„In einer digital vernetzten Welt bleibt kein Lebensbereich unberührt“ (Bosse & Haage 2020, S. 529), denn tiefgreifende Veränderungen und Entwicklungen im Zuge der Digitalisierung und Mediatisierung manifestieren sich in allen Lebensbereichen (Wunder 2021). Dadurch entstehen für die Gesellschaft fortwährend Potenziale und Herausforderungen im Umgang mit dem digitalen Wandel, die vor allem während der SARS-CoV-2-Pandemie [severe acute respiratory syndrome coronavirus 2-Pandemie] präsent wurden. Vor allem, um soziale Begegnungen aufrechtzuerhalten, wurden und werden Aktivitäten in diesen Bereichen teilweise oder vollständig in den digitalen Bereich verlagert oder neue digitale Aktivitäten wurden und werden geschaffen (Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Wunder 2021).

Um zunächst ein Verständnis von Digitalisierung und Mediatisierung sowie ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu erlangen, wird nach einer Begriffseinführung das gesellschaftliche Lagebild im digitalen Wandel aufgezeigt, um daran anknüpfend theoretische Zusammenhänge zwischen digitaler, sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit zu beleuchten. Abschließend werden theoretische Ansätze zur Bildung digitaler (Medien-)Kompetenzen als Schlüsselkompetenz aufgezeigt.

4.1 Digitalisierung und Mediatisierung

Der Begriff Digitalisierung kann im wissenschaftlichen Diskurs aus einer eng- sowie weitgefassten Perspektive betrachtet und verwendet werden (Onnen 2021; Seelmeyer & Kutscher 2021). So kann der Begriff Digitalisierung aus einer technisch-orientierten Perspektive bzw. auf einer Datenebene oder aus einer gesamtgesellschaftlich-orientierten Perspektive bzw. sozialen Ebene betrachtet werden (s. ebd., S. 26). Für ein umfassendes Begriffsverständnis werden nachfolgend beide Perspektiven eingenommen.

4.1.1 Technische Perspektive

Als Digitalisierung wird aus ursprünglich informationstechnischer Perspektive der Umwandlungsprozess von analogen Informationen in digitale Formate und dessen Speicherung mithilfe digitaler Technologien bezeichnet (Luber 2019). Durch diese digitalen Umwandlungsprozesse sind neue Vernetzungs- und Interaktionsmöglichkeiten in der Gesellschaft und Wirtschaft entstanden. Dieser Wandel wird in Abschnitt 4.1.3 (s. S. 51) näher erläutert. Unter Technologie versteht man „das Wissen um bestimmte Wirkungszusammenhänge und damit über eine bestimmte Technik und deren Verwendung und Umsetzung“ (Dosi 1982; zitiert nach Meyer 2016, S. 8 f.). Dabei sind digitale von analogen (traditionellen) Technologien abzugrenzen. So weisen digitale Technologien eine höhere Komplexität auf und sind stärker von wissenschaftlichen Erkenntnissen abhängig (Freeman & Soete 1997). Als digitale Technologien lassen sich demnach (Computer-)Hardware, Software sowie Vernetzung bezeichnen, die sich durch ihre Flexibilität und hohe Verfügbarkeit von traditionellen Technologien abgrenzen. Im Zuge der Digitalisierung entstehen weitere bzw. sind bereits vielfältige digitale Technologien und Anwendungsmöglichkeiten entstanden (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz [BMWK] 2021). Digitale Medien (synonym zu neuen Medien), wie beispielsweise kommunikationsbasierte Medien (Internet, Lernplattformen) oder elektrobasierte Medien (Smartphones, Computer) unterscheiden sich von analogen Medien (synonym zu traditionellen Medien), wie beispielsweise Fernseher oder Zeitschriften (Schelhowe 1997; Manovich 2002). Weiter zeigt der informatische und medienwissenschaftliche Diskurs eine Unterscheidung von Medien der ersten Ordnung und Medien der zweiten Ordnung. Als Medien der ersten Ordnung werden technische Plattformen zur Informationsverbreitung (wie z. B. das Internet) bezeichnet (Kubicek 1997; Donges & Jarren 2022). Im Gegensatz dazu beziehen sich Medien der zweiten Ordnung laut Kubicek (1997) auf „soziokulturelle Institutionen zur Produktion von Verständigung bei der Verbreitung von Information mit Hilfe von Medien erster Ordnung“ (s. ebd., S. 220). Diese setzen somit auf Medien der ersten Ordnung auf. Ein Beispiel hierfür ist die Ausgabe einer Online-Zeitschrift, die über das Internet verfügbar ist. Weiter können Medien auch nach Anzahl der Akteure unterschieden werden. So richten sich öffentliche oder publizistische Medien (wie beispielsweise Online-Foren) an einen größeren Adressatenkreis, wohingegen private Medien (wie beispielsweise ein digitales Tagebuch) auf einen kleineren Adressatenkreis oder ausschließlich auf den Sender selbst abzielen (ebd.).

Die Veränderungen, die durch die Nutzung digitaler Medien in Lebensbereichen entstehen, stellen auch die Medienpädagogik vor neue Herausforderungen. Ein wesentlicher Unterschied zwischen digitalen und traditionellen Medien besteht darin, dass letztere als Technologie auf dem Computer und damit auf Software basieren (Schelhowe 2008). Dies bedeutet, dass Medieninhalte durch Rechenprozesse erstellt und verändert werden, was zu veränderten Produktionsprozessen und Wirkweisen der Inhalte und Medien führt. Aus diesem Grund stellt sich aus einer pädagogischen Perspektive die Frage nach der Art der Kompetenzen, die die Nutzung digitaler Medien erfordert sowie nach den Bildungspotenzialen und Herausforderungen, die sie mit sich bringen (Zorn 2011).

Eine medienpädagogische Perspektive rückt auch in den Fokus, wenn es um die Digitalisierungsprozesse in der Sozialen Arbeit geht. Dabei werden Medien weniger als Geräte oder Träger von Informationen verstanden, sondern vielmehr als Mittel und Ermöglichung sozialen Handelns. Daher ist die Medienpädagogik neben der Entwicklung von Handlungskonzepten für den Umgang mit Medien auch für die Soziale Arbeit relevant, da sie dazu beiträgt, ein Verständnis für soziales Handeln in medial geprägten Lebensbereichen zu entwickeln und zu erweitern. In vielen Bereichen des Lebens haben moderne IKT Einzug gehalten, einschließlich Freizeit, Wohnumfeld, sozialen Beziehungen und Beruf (Siller, Tillmann & Zorn 2020).

Im Rahmen dieser Forschungsarbeit wird der Begriff digitale Technologien verwendet, da dieser den Begriff digitale Medien einschließt und ebenso den Vernetzungsaspekt stärker herausstellt (Merkt & Schulmeister 2004; Ferrari 2012; Opiela & Weber 2016).

4.1.2 Gesellschaftliche Perspektive

Im weiteren Sinne kann Digitalisierung auch die Veränderung von sozialen und gesellschaftlichen Prozessen meinen (Stalder 2021b). Kontinuierlich laufende Digitalisierungsprozesse in verschiedenen Lebensbereichen führen nicht nur zu Nutzungsmöglichkeiten digitaler Technologien, sondern beeinflussen auch das soziale und gesellschaftliche Miteinander, indem „Handlungsabläufe, aber auch neue Wahrnehmungsformen und neue Denkstrukturen“ (s. ebd., S. 4) entwickelt werden. So bewirkt die Digitalisierung einen gesellschaftlichen Wandel, der mit dem Einzug der IKT tiefgreifende Veränderungen von alltäglichen Lebensbereichen bedeutet (Pelka & Kaletka 2010; Stalder 2021b).

Dadurch nimmt die Digitalisierung Einfluss auf die Gesellschaft und führt zu einem Wandel in allen Bereichen des täglichen Lebenssoziale Miteinander in ihren Lebensbereichen. Sie beschreibt den aktuellen gesellschaftlichen Wandel, der durch die zunehmende Nutzung moderner digitaler Technologien in allen Lebensbereichen geprägt ist. Diese Veränderungen umfassen sowohl technologische als auch soziale und kulturelle Aspekte und betreffen sowohl Individuen als auch Institutionen und Gesellschaft im Allgemeinen (Unger 2021). Eine umfassende Konzeption von Digitalisierung als soziokulturelles Phänomen wird seit den 2000er Jahren unter dem Begriff der Digitalität diskutiert (Stalder 2021a). Dabei stehen nicht die entwickelten und angewendeten digitalen Technologien im Fokus, sondern vielmehr die Bedeutung, die die Digitalisierung für die Menschen in ihrer individuellen Lebenswelt hat (Nöller 2022). Diese Bedeutung entfaltet sich, „wenn der Prozess der Digitalisierung eine gewisse Tiefe und eine gewisse Breite erreicht hat und damit ein neuer Möglichkeitsraum entsteht, der geprägt ist durch digitale Medien“ (s. Stalder 2021b, S. 4). Im Zuge der Erforschung von Digitalität werden demnach Herausforderungen durch die gesellschaftlichen Veränderungen beleuchtet. Dabei wird zunehmend der Begriff soziale Innovation diskutiert. Soziale Innovation meint hier die Entwicklung von „neuen sozialen Praktik[en]“ (s. Reckwitz 2003, S. 295), die durch den Ausgleich von Nachteilen oder die Befähigung von Personen als Lösung von gesellschaftlichen Herausforderungen einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen. Soziale Innovationen verschaffen benachteiligten Menschen somit die Teilhabemöglichkeiten, die auch durch die Digitalisierung neue Zugänge zu digitalen Technologien schaffen (Pelka 2020; BMBF 2021b). Um soziale Innovationen zu fördern, ist eine Ausgleichs- und Befähigungspolitik gefragt. Dabei stellen Inklusion, Gleichstellung, Gendergerechtigkeit und Diversität sowie Partizipation wichtige Aspekte dar, um soziale Innovationen im Zuge der Digitalisierung erfolgreich und chancengleich umzusetzen (ebd.).

Begrifflichkeiten wie Digitalisierung sowie Mediatisierung unterscheiden sich in ihrer Bedeutung und erlauben unterschiedliche analytische Perspektiven (Seelmeyer & Kutscher 2021), deren Auswirkungen auf die Soziale Arbeit nicht pauschal beurteilt werden können, sondern jeweils nur im Hinblick auf spezifische Gegenstände und Fragestellungen. Vor allem in Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie haben sich die tiefgreifenden Auswirkungen der Digitalisierung auf die verschiedenen Lebensbereiche deutlich gezeigt (u. a. Wunder 2021; Seelmeyer & Kutscher 2021).

Mit der digitalen Transformation verändern sich auch Informations- und Kommunikationsprozesse und folglich sozio-kulturelle Interaktionen in der Gesellschaft. Um diese Veränderungsprozesse zu konzeptualisieren, wird der Begriff Mediatisierung verwendet (Krotz 2007; Kutscher, Ley & Seelmeyer 2015). Unter Mediatisierung wird hierbei ein Metaprozess verstanden, der „weder räumlich noch zeitlich noch in seinen sozialen und kulturellen Folgen begrenzt ist, [sodass] die Konsequenzen dieser Entwicklung nicht als getrennt zu untersuchende Folge verstanden werden können, sondern einen konstitutiven Teil von Mediatisierung ausmachen“ (s. Krotz 2007, S. 12).

Der Digitalisierung inbegriffen ist demnach die Mediatisierung in sozialen Lebensbereichen als ein prozessorientiertes Konzept, in dem sowohl der Wandel von Medien und Kommunikation als auch von Kultur und Gesellschaft fokussiert wird (ebd.; Krotz & Hepp 2012). Dabei werden nicht, wie in klassischen medienpädagogischen Ansätzen üblich, die Auswirkungen der Medien auf die Nutzenden identifiziert (ebd.). Vielmehr werden die Nutzungsintentionen und -motive sowie das Nutzungsverhalten bzgl. der digitalen Medien aufgegriffen (Flecker et al. 2016). Inwiefern die einzelnen Bevölkerungsgruppen in ihren Lebensbereichen der Digitalisierung und Mediatisierung unterliegen, wird in Abschnitt 4.2 (s. S. 54) aufgezeigt.

Die Digitalisierung und Mediatisierung nimmt demnach Einfluss auf die neun Lebensbereiche aus dem ICF-Modell der WHO (2005) (s. Abschnitt 3.1, S. 27). Auch nehmen Digitalisierung und Mediatisierung eine entscheidende Rolle ein, wenn es darum geht, mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten für die Beteiligten zu schaffen. Eine grundlegende Voraussetzung dafür ist die Anteilnahme und Beteiligung an digitalen Technologien (Flecker et al. 2016). Entsprechend werden mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten in diesen Bereichen erst dann möglich, wenn umwelt- und personenbezogene Voraussetzungen (wie beispielsweise technische Infrastruktur und digitale Kompetenzen) gegeben sind, um teilzunehmen und somit auch teilzuhaben.

4.1.3 Erklärungsansätze des gesellschaftlichen Wandels

Um die gesellschaftlichen Veränderungen durch den Einsatz digitaler Technologien nachvollziehen zu können, werden die vergangenen gesellschaftlichen Entwicklungen infolge der Technologieentwicklungen betrachtet. Dabei erhalten die Begriffe Informations- und Wissensgesellschaft eine bedeutende Rolle. Das Konzept der Informationsgesellschaft stützt sich auf unterschiedliche Begriffsdefinitionen (Castells 1996; van Dijk 2005; Webster 2006; Bornman 2016). Im Kontext der Technologieentwicklungen in den späten 1970er Jahren wird die Informationsgesellschaft als neues Zeitalter betrachtet, die durch Indikatoren wie Kabel- und Satellitenfernsehen sowie Computer und Online-Informationen durch das Internet sichtbar wird und ihren Ursprung in den technologischen Innovationen findet (Webster 2006).

Daran anknüpfend definiert Bornman (2016) eine Informationsgesellschaft als eine Gesellschaft, die durch den zunehmenden Einsatz von IKT zur Informationsgewinnung und -verbreitung in wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Lebensbereichen verändert wird (ebd.). Dabei erweitert diese Definition die oben angeführte Definition nach Webster (2006) mit Fokus auf die technologische Perspektive um den Fokus auf die gesellschaftliche Bedeutung von Informationen. Unter IKT sind hier internetfähige Technologien zu verstehen, die den Zugang zu Informationen ermöglichen (Zilien 2009).

Eine weitere Perspektive auf die Informationsgesellschaft als moderne Gesellschaft nimmt van Dijk (2005) ein. Dabei stellt er Kausalzusammenhänge zwischen Informations- und Wissensprozessen sowie der Entwicklung der Informationsgesellschaft heraus. Entlang dieser Zusammenhänge kann die Entwicklung der Informationsgesellschaft als Gesellschaft betrachtet werden, in der Informationen durch digitale Technologien orts- und zeitunabhängiger und somit einfacher zugänglich sowie teilbar werden (ebd.).

Neben dem Begriff der Informationsgesellschaft wird auch der Begriff Wissensgesellschaft diskutiert. Kübler (2009) erweitert die Idee der Informationsgesellschaft durch den Begriff der Wissensgesellschaft. Während unter Informationen sachliche Fakten verstanden werden, wird Wissen eher als Prozess der Interpretation und Bewertung dieser Fakten betrachtet (ebd.). Das Konzept der Informationsgesellschaft bezieht sich hauptsächlich auf den technischen Aspekt der Informationsübermittlung und orientiert sich an der technologischen Perspektive nach Webster (2006). Im Gegensatz dazu bezieht sich das Konzept der Wissensgesellschaft auf die menschlichen Fähigkeiten zum Wissenserwerb, zur Vermittlung und Produktion von Informationen. Ein zentraler Aspekt der Wissensgesellschaft ist die Durchdringung fast aller Lebensbereiche durch wissenschaftliche Erkenntnisse. Beide Begriffe stehen also für unterschiedliche Perspektiven, Informationsgesellschaft meint die Verfügbarkeit und Übertragung von Informationen, während Wissensgesellschaft die Verarbeitung dieser Informationen zu Wissen beschreibt. In dieser Arbeit wird hauptsächlich der Begriff Informationsgesellschaft verwendet, da es vorrangig um die IKT geht und nicht um die Verarbeitung von Informationen zu Wissen (Zilien 2009).

Die konkrete Entwicklung der Informationsgesellschaft geht einher mit der Verbreitung digitaler und internetfähiger Technologien ab den 1960er Jahren (Webster 2006). Das Internet wird als computerbasierte Technologie verstanden, die sowohl für die öffentliche als auch für die private Nutzung interaktive Möglichkeiten bietet. Durch das Prinzip der weltweiten Vernetzung ist das Internet als individuelles Kommunikationsmittel zeit- und ortsunabhängig nutzbar und ermöglicht die Verbreitung von Daten und Informationen schneller und einfacher als jemals zuvor (Zilien 2009). Entsprechend werden dem Einzug von digitalen Technologien in die gesellschaftlichen Lebensbereiche tiefgreifende Veränderungen zugeschrieben, die mit früheren gesellschaftlichen Strukturwandeln durch technische Entwicklungen (beispielsweise Eisenbahnen oder Autos) vergleichbar sind. Diese Theorie wird durch die Kondratieff-Zyklen (Schink 2004) oder auch Kondratieff-Wellen (Pawlowsky 2019), die den Verlauf technischer Entwicklungen abbilden, unterstützt. Die Theorie der zyklischen Wirtschaftsentwicklung beschreibt die Entstehung neuer Technologien als wellenartiges Phänomen. Der Aufschwung neuer Technologien erwirkt dabei fundamentale Veränderungen in der Gesellschaft. In der anschließenden Implementierungsphase hat sich die neue Technologie allgemein in der Gesellschaft durchgesetzt und die Aufschwungswelle flacht wieder ab (Schink 2004). Die Entwicklung von IKT kann innerhalb der Theorie der Kondratieff-Zyklen von Nikolai Kondratjew in den vierten und fünften Zyklus eingeordnet werden. Die Entstehung von IKT begann im vierten Zyklus und stellt im fünften Zyklus eine bedeutende technologische Innovation dar. Mit der zunehmenden Verbreitung von IKT werden diese zu festen Bestandteilen in nahezu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen, sodass sich der Faktor Informationsgewinn sowohl in der Wirtschaft als auch in der Gesellschaft als elementar erweist (ebd.).

Schütz (1974) argumentiert, dass diese Lebensbereiche als intersubjektive Kulturwelten verstanden werden, in denen alle Tatsachen interpretiert werden können und Sinnzusammenhänge und Deutungsmuster aufgezeigt werden. Dies ermöglicht es den Menschen, Erfahrungen in ihrer Alltagswelt zu machen und zu handeln. Auch bei der Interaktion mit digitalen Technologien entstehen neue Sinnzusammenhänge und Deutungsmuster, die es den Menschen ermöglichen, selbstständig und selbstbestimmt zu agieren.

Durch die Dynamik des digitalen Wandels, wird der Alltag zunehmend von digitalen Elementen durchdrungen und die Zyklen verkürzen sich. Dadurch kommt es zu vermehrter Handlungsunsicherheit, jedoch entstehen auch Möglichkeiten für eine Neupositionierung (Kutscher, Ley & Seelmeyer 2015).

In wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussionen wird nach Begründungen für diese Handlungsunsicherheiten gesucht, wobei insbesondere der Unterschied im Medienverhalten zwischen jüngeren Personen (Digital Natives) und älteren Personen (Digital Immigrants) angeführt wird (Prensky 2001).

4.2 Gesellschaftliches Lagebild

Bereits seit Jahrzehnten setzen sich unterschiedliche Studien mit der Digitalisierung und Mediatisierung der Bevölkerung auseinander, wobei sie sich mit unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen befassen. Kinder und/oder junge Heranwachsende werden beispielsweise in der KIM-StudieFootnote 1, JIM-StudieFootnote 2 und im Medienkonvergenz MonitoringFootnote 3 fokussiert. Andere repräsentative Studien, wie die Gesellschaftsstudie D21-Digital-IndexFootnote 4, die ARD/ZDF Online-StudieFootnote 5 und die Media Perspektiven BasisdatenFootnote 6 befassen sich bevölkerungsgruppenübergreifend mit der Digitalisierung und Mediatisierung.

Einen grundlegenden Bezugspunkt stellt die repräsentative Gesellschaftsstudie D21-Digital-Index zum jährlichen Lagebild des Digitalisierungsgrades der Gesellschaft in Deutschland dar. Die D21-Studie umfasst Daten zu unterschiedlichen Aspekten der Digitalisierung, darunter Digitalkompetenzen, digitale Arbeit, Gerätenutzung, Internetzugang, Vielfalt der Nutzung und die Einstellungen der Bevölkerung zu digitalen Themen. Der Digital-Index, der den Digitalisierungsgrad der Gesellschaft auf einer Skala von 0 bis 100 Punkten bestimmt, bildet die Basis der Studie. Die Stabilität und Aktualität der systeminhärenten Variablen werden im Zeitverlauf überprüft. Der Index besteht aus verschiedenen Subindizes, die in den Gesamtindex einfließen, wie beispielsweise den Subindex Digitaler Zugang, der den Zugang zum Internet und dem jeweiligen Endgerät sowie die Hardwareausstattung der Bevölkerung in Deutschland widerspiegelt und den Subindex Digitale Kompetenz, der das inhaltliche Wissen, die technische Kompetenzen und die Medienkompetenzen der Bevölkerung erfasst (Initiative D21 e. V. 2013). Der Studienfragebogen wird jährlich an aktuelle Entwicklungen des digitalen Wandels sowie neue Anforderungen für die Gesellschaft angepasst.

In der aktuellen D21-Studie (2020/2021) wurden computergestützte persönlich-mündliche Interviews mit Teilnehmenden aus mehrfach geschichteten, bevölkerungsrepräsentativen Zufallsstichproben durchgeführt. Schichtungskriterien stellten dabei Bundesländer, Regierungsbezirke und Gemeindetypen dar. Eine anschließende Gewichtung wurde für die Determinanten Antreffbarkeit, Bundesländer, Gemeindetypen, Geschlecht, Alter und Berufstätigkeit durchgeführt. Die Befragung umfasst eine Strukturbefragung zur Ermittlung der Internetnutzung (16.158 Interviews in Deutschland) und eine Vertiefungsbefragung zur Ermittlung des Digital-Index und der Typologie Digitale Gesellschaft (2.038 Interviews in Deutschland) (Initiative D21 e. V. 2022).

Die wesentlichen Ergebnisse der Studie werden in Abb. 4.1 (s. S. 56) visualisiert. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Großteil der deutschen Bevölkerung nahezu vollständig online ist. Dies trifft vor allem auf die Generationen unter 50 Jahren zu. Die Internetnutzung steigt am stärksten bei den Gruppen mit der bisher geringsten Nutzung. Dennoch bleiben auch im Jahr 2020/2021 große Unterschiede zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen bestehen. Weiterhin vergleichsweise gering bleibt die Internetnutzung der älteren Generationen, Frauen, Personen mit niedriger Bildung und ohne berufliche Tätigkeit. Zudem konnte erneut gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit der Internetnutzung mit zunehmender Urbanität der Wohnumgebung oder der Anzahl der Personen im Haushalt steigt. Weiterhin bestehen große Unterschiede zwischen der generellen Internetnutzung und einer mobilen Nutzung. Besonders Personen ab 50 Jahren, Nichtberufstätige, Frauen und Menschen mit geringer formaler Bildung verzeichnen eine signifikante Zunahme der (mobilen) Internetnutzung. Jedoch besteht bei diesen Gruppen weiterhin großes Wachstumspotenzial (ebd.).

Die Gründe für die Nicht-Nutzung des Internets unterteilen sich in drei Kategorien: Kein Interesse, inhaltliche Hürden und technische/monetäre Hürden. Drei Viertel der Offliner gaben an, dass sie grundsätzlich kein Interesse am Internet haben. Deutlich seltener stehen der Nutzung inhaltliche Hürden entgegen. Monetäre oder technische Gründe wurden nur von einem sehr geringen Teil der Offliner als Barrieren benannt (9 %). Für eine künftige Nutzung wünschten sich 23 % der Offliner eine Begleitung und Anleitung für die Nutzung des Internets (ebd.).

Die Mehrheit der Befragten nutzen Instant-Messaging-Dienste (76 %). Interneteinkäufe nutzen 78 % der Befragten. Office-Programme werden von ca. zwei Drittel (63 %) der Befragten genutzt, mehr als die Hälfte (64 %) bezahlt online und ebenfalls mehr als die Hälfte (65 %) ordert Dienstleistungen im Netz. Knapp die Hälfte der Bevölkerung (56 %) nutzt On-Demand oder Streaming-Dienste. Erfahrungen mit Videokonferenzen haben insgesamt 43 %, mit digitalen Lernangeboten 47 %. Digitale Behördengänge (38 %), Gesundheits- oder Fitnessanwendungen (33 %) sowie Sprachassistenten (33 %) nutzen 2020/2021 je knapp ein Drittel (ebd.).

Abb. 4.1
figure 1

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Initiative D21 e. V. [2022], S. 13 f.)

Ergebnisdarstellung der (mobilen) Internetnutzung nach dem D21-Digital-Index 2021/2022.

Unterschiede im Nutzungsverhalten sowie in der -häufigkeit bei allen genutzten Diensten zeigen sich in Abhängigkeit vom Alter sowie von der Bildung. Die Generation zwischen 14 und 29 Jahren ist bei allen Anwendungen aktiver als der Durchschnitt. Die Generation der über 65-Jährigen hingegen ist bei allen Anwendungen unterdurchschnittlich aktiv. Weiterhin lässt sich bei Personen mit einer niedrigen Bildung bei allen genannten Aspekten eine geringere Nutzung sowie Nutzungshäufigkeit erkennen (ebd.).

Die digitale Kompetenz setzte sich im D21-Index aus dem Wissen zu digitalen Themen wie z. B. zu Begriffen wie Cloud, Algorithmus etc. und der Expertise zu digitalen Themen (technische, digitale und Smartphone-Kompetenz) zusammen. Der Subindex ist im Vergleich zum Vorjahr um drei Indexpunkte gestiegen und liegt nun bei 52 von 100 Punkten. 76 % der Teilnehmenden erwerben Wissen und Fähigkeiten im Bereich der Digitalisierung durch informelles Lernen. Unverändert stellt das Learning by Doing die häufigste Form der Wissensaneignung dar: 58 % der Befragten gab diese Form der Wissensaneignung an. Etwas mehr als ein Drittel (39 %) der Befragten baut zusätzliches Wissen über Freunde oder Familie auf. Die informelle Hilfe durch andere ist in der Altersgruppe zwischen 50 und 64 Jahren und bei Frauen nach wie vor überdurchschnittlich wichtig. Der Wissenstransfer unter Kollegen macht etwa ein Viertel (26 %) aus. Rund 31 % der Befragten nutzen Foren oder andere Hilfeseiten im Internet. Auf diese Art bildet sich jeder Zweite der unter 30-Jährigen fort. Im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bauen 19 % der Befragten ihre Digitalkompetenz selbstständig aus. Eine formale Weiterbildung zum Thema Digitalisierung beanspruchten 22 % der Befragten in Form von kostenlosen bzw. (selbst oder vom Arbeitgeber) finanzierten Weiterbildungsangeboten (Initiative D21 e. V. 2018).

Das Thema Digitale Teilhabe wird erstmals im D21-Digital-Index 2021/2022 benannt:

„Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, ist eine politische und gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die mit zunehmender Technologieabhängigkeit in Alltag und Beruf immer umfassender wird und auch über den gesellschaftlichen Zusammenhalt mitentscheidet“ (s. Initiative D21 e.V. 2022, S. 10).

Die Studie stellt fest, dass lediglich 59 % der Befragten der Meinung sind, persönlich von der Digitalisierung zu profitieren. Dabei haben sowohl Menschen im hohen Alter als auch Menschen mit niedriger formaler Bildung besonders häufig das Gefühl, nicht zu den Profiteuren zu gehören. „Hier zeigt sich das Innovativeness-Needs-Paradox, welches besagt, dass vor allem Gruppen, die besonders stark von Innovationen profitieren könnten, diese seltener nutzen“ (s. ebd., S. 10). Die Zielgruppe der MB wird im D21-Digital-Index nicht benannt.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse der D21-Studie eine zunehmende Durchdringung der Gesellschaft mit digitalen Technologien, die mittlerweile auch stärker von Menschen im höheren Lebensalter genutzt werden. Jedoch wird ebenso deutlich, dass ein Teil der Bevölkerung von einer Exklusion dieser gesellschaftlichen Entwicklung gefährdet ist (ebd.), was zu der viel diskutierten Digital Divide (digitalen Spaltung) der Gesellschaft als neue Form der sozialen Ungleichheit führen könnte. Denn trotz der weitreichenden Medienpräsenz in allen gesellschaftlichen Bereichen, können bislang nicht alle Bevölkerungsgruppen an gesellschaftlichen Prozessen gleichermaßen partizipieren (Rudolph 2019; Unger 2021).

4.3 Digitale Ungleichheit

Die Auswirkungen der Digitalisierung können ungleiche Verteilungen von Chancen und Risiken mit sich bringen, vor allem zwischen Bevölkerungsgruppen, die in der Lage sind, den Digitalisierungsprozess für ihre individuelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu nutzen und jenen, die in der Partizipation am Digitalisierungsprozess eingeschränkt sind (Pelka 2018). Die digitale Exklusion von bestimmten Bevölkerungsgruppen, die im vorherigen Kapitel beschrieben wurde, führt zu einer sogenannten Digital Divide (digitalen Spaltung oder Kluft) in der Gesellschaft. Die Digital Divide erfasst Situationen, in denen bestimmte Teile der Gesellschaft aufgrund fehlender oder begrenzter Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Technologien von gesellschaftlichen Prozessen ausgeschlossen werden (Zilien & Haufs-Brusberg 2014; Kersting et al. 2020).

Digitale exkludierte Bevölkerungsgruppen verfügen nicht über die erforderlichen Voraussetzungen für die Teilhabe an Lebensbereichen, die durch digitale Technologien ermöglicht werden (Initiative D21 e. V. 2018). So wird zum einen der Zugang zu Hard- und Software sowie zum Internet benötigt, zum anderen eine benutzerfreundliche Gestaltung (Usability) (Bosse 2013a). Über diese Aspekte hinaus bedarf es ebenso eines kompetenten Umgangs mit digitalen Technologien (Freese & Mayerle 2013; Friedhof 2016). Folglich führt der fehlende Zugang zu digitalen Technologien sowie die fehlende Kompetenz des Nutzenden im Umgang mit digitalen Technologien zu Ungleichheiten in der selbstbestimmten und selbstständigen Nutzung von digitalen Technologien (Schröter 2019; Borgstedt & Möller-Slawinski 2020). Um resultierende Ungleichheitsformierungen konsequent und kritisch zu analysieren und um sich von technikdeterministischen, demokratieutopischen und idealistischen Entwürfen des Internets zu distanzieren, manifestierte sich in den 1990er Jahren mit der Digital-Divide-Forschung eine entsprechende Forschungsperspektive (Barlow 1996; Palfrey & Gasser 2010; Witting 2018; Iske & Kutscher 2020). Wie digitale Ungleichheiten verstanden und erklärt werden, ist Gegenstand des folgenden Teilkapitels. Hierfür wird zunächst eine Einführung in das Feld der Digital-Divide-Forschung gegeben, um daran anknüpfend theoretische Erklärungsansätze und -modelle des Digital Divides sowie der resultierenden digitalen Ungleichheit zu erläutern.

4.3.1 Forschungsfeld und Forschungsstränge

Mit der Komplexität und Dynamik des Handels in der digitalen Welt und deren Voraussetzungen summieren sich vor allem in der US-amerikanischen Wissenschaftsdiskussion drei Forschungsstränge unter dem Dach der Digital-Divide-Forschung (s. Abb. 4.2, S. 60): (1) Zugangsforschung, (2) Nutzungsforschung und (3) Wirkungsforschung. Ziel der Digital-Divide-Forschung ist die empirische Analyse von Faktoren, die Ungleichheiten begünstigen (Zilien & Haufs-Brusberg 2014; Dockweiler & Hochmuth 2019). Darüber hinaus werden zielgruppenübergreifende oder zielgruppenspezifische soziale Disparitäten erforscht, die mit dem Zugang, der Nutzung und den Wirkungen digitaler Medien verbunden sind. Dabei zeigen die Forschungsarbeiten innerhalb dieser Forschungsstränge Erkenntnisse zu unterschiedlichen zielgruppenübergreifenden oder zielgruppenspezifischen Digital-Divide-Leveln auf (Zilien & Haufs-Brusberg 2014).

Abb. 4.2
figure 2

(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Zilien & Haufs-Brusberg [2014] und Dockweiler & Hochmuth [2019])

Übersicht der Forschungsstränge der Digital-Divide-Forschung.

Im Rahmen der Zugangsforschung werden Ungleichheiten verschiedener Anforderungen und Bedingungen für die Nutzung digitaler Technologien diverser Zielgruppen erforscht (ebd.). Zu Beginn lag der Fokus dieses Forschungsstranges auf der Identifikation von ungleichen Verteilungen des Internetzuganges (access). Dieser Fokus wurde um Fragen nach Unterschieden in der Internetnutzung (digital inequality) erweitert und ergänzt, wobei oftmals eine dichotome Unterscheidung von Internet-Nutzenden (Onlinern) und Nicht-Nutzenden (Offlinern) vorgenommen wird. Als zugangs- sowie nutzungsbedingte Faktoren lassen sich die sozioökonomischen Faktoren der (Nicht-)Nutzenden herausstellen. Dabei zeigt sich auch insbesondere der sozioökonomische Status als einer der stärksten Faktoren für eine kompetente Nutzung digitaler Technologien. Damit zusammen steht die Verteilung technischer Voraussetzungen für Teilhabe an digitalen Technologien (Verfügbarkeit erforderlicher Hard- und Software) sowie individueller Voraussetzungen für Teilhabe an digitalen Technologien (Motivationen und Ausprägung von Beweggründen) (Witting 2018; Iske & Kutscher 2020). Dabei liegen zahlreiche Ergebnisse zu Fragen des Zugangs und der sozialen Kontextualisierung vor (Kubicek & Welling 2000; Warschauer 2002). Wenn ungleiche Zugangsvoraussetzungen zu digitalen Technologien identifiziert werden, spricht man bei betroffenen Bevölkerungsgruppen von einer first-level Digital Divide (Hargittai 2002; Verständig, Klein & Iske 2017; Klein & Pulver 2019).

Darüber hinaus werden auch das Nutzungsverhalten sowie damit verbundene Kompetenzen von verschiedenen Nutzergruppen im Umgang mit digitalen Technologien im Rahmen der Nutzungsforschung beleuchtet und auf Unterschiede geprüft (Zilien & Haufs-Brusberg 2014). Somit können neben Ungleichheiten im Zugang zu digitalen Technologien (first-level Digital Divide) ebenso aus der Nutzung digitaler Technologien resultierende Ungleichheiten (second-level Digital Divide) identifiziert und auf Ursachen analysiert werden (Hargittai 2002; Zilien & Haufs-Brusberg 2014). Die Forschung zum second-level Digital Divide kann dabei in drei weitere Bereiche unterteilt werden: (1) Ungleichheiten in der Techniknutzung, (2) Ungleichheiten in den Nutzungskompetenzen und (3) Ungleichheiten in den konsumierten Inhalten über digitale Technologien (ebd.).

Hinsichtlich der Ungleichheiten in den Nutzungskompetenzen lassen sich wiederum insgesamt vier Kompetenzebenen definieren, auf denen sich Ungleichheiten zwischen verschiedenen Nutzungsgruppen untersuchen lassen: (1) Versierter Umgang mit Computern bzw. Computer Literacy, (2) Selbstständige Recherche, Bewertung und Nutzung von Informationen im Internet bzw. Information Literacy, (3) Kompetente Erstellung multimedialer Inhalte im Internet bzw. Multimedia Literacy und (4) Kompetente Interaktion im Internet bzw. Computer-Mediated Communication Literacy (Warschauer 2002; Zilien & Haufs-Brusberg 2014).

Eine ungleiche Verteilung dieser Kompetenzen und Fähigkeiten bei unterschiedlichen Nutzergruppen im Umgang mit digitalen Technologien sowie damit einhergehende Nutzungsunterschiede unterstreichen den second-level Digital Divide, da sie dem Zugang nachgelagert sind (Hargittai 2002; Verständig, Klein & Iske 2017; Klein & Pulver 2019). Begründungen für Nutzungsunterschiede können beispielsweise über das Modell von van Dijk (2005) erörtert werden. Dieser Ansatz nimmt an, dass sich Ungleichheiten hinsichtlich der Fähigkeiten (skills) und Nutzung (usage) durch Unterschiede in Motivation und Zugang begründen lassen. Nach van Dijk (2005) wird dabei der motivationale Zugang (motivational access), der materielle Zugang (material access), der Kompetenzzugang (skill access) und der Nutzungszugang (usage access) unterschieden (ebd.).

Die positiven wie auch negativen Konsequenzen, die sich aus der Nutzung digitaler Technologien ergeben, werden im Rahmen des dritten Forschungsstranges untersucht: der Wirkungsforschung (Zilien & Haufs-Brusberg 2014; Heitplatz 2017). Einerseits werden Auswirkungen der ungleichen Zugangs- und Nutzungsunterschiede verschiedener Zielgruppen oder innerhalb einer Zielgruppe analysiert (van Dijk 2017). Andererseits werden die gesundheitsbezogene, soziale und gesellschaftliche Wirkung auf Nutzenden und die Gesellschaft infolge der Nutzung digitaler Technologien betrachtet (Zilien & Haufs-Brusberg 2014). Die Wirkungen einer ungleichen Verteilung von benötigten Ressourcen im Umgang mit digitalen (Gesundheits-)Technologien werden dabei als third-level Digital Divide bezeichnet. Mit Ressourcen sind beispielsweise die Verfügbarkeit von Informationen, Finanzen oder Partizipations- und Teilhabemöglichkeiten gemeint (van Dijk 2013; Verständig, Klein & Iske 2017; Klein & Pulver 2019).

Über die bereits beschriebenen Level hinaus wird die Digital-Divide-Forschung um die zero-level Digital Divide erweitert (Verständig, Klein & Iske 2017; Klein & Pulver 2019; Iske & Kutscher 2020).

„Während die Diskurse um digitale Spaltung (Zugang) und digitale Ungleichheit (Nutzung) davon ausgehen, dass der Raum des Internets für alle Nutzenden der gleiche ist, wird unter der Perspektive des zero-level Digital Divide deutlich, dass sich das Internet gerade nicht für alle Nutzenden gleichermaßen darstellt“ (s. Verständig, Klein & Iske 2017, S. 53).

Folglich ergeben sich Ungleichheiten nicht ausschließlich aus Unterschieden in Zugangsvoraussetzungen, verfügbaren Kompetenzen oder Ressourcen, sondern sie resultieren ebenso aus Unterschieden der vorhandenen technologischen Infrastruktur zur Nutzung digitaler Technologien. Eine solche Infrastruktur erlaubt die individuelle Personalisierung und Priorisierung der über das Endgerät aufgezeigten Inhalte, Kommunikations-, Kooperations- und Partizipationsmöglichkeiten, da die Datenübermittlung durch Codes vorstrukturiert und somit individuell angepasst werden kann. Die Personalisierung und Priorisierung angezeigter Inhalte, Kommunikations-, Kooperations- und Partizipationsmöglichkeiten nehmen dabei aktiv Einfluss auf die individuellen Nutzungsmuster und Nutzungserfahrungen bzw. regulieren diese (ebd.; Fischer 2019). Die daraus entstehenden Ungleichheiten werden als zero-level Digital Divide verortet. Dabei spielt vor allem das Technologiedesign eine einflussnehmende Rolle, da die gewählten technologischen Strukturen sowie das Anwendungsdesign der digitalen Technologie das Nutzungsverhalten fördern oder hemmen können (ebd.).

4.3.2 Zusammenhänge digitaler, sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit

Die Dynamik der Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche und bewirkt Anpassungen im Umgang mit Informationen und Wissen. Daraus resultiert ein fortwährender Wandlungsprozess gesellschaftlicher Teilhabemöglichkeiten. Die Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlichem und technologischem Wandel spiegelt sich in der aktuellen Debatte über den Zugang zu digitalen (Gesundheits-)Technologien und dem Internet sowie der Nutzung von digitalen Technologien wider. Im Hinblick auf soziale Ungleichheit und Chancengleichheit wird die Diskussion über digitale Spaltung mit Fragen nach der Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe sowie Fragen der Verfügbarkeit gesellschaftlich relevanter Ressourcen (wie beispielsweise Wissenszugang, Kompetenzen oder finanzieller Mittel) in Verbindung gebracht (Dockweiler & Albrecht 2020; Iske & Kutscher 2020; Cornejo Müller et al. 2020).

Die Digital-Divide-Forschung nimmt entsprechend eine gesellschaftskritische Perspektive ein, indem sie die Digitalisierung in den Kontext von sozialer Ungleichheit bzw. Chancengleichheit stellt und Zusammenhänge zwischen sozialer und digitaler Ungleichheit herausstellt (Rudolph 2019; Jochim 2020; Iske & Kutscher 2020). Darüber hinaus werden im Sinne des Digital Health Divide weitere Wechselwirkungen zu gesundheitlichen Ungleichheiten beleuchtet (Mlinaric & Knöchelmann 2019; Cornejo Müller et al. 2020). Die Betrachtung von Wechselwirkungen zwischen den sozialen Gegebenheiten, der Gesundheit sowie der Digitalisierung ist dabei besonders relevant, da „die Gefahr [besteht], dass sich bestehende soziale und gesundheitliche Ungleichheiten in digitalen Ungleichheiten fortsetzen“ (Cornejo Müller et al. 2020, S. 186).

Rudolph (2019) zeigt auf, dass soziale Ungleichheit „die ungleichen Möglichkeiten der Teilhabe an Gesellschaft [adressiert], mithin die ungleichen Lebenschancen und Handlungsressourcen der Menschen, aufgrund verschiedener, in erster Linie vertikal orientierter sozialer Positionen“ (ebd., S. 27). Soziale Ungleichheit rekurriert somit nicht auf Zufällen, sondern auf systemischen Phänomenen (ebd.). Kreckel (2004) führt weiter aus, dass soziale Ungleichheitsformierungen vor allem durch eingeschränkte Zugangsmöglichkeiten zu sozialen Gütern und Positionen resultieren, die durch ungleiche Machtverhältnisse hervorgerufen werden und somit unmittelbaren Einfluss auf die Lebenschancen der Betroffenen und gesellschaftliche Konstellationen nehmen (ebd.). Im Kontext der digitalen Spaltung werden Fragen individueller und gesellschaftlich-politischer Bedeutung aufgeworfen. Im Sinne der sozialen Ungleichheitsformierung kann der fehlende Internetzugang als dauerhafte Zugangsbarriere zu allgemein verfügbaren und erstrebenswerten Gütern sowie sozialen Positionen betrachtet werden. Demach läge eine Ungleichheitsformierungen vor und diese stellt entsprechend eine dauerhafte Einschränkung von Teilhabe- und Lebenschancen dar (ebd.).

Der Verteilung von digitalen Ressourcen (wie Hard- und Software) wird ein wesentlicher Einfluss auf Teilhabe beigemessen. Dieser manifestiert sich im Zugang, in der Aneignung und in der produktiven Nutzung digitaler Technologien. In diesem Kontext wurden bestehende Ungleichheiten in der Bevölkerung bereits in den 1970er Jahren beschrieben. Die Digitalisierung ermöglicht nicht nur beschleunigte und vereinfachte Zugangsmöglichkeiten zu Wissens- und Kommunikationswegen, ebenso entstehen neue digitale Ungleichheitsformierungen aufgrund diverser Zugangs-, Wissens- und Kompetenzbarrieren (Commission of the European Communities 2008; Cornelssen & Schmitz 2008; Dockweiler & Hochmuth 2019). Von solchen Ungleichheiten sind neben Älteren, Frauen, formal niedrig Gebildete, Bewohnende des ländlichen Raumes, Alleinlebende sowie Nichtberufstätige (Initiative D21 e. V. 2023) betroffen, wobei sich vor allem die soziale Determinante niedrige Bildung als einflussnehmend zeigt (Mlinaric & Knöchelmann 2019; Cornejo Müller et al. 2020). Ebenso sind MB und insbesondere MgB von Ungleichheiten betroffen (Bosse & Hasebrink 2016). Der sogenannte Digital Disability Divide wird in Abschnitt 5.1 (s. S. 75) näher erläutert.

Neben digitalen Ressourcen nehmen gesundheitliche Ressourcen in Form des Gesundheitszustands einer Person wechselseitigen Einfluss auf ihre Teilhabe. Dabei kann einerseits die subjektiv und objektiv wahrgenommene Lebensqualität die eigenen Teilhabechancen und -risiken sowie die realisierte Teilhabe in verschiedenen Lebensbereichen beeinflussen. Andererseits kann sich die realisierte Teilhabe auf die wahrgenommene Lebensqualität auswirken (BMAS 2013; Hurrelmann & Franzkowiak 2018). Die Gesunderhaltung des Menschen steht demnach im engen Zusammenhang mit Teilhabe. Die eigene Ressourcenkapazität in Bezug auf die Gesundheit hängt wiederum von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. von der Persönlichkeitsstruktur, der körperlichen Konstitution, der sozio-ökonomischen Lage, gesundheitlichen Belastungen am Arbeitsplatz oder dem Wohnort und sozialen Umfeld (BMAS 2013, S. 189). Diese Faktoren bieten nicht nur Herausforderungen, sondern auch Möglichkeiten für MB, Schwierigkeiten im Wissenserwerb und sozialen Umgang durch den Einsatz digitaler Technologien selbstständiger und selbstbestimmter zu bewältigen und somit in bisher beschränkten Lebensbereichen teilzuhaben (Schweizerische Fachstelle für Informationstechnologien im Bildungswesen [SFIB] 2009). Daher wird die ohnehin bestehende Relevanz von IKT als Instrument sozialer Partizipation weiter zunehmen (Bosse 2013b).

Die Förderung von Chancengleichheit im Zugang zu niedrigschwelligeren Informations-, Kommunikations- und Orientierungsmöglichkeiten durch die Nutzung von IKT sowie die bedarfsgerechte Vermittlung notwendiger Kompetenzen stellt dabei eine zentrale Herausforderung für die Public Health-Praxis dar. Besonders herausfordernd ist dabei die Berücksichtigung der dynamischen Wechselbeziehungen zwischen digitaler und gesundheitlicher Ungleichheit (Sonnenberg & Arlabosse 2019).

Die Prozesse der Aneignung und Nutzung digitaler (Gesundheits-)Technologien werden maßgeblich von sozialen Unterschieden in den Zugangsmöglichkeiten determiniert, darunter z. B. Ausstattung, Nutzungsmuster sowie technische Bedien- und Umgangskompetenzen (Geukes & Dockweiler 2020; Cornejo Müller et al. 2020). Einflussnehmend sind dabei die Ausprägungen der psycho-, geo- und soziodemografischen Faktoren einer Person (wie z. B. Alter, Geschlecht, kultureller Hintergrund und Wohnort). Darüber hinaus zeigen sich das Vorhandensein des notwendigen Wissens, die Leistungs- sowie Aufwandserwartungen sowie die vorhandenen gesundheitlichen und digitalen Kompetenzen determinierend hinsichtlich des Zugangs digitaler Gesundheitstechnologien (Stark, Geukes & Dockweiler 2020; Cornejo Müller et al. 2020). Menschen, mit geringeren Gesundheitsressourcen, wie beispielsweise durch eine chronische Erkrankung, kognitive oder körperliche Beeinträchtigungen, können hiervon weniger profitieren (Cornejo Müller et al. 2020). Dahingehend wird die Förderung von Digitaler Teilhabe vor allem bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen als bereits existierende Frage der Sozial- und Gesundheitsforschung zur Chancengleichheit im Zuge der Digitalisierung betrachtet. In diesem Kontext meint Chancengleichheit nicht allein den chancengleich verfügbaren Zugang zu digitalen Technologien, sondern schließt verfügbare Möglichkeiten des Kompetenzerwerbs und der Kompetenzerweiterung mit ein, die für eine selbstbestimmte und selbstständige Anwendung digitaler Technologien notwendig sind. Dabei steht ein chancengleichen Zugang zu digitalen Technologien sowie die Bereitstellung von Weiterbildungsmöglichkeiten im Zentrum, um Ungleichheiten zu minimieren (Dockweiler & Albrecht 2020).

In diesem Zusammenhang nimmt die soziallagengerechte Verteilung von digitalen und gesundheitlichen Ressourcen einen hohen Stellenwert in der Verwirklichung der sozialen Teilhabe des Individuums ein und determiniert die digitale, gesundheitliche und soziale (Un-)Gleichheit in der Bevölkerung (Sonnenberg & Arlabosse 2019; Dockweiler & Albrecht 2020). Damit eine soziallagengerechte Verteilung von digitalen, gesundheitlichen und sozialen Ressourcen in der Bevölkerung gefördert werden kann, bedarf es einer bedürfnisgerechten Digitalkompetenzentwicklung bei vulnerablen Bevölkerungsgruppen (Sonnenberg & Arlabosse 2019). In diesem Kontext besteht die Herausforderung der digitalen Chancen- und Teilhabepolitik darin, auf neu entstehende Ungleichheiten, Verschärfungen oder Minimierung bestehender Ungleichheiten im Zuge der digitalen Transformation zu reagieren, indem den betroffenen Teilen der Bevölkerung entstehende Chancen und Maßnahmen zu diesen Veränderungen aufgezeigt werden (Bär 2018).

4.3.3 Theoretische Erklärungsansätze und Modelle

Zur theoretischen Erklärung von Ungleichheitsphänomenen des Digital Divides und der daraus resultierenden digitalen Ungleichheit existieren je nach betrachteter Dimension diverse theoretische Modelle und Konzepte (Mossberger, Tolbert & Stansbury 2004; Klein 2004; van Dijk 2005; Dudenhöffer & Meyen 2012; Iske & Kutscher 2020; Bonfadelli 2022). Übergreifend können zwei Ansätze aufgezeigt werden: Zum einen das Differenzierungsparadigma und zum anderen das Kohärenzparadigma (Iske & Kutscher 2020). Das Differenzierungsparadigma begründet bestehende Ungleichheiten in der Internetnutzung als individuell gewählte Handlungsweisen und persönliche Präferenzen, die auf kulturelle Unterschiede und gesellschaftliche Differenzierung zurückzuführen sind (ebd.). Das Kohärenzparadigma beschreibt hingegen bestehende Ungleichheiten in der Internetnutzung als Ausdruck bestehender gesellschaftlicher, sozio-ökonomischer Ungleichheiten. Dabei werden digitale Ungleichheiten aus einer strukturellen Perspektive analysiert und interpretiert (ebd.).

Das Konzept der Voice Inequality nach Klein (2004) fußt im Kontext der Sozialen Arbeit und der Aufgabe, die Reproduktion sozialer Benachteiligungen (nicht) medial zu kompensieren, auf einer Untersuchung darüber, wie Jugendliche Zugang zu netzbasierter sozialer Unterstützung erhalten und diese nutzen. Empirische und theoretische Ergebnisse zu Formen und Prozessen der Vernetzung und Gemeinschaftsbildung – d. h. Geselligkeit im Internet sowie die durch das Internet vermittelte soziale Einbettung der Nutzer – legen nahe, dass netzbasierte Kommunikations- und Informationsprozesse Soziale Unterstützung als eine Ressource mit sich bringen können. Die zentrale Annahme des Voice Inequality ist, dass sozial und kulturell unterschiedliche junge Menschen dazu neigen, unterschiedliche Formen von Netzwerken aufzubauen, die mit unterschiedlichen Formen von sozialem Kapital verbunden sind, die wiederum unterschiedliche Formen von sozialer Unterstützung (z. B. kognitiv, emotional, moralisch) bewirken. Diese Annahme wird auf drei Ebenen bewertet:

  1. 1.

    Komplex der Ressourcen: Wer nutzt welche Informations- und Kommunikationsressourcen innerhalb des Beratungsarrangements?

  2. 2.

    Komplex der Beziehungen: Wer kommuniziert mit wem innerhalb des Beratungsarrangements?

  3. 3.

    Komplex der Macht: Welches und wessen Wissen wird in welchem Maße berücksichtigt und anerkannt? (ebd.)

Weitere Konzepte zur Beschreibung der digitaler Ungleichheit sind z. B. das Digital-Divide-Modell von Mossberger, Tolbert & Stansbury (2004), das Digital-Divide-Kausalmodell nach van Dijk (2005), die Habitus-Kapital-Theorie der Internetnutzung nach Dudenhöffer & Meyen (2012) sowie die Wissenskluft-Hypothese nach Bonfadelli (2022). Diese Konzepte der Digital-Divide-Forschung identifizieren Wirkfaktoren von Ungleichheitsphänomenen, die zwar mit dem Untersuchungsgegenstand der Digitalen Teilhabe verknüpft sind, nicht aber das Ziel verfolgen, das komplexe soziale Wirkungskonstrukt der Teilhabe von MgB abzubilden.

Um bestehende Ungleichheits- und Machtverhältnisse aufzuzeigen, wird Medienpädagogik auch als Handlungswissenschaft verstanden, die Vorschläge zur Gestaltung und Verbesserung von Bildungs- und Erziehungspraxis in und mit Medien unterbreitet. Daher liegt es nahe, diesbezügliche Erkenntnisse der Erziehungswissenschaft und vor allem der Medienpädagogik zu erschließen. Medienpädagogik setzt sich mit Sozialisations-, Bildungs- und Erziehungsprozessen in digitalisierten und mediatisierten Lebensbereichen auseinander und stellt eine Teildisziplin der Erziehungswissenschaft dar. Dabei wird die Medienpädagogik als Reflexionswissenschaft verstanden, die das Ziel verfolgt, Bildungs- und Erziehungszusammenhänge sowie Handlungs- und Partizipationsmöglichkeiten in digitalen Technologien in unterschiedlichen Lebensbereichen zu verstehen (Hartung-Griemberg & Schorb 2017).

4.4 Medienkompetenzen und digitale Kompetenzen

Ansätze und Modelle zur Vermittlung von Medienkompetenzen als Schlüsselqualifikation im Umgang mit digitalen Technologien werden nachfolgend dargelegt. Hierfür wird zunächst eine Begriffseinordnung von Medienkompetenzen vorgenommen.

4.4.1 Begriffseinordnung Medienkompetenz

Nach Baacke (1997) umfasst

„Medienpädagogik […] alle sozialpädagogischen, sozialpolitischen und sozialkulturellen Überlegungen und Maßnahmen sowie Angebote für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die ihre kulturellen Interessen und Entfaltungsmöglichkeiten, ihre persönlichen Wachstums- und Entwicklungschancen sowie ihre sozialen und politischen Ausdrucks- und Partizipationsmöglichkeiten betreffen, sei es als einzelne, als Gruppen oder als Organisationen und Institutionen“ (s. ebd., S. 5).

Die in der Medienpädagogik verwendeten zentralen Begriffe sind Medienkompetenz und Medienbildung. Beide Konzepte sind in Bezug auf die Aufgaben der Eingliederungshilfe relevant, da die Entstehung von Teilhabemöglichkeiten und Risiken, die Erweiterung von Handlungsspielräumen sowie die Förderung gesellschaftlicher Partizipation untrennbar mit Mediensystemen, ihren Funktionen sowie dem Medienhandeln der Menschen verbunden sind. Daher liegt eine Aufgabe der Eingliederungshilfe darin, entsprechende Angebote zur Förderung der Medienkompetenzen und zur Ermöglichung von Medienbildungschancen in bestehende Strukturen der Eingliederungshilfe zu integrieren, denn „ohne Wissen über Mediensysteme, technologische Infrastrukturen, ökonomische Interessen, Kräfteverhältnisse zwischen Staaten und großen Technologiekonzernen ist ein selbstbestimmtes Medienhandeln nicht möglich“ (s. Siller, Tillmann & Zorn 2020, S. 324).

Die beiden Begriffe Medienkompetenz und Medienpädagogik werden im Folgenden kurz erläutert. Um sich in den komplexen Medienwelten zurechtzufinden, muss der Mensch zusätzliche Kompetenzen erwerben. Für Baacke (1997) ist Medienkompetenz eine neue zentrale Lernaufgabe und eine Voraussetzung für ein angemessenes Medienverständnis. Durch medienbezogene Handlungskompetenz ist ein selbstbestimmtes Handeln mit und durch Kommunikationsmittel möglich (ebd.). Nach Baacke (1997) ist Medienkompetenz eine allgemeine Fähigkeit des Individuums, sich in einer mediatisierten Umwelt zurechtzufinden und in ihr zu agieren. Dabei bezieht er sich umfassend auf alle Medien und gliedert die Medienkompetenz in vier Dimensionen: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung (ebd.). Die vier Dimensionen sollen im Folgenden kurz erläutert werden:

Medienkritik soll das Individuum dazu befähigen, problematische gesellschaftliche Prozesse analytisch zu erfassen und teilt sich in drei Unterdimensionen auf: die analytische, reflexive und ethische Medienkritik (ebd.). Medienkunde umfasst das Wissen über die heutigen Mediensysteme und kann in zwei Unterdimensionen ausdifferenziert werden: die informative und die instrumentell-qualifikatorische Unterdimension. Die informative Unterdimension umfasst klassische Wissensbestände, etwa das Wissen darüber, welche Programmgenres es gibt und wie man einen Computer für seine Zwecke effektiv nutzen kann. Die instrumentell-qualifikatorische Unterdimension ergänzt die Fähigkeit, neue Geräte bedienen zu können. Dazu gehört beispielsweise die Handhabung einer Computer-Software, das Einloggen in ein Netzwerk oder die Bedienung des Smartphones (ebd.). Die Dimension der Mediennutzung unterteilt sich in die rezeptive und die interaktive Nutzung. Die rezeptiv-anwendende Unterdimension beschreibt dabei die Programm-Nutzungskompetenz. Das Fernsehen ist z. B. eine Tätigkeit, in der das Gesehene verarbeitet wird und in das Bildungs- und Bilderrepertoire eingeht. Die interaktive Nutzung bezieht sich auf den Bereich des auffordernden Anbietens. Dabei gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten, nicht nur rezeptiv-wahrnehmend die Welt zu erfahren, sondern auch interaktiv tätig zu sein (ebd.). Mediengestaltung stellt den vierten Bereich der Medienkompetenz dar. Auch diese Dimension unterteilt sich in die innovative und kreative Mediengestaltung. Mit innovativer Mediengestaltung ist gemeint, dass sich Medien ständig verändern und weiterentwickeln. Und dies nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch hinsichtlich inhaltlicher Aspekte. Eine kreative Mediengestaltung beschreibt die ästhetischen Varianten und ein über die Grenzen der Kommunikationsroutine hinausgehendes, neues Gestaltungs- und Thematisierungspotenzial (ebd.).

Die beiden im Kontext der Medienkompetenzbildung verwendeten Begriffe Medienkritik und Medienkunde bezieht sich auf den Aspekt der Vermittlung. In der Unterdimension der Zielorientierung geht es um das Handeln des Menschen. Hierbei spielt die Mediennutzung eine zentrale Rolle (ebd.). Baacke (1997) fordert einen Diskurs der Informationsgesellschaft, der die wirtschaftlichen, technischen, sozialen, kulturellen und ästhetischen Probleme einbezieht und damit über den individuellen Bereich hinausgeht. Neben der dargelegten Definition existieren weitere Ausdifferenzierungen des Medienkompetenzbegriffs (Aufenanger 1999; Hartung-Griemberg & Schorb 2009; Tulodziecki 2011).

4.4.2 Begriffseinordnung digitale Kompetenz

Im Zusammenhang mit dem Begriff der Medienkompetenz wird häufig der Begriff digitale Kompetenz verwendet. Opiela und Weber (2016) definieren digitale Kompetenzen wie folgt:

„Bei der Medienbildung geht es um den Erwerb von IT-Fähigkeiten und von Kompetenzen für das souveräne Auftreten in der digitalisierten Welt. Dazu gehören die Bedienung von Tablet, Computer und Softwareanwendungen ebenso wie der verantwortungsvolle Umgang mit sozialen Medien und den eigenen Daten im Netz sowie ein Bewusstsein für die Risiken wie Internetsucht und Cybermobbing“ (s. ebd., S. 10).

Ebenso zählt die gesellschaftskritische Haltung, die im Umgang mit digitalen Medien entwickelt wird, zur digitalen Kompetenz (Merkt & Schulmeister 2004). Ferrari (2012) fasst digitale Kompetenz wie folgt zusammen:

„Digital Competence is the set of knowledge, skills, attitudes (thus including abilities, strategies, values and awareness) that are required when using ICT and digital media to perform tasks; solve problems; communicate; manage information; collaborate; create and share content; and build knowledge effectively, efficiently, appropriately, critically, creatively, autonomously, flexibly, ethically, reflectively for work, leisure, participation, learning, socialising, consuming, and empowerment“ (ebd., 3f.).

Digitale Kompetenz wird oft mit Medienkompetenz gleichgesetzt. Der Begriff Medienkompetenz kann als erwerbbare Fähigkeit verstanden werden, die dazu dient, verschiedene Arten von Medien für die eigene Kommunikation sowie das eigene Handeln einsetzen zu können (Baacke 1997). Die digitale Transformation hat neue Anforderungen mit sich gebracht, für die Fähigkeiten benötigt werden, die die Definition von Baacke jedoch nicht abdeckt. Die Definition der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization [UNESCO] erfasst darüber hinaus auch die Fähigkeit, digitale Technologien sicher und angemessen zu nutzen, auf Informationen zugreifen zu können, diese zu verwalten, zu verstehen, zu integrieren, zu kommunizieren, zu bewerten und erstellen zu können. Dementsprechend spielt die digitale Kompetenz eine zentrale Rolle, um am wirtschaftlichen und sozialen Leben ganzheitlich teilnehmen zu können (UNESCO 2018). Stellt man nun die dargelegten Begriffsverständnisse von Medienkompetenzen und digitalen Kompetenzen gegenüber, wird deutlich, dass beide Begriffe den Umgang mit digitalen Medien thematisieren und gesellschaftskritisch aufgreifen. Beide Kompetenzbegriffe weisen inhaltliche Gemeinsamkeiten auf, sie unterscheiden sich aber in einem Punkt geringfügig. Während Medienkompetenzen eher den kompetenten Umgang durch Kommunikation in digitalen Technologien meint und ein allgemeineres Kompetenzverständnis aufgreift (Merkt & Schulmeister 2004) fokussiert der digitale Kompetenzbegriff den Kenntniserwerb im Umgang mit digitalen Technologien (Baacke 1997).

Digitale Kompetenz wird mit einer Vielzahl anderer Konzepte und Ansätze in Verbindung gebracht, wie beispielsweise E-Literacy, E-Skills, Computer Literacy, Media Literacy, E-Competence (Gallardo-Echenique et al. 2015). Durch Parallelen zu anderen Konzepten und Fähigkeiten verliert der Begriff digitale Kompetenz daher an Präzision (bidt 2021). Die beiden Begriffe können durch inhaltliche Überschneidungen synonym verwendet werden. Der Übersicht halber wird nachfolgend der Begriff digitale Kompetenz verwendet, der die Perspektiven der Medienkompetenz einschließt. Wird in Literatur explizit auf Medienkompetenz verwiesen, wird dieser Begriff synonym zu digitalen Kompetenzen verwendet.

4.4.3 Ansätze der digitalen Kompetenzbildung

„Bildung ist der entscheidende Schlüssel, um alle Heranwachsenden an den Chancen des digitalen Wandels teilhaben zu lassen“ (s. Medienberatung NRW 2020, S. 4) Kinder und Jugendliche sollten dementsprechend erforderliche Schlüsselqualifikationen bis zu ihrem Schulabschluss erwerben. Die Kultusministerkonferenz das Landes NRW hat im Kompetenzmodell Kompetenzen in der digitalen Welt (neue) Anforderungen an schulisches Lernen formuliert. Durch die Verabschiedung im Jahr 2016 haben sich alle Bundesländer verpflichtet, einen Schwerpunkt im Bereich der digitalen Bildung zu setzen. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche „zu einem sicheren, kreativen und verantwortungsvollen Umgang mit Medien zu befähigen und neben einer umfassenden Medienkompetenz auch eine informatische Grundbildung zu vermitteln“ (s. ebd., S. 4).

Insgesamt besteht das Kompetenzmodell aus 24 Teilkompetenzen, die sich in sechs übergeordnete Kompetenzbereiche ordnen: (1) Bedienen und Anwenden, (2) Informieren und Recherchieren, (3) Kommunizieren und Kooperieren, (4) Produzieren und Präsentieren, (5) Analysieren und Reflektieren, (6) Problemlösen und Modellieren (ebd.).

In der Europäischen Union [EU] zählen Medienkompetenzen seit 2006 zu den acht Schlüsselkompetenzen für lebensbegleitendes Lernen. Kompetenzen sind dabei als Kombination aus Wissen, Fähigkeiten und Einstellungen definiert. Schlüsselkompetenzen stellen dabei Kompetenzen dar, die jedes Individuum für die persönliche Entfaltung, die soziale Integration, den Bürgersinn und die Beschäftigung benötigt. Medienkompetenzen werden hier mit Computerkompetenz gleichgesetzt und

„umfasst die sichere und kritische Anwendung der Technologien der Informationsgesellschaft […] für Arbeit, Freizeit und Kommunikation. Sie wird unterstützt durch Grundkenntnisse der IKT: Benutzung von Computern, um Informationen abzufragen, zu bewerten, zu speichern, zu produzieren, zu präsentieren und auszutauschen, über Internet zu kommunizieren und an Kooperationsnetzen teilzunehmen“ (s. Europäisches Parlament und der Rat der europäischen Kommission 2006, S. 8).

Der European Digital Competence Framework [DigComp] 2.0 stellt einen Referenzrahmen der Europäischen Kommission dar und bietet somit eine gemeinsame Verständigungsgrundlage über digitale Kenntnisse und Fähigkeiten, die in großer Detaillierung als umfassendstes Modell zur Selbsteinschätzung und Orientierung für Länder, Institutionen sowie für Bildungseinrichtungen und Verbände dient. Der Referenzrahmen dient der Beschreibung von Lernergebnissen und der Entwicklung von Curricula (European Commission 2016). Der DigComp 2.0 umfasst fünf Dimensionen: (1) Information und Daten, (2) Kommunikation und Kooperation, (3) Interaktion mit Hilfe von digitalen Technologien, (4) Erstellung digitaler Inhalte, (5) Sicherheit der Geräte und Datenschutz und (6) Problemlösungsstrategien. Die Erfüllungsgrade der einzelnen Kompetenzen werden auf vier Ebenen (grundlegend, mittel, fortgeschritten und spezialisiert) definiert (ebd.). In der neuen Fassung (DigComp 2.1) wurden die Kompetenzstufen von drei auf acht erweitert (von Anfänger bis zu hochspezialisiert). Diese ermöglichen so eine sehr genaue (Selbst-)Einschätzung von digitalen Kompetenzen. Der DigComp 2.1 zeigt Beispiele für den Einsatz in Beschäftigung und Bildung auf und bietet visuelle Leitfäden (European Commission 2017).

Durch die aufgezeigten Konzepte wird deutlich, dass Medienbildung bzw. Medienkompetenz und somit auch Digitale Teilhabe nicht ausschließlich auf technische Fähigkeiten reduziert werden kann (Bosse 2013b). Inwiefern MB und vor allem MgB soziale Interaktionen in ihren Lebensbereichen über digitale Technologien wahrnehmen und umsetzen können, wird im folgenden Kapitel aufgezeigt.