Wie bereits angeführt, liefert diese Forschungsarbeit einen ersten umfassenden Blick auf die Thematik Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe. Basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen und der Beantwortung der Forschungsfragen werden nachfolgend spezifische Handlungsempfehlungen auf forschungs- und praxisbezogener sowie politischer Ebene abgeleitet, um Digitale Teilhabe von MgB sowie den Einsatz und die Weiterentwicklung der entwickelten Definition, des Modells sowie des Erhebungsinstrumentes zu fördern.

10.1 Forschung

Auf der Forschungsebene lassen sich vor dem Hintergrund der bisherigen Studien und der empirischen Erkenntnisse dieser Forschungsarbeit Handlungsempfehlungen vor allem für die Fokussierung von Forschungsfeldern und die Auswahl zukünftiger Forschungsdesigns ableiten.

10.1.1 Fortführung der Definitions- und Modellforschung

Im Rahmen des Scoping Reviews konnte ein Forschungsdesiderat hinsichtlich der wissenschaftlichen Definition und modellhaften Abbildung Digitaler Teilhabe in Bezug auf MgB in der Eingliederungshilfe konstatiert werden. Entsprechend erfolgte über die literaturbasierte Analyse hinaus die Entwicklung einer wissenschaftlich fundierten Lang- und Kurzdefinition sowie eines Modells zusammen mit relevanten Akteuren aus der Wissenschaft und Praxis. Mit den angewandten Forschungsmethoden legt die vorliegende Forschungsarbeit einen Grundstein. Künftige Forschung kann und sollte an diesem anknüpfen und die Weiterentwicklung der Definition sowie des Modells in einem iterativen Prozess fortführen, in dem sowohl weitere Vertretende der Zielgruppe – über Reflexionsformate bzw. Prüfgruppen für Leichte Sprache – sowie Experten aus Wissenschaft und Praxis – beispielsweise Fokusgruppen oder teilnehmende Beobachtungen – eingebunden werden. Auf diese Weise kann die empirische Evidenz ausgebaut werden.

Es ist dringend geboten, die Erkenntnisse zur Digitalen Teilhabe um die Perspektive der MgB zu erweitern. Aufgrund einer offenen qualitativen Vorgehensweise in den Reflexionsformaten konnte anhand eines heterogenen Samples eine Bandbreite an subjektiven Erfahrungen und Einstellungen zum Themenfeld Digitale Teilhabe erörtert werden. Es können jedoch keine Aussagen darüber getroffen werden, wie häufig die einzelnen Erfahrungen und Einstellungen in der Gesamtheit der MgB in der Eingliederungshilfe vorkommen und für wie relevant einzelne Aspekte gehalten werden. Zudem hatten sowohl die Teilnehmenden der Reflexionsformate als auch die der Prüfgruppe leichte bis mittelgradige geistige Beeinträchtigungen. Menschen mit einer schweren bis schwersten geistigen Beeinträchtigung haben häufig erhebliche Schwierigkeiten in der Kommunikation, der Selbstständigkeit und der Alltagsbewältigung. Zum einen erschwert dies die Einbindung in die Forschung, zum anderen ergeben sich aufgrund ihrer besonderen Wahrnehmung und Fähigkeiten besondere Unterstützungsanforderungen und der Bedarf nach individuellen Lösungen, die es bei der Realisierung Digitaler Teilhabe zu berücksichtigen gilt. Daher ist es von großer Bedeutung zu prüfen, wie die Ergebnisse auf Menschen mit schweren bzw. schwersten (geistigen) Beeinträchtigungen übertragen werden können. Es ist notwendig, die besonderen Bedarfe dieser Zielgruppe in Bezug auf Digitale Teilhabe zu erforschen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die verschiedenen Ausprägungen geistiger Beeinträchtigungen und entsprechenden Anforderungen an Digitale Teilhabe in der Folgeforschung noch einmal stärker in den Fokus zu nehmen.

Zudem scheint es erstrebenswert, die Perspektive von MgB, das heißt ihre subjektiven Erfahrungen und Einstellungen zum Themenfeld Digitale Teilhabe, in zukünftigen Studien zu quantifizieren. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit können dabei als Ausgangspunkt für die Entwicklung größer angelegter Studien dienen.

Limitierend ist anzumerken, dass an den qualitativen Erhebungen überwiegend Teilnehmende mit einem geringen Betreuungsanteil in der Eingliederungshilfe teilgenommen haben und die Perspektiven von MgB mit einem hohen Betreuungsanteil in der Eingliederungshilfe nicht berücksichtigt werden konnten. Auch dies könnte im Rahmen künftiger Reflexionsformate geschehen, um Aufschluss über neue, divergierende oder gleiche Perspektiven zu erhalten.

Im Rahmen der vorliegenden quantitativen Befragung wurde das Verständnis und die Verankerung Digitaler Teilhabe aus der Perspektive von Mitarbeitenden aus der Eingliederungshilfe mit direktem Klientenkontakt erhoben. Um die entwickelte Definition und das Modell in ihrer Komplexität mehrstufig und transdisziplinär zu diskutieren, können sich künftig auch ergänzende Verfahren zur Erhebung kollektiver Experteneinschätzungen aus den Bereichen Wissenschaft, Eingliederungshilfe sowie Teilhabe-, Sozial- und Gesundheitspolitik als sinnvoll erweisen (Niederberger & Renn 2019; Cuhls 2019).

Gleichzeitig gilt es in künftiger Forschung festzustellen, inwiefern die Definition und das Modell in der Teilhabeplanung inhaltlich aufgegriffen werden kann. Die entwickelten Definitionen Digitaler Teilhabe in einfacher bzw. Leichter Sprache (DDT-ES bzw. DDT-LS2) legen einen wichtigen, partizipativen Grundstein, um mit einem geeinten, niedrigschwelligen Begriffsverständnis die Teilhabeplanung zu gestalten. In künftiger Forschung könnten weitere Prüfgruppen für Leichte Sprache durchgeführt werden, um die Definition aktuell zu halten und durch weitere Perspektiven anzureichern.

10.1.2 Fortführung der Forschung zum Erhebungsinstrument Digitaler Teilhabe

Mit Abschluss des Forschungsvorhabens liegt ein grundlegender Ansatz für die Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe vor. Dieser steht erkenntnisfördernd für weitere Forschung zur Verfügung. Im Rahmen der künftigen Forschung ist – trotz der teilweisen Verwendung von bereits validierten Erhebungsinstrumenten – die Weiterentwicklung des EIDT3 unter Prüfung der Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität notwendig. Auch die Verzerrung sowie Einflussnahme von Moderatoren-, Mediatoren- und Confounderanalysen (McNamee 2005; Krebs & Menold 2022) sollte bei der Weiterentwicklung des EIDT3 durch künftige Forschung berücksichtigt werden. Darüber hinaus ergibt sich ein Forschungsauftrag durch den Anspruch der Disability Studies (Schallenkammer 2016), im Sinne des Empowerment-Gedankens die Erfassung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe durch Selbsteinschätzung anzustreben. Der Pretest des EIDT-ES2 identifizierte bereits Herausforderungen, denen in künftiger Forschung begegnet werden kann und kann zur Weiterentwicklung des EIDT3 bzw. der Kurzskala RDT hin zu einem Erhebungsinstrument in Leichter Sprache zur Selbsteinschätzung herangezogen werden. Die Einbindung einer Prüfgruppe für Leichte Sprache zur Formulierung der Items wäre an dieser Stelle sinnvoll. Zuletzt wäre es nützlich, das EIDT3 mit anderen Zielgruppen (wie z. B. Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung sowie Menschen ohne Beeinträchtigung) zu testen, um die erhobene RDT von MgB in der Eingliederungshilfe einzuordnen. Dadurch kann verglichen werden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede hinsichtlich der ermittelten RDT bestehen.

10.1.3 Durchführung weiterer Forschung zu Digitaler Teilhabe

Neben Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Definition, des Modells sowie des Erhebungsinstruments lassen sich weitere Empfehlungen für die Forschung ableiten. Bereits mit dem Scoping Review wurde die wissenschaftliche Evidenz zum Thema Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe analysiert und systematisiert. Es zeigt sich, dass in diesem Forschungsbereich große Forschungslücken bestehen, vor allem mit Blick auf die ausreichende Berücksichtigung der Zielgruppe MgB. Zukünftig sollte der Einbezug von MgB sowie der Fokus auf diese Zielgruppe einen höheren Stellenwert in der Forschung erhalten. Vor allem der Forschungsstand zur digitalen Exklusion von MgB, zu Auswirkungen Digitaler Teilhabe auf MgB sowie zu Maßnahmen zur Förderung von Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe ist gering. Also ist mehr Forschung darüber erforderlich, ob und wie MgB digitale Technologien nutzen (wollen), wie Interventionen mit Blick auf die Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe im Kontext der Eingliederungshilfe partizipativ konzipiert und umgesetzt werden können und wie die Förderung Digitaler Teilhabe in der Eingliederungshilfe verändert werden kann. Künftige Forschung sollte sich demnach auch darauf konzentrieren, wie strukturelle Veränderungen in der Eingliederungshilfe zur Förderung Digitaler Teilhabe der Klienten umgesetzt werden (z. B. durch Organisationsentwicklung und Angebote zur Kompetenzweiterentwicklung), wie diese gemessen werden können und welche Stakeholder (z. B. Führungspersonen, Mitarbeitende, Personen aus der Politik und Zielgruppenvertretende) in diesen Prozess einbezogen werden sollten. Wünschenswert für die zukünftige Forschung wäre auch die Entwicklung von partizipativ angelegten Interventionen, die – trotz der aufgezeigten Herausforderungen – alle Stakeholder in den Blick nehmen, um der Komplexität Digitaler Teilhabe gerecht werden.

Ausgehend von der vorliegenden Grundlagenforschung zur Definition, modellhaften Abbildung sowie Erfassung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe sowie den aufgezeigten Forschungsbedarfen lassen sich beispielhaft folgende Fragestellungen für die zukünftige Forschungspraxis ableiten:

  1. A.

    Wie kann die entwickelte Definition und das Modell Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe in die Teilhabeplanung eingebunden sowie langfristig gefördert und sichergestellt werden?

  2. B.

    Wie kann das EIDT3 bzw. die Kurzskala RDT von MgB in der Eingliederungshilfe methodisch und inhaltlich weiterentwickelt werden?

  3. C.

    Wie kann die Kurzskala RDT von MgB in der Eingliederungshilfe zur Selbsteinschätzung konzipiert werden?

  4. D.

    Welche besonderen Bedarfe und Anforderungen müssen hinsichtlich Digitaler Teilhab bei Menschen mit schwerer oder schwerster geistiger Beeinträchtigung berücksichtigt werden?

Um Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe unter Einhaltung organisationaler Rahmenbedingungen langfristig zu fördern und sicherzustellen, ist die konsequente Umsetzung Digitaler Teilhabemöglichkeiten in der Leistungsbedarfsermittlung im Rahmen der Teilhabeplanung notwendig. Entsprechend wird der Einzug des Themas Digitale Teilhabe von MgB in das BTHG, in die UN-BRK sowie in Richtlinien des Europäischen Parlaments (2016, 2019) bedeutsamer. In den gesetzlichen Rahmungen wird derzeit vor allem die Relevanz der Umsetzung barrierearmer Zugangs- und Anwendungsmöglichkeiten für eine angemessene Teilhabe von MB verdeutlicht. Die Umsetzung der gesetzlich benannten und somit vorgeschriebenen digitalen Teilhabemöglichkeiten erweist sich in der Praxis als unzureichend (Kempf 2013).

Nach Friedhof (2016) fehlt zur Berücksichtigung Digitaler Teilhabe in der Teilhabeplanung eine einheitliche Begriffsdefinition (ebd.). Mit der vorliegenden Forschungsarbeit liegt mit DDT2 eine Definition des Begriffs Digitale Teilhabe zugrunde, die in der Teilhabeplanung in der Eingliederungshilfe herangezogen werden kann. Inwiefern die inhaltliche Einbindung der entwickelten Definition und des Modells Digitaler Teilhabe von MgB in der Teilhabeplanung in der Eingliederungshilfe möglich ist, gilt es weiter zu erforschen. Um Einbindungsmöglichkeiten (Fragestellung A) zu identifizieren wäre es notwendig, mit Akteuren der Teilhabeplanung in den Austausch zu treten, um zu eruieren, inwiefern die erarbeiteten Inhalte in die Planungsprozesse integriert werden können bzw. inwiefern diese in Leistungen operationalisierbar zu integrieren sind. Zudem können die entwickelte Definition sowie das Modell in ihrer Komplexität mehrstufig und transdisziplinär diskutiert und inhaltlich angereichert werden, indem beispielsweise Delphi-Befragungen zur Erhebung von kollektiven Experteneinschätzungen aus den Bereichen Wissenschaft, Eingliederungshilfe sowie Teilhabe-, Sozial- und Gesundheitspolitik durchgeführt werden (Niederberger & Renn 2019; Cuhls 2019).

Die konkrete Umsetzung von Angeboten zur Förderung Digitaler Teilhabe finden bislang hauptsächlich in Projektstrukturen, jedoch kaum in langfristigen und verstetigten Strukturen statt (Bruland et al. 2023). Einige wenige innovative Medienbildungsprojekte werden wissenschaftlich begleitet (Bosse, Zaynel & Lampert 2018). Es fehlt an wissenschaftlich fundierten Evaluationen, die Aussagen zur Relevanz, zum Mehrwert sowie zur Verstetigung solcher Formate treffen können. Damit Regelfinanzierungen für Digitale Teilhabe über die Kostenträger geschaffen werden können, bedarf es der Überprüfung von Wirksamkeit einer Intervention zur Förderung Digitaler Teilhabe. Hierzu eignet sich ein Längsschnittdesign. Dabei sollte neben einer Interventionsgruppe immer eine Kontrollgruppe vorhanden sein. Es empfiehlt sich mindestens eine Baseline-Erhebung und nach Abschluss der Maßnahme ebenfalls eine Erhebung durchzuführen (Köller 2015). Mittels eines solchen Designs könnte die Wirksamkeit von Maßnahmen zur Förderung Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe überprüft werden. Hier könnte die Kurzskala RDT genutzt werden, um die Wirksamkeit von Maßnahmen durch den Indexwert sichtbar zu machen.

Von besonderer Bedeutung ist ebenso die partizipative Einbindung der Zielgruppe. Da die Thematik Digitale Teilhabe auf subjektiven Erfahrungen, Bedürfnissen und Bedarfen rekurriert (Bosse & Hasebrink 2016; Ramsten et al. 2017; Kalcher & Kreinbucher-Bekerle 2021), sollten vor allem Forschungsprojekte zur Entwicklung und Evaluation von Fördermaßnahmen für Digitale Teilhabe in der Eingliederungshilfe die Erfahrungen, Bedürfnisse und Bedarfe der Zielgruppe partizipativ einfangen und berücksichtigen. Dabei sollte eine Mitwirkung am Forschungsprojekt der relevanten Stakeholder, allen voran MgB, sichergestellt werden. So können ihre Bedürfnisse, Wünsche, (digitalen) Kompetenzen und Bedenken berücksichtigt werden. Bei der Anwendung der Kurzskala RDT zur Wirksamkeitsüberprüfung von Interventionen ist anzumerken, dass trotz der teilweisen Verwendung von bereits validierten Erhebungsinstrumenten, die Gütekriterien Objektivität, Validität und Reliabilität zu überprüfen sind. Zur Überprüfung der Objektivität, Validität und Reliabilität des EIDT3 (Fragestellung B) gilt es in den künftigen Anwendungskontexten entsprechende Moderatoren-, Mediatoren- und Confounderanalysen durchzuführen (McNamee 2005; Krebs & Menold 2022).

Auf inhaltlicher Ebene gilt es in weiterer Forschung zu prüfen, inwiefern die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (gesetzliche Rahmenbedingungen, Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen, Finanzierung) sowie die auf digitale Technologie bezogenen Faktoren (wie z. B. Design der Benutzerschnittstellen, Usability, Aufbereitung der Inhalte im Internet) auf Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe einflussnehmen.

Zur Erforschung der auf digitale Technologie bezogenen Faktoren können verschiedene methodische Ansätze sinnvoll sein. Unter anderem plädiert Wu (2012) für einen Mixed-Methods-Ansatz (Kombination qualitativer und quantitativer Methoden), um Aspekte der Usability und Benutzerfreundlichkeit sowie Nutzerakzeptanz aus subjektiver Perspektive umfassend zu erforschen (ebd.). Giel et al. (2023) plädieren in einem anderen Forschungskontext für die Anwendung von Usability-Tests, die in moderierter oder unmoderierter Form umgesetzt werden können. Darüber hinaus empfinden sie auch die Contextual-Inquiry-Methode nach Holtzblatt und Beyer (2015) als geeignet, um die alltägliche Nutzung digitaler Technologien von MB in der jeweiligen Umgebung zu begleiten. Konkret erfolgen dabei teilnehmende Beobachtungen sowie Befragungen, die Aufschluss darüber geben sollen, wie nutzbar digitale Technologien sind und wie sich diese in den Umgebungsstrukturen (in diesem Fall Strukturen der Eingliederungshilfe) gelingend einbetten lassen (Giel et al. 2023). Möglich wäre ebenfalls mithilfe der Contextual-Inquiry-Methode die tatsächlichen und nicht nur wahrgenommenen Unterstützungsleistungen durch soziale Strukturen eines Klienten qualitativ zu erheben.

Neben der methodischen sowie inhaltlichen Weiterentwicklung der Kurzskala RDT ist ebenso die Partizipation von MgB am Erhebungsprozess zu stärken. Wie bereits in Abschnitt 9.1 (s. S. 399) aufgezeigt, ist die quantitative Befragung in dem Stufenmodell der Partizipation von Wright, Block & Unger (2010) lediglich einer Vorstufe der Partizipation zuzuordnen (ebd.). Um eine höhere Partizipationsstufe in der Erhebung Digitaler Teilhabe zu erreichen, bedarf es der Weiterentwicklung der Kurzskala RDT von MgB in der Eingliederungshilfe als Erhebungsinstrument zur Selbsteinschätzung (Fragestellung C). Hierfür eignet sich die Übersetzung des Fragebogens in Leichte Sprache sowie die Durchführung von Pretests mit MgB mit unterschiedlichen geistigen Beeinträchtigungsgraden. Abhängig von den Ergebnissen kann aufgezeigt werden, inwiefern das entwickelte EIDT3 bzw. die Kurzskala RDT dazu beitragen kann, die realisierte Digitale Teilhabe aus Nutzersicht zu erheben. Um herauszufinden, wie sich Digitale Teilhabe anderer Zielgruppen mit und ohne Beeinträchtigung durch das EIDT3 bzw. die Kurzskala RDT abbilden lässt), wäre die Wiederholung der vorliegenden quantitativen Befragung mit weiteren Stichproben der benannten Zielgruppen notwendig, um einen Vergleich zu ermöglichen.

Wie bereits in Abschnitt 2.1 (s. S. 9) verdeutlicht, ist die Erfassung einer geistigen Beeinträchtigung durch ihre Komplexität innerhalb eines sozialen Konstrukts erschwert. Dies gilt auch für die Be-trachtung der epidemiologischen Charakteristika, denn bei einer geistigen Beeinträchtigung wer-den nicht nur medizinische Kriterien als Wirkursache betrachtet (Neuhäuser & Steinhausen 2013). Zur medizinischen Einordnung einer geistigen Behinderung, wurden in der ICD-10 die Schlüssel F70.0–F73.0 als Einordnungsinstrument definiert. Hier wird das Vorhandensein von beschreibbaren kognitiven Ressourcen anhand des IQ bei Erwachsenen als leichte, mittelgradige, schwere und schwerste Intelligenzminderung klassifiziert (WHO 2005). Je höher der individuelle Schweregrad, desto verlangsamter bzw. eingeschränkter erfolgen kognitive Prozesse wie Denken, Lernen sowie Abstrahieren und stellen dadurch eine alltägliche Herausforderung dar. Mit ihr gehen eine verringerte Anpassungsfähigkeit an Veränderungen einher sowie eine eingeschränkte Fähigkeit, sich verbal oder schriftlich mitzuteilen. Mit der Zunahme des Schweregrades nimmt ebenso das Erinnerungsvermögen, die Fähigkeit der Ausübung von Tätigkeiten sowie die Fähigkeit der Kommunikation mit dem sozialen Umfeld ab (Al-Abtah et al. 2015; Lingg & Theunissen 2018).

Die Teilnehmenden der Reflexionsformate als auch die der Prüfgruppe haben eine leichte bis mittelgradige geistige Beeinträchtigungen. Daher ist es von großer Bedeutung zu prüfen, wie die Ergebnisse auf Menschen mit schweren bzw. schwersten geistigen Beeinträchtigungen übertragen werden können. Es ist notwendig, die besonderen Bedarfe dieser Zielgruppe in Bezug auf Digitale Teilhabe zu erforschen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die verschiedenen Ausprägungen geistiger Beeinträchtigungen und entsprechenden Anforderungen an Digitale Teilhabe in der Folgeforschung noch einmal stärker in den Fokus zu nehmen. Dementsprechend ist die Fragestellung D durch die Durchführung weiterer Reflexionsformate mit Menschen mit einer schweren oder schwersten geistigen Beeinträchtigung zu beantworten, wobei eine methodische Anpassung hinsichtlich der besonderen Bedürfnisse der Kommunikation notwendig ist.

Zusammenfassend sollte der gesamte Entwicklungs- und Implementationsprozess praxisorientiert und somit langfristig sowie verstetigt gestaltet werden. Dabei geht es vor allem darum, den Diskurs des Themas Digitale Teilhabe anzuregen sowie mögliche Herausforderungen in der Umsetzung zu identifizieren und zu berücksichtigen. Der Nachweis der Wirksamkeit der Teilhabeförderung an, durch und in digitale(n) Technologien spielt eine tragende Rolle, um einerseits Mehrwerte wissenschaftlich zu belegen und transparent zu machen sowie andererseits Finanzierungsmöglichkeiten zu begründen und Fördermaßnahmen in der Eingliederungshilfe zu verankern und zu verstetigen.

Weitere Forschung zur Digitalen Teilhabe von MgB im Rahmen der Eingliederungshilfe sollte anwendungsbezogen durchgeführt werden. Dabei sollten die gesetzlichen Bestimmungen und Prozesse der Teilhabeplanung berücksichtigt werden. Damit zusammen hängen auch die datenschutzrechtlichen Vorgaben, die Beschäftigte der Eingliederungshilfe und betreute Klienten bei der Planung und Umsetzung von Interventionsmaßnahmen tangieren. Ebenso ist die transdisziplinäre Ausrichtung künftiger Forschungsprojekte von Bedeutung, um vor allem Fördermaßnahmen für Digitale Teilhabe disziplinspezifisch und disziplinübergreifend zu entwickeln. Neben Vertretenden wissenschaftlicher Disziplinen, wie den Gesundheits-, Sozial- sowie Rehabilitationswissenschaften, der Sonderpädagogik und der Sozialen Arbeit, sind ebenso Vertretende aus der Praxis in die weitere Forschung zu Digitaler Teilhabe einzubinden. Hierzu zählen Mitarbeitende mit und ohne Leitungsfunktion, die entweder direkt mit Klienten arbeiten oder an der Organisationsentwicklung beteiligt sind, damit auch die identifizierten umweltbezogenen Einflussfaktoren Digitaler Teilhabe angemessen berücksichtigt werden können.

10.2 Praxis

Über die Forschungsempfehlungen hinaus sind auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit auch Empfehlungen für die Praxis der Eingliederungshilfe zur Schaffung und Sicherung Digitaler Teilhabe von MgB abzuleiten. Adressaten dieser Empfehlungen sind somit Entscheidungsträger, Mitarbeitende in der Eingliederungshilfe und weitere Akteure, die eine relevante Rolle in der Ausgestaltung Digitaler Teilhabe spielen.

10.2.1 Verankerung von Digitaler Teilhabe in Strukturen der Eingliederungshilfe

Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die fortschreitende Digitalisierung die Lebensbereiche verändert und das Leben der MgB auf verschiedene Arten und Weisen beeinflusst. Die Digitalisierung ist damit ein fester Bestandteil aller Lebensbereiche und sollte daher als Gegenstand der Teilhabe in den Strukturen der Eingliederungshilfe verankert werden. Im Fokus steht dabei die multidimensionale Betrachtung Digitaler Teilhabe, die über die Ermöglichung und Stärkung der beiden bislang zumeist fokussierten Säulen „Zugang zu digitalen Technologien“ und „Nutzung digitaler Technologien“ hinausgeht. Da Digitale Teilhabe der Klienten in der Eingliederungshilfe von der organisationalen Struktur, primär von der digitalen Infrastruktur der Angebote und Dienste abhängig ist, gilt es, Möglichkeiten des Zugangs zu digitalen Technologien langfristig bereitzustellen, um eine Grundlage für Digitale Teilhabe zu schaffen. Hierzu gehört zum einen die Bereitstellung eines Internetzugangs für private und einrichtungsbezogene Tätigkeiten und zum anderen der Zugang zu verschiedener Hard- und Software. Auch bzgl. der „Nutzung digitaler Technologien“ ist die Auseinandersetzung der Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe mit den Herausforderungen und Chancen für MgB notwendig, um eine kompetente und individuelle Teilhabebegleitung, vor allem im Sinne sozialer Unterstützung, leisten zu können, die einen zweiten einflussnehmenden organisationalen Strukturfaktor darstellt. Über diese Faktoren hinaus bieten die aufgezeigten Einflussfaktoren des MDT4 eine Grundlage dafür, Digitale Teilhabe ganzheitlich zu betrachten.

Die Betrachtung Digitaler Teilhabe und der Einflussnahme verschiedener Faktorenebenen geht dabei über die Teilhabe an digitalen Technologien hinaus und umfasst ebenso, wie MgB in und durch digitale(n) Technologien sozial bzw. gesellschaftlich teilhaben können. Zur Stärkung Digitaler Teilhabe ist es demnach wichtig, die Bedarfe und Bedürfnisse des Klienten bzgl. der Teilhabe an, durch und in digitale(n) Technologien, aber auch die Auswirkungen auf Mitarbeitende sowie die Organisation während der Planungs- und Einführungsprozesse von digitalen Technologien in der Eingliederungshilfe abzuschätzen und zu berücksichtigen. Hierfür bedarf es einer Analyse, die verschiedene Kompetenzen vereint. Neben technischen Kompetenzen (Bereich IT-Entwicklung und IT-Support) braucht es (1) Mitarbeitende mit Kenntnissen über bestehende Prozesse, Aktivitäten und Rahmenbedingungen in der Eingliederungshilfe (Unternehmensentwicklung/Qualitätsmanagement o. Ä.), (2) Leitungskräfte, die den Prozess unterstützen, (3) Mitarbeitende in der Teilhabearbeit, die Kenntnisse über die betroffenen Klienten haben sowie (4) Klienten, die als Nutzende der Angebote und Dienste tangiert werden.

Die entwickelten Definitionen Digitaler Teilhabe in einfacher bzw. Leichter Sprache (DDT-ES bzw. DDT-LS2) sowie das MDT4 legen einen Grundstein, um ein geeintes Verständnis Digitaler Teilhabe in der Teilhabeplanung zu verankern. Darüber hinaus wird die aus dem EIDT3 extrahierte Kurzskala RDT den Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe zur Anwendung zur Verfügung gestellt, um diese bei der Bedarfs- und Bedürfnisanalyse im Rahmen der Teilhabeplanung heranzuziehen und die Umsetzung Digitaler Teilhabe der Klienten zu unterstützen.

10.2.2 Schaffung einer offenen Veränderungs- und Lernkultur

Zur Umsetzung der Verankerung von Digitaler Teilhabe bedarf es jedoch einer offenen Veränderungs- und Lernkultur. Wenn die Digitalisierung verschiedener Lebensbereiche und somit auch die Teilhabemöglichkeiten verändert werden sollen, müssen auch die Strukturen und die Kultur der Eingliederungshilfe bewusst gestaltet werden. Grundlegend gilt es sowohl bei Mitarbeitenden mit Leitungsfunktion als auch bei Mitarbeitenden mit direktem Klientenkontakt Offenheit für Veränderungen der Arbeit in der Eingliederungshilfe und für das Thema Digitale Teilhabe zu schaffen. Hierfür können Verantwortliche für die Organisationsentwicklung ihre Offenheit sowie eine nutzer- und ressourcenorientierte Perspektive auf die Thematik an die weiteren Mitarbeitende kommunizieren und ausreichend Raum für kritische Rückmeldungen, Meinungen, Erfahrungsaustausche, Wissensaneignung und Partizipation zur Mitgestaltung sowie -bestimmung schaffen. Dabei können die hier vorliegenden Ergebnisse Orientierung bieten. Durch eine offene und transparente Herangehensweise sowie die Bereitstellung von Partizipationsmöglichkeiten kann das aufgezeigte bislang eher eindimensionale Verständnis Digitaler Teilhabe auf Seiten der Mitarbeitenden erweitert und so die Motivation und Kompetenz in der Umsetzung von Leistungen Digitaler Teilhabe gefördert werden.

Zur erfolgreichen Umsetzung ist eine langfristige Strategie für Digitale Teilhabe erforderlich, die zum einen Möglichkeiten und Herausforderungen aufzeigt und zum anderen die Umsetzung struktureller Veränderungsmaßnahmen und Evaluationsverfahren umfasst. Die Umsetzung der Strategie für Digitale Teilhabe bedarf einer umfassenden Ressourcenplanung, die auf spezifische Ressourcen der Zielgruppe MgB sowie die Bedürfnisse der Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe zugeschnitten ist. Entsprechend ist die Bereitstellung von finanziellen und personellen Ressourcen unabdingbar.

Darüber hinaus ist für die Weiterentwicklung des Themenfelds Digitaler Teilhabe eine offene Lernkultur in der Eingliederungshilfe notwendig. So sollte ausreichend Zeit für Mitarbeitende zur Verfügung gestellt werden, um sich zum einen mit Fördermöglichkeiten Digitaler Teilhabe auseinanderzusetzen und sich zum anderen Kompetenzen in der Begleitung hinsichtlich einzelner Themen (wie z. B. Datenschutz, Bedienung, Möglichkeiten und Herausforderung, Chancen und Risiken der Nutzung) anzueignen. Dadurch erhalten Mitarbeitende ausreichend Zeit, sich Themen zu erschließen, individuelle Bedürfnisse und Bedarfe bei den betreuten MgB zu erkennen und eine motivierte und kompetente Begleitung Digitaler Teilhabe umzusetzen. Schulungsmöglichkeiten können den Mitarbeitenden z. B. ermöglichen, ihre eigenen digitalen Kompetenzen auszubauen. Anknüpfend daran kann eine offene Lernkultur zu einem positiven und offenen Umgang mit dem Thema Digitale Teilhabe führen. Die Überlegungen sowie die Einführung von Leistungen Digitaler Teilhabe sollte entsprechend mit einer hohen Fehlertoleranz offen im Team kommuniziert werden, sodass die Mitarbeitenden einem geringeren Druck ausgesetzt sind.

Damit eine Veränderungs- und Lernkultur entsteht, muss diese unter Berücksichtigung gesetzlicher Rahmungen, die der Eingliederungshilfe zugrunde liegen, gefördert werden. Als besondere Form der gesetzlichen Bestimmungen sind Datenschutz- und Datensicherheitsbestimmungen herauszustellen, welche durch zentrale rechtliche Vorgaben geregelt und im Rahmen der DSGVO beschrieben werden (Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021). Daraus erwachsen im Zuge der Digitalisierung auch Herausforderungen für die Soziale Arbeit. Bei dem Einsatz digitaler Technologien ist dessen Voraussetzung der verantwortungsbewusste Umgang mit sensiblen bzw. personenbezogenen Daten (Pudelko & Richter 2020). Dabei müssen Mitarbeitende der Eingliederungshilfe ihrem Aufklärungsauftrag nachkommen, indem sie die Klienten umfassend über die Gefahren digitaler Technologien aufklären und damit Unwissenheit beseitigen und gleichzeitig Risikobewusstsein schaffen (DIVSI 2016). In Bezug auf Privatsphäre und Sicherheit bestehen Bedenken im Umgang mit digitalen Technologien (Shpigelman 2017), die auf Seiten der Mitarbeitenden zu einer defensiveren Haltung gegenüber der Nutzung durch Klienten führen (Heitplatz, Bühler & Hastall 2019). Somit können die Einstellung und die Haltung der Bezugspersonen das Engagement und die Bereitschaft abschwächen, wenn der Fokus auf Datenschutz und -sicherheit liegt (Chadwick, Wesson & Fullwood 2013).

Um einen kompetenten Einsatz der Kurzskala RDT in der Teilhabeplanung zu ermöglichen, bedarf es zunächst einer Orientierung in dem Angebot oder dem Dienst der Eingliederungshilfe sowie entsprechendem Wissen über gesetzliche Rahmenbedingungen auf Seiten der Mitarbeitenden. Dieses Wissen könnte durch Schulungsangebote für entsprechende Mitarbeitende aufgebaut bzw. vertieft werden.

10.2.3 Entwicklung wirksamer Interventionen zur Förderung digitaler Kompetenzen

Über die Verankerung von Digitaler Teilhabe in Strukturen der Eingliederungshilfe hinaus bedarf es der Entwicklung von Interventionen zur Förderung digitaler Kompetenzen der MgB. Sowohl bisherige Literatur (s. Abschnitt 4.4, S. 68; Abschnitt 8.1.4., S. 193) als auch die vorliegenden Ergebnisse der empirischen Studien zeigen (s. Abschnitt 9.1.5, S. 430), dass digitale Kompetenzen, insbesondere Medienkompetenzen, eine Schlüsselkomponente für den möglichst selbstständigen und souveränen Umgang mit digitalen Technologien darstellen und somit auf Digitale Teilhabe einzahlen. Vereinzelte zielgruppenspezifische Vermittlungsstrategien wurden bereits entwickelt (s. Abschnitt 5.2, S. 77), jedoch mangelt es bislang noch an Evaluationsverfahren, um deren Wirksamkeit nachzuweisen und zu überprüfen. Die entwickelte Kurzskala RDT könnte hier erste Anhaltspunkte liefern, um Digitale Teilhabe zu operationalisieren und somit eine Grundlage für Wirksamkeitsanalysen zu schaffen.

Um zu überprüfen, welche digitalen Kompetenzbereiche von MgB durch Interventionen gefördert werden können und welche nicht, gilt es zunächst, diese zu erforschen. Dies kann beispielsweise mittels randomisierter Kontrollstudie erfolgen, bei der einige die teilnehmenden MgB zufällig einer Gruppe zugeteilt werden, die eine Intervention zur Förderung eines oder mehrerer digitaler Kompetenzbereiche erhält, während die Kontrollgruppe keine Intervention erhält. Vor und nach der Intervention könnten standardisierte Tests zur Beurteilung der digitalen Kompetenzen durchgeführt werden. Ein solches Design würde ermöglichen, die Wirkung der Intervention auf die Kompetenz der Teilnehmenden zu quantifizieren und zu bewerten. Gekoppelt werden könnte die Intervention an eine qualitative Studie, bei der die Erfahrungen und Perspektiven der teilnehmenden MgB mit der oben bereits erwähnten Contextual-Inquiry-Methode nach Holtzblatt und Beyer (2015) erfasst werden, um zu vertiefen, ob und wie digitale Kompetenzbereiche von MgB gefördert werden können und welche Faktoren dazu beitragen bzw. diese behindern.

10.3 Politik

Die aufgezeigten Diskussionsfragen zu den praxisbezogenen Implikationen schaffen Anknüpfungspunkte für Handlungsempfehlungen auf der politischen Ebene. Diese beziehen sich insbesondere auf die Berücksichtigung des Themas Digitale Teilhabe in den gesetzlichen Rahmenbedingungen, das Gesamtplanverfahren sowie die Stärkung von Refinanzierungsmöglichkeiten von Teilhabeleistungen in Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe. Darüber hinaus werden Empfehlungen zur themenbezogenen Forschungsförderung, zur Regulation technischer, rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen sowie zur Stärkung des Themas in aktuellen Ausbildungs- und Weiterbildungscurricula ausgesprochen.

10.3.1 Themensensibilisierung in der Gesetzgebung, im Gesamtplanverfahren und in der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung

Die Bezugspunkte, die diverse gesetzliche Rahmenbedingungen wie die EU-Richtlinien (2016/2102; 2019/882), das BTHG (SGB IX 2019) sowie die UN-BRK (Art. 4g, 9, 21, 24, 29, 30, UN-BRK 2017) auf Digitale Teilhabe in der Eingliederungshilfe haben, wurde bereits in Abschnitt 5.2 (s. S. 77) herausgestellt. Als sozialpolitische Diskussions- und Handlungsgrundlage zum Thema Barrierefreiheit liegt der Bundesregierung zudem der Koalitionsvertrag vor, in dem Reformationen des BGG, des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes sowie des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes in Aussicht gestellt, jedoch keine Fördermaßnahmen für Digitale Teilhabe thematisiert werden (Koalitionsvertrag 2021).

Mit Blick auf den politischen Rahmen der Eingliederungshilfe und die Leistungsgestaltung ist vor allem das BTHG in den Blick zu nehmen. Um die Leistungen zur sozialen Teilhabe anschlussfähig an das Verständnis Digitaler Teilhabe zu gestalten, wäre ein politischer Diskurs zur Identifikation von Überarbeitungsbedarfen des Leistungsbereichs „Leistungen zur sozialen Teilhabe“ wünschenswert. Zur Stärkung Digitaler Teilhabe gehört demnach auch die politische Auseinandersetzung, inwiefern Unterstützungsleistungen für den Zugang und die Nutzung digitaler Technologie sowie die Teilhabe an, durch und in digitale(n) Technologien gesetzlich zugesichert werden können. Entsprechend sind Anpassungen bereits geförderter Leistungen und der Art der Leistungserstellung im Rahmen der Teilhabeplanung notwendig, um Leistungen für Digitale Teilhabe zu definieren und zu ergänzen. Mögliche Leistungen, die sich durch die identifizierten Einflussfaktoren ableiten lassen, könnten Medienkompetenztrainings für MgB sein, die zu einem möglichst kompetenten, selbstständigen und selbstbestimmten Umgang befähigen. Auch Unterstützungsleistungen geschulter Mitarbeitender hinsichtlich der Auswahl, dem Zugang oder der Nutzung digitaler Technologien oder verwandter Themen wären denkbare Leistungen Digitaler Teilhabe.

Des Weiteren sind mit Blick auf das Verfahren der Teilhabeplanung in § 117 des BTHG (2019) und auf Grundlage der Forschungserkenntnisse politische Implikationen auszusprechen. Versteht sich Digitale Teilhabe als Teil sozialer Teilhabe, ist die Identifikation von Bedürfnissen und Bedarfen des Leistungsberechtigten sowie die Feststellung von Leistungsbedarfen im Gesamtplanverfahren auch mit Blick auf Digitale Teilhabe durchzuführen. Dies würde zum einen die konzeptionelle Erschließung des Themas Digitale Teilhabe durch den Leistungserbringenden in der Eingliederungshilfe voraussetzen und zum anderen die konsequente Berücksichtigung Digitaler Teilhabe bei der Bedarfsermittlung nach § 118 des SGB IX (2019) bedeuten. Mit der Verankerung von Leistungen zur Digitalen Teilhabe in das Gesamtplanverfahren wird ebenso die Leistungsausweitung in der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung notwendig.

Für die kompetente und umfassende Teilhabeplanung sowie -beratung zur Ermittlung von Bedarfen hinsichtlich Digitaler Teilhabe ist nicht zuletzt die Entwicklung von Konzepten zu Schulungs- sowie Sensibilisierungsmaßnahmen für Planungs- und Beratungspersonal unverzichtbar.

10.3.2 Stärkung von Refinanzierungsmöglichkeiten von Teilhabeleistungen

Wenn auch der aktuelle Teilhabebericht die Thematik Refinanzierung anschneidet und finanzielle Unterstützungsbedarfe von Klienten bei der Nutzung digitaler Technologien betont, bleiben Fragen bzgl. der Refinanzierung angepasster Teilhabeleistungen offen, die sich auf Digitale Teilhabe beziehen. Bisherige gesetzliche Regularien liefern lediglich erste Anhaltspunkte zur Abrechnung von Leistungen (z. B. über Fachleistungsstunden), sodass der Diskurs hierüber sowie die Verankerung gesetzlich geregelter Refinanzierungsmöglichkeiten von Fördermaßnahmen in den Angeboten und Diensten der Eingliederungshilfe (wie z. B. Bereitstellung von Infrastruktur und Assistenzsystemen, Kompetenzschulungen, Beratungen und individuelle Begleitung bei der Teilhabe an, durch und in digitale[n] Technologien) als politische Implikation festgehalten werden kann.

Die Realisierung Digitaler Teilhabe basiert auf einer technischen Ausstattung, dessen bedarfsgerechter Zugang derzeit nicht final geklärt ist. Bislang werden die damit zusammenhängenden Kosten in den Kostensätzen der Eingliederungshilfe nicht berücksichtigt. Entsprechend wird das Potenzial digitaler Teilhabeleistungen nicht ausgeschöpft, das heißt, Teilhabeleistungen beruhen vermutlich auf der Freiwilligkeit des Einzelnen oder werden lediglich durch Einsparungen anderer Leistungen finanziert.

Wie bereits in den Forschungsimplikationen erwähnt, bedarf es weiterer Evidenz, um die Frage zu beantworten, mit welchen Maßnahmen Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe gefördert werden kann. Hierfür können Fördermaßnahmen für Digitale Teilhabe als Leistungen im Rahmen von Projekten erprobt und bei nachgewiesener Wirksamkeit im Gesamtplanverfahren als optionale Leistung verankert werden. Die Entscheidung zur Finanzierung von Teilhabeleistungen kann entsprechend anhand von Kosten- und Effektivitätsanalysen zu den entwickelten Fördermaßnahmen getroffen werden.

Der Diskurs hierüber sowie die Verankerung gesetzlich geregelter Refinanzierungsmöglichkeiten von Fördermaßnahmen, z. B. über die Aufnahme entsprechender Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen im SGB IX, würden dabei zum einen den Mitarbeitenden Orientierung geben für die Ausgestaltung Digitaler Teilhabe und zum anderen Klienten Möglichkeiten eröffnen, Leistungsbedarfe bzgl. Digitaler Teilhabe zu decken.

10.3.3 Stärkung themenbezogener Forschungsförderung

Eine Möglichkeit, die Evidenzbasis zu Leistungen Digitaler Teilhabe (entlang der zuvor beschriebenen Empfehlungen) auszuweiten, ist der Ausbau der Forschungsförderung in diesem Themenfeld. So könnten neben den Fördermöglichkeiten über Stiftungen auch die verschiedenen Bundesministerien (z. B. Bundesgesundheitsministerium, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Bundesministerium für Bildung und Forschung) ihre Förderausschreibungen weiter priorisieren oder themenspezifische Ideenwettbewerbe und Förderschwerpunkte initiieren. Sinnvoll wäre an dieser Stelle auch die Schaffung einer digitalen Transferplattform, die Forschungsförderer sowie Personen aus Wissenschaft und Praxis zum Thema Digitale Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe zusammenbringt und den transdisziplinären Austausch fördert. Auch Start-Up- oder etablierte IT-Unternehmen, die sich in der Entwicklung technologischer Innovationen befinden, sollte der Zugang hierzu ermöglicht werden, um barrierefreie und an verschiedenen Bedürfnissen und Bedarfen orientierte digitale Technologien zu entwickeln. Gleichzeitig könnte eine solche Plattform auch geförderte Projekte (im Sinne von Good- oder Best-Practice) publik machen, dem Transfer von Forschungsergebnissen aus der Wissenschaft in die Praxis dienen und die notwendige Qualität der Wissenschaftskommunikation erhöhen.

10.3.4 Regulation technischer, rechtlicher und ethischer Rahmenbedingungen

Die Einführung und Nutzung digitaler Technologien in der Eingliederungshilfe bedarf klar strukturierter Rahmenbedingungen auf der Makroebene, um einen kompetenten, rechtlich und ethisch konformen Einsatz zu gewährleisten. Der Gesetzgeber muss einen klaren Rahmen für die Einführung und Nutzung digitaler Technologien in der Eingliederungshilfe schaffen. Dabei ist nicht nur der Schutz der MgB als Privatpersonen bedeutsam, sondern auch der Schutz der Mitglieder bzw. Mitarbeitenden der Eingliederungshilfe als Organisation, deren Rechte (unter anderem im Rahmen des Beschäftigtendatenschutzes) gewahrt werden müssen. Besonders bei innovativen Technologien (z. B. bei dem Einsatz von Algorithmen) besteht zum Teil noch keine umfassende bzw. klare Rechtsprechung bezüglich des Datenschutzes und der Datensicherheit.

Insgesamt wird der Arbeitsalltag von Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe im Zuge der Digitalisierung von neuen Arbeits- und Kompetenzanforderungen geprägt. Diese werden angesichts der heterogenen Gruppe der Klienten mit verschiedener Technikaffinität, -erfahrung, Bedarfen und Bedürfnissen zur Umsetzung Digitaler Teilhabe individuell gefordert (Pudelko 2021). Dementsprechend lässt sich festhalten, dass die Umsetzung Digitaler Teilhabe nicht ausschließlich in der Einhaltung formaler Rechtsvorschriften zum Datenschutz bestehen kann. Vielmehr müssen die Mitarbeitenden die Klienten über die Sicherheit ihrer persönlichen Daten in einem entsprechenden Rahmen informieren, um mögliche Risiken aufzuzeigen (ebd.). Die Klienten zu einer informierten Entscheidung zu befähigen, bedarf entsprechender Vermittlungskompetenzen und wird somit zur Herausforderung in der Arbeit mit Klienten auf Seiten der Mitarbeitenden in der Eingliederungshilfe (ebd.).

Die Anforderungen des Datenschutzes sorgen zudem aus ethischer Perspektive für große Spannungen, da die datenschutzrechtlichen Anforderungen das Nutzungsverhalten hinsichtlich digitaler Technologien häufig konterkarieren. Um diese Spannungen zu lösen, ist eine Diskussion ethischer, rechtlicher und sozialer Implikationen sowohl mit Blick auf die Datennutzung zur Versorgungsoptimierung als auch mit Blick auf den Schutz der Privatheit sowie der informationellen Selbstbestimmung in der Eingliederungshilfe unverzichtbar (Pudelko & Richter 2020; Pudelko 2021). Mit Blick auf geeignete ethische Rahmenbedingungen ist vor allem die zuvor erwähnte Schaffung eines gerechten Zugangs zu digitalen Technologien von Bedeutung. Hier können die an Bedarfe und Bedürfnisse der MgB angepassten Schulungsangebote und Austausche den Kompetenzerwerb fördern, der für eine ethisch geforderte, möglichst hohe Selbstbestimmung und Selbstständigkeit im Umgang mit digitalen Technologien notwendig ist.

10.3.5 Stärkung des Themas Digitale Teilhabe im Aus-, Fort- und Weiterbildungscurriculum

Durch gesetzliche und strukturelle Veränderungen von Digitaler Teilhabe in der Eingliederungshilfe, ist auch eine Revision im Aus-, Fort- sowie Weiterbildungsbereich von großer Bedeutung, um angehenden Fachkräften ein entsprechendes Verständnis und eine fundierte Basis an digitalen Fähigkeiten zu vermitteln. Eine Stärkung des Themas Digitale Teilhabe im Ausbildungscurriculum kann dazu beitragen, die Auszubildenden auf die Anforderungen in der Eingliederungshilfe vorzubereiten und ihnen die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln, um diese Herausforderungen zu meistern. Ebenso sollten Fort- und Weiterbildungsstrukturen geschaffen werden, um ausgebildeten Mitarbeitenden die (Weiter-)Entwicklung notwendiger Kompetenzen zu ermöglichen. Hierzu gehören einerseits eigene digitale Kompetenzen im verantwortungsbewussten Umgang mit digitalen Technologien sowie Kenntnisse über Datenschutz bzw. -sicherheit sowie digitale Ethik. Andererseits sollten auch Kompetenzen in der Vermittlung von Wissen bzgl. der Nutzung digitaler Technologien und in der Anleitung des Umgangs mit diesen in den Aus-, Fort- sowie Weiterbildungscurricula thematisiert werden.

Ob die Verankerung der Thematik Digitale Teilhabe in Ausbildungs- sowie Weiterbildungscurricula bereits ausreichend erfolgt oder vertieft werden muss, gilt es im bildungspolitischen Kontext weiter zu diskutieren. Erste Diskussionen im Rahmen der Sozialpolitik unterstreichen den aufgezeigten Handlungsbedarf. So betont die Aktion Mensch e. V. in ihrer Trendstudie angesichts der Veränderungen des Arbeitsfeldes Eingliederungshilfe die Notwendigkeit von Aus-, Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten zu aktuellen Themen wie Digitale Teilhabe und digitale Kompetenzen (Borgstedt & Möller-Slawinski 2020; Przybylski & Schlebusch 2022).

Abschließend lässt sich festhalten: Die Thematisierung und Diskussion der Digitalen Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe ist zweifelsohne bedeutsam, da digitale Technologien bereits zahlreiche Lebensbereiche durchdrungen haben und Teilhabemöglichkeiten sich somit weiter verändern werden. Für die Angebote und Dienste der Eingliederungshilfe wird Digitale Teilhabe somit verstärkt in den Fokus rücken. Für Mitarbeitende der Eingliederungshilfe bedeutet dies, dass digitale Kompetenzen immer wichtiger werden. Mitarbeitende sollten über Kenntnisse im Umgang mit digitalen Technologien verfügen, um diese in der Arbeit mit Klienten sinnvoll einsetzen zu können.

Einen verbindlichen Rahmen für Digitale Teilhabe in der Eingliederungshilfe können gesetzliche Regularien zu Teilhabeleistungen und Verordnungen zum Datenschutz geben.

Die Ergebnisse dieser Dissertation zeigen auf, dass Digitale Teilhabe sowohl bei Mitarbeitenden als auch Klienten thematisiert wird, jedoch in einem überwiegend eindimensionalen Verständnis. Um Digitale Teilhabe in Angeboten und Diensten multidimensional zu betrachten, fehlt es an Orientierungspunkten, die sowohl bei der Teilhabeplanung als auch bei der (Weiter-)Entwicklung von Angeboten und Diensten herangezogen werden können. Mit der hier beschriebenen Entwicklung von Definitionen (in wissenschaftlicher, einfacher und Leichter Sprache), eines Modells sowie eines Erhebungsinstruments Digitaler Teilhabe von MgB in der Eingliederungshilfe wird eine Grundlage für die konzeptionelle Auseinandersetzung geschaffen. Darüber hinaus werden Ansatzpunkte zur Identifikation von individuellen Bedürfnissen und Bedarfen hinsichtlich Digitaler Teilhabe sowie zur deren Messung und Überprüfung gegeben.

Abschließend ist festzustellen, dass die digitale Transformation in gesellschaftlicher Verantwortung zu gestalten und sicherzustellen ist. Dabei ist die Menschlichkeit stets in den Mittelpunkt zu stellen, um eine zukunftsfähige und erfüllende Gesellschaft zu schaffen. Um es mit den Worten von Georg Christoph Lichtenberg zu sagen:

„Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird.

Ich weiß nur, dass es anders werden muss, damit es besser wird.“