellt und mithilfe eines Vertretenden der Zielgruppe MgB in einfache Sprache übersetzt.

Gemäß dem qualitativen Forschungsansatz wurde für das Reflexionsformat I eine Auswahl der befragten Personen getroffen, die im Erkenntnisinteresse der Forschungsfragen liegen. Hierfür wurden vorab Ein- und Ausschlusskriterien definiert, über die Personen als Teilnehmende für das Forschungsformat eingeschlossen werden konnten. Für die konkrete Auswahl der Teilnehmenden im weiteren Rekrutierungsprozess lagen dem Ein- oder Ausschluss der Interessierten folgende Kriterien zugrunde (s. Tab. 7.3, S. 117).

Tab. 7.3 Ein- und Ausschlusskriterien zur Beurteilung der Zielgruppenzugehörigkeit und Teilnahmeeignung für das Reflexionsformat I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die gewählten Ein- und Ausschlusskriterien dienen dazu, sicherzustellen, dass die Teilnehmenden notwendige Merkmale aufweisen, die für den Forschungsprozess und die zu untersuchende Fragestellungen relevant sind.

Das Kriterium der leichten bis mittelgradigen geistigen Beeinträchtigung wurde festgelegt, um eine spezifische Zielgruppe von Personen mit geistiger Beeinträchtigung einzuschließen und so die partizipative Einbindung der Zielgruppe in den Forschungsprozess sicher zu stellen (Keeley 2015). Menschen mit einer schweren bis schwersten geistigen Beeinträchtigung haben häufig erhebliche Schwierigkeiten in der Kommunikation, der Selbstständigkeit und der Alltagsbewältigung (Theunissen 2008). Zum einen erschwert dies die Einbindung in die Forschung (Keeley 2015), zum anderen ergeben sich aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung und Fähigkeiten besondere Unterstützungsanforderungen und der Bedarf nach individuellen Lösungen, die es bei der Realisierung Digitaler Teilhabe zu berücksichtigen gilt. Je komplexer die Beeinträchtigung, desto geringer war die Nutzung digitaler Technologien (Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021).

Damit das entwickelte Befragungskonzept (s. Abschnitt 7.4.1.5, S. 120) durchgeführt werden konnte, wurden die Einschlusskriterien Ansprechbarkeit und Wahrnehmung der Teilnehmenden sind gewährleistet und nicht durch Medikamente stark eingeschränkt; Fähigkeit, einfache alltägliche Handlungen sowie einfache alltägliche Dialoge durchzuführen, ist vorhanden sowie grundlegende Fähigkeit zur Kommunikation und Rezeption von Informationen ist vorhanden geprüft. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Teilnehmenden über grundlegende Kommunikationsfähigkeiten verfügen, um Informationen zu empfangen sowie um mit den anderen Teilnehmenden und Forscherinnen zu interagieren.

Wie in Abschnitt 7.2 (s. S. 99) beschrieben, wurde dem Daten- sowie Persönlichkeitsschutz der Teilnehmenden in dieser wissenschaftlichen Forschungsarbeit höchste Priorität beigemessen. Dementsprechend wurden bei der Rekrutierung der Teilnehmenden ethische Aspekte bzgl. der Freiwilligkeit der Studienteilnahme beachtet (Rädiker & Kuckartz 2019). Somit wurde ebenso ein Einschlusskriterum formuliert, dass die Fähigkeit, die Inhalte der Einwilligungserklärung sowie die Beschreibung des Projekts und der spezifischen Studie zu verstehen beschreibt, formuliert. Es ist wichtig, dass die Teilnehmenden die Ziele, den Ablauf, potenzielle Risiken und Nutzen der Forschung sowie ihre Rechte als Teilnehmende verstehen.

Die oben genannten Einschlusskriterien wurden entsprechend definiert, um sicherzustellen, dass die Forschungsarbeit auf die Zielgruppe ausgerichtet ist und die Erfüllung der Forschungsziele ermöglicht wird. Sie dienen dazu, die Eignung und die Fähigkeiten der Teilnehmenden sicherzustellen, die Anforderungen der Studie zu erfüllen und die erforderlichen Informationen angemessen zu verstehen. Diese Kriterien tragen dazu bei, die Integrität der Forschungsergebnisse zu gewährleisten und die ethischen Standards im Umgang mit den Teilnehmenden einzuhalten.

Die Beurteilung der Ein- und Ausschlusskriterien erfolgte im Rahmen des Rekrutierungsprozesses in Rücksprache mit der Kontaktperson im BBW und bei Bedarf mit dem rechtlich Betreuenden im BBW. Sofern alle Einschlusskriterien positiv bewertet und die interessierenden Samplemerkmale geprüft wurden, konnte die Teilnahme des Interessenten bestätigt werden.

Nach mündlicher Informationsausgabe zur Teilnahme am Reflexionsformat I erfolgte die schriftliche Informationsausgabe und Klärung bestehender Rückfragen zum Forschungsvorhaben anhand der entwickelten Informations- und Befragungsmaterialien. Die Informations- und Befragungsmaterialien in einfacher Sprache wurden durch einen Vertretenden der Zielgruppe MgB auf Verständlichkeit geprüft. Dabei wurden die Interessenten vollumfänglich über das Forschungsinteresse, die Wahrung der Datensicherheit sowie des Datenschutzes, die Anonymität sowie folgenlose Rücktrittsmöglichkeit von ihrer Teilnahmeeinwilligung aufgeklärt und hatten die Möglichkeit, Rückfragen zu stellen. Bei weiterem Interesse wurde die Teilnahme an der Studie von dem Interessenten im Rahmen der Einwilligungserklärung schriftlich bestätigt.

Insgesamt äußerten vier MgB Interesse an der Teilnahme am Reflexionsformat I bis zum 30.07.2021. Nach Prüfung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden alle Personen für geeignet erklärt. Nach dem Aufklärungsgespräch revidierte keine Person ihr Interesse und ihre Teilnahme.

7.4.1.4 Beschreibung des Fallsamples

Der finale Sampleplan umfasst die relevanten Merkmale der Teilnehmenden Alter, Geschlecht und Wohnform (s. Tab. 7.4, S. 120).

Tab. 7.4 Charakteristika der Teilnehmenden des Reflexionsformates I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Das Durchschnittsalter im ersten Reflexionsformat liegt bei 25 Jahren. Die Stichprobe setzt sich zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern zusammen. Zwei Personen wohnen derzeit im Elternhaus, ein Teilnehmer ist alleinlebend und eine weitere Teilnehmerin lebt in einer Wohngemeinschaft [WG].

7.4.1.5 Entwicklung des Befragungskonzepts

Um eine partizipative Einbindung der MgB zu ermöglichen, wurde die Methodik des Reflexionsformates durch die Forscherinnen entwickelt. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das sich an der Fokusgruppe nach Schulz, Mack und Renn (2012) orientiert, jedoch die Herausforderungen in der methodischen Konzeption, die sich aus der partizipativen Einbindung von MgB ergeben, berücksichtigt (Keeley 2015; Di Lorito et al. 2017; Stevenson & Taylor 2019).

Das gewählte Format der Fokusgruppe ermöglicht eine offene, moderierte Diskussionsplattform zur strukturierten, aber explorativen Erschließung von Informationen, Meinungen und Erfahrungen in Bezug auf einen Themengegenstand (Schulz, Mack & Renn 2012). Eine ausführliche Beschreibung der Methode Fokusgruppe findet sich in Abschnitt 7.4.2 (s. S. 126). Wie bereits erwähnt, bringt die Einbindung von MgB in ein solches methodisches Format jedoch Herausforderungen in der methodischen Konzeption mit sich (Keeley 2015; Di Lorito et al. 2017; Stevenson & Taylor 2019), sodass das Vorgehen der Fokusgruppe nach Schulz, Mack und Renn (2012) angepasst wurde. Insbesondere Beeinträchtigungen des (kognitiven) Sprachverständnisses und der Antwortreaktion stellen eine potenzielle Schwierigkeit bei der Konzipierung und Durchführung von Befragungen dar (Schäfers 2008).

Daher ist es notwendig, dass die Befragungsmethode an die Bedarfe und Bedürfnisse sowie Kompetenzen des Teilnehmenden angepasst wird. Nur so wird allen Teilnehmenden die Möglichkeit eröffnet, sich als Experte in eigener Sache bei der Befragung zu entfalten (Keeley 2015). Nach Schäfers (2008) sollte von abstrakten und verschieden interpretierbaren Fragestellungen abgesehen werden. Vielmehr sollten die Gestaltung und Auswahl von Inhalten sowie die Formulierung der Fragestellung so erfolgen, dass die Fragen und Antworten nicht verschieden interpretierbar und nicht abstrakt formuliert sind (ebd.). Perry (2008) erfasst diese Herausforderung mit dem Begriff der Antwortfähigkeit der beteiligten MgB. Dabei sind offene Fragen für MgB zu abstrakteren Themen eher schwieriger zu beantworten als Fragen zu konkreten Aspekten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Inhalte und die Form der Frage ausschließlich in einfachste Worte fassen lassen müssen oder sich ausschließlich auf konkrete Aspekte beziehen dürfen. Bei der Formulierung der Fragen ist jedoch auf die Regeln für Leichte Sprache zu achten (ebd.). Nach Hagen (2002) können einleitend offene und durchaus komplexe Fragen gestellt werden, da nicht pauschalisiert werden kann,

„dass einfache Fragen per se behindertengerecht wären (…), vielmehr darf nicht ausgeschlossen werden, dass Menschen mit einer geistigen oder mehrfachen Behinderung durchaus in der Lage sein könnten, komplexe Sinnzusammenhänge zu verstehen, zumal nicht vom aktiven Sprachgebrauch unmittelbar auf das passive Sprachverständnis geschlossen werden kann“ (s. ebd., S. 300).

Zeichnet sich jedoch im Verlaufe der Befragung ab, dass die sprachliche Fragenkonzeption nicht den Bedürfnissen des Teilnehmenden entspricht, gilt es als Befragender zu reagieren und die Fragen zu vereinfachen (ebd.). Auch Michels (2012) und Keeley (2015) stimmen dieser Befragungsstrategie zu. Sie begründen dies mit ihren Erfahrungen, dass MgB in einem Gespräch mit Bezug zu ihrer eigenen Lebenswelt fähig sind, komplexere Fragestellungen zu verstehen und zu beantworten (Michels 2012; Keeley 2015).

Um die kognitiven Leistungseinschränkungen der Teilnehmenden zu berücksichtigen, wird auf eine besondere Niedrigschwelligkeit des Reflexionsformates geachtet. Hierfür werden die benötigten Unterlagen in einfacher Sprache verfasst. Die Anwendung von einfacher Sprache, insbesondere bei der Erstellung der Teilnehmendeninformation und Einwilligungserklärung, ist aus ethischer sowie rechtlicher Perspektive notwendig. Somit kann weitestgehend sichergestellt werden, dass die teilnehmenden MgB den Inhalt sowie die Absicht des geplanten Formates verstehen können und somit informiert und freiwillig ihre (Nicht-)Teilnahme bestätigen (ebd.).

Bei der Fragenformulierung des Reflexionsleitfadens I wurde mithilfe des Regelwerks der Leichten Sprache (s. Netzwerk Leichte Sprache 2021) ein Fragenkonstrukt aus offenen, aber inhaltlich eingegrenzten und somit gut verständlichen Fragen erstellt. Vereinzelte geschlossene Fragen wurden ergänzt, um Sachverhalte bei Bedarf gezielt hinterfragen zu können (Schäfers 2008). Neben sprachlich-kommunikativen Herausforderungen müssen weitere Aspekte bei der Konzeption und Durchführung von Befragungen mit MgB berücksichtigt werden. Für MgB sind Fragen, die auf eine quantitative Einschätzung abzielen, häufig schwieriger zu beantworten (ebd.), sodass Visualisierungen von Sachverhalten (z. B. Skalen oder Bildbeispiele) den Transfer abstrakter Quantifizierungen vereinfachen können (Keeley 2015).

Nach Keeley (2015) erweist es sich vor allem bei der Befragung von MgB als Vorteil, wenn die befragte Person den Gesprächsführenden als vertrauenswürdig anerkennt. Negative Erfahrungen beispielsweise durch Testsituationen oder Befragungen zur (Pflege-)Einstufung können bei der Zielgruppe vorliegen und erzeugen ein Misstrauen gegenüber Gesprächen, vor allem mit nicht vertrauten Personen. Diese negativen Erfahrungen gilt es zu thematisieren und aufzulösen (ebd.). Auf Grundlage bisheriger Befragungen schlussfolgert Hagen (2002), dass diese in möglichst natürlichen Situation stattfinden sollten, um aussagefähigere Ergebnissen zu erzielen (ebd.). Darum fand das Reflexionsformat I persönlich und in einer den Teilnehmenden vertrauten Umgebung statt. Hierfür wurde eine Räumlichkeit des BBW ausgewählt. Neben einem vertrauten Setting zielt dieses Format auf die Schaffung einer gemütlichen Atmosphäre ab. Hierfür werden Kalt- sowie Heißgetränke und Kuchengebäck in der Räumlichkeit des BBW bereitgestellt. Dies sollte, im Gegensatz zu Interview- oder anderen Beobachtungsformaten, eine angenehmere Gesprächsatmosphäre erzeugen, sodass die Teilnehmenden möglichst entspannt in das gemeinsame Gespräch einsteigen können und offener über positive und negative Erlebnisse mit digitalen Technologien sprechen können. Ebenso sollte der Wiederholungscharakter des Formates die Vertrauensbasis zwischen den Forscherinnen und den teilnehmenden MgB stärken und zur Qualität der generierten Ergebnisse beitragen.

Nach Atteslander und Cromm (2003) sollte die Gesprächsdauer von 30 bis 60 Minuten eingehalten werden (ebd.). Vorherige Forschung mit MgB zeigt, dass es bei dieser Zielgruppe schneller zu einer Überforderung oder zu Konzentrationsschwächen kommen kann. Sofern aber subjektiv bedeutsame Inhalte thematisiert werden, sind die Befragten häufig in der Lage, die eigenen Kompetenzen realistisch einzuschätzen und so die Länge des Gesprächs zu bestimmen. Bei gravierenden Konzentrationsschwierigkeiten ist es Aufgabe des Moderators, die Befragung angemessen zu beenden (Keeley 2015). Somit wird die Gesamtdauer des Reflexionsformates I unter Berücksichtigung der begrenzten Konzentrationsfähigkeit von MgB auf maximal 45 Minuten inklusive einer 15-minütigen Erholungspause ausgelegt.

Das Reflexionsformat I wurde mithilfe eines für die Forschungsfragen geeigneten Leitfadens durchgeführt.

Leitfadenentwicklung

Unter Berücksichtigung der genannten Aspekte wurde ein offener teilstandardisierter Leitfaden zur Unterstützung und Strukturierung des Reflexionsformates erstellt. Dabei dienen nach Schulz, Mack und Renn (2012) offen formulierte Fragen als Entwicklungsgrundlage. Diese können von den Teilnehmenden des Reflexionsformates frei diskutieret und beantwortet werden (ebd.). Ebenso wird eine flexible Frage-Antwort-Struktur ermöglicht, die Spielräume in den Frageformulierungen, Nachfragestrategien und in dem Ablauf der Fragen zulässt (Hopf 2005). Der Leitfaden dient dabei als Gerüst, um mögliche Fehlerquellen, wie das Übersehen von wichtigen Aspekten, zu vermeiden. Jedoch muss das Gespräch nicht strikt in der zuvor festgelegten Reihenfolge verlaufen (Mayer 2008; Schulz, Mack & Renn 2012).

Nach Helfferich (2011) werden besondere Anforderungen an einen Leitfaden gestellt. Dieser soll Offenheit ermöglichen, jedoch nicht überladen sein und somit kein unrealistisches Pensum an Fragen enthalten. Der entwickelte Leitfaden sollte somit übersichtlich und handhabbar sein. Die Strukturierung des Leitfadens sollte den natürlichen Erinnerungs- und Argumentationsfluss berücksichtigen, sodass keine abrupten Sprünge oder Themenwechsel erfolgen (ebd.).

Der entwickelte Leitfaden des Reflexionsformates I wurde in einem Pretest mit einem Vertreteden der Zielgruppe MgB auf Verständlichkeit überprüft. Verständnisprobleme wurden erkannt, woraufhin die Leitfäden entsprechend angepasst und für die Datenerhebung finalisiert wurden. Der finale Leitfaden für das Reflexionsformat I setzt sich aus 16 Fragen zusammen, die sich den folgenden vier Themenbereichen in Bezug auf Digitale Teilhabe zuordnen lassen:

  • Verständnis Digitaler Teilhabe aus subjektiver Perspektive von MgB,

  • Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB in Bezug auf Digitale Teilhabe,

  • Umweltbezogene, personenbezogene, organisationale und gesellschaftliche Einflussfaktoren aus subjektiver Perspektive von MgB in Bezug auf Digitale Teilhabe,

  • Chancen und Risiken aus subjektiver Perspektive von MgB in Bezug auf Digitale Teilhabe.

7.4.1.6 Datenerhebung und -aufbereitung

Das Reflexionsformat I wurde am 12.08.2021 im BBW des Stiftungsbereichs ProWerk der vBS Bethel zur Beantwortung der in Abschnitt 7.4.1.1 aufgeführten Fragestellungen (s. S. 114) durchgeführt. Zur Erfassung von grundlegenden Informationen wurde ein Kurzfragebogen für die Teilnehmenden entwickelt.

Das Reflexionsformat I wurde auditiv aufgezeichnet und anschließend in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) transkribiert. Die Transkription erfolgte computergestützt mithilfe der Analysesoftware MAXQDAFootnote 14 (Rädiker & Kuckartz 2019). Die Aufnahme wurde hierfür mithilfe der Software MAXQDA in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) wörtlich und nicht lautsprachlich transkribiert (s. Tab. 7.5, S. 124).

Tab. 7.5 Modifizierte Auswahl der verwendeten Transkriptionsregeln. (Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dresing und Pehl [2017], S. 25 ff.)

Neben der Transkription des sprachlichen Inhaltes der Fokusgruppen, werden Auffälligkeiten bzgl. der Interaktion zwischen den Teilnehmenden durch die Forscherinnen in einem Gedächtnisprotokoll dokumentiert (Dresing & Pehl 2020). Zur Wahrung der Anonymität und zum Schutz der Befragten wurden personenbezogene Informationen in den Transkripten anonymisiert, sodass keine Rückschlüsse auf die einzelnen Personen möglich sind. Die angefertigten Gedächtnisprotokolle der Reflexionsformate ergänzen die Transkripte inhaltlich und werden in der anschließenden Analyse berücksichtigt.

7.4.1.7 Datenanalyse

Das Vorgehen der Datenanalyse des Reflexionsformates I erfolgte nach Rädiker und Kuckartz (2019). Dabei wurden die erstellten Transkripte mittels strukturierender Inhaltsanalyse theoriegeleitet ausgewertet. Hierfür wird das Datenmaterial kodiert und für die Gesamtanalyse aufbereitet. Mit dem Prozess der Kategorisierung können verschiedene Ansätze verfolgt werden. In diesem Fall wird hiermit auf die systematisierte Einordnung von Kerninhalten aus dem Textmaterial abgezielt (ebd.). So können gemäß dem Erkenntnisinteresse relevante Themen und Inhaltsbereiche aus dem Analysematerial umfangreich, aber dennoch zeiteffizient extrahiert, strukturiert und interpretiert werden (ebd.). Zur Auswertung des erhobenen Materials erfolgte der Kodierungsprozess der Forscherinnen zunächst separat voneinander und wurde anschließend zusammengeführt.

Um MDT1 auf Grundlage der Diskussion im Reflexionsformat weiterzuentwickeln, erfolgte die Entwicklung eines konzeptgesteuerten Kategoriensystems zunächst deduktivFootnote 15 und wurde im Rahmen des Analyseprozesses um weitere induktive Koderierungen (codings) erweitert. Kodierungen sind inhaltlich zugeordnete Textsegmente. Dabei erfolgte die Entwicklung eines Kategoriensystems konzeptgesteuert und somit entlang des aktuellen Forschungsstandes. Das genaue Vorgehen der Erstellung des konzeptgesteuerten Kategoriensystems erfolgte dabei in vier Schritten. Im ersten Schritt galt es, inhaltliche Oberkategorien zu definieren. Diese wurden anschließend inhaltlich und in ihrer Anwendung beschrieben sowie mit Beispielen untermauert. Die Kodierregeln unterstützen die Klarheit der Kategorie und Abgrenzung zu anderen Kategorien.

Das finale Schema für die Kategoriendefinitionen des Reflexionsformates I umfasst zehn Oberkategorien (Zugang/Infrastruktur, umweltbezogene Faktoren, organisationale Faktoren, personenbezogene Faktoren, gesellschaftliche Faktoren, Verständnis Digitale Teilhabe, Nutzungsverhalten, Chancen, Risiken, Gesprächsatmosphäre).

Die Ergebnisse der strukturierenden Inhaltsanalyse wurden durch neue Aspekte aus den beiden Gedächtnisprotokollen ergänzt. Nach der Überarbeitung erfolgte die inhaltlich strukturierende Gesamtanalyse, sodass alle Transkripte unter Berücksichtigung der Forschungsfragen und des theoretischen Vorverständnisses intensiv gelesen und mithilfe farblicher Markierung nach Sinngehalt kategorisiert wurden (Kuckartz 2018). Nach Beendigung der Kodierung des Textmaterials konnten die relevanten Inhalte und Meinungen der Teilnehmenden des Reflexionsformates mithilfe von MAXQDA gegenübergestellt und interpretiert werden.

Die Analyseergebnisse des Reflexionsformates I wurden für die Modifizierung des literaturbasierten Modellentwurfes Digitaler Teilhabe von MgB (MDT1) verwendet. Somit wurden die weiterentwickelten Materialien in die folgende Fokusgruppe I überführt. Das methodische Vorgehen wird nachfolgend erläutert.

7.4.2 Fokusgruppe I

Aufbauend auf den dargelegten Methoden wurde die Fokusgruppe I mit wissenschaftlichen und praxisbezogenen Experten durchgeführt. Nachfolgend wird die Auswahl sowie Umsetzung der Fokusgruppe im Rahmen des Forschungsvorhabens erläutert. Dazu werden zunächst die Ziele sowie die handlungsleitenden Fragestellungen dargelegt. Es folgt die begründete Auswahl der angewandten Methoden zur Durchführung der Fokusgruppe nach Schulz, Mack & Renn (2012). Daran anknüpfend wird der Feldzugang sowie die Rekrutierung von Teilnehmenden und die Konzeptentwicklung der beiden Fokusgruppen beschrieben. Das Kapitel schließt mit der Darstellung der Auswertungsmethode nach Rädiker und Kuckartz (2019).

7.4.2.1 Ziele und Fragestellung

Zur kritischen Auseinandersetzung sowie Weiterentwicklung von DDT1 und MDT2 wurde die Fokusgruppe I durchgeführt. Dadurch können die literaturbasierten Erkenntnisse zu verwendeten Begriffsverständnissen, themenrelevanten Schlüsselbegriffen, Einflussfaktoren auf das Ausmaß Digitaler Teilhabe sowie möglichen Chancen und Risiken für MgB multiperspektivisch betrachtet und diskutiert werden. Das Ziel der Fokusgruppe I lässt sich dabei wie folgt beschreiben:

  • Reflexion und Weiterentwicklung des literaturbasierten Definitionsentwurfes sowie des ersten Modellentwurfes Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Anreicherung mit wissenschaftlichen Expertenmeinungen aus den Bereichen Sozial- und Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie aus dem praktischen Arbeitsfeld der Eingliederungshilfe.

Hieraus lässt sich die folgende handlungsleitende Fragestellung der Fokusgruppe I ableiten:

  • Berücksichtigen die literaturbasiert entwickelten Definitions- und Modellentwürfe zu Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe alle relevanten Aspekte aus Perspektiven der Sozial- und Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie der Eingliederungshilfe?

Zur Beantwortung der formulierten Fragestellung wird nachfolgend die Auswahl der Methode zur Durchführung der Fokusgruppe I begründet.

7.4.2.2 Begründung der ausgewählten Methode

Im Allgemeinen bezieht sich die Fokusgruppe als Methode auf einen Gesprächsrahmen, der die Sammlung und Diskussion von Informationen über Meinungen, Einstellungen und Erfahrungen von verschiedenen Teilnehmenden innerhalb einer Gruppe ermöglicht (Lamnek 2005; Kuckartz & St. Rädiker 2020). Das Format der Fokusgruppe ermöglicht eine offene, moderierte Diskussionsplattform zur strukturierten, aber explorativen Erschließung von Informationen, Meinungen und Erfahrungen in Bezug auf ein Thema (Schulz, Mack & Renn 2012).

Gegenüber einem Einzelinterview bieten Fokusgruppen einige Vorteile, die im Folgenden kurz genannt werden:

  • Neue Ideen werden durch die spontane Äußerung in der Gruppe stimuliert.

  • Die Fokusgruppe ist durch kollektiven Wissensbestand leistungsfähiger als Einzelpersonen.

  • Den Teilnehmenden wird ein selbstbestimmter Wechsel zwischen einer aktiven und passiven Teilnahme ermöglicht.

  • Durch die Gruppengröße kann im Vergleich zum Einzelinterview der Interviewer- bzw. Moderatoreffekt minimiert werden (Dürrenberger & Behringer 1999; Pelz, Schmitt & Meis 2004; Henseling, Hahn & Nolting 2006; Schulz, Mack & Renn 2012).

Entsprechend ist der gruppendynamische Effekt innerhalb der Fokusgruppen herauszustellen. Durch diesen Effekt wird das Engagement und die Auskunftsbereitschaft der Teilnehmenden positiv beeinflusst (ebd.). Littig und Wallace (1997) begründen diesen Effekt damit, dass die Äußerungen näher an den Alltagserfahrungen der Gruppe liegen, als die isolierten Formulierungen in einem Einzelinterview (ebd.).

Im Vergleich zu Fokusgruppen wird dem Einzelinterview ein tieferer Einblick in die Einstellungen und Erfahrungen des Befragten zugeschrieben. Dies wird unter anderem auf die Sprechzeit zurückgeführt, da dem Einzelnen innerhalb der Fokusgruppen weniger Redezeit zur Verfügung steht (Morgan 1997). Da die hier geplante Fokusgruppe jedoch keine biografische oder sehr persönliche Fragestellung untersucht, sondern auf individuelles Expertenwissen abzielt, eignet sich die Methode der Fokusgruppe im Rahmen des Forschungsvorhabens.

7.4.2.3 Rekrutierung und Feldzugang

Eine Fokusgruppe setzt sich nach Schulz, Mack und Renn (2012) aus sechs bis zwölf Teilnehmenden zusammen, da so genügend Informationen gesammelt werden können, ohne die Steuerung der Gruppe zu beeinträchtigen (ebd.). In der Regel werden bewusst ausgewählte Personen rekrutiert, die zur Forschungsfrage passenden Anforderungen (z. B. hinsichtlich Geschlecht, Alter, Bildung oder Beruf) erfüllen (Dürrenberger & Behringer 1999; Schulz, Mack & Renn 2012). Ferner gilt es, bei der Zusammenstellung der Fokusgruppe mögliche Gruppeneffekte aufgrund von Differenzen zwischen den soziodemografischen Merkmalen zu berücksichtigen (Wright, Block & Unger 2010).

Die konzipierte Fokusgruppe I setzte sich aus acht Experten zu je gleichen Teilen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen und praxisbezogenen Fachbereichen zusammen. Um den Definitions- und Modellentwurf (DDT1 und MDT2) durch relevante Fachperspektiven anzureichern, sollten Experten aus den wissenschaftlichen Bereichen Sozial- und Rehabilitationswissenschaften sowie Sozialpädagogik rekrutiert werden. Neben der wissenschaftlichen Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand ist der Einbezug von Personen, die unmittelbar mit MgB in dem fokussierten Setting der Eingliederungshilfe arbeiten und entsprechend relevante Aspekte beurteilen und einbringen können, notwendig. Entsprechend werden aus dem praxisbezogenen Bereich eine Fachkraft für soziale Betreuung sowie ein Mitarbeitender mit Leitungsfunktion in der Eingliederungshilfe hinzugezogen.

Die praxisbezogenen Experten wurden mit der Unterstützung der vBS Bethel rekrutiert. Die Eignung dieses Feldzuganges lässt sich durch ihre zielgruppenbezogene Ausrichtung der Wohlfahrtspflege begründen. Konkret erfolgte der Feldzugang im Juli 2021 durch die Kontaktaufnahme zur Geschäftsführung des Stiftungsbereichs Bethel.regional. Nach eingehender Prüfung des Forschungsvorhabens sowie einer ethischen Beurteilung unterstützten die dortigen Ansprechpersonen die interne Rekrutierung der praxisbezogenen Experten. Geeignete wissenschaftliche Experten zu den Themengebieten Digitale Teilhabe und Medienkompetenz wurden zunächst mithilfe des vorangegangenen Scoping Reviews identifiziert und gesammelt. Weitere potenzielle Experten wurden in einer separaten händischen Online-Recherche gesucht. Die Überprüfung der Zielgruppenzugehörigkeit und Teilnahmeeignung der recherchierten Experten erfolgte anhand der festgelegten Ein- und Ausschlusskriterien (s.Tab. 7.6, S. 129).

Tab. 7.6 Ein- und Ausschlusskriterien zur Beurteilung der Zielgruppenzugehörigkeit und Teilnahmeeignung der Experten für die Fokusgruppe I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Auswahl der genannten Ein- und Ausschlusskriterien wurde vorgenommen, um sicherzustellen, dass die Experten über spezifische Kompetenzen und Erfahrungen verfügen, die für die Forschungsarbeit von großer Bedeutung sind.

Personen mit ausgewiesener wissenschaftlicher Expertise wurden in den genannten Fachgebieten gewählt, um sicherzustellen, dass sie über ein fundiertes theoretisches Wissen, Methodenkenntnisse und Verständnis der relevanten Konzepte verfügen.

Darüber hinaus wurden Personen mit Mitarbeitendenstatus und Erfahrung in der Eingliederungshilfe bevorzugt. Dadurch wurde sichergestellt, dass die Studienteilnehmenden eine praxisnahe Perspektive in die Forschung einbringen können. Ihre Erfahrungen ermöglichen ein besseres Verständnis der spezifischen Bedürfnisse, Herausforderungen und Möglichkeiten von MgB in der Eingliederungshilfe. Durch die Kombination von beruflicher Praxis und Forschungsinteresse können die Ergebnisse der Studie praxisrelevant und anwendbar sein.

Weiter wurden Personen mit ausgewiesener wissenschaftlicher Expertise zum Thema Digitale Teilhabe bei MgB ausgewählt. Indem Personen mit nachgewiesener Expertise in diesem Bereich einbezogen wurden, kann sichergestellt werden, dass die Studienteilnehmenden über aktuelle Kenntnisse zu Entwicklungen, Herausforderungen und Chancen im Zusammenhang mit der digitalen Teilhabe von MgB verfügen.

Schließlich wurden Personen mit Erfahrungen in der Durchführung von Projekten zur digitalen Teilhabe von MgB berücksichtigt. Ihre praktischen Erfahrungen ermöglichen es, potenzielle Herausforderungen und Lösungsansätze zu identifizieren, die bei der digitalen Teilhabe von MgB auftreten können. Dies trägt dazu bei, dass die Forschungsergebnisse realitätsnah und praxisrelevant sind.

Die oben genannten Einschlusskriterien wurden gewählt, um sicherzustellen, dass die Forschungsarbeit auf eine spezifische Zielgruppe ausgerichtet ist und die Erfüllung der Forschungsziele ermöglicht. Sie dienen dazu, die Eignung und die Fähigkeiten der Teilnehmenden sicherzustellen, die Anforderungen der Studie zu erfüllen und die erforderlichen Informationen angemessen zu verstehen. Diese Kriterien tragen dazu bei, die Integrität der Forschungsergebnisse zu gewährleisten und die ethischen Standards im Umgang mit den Teilnehmenden einzuhalten.

Sofern alle Einschlusskriterien positiv bewertet wurden bzw. alle Ausschlusskriterien negativ, galt der Interessent als zielgruppenzugehörig und geeignet. Sobald eines der vorliegenden Ausschlusskriterien erfüllt war, wurde der potenziell Teilnehmende von dem Forschungsformat ausgeschlossen. Anschließend wurde die Auswahl der nach Kriterien eingeschlossenen Experten zwischen beiden Forscherinnen diskutiert und in einem Auswahlprotokoll dokumentiert. Die priorisierten Experten wurden anschließend durch eine Einladung sowie Aushändigung eines detaillierten Informationsschreibens über den Ablauf der Fokusgruppe I per E-Mail angefragt.

7.4.2.4 Beschreibung des Fallsamples

Der finale Sampleplan der Fokusgruppe I umfasst die relevanten Merkmale Geschlecht, Alter, Berufsbereich, Berufserfahrung in Jahren sowie den Bezügen zum Forschungsgegenstand der Teilnehmenden der Fokusgruppe I (s. Tab. 7.7, S. 131).

Tab. 7.7 Charakteristika der Teilnehmenden der Fokusgruppe I. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Fokusgruppe I setzt sich aus je vier Experten aus Forschung und Praxis zusammen. Die Geschlechterverteilung ist in beiden Bereichen gleich. Die Teilnehmenden aus der Forschung sind durchschnittlich älter als die Teilnehmenden aus der Praxis, wobei insgesamt eine breite Altersverteilung vorliegt. Die Experten aus der Praxis decken die Berufsbereiche Basisarbeit, Referententätigkeit und Einrichtungsleitung ab, sodass Schnittmengen zur Digitalen Teilhabe von MgB in der direkten Klientenarbeit sowie der Projektarbeit vorliegen. Diese unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema werden durch eine ebenso breite Expertise aus der Forschung ergänzt. Die Experten aus der Forschung decken die Forschungsdisziplinen Sozialwissenschaften, Rehabilitationswissenschaften, Sonderpädagogik sowie Psychologie ab und haben durch Lehr- und Forschungstätigkeiten in diesem Kontext direkte und indirekte Bezugspunkte zur Digitalen Teilhabe. Zur Wahrung des Datenschutzes wurde in der Ergebnisdarstellung auf eine namentliche Nennung der Experten verzichtet, sodass keine Rückschlüsse auf Personen durch das Gesagte gezogen werden können.

7.4.2.5 Entwicklung des Fokusgruppenkonzepts

Da die Durchführung der Fokusgruppe I zur Zeit der SARS-CoV-2-Pandemie stattgefunden hat, wurde die Fokusgruppe I als Online-Veranstaltung geplant und durchgeführt. Es wurde die Videokonferenzplattform ZoomFootnote 18 sowie das Moderationstool MiroFootnote 19 eingesetzt. Hier wurde eine digitale Pinnwand erarbeitet (Miroboard), um die Arbeitsmaterialien zu visualisieren und gleichzeitig im Rahmen der beiden Fokusgruppen bearbeiten zu können.

Die Fokusgruppe I war auf die Dauer von zwei Stunden ausgelegt und wurde während des gesamten Zeitraums durch die beiden Forscherinnen moderiert und begleitet. Die inhaltliche Rahmenplanung der Fokusgruppe I wird nachfolgend kurz skizziert:

Um allen Teilnehmenden einen angemessenen Themeneinstieg zu ermöglichen, wurde ausreichend Vorbereitungszeit eingeräumt. Neben technischen Informationen erhielten die Teilnehmenden hierfür zwei Wochen vor dem Veranstaltungstermin Vorbereitungsmaterialien, die für die Fokusgruppe I die Conceptual Map, den Definitions- und Modellentwurf (DDT1 und MDT1) sowie eine Erläuterung der bisherigen methodischen Schritte beinhalteten.

Am Veranstaltungstag erfolgte nach einer Begrüßung, wie methodisch üblich, ein erster Themeninput (Schulz, Mack & Renn 2012), indem das Forschungsvorhaben der Tandempromotion durch die Forscherinnen vorgestellt wurde. Anschließend konnten die Teilnehmenden sich sowie ihre thematischen Berührungspunkte vorstellen und in die Diskussion der jeweiligen Forschungsfrage (s. Abschnitt 7.4.2.1, S. 126) übergehen.

Leitfadenentwicklung

Um den Diskussionsprozess strukturiert zu begleiten, wurde die Gesprächsführung durch die Forscherinnen mithilfe eines offenen teilstandardisierten Leitfadens unterstützt (ebd.). Die Leitfadenentwicklung erfolgte dabei mit derselben Begründung sowie nach demselben Vorgehen nach Schulz, Mack und Renn (2012) wie die Leitfadenentwicklung für das Reflexionsformat I (s. Abschnitt 7.4.1, S. 114).

Um für den Leitfaden möglichst offen formulierte Fragen zu generieren, die die Teilnehmenden der Fokusgruppen frei diskutieren und beantworten können (ebd.), wurden die zentralen Themenbereiche strukturiert, die innerhalb der Fokusgruppe I diskutiert werden sollten, ohne den natürlichen Gesprächsfluss durch ausformulierte Fragen zu unterbrechen. Dabei wurden die inhaltsbezogenen Themenbereiche Conceptual Map, Definitionsentwurf Digitale Teilhabe sowie Modell Digitale Teilhabe gebildet. Der entwickelte Leitfaden der Fokusgruppe I wurde in einem Pretest mit je einem wissenschaftlichen und einem praxisbezogenen Vertretenden auf Verständlichkeit und Reliabilität überprüft. Verständnisprobleme wurden identifiziert, woraufhin die Leitfäden entsprechend angepasst und für die Fokusgruppe I finalisiert wurden. Der finale Leitfaden der ersten Fokusgruppe umfasst folgende Themenbereiche:

  1. 1.

    Vorstellung und Themeneinstieg.

  2. 2.

    Forschungsvorhaben und -ziele.

  3. 3.

    Conceptual Map:

    • Logik und Verständnis,

    • Ergänzungen und Kritik.

  4. 4.

    Definitionsentwurf Digitale Teilhabe:

    • Logik und Verständnis,

    • Ergänzungen und Kritik.

  5. 5.

    Modell Digitale Teilhabe:

    • Logik und Verständnis,

    • Ergänzungen und Kritik.

Kurzfragebogen

Ein Kurzfragebogen wurde verwendet, um relevante Faktoren zu erfassen und die allgemeine Beschreibung der Experten zu unterstützen. Folgende personenbezogene Faktoren wurden erhoben: soziodemografische Faktoren (Alter, Geschlecht) sowie berufliche Erfahrung im Expertengebiet und Berührungspunkten mit dem Thema Digitale Teilhabe. Der Kurzfragebogen wurde nicht gepretestet, da er lediglich der Beschreibung der teilnehmenden Experten diente.

7.4.2.6 Datenerhebung und -aufbereitung

Nach Interessensbekundung der angefragten Experten erfolgte die Terminabstimmung über das Terminplanungstool des Deutschen ForschungsnetzesFootnote 20. Nach Ablauf der Rückmeldefrist wurden die Teilnehmenden per E-Mail über den finalen Termin informiert und um die schriftliche Einwilligung gebeten.

Die Durchführung der Fokusgruppe I erfolgte am 26.10.2021 via Zoom. Nach einer kurzen Vorstellung und einem Themeneinstieg, erläuterten die Forscherinnen das Forschungsvorhaben und die Forschungsziele. Nach Klärung von Rückfragen erfolgte der thematische Einstieg, indem die Conceptual Map auf dem Miroboard gezeigt wurde. Im Fokus standen dabei die Diskussion der wahrgenommenen Logik und die Verständlichkeit der gesamten Conceptual Map bzw. der einzelnen Teilbereiche sowie der Ergänzungsvorschläge oder kritischen Anmerkungen. Nach Beendigung der Diskussion der Conceptual Map wurde der Definitionsentwurf Digitale Teilhabe (DDT1) fokussiert. Auch hier wurden die wahrgenommenen Eindrücke bzgl. der Logik, der Verständlichkeit sowie eventuelle Ergänzungsvorschläge und kritische Anmerkungen diskutiert. Dasselbe Vorgehen erfolgte abschließend mit dem Modell Digitaler Teilhabe (MDT2). Während der Diskussionsprozesse haben die beiden Forscherinnen Stichpunkte auf virtuellen Post-Its auf dem Miroboard festgehalten.

Die Fokusgruppe I wurde über die Zoom-Aufnahmefunktion aufgezeichnet, um das von den Teilnehmenden Gesagte qualitativ möglichst hochwertig zu erfassen (Kuckartz & Rädiker 2019). Um den Datenschutz gewährleisten zu können, wurden die Videoaufzeichnungen lediglich zur Transkription der gewonnenen Inhalte verwendet und nach Verschriftlichung und Anonymisierung gelöscht. Die Aufnahme wurde wie auch im Reflexionsformat I mithilfe der Software MAXQDA in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) wörtlich und nicht lautsprachlich transkribiert (s. Tab. 7.5, S. 124). Wie auch im Reflexionsformat I wurde von den Forscherinnen ein Gedächtnisprotokoll in Anlehnung an Vogel und Funck (2017) zur Situationsbeschreibung und Vermerke außergewöhnlicher Vorkommnisse (wie beispielsweise Unterbrechungen) angefertigt, was in die Datenanalyse ergänzend einbezogen wurde.

7.4.2.7 Datenanalyse

Das aufbereitete Transkript der Fokusgruppe I wurde, wie im Reflexionsformat I (für eine Beschreibung des Vorgehens s. Abschnitt 7.4.1.6, S. 124), mithilfe der inhaltlichen Kategorisierung und Kodierung in Anlehnung an Rädiker und Kuckartz (2019) theoriegeleitet und computergestützt strukturiert und ausgewertet. Zur Kategorienbildung wurden die Bereiche der Einflussfaktoren sowie die Diskussionsgegenstände des Definitions- und Modellentwurfs (DDT1 und MDT2) als Oberkategorien definiert. Eine zusätzliche Oberkategorie stellte die Gesprächsatmosphäre dar. Anschließend erfolgt die Reflexion der gebildeten Kategorien, um zu überprüfen, ob alle relevanten Inhalte angemessen widergespiegelt werden, ähnliche Kategorien eventuell zusammengefasst oder neue hinzugefügt werden sollten. Nach Abschluss der Reflexion wurde das Kategorienschema verfeinert, indem weitere Unterkategorien gebildet sowie Kodierregeln definiert wurden. Bei der Überführung des deduktiven Schemas für Kategoriendefinitionen der Fokusgruppe I in MAXQDA wurde die Kodierfunktion genutzt, um die deduktiv gebildeten Oberkategorien als Kode sowie Unterkategorien als Subkode im Textmaterial kenntlich zu machen (ebd.). Das finale Schema für Kategoriendefinitionen der Fokusgruppe I umfasst drei Oberkategorien: Gesprächsatmosphäre; Definitionsentwurf Digitale Teilhabe (DDT1) und Modellentwurf Digitale Teilhabe (MDT2).

Die Auswertung der Fokusgruppe I erfolgte unter Anwendung des Schemas für Kategoriendefinitionen, sodass das jeweilige Transkript unter Berücksichtigung der Forschungsfragen und des theoretischen Vorverständnisses intensiv gelesen und mithilfe der Kodierfunktion strukturiert wurde. Nach Beendigung der Kodierung des Textmaterials können die relevanten Inhalte der Fokusgruppenteilnehmenden mithilfe von MAXQDA gegenübergestellt und interpretiert werden.

Die Analyseergebnisse der Fokusgruppe I wurden für die Modifizierung des literaturbasierten Definitions- und Modellentwurfes Digitaler Teilhabe von MgB (DDT1 und MDT2) herangezogen. Auf Grundlage dieser Modifikation entstanden DDT2 und MDT3.

7.4.3 Reflexionsformat II

Nachdem der Definitions- und der Modellentwurf auf Grundlage der Erkenntnisse aus dem Reflexionsformat I sowie der Fokusgruppe I angereichert und überarbeitet wurden, erfolgte die Diskussion der überarbeiteten Version mit Vertretenden der Zielgruppe MgB. Hierfür wurde eine weitere partizipativ angesetzte Gruppendiskussion im Rahmen des Reflexionsformates II durchgeführt. Der Feldzugang, die Rekrutierung von Teilnehmenden, die Konzeption sowie die Auswertung des Reflexionsformates II orientierte sich dabei an der dargelegten Methodik des Reflexionsformates I (s. Abschnitt 7.4.1, S. 114) und wird im folgenden Kapitel lediglich mit Blick auf Abweichungen dargelegt.

7.4.3.1 Ziele und Fragestellungen

Der Fokus des Reflexionsformates II lag auf einem partizipativen Vorgehen, um die subjektiven Perspektiven von MgB auf die zentralen Inhalte der Definition und des Modells Digitaler Teilhabe strukturiert zu erfassen. Somit werden für das Reflexionsformat II folgende Ziele definiert:

  • Anwendung eines partizipativen Forschungskonzepts zur Überprüfung der Ergebnisse des Scoping Reviews und somit der aktuellen wissenschaftlichen Evidenz über den Diskurs zu Begriffsverständnissen und themenrelevanten Schlüsselbegriffen, theoretischen Teilhabemodellen, Einflussfaktoren, Chancen und Risiken sowie Erfassungsansätze der Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe aus Perspektive der MgB,

  • Erfassung von Erwartungshaltungen und Erfahrungen aus subjektiver Perspektive von MgB und eine Übertragung dieser in die überarbeitete Definition und das Modell Digitaler Teilhabe von MgB,

  • Prüfung der entwickelten Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache.

Zur Erreichung dieser Ziele waren folgende Fragestellungen bei der Durchführung des Reflexionsformates II handlungsleitend:

  • Berücksichtigen die überarbeiteten Definitions- und Modellentwürfe zu Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe alle relevanten Aspekte aus Perspektive der MgB?

  • Welche Aspekte sollten in den überarbeiteten Definitions- und Modellentwürfen zur Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe aus Perspektive der MgB ergänzt, vertieft oder verändert werden?

7.4.3.2 Rekrutierung und Feldzugang

Für das Reflexionsformat II erfolgte die Rekrutierung der teilnehmenden MgB zwischen dem 01.11.2021 und dem 30.11.2021. Hierfür wurden die Teilnehmenden des Reflexionsformates I erneut angesprochen, um mit den selben Teilnehmenden die zugrundeliegenden Fragestellungen des Reflexionsformates II zu diskutieren. Aufgrund von Urlauben, Krankheiten oder Ausscheiden aus dem Angebot des BBWs konnten jedoch nicht alle Teilnehmende des Reflexionsformates I den Termin wahrnehmen. Daher wurden weitere Interessierte im BBW für die Veranstaltung rekrutiert. Nach datenschutzrechtlicher Aufklärung über das Forschungsvorhaben sowie unter Berücksichtigung der für das Reflexionsformat I definierten Ein- und Ausschlusskriterien (s. Tab. 7.3, S. 117) erfolgte die Auswahl der Teilnehmenden für das Reflexionsformat II. Final konnten vier MgB als Teilnehmende für das Reflexionsformat II eingeschlossen werden.

7.4.3.3 Beschreibung des Fallsamples

Der finale Sampleplan umfasst die relevanten Merkmale der Teilnehmenden Alter, Geschlecht und Wohnform (s. Tab. 7.8, S. 137).

Tab. 7.8 Charakteristika der Teilnehmenden des Reflexionsformates II. (Quelle: Eigene Darstellung)

Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden im Reflexionsformat II lag bei etwa 25,5 Jahren und damit nur geringfügig höher als im Reflexionsformat I. Zudem setzt sich das Sample erneut zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern zusammen. Abweichend vom Reflexionsformat I nahmen ausschließlich MgB teil, die in WGen wohnen. Eine Teilnehmerin war bereits Teil des Reflexionsformates I.

7.4.3.4 Entwicklung des Befragungskonzepts

Die Konzeption des Reflexionsformates II ist identisch mit der Konzeption des Reflexionsformates I (s. Abschnitt 7.4.1, S. 114), wobei minimale Anpassungen hinsichtlich der Gesprächsführung im Leitfaden vorgenommen wurden. Hierzu gehört die von den Forscherinnen vorgenommene Übersetzung des Definitionsentwurfes Digitaler Teilhabe in einfache Sprache. Einfache Sprache ist von der Leichten Sprache zu unterscheiden, da jeweils unterschiedliche sprachliche Gestaltungsprinzipien gelten. Der Textkorpus bei einfacher Sprache erlaubt es, auch schwerere Wörter zu verwenden. Ebenso lässt einfache Sprache durch längere Haupt- und Nebensätze und vorausgesetzte Alltagsbegriffe eine höhere Komplexität und einen größeren Umfang von Texten zu (Bock & Lange 2016; Bock 2019). Die Übersetzung erfolgte auf inhaltlicher Basis ausgehend von DDT1 und in Anlehnung an die Übersetzungsmethode von Maaß (2015). Außerdem wurde das vom Netzwerk Leichte Sprache (2021) entwickelte Regelwerk für Leichte Sprache berücksichtigt. Dieses Regelwerk setzt jedoch voraus, dass der Text durch Menschen mit sogenannten Lernschwierigkeiten geprüft wird (Verbund Leichte Sprache 2022). Entsprechend lag die Übersetzung des Definitionsentwurfes lediglich in einfacher Sprache vor. Die Übersetzung hatte zum Ziel, den vollständigen Inhalt vom Definitionsentwurf DDT1 zu übertragen. Dabei wurden komplexe Informationen möglichst vereinfacht, indem diese in einzelne Aussagen überführt wurden. Eine Orientierung gaben hierbei bereits existierende Definitionen in Leichter Sprache für die Aspekte Teilhabe, Digitalisierung und DatenschutzFootnote 21. Komplexe oder nicht alltägliche Sachverhalte wurden erklärt, um die Verständlichkeit für die Lesenden sicherzustellen. Scheinbar implizierte Inhalte mussten dafür explizit gemacht werden. Das Layout des Textes orientierte sich dabei ebenfalls an den Regeln der Leichten Sprache. Der Umfang des finalen Definitionstextes in einfacher Sprache (DDT-ES1) geht über den Umfang des Ursprungstextes hinaus. Er wurde Diskussionsgegenstand des Reflexionsformates II.

Aufgrund des inhaltlich ähnlich aufgebauten Leitfadens zum Reflexionsformat I wurde auf einen Pretest des Leitfadens für das Reflexionsformat II mit einem Stellvertretenden der interessierenden Zielgruppe verzichtet. Der finale Leitfaden umfasste vier Fragen, die sich in die folgenden vier Bereiche einordnen lassen sowie einem Definitionstext Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache:

  • Vorstellung von Teilhabe,

  • Vorstellung von Digital/Digitalisierung,

  • Vorstellung Chancen und Risiken Digitaler Teilhabe,

  • Vorstellung Digitaler Teilhabe (Definitionstext in einfacher Sprache).

7.4.3.5 Datenerhebung und -aufbereitung

Das Reflexionsformat II wurde am 08.12.2021 zur Besprechung des Definitionsentwurfs in einfacher Sprache (DDT-ES1) durchgeführt. Das Reflexionsformat II fand dabei in derselben Einrichtung statt, wie das Reflexionsformat I.

Auch das Reflexionsformat II wurde auditiv aufgezeichnet und in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) transkribiert (s. Tab. 7.5, S. 124). Die Transkription erfolgte computergestützt mithilfe der Analysesoftware MAXQDA (Rädiker & Kuckartz 2019) und wurde somit für die anschließende Analyse aufbereitet. Auch für das Reflexionsformat II wurde nach Beendigung der Veranstaltung ein Gedächtnisprotokoll in Anlehnung an Vogel und Funck (2017) angefertigt.

7.4.3.6 Datenanalyse

Das Vorgehen der Datenanalyse des Reflexionsformates II erfolgte anhand der bereits in Abschnitt 7.4.1 (s. S. 114) dargestellten Analysemethode des Reflexionsformates I. Entsprechend wurde das aufbereitete Transkript mittels strukturierender Inhaltsanalyse nach Rädiker und Kuckartz (2019) theoriegeleitet ausgewertet. Das finale Schema für die Kategoriendefinitionen des Reflexionsformates II umfasst fünf Oberkategorien: Begriff Teilhabe, Begriff Digital/Digitalisierung, Digitale Teilhabe, Nutzungsverhalten, Gesprächsatmosphäre. Bei der Interpretation des kodierten Textmaterials wurden zudem die angefertigten Gedächtnisprotokolle ergänzend hinzugezogen.

Aus den Analyseergebnissen des Reflexionsformates II lässt sich eine Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache (DDT-ES2) ableiten, die auf Verständlichkeit und inhaltliche Vollständigkeit durch die teilnehmenden MgB geprüft wurde. Diese Definition bildet auch die Arbeitsgrundlage für den iterativen Prüfgruppenprozess zur Übersetzung in Leichte Sprache (DDT-LS). Somit liegt abschließend eine Definition Digitaler Teilhabe in einer qualitativ höherwertigen und niedrigschwelligeren Version vor. Das Vorgehen des Prüfgruppenprozesses zur Übersetzung der Definition in Leichte Sprache wird nachfolgend detailliert dargelegt.

7.4.4 Iterativer Prüfgruppenprozess für Leichte Sprache

Aus den vorangegangenen methodischen Schritten geht hervor, dass die Definition von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe ein komplexes Wirkkonstrukt wiedergibt und durch Fachsprache geprägt ist. Texte, die in Standardsprache verfasst sind, weisen für Personen mit Leseeinschränkungen häufig Barrieren unterschiedlicher Art auf. So ist beispielsweise die Rezeption, das Verstehen sowie das Behalten von Inhalten und Zusammenhängen erheblich erschwert oder unmöglich (Bredel & Maaß 2016; Maaß & Bredel 2016). MgB sind aufgrund häufiger Lese- und Konzentrationseinschränkungen und damit einhergehenden Verständnisschwierigkeiten (s. Abschnitt 2.2, S. 13) häufig mit diesen Barrieren konfrontiert.

7.4.4.1 Begründung des Forschungsansatzes

Die entwickelte Definition soll für die Zielgruppe MgB selbst zugänglich und greifbar gemacht werden, indem mithilfe des Konzepts Leichte Sprache sprachliche Barrieren abgebaut und Inhalte leicht verständlich aufbereitet werden (Oomen-Welke 2015; Wilkes 2015). Für den iterativen Prüfgruppenprozess Leichte Sprache wird folgende Zielsetzung formuliert:

  • Reflexion und Weiterentwicklung des Definitionsentwurfes von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in einfacher Sprache (DDT-ES2) zu einer Definition von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in Leichter Sprache (DDT-LS) durch die Durchführung eines Prüfgruppenprozesses mit MgB.

Hieraus lässt sich die folgende handlungsleitende Fragestellung ableiten:

  • Wie lässt sich der überarbeitete Definitionsentwurf Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in einfacher Sprache in Leichter Sprache formulieren?

Leichte Sprache ist eine sprachliche Variante, „die gegenüber dem voll ausgebauten Standarddeutschen eine erhöhte Wahrnehmbarkeit und Verständlichkeit für Personen mit Leseeinschränkungen aufweist“ (Maaß & Bredel 2019, S. 251). Für die Umsetzung des Konzepts der Leichten Sprache existieren verschiedene Regelwerke, an denen sich verschiedene Akteure aus Politik, Wissenschaft und Praxis orientieren können (ebd.). Diese Regelwerke sind einander ähnlich, jedoch ist eine Vereinheitlichung aufgrund der unterschiedlichen Ausführlichkeit oder Vollständigkeit kaum möglich (Schwenck 2012). So gibt es beispielsweise seit 2000 öffentlich zugängliche, deutschsprachige Regelwerke des Netzwerks Leichte Sprache und der Inclusion Europe, die ihre Regelwerke kontinuierlich weiterentwickeln (Maaß & Bredel 2019). Die Regeln beschreiben beispielsweise sprachliche Einfachheit und informationelle Gliederung. Diese bezieht sich dabei sowohl auf Wort-, als auch auf Satz- und Textebene. Beide Regelwerke sind dabei selbst in Leichter Sprache verfasst und kostenlos abrufbar (Inclusion Europe 2019; Netzwerk Leichte Sprache 2021). Nach Ballstaedt (2019) unterliegt die Umsetzung des Konzepts der Leichten Sprache drei Leitprinzipien:

  • Proximität: Durch eine Orientierung an der mündlichen Kommunikation sollen die Texte eine maximale Nähe zum Lesenden einhalten.

  • Maximale Explizitheit: Es sollten so wenig Inferenzen wie möglich enthalten sein, wodurch Leichte-Sprache-Texte häufig eine hohe Redundanz aufweisen und nicht dem Prinzip der sprachlichen Ökonomie folgen.

  • Kontinuität: Es werden Synonyme vermieden sowie wiederkehrende Muster eingesetzt (Subjekt-Prädikat-Objekt). Dabei erfolgt die Entwicklung eines Themas linear unter Einhaltung der chronologischen Reihenfolge (Maaß & Bredel 2016; Ballstaedt 2019).

Um die entwickelte und im Reflexionsformat II geprüfte Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache auf das Niveau der Leichten Sprache zu bringen, wurde eine professionelle Prüfgruppe für Leichte Sprache herangezogen. Die Prüfung des Textes durch Menschen mit sogenannten Lernschwierigkeiten ist, wie oben bereits angeführt, Teil des Regelwerkes der Leichten Sprache. Dieses partizipative Verfahren ermöglicht die Prüfung des entwickelten Textes auf eine möglichst hohe Verständlichkeit durch die Zielgruppe selbst. Das Verfahren der Prüfgruppe ist dabei je nach Einrichtung unterschiedlich strukturiert (Verbund Leichte Sprache 2022). Die Prüfung des vorliegenden Textes wurde durch das Büro für Leichte Sprache Bethel vorgenommen. Hier arbeiten zwei Prüfgruppen, die jeweils aus drei bis fünf Prüfern bestehen. Diese „kontrollieren die übersetzten Texte auf Lesbarkeit, Verständlichkeit, logischen Aufbau und Textvolumen“ (Büro für Leichte Sprache Bethel 2022). Zudem wird geprüft, ob die verwendeten Bilder den geschriebenen Text wie beabsichtigt unterstützen. Für die Prüfgruppen sind proWerk-Beschäftigte aus unterschiedlichen Werkstätten tätig (ebd.).

7.4.4.2 Durchführung des iterativen Prüfgruppenprozesses

Der hier beschriebene iterative Prüfgruppenprozess bestand aus drei Prüfrunden, an denen fünf bzw. sechs Mitglieder der Prüfgruppe, die Forscherinnen sowie die zuständige Leitung des Büros für Leichte Sprache Bethel teilnahmen.

Die Prüfgruppe übernahm dabei die Prüfung und Überarbeitung des Textes in leicht verständliche Sprache. Eine Besonderheit stellt die Zusammenstellung der Prüfgruppe dar. Sie bestand aus mehreren Personen mit einer Lernschwierigkeit, wodurch es möglich war, eventuelle Verständnisschwierigkeiten durch schwere Sprache aufzuzeigen und leichter verständliche Formulierungen zu finden. Aufgrund der Heterogenität der Zielgruppe und dem individuellen Textverständnis von Personen mit Lernschwierigkeiten, war es wichtig, dass mehrere Mitglieder in der Prüfgruppe miteinander diskutierten. Zudem saßen die Auftraggebenden (in diesem Falle die Forscherinnen) mit in der Prüfgruppe, um die Verständnisprobleme zu diskutieren und gemeinsam eine einfach verständlichere Übersetzung zu finden (Netzwerk Leichte Sprache 2021).

Ablauf Prüfrunde 1

Aufgrund der fortwährenden pandemischen Situation wurde die Prüfgruppe am 21.01.2022 digital über die Videokonferenzplattform Cisco WebEx MeetingsFootnote 22 umgesetzt. In der ersten Prüfrunde wurde zunächst eine Vorstellungsrunde initiiert, um alle Teilnehmenden einander bekannt zu machen. Anschließend stellten die Forscherinnen die Intention ihres Besuchs in der Prüfgruppe vor. Die Hauptmoderation übernahm dabei die Leitung des Büros für Leichte Sprache. Den Dialog zwischen den Mitgliedern der Prüfgruppe sowie den Forscherinnen leiteten die Forscherinnen. Die inhaltliche Diskussion einzelner Aspekte führten die Mitglieder der Prüfgruppe.

Da die Teilnehmenden der Prüfgruppe den zu prüfenden Definitionstext nicht in Printversion vorliegen hatten und zuvor nicht lesen konnten, wurde der Definitionstext über die Sharing-Funktion von Cisco WebEx Meetings geteilt und gemeinsam angeschaut. Dabei ist zu erwähnen, dass der Text nicht jederzeit für alle Prüfenden gut lesbar war. Leseschwierigkeiten aufgrund der Übertragung wurden jedoch sofort angesprochen und konnten so durch Vorlesen oder technischen Support schnell gelöst werden.

Die Prüfung des Textes erfolgte in mehreren Leseetappen. Zunächst wurde der gesamte Definitionstext gelesen, damit deutlich wird, welche Bestandteile der Text hat. Der Text wurde hierbei abschnittsweise von verschiedenen Mitgliedern der Prüfgruppe laut und langsam vorgelesen. Die Mitglieder der Prüfgruppe hörten dabei aufmerksam zu und konnten erste Verständnisprobleme mitteilen, beispielsweise wenn ein Wort oder ein Satz zu lang war oder eine Textstelle zu komplexe Wortzusammenhänge aufwies. Nach der Gesamtlösung wurde über den ersten Eindruck diskutiert. Anschließend wurde der Text abschnittweise gelesen, nach den jeweiligen Sinnabschnitten diskutiert und Überarbeitungsvorschläge gemäß dem Regelwerk für Leichte Sprache und dem eigenen Verständnis geäußert. Beispielsweise wurden Wörter auf VorkommenshäufigkeitFootnote 23 im allgemeinen Wortgebrauch geprüft und bei zu niedriger Vorkommenshäufigkeit entweder als zu definieren beurteilt oder es wurde nach Synonymen gesucht.

Bei Prüfgruppen in Präsenz erfolgen die Wortmeldung bzw. das Kenntlichmachen von Verständnisschwierigkeiten über verschiedene Methoden wie beispielsweise durch das Anstreichen der unverständlichen Textstelle im eigenen Textdokument, durch Stopprufen oder durch die direkte Nachfrage während des gemeinsamen Lesens (ebd.). Die Prüfgruppe des Büros für Leichte Sprache Bethel nutzt bei ihren Sitzungen in Präsenz zur Kennzeichnung von Unverständlichkeiten eine rote Karte, die bei Bedarf hochgehalten wird. Während des digitalen Prüfprozesses erfolgten die Wortmeldungen stattdessen über die integrierte Meldefunktion von Cisco WebEx Meetings. Sofern es zu einer Äußerung von Verständnisschwierigkeiten kam, wurde anschließend noch einmal von den Forscherinnen und den fünf Prüfmitgliedern diskutiert und versucht, verständlicher zu formulieren. Die Entscheidung der Umformulierung wurde immer gemeinsam getroffen. In den Übersetzungsprozess wurde eine Bewegungspause integriert, auch konnte jeder Prüfende die Prüfung jederzeit abbrechen, wenn die Prüfung unangenehm oder belastend geworden wäre. Nach der ersten Prüfrunde überarbeiteten die Forscherinnen den Definitionstext und es wurde ein Folgetermin für die zweite Prüfrunde am 28.01.2022 vereinbart.

Ablauf Prüfrunde 2

Zur Vorbereitung der zweiten Prüfrunde erhielten die Prüfenden den überarbeiteten Definitionstext sowie den ursprünglich diskutierten Definitionstext ohne Veränderungen aus der ersten Prüfrunde zum Vergleich.

Zunächst wurde der überarbeitete Text gemeinsam gelesen. Dabei las, wie auch in der ersten Prüfrunde, je ein Mitglied der Prüfgruppe einen Textabschnitt vor. Anschließend wurden Unverständlichkeiten und Änderungswünsche gemeinsam diskutiert. Neben dieser inhaltlichen Diskussion wurden zudem die Vorschläge für Abbildungen diskutiert. Die ausgewählten Abbildungen stammen aus der Bilddatenbank der Lebenshilfe sowie aus der Bilddatenbank von Inga KramerFootnote 24. Nach Beendigung der zweiten Prüfrunde überarbeiteten die Forscherinnen den Definitionstext und es wurde ein Folgetermin für die dritte Prüfrunde vereinbart.

Ablauf Prüfrunde 3

Für die dritte und letzte Prüfrunde am 10.02.2022 erhielten die Mitglieder der Prüfgruppe den überarbeiteten Textentwurf in einer Printversion durch die Leitung des Büros für Leichte Sprache Bethel eine Woche vor dem Prüftermin. Wie in den beiden Prüfrunden zuvor, wurde auch hier der Text gemeinsam gelesen und mögliche Unverständlichkeiten diskutiert. Anschließend folgte die kritische Betrachtung der gewählten Abbildungen. Nach Abschluss der dritten Prüfrunde wurde der Prüfgruppenprozess abgeschlossen.

Mit Beendigung des iterativen Prüfgruppenprozesses konnte die Definition Digitaler Teilhabe in Leichter Sprache finalisiert werden. Somit war der Entwicklungsprozess der Definitionen Digitaler Teilhabe (wissenschaftliche Kurz- und Langdefinition; in einfacher sowie Leichter Sprache) sowie des Modells Digitaler Teilhabe vorerst abgeschlossen. Weitere Änderungen der wissenschaftlichen Kurz- und Langdefinition sowie des Modells, die sich nach Abschluss der quantitativen Befragung ergeben, waren jedoch möglich.

7.5 Entwicklung und Prüfung eines Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung

Nachdem die vorangegangen beschriebene empirische Definitions- und Modellweiterentwicklung Digitaler Teilhabe abgeschlossen war, erfolgte auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse die Entwicklung und Prüfung eines Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe. Hierfür wurden zunächst aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen Items sowie eine Fragebogenstruktur entwickelt (s. Abschnitt 7.5.1, S. 145), die durch weitere methodische Schritte geprüft und finalisiert wurden. Hierfür erfolgte die zweite und letzte Fokusgruppe (s. Abschnitt 7.5.2, S. 149). Um zugleich die Befragungsmöglichkeit bzgl. der Selbsteinschätzung der Zielgruppe zu eruieren, wurde das dritte und letzte Reflexionsformat durchgeführt (s. Abschnitt 7.5.3, S. 154). Auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Fokusgruppe II und dem Reflexionsformat III wurde das Erhebungsinstrument weiterentwickelt. Der entwickelte Fragebogen wurde weitergehend gepretestet, finalisiert und über eine bundesweite quantitative Befragung getestet (s. Abschnitt 7.5.4, S. 159). Die detaillierte Beschreibung der einzelnen Methoden wird nachfolgend in chronologischer Reihenfolge dargelegt.

7.5.1 Fragebogen- und Itementwicklung

Um die gewonnenen Erkenntnisse zu den potenziellen Einflussfaktoren sowie Schlüsselbegriffen für die Erhebung Digitaler Teilhabe zu operationalisieren, erfolgte ein Prozess zur Entwicklung von Items, der nachfolgend methodisch näher begründet und beschrieben wird.

7.5.1.1 Begründung der ausgewählten Methoden

Mit der Forschungsabsicht, die Signifikanz und Zusammenhänge potenzieller Einflussfaktoren auf gesellschaftliche Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe an, durch und in digitalen Technologien des MDT2 zu prüfen, liegt ein hypothesenprüfender und somit explikativer Zugang vor (Steiner 2020). Dabei gilt es in einem ersten Schritt auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse ungerichtet oder gerichtet Hypothesen zu formulieren (Bortz & Döring 2006). Da aus den bisherigen Erkenntnissen hervorgeht, dass die erfassten Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe keine spezifische Richtung des Effekts aufweisen, wurden ungerichtete Hypothesen formuliert. Der erste Entwurf der Hypothesen diente als Arbeitsgrundlage für die Fokusgruppe II. Nach Auswertung der Fokusgruppe II wurden die Hypothesen überarbeitet, sodass insgesamt 31 Hypothesen zur Durchführung von Hypothesentests formuliert werden konnten (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.).

Um in Anschluss an die Itementwicklung eine Fragebogenstruktur zu entwickeln, existieren nach Abraham und Sheeran (2015) zwei Möglichkeiten, Items für einen Fragebogens zu bestimmen: Die erste Möglichkeit besteht darin, eine Literaturrecherche zu vorherigen Studien des zu operationalisierenden Modells durchzuführen, um festzustellen, ob bereits Instrumente veröffentlicht wurden. Die Skalen der recherchierten Instrumente gilt es zu überprüfen, um festzustellen, ob die interne Zuverlässigkeit zufriedenstellend ist oder ob die Skala eine Augenscheinvalidität aufweist. Eine Augenscheinvalidität liegt vor, wenn die Befragten zu wissen glauben, was die Skala messen soll. Eine Skala, die auf diese Weise gewonnen wurde, kann in ihrer Gesamtheit verwendet werden, muss aber möglicherweise geändert werden, wenn sie mit einer anderen Stichprobe verwendet wird (ebd.).

Sofern keine geeigneten, bereits entwickelten Erhebungsinstrumente zur Verfügung stehen, gilt es, ein neues Erhebungsinstrument zu entwickeln. Dazu wird in einem ersten Schritt ein Item-Pool erstellt. Bei Verfügbarkeit können zur Itementwicklung zuvor entwickelte Studien herangezogen werden. Dieses Verfahren ermöglicht, dass die entwickelten Items mit Blick auf die fokussierte Zielgruppe relevant sind bzw. zur Beantwortung der Fragestellungen beitragen. Zudem können einschlägige Experten für die Entwicklung und Auswahl von Items herangezogen werden (ebd.).

Es gibt bisher kein Modell, das die verschiedenen Dimensionen Digitaler Teilhabe abbildet (Friedhof 2016) und keine Indikatoren, die den erreichten Grad Digitaler Teilhabe erfassen (DIVSI 2016). Da jedoch für einzelne Teilaspekte ausgearbeitete Erhebungsinstrumente existieren, wurden in diesem Forschungsvorhaben beide beschriebenen Methoden zur Fragebogen- und Itementwicklung angewandt.

7.5.1.2 Entwicklungsprozess

Durch das bereits durchgeführte Scoping Review (s. Abschnitt 8.1, S. 179) konnte auf eine systematische Literaturrecherche zurückgegriffen werden. In Anlehnung an den Reduktionsprozess des Scoping Reviews wurde für die identifizierten Erhebungsinstrumente ein Flowchart nach Moher et al. (2009) (s. Abb. 7.3, S. 147) angelegt. Dieses visualisiert die Anzahl der Erhebungsinstrumente, die gefunden, überprüft, ausgeschlossen und anschließend tatsächlich verwendet wurden.

Abb. 7.3
figure 3

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Moher et al. [2009])

Flowchart zum Auswahlverfahren der Erhebungsinstrumente.

Alle identifizierten Studien mit einem (anteiligen) quantitativen Studiendesign konnten in die weitere Analyse einbezogen werden. Sechs der 27 eingeschlossenen Studien aus dem Scoping Review liegt ein quantitatives Studiendesign zugrunde (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chadwick, Quinn & Fullwood 2016; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Jenaro et al. 2017; Ramsten et al. 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Weiterhin wurden die Studien mit einem Mixed-Methods-Studiendesign zur weiteren Analyse einbezogen. Hier konnten weitere sechs Studien betrachtet werden (Berger et al. 2010; Bosse & Hasebrink 2016; Normand & Sallafranque St-Louis 2016; Owuor & Larkan 2017; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021). Somit lagen 12 identifizierte Erhebungsinstrumente aus dem Scoping Review vor. Durch ein Screening der theoretischen Hintergrundkapitel konnten weitere acht relevante Veröffentlichungen herangezogen werden. Insgesamt wurden somit 20 Erhebungsinstrumente in die Überprüfungsphase eingeschlossen und von beiden Reviewerinnen anhand der formulierten Ein- und Ausschlusskriterien (s. Tab. 7.9, S. 148) auf Eignung und Aufnahme in das Erhebungsinstrument EIDT3 überprüft.

Tab. 7.9 Ein- und Ausschlusskriterien für das Auswahlverfahren der Erhebungsinstrumente. (Quelle: Eigene Darstellung)

Nach Prüfung der Eignungskriterien wurden 15 der 20 identifizierten Erhebungsinstrumente ausgeschlossen. Indem das Literaturverzeichnis oder vorhandene Zusammenfassungen der identifizierten Studien mit einem (anteiligen) quantitativen Studiendesign ausgewertet wurden, konnten weitere 16 thematisch relevante Erhebungsinstrumente aus den Referenzlisten gefunden und in die Analyse eingeschlossen werden. Somit belief sich die Gesamtzahl der identifizierten Erhebungsinstrumente nach Screening der Referenzlisten auf 21

Die Analyse der 21 Erhebungsinstrumente erfolgte ebenfalls unter Berücksichtigung der zuvor dargestellten Ein- und Ausschlusskriterien. Insgesamt wurden acht Erhebungsinstrumente durch die Eignungskriterien ausgeschlossen. Weitere fünf wurden in der anschließenden Analyse als ungeeignet beurteilt. Bei Konflikten zwischen den Reviewerinnen im Auswahlprozess wurde eine dritte Person mit wissenschaftlicher Expertise zur Entscheidung hinzugezogen. Die Ausschlussbegründung der einzelnen Studien sind dem Flowchart (s. Abb. 7.3, S. 147) zu entnehmen.

In die Synthese wurden final acht geeignete Erhebungsinstrumente zu quantitativen oder interviewgestützten Erhebungsdesigns zur Selbsteinschätzung und Fremdeinschätzung durch Betreuungspersonen von MgB bzgl. Digitaler Teilhabe, Digitalisierung sowie Teilhabe von MgB eingeschlossen. Die Auswahl der Instrumente erfolgte durch einen Abgleich der identifizierten Items und den eingeschlossenen Erhebungsinstrumenten. Die verwendeten geeigneten Erhebungsinstrumente sind im in Anhang 4 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar und näher erläutert.

Sofern für die zuvor identifizierten, potenziellen Einflussfaktoren des Forschungsgegenstandes (im Forschungskontext Digitale Teilhabe) kein geeignetes Erhebungsinstrumente existiert, gilt es nach Abraham & Sheeran (2015) ein neues Erhebungsinstrument zu entwickeln. Dazu wird in einem ersten Schritt ein Item-Pool entwickelt, der mit einschlägigen Experten für die Thematik besprochen und diskutiert wird (ebd.). Dies erfolgte in der vorliegenden Forschungsarbeit durch die Fokusgruppe II.

7.5.2 Fokusgruppe II

Zur Diskussion und Entwicklung der entwickelten Items, die der Erhebung Digitaler Teilhabe dienen, wurde die Fokusgruppe II durchgeführt. Hierfür wurde der Fragebogenentwurf (EIDT1) als vorbereitende Arbeitsgrundlage verwendet. Die Arbeitsgrundlage umfasst zudem eine Übersicht der adaptierten sowie der selbst entwickelten Erhebungsinstrumente. Die Zielsetzungen, handlungsleitenden Fragestellungen, Rekrutierung, konkrete Umsetzung sowie Auswertung der Fokusgruppe II werden in diesem Kapitel dargelegt.

7.5.2.1 Ziele und Fragestellung

Aufbauend auf den Ergebnissen der literaturbasierten Entwicklung einer Definition und eines Modells Digitaler Teilhabe (MDT1) sowie der empirischen Weiterentwicklung der Definition und des Modells Digitaler Teilhabe (MDT2) konnten Items zur Erhebung Digitaler Teilhabe abgeleitet werden. Der Prozess der Itementwicklung ist in Abschnitt 7.5.1 (s. S. 145) detailliert dargelegt. Folgendes Ziel verfolgte die Fokusgruppe II:

  • Reflexion und Weiterentwicklung der definierten Items zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Anreicherung mit wissenschaftlichen Expertenmeinungen aus den Bereichen Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie praxisbezogene Expertenmeinungen der Eingliederungshilfe.

Hieraus lassen sich für die Fokusgruppe II folgende Fragestellungen ableiten:

  • Berücksichtigen die entwickelten Items aus Perspektive der Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie der Eingliederungshilfe alle relevanten Aspekte zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe?

  • Welche inhaltlichen Anpassungen sollten aus Perspektive der Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie der Eingliederungshilfe an den entwickelten Items vorgenommen werden?

  • Inwiefern ist aus Perspektive der Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie der Eingliederungshilfe die geplante methodische Umsetzung des Erhebungsinstruments zur Quantifizierung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe geeignet?

  • Welche Anpassungen sollten aus Perspektive der Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie der Eingliederungshilfe für das Erhebungsinstrument vorgenommen werden?

7.5.2.2 Feldzugang und Rekrutierung

Die Fokusgruppe II setzt sich wie auch die Fokusgruppe I nach Schulz, Mack und Renn (2012) aus sechs bis zwölf Teilnehmenden zusammen, um genügend Informationen zu sammeln, ohne dabei die Steuerung der Gruppe zu beeinträchtigen (ebd.). Um eine gleichbleibende Expertise wie in Fokusgruppe I in die Diskussion zu integrieren, wurden für die Fokusgruppe II die Teilnehmenden der Fokusgruppe I erneut eingeladen. Zugesagt haben alle Teilnehmenden, sodass das angestrebte Sample wissenschaftliche Experten aus den Bereichen Sozial-, Rehabilitationswissenschaften, Sozialpädagogik sowie praxisbezogene Experten aus der Eingliederungshilfe umfasste. Entsprechend fand keine erneute Rekrutierung von weiteren Experten statt. Die Terminabstimmung sowie Einladung zur Fokusgruppe II erfolgte bereits im Anschluss an die Fokusgruppe I, eine Terminerinnerung erfolgte zwei Wochen vor der Veranstaltung mit der Übermittlung der Arbeitsmaterialien.

7.5.2.3 Beschreibung des Fallsamples

Der finale Sampleplan der Fokusgruppe II umfasst die relevanten Merkmale Geschlecht, Alter, Berufsbereich, Berufserfahrung in Jahren sowie die Bezüge zum Forschungsgegenstand der Teilnehmenden der Fokusgruppe II (s. Tab. 7.10, S. 151).

Tab. 7.10 Charakteristika der Teilnehmenden der Fokusgruppe II. (Quelle: Eigene Darstellung)

Durch kurzfristige Absagen unmittelbar vor Veranstaltungsbeginn setzte sich die Fokusgruppe II aus weniger Experten zusammen wie die Fokusgruppe I (s. Abschnitt 7.4.2, S. 126). Insgesamt nahmen je zwei Experten aus Forschung und Praxis teil, sodass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Forschung und Praxis vorherrschte. Es waren mehr weibliche Teilnehmende vertreten, wobei eine breite Altersverteilung vorlag. Dabei waren sowohl Experten dabei, die unter 5 Jahren Berufserfahrung haben, als auch Experten, die mehr als 5 bzw. über 10 Jahren in ihrem Berufsbereich tätig sind. Die Bezugspunkte zu dem Forschungsgegenstand erstreckten sich über die praxisbezogenen Berufsbereiche Referententätigkeit und Einrichtungsleitung. In dem forschungsbezogenen Bereich zeigten sich durch Forschungs- und Lehrtätigkeiten direkte und indirekte Bezugspunkte zur Digitalen Teilhabe von MgB. Zur Wahrung des Datenschutzes wurde auch hier auf die namentliche Nennung der Experten verzichtet, sodass keine Rückschlüsse auf Personen durch das Gesagte möglich sind.

7.5.2.4 Entwicklung des Fokusgruppenkonzepts

Wie auch die Fokusgruppe I wurde die Fokusgruppe II während der SARS-CoV-2-Pandemie unter Berücksichtigung der Kontaktbeschränkungen als Online-Fokusgruppe durchgeführt. Das Konzept der Fokusgruppe orientierte sich dabei an dem erprobten Format der Fokusgruppe I. Entsprechend wurde die Diskussion über das Videokonferenzsystem Zoom durchgeführt. Über ein Miroboard konnten wichtige Stichpunkte visualisiert werden. Um Anmerkungen zu verschiedenen Items bzw. formulierten Fragestellungen auf Seiten der Teilnehmenden effizient notieren zu können, wurden die Frageblöcke des Fragebogens auf dem Miroboard übersichtlich aufbereitet. So konnten die Anmerkungen stichpunktartig auf virtuellen Post-Its angepinnt werden. Dies ermöglichte eine strukturierte und übersichtliche Moderation, Diskussion und Dokumentation der Fokusgruppe II. Die Dauer der Veranstaltung war auf ca. zwei Stunden ausgelegt.

Die inhaltliche Rahmenplanung der Fokusgruppe II wird nachfolgend kurz skizziert. Für Fokusgruppe II wurden den Teilnehmenden zwei Wochen vor der Veranstaltung die Arbeitsmaterialien zugesendet. Dabei handelte es sich zum einen um eine Erläuterung und weiterführende Informationen zum Entwicklungsprozess. Zum anderen wurde das aktuelle Modell Digitaler Teilhabe, die entwickelten Hypothesen sowie die Items zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in Form eines Fragebogens verschickt.

Leitfadenentwicklung

Damit in der Fokusgruppe II eine strukturierte und zielorientierte Diskussion stattfinden konnte, wurde die Gesprächsführung durch die Forscherinnen mithilfe eines offenen teilstandardisierten Leitfadens mit möglichst offen formulierten Fragen unterstützt (ebd.). Zu Beginn der Fokusgruppe II erfolgte der Themeneinstieg mithilfe der Streichholzreflexion des überarbeiteten Modells Digitaler Teilhabe. Dabei hatten die Teilnehmenden eine Minute Zeit (also in etwa so lange, wie ein Streichholz brennt), um ihre jeweiligen Eindrücke zum Modell der Reihe nach zu äußern.

Maßgeblich strukturgebend bei der Leitfadenentwicklung waren die formulierten Hypothesen sowie entwickelten Items im Fragebogen, die im Arbeitsmaterial enthalten waren. Entlang dieser Hypothesen und Items wurden Leitfragen bzgl. der Logik, Verständlichkeit und Beantwortbarkeit formuliert. Vertiefend wurden dann jeweils positive und negative Eindrücke, kritische Anmerkungen sowie Änderungsvorschläge und Ergänzungen aus Perspektive der Teilnehmenden hinterfragt. Der entwickelte Leitfaden der Fokusgruppe II wurde in einem Pretest mit einem wissenschaftlichen und einem praxisbezogenen Experten auf Verständlichkeit und Reliabilität überprüft. Verständnisprobleme wurden erkannt, woraufhin der Leitfaden entsprechend angepasst und für die Datenerhebung finalisiert wurden. Abschließend wurden Fragen zu den allgemeinen Formalia sowie der Eignung des entwickelten Fragebogens aufgegriffen. Konkret ging es dabei um die Angemessenheit der Länge des Fragebogens, des sprachlichen Formates bzgl. der Zielgruppe sowie um die Aussagefähigkeit des Fragebogens. Insgesamt umfasste der finale Leitfaden der Fokusgruppe II fünf Oberthemen:

  • Themeneinstieg und Streichholzreflexion des Modells Digitaler Teilhabe.

  • Teil A: Personenbezogene Faktoren.

  • Teil B: Umweltbezogene Faktoren.

  • Teil C: Digitale Technologie bezogene Faktoren.

  • Teil D: Abschlussfragen.

  • Teil E: Formalia und Eignung.

7.5.2.5 Datenerhebung und -aufbereitung

Die Durchführung der Fokusgruppe II erfolgte am 27.04.2022. Die Durchführung der Veranstaltung erfolgte aufgrund kurzfristiger Erkrankungen mit vier statt acht Teilnehmenden. Um die vorbereiteten Rückmeldungen der verhinderten Teilnehmenden dennoch einzuholen, wurde jeder verhinderte Teilnehmende nach der Veranstaltung um eine kurze Rückmeldung zu den Arbeitsmaterialien gebeten. Aus dieser Rückmeldemöglichkeit ist ein weiteres Experteninterview via Zoom mit Teilnehmer T6 am 14.06.2022 entstanden. Gesprächsgegenstand waren hier dieselben Arbeitsunterlagen bzw. derselbe Leitfaden der Fokusgruppe II, sodass sich das Durchführungsformat mit der der Fokusgruppe II deckt. Die gewonnenen Erkenntnisse wurden mit den Erkenntnissen aus der Fokusgruppe II zusammengeführt.

Die Veranstaltung wurde, wie auch Fokusgruppe I, auditiv und visuell über die Aufnahmefunktion in Zoom aufgezeichnet. Zwecks Datenschutz wurden die Videoaufzeichnungen nach der Transkription in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) (s. Tab. 7.5, S. 124) anonymisiert und gelöscht. Das Transkript der Fokusgruppe II sowie das Transkript des Experteninterviews wurden zur Datenanalyse in dem Analysetool MAXQDA eingepflegt. Neben der Videoaufnahme der Fokusgruppe II und der Ergebnissammlung auf dem Miroboard wurde von den Forscherinnen, wie bereits bei der Fokusgruppe I, ein Gedächtnisprotokoll zur Situationsbeschreibung und Vermerke über außergewöhnliche Vorkommnisse (wie beispielsweise Unterbrechungen) angefertigt.

7.5.2.6 Datenanalyse

Das finale Transkript der Fokusgruppe II wurde wie die vorangegangenen qualitativen Erhebungen mithilfe der strukturierten Inhaltsanalyse in Anlehnung an Rädiker und Kuckartz (2019) theoriegeleitet und computergestützt strukturiert und ausgewertet. Die deduktive Kategoriendefinition erfolgte gemäß dem Leitfaden für die Fokusgruppe II und ähnelt demnach dem Schema für Kategoriendefinitionen der Fokusgruppe I. Entsprechend wurden die Themenbereiche personenbezogene Faktoren, umweltbezogene Faktoren sowie auf digitale Technologie bezogene Faktoren als Oberkategorien definiert. Weiteren Oberkategorien sind: Begriffsverständnis Digitale Teilhabe, Fragebogenentwurf EIDT1 sowie Modellentwurf MDT2. Die Interpretation der Analyseergebnisse wurde durch die Gedächtnisprotokolle und die Ergebnissammlung aus dem Miroboard ergänzt. Durch die Gesamtanalyse konnte ermittelt werden, welche Experten zu welchen Themen Aussagen getroffen haben, ob differenzierte oder konsentierende Ansichten aufgekommen sind und welche Argumentationen dahinterlagen (ebd.).

Die Analyseergebnisse der Fokusgruppe II wurden für die Modifizierung des Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe von MgB (EIDT1) herangezogen, das heißt, es wurde anhand der Diskussionsergebnisse der teilnehmenden Experten kritisch reflektiert sowie finalisiert (EIDT2).

Um neben der Prüfung und Weiterentwicklung der Items ein geeignetes Erhebungsformat zu eruieren, wurde das Format der Selbsteinschätzung durch die MgB erprobt. Hierfür wurde im Reflexionsformat III ein Auszug aus dem Itemkatalog in einfacher Sprache mit vier Teilnehmenden getestet. Der methodische Prozess wird nachfolgend detailliert erläutert.

7.5.3 Reflexionsformat III

Da im Reflexionsformat II bereits eine Definition Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache geprüft werden konnte, sollte im Reflexionsformat III die Möglichkeit eines Fragebogens zur Selbsteinschätzung zur Digitalen Teilhabe getestet werden. Inhaltliche Grundlage hierfür waren die im MDT4 aufgezeigten Faktoren, die zur Itementwicklung genutzt wurden. Das konkrete Vorgehen, die zugrundeliegenden Fragestellungen, die Konzeptentwicklung sowie die Auswertung des Reflexionsformates werden nachfolgend erläutert.

7.5.3.1 Ziele und Fragestellungen

Mit der Durchführung des Reflexionsformates III, stand die Machbarkeit der Selbsteinschätzung durch Vertretende der Zielgruppe MgB in Bezug auf Digitale Teilhabe im Fokus. Dazu wurden ausgewählte Indikatoren aus dem MDT4in einem Fragebogenformat in einfacher Sprache reformuliert. Entsprechend lag Reflexionsformat III folgendes Ziel zugrunde:

  • Anwendung eines partizipativen Forschungskonzepts zum Pretest des Fragebogenformates, gemäß des Mehr-Sinne-Prinzips, in einfacher Sprache.

  • Erprobung des Erhebungsformates der Selbsteinschätzung durch Vertretende der Zielgruppe MgB in Bezug auf Digitale Teilhabe.

Die Durchführung des Reflexionsformates III erfolgte am 09.06.2022 mit vier MgB. Aus der zugrundeliegenden Zilesetzung leiten sich dfür die Durchführung folgende Fragestellungen ab:

  • Ist das Erhebungsinstrument EIDT-ES1 zur Selbsteinschätzung durch MgB geeignet, um Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zu quantifizieren?

  • Welche methodischen Anpassungen sind notwendig, um das Erhebungsinstrument EIDT-ES1 zur Selbsteinschätzung durch MgB zu verwenden?

7.5.3.2 Rekrutierung und Feldzugang

Für das Reflexionsformat III erfolgte die Rekrutierung der teilnehmenden MgB zwischen dem 01.05.2022 und dem 31.05.2022. Hierfür wurden die Teilnehmenden des Reflexionsformates I und II erneut in Rücksprache mit der Kontaktperson am BBW angesprochen – bzw. jene, die der erneuten Kontaktaufnahme zugestimmt haben. Zudem wurden weitere Interessierte im direkten Umfeld der Teilnehmenden im BBW auf die Veranstaltung aufmerksam und bekundeten Interesse. Nach datenschutzrechtlicher Aufklärung über das Forschungsvorhaben sowie unter Berücksichtigung der für das Reflexionsformat I definierten Ein- und Ausschlusskriterien (s. Tab. 7.6, S. 129) erfolgte die Auswahl der Teilnehmenden für das Reflexionsformat III. Final wurden zum 31.05.2022 vier MgB für das Reflexionsformat III ausgewählt.

7.5.3.3 Beschreibung des Fallsample

Die Auswahl der teilnehmenden MgB erfolgte nach dem in Abschnitt 7.4.1 (s. S. 114) dargelegten Vorgehen sowie entlang der in Tab. 7.3 dargestellten Ein- und Ausschlusskriterien (s. S. 117). Vier MgB äußerten Interesse an der Teilnahme am Reflexionsformat III. Nach Prüfung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden alle Personen für geeignet erklärt und nach dem Aufklärungsgespräch revidierte keine Person ihr Interesse. Der finale Sampleplan umfasst neben der Teilnehmenden-ID aus allen drei Reflexionsformaten die relevanten Merkmale der Teilnehmenden Alter, Geschlecht und Wohnform (s. Tab. 7.11, S. 156).

Tab. 7.11 Charakteristika der Teilnehmenden des Reflexionsformates III. (Quelle: Eigene Darstellung)

Das Durchschnittsalter im Reflexionsformat III liegt wie bei den vorangegangenen Reflexionsformaten I und II bei ca. 25 Jahren. Das Sample setzt sich jedoch nicht mehr zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern zusammen, sondern aus mehr Männern. Alle Teilnehmenden leben wie im Reflexionsformat II derzeit in betreuten WGs der Eingliederungshilfe.

7.5.3.4 Entwicklung des Befragungskonzepts

Auch das Reflexionsformat III lässt sich durch die in Abschnitt 7.4.1.2 (s. S. 115) dargelegte Argumentation begründen. Unter Berücksichtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit der teilnehmenden MgB wurde auch für das Reflexionsformat III ein niedrigschwelliges Konzept entwickelt. Um eine vertraute bzw. angenehme Atmosphäre zu erzielen, wurde wie bereits in den anderen Reflexionsformaten Essen und Trinken in einem für die Teilnehmenden vertrauten Besprechungsraum des BBW bereitgestellt. Zur Aufklärung über das Format wurde auf die bereits für das Reflexionsformat I entwickelte Teilnahmeinformation in einfacher Sprache sowie die Einwilligungserklärung in Leichter Sprache zurückgegriffen.

Die inhaltliche Ausgestaltung des Konzepts weicht dabei von denen des Reflexionsformates I und II ab. Die Grundlage für das Konzept des Reflexionsformates III bildeten die im MDT4 aufgezeigten Faktoren, aus denen Items formuliert wurden. Die gesamten Items wurden in der Fokusgruppe II (s. Abschnitt 7.5.2, S. 149) diskutiert und validiert. Aufgrund der Diskrepanz zwischen der Komplexität sowie der Vielzahl an Items einerseits und dem Anspruch an ein möglichst niedrigschwelliges Konzept andererseits, wurde für das Reflexionsformat III zunächst eine Auswahl der Items in einfacher Sprache formuliert und den Teilnehmenden zur Selbsteinschätzung in Bezug auf Digitale Teilhabe testweise vorgelegt. Hierfür wurden zu den aufgezeigten Faktoren im MDT4 Items entwickelt oder abgeleitet und in einfacher Sprache im Fragebogenformat aufbereitet. Dieser Fragebogen wurde im Reflexionsformat III durch die teilnehmenden MgB getestet und anschließend mit den Forscherinnen diskutiert.

Die Fragenformulierung für den Fragebogen im Reflexionsformat III wurde in Anlehnung an das Regelwerk der Leichten Sprache durchgeführt, um ein Fragenkonstrukt aus offenen, aber inhaltlich eingegrenzten und somit gut verständlichen Fragen zu erzielen (s. Netzwerk Leichte Sprache 2021). Trotz Berücksichtigung des Regelwerks für Leichte Sprache liegt der Fragebogenentwurf aufgrund des fehlenden Prüfprozesses durch eine professionelle Prüfgruppe für Leichte Sprache, nur in einfacher Sprache vor.

Der verwendete Fragebogen zur Selbsteinschätzung Digitaler Teilhabe in einfacher Sprache (EIDT-ES1) besteht aus 24 Seiten, die in sechs Seiten zur Einwilligungserklärung und 19 Frageseiten unterteilt sind. Basis der Entwicklung des EIDT-ES1 ist das überarbeitete MDT3 sowie EIDT2. Um zu prüfen, inwiefern die Selbsteinschätzung möglich ist, wurden Items aus EIDT2 verwendet und in einfacher Sprache reformuliert. Hierzu gehören Fragen zu soziodemografischen Daten, zu gesundheitlichen Ressourcen, zum Zugang sowie zur Nutzung digitaler Technologien, zu Nutzungserfahrungen und -wünschen und Unterstützungsbedarfen bei der Nutzung. Bei Frageblöcken wurden maximal drei Abstufungen („Ja“, „Es geht so“, „Nein“) als Antwortmöglichkeiten angeboten, die gemäß des Mehr-Sinne-Prinzips farblich hervorgehoben und durch einen Smiley,durch einen Daumen hoch bzw. runter oder ein Fragezeichen visuell unterstützt wurden. Eine Erklärung dieser Antwortmöglichkeiten wurde im Fragebogen verschriftlicht. Bei einem klaren Bezug zur Hardware wurden zudem Piktogramme in den Frageblock integriert, um auch hier den Bezug zum Gegenstand der Frage zu visualisieren.

Neben dem Fragebogen, der von den Teilnehmenden ausgefüllt wurde, wurde ebenso ein Rahmenkonzept zur Einführung in die Veranstaltung, Diskussion und Reflexion des Fragebogens sowie zum Abschluss der Veranstaltung entwickelt. In Orientierung an dem Leitfaden für das Reflexionsformat I und II wurden die drei leitenden Kategorien für den Leitfaden des Reflexionsformates III abgeleitet:

  • Thematische Einführung,

  • Durchführung des Pretests (Ausfüllen des Fragebogens),

  • Reflexion des Pretests.

Das Format war wie zuvor auch auf eine generelle Gesprächsdauer von maximal 60 Minuten (45 Minuten Arbeitszeit; 15 Minuten Pausenzeit) angesetzt (Atteslander & Cromm 2003), um Konzentrationsprobleme bei den Teilnehmenden zu vermeiden (Keeley 2015). Neben der Prüfung auf Verständlichkeit der Rekrutierungsmaterialien für das Reflexionsformat, wurde das Konzept des Reflexionsformates III im Mai 2022 mit einer Vertreterin der Zielgruppe einem Pretest nach Gläser und Laudel (2010) unterzogen und angepasst.

7.5.3.5 Datenerhebung und -aufbereitung

Das Reflexionsformat III wurde auditiv aufgezeichnet und anschließend in Anlehnung an das Transkriptionssystem von Dresing und Pehl (2017) transkribiert (s. Tab. 7.5, S. 124). Die Transkription erfolgt computergestützt mithilfe der Analysesoftware MAXQDA. Auch die sozialen Interaktionen (wie reaktive, initiative Aktivitäten), Formen nonverbaler Kommunikation (wie Mimik, Gestik oder Körperhaltung) und Verhaltensweisen (wie lobend, ermutigend, skeptisch oder irritiert) zwischen den teilnehmenden MgB wurden über Gedächtnisprotokolle der Forscherinnen im Anschluss an die Veranstaltung verschriftlicht. Ergänzend zu der beschriebenen Datenerhebung wurden die ausgefüllten Fragebögen der Teilnehmenden ausgewertet.

7.5.3.6 Datenanalyse

Das Transkript des Reflexionsformates III wurde mittels strukturierender Inhaltsanalyse in Anlehnung an Rädiker und Kuckartz (2019) theoriegeleitet ausgewertet. Im Rahmen der Analyse wurden Oberkategorien deduktiv aus dem Leitfaden entwickelt und induktiv für jede zentrale Oberkategorie weitere Kodes entwickelt. Die vier Oberkategorien (Verständnis Digitaler Teilhabe, Nutzung, Pretest, Gesprächsatmosphäre) ergeben sich deduktiv aus der Struktur des Leitfadens.

Die ausgefüllten Fragebögen wurden auf Beantwortung, Art der Beantwortung und Plausibilität geprüft sowie für die Beantwortung der Fragestellungen des Reflexionsformates III genutzt. Die Analyseergebnisse des Reflexionsformates III fließen sowohl inhaltlich als auch strategisch in die Entscheidungen zur Weiterentwicklung des Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe ein.

Aus den Überarbeitungen des Erhebungsinstruments entstand das EIDT2, das zur Vorbereitung der quantitativen Befragung in den Pretest gegeben, angepasst und anschließend zur quantitativen Befragung verwendet wurde. Dieser Prozess sowie die methodische Vorgehensweise der quantitativen Befragung werden nachfolgend näher erläutert.

7.5.4 Quantitative Befragung

Wie aufgezeigt, bildet MDT4 die Zusammenhänge der potenziellen personen- und umweltbezogenen sowie auf digitale Technologien bezogenen Einflussfaktoren auf gesellschaftliche Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe an, durch und in digitale(n) Technologien ab. Die aufgezeigten potenziellen Einflussfaktoren sind das Ergebnis des vorangegangenen Scoping Reviews, der Reflexionsformate I und II mit MgB sowie der Fokusgruppe I und II mit Experten aus der Wissenschaft und der Praxis. Das MDT2 dient somit zur ersten Beschreibung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe und zur Operationalisierung potenzieller Einflussfaktoren. Die Signifikanz der Einflussfaktoren wird im Rahmen einer quantitativen Befragung untersucht. Die definierten Items (EIDT1) wurden mithilfe der zweiten Fokusgruppe validiert und im Rahmen eines modifizierten Erhebungsinstruments (EIDT2) in den Pretest (n = 25) gegeben. Eventuell auftretende Messschwierigkeiten und Verständnisprobleme innerhalb des Pretests wurden überarbeitet, sodass ein finales Erhebungsinstrument (EIDT3) vorliegt. Dieses Erhebungsinstrument konnte abschließend in einer bundesweiten Feldstudie (n = 804) getestet werden.

Im Folgenden werden die Schritte zur Entwicklung des EIDT3 zur Fremdeinschätzung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Mitarbeitende in der Eingliederungshilfe beschrieben.

7.5.4.1 Zielsetzung und Fragestellungen

Aufbauend auf den Ergebnissen der vorangegangenen Methoden liegen der quantitativen Befragung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe folgende Zielsetzungen zugrunde:

  • Finalisierung und Testung definierter Items zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zur Fremdeinschätzung durch Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe (Bezugspersonen der MgB).

  • Überprüfung der Erhebungsmöglichkeiten über die Fremdeinschätzung von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe.

  • Ableitung eines Erhebungsinstruments zur Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe.

Zur Erreichung dieser Ziele sind folgende Fragestellungen bei der Durchführung der quantitativen Befragung handlungsleitend:

  • Sind die entwickelten Items geeignet, um die realisierte Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zu quantifizieren?

  • Lässt sich der Einfluss einzelner Indikatoren auf die realisierte Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederung messen und nachweisen?

  • Ist die Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende der Eingliederungshilfe zur Quantifizierung der realisierten Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe möglich?

7.5.4.2 Begründung des Forschungsansatzes

Für die Beantwortung der übergeordneten Fragestellungen wurde ein quantitativer Forschungsansatz gewählt.

„Im quantitativen Forschungsansatz („quantitative research approach/strategy“) werden theoretisch abgeleitete Forschungshypothesen an vielen Untersuchungseinheiten mit strukturierten Datenerhebungsmethoden untersucht. Ziel ist meist die Theorieprüfung. Die erhobenen quantitativen (numerischen) Daten werden statistisch ausgewertet.“ (s. Döring & Bortz 2016, S. 184)

Die Ergebnisse der literaturbasierten Entwicklung sowie die empirische Weiterentwicklung der Definition und des Modells Digitaler Teilhabe führten zu der Formulierung von potenziellen Einflussfaktoren und schlussendlich zur Formulierung verschiedener Forschungshypothesen (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.). Um diese formulierten Hypothesen strukturiert zu prüfen, wurde eine quantitative Befragung durchgeführt. Dabei eignet sich eine Querschnittsbefragung für die Untersuchung von Zusammenhängen und Korrelationen zwischen den verschiedenen Einflussfaktoren. Eine Querschnittstudie ist eine Forschungsmethode, bei der Daten zu einem bestimmten Zeitpunkt von einer Stichprobe gesammelt werden. Sie dient dazu, Informationen über die Prävalenz oder Häufigkeit von Merkmalen, Verhaltensweisen oder Ereignissen in einer bestimmten Bevölkerung oder Population zu erhalten. Im Gegensatz zu Längsschnittstudien, bei denen Daten über einen längeren Zeitraum hinweg gesammelt werden, konzentriert sich eine Querschnittstudie auf eine Momentaufnahme der untersuchten Gruppe. Der Hauptvorteil einer Querschnittstudie liegt in ihrer Effizienz und Kosteneffektivität. Da die Daten zu einem einzigen Zeitpunkt erhoben werden, ist der Zeitaufwand im Vergleich zu längeren Studien geringer. Die Studie ermöglicht es, einen Überblick über den Zustand der untersuchten Bevölkerung zu erhalten und Muster oder Trends in Bezug auf bestimmte Merkmale oder Ereignisse zu identifizieren (Bortz & Döring 2006). Durch statistische Analysen können z. B. Aussagen darüber getroffen werden, ob und in welchem Ausmaß eine Variable eine andere beeinflusst. Ein weiterer Vorteil der Querschnittsbefragung ist, dass er sich für die Untersuchung großer Stichproben eignet. Dies ermöglicht eine höhere Generalisierbarkeit der Ergebnisse, da die Stichprobe repräsentativer für die Gesamtpopulation sein kann (Döring & Bortz 2016).

Der Entwurf des Erhebungsinstruments wurde zunächst auf Eignung für die Selbsteinschätzung durch MgB geprüft. Die Analyse der Studien aus dem Scoping Review zeigt, dass Fragebögen in einfacher bzw. Leichter Sprache eine Grundvoraussetzung darstellen, sofern MgB befragt werden (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Dementsprechend wurden ausgewählte Items aus EIDT2 in einfache Sprache übersetzt und im dritten Reflexionsformat mit der Zielgruppe MgB getestet. Die Ergebnisse zeigten, dass trotz einfacher Sprache, der Verwendung von Piktogrammen und weiteren Vereinfachungsmöglichkeiten ein Großteil der Fragen von den Teilnehmenden nicht korrekt verstanden wurde. Das vorliegende EIDT-ES1 müsste dementsprechend auf das Niveau der Leichten Sprache gehoben werden und durch eine professionelle Prüfgruppe übersetzt werden.

Die Entwicklung eines Fragebogens in einfacher bzw. Leichter Sprache ist sehr ressourcenaufwendig, da neben der Übersetzung von Fragebögen in Leichte Sprache weitere Anforderungen hinsichtlich der Barrierefreiheit und damit der Usability eingehalten werden müssten. Hier ist z. B. die Komptabilität mit verschiedenen Hilfsmitteln anzuführen. So schlussfolgern bereits Berger et al. (2010), das barrierefreie (Online-)Fragebogen in der Gestaltung und Konzeption sehr aufwändig sind und schlussendlich dennoch nicht allen Teilnehmenden gerecht werden: „Hier zeigte sich schnell, dass das grundlegende Prinzip der Barrierefreiheit, allen Nutzern gleichberechtigt den Zugang zu ein und demselben Inhalt zu ermöglichen, in Fällen wie diesem an seine Grenzen stößt“ (s. ebd., S. 34 f.).

Zudem ist die unterstützende Einbindung von formell Betreuenden beim Ausfüllen des Fragebogens essenziell (Gutiérrez-Recacha & Martorell-Cafranga 2011; Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017; Jenaro et al. 2017; Alfredsson Ågren, Kjellberg & Hemmingsson 2019). Ein stellvertretendes Ausfüllen der Fragebögen kann dazu führen, dass die Meinungen und Haltungen der Mitarbeitenden und nicht die der Zielgruppe widerspiegeln und somit die Ergebnisse verzerren (Seifert 2006). Die Studie von Alfredsson Ågren, Kjellberg und Hemmingsson (2019) zeigt jedoch: Selbst als die Befragten dazu angehalten wurden, die Umfrage selbstständig durchzuführen, füllte die Mehrheit der MgB die Umfrage mit einer anderen Person zusammen aus. Die Einbeziehung einer unterstützenden Person und folglich auch die Antworten können dann als nicht kontrollierbare Verzerrung betrachtet werden (ebd.). Im Reflexionsformat III divergierten zudem die mündlichen und schriftlichen Antworten der einzelnen Teilnehmenden. Die Divergenz zeigte sich dabei erst bei der Diskussion der ausgefüllten Fragebögen. Eine solche Reflexion ist im Format einer nicht begleiteten Selbsteinschätzung nicht gegeben.

Weiter wird in der Literatur ein möglichst kurzer Fragebogen von maximal 13 Items zur Befragung von MgB empfohlen (Chiner, Gómez-Puerta & Cardona-Moltó 2017). Vor dem Hintergrund, dass das Ziel des vorliegenden Methodenstrangs die Testung des entwickelten MDT4 ist und dieses Ziel die aufgezeigten Ansprüche an die Selbsteinschätzung durch MgB konterkariert, wurde die Querschnittsbefragung zur Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende in der Eingliederungshilfe konzipiert, wobei diese die Möglichkeit hatten, Klienten in das Ausfüllen des Fragebogens einzubeziehen.

Darüber hinaus gilt es eine geeignete Befragungsart auszuwählen. Grundsätzlich kann ein Mix aus Paper-Pencil- und Online-Befragungen empfehlenswert sein, da so den Teilnehmenden verschiedene Optionen zur Verfügung stehen, um an der Umfrage teilzunehmen. Zudem bevorzugen einige Teilnehmende möglicherweise die traditionelle Methode der Paper-Pencil-Umfrage, während andere die Online-Option bevorzugen. Durch die Bereitstellung beider Optionen kann sichergestellt werden, dass alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben, an der Umfrage teilzunehmen, je nach ihren Präferenzen und/oder technischen Fähigkeiten. Eine Kombination aus beiden Methoden kann demnach dazu beitragen, die Antwortrate zu erhöhen, da einige Teilnehmende möglicherweise die Online-Umfrage aufgrund technischer Probleme oder fehlender Internetverbindung nicht abschließen können, aber eine Paper-Pencil-Option zur Verfügung haben (Dillman, Smyth & Christian 2015). Für die vorliegende Querschnittsbefragung wurden beide Befragungsarten ausgewählt, sodass ein Fragebogen als Paper-Pencil- sowie eine Online-Befragung vorbereitet wurde. Um den entwickelten Fragebogen für die Paper-Pencil- sowie Online-Befragung in der Anwendung zu prüfen, wurden Pretests durchgeführt.

7.5.4.3 Pretest des Erhebungsinstruments

Basierend auf der Diskussion mit den Experten der Fokusgruppe II zu dem Erhebungsinstrument, erfolgte die Überarbeitung. Die Diskussion des Instruments vor der Feldphase ermöglichte dabei die kritische Auseinandersetzung und die Prüfung der gestellten Fragen auf Praktikabilität und Verständlichkeit. Mit Abschluss der Überarbeitungen entstand der modifizierte Fragebogenentwurf (EIDT2).

Durch die Diskussion in der Fokusgruppe II konnten inhaltliche Unvollkommenheiten aufgedeckt, jedoch nicht alle in der Befragungsphase auftretenden Probleme identifiziert werden. Somit ist eine vorläufige Testung (Pretest) des einzusetzenden Erhebungsinstruments unter realen Umständen zu Sicherung von Validität und Reliabilität unerlässlich (Geyer 2020b).

Daher erfolgt im nächsten Schritt zur Entwicklung des EIDT3 die Durchführung des Pretests. Dabei wurde der überarbeitete Fragebogen EIDT2 an die Zielgruppe (in diesem Forschungskontext Mitarbeitende der Eingliederungshilfe) gegeben und eines formativen (n = 11) sowie kognitiven (n = 14) Pretests unterzogen. Gemäß dem Vorgehen nach Porst (2000) wurde das modifizierte Erhebungsinstrument EIDT2 durch die Pretests auf folgende Aspekte formativ geprüft:

  • Verständlichkeit der Fragen,

  • Schweregrad der Frage,

  • Übereinstimmung der assoziierten Bedeutung und intendierten Bedeutung der Frage,

  • Interpretationsspielräume,

  • Zeitdauer/Länge des Erhebungsinstruments,

  • Kontexteffekte,

  • Reihenfolge der Fragen,

  • technische Probleme.

Neben der formativen Testung wurde für den vorliegenden Pretest die Methode kognitiver Pretest (oder kognitive Interviews) gewählt. Diese Methode zählt zu den aktiven Pretestverfahren, dabei wird das Vorgehen der Befragten bei der Beantwortung der Fragen aktiv hinterfragt (Willis 2005; Beatty & Willis 2007). Kognitive Pretests eignen sich besonders für die Entwicklungsphase eines Erhebungsinstruments, da durch die angewandte Methode Einblicke in die kognitiven Prozesse, die beim Beantworten von Fragen ablaufen, möglich sind. Hierfür wurde die Technik Probing (Nachfragetechnik) angewandt. Dabei werden mittels einer oder mehrerer Zusatzfragen (probes) Begriffe, Fragetexte oder gegebene Antworten hinterfragt. Somit können weitere Informationen über das Verständnis von Fragen gewonnen werden. Während des Pretests wurden verschiedene Probing-Varianten eingesetzt:

  • Comprehension Probing – Nachfragen zum Verständnis, z. B. „Was verstehen Sie in dieser Frage unter Sicherheitsbedenken?“,

  • Category Selection Probing – Nachfragen zur Wahl der Antwortkategorie, z. B. „Können Sie Ihre Antwort bitte begründen?“,

  • Information Retrieval Probing – Nachfragen zur Informationsbeschaffung, z. B. „Wie haben Sie sich daran erinnert, seit wann Ihr Klient das Internet nutzt?“,

  • General/Elaborative Probing – Unspezifisches Nachfragen, z. B. „Können Sie mir Ihre Antwort bitte noch etwas näher erläutern?“ (Häder 2015).

Die Probing-Fragen wurden bei der ersten Pretestphase im Anschluss an die Beantwortung einer Survey-Frage gestellt. In der zweiten Pretestphase wurden die Probanden im Anschluss an die Beantwortung des gesamten Fragebogen befragt (Lenzner, Neuert & Otto 2015).

Da das EIDT2 sowohl als Online- als auch als Printvariante zur Verfügung steht, wurden die beiden Fragebogenformate in separaten Pretests geprüft. Insgesamt fanden vier Pretestphasen statt. Nach Abschluss der jeweiligen Pretestphase wurden sowohl Erkenntnisse zu allgemeinen Problematiken als auch zu einzelnen schwer verständlichen Fragen gewonnen. Die Erkenntnisse der Tests wurden von den Forscherinnen diskutiert und für die nächste Phase angepasst (s. Tab. 7.12, S. 165):

Tab. 7.12 Pretests des Erhebungsinstruments EIDT2. (Quelle: Eigene Darstellung)

Die Rückmeldungen der kognitiven Pretests wurden sowohl quantitativ als auch qualitativ ausgewertet. Die in den Pretests gewonnenen Ergebnisse zu den einzelnen Fragen wurden von den beiden Forscherinnen diskutiert und mündeten im finalen Erhebungsinstrument EIDT3 (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 5 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.).

7.5.4.4 Aufbau des finalen Erhebungsinstruments EIDT3

Wie Abschnitt 7.5.1 (s. S. 145) zu entnehmen ist, konnten acht bestehende Erhebungsinstrumente für das finale Erhebungsinstrument genutzt werden. Die Beschreibung der Erhebungsinstrumente, die für die Formulierung der Items des EIDT3 (modifiziert) genutzt wurden sind dem Anhang 5 im elektronischen Zusatzmaterial zu entnehmen. Hier erfolgt die Zuordnung zu den Fragestellungen in EIDT3 sowie die Angaben zur Validität und Reliabilität der Ursprungsinstrumente.

Dabei ist anzumerken, dass nur die Kurzskala Technikbereitschaft von Neyer, Felber und Gebhardt (2016) sowie die information and communication technology Self-Concept Scale [ICT-SC] von Schauffel et al. (2021) in Gänze genutzt wurden. In den anderen Fällen wurden lediglich passende Fragestellungen zu einzelnen entwickelten Items verwendet. Eine Modifizierung der Fragestellungen war in einigen Fällen notwendig, da die ausgewählten Erhebungsinstrumente keine Fremdeinschätzungen vorsahen. Zudem wurden die Begriffe (beispielsweise durchgängig Klient, Angebote und Dienste) vereinheitlicht.

Für das Erhebungsinstrument EIDT3 wurden wie in Abschnitt 7.5.1 (S. 145) beschrieben zudem eigene Items für die Fragestellungen 7, 11, 25, 26, 40, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 55, 56 sowie 57 entwickelt und über die zweite Fokusgruppe und die Pretests geprüft. Zu Beginn des EIDT3 finden sich ein Instruktionstext sowie eine Datenschutzerklärung. Dabei wurde bei der Formulierung den Empfehlungen von Raab-Steiner und Benesch (2021) zur Entstellung von Instruktionstexten in der Fragebogenentwicklung entsprochen: (1) Nennung von Untersuchungsgegenstand, Ziel und Fragestellung, (2) (Weiter-)Verwendung der gewonnenen Daten, (3) Zusicherung der Anonymität und (4) Dank für die Bearbeitung des Fragebogens (ebd.).

Da das EIDT3 nicht zur Selbsteinschätzung konzipiert wurde und somit nicht für eine direkte Befragung von MgB geeignet ist, wird im Instruktionstext noch einmal auf die Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende der Eingliederungshilfe eingegangen und eine kurze Ausfüllanleitung aufgeführt: „Für den zweiten Teil suchen Sie sich eine/n von Ihnen betreute/n Klient*in aus und beantworten die Fragen stellvertretend“ (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 5 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.). Es wird explizit darauf hingewiesen, dass die Fragen auch gemeinsam mit dem ausgewählten Klienten beantwortet werden können. Ebenso ist es für die Befragung nicht erforderlich, dass sich der Ausfüllende gut mit digitalen Technologien auskennt, diese besitzt oder nutzt. Auch dies wird im Instruktionstext ausdrücklich erwähnt.

Das finale EIDT3 umfasst sechs offene und 51 geschlossene Fragen und gliedert sich in fünf Blöcke mit jeweiligen untergeordneten Fragen bzw. Frageblöcken:

  1. 1.

    Allgemeine Angaben zum Ausfüllenden. (8 Fragen)

  2. 2.

    Begriffsverständnis und Verankerung von Digitaler Teilhabe. (3 Fragen)

  3. 3.

    Angaben zu einem ausgewählten Klienten. (41 Fragen)

  4. 4.

    Angaben zur persönlichen Haltung und Nutzung von digitalen Technologien des Ausfüllenden. (11 Fragen)

  5. 5.

    Einschätzungen zum Einfluss von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. (3 Fragen)

Bei einigen Fragen finden sich Erklärungen zur Bearbeitung der einzelnen Fragebogenitems, die Missverständnissen und so fehlenden oder mangelhaften Antworten vorbeugen sollen. Zudem wurden im Papierfragebogen Verzweigungen („Bitte fahren Sie nun mit Frage X fort“) eingebaut, um den Ausfüllenden zu unterstützen und zu leiten. Da es sich bei der Zielgruppe um Mitarbeitende der Eingliederungshilfe und somit um Erwachsene handelt, wurde die Anrede mit Sie gewählt und kontinuierlich beibehalten.

7.5.4.5 Feldzugang und Rekrutierung

Um die Stichprobengröße zu schätzen, die zur Durchführung der Hypothesentestung notwendig ist, wurde eine Power-Analyse a priori durchgeführt. Als Power wird hier die Wahrscheinlichkeit verstanden, die jeweilige definierte Nullhypothese korrekterweise abzulehnen. Somit beschreibt die Power den Grad der Wahrscheinlichkeit, dass ein statistischer Hypothesentest einen tatsächlich vorhandenen Effekt auch als solchen identifiziert (Bortz & Schuster 2010). Um zu prüfen, ob ein Effekt zwischen der abhängigen Variable (realisierte Digitale Teilhabe) und mehreren unabhängigen Variablen anzunehmen ist, wurden ungerichtete Hypothesen Die zugehörigen Daten sind in Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.) formuliert, die im Rahmen einer multiplen Regressionsanalyse zu testen sind. Vor diesem Hintergrund wurde die Power-Analyse mit dem statistischen Programm G*Power von Faul et al. (2009) durchgeführt. Zur Identifikation mittlerer Effekte über lineare multiple Regressionsanalysen wurde in G*Power die Testfamilie „F tests“ eingestellt sowie die Testart auf „linerare multiple regression: fixed model, R2 deviation from zero“ festgelegt. Weiter wurde eine Effektgröße (f2) von 0,15 ermittelt. Ausgehend von einer Power von 95 % (1–3), einem α-Fehler von 5 % sowie unter Berücksichtigung von 50 Prädiktoren, ergibt sich ein Stichprobenumfang von 323 Teilnehmenden.

Zur Rekrutierung der angestrebten Stichprobe war die Teilnahme an der Befragung in dem Zeitraum 28.08.2022 bis 15.02.2023 möglich. Zur Streuung der Online- sowie Paper-Pencil-Befragung wurde ein fünfarmiges Rekrutierungskonzept entwickelt. Die jeweiligen Rekrutierungsstränge werden nachfolgend dargelegt und erläutert.

Kontakt zu Leitungen bundesweiter Berufsschulen für Heilerziehungspflegende

Um Heilerziehungspflegende als Fachkräfte in der Eingliederungshilfe zu rekrutieren, wurden die Berufsschulen für Heilerziehungspflegende mit Informationen zum Forschungsvorhaben und der Befragung kontaktiert. Dies erfolgte in mehreren Etappen. Zunächst wurden von Juli bis August 2022 die Schul- und Bereichsleitungen der Berufsschulen für Heilerziehungspflege der Bezirksregierung Detmold und Arnsberg kontaktiert, um Möglichkeiten einer Präsenzbefragung sowie eines Unterrichtsbesuches zu eruieren. Aufgrund begrenzter zeitlicher Ressourcen wurden hierfür lediglich die Berufsschulen nahe Bielefeld angefragt. Von den 18 angefragten Berufsschulen der Bezirksregierungen Detmold und Arnsberg, meldeten fünf Berufsschulen eine Teilnahmebereitschaft zurück. Eine weitere Berufsschule meldete zurück, dass der Ausbildungsgang eingestellt wurde. An sechs Schulen wurde im Zeitraum September bis Oktober 2022 eine präsentische Befragung mit Studierenden der Mittel- und Oberstufe (n = 182) sowie eine anschließende Unterrichtseinheit zum Thema Digitale Teilhabe durchgeführt. Die präsentische Befragung sowie der Unterrichtsbesuch an einer interessierten Berufsschule konnte aufgrund terminlicher Überschneidungen nicht realisiert werden. Ebenso wurden alle weiteren Schul- und Bereichsleitungen der Berufsschulen für Heilerziehungspflegende bundesweit (n = 238) kontaktiert und um Teilnahme an der Online-Befragung gebeten.

Kontakt zu Leitungen bundesweiter Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe

Des Weiteren wurden ausgewählte Leitungen bundesweiter Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe angefragt. Hierfür erfolgte die Auswahl der bundesweiten Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe anhand der Auflistung der Top 25 Träger der Wohlfahrtspflege nach jährlichem Umsatz (Wohlfahrt intern 2021). Diese 25 Wohlfahrtsträger wurden in einem zweiten Schritt auf die Verfügbarkeit von Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe geprüft. Wohlfahrtsträger, die nicht über Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe verfügen, wurden ausgeschlossen. Bei den 12 übrigen Wohlfahrtsträgern (s. Tab. 7.13, S. 169) wurde anschließend auf den Webseiten Ansprechpartner recherchiert, die mit dem Thema Digitale Teilhabe oder Ähnlichem beauftragt sind. Sofern keine Ansprechpartner für das Thema Digitale Teilhabe oder Ähnlichem ausgemacht werden konnten, wurde eine E-Mail mit einer offiziellen Einladung zur Teilnahme und Streuung der Online-Befragung, inklusive Informationen und Umfragelink, an den jeweiligen Vorstand bzw. die zuständige Geschäftsführung geschickt. Am 09.10.2022 bzw. 15.10.2022 wurden insgesamt 21 Ansprechpartner der 12 verschiedenen Träger der Wohlfahrt angefragt. Eine Information darüber, ob die Befragung unterstützt bzw. weitergeleitet wurde, liegt nicht vor, da ein Großteil der Ansprechpartner keine Rückmeldung gab.

Tab. 7.13 Übersicht der Wohlfahrtsträger. (Quelle: Eigene Darstellung)

Kontakt zu themenbezogenen Berufsverbänden und Einbindung in die Newsletter

Zudem wurden einschlägige Fachverbände der Wohlfahrtspflege per Mail kontaktiert und um Weiterleitung eines vorgefertigten E-Mail-Textes gebeten. Eine Auflistung dieser Fachverbände sind Tab. 7.14 (s. S. 169) zu entnehmen.

Tab. 7.14 Übersicht der Fachverbände. (Quelle: Eigene Darstellung)

Ebenso wurden die drei Berufsverbände für Heilerziehungspflege per Mail kontaktiert: Der Berufsverband Heilerziehungspflege in Deutschland e. V., der Berufs- und Fachverband für Heilpädagogik e. V. sowie der Deutsche Berufsverband für Soziale Arbeit e. V.

Kontakt über zielgruppenbezogene Gruppen auf Social-Media-Kanälen

Ein weiterer Rekrutierungsaufruf fand über verschiedene Social-Media-Kanäle statt. Hierfür wurden die Gruppenadministratoren einschlägiger Facebook-Gruppen bzw. Facebook-Foren sowie Instagram-Gruppen kontaktiert und darum gebeten, eine Kurzbeschreibung zum Forschungsvorhaben sowie zur Befragung zu teilen. Eine Auflistung der Social-Media-Gruppen erfolgt entlang des Social-Media-Kanals sowie der Mitgliederzahl zum Zeitpunkt des Postings in

Tab. 7.15 (s. S. 170). Von den angefragten Administratoren meldeten sich drei (Nr. 1, 2 und 4) zurück und teilten den Rekrutierungsaufruf in der jeweiligen Gruppe.

Tab. 7.15 Übersicht der Social-Media-Gruppen. (Quelle: Eigene Darstellung)

Kontakt zu themenbezogenen Forschungsförderern, Stiftungen und Netzwerke

Um eine höhere Reichweite zu erhalten, wurden am 15.10.2022 themenbezogene Forschungsförderer, Stiftungen und Netzwerke (s. Tab. 7.16, S. 171) angefragt und gebeten, die Kurzbeschreibung des Forschungsvorhabens und der Befragung sowie den Rekrutierungsaufruf in den Newsletter aufzunehmen. Alle angefragten Forschungsförderer meldeten sich zurück teilten die Kurzbeschreibung und den Rekrutierungsaufruf über den jeweiligen Newsletter sowie über weitere Informations- und Kommunikationskanäle (z. B. Social Media).

Tab. 7.16 Übersicht der Forschungsförderer. (Quelle: Eigene Darstellung)

7.5.4.6 Datenerhebung und -aufbereitung

Das finale EIDT3 wurde abschließend zwischen dem 28.08.2022 und dem 15.02.2023 in einer bundesweiten Feldstudie mit nGesamtsample = 804 getestet. Die Teilnahme an der Befragung war freiwillig und durch eine Nichtteilnahme entstanden keine Nachteile. Ebenso war die Teilnahme anonym, sodass keine personenbezogenen Daten erhoben wurden, die Rückschlüsse auf einzelne Personen zulassen. Wie in Abschnitt 7.2 (s. S. 99) beschrieben, wurde zur Dokumentation des Umgangs mit ethischen sowie datenschutzrechtlichen Aspekten ein Datenschutzkonzept für das gesamte Promotionstandem entwickelt und mit dem Kompetenzzentrum Forschungsdaten der Universität Bielefeld abgestimmt. Dieses enthält umfassende Informationen zur Beschreibung und zum Umfang der Datenverarbeitung und -speicherung.

Nachdem die Online-Umfrage am 15.02.2023 geschlossen wurde und die Rückläufer der Paper-Pencil-Befragung an den Berufsschulen für Heilerziehungspflegende vorlagen, wurde für die Auswertung eine Datenmaske mit der Statistik- und Analysesoftware Statistical Package für Social Sciences [SPSS] Version 27 erstellt. Anschließend wurden die ausgefüllten Online- und Print-Fragebögen entlang der jeweiligen Items eingegeben. Weiter wurden die Datenskalierungen (nominal, ordinal, metrisch) der Merkmalsausprägungen festgelegt und in einem Kodierplan dokumentiert. Dabei wurden die Variablenbezeichnungen, die Beschriftung in SPSS, die möglichen Ausprägungen, die Messniveaus und die ausgewählten Auswertungsmethoden nachgehalten.

Trotz sorgfältiger Dateneingabe sind bei der manuellen Erfassung von Daten Fehleingaben nicht auszuschließen, daher ist eine quantitative Datenanalyse erst dann sinnvoll, wenn der Datensatz zuvor von möglichen Fehleingaben bzw. Fehlern bereinigt wurde. Im Zuge der Datenbereinigung wurden in diesem Forschungsvorhaben nach den Empfehlungen von Döring und Bortz (2016) für jede Variable der Wertebereich, die Häufigkeitsverteilung sowie die vergebenen Wertelabels geprüft (ebd.).

Bei der manuellen Dateneingabe konnten bereits nicht auswertbare Fragebögen (n = 4) identifiziert werden. Die Bögen wurden als nicht auswertbar beurteilt, da z. B. konterkarierende Aussagen durch Ankreuzen der gleichen Antwortmöglichkeit zu allen Fragen oder sinnfreie Aneinanderreihungen von Buchstaben in den Freitextfeldern eingetragen wurden. Ebenso wurden Fragebögen ausgeschlossen, die zu weniger als 50 % ausgefüllt wurden. Die Daten, die von Unipark eingelesen wurden, wurden auf ausreichend plausible Werte geprüft, um die geprüften Fälle in die Analyse einzuschließen. Sofern erforderlich, wurden die Variablen umkodiert, deren Ausprägungen für die Analyse in Gruppen zusammengefasst wurden. Die umkodierten Variablen wurden in der Datenmaske ergänzt. Die durchgeführten Transformationsschritte wurden in Syntaxform dokumentiert.

Um eine Verzerrung der Ergebnisse zu verhindern, wurden ebenso nicht beantwortete Fragen als fehlende Werte (missing data) in SPSS definiert. Sofern aufgrund der Filterführung in dem Erhebungsinstrument die Frage nicht vorgelegt bzw. nicht beantwortet werden musste, wurden diese fehlenden Werte mit 777 gekennzeichnet. Wurde eine Pflichtfrage nicht nachweislich bearbeitet, wurde dies im Datensatz mit der Kennung 999 vermerkt. Zudem wurde bei der Erstellung des EIDT3 für jede Frage die Möglichkeit gegeben, mit „Ich möchte/kann hierzu keine Aussage treffen“ zu antworten. Dies ermöglichte systematisch, gehäufte Missings bei bestimmten Personen(gruppen) oder Variablen zu identifizieren.

Im nächsten Schritt wurde die Umpolung von Variablen vorgenommen, um eine intuitive Interpretation der Analyseergebnisse zu ermöglichen. Nach Döring und Bortz (2016) sollen dabei die Messwerte in den Merkmalsausprägungen von ordinal- sowie intervall- und verhältnisskalierten Variablen so zugeordnet werden, dass höhere Werte jeweils einer stärkeren Merkmalsausprägung entsprechen (ebd.). Bei der Datenbereinigung stellte sich heraus, dass Variablenausprägungen gemäß ihrer Reihenfolge im EIDT3 zunächst kontraintuitiv kodiert und im Zuge der Datenaufbereitung umgepolt werden mussten.

Da für das Item realisierte Teilhabe eine latente VariableFootnote 25 gebildet wurde, ist die Umpolung hier besonders essenziell (ebd.). Für die Messung dieses latenten Konstrukts wurden mehrere Indikatoren verwendet, die inhaltlich teils in positive und teils in negative Richtung weisen. Entsprechend wurden bereits vor der Berechnung alle negativen Items umgepolt.

7.5.4.7 Datenanalyse

Wie in Abschnitt 7.5.4.4 (s. S. 165) beschrieben, besteht das EIDT3 aus offenen und geschlossenen Fragestellungen. Die Auswertungsmethode der Fragestellungen unterscheidet sich je nach Antwortformat. Die Auswertung der offenen Fragen erfolgte inhaltsanalytisch nach Kuckartz (2018) mittels MAXQDA. Wie auch bei der Auswertung der vorangegangenen qualitativen Methoden können wesentliche Inhalte zusammengefasst, strukturiert und in einem Kategoriensystem (bestehend aus deduktiven und induktiven Haupt- und Unterkategorien) abstrahiert werden (ebd.).

Die geschlossenen Fragen wurden mittels Statistik- und Analysesoftware SPSS Statistics Version 27 ausgewertet. In der vorliegenden Forschungsarbeit wurden die Daten mittels EIDT3 erhoben, wodurch eine Primäranalyse vorliegt. Im Folgenden werden die Verfahren und Methoden der Deskriptivstatistik sowie Inferenzstatistik dargestellt.

Verfahren und Methoden der Deskriptivstatistik

Mittels deskriptiver Statistik wurden zunächst die absoluten und relativen Häufigkeiten aller Items ausgewertet und die Lagemaße (Median, Mittelwert) sowie die Streumaße (Varianz; Standardabweichung) ermittelt und grafisch aufbereitet. Dadurch ist es möglich, die Verteilung der Antworten zu dem betrachteten Item darzustellen. Für metrisch skalierte Variablen wurden die Werte zur zentralen Tendenz (Mittelwerte) und Streuungsmaße (Standardabweichungen) berechnet. Bei nominal- und ordinalskalierten Variablen wurden absolute und prozentuale Werteangaben untersucht. In den Ergebnissen wurden ausschließlich gültige Fälle und deren relative Häufigkeiten angegeben. Nicht berücksichtigt wurden fehlende Werte (dazu zählen fehlende oder nicht eindeutige Angaben).

Die durchgeführten Verfahren und Methoden der deskriptiven Statistik dienen der Stichprobenbeschreibung sowie der Darstellung der Stichprobenkennwerte der geprüften Effekte.

Verfahren und Methoden der Inferenzstatistik

Dieser Forschungsarbeit liegt eine explanative Studie zugrunde, die sich dazu eignet, die Unterschieds-, Zusammenhangs-, Veränderungs- und Einzelfallhypothesen durch Verfahren und Methoden der Inferenzstatistik zu prüfen (Döring & Bortz 2016).

Die Formulierung der Hypothesen ist dem Anhang zu entnehmen (Die zugehörigen Daten sind in Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial einsehbar.). Dabei ist die zu prüfende Hypothese die Alternativhypothese (H1). Diese postuliert einen bestimmten Effekt (hier: Potenzieller Einflussfaktor auf die realisierte Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe) in der betrachteten Stichprobe (ebd.).

In der vorliegenden Arbeit werden ausschließlich ungerichtete Hypothesen getestet. Hierbei kann die Richtung des Effekts im Voraus nicht festgelegt werden und gilt somit für beide Richtungen. Sofern sprechen Effekte in beide Richtungen für Zusammenhänge, sodass die alternative Hypothese angenommen und die Nullhypothese abgelehnt werden kann. Um sicherzustellen, dass der Test weiterhin auf dem Signifikanzniveau α durchgeführt wird, muss beim zweiseitigen Test an jeder Seite der Verteilung die kritische Schwelle herangezogen werden (ebd.). Das Signifikanzniveau aller statistischen Tests liegt, wie bereits bei der Power-Analyse festgelegt, bei einem Alphafehler von 5 %.

Da bislang keine verlässlichen Daten zum Untersuchungsgegenstand Digitale Teilhabe von MgB vorliegen, ist die Bildung von gerichteten Hypothesen nicht möglich. Zur Überprüfung der formulierten Zusammenhangshypothesen und den dazugehörigen Unterhypothesen können verschiedene statistische Testverfahren der Inferenzstatistik angewendet werden.

Nach Döring und Bortz (2016) hängt die Auswahl des passenden Signifikanztests für eine inhaltlich sinnvolle Hypothesenprüfung unter anderem „davon ab,

  1. 1.

    welche Art von Hypothese zu prüfen ist (Zusammenhangs-, Unterschieds-, Veränderungs- oder Einzelfallhypothese),

  2. 2.

    wie viele Variablen zu berücksichtigen sind (z. B. uni-, bi- oder multivariate Analyse),

  3. 3.

    welches Skalenniveau die Variablen haben (nominal-, ordinal-, intervall- oder verhältnisskalierte Daten),

  4. 4.

    welcher Stichprobenumfang vorliegt (z. B. Stichprobenumfang n = 30 erlaubt Anwendung des zentralen Grenzwerttheorems) und

  5. 5.

    welche Verteilungseigenschaften die Daten haben (z. B. Normalverteilung bei kleinen Stichprobenumfängen; Varianzhomogenität zwischen Gruppen)“ (s. ebd., S. 659).

Die hier ausgewählten Testverfahren sind Anhang 3 im elektronischen Zusatzmaterial zu entnehmen. Die Erstellung des Analyseplans erfolgte in Abstimmung mit dem Statistischen BeratungszentrumFootnote 26 [StatBeCe] der Universität Bielefeld. Die ausgewählten und angewendeten Testverfahren werden im Folgenden kurz beschrieben:

Scatterplot

Um die Art des Zusammenhangs zu bestimmen, wurden die vorliegenden Daten zunächst in einem Scatterplot (Streudiagramm) ausgegeben, um den Zusammenhang zwischen zwei Variablen zu visualisieren. Die Form der generierten Punktewolke gibt dabei Aufschluss über die Art des Zusammenhangs (Bortz & Schuster 2010). Durch die Betrachtung der Scatterplots konnte in den jeweiligen Fällen festgestellt werden, ob ein linearer Zusammenhang vorliegt oder ob die Daten einen nicht-linearen bzw. kurvilinearen Zusammenhang aufweisen. Dabei diente die visuelle Datenanalyse durch die Scatterplots nicht nur der Exploration, sondern ebenso der Überprüfung der Verteilungsvoraussetzungen, die für die Anwendung inferenzstatistischer Verfahren notwendig ist (Döring & Bortz 2016).

Pearson Produkt-Moment-Korrelation

Für die inferenzstatistische Analyse wurden anschließend Korrelationsanalysen durchgeführt. Um die Stärke des linearen Zusammenhangs zwischen zwei metrischen Variablen zu ermitteln, wurde die Pearson-Produkt-Moment Korrelation angewandt. Dabei ist der Korrelationskoeffizient zwischen − 1 und + 1 definiert. Ein Wert von + 1 deutet auf einen perfekten positiven Zusammenhang zwischen beiden Variablen hin. Liegt die Korrelation bei − 1 ist von einem perfekten negativen Zusammenhang auszugehen. Ein Korrelationskoeffizient von Null weist keinen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen nach. Da die Pearson Produkt-Moment-Korrelation zu den parametrischen Verfahren zählt, wurden die Voraussetzungen geprüft (Skalenniveau, Linearität, Prüfung auf Ausreißer, endliche Varianz und Kovarianz), die erfüllt sein müssen, um korrekte Ergebnisse zu erhalten (ebd.). Um die Art des Zusammenhangs zu bestimmen, wurden die vorliegenden Daten der zu überprüfenden Merkmale zunächst in einem Scatterplot dargestellt. Zur Prüfung der Daten auf mögliche Ausreißer wurden jeder der zu testenden Variablen ein Boxplot ausgegeben. Die durchgeführten Analysen sind der Syntax bzw. den Ergebnissen zu entnehmen.

Spearman-Rho-Korrelation

Der Korrelationskoeffizient nach Spearman wurde eingesetzt, wenn die Voraussetzungen der Pearson Produkt-Moment-Korrelation nicht erfüllt wurden (beispielsweise bei ordinalskalierten Daten). Für die Spearman-Korrelation wurden die Voraussetzungen (Skalenniveau, paarweise Beobachtungen) geprüft. Sofern diese vorlagen, wurde die Spearman-Korrelation mittels Statistikprogramm SPSS ermittelt. Dabei ist der Korrelationskoeffizient zwischen − 1 und + 1 definiert. Bei einem Wert von + 1 konnte ein sogenannter perfekter positiver Zusammenhang zwischen beiden Variablen benannt werden. Bei einer Korrelation von − 1 wurde ein perfekter negativer Zusammenhang ausgesprochen. Ein Korrelationskoeffizient von Null zeigte keinen Zusammenhang zwischen den beiden Variablen auf. Da die Spearman-Korrelation ausschließlich monotone Beziehungen unabhängig von deren Linearität bewertet, wurde anschließend die Beziehung zwischen den untersuchten Variablen mit einem Streudiagramm analysiert (ebd.). Die durchgeführten Analysen durch die Spearman-Korrelation sind der Syntax bzw. den Ergebnissen (s. Abschnitt 8.3.3, S. 331) zu entnehmen.

Multiple Korrelations- und Regressionsanalyse

Für die Analyse des Einflusses auf die berechnete realisierte Digitale Teilhabe [RDT] wird eine multivariate lineare Regressionsanalyse angewandt, da davon ausgegangen werden kann, dass ein linearer Kausalzusammenhang zwischen einer abhängigen Variable und mehreren unabhängigen Variablen vorliegt.

„Die multiple Korrelations- und Regressionsanalyse bestimmt, wie gut die Ausprägungen einer Zielvariable (Kriteriumsvariable) durch einen Satz erklärender Variablen (Prädiktorvariablen) vorhersagbar sind“ (s. Bortz & Döring 2006, S. 626).

Für die Prädiktorvariablen wurde dabei ermittelt, wie eng und in welcher Richtung sie mit dem Kriterium zusammenhängen. Der multiple Gesamtzusammenhang (multipler Korrelationskoeffizient R; multipler Determinationskoeffizient R2) sowie die Einflüsse der einzelnen Prädiktoren, die durch β-Gewichte ausgedrückt werden, konnten anschließend auf Signifikanz geprüft werden. Für die statistische Analyse wurden Variablen, die die wahre Beziehung zwischen der abhängigen und den Prädiktorvariablen verschleiern könnten, als mögliche Confounder berücksichtigt (Kreienbrock, Pigeot & Ahrens 2012). Confounder sind mit dem Ergebnis und der Exposition assoziiert, wobei zu den etablierten Confoundern unter anderem Alter, Geschlecht und sozioökonomischer Status gehören. Somit wurden mittels multipler linearer Regression ein nicht-adjustiertes sowie ein adjustiertes Modell berechnet. Für die Prädiktorvariablen wurden 95 %-Konfidenzintervalle berechnet. Die Modellgüte wurde anhand des R2 und des korrigierten R2 geprüft.

Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer Modellschätzung, da in der Regel nicht alle empirischen Werte genau auf einer Regressionsgeraden liegen, sondern vielmehr darum streuen. Insofern gilt es eine Regressionsgerade zu finden, die diese Abweichungen minimiert (Janssen & Laatz 2017, S. 405). Primäres Ziel hierbei ist die bestmögliche Anpassung des Regressionsmodells an die Daten. Diese Anpassung, bzw. die Schätzung eines oder mehrerer Modelle, welche die hypothetischen Kausalitäten am besten erklären können, ist schließlich an Gütekriterien und Prämissen gebunden, welche sich auf die Annahme eines Modells auswirken. Sind diese Kriterien nicht oder nur teilweise erfüllt, sollte ein neues Modell geschätzt werden. Aber auch bei der Annahme eines Modells werden die Kriterien geprüft und in abschließende Interpretation einbezogen. Entsprechend wurde ein hierarchisches Regressionsmodell berechnet, welches schrittweise die Einflussfaktoren des EIDT3 einschließt (soziodemografische und -ökonomische Faktoren, gesundheitlichen Ressourcen, digitale Kompetenzen, Technikbereitschaft und Erfahrungen, Wohn- und Betreuungskontext, Unterstützung durch soziale Strukturen, digitale Kompetenzen sozialer Strukturen, Technikbereitschaft und Einstellungen sozialer Strukturen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Beschaffenheit Hard- und Software, Aufbereitung der Inhalte).

Dazu wurden folgende Voraussetzungen für die multiple lineare Regression geprüft: (1) Lineare Beziehung zwischen den Variablen, (2) keine Ausreißer, (3) Unabhängigkeit der Residuen, (4) keine Multikollinearität, (5) Homoskedastizität, (6) Normalverteilung der Residuen.

Die anknüpfenden multiplen Korrelations- und Regressionsanalysen sind der Syntax bzw. den Ergebnissen (s. Abschnitt 8.3.3, S. 331) zu entnehmen. Die Ergebnisdarstellung umfasst dabei die Darstellung der geprüften Voraussetzungen, den Umgang mit verletzten Voraussetzungen sowie eine Beschreibung des adjustierten Modells.

Aus den Analyseergebnissen können Aussagen über die Möglichkeit der Quantifizierung bzgl. Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe unter der Limitation der Fremdeinschätzung durch Mitarbeitende der Eingliederungshilfe getroffen werden. Dabei sind die relevanten deskriptiv- und inferenzstatistischen Ergebnisse mit Bezug zu den Forschungsfragen bzw. den generierten Hypothesen zu interpretieren.