Die Eingliederungshilfe ist in der fachlichen Arbeit in mehrfacher Weise mit der Mediatisierung konfrontiert. Die Lebensbereiche der Klienten wandeln sich und die sozialen Ungleichheiten werden über das Medienhandeln (re-)produziert (Iske & Kutscher 2011). Zudem verändern sich mit der Digitalisierung Arbeitsprozesse sowie Erbringungsformen in der Eingliederungshilfe und folglich auch die Anforderungen an die Fachkräfte, die dazu unter anderem Medienkompetenzen und medienpädagogische Kompetenzen benötigen (Siller, Tillmann & Zorn 2020). Dennoch sind die Fachkräfte in der begleitenden Nutzung von digitalen Technologien durch MB oft zurückhaltend, da sie den MB einen kompetenten Umgang eher weniger zutrauen (Eggert 2006; Heitplatz 2021a).

Dieses Kapitel zeigt die zentralen Faktoren des Digital Disability Divides bei MB auf, aus denen sich potenzielle Risiken wie auch potenzielle Chancen für MB, vor allem für MgB, ergeben. Abschließend werden zielgruppenadäquate Vermittlungsansätze zur Umsetzung von Digitaler Teilhabe bei MgB beispielhaft aufgezeigt.

5.1 Digital Disability Divide

Wie Abschnitt 4.3 (s. S. 58) zu entnehmen ist, stehen bei der aktuellen Digital-Divide-Forschung besonders soziale und personale Kontextfaktoren der Nutzenden im Fokus. Bei den Studien, die vorrangig MB untersuchen (disability studies), werden jedoch vor allem die Beschaffenheit der digitalen Technologien selbst betrachtet, da die Gestaltung der digitalen Technologien den Zugang, die Nutzung und die Aneignung erschweren oder gar verhindern und somit einen starken Einfluss auf die Teilhabe an digitalen Technologien nehmen kann (Ravneberg & Söderström 2017).

Um die Selbstermächtigung der MB in der Nutzung digitaler Technologien und eine daraus resultierende Verringerung der Exklusion zu beschreiben, wird in der Sozialen Arbeit von E-Partizipation gesprochen. Konkret meint dies das Vorhandensein „digital basierte[r] Selbstermächtigungsstrategien, durch die marginalisierte Akteure sich von Exklusionsdynamiken emanzipieren“ (s. Kergel 2019, S. 190). Dabei hat sich der Ausdruck Digitale Teilhabe als Begriff für den allgemeinen Gebrauch durchgesetzt, ohne dass bisher eine einheitliche und allgemeingültige Definition verfügbar ist. Es gibt bisher kein Modell, das die verschiedenen Dimensionen Digitaler Teilhabe ganzheitlich abbildet (Friedhof 2016). Zudem gibt es bisher keine Indikatoren, die den erreichten Grad Digitaler Teilhabe erfassen und abbilden können (Deutsches Institut für Vertrauen und Sicherheit im Internet [DIVSI] 2016).

Mit Blick auf den Digital Disability Divide weist auch Bosse (2016) auf eine multidimensionale Betrachtung von Teilhabe in/an/durch digitale Medien hin und zeigt weiterhin auf, dass sich das Verständnis von Digitaler Teilhabe in bisherigen Kontexten der Eingliederungshilfe überwiegend auf den Zugang zu Hardware und Internet im Sinne der accessability bezieht. Darunter sei aber auch die Nutzerfreundlichkeit, also die Usability zu verstehen (Bosse 2013b). Demnach sind sowohl die accessability als auch die Usability notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingungen für Digitale Teilhabe, die außerdem einen kompetenten Umgang mit den digitalen Technologien in Bezug auf die eigene Lebenssituation erfordert (Freese & Mayerle 2013; Friedhof 2016).

Mit Blick auf die Zielgruppe dieser Arbeit lassen sich die empirisch belegten Erkenntnisse der Digital-Divide-Forschung bzgl. des first-level und second-level Digital Divides erkennen, sodass von einer Digital Disability Divide zu sprechen ist (Sachdeva et al. 2015; Dobransky & Hargittai 2016; Bosse & Haage 2020). Aus dem wissenschaftlichen Diskurs können insgesamt fünf zentrale Faktoren des Digital Divides bei MB identifiziert werden:

  1. 1)

    Ungleichheiten bzgl. technischer Zugangsmöglichkeiten (first-level divide),

  2. 2)

    Ungleichheiten bzgl. selbstständiger Nutzung (Unzureichende Möglichkeiten, das Internet orts- und zeitunabhängig zu nutzen),

  3. 3)

    Ungleichheiten bzgl. der Verfügbarkeit von Unterstützung,

  4. 4)

    Ungleichheiten bzgl. Fähigkeiten im Umgang mit dem Internet und

  5. 5)

    Ungleichheiten bzgl. der Zwecke der Internetnutzung (Hargittai 2002; Dobransky & Hargittai 2016).

Die Digital Disability Divide entspringt demnach nicht der Beeinträchtigung selbst, viel mehr entsteht diese durch Wechselwirkungen von Barrieren auf technischer, finanzieller, motivationaler sowie sozialer Ebene und erhält dadurch eine komplexe Struktur (Sachdeva et al. 2015; Bosse & Haage 2020; Haage 2021).

Über die aufgezeigten Ebenen hinaus verdeutlichen Zorn, Schluchter & Bosse (2019), dass in der Gesellschaft divergierende Voraussetzungen durch ungleiche Nutzungsmöglichkeiten, Fähigkeiten sowie Willenskräfte vorherrschen, um digitale Technologien einschätzen, aktiv mitgestalten sowie daran partizipieren zu können (ebd.). Weitestgehend unerforscht ist bislang vor allem, inwiefern MgB in der Eingliederungshilfe von der Digital Disability Divide auf unterschiedlichen Leveln betroffen sind. Bisherige Forschung zeigt, dass vor allem jüngere Menschen in stationären Einrichtungen der Sozialen Arbeit über keinen Zugang zu einem Wireless Local Area Network [WLAN] verfügen und dadurch die Basis für die Entwicklung eigener digitaler Kompetenzen nicht gegeben ist (Paus-Hasebrink 2019).

5.2 Gesetzliche Rahmenbedingungen

Wie bereits aufgezeigt, wird der Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe gesetzlich zugesichert. Mit der Diffusion der digital vernetzten Welt in allen Lebensbereichen werden auch die Arbeitsbereiche sowie Kontexte der Eingliederungshilfe berührt und die Nutzung von IKT hält Einzug in die Leistungsgruppen der Eingliederungshilfe.

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Digitalisierung gewinnt das Thema Digitale Teilhabe nicht nur an Relevanz, ebenso sind bereits Ansätze zur rechtlichen Verankerung zu erkennen. Mit Blick auf die von Ungleichheitsphänomenen besonders betroffene Personengruppe der MB lassen sich erste geltende nationale und internationale Rechtsansprüche und Verpflichtungen in der UN-BRK, im BTHG sowie den themenbezogenen EU-Richtlinien erkennen. Diese Ansätze werden nachfolgend vorgestellt und in der Umsetzung der genannten Gesetzesgrundlagen in Deutschland beschrieben.

Wie in Abschnitt 2.3.1 (s. S. 16) aufgezeigt, konkretisiert die UN-BRK die universellen Menschenrechte für MB und postuliert ein uneingeschränktes und selbstverständliches Recht auf Teilhabe. Mit Artikel 4g wird dazu aufgefordert, Forschung und Entwicklung für neue Technologien, die für MB geeignet sind, zu betreiben und zu fördern. Zudem sollen die Verfügbarkeit und die Nutzung dieser Technologien gefördert werden, Technologien „zu erschwinglichen Kosten [sollen dabei] […] Vorrang“ (s. Art. 4g, UN-BRK 2017) erhalten.

In Artikel 9 wird das Recht auf den gleichberechtigten Zugang zu IKT artikuliert:

„Um Menschen mit Behinderungen eine unabhängige Lebensführung und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, treffen die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel, für Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen […] zu gewährleisten“ (s. Art. 9, ebd.).

Artikel 9g fordert „den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu den neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, einschließlich des Internets, zu fördern“ (s. Art. 9g, ebd.).

Das Recht auf freie Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und den Zugang zu Informationen wird in Artikel 21 der UN-BRK beschrieben. Die Vertragsstaaten verpflichten sich dazu, geeignete Maßnahmen zu treffen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit zu gewährleisten, indem sie bestimmte Informationen für die Allgemeinheit rechtzeitig und ohne zusätzliche Kosten in zugänglichen Formaten und Technologien für MB zur Verfügung stellen (Art. 21a, ebd.). Behörden sind dazu aufgefordert, sich für den Einsatz von „Gebärdensprachen, Brailleschrift, ergänzenden und alternativen Kommunikationsformen und allen sonstigen selbst gewählten zugänglichen Mitteln, Formen und Formaten der Kommunikation […]“ (s. Art. 21b, ebd.) zu entscheiden, um die Kommunikation für und mit MB zu erleichtern und zu ermöglichen. Auch private Rechtsträger, Massenmedien und Anbieter von Informationen über das Internet sind dazu angehalten „Informationen und Dienstleistungen in Formaten zur Verfügung zu stellen, die für Menschen mit Behinderungen zugänglich und nutzbar sind“ (Art. 21c, d, ebd.), dazu zählt auch das Internet.

Weitere Hinweise auf IKT beziehungsweise das Recht auf barrierefreie Zugänge und folglich auch Digitale Teilhabe finden sich beispielsweise in:

  • Artikel 24 – Bildung (alternative Formen, Mittel und Formate der Kommunikation zur Teilhabe an Bildung; Bildung in Sprachen und Kommunikationsformen und mit Kommunikationsmitteln) (Art. 24, ebd.),

  • Artikel 29 – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (durch die Nutzung unterstützender und neuer Technologien politische Rechte und Aufgaben ermöglichen und erleichtern) (Art. 29, ebd.),

  • Artikel 30 – Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport (Zugang zu kulturellem Material in zugänglichen Formaten; Zugang zu Fernsehprogrammen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in zugänglichen Formaten) (Art. 30, ebd.).

Die Forderungen im Bereich Informationen und Internetzugang, die in der ratifizierten UN-BRK festgelegt sind, verpflichten die Vertragsstaaten zur Einhaltung dieser Anforderungen.

Um dieser Verpflichtung nachzukommen, wurde im Juni 2016 wurde die zweite Auflage des Nationalen Aktionsplans [NAP] verabschiedet. Mit dem NAP 2.0 verfolgt die Bundesregierung das Ziel, die Inklusion von MB durch gezielte Maßnahmen auf Bundesebene weiter voranzutreiben und Inklusion in allen Lebensbereichen umzusetzen. Der NAP 2.0 setzt an dem ersten Aktionsplan (2011) an und enthält insgesamt 175 Maßnahmen in 13 Handlungsfeldern (BMAS 2016a). In diesen 13 Handlungsfeldern finden sich vereinzelt Hinweise auf die Themen Digitalisierung und Digitale Teilhabe. Um die Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Arbeitsmarktintegration von MB zu systematisieren, wurde die Kurzexpertise zu Chancen und Risiken der Digitalisierung der Arbeitswelt für die Beschäftigung von MB entwickelt. Hierzu wurde die Maßnahme „Verbesserung des Wissens um die Auswirkungen technologischer Veränderungen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten von Menschen mit Behinderungen“ (s. ebd., S. 30) formuliert.

Im Handlungsfeld Bildung unterstützt die Bundesregierung verschiedene Projekte und Forschungsvorhaben zur inklusiven Bildung, jedoch findet sich keine spezifische Maßnahme im Bereich Digitale Teilhabe oder Digitalisierung (ebd.).

Für das Handlungsfeld Rehabilitation, Gesundheit und Pflege wurde als Maßnahme der Wettbewerb „Light Cares – Photonische Technologien für Menschen mit Behinderung“ ins Leben gerufen. Dieser Wettbewerb zielt darauf, mit dem Einsatz photonischer Werkzeuge und Komponenten den Alltag von MB zu verbessern und ihnen zu mehr Möglichkeiten zu verhelfen (ebd.).

Im Handlungsfeld Gesellschaftliche und politische Teilhabe liegt die Maßnahme „Digitale Barrierefreiheit“. Die Bundesregierung will „prüfen, wie durch geeignete Maßnahmen die digitale Barrierefreiheit weiter verbessert werden kann“ (s. ebd., S. 169) zugrunde. Zusätzlich wird die Umsetzung der EU-Richtlinie über die Barrierefreiheit von Webseiten des öffentlich-rechtlichen Sektors in nationales Recht als Maßnahme formuliert (ebd.).

Alle weiteren Handlungsfelder enthalten keine weiteren Maßnahmen zur Stärkung Digitaler Teilhabe von MB. Gleichwohl gibt es implizite Effekte, wie die Weiterentwicklung des Rechts zur Gleichstellung von MB oder die Novellierung des BGGs. Eng verwoben sind die dargelegten Handlungsfelder und Maßnahmen mit der UN-BRK sowie den Empfehlungen des UN-Fachausschusses. Zudem wird auf die Erkenntnisse der Teilhabeberichte der Bundesregierung zurückgegriffen (ebd.).

Eine Verletzung durch das Unterlassen der Umsetzung dieser Forderungen stellt eine Menschenrechtsverletzung dar. Ein Fakultativprotokoll, welches in Deutschland zusammen mit der UN-BRK ratifiziert wurde, ermöglicht die Einleitung eines Beschwerdeverfahrens. Eine Sanktionierung hingegen ist bei einem festgestellten Verstoß in dem Fakultativprotokoll nicht vorgesehen (Aichele 2008).

Durch die Verabschiedung des BTHG wurden die gesellschaftliche Teilhabe sowie Mitbestimmungsmöglichkeiten von MB in Deutschland gestärkt, so beschreibt Artikel 1:

„Menschen mit Behinderungen oder von Behinderung bedrohte Menschen erhalten Leistungen […], um ihre Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“ (s. § 1 BTHG 2019).

Ebenso wird das Recht auf Leistungen zugesichert, „die erforderlich sind, um eine durch die Behinderung bestehende Einschränkung einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft auszugleichen“ (s. § 84, Abs. 1, 2SGB IX 2019). Laut BTHG „gehören [hierzu] insbesondere barrierefreie Computer“, wobei hiermit über den Zugang zu Technologien hinaus ebenso eine „notwendige Unterweisung im Gebrauch der Hilfsmittel sowie deren notwendige Instandhaltung oder Änderung“ (s. § 84, Abs. 1, 2 ebd.) zu verstehen ist.

„Dennoch findet das Digitale keinen Eingang in das „moderne“ Bundesteilhabegesetz, es bleibt analog. Virale Lebensbereiche und smarte Technologien werden nicht beschrieben, sondern müssen über die im Gesetz aufgeführten neun Lebensbereiche, die in der Gesellschaft längst mediatisiert sind, argumentiert werden“ (s. Geyer 2020a, S. 21).

Dementsprechend wird eine umfassende politische Aufmerksamkeit für das Thema Digitale Teilhabe sowie die leistungs- und vertragsrechtliche Ausgestaltung gefordert (ebd.).

Zur Analyse der Umsetzung dieser Gesetzesgrundlagen in Deutschland eignet sich der Staatenbericht zur Umsetzung der UN-BRK. Insgesamt 18 unabhängige Mitglieder des Ausschusses für die Rechte von MB haben 2015 eine erstmalige Prüfung vorgenommen und die Ergebnisse in einem Bericht veröffentlicht. Hier werden u. a. die Problembereiche des jeweiligen Landes dokumentiert und Verbesserungsvorschläge aufgezeigt. Dabei wurden für Deutschland insgesamt 29 Besorgnisse sowie 29 Empfehlungen ausgesprochen (Deutsches Institut für Menschenrechte 2021).

Im Folgenden wird auf die für diese Forschungsarbeit relevanten Aspekte eingegangen. Zu den Artikeln 3 und 4 wurden keine Anmerkungen von dem Ausschuss für die Rechte von MB festgehalten. Es wurde lediglich angemerkt, dass die Datenlage verbessert werden muss, damit eine inklusive Entwicklungspolitik betrieben werden kann. In Bezug auf Artikel 9 merkt der Ausschuss an, dass private Rechtsträger und insbesondere private Medien nicht verbindlich verpflichtet werden, neue Barrieren zu vermeiden und bestehende Barrieren zu beseitigen. Dementsprechend wird empfohlen, Verpflichtungen, Überwachungsmechanismen sowie Sanktionen einzuführen, um die Einhaltung des genannten Artikels zu gewährleisten (ebd.). Zu Artikel 21 sind keine Anmerkungen gemacht worden. Da sich in den Artikeln 24, 29 und 30 lediglich Hinweise auf IKT bzw. das Recht auf barrierefreie Zugänge und folglich auch Digitale Teilhabe finden, sind hier keine expliziten Anmerkungen des Ausschusses in Bezug auf diese Themenstellung festzustellen (Vereinte Nationen – Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2015).

Der erste Staatenbericht zeigt, dass die Lebenssituation von MB im Bereich Digitale Technologien weiterhin durch Benachteiligungen gekennzeichnet ist. Demnach bedürfen einige der Artikel (insbesondere der Artikel 9) einer weiteren Konkretisierung, um eine Umsetzung der darin enthaltenden Forderungen zu ermöglichen. Ein möglichst barrierefreier Zugang zu digitalen Technologien wird dabei noch nicht durchgängig als eine Menschenrechtsfrage angesehen, so wie es die UN-BRK vorschreibt (ebd.). Ellcessor (2016) betont dabei jedoch, dass der Blick auf internationale und nationale Gesetzgebung zu kurzsichtig ist. Auch informelle Formen von Regulierungen, professionelle Standards sowie unternehmensinterne Regeln sind für Digitale Teilhabe von MB von Bedeutung und müssen in den Blick genommen werden (Ellcessor 2016).

Auch die EU knüpft an Erkenntnissen der Digital-Divide-Forschung an, um im Rahmen der Digitalen Agenda 2020 Konzepte für Digitale Teilhabe zu entwickeln. Dabei werden Konzepte beabsichtigt, die die Teilhabe auf allen Ebenen der Informationsgesellschaft durch ihren Zugang zu IKT berücksichtigen, indem jedem Bürger Internetzugang gewährleistet und der Kompetenzausbau der Bürger durch Schulungen im Umgang mit IKT ermöglicht werden soll (Kollmann & Kayser 2011). Konkret lassen sich auf EU-Ebene gesetzliche Bezugnahmen auf Digitale Teilhabe in der EU-Richtlinie 2016/2102 erkennen, in der über den barrierefreien Zugang zu Webseiten und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen mehr digitale Barrierefreiheit angestrebt wird. Die EU-Webseitenrichtlinie wurde von den EU-Mitgliedsstaaten bis zum 23.09.2018 in nationales Recht umgesetzt (Europäisches Parlament 2016). In Deutschland wurde sie auf Bundesebene im BGG umgesetzt. In der im Jahr 2019 neu angepassten Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung [BITV 2.0], sind alle Fristen, Definitionen und Inhalte festgelegt. Die Richtlinie bezieht sich lediglich auf Internetanwendungen öffentlicher Stellen, die dem europäischen Recht der öffentlichen Auftragsvergabe unterliegen. In Deutschland gehören dazu vor allem der Bund, die Länder und die Gemeinden, sowie juristische Personen des öffentlichen und des privaten Rechts, sofern sie im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht-gewerblicher Art erfüllen (wie z. B. Sozialversicherungsträger, Kultureinrichtungen) (BITV 2.0 2011).

Die Richtlinie fordert folgende Maßnahmen ein:

  • § 7 Erklärung zur Barrierefreiheit: Öffentliche Stellen sind verpflichtet, eine Erklärung zur Verfügung zu stellen, aus der hervorgeht, inwiefern die betriebenen Websites sowie die mobilen Anwendungen der EU-Richtlinie entsprechen. Darüber hinaus ist anzugeben, welche nicht barrierefrei nutzbar sind. Dies muss begründet werden. Weiterhin ist anzugeben, ob es gegebenenfalls alternative Zugänge zu den Inhalten gibt. Die Möglichkeit, Mängel der Barrierefreiheit zu melden, ist über ein Feedback-Mechanismus vorgesehen (§ 7 ebd.).

  • § 8 Überwachungsverfahren: Die Erfüllung der Voraussetzungen und Anforderungen wird über die Überwachungsstelle des Behindertengleichstellungsgesetzes erfasst. Zudem kann diese Stelle eine Prüfung der Benutzerfreundlichkeit veranlassen (§ 8 ebd.).

  • § 9 Berichterstattung: Die Mitgliedsstaaten sind verpflichtet, die Umsetzung und Einhaltung der Anforderungen durch die öffentlichen Stellen zu überwachen. Ab Dezember 2021 muss darüber alle drei Jahre öffentlich in einem zugänglichen Format berichtet werden (§ 9 ebd.).

Zudem trat am 28.06.2019 die EU-Richtlinie 2019/882 des Europäischen Parlaments über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, der sogenannte European Accessibility Act, in Kraft. Die Richtlinie ist (bzw. war) bis zum Juni 2022 in nationales Recht umzusetzen und muss ab Juli 2025 angewandt werden. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedsstaaten unter anderem dazu, den Online-Handel sowie Hardware-Systeme einschließlich der dafür bestimmten Betriebssysteme für Nutzende barrierefrei zu gestalten. Dazu gehören Computer, Notebooks, Smartphones oder Tablets sowie Zahlungsterminals (Europäisches Parlament 2019).

Anhand dieser gesetzlichen Rahmungen wird die Relevanz der Umsetzung barrierearmer Zugangs- und Anwendungsmöglichkeiten für eine angemessene Teilhabe von MB deutlich. Die Umsetzung der gesetzlich benannten und somit vorgeschriebenen digitalen Teilhabemöglichkeiten erweist sich in der Praxis als unzureichend (Kempf 2013).

Neben einer Konkretisierung der gesetzlichen Rahmungen bezüglich Digitaler Teilhabe wird auch dem kompetenten Umgang mit digitalen Technologien eine Relevanz für gelingende gesellschaftliche Teilhabe zugeschrieben. Ein kompetenter Umgang trägt dazu bei, Selbstwirksamkeit zu erfahren, Identitätskonstruktion auf- und auszubauen sowie die Freizeit zu gestalten (Müller & Fleischer 2013). Dabei stehen MB im Umgang mit digitalen Technologien vor ähnlichen Herausforderungen wie Menschen ohne Beeinträchtigung. Um eine möglichst souveräne und eigenständige Nutzung digitaler Technologien durch MB zu fördern, müssen Ansätze zum Umgang mit digitalen Technologien und Methoden zur Anleitung identifiziert und umgesetzt werden (JFF 2020).

5.3 Zielgruppenadäquate Vermittlung digitaler Kompetenzen

Mit der Verbreitung von digitalen Technologien stehen diese zunehmend als Voraussetzung für soziale Teilhabe und Partizipation im Fokus (Pelka & Kaletka 2010; Buckingham 2013; Jenkins & Purushotma 2015; Zorn, Schluchter & Bosse 2019). In sozialen und pädagogischen Kontexten führt die Neueinführung von Technologien oftmals zu Skepsis und einer kulturkritischen Abwehr. Dabei gilt es zu reflektieren, welche Begründungen bzw. Wirkungsannahmen von gesellschaftlicher und fachlicher Seite angeführt werden. Ebenso ist die Reflexion der eigenen Einstellung zu Medien durch das soziale Umfeld, in diesem Fall vor allem durch die Mitarbeitenden, von Relevanz. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Bereich der Sozialen Arbeit zunehmend erkannt wird, dass durch die Mediatisierung und Digitalisierung in allen Lebensbereichen, Konzepte in der professionellen Betreuung und Begleitung von Klienten überarbeitet werden müssen (Siller, Tillmann & Zorn 2020).

Im Bereich der konzeptionellen Kompetenzvermittlung für MgB gibt es bislang nur wenige empirisch belegte Ansätze (Bosse, Zaynel & Lampert 2018). Ein Grund dafür ist ein Mangel an geeigneten Konzepten und Methoden (Schaumburg 2010). Nach Bosse (2013a) ist für die Vermittlung von digitaler Kompetenz bei MgB Folgendes von hoher Bedeutung:

  • Berücksichtigung von individuellen Lernverhalten und Lernbedürfnissen,

  • Bezug zum Alltag und Faktoren der Freiwilligkeit, Selbst- und Mitbestimmung,

  • Zielgruppenorientierung,

  • Einbezug des Umfeldes und

  • Regelmäßigkeit (ebd.).

MgB benötigen oftmals Impulse von Bezugspersonen (Zu- und Angehörige, Betreuende, Bezugsmitarbeitende), da sie häufig über wenig Wissen in Bezug auf digitale Technologien verfügen. Oft sind die Bezugspersonen in ihrer eigenen digitalen Kompetenz verunsichert und fühlen sich nicht in der Lage, MgB bei der Aneignung von digitaler Kompetenz zu unterstützen (Mihajlovic 2012; Zaynel 2016). Hinzu kommt, dass Fachkräfte ihren Klienten die Nutzung digitaler Technologien häufig gar nicht erst zutrauen. Entsprechend nehmen Bezugspersonen in der Realisierung der Digitalen Teilhabe von MgB eine Schlüsselrolle ein (Eggert 2006; Heitplatz 2021a).

Damit ist auch für Fachkräfte der Eingliederungshilfe ein spezifisches Wissen über digitale Technologien erforderlich, um gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation von MgB zu fördern sowie Ungleichheiten zu verhindern und abzubauen. Daher wird von Medienpädagogen ein Konzept der medienpädagogischen Kompetenzvermittlung für die Lehr- und Fachkräfte vorgeschlagen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich „im Zuge der Mediatisierung sowohl die Lebensbereiche der Menschen, die Kommunikationsprozesse pädagogischer Handlungssysteme als auch Organisationsformen gewandelt haben“ (s. Siller, Tillmann & Zorn 2020, S. 325).

Digitale Kompetenzen sind entscheidend, um Teilhabe zu ermöglichen und zur Bewältigung von Alltagssituationen in sich weiter digitalisierenden Lebensbereichen. Der Erwerb von Medienkompetenz ist dabei von materiellen, sozialen und kulturellen Ressourcen abhängig und erfolgt folglich „im Kontext bestehender Macht- und Ungleichheitsverhältnisse, entlang der Kategorien Geschlecht, Behinderung, formale Bildung, sexuelle Orientierung etc. statt“ (s. ebd., S. 320). Neben diesen Kategorien gibt es zudem Unterschiede zwischen MB in stationären Einrichtungen und MB in ambulant betreuten Wohnformen. So nutzen in ambulanten Wohnformen doppelt so viele Personen einen Computer und dreimal so viele Menschen ein Handy wie in stationären Einrichtungen (Wilke 2015; Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Dabei findet sowohl die Aneignung digitaler Kompetenzen als auch die Nutzung digitaler Technologien vornehmlich im außerschulischen Kontext statt. Mobile Anwendungen sind dabei besonders präsent, indem sie zur Alltagsorganisation, Informationsbeschaffung, Kommunikation und Unterhaltung genutzt werden (Wagner, Eggert & Schubert 2016). Dies gilt laut Amor et al. (2020) auch für MgB (ebd.).

Nach Dudenhöffer und Meyen (2012) ist Digitale Teilhabe erst dann vorhanden, wenn Kompetenzen im Umgang mit digitalenTechnologien verfügbar sind. Dementsprechend reicht eine Bereitstellung eines Internetzugangs durch Hard- und Software nicht aus (ebd.). In der Medienpädagogik wird das Erlangen dieser Kompetenzen als Entwicklungsaufgabe angesehen, bei dem Sozialisationsprozesse von Bedeutung sind (Süss 2007). Digitale Kompetenzen werden demnach durch „die Erziehenden, die Gleichaltrigen, die Individuen selbst und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, welche Spielräume eröffnen und Einschränkungen machen für den Umgang mit den Medien und ihren Inhalten“ (s. Süss, Lampert & Trueltzsch-Wijnen 2013, S. 33), geprägt und ausgebildet.

Das Nutzungsverhalten steht entsprechend in einem engen Zusammenhang mit den ausgebildeten digitalen Kompetenzen, wobei der Erhalt von digitalen und medienbezogenen Kompetenzen maßgeblich von den zielgruppenorientierten Vermittlungsansätzen abhängig ist (Bosse, Zaynel & Lampert 2018; Amor et al. 2020). Einige wenige innovative Medienbildungsprojekte werden wissenschaftlich begleitet (Bosse, Zaynel & Lampert 2018). Beispiele sind: PIKSL LaboreFootnote 1; NIMM – Netzwerk Inklusion mit Medien!Footnote 2; Barrierefrei kommunizieren!Footnote 3; PADIGI – Partizipative Medienbildung für Menschen mit geistiger BehinderungFootnote 4 sowie #ROOKIE – sei digitalFootnote 5. Zu solchen innovativen Medienbildungsprojekten gehören ebenso kreative und partizipative Orte (wie beispielsweise MakerSpaces), die sich explizit der Digitalen Teilhabe verschreiben. Diese Initiativen und Projekte haben sich zum Ziel gemacht, mehr Teilhabe durch digitale Technologien zu ermöglichen und die Transformation zu einer digitalen Gesellschaft inklusiv mitzugestalten (ebd.). Dabei steht die Auseinandersetzung mit digitalen Lösungen für mehr Barrierefreiheit und Usability von digitalen Technologien im Fokus. Auch wird der strukturelle Mangel an Einbindung der Zielgruppe adressiert und Lösungen überlegt, um Nutzende von digitalen Technologien in den Entwicklungsprozess einzubinden (Haage & Bühler 2019).

Insgesamt lässt sich feststellen, dass es bisher nur wenige, temporär begrenzte bzw. spezifische Fort- und Weiterbildungsangebote zum Thema digitale Kompetenzen für MgB und für Mitarbeitende zur Vermittlung von digitalen Kompetenzen an MgB existieren. Zudem wird bisher nur ein geringer Teil der Angebote aus den genannten Projekten wissenschaftlich qualitativ sowie quantitativ evaluiert.