Im vorherigen Kapitel wurde auf die Notwendigkeit einer stoffdidaktischen Methode hingeführt. In diesem Kapitel soll nun die didaktisch orientierte Rekonstruktion als Methode dargestellt werden. Dafür werden zunächst die Zielsetzung der Methode und die einzelnen Schritte der Didaktisierung aufgeführt und theoretisch fundiert. Anschließend wird der rekonstruierende Teilprozess der Methode beschrieben und theoretisch begründet. Im Anschluss daran wird die Methode als Ganzes reflektiert und legitimiert.

5.1 Methodische Grundlagen

Bigalke (1974) versteht unter einer Methode „ein mehr oder weniger planmäßiges Verfahren, das angewandt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen“ (S. 112) und nennt als eines der Ziele die „Elementarisierung der höheren Mathematik und Elementarmathematik vom höheren Stand“ (S. 112). Die Methode in diesem Fall orientiert sich an den Aspekten des Elementarisierens von Kirsch (2000, S. 268), welche er in seinem Plenarsvortrag bei der ICME 3 vorstellte und dadurch der breiten Masse zugänglich machte. Arnold Kirschs wichtigstes Anliegen war es, „Lernenden mathematische Gegenstände (Begriffe, Verfahren, Methoden, Resultate) einzeln und in größeren Einheiten so zugänglich zu machen, dass sie ‚Mathematik wirklich verstehen‘ können“ (Biehler & Blum, 2016).

Kirsch sah als eines der Hauptprobleme bei der Diskussion um Curricula das Auswählen und Begründen des Themas und benennt als eine der Erwartungen an Lehrkräfte, dass sie Stoff vereinfachen bzw. elementarisieren können. Seine Kernaussage ist, dass Simplification ein Prozess zum Zugänglichmachen ist. Dabei adressierte er auch die Problematik der Entscheidung, wann etwas nach einer Elementarisierung einfacher zu verstehen ist. Auf Seiten der Lehrkraft kann eine Verzerrung möglich sein, weil sie/er der Meinung sein könnte, dass etwas schwierig ist, weil es neuer Stoff ist. Auf Seiten der Schüler*in könnte es zu Schwierigkeiten kommen, weil Stoff beziehungsweise Sachverhalte vorenthalten wurden und somit eine Verzerrung entsteht. Kirsch wollte dadurch die methodischen Schwierigkeiten bei der Entwicklung allgemeiner und doch ausreichend präziser Konzepte in der Wissenschaft der Didaktik der Mathematik verdeutlichen (Kirsch, 2000, S. 267 f.).

Kirsch (2000, S. 281) war der Ansicht, dass die Aspekte des Elementarisierens hauptsächlich dazu da sind, Erfahrungen und Gedanken zum Lehren von Mathematik zu organisieren und als Objekte innerhalb theoretischer Studien zu strukturieren. Diese Aspekte können aber auch zur Organisation, zur Standardisierung und zur Stimulation von Forschung in der Mathematikdidaktik genutzt werden. Folgende Aspekte benennt Kirsch:

  • Mathematischer Kern des Inhalts

  • Integration der Bezugsysteme

  • Benötigtes Vorwissen

  • Verschiedene Darstellungsebenen

    (Kirsch, 2000)

Darüber hinaus hält Kirsch fest, dass es noch weitere Elemente gibt, um einen mathematischen Gegenstand zu elementarisieren. Seine Beschreibung hatte keine vorrangig wissenschaftliche Intention. Kirsch (2000, S. 268) wollte mathematische Gegenstände so elementarisieren, dass sowohl Lehrkräfte als auch Schüler*innen diese besser verstehen. Den Prozess der Elementarisierung, also wie der Prozess einer didaktisch orientierten Sachanalyse wissenschaftlich systematisiert dargestellt werden kann, beschreibt er dabei nicht.

Deshalb wird hier der Versuch unternommen, die Aspekte des Vereinfachens zu systematisieren und zu aktualisieren, weil es seit Kirschs Vortrag entscheidende konzeptuelle Weiterentwicklungen (z. B. Grundvorstellungen, Einordnung in Leitideen) gab.

Aus heutiger Sicht würde man dies, wie Biehler und Blum (2016) formulieren, didaktische bzw. didaktisch orientierte Rekonstruktion nennen.

Arnold Kirschs Arbeiten zielten darauf ab, mathematische Gegenstände so aufzubereiten, dass natürliche Zugänge, wesentliche Grundvorstellungen und typische Arbeitsweisen sichtbar werden und sich idealtypische Lernsequenzen herauskristallisieren, sowohl zu einzelnen Themen (z. B. zu ganzen Zahlen, proportionalen Funktionen oder dem Integralbegriff [...]) als auch zu ganzen Stoffgebieten (z. B. zu den Funktionen, der Geometrie oder der Analysis) oder zu Arbeitsmethoden (z. B. zum Beweisen oder Modellieren). [...] Diese Lernsequenzen müssen nicht der tatsächlichen Entstehungsgeschichte der Gegenstände entsprechen, aber sie sollen mit didaktischer Intention so rekonstruiert werden, dass die Lernenden einen tiefen Einblick in die jeweiligen mathematischen Themen, Stoffgebiete oder Arbeitsmethoden bekommen. (Biehler & Blum, 2016, S. 2)

Das oben genannte Zitat definiert eine didaktisch orientierte Rekonstruktion, welche auf Lernsequenzen fokussiert. Diese sollen mit didaktischer Intention rekonstruiert werden, damit Verständnis von mathematischen Themen, Stoffgebieten oder Arbeitsmethoden erzeugt wird. Biehler und Blum (2016, S. 2) beziehen dies auf Lernsequenzen. In dieser Arbeit wird allerdings bereits ein Schritt vor den Lernsequenzen angesetzt. Wie in Kapitel 4 beschrieben, werden bei der Konzeptualisierung von Modellen (hier: Wissensmodelle) didaktischen Vorentscheidungen getroffen. Diese didaktische Vorentscheidungen werden im späteren Verlauf, insbesondere bei der Zielsetzung, eine Rolle spielen. Eine didaktische Vorentscheidung ist, sich auf die Strukturierung von Wissenselementen zu beziehen. Die didaktische Intention ist u. a. dadurch gegeben, dass eine bestimmte Zielgruppe in den Fokus gerückt wird.

Die Vorgehensweise dieser Methodik folgt den Aspekten in der Hinsicht, dass sie strukturgebend ist. Dabei werden diese Aspekte aktualisiert, indem weitere (didaktische) Konzepte, die in den letzten Jahrzehnten etabliert wurden, hinzugefügt werden. Im Folgenden werden die einzelnen Schritte beschrieben, indem diese durch theoretische Bezüge begründet und mögliche Ergebnisse aufgelistet werden. Im Anschluss an die Beschreibung der einzelnen Schritte wird die gesamte Vorgehensweise erläutert.

Wie in Abbildung 5.1 mit den Pfeilen angedeutet, finden zwei Teilprozesse innerhalb der didaktisch orientierten Rekonstruktion statt. Ausgehend von einer Zielsetzung unter Betrachtung einer Zielgruppe und einer möglichen Einteilung des größeren mathematischen Inhaltsbereichs in kleinere Bereiche, bedeutet der Durchlauf der fünf Schritte eine Didaktisierung eines mathematischen Inhalts (Pfeil nach unten).

Im Anschluss an die Didaktisierung erfolgt die Rekonstruktion (Pfeil nach oben). Die aufgeführten Ergebnisse der Didaktisierung werden genutzt, um das gesetzte Ziel zu erreichen. In diesem Beispiel geht es um die Strukturierung von Wissensinhalten für eine spezifische Zielgruppe. Die Didaktisierung kann einen Überblick über die Struktur des mathematischen Inhalts unter Berücksichtigung der didaktischen Elemente verschaffen. Sie wird durch eine Adaption der didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann et al. (1997) durchgeführt.

Abbildung 5.1
figure 1

Didaktisch orientierte Rekonstruktion basierend auf Kirschs (1976) Aspekten des Elementarisierens. Die einzelnen Schritte sind durchnummeriert und strukturgebend. Der Pfeil nach unten zeigt die fortschreitende Didaktisierung. Der Pfeil nach oben symbolisiert die Rekonstruktion abhängig von Ziel und Zielgruppe

Beschreibung der Vorgehensweise der Zielsetzung

Schon Klein (1933, S. 2) geht von einer didaktischen Vorentscheidung aus, indem er die mathematischen Gegenstände behandelt, die für die Zielgruppe wichtig sind. Auch Griesel (1974) macht eine Elementarisierung abhängig vom „geistigen Entwicklungsstand des Lernenden“ (S. 117). In dieser Zielsetzung sollen das gewünschte Endprodukt (z. B. Wissen, Lernsequenzen, etc.) sowie die Zielgruppe benannt werden (s. Abb. 5.1).

Je nach Größe des mathematischen Inhalts kann dieser in kleinere Bereiche eingeteilt werden. Anschließend gibt es, je Teilbereich, einen Durchlauf der Schritte 1 bis 5 der Didaktisierung. In der Rekonstruktion werden die Ergebnisse der Didaktisierung der Zielsetzung gegenübergestellt, um Erkenntnisse über elementarisiertes akademisches Wissen gewinnen zu können.

5.2 Beschreibung der Vorgehensweise einer Didaktisierung

Im Folgenden wird die Vorgehensweise der Didaktisierung innerhalb der didaktisch orientierten Rekonstruktion dargestellt. Dabei wird zunächst die theoretische Grundlage der Struktur beschrieben und anschließend werden die fünf Schritte der Vorgehensweise beschrieben. Die Vorgehensweise dieser Methodik folgt den Aspekten in der Hinsicht als dass sie strukturgebend sind. Dabei wurden diese Aspekte durch das Hinzufügen weiterer (didaktischer) Konzepte aktualisiert, die in den letzten Jahren etabliert wurden. Im folgenden werden die einzelnen Schritte beschrieben, indem diese durch theoretische Bezüge einerseits begründet und andererseits mögliche Ergebnisse aufgelistet werden (siehe Abbildung 5.2). Auch Kirsch (1977) unternahm eine Unterordnung hinsichtlich lerntheoretischer Aspekte. Er betonte aber, dass die folgenden mathematischen Aspekte des Zugänglichmachens nicht aus lerntheoretischen Ansätzen abgeleitet werden können.

Abbildung 5.2
figure 2

Überblick über den Teilprozess Didaktisierung. Diese Didaktisierung verläuft in Schritten 1–5. Jeder Schritt wird durch einen fett gedruckten Titel ausgedrückt. In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage des jeweiligen Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

In Schritt 1 wird der mathematische Inhalt losgelöst von der Genetisierung und den Anwendungsmöglichkeiten betrachtet. Es sollen zentrale Konzepte, fundamentale Strukturen, Eigenschaften, Definitionen, Sätze sowie Beweise und Beweisideen angegeben werden. In Schritt 2 werden mögliche Bezugssysteme des mathematischen Inhalts mit einbezogen, sodass Anwendungsmöglichkeiten und auch die historisch-genetische Entwicklung beschrieben werden. Ab Schritt 3 werden didaktische Überlegungen angestellt. Die Zielgruppe wird betrachtet und anhand dessen das benötigte Vorwissen angegeben. In Schritt 4 werden verschiedene Darstellungsebenen betrachtet und benötigte Grundvorstellungen angegeben. Bei den Grundvorstellungen können nicht nur vorher bestehende Grundvorstellungen aus Literatur angegeben werden, sondern auch auf neue Grundvorstellungen hinweisen, obwohl Grundvorstellungen nicht im Fokus dieser Arbeit stehen. In Schritt 5 werden weitere grundlegende didaktische Konzepte integriert. Hier bietet sich eine Erweiterung durch spezifische auf den entsprechenden Teilbereich ausgerichtete didaktische Konzepte an. Für den Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung sind Wahrscheinlichkeitsbegriffe ein Beispiel für grundlegende didaktische Konzepte.

Im Anschluss daran wird die Rekonstruktion als Teilprozess der didaktisch orientierten Rekonstruktion dargestellt, indem die Ergebnisse der Didaktisierung genutzt werden, um elementarisiertes akademisches Wissen zu identifizieren.

Schritt 1: Mathematischer Kern des Inhalts

This aspect corresponds to the view that mathematics in its most mature form, that is, mathematics in the narrowest sense of the world, stripped of all genetic elements and connections with reality, is the simplest mathematics. (Kirsch, 2000, S. 268)

Kirsch (2000, S. 268) führt mit dieser Aussage an, dass die Mathematik in ihrer reinsten Form die simpelste Mathematik ist. Die reine Form zeichnet sich durch das „Abstreifen aller genetischen Elemente und Realitätsbezüge aus“ (Kirsch, 1977, S. 151). Unter diesem Aspekt werde das Herausarbeiten der Kernbegriffe, Verallgemeinerungen sowie Abstraktion der grundlegenden Strukturen betrachtet.

Kirsch beschreibt außerdem die Problematik, dass mathematische Eigenschaften im Schulkontext als Definitionen genutzt werden und fordert, dass diese zunächst erklärt werden, um den Kern eines Konzepts deutlich zu machen. Der Kern eines Konzeptes erscheint schwierig zu erfassen, lässt aber keinen subjektiven Interpretationsspielraum zu (Kirsch, 2000, S. 268 ff.).

Kirsch (2000, S. 270) betont die Relevanz der guten Wahl der genutzten Definitionen, um den mathematischen Inhalt zu elementarisieren. Durch eine Vereinfachung der deduktiven Struktur wird der Stoff nicht unbedingt zugänglicher gemacht. Vielmehr sieht Kirsch (1977) in den Aufgaben einer Lehrkraft die „Sensibilität für Unterschiede dort, wo der Mathematiker ‚keinen Unterschied‘ sieht“ (S. 152) als notwendig an. Ein Beispiel für das Weglassen deduktiver Strukturen gibt Kirsch (1977, S. 152) bei der Definition der Addition von Brüchen durch \(\frac{a}{b} + \frac{c}{d} = \dfrac{ad + bc}{bd}\) an. Hier stellt er vielmehr fest, dass sich durch die Vereinfachung deduktiver Strukturen der Grad der Zugänglichkeit verringert.

Aus Kirschs Ausführungenen lassen sich also verschiedene Elemente zum Zugänglichmachen deduzieren. In Schritt 1 soll der mathematische Kern des Inhalts beschrieben werden, indem also die zentralen Konzepte kenntlich gemacht, die fundamentalen Strukturen aufgezeigt sowie Eigenschaften, Definitionen, Sätze, Beweise und Beweisideen angegeben werden. In Abbildung 5.3 sind mögliche Ergebnisse von Schritt 1 gelistet. Dazu gehören zentrale Konzepte, fundamentale Strukturen, mathematische Eigenschaften, Definitionen, Sätze sowie Beweise und Beweisideen. Diese Ergebnisse sind zielgruppenunabhängig, da die Mathematik im Kern betrachtet wird.

Abbildung 5.3
figure 3

Beschreibung von Schritt 1: In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage dieses Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

Kirsch verweist auf einige lerntheoretische Aspekte, u. a. das Prinzip der progressiven Differenzierung nach Ausubel und Robinson (1971) und dem Deep-End-Prinzip nach Dienes (1961 ; 1965). Im Folgenden werden exemplarisch weitere theoretische Bezüge dargestellt, weil diese eindeutig diesem Punkt zugeordnet werden können.

Theoretische Bezüge für Schritt 1

Die in Abbildung 5.3 kursiv dargestellen theoretischen Grundlagen werden im Folgenden erläutert und weiterhin wird Bezug zum mathematischen Kern des Inhalts genommen.

Tietze, Klika und Wolpers (1982, S. 37) unterscheiden drei Formen, um mathematische Theorien zu elementarisieren. Eine der axiomatisch-deduktiven Formen ist die Elementarisierung durch geschickte Wahl der Definitionen und Axiome nach Kirsch (1960) und Pickert (1969). Die Elementarisierung durch die Verwendung stärkerer Voraussetzungen ist eine weitere Form mit axiomatisch-deduktivem Aufbau. Beide Formen axiomatisch-deduktivem Aufbaus stehen im Einklang mit dem oben genannten Aspekt. Eine dritte Form der Elementarisierung mathematischer Theorien ist das Anstreben einer Stufung der Strenge nach (Blum & Kirsch, 1979). Dabei wird zunächst mit intuitiven Begriffen gearbeitet, welche fortschreitend präzisiert und durch Definitionen formalisiert werden. Diese Form scheint zunächst nicht mit dem oben genannten Aspekt übereinzustimmen, doch muss für diese Form der Elementarisierung eine Analyse der mathematischen Definitionen erfolgen, damit die intuitiven Begriffe formalisiert werden können und das Ziel bekannt ist.

Einhergehend mit der Betrachtung „der Mathematik im engsten Sinne, nach Abstreifen aller genetischen Elemente und Realitätsbezüge“ (Kirsch, 1977, S. 151) empfiehlt Lambert (2014) zu reflektieren, wie wenig Mathematik für das Verständnis von mathematischen Sachzusammenhängen global benötigt wird. Die Betrachtung der Mathematik als anwendungsfreies Konstrukt kann also zu einer weitergehenden Didaktisierung verhelfen.

Lokale und globale Strukturierungen „befassen sich mit dem Ordnen von mathematischen Aussagen und der Klärung der zugehörigen Abhängigkeitsverhältnisse“ (Tietze et al., 1982, S. 27). Ferner schreiben Tietze et al. (1982) folgendes:

Dabei bezieht sich das globale Ordnen (Axiomatisieren) auf größere mathematische Teilgebiete, das lokale Ordnen auf die Beziehung einzelner Sätze zueinander (z. B. Winkelsätze im Dreieck). ‚Axiomatisieren‘ meint nicht die Darstellung einer axiomatisierten mathematischen Theorie, sondern den langwierigen Prozess, nach wichtigen ‚Grundsätzen‘ und allgemeinen Annahmen innerhalb eines mathematischen Teilgebiets zu suchen, auf denen sich die Theorie oder Teile davon aufbauen lassen. (S. 27)

Lokale Strukturierung, oder auch wie von Freudenthal (1973) „lokales Ordnen“ genannt, beschreibt die Analyse „der [...] Begriffe und Beziehungen bis zu einer recht willkürlichen Grenze,[...] wo man von den Begriffen mit dem bloßen Auge sieht, was sie bedeuten, und von den Sätzen, dass sie wahr sind “ (S. 142). Dabei weist Freudenthal darauf hin, dass dieser Prozess aus dem Lebensraum entsteht und nicht aus Axiomen. Dieser Lebensraum bezieht sich nicht auf die Realität sondern auf einen „verschwimmenden und sich verschiebenden Horizont von Sätzen“ (Freudenthal, 1973, S. 142), sodass die Mathematik nicht als Ganzes sondern in Teilen betrachtet werden sollte.

Bei einer inner- und außermathematischen Vernetzung kann auf Freudenthal (1973) verwiesen werden:

Was zusammenhängt, lernt sich besser und wird besser behalten. Nur muss man den Zusammenhang recht verstehen. Wenn es nur ein Zusammenhang ist, der vom Dozenten verstanden ist, oder den der Dozent nicht einmal versteht, sondern einem vorredet, so verfehlt er seinen Zweck, und die Zusammenhänge, die man in logisch kohärenten Schulprogrammen konstruiert hat, sind oft oder immer von dieser Art. (S. 75 ff.)

Die Art der innermathematischen Vernetzung, also dem Erfassen von Zusammenhängen mathematischen Inhalts, soll in diesem Aspekt zur Geltung kommen. Wie mathematische Inhalte vernetzt sind, ist eines der Ergebnisse des ersten Aspekts der didaktisch orientierten Rekonstruktion. Die Relevanz von Wissen als Netzwerk macht Weigand (o.J.) geltend. Laut Weigand (o.J.) kann davon ausgegangen werden, dass „Wissen im Gedächtnis als ein Netzwerk von Begriffen und Beziehungen gespeichert wird, welches bei seiner Aneignung aufgebaut werden muss“ (S. 5).

Er betont einerseits die Relevanz innermathematischer Beziehungen und Verknüpfungen und andererseits eine Sinnkonstituierung im Mathematikunterricht, welche für die Beziehung von mathematischen Begriffen zur Umwelt der Lernenden steht. Letzteres wird von Freundenthal „Prinzip der Beziehungshaltigkeit“ genannt. Ferner seien Schupp (2002) und Brinkmann (2002) für den mathematischen Kern des Inhalts zu erwähnen.

Die Sinnkonstituierung, die im nächsten Schritt thematisiert wird, steht in enger Verbindung zur lokalen und globalen Ordnung.

Schritt 2: Integration der Bezugssysteme

One has always tried to make mathematics more accessible to pupils by introducing mathematical objects in a less abrupt fashion and by taking a broader view of mathematics - which includes the origin of concepts and their relation to reality. (Kirsch, 2000, S. 271)

In Schritt 2 wird auf die Integration der Bezugssystem bzw. die „Hinzunahme des ‚Umfeldes‘ der Mathematik“ (Kirsch, 1977, S.152) verwiesen. Wie im Zitat erwähnt, soll auf die Begriffsgenese und Realitätsbezüge fokussiert werden, um den mathematischen Inhalt zu elementarisieren. Kirsch (1977) begründet dies mit „lerntheoretischen Argumenten [...] und einer lange[n] methodische Erfahrung“ (S. 152).

Dieser Aspekt zeigt die mögliche Bereicherung der Mathematik durch das Umfeld auf. Es geht um einen weiteren Blick auf die Mathematik, bei dem die Beziehung zur Realität inkludiert und dadurch der Ursprung von mathematischen Konzepten mit einbezogen wird, um Motivation zu fördern (Kirsch, 2000, S. 271). Dabei werden genetische Entwicklungen und Anwendungen anerkannt. Aus der Sicht von Kirsch (2000, S. 272) weisen alle Erfahrungen darauf hin, dass Lehrkräfte und Schüler*innen sich weniger an Komplexität als an exzessiver Abstraktheit stören.

Abbildung 5.4
figure 4

Beschreibung von Schritt 2: In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage dieses Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

Ergebnisse können die Beschreibung der historisch-genetischen Entwicklung sowie typische Anwendungen und Anwendungsgebiete des mathematischen (Teil-) Bereichs sein (s. Abb. 5.4). Der mathematische Inhalt wird also in Bezug gesetzt zur Umwelt, zum Umfeld, zur Realität sowie zur eigenen historisch-genetischen Entwicklung. Die Ergebnisse sind in diesem Schritt unabhängig von der Zielgruppe, weil die historische Genese sowie die Anwendungen allgemein gehalten werden können. Im Folgenden werden die theoretischen Bezüge zu diesem Schritt exemplarisch dargestellt.

Theoretische Bezüge für Schritt 2

Die in Abbildung 5.4 kursiv dargestellen theoretischen Grundlagen werden folgend erläutert.

Das genetische Prinzip hat die Grundidee, „dass sich in der Behandlung von mathematischen Inhalten im Unterricht auch ihre Genese widerspiegeln sollte“ (Reiss & Hammer, 2013, S. 79). Dabei spielt in diesem Schritt die historische Genese, die die Entwicklungen in der Wissenschaft in den Vordergrund stellt, eine Rolle.

Hier ist vielmehr gemeint, dass Mathematik nicht als Fertigprodukt verstanden werden darf, das von seiner Entwicklung losgelöst betrachtet wird. (Reiss & Hammer, 2013, S. 79)

Weiter verweisen Reiss und Hammer (2013) auf Freudenthal (1973), welcher über den Ansatz der Mathematik als Tätigkeit betont, dass Probleme gesehen und gelöst werden müssen, um Mathematik zu lernen. Der Ursprung von Problemen kann laut Reiss und Hammer (2013) aus einem „realen Kontext oder dem engeren Bereich der Mathematik entnommen werden“ (S. 79 f.).

Fischer (1982) beschreibt die Frage nach Anwendungsmöglichkeiten als eine Antwort nach dem Sinn mathematischer Inhalte im Unterricht, aber auch in der mathematikdidaktischen Arbeit. Diese Form von außermathematischer Vernetzung beruht auch auf Freudenthal (1973) und Schupp (1988). Freudenthal (1973) beschreibt außermathematische Vernetzungen als angewandte Mathematik und folgert:

Ich möchte, daß der Schüler nicht angewandte Mathematik lernt, sondern lernt, wie man Mathematik anwendet. (S. 76)

Schritt 3: Benötigtes Vorwissen

Im dritten Aspekt stellt Kirsch die Relevanz des Vorwissens und die Verbindung dessen zu dem einzuführenden Inhalt dar.

We are setting ourselves against the widespread tendency to develop mathematics ab ovo, from the egg, or to go right back to the beginning and start without assuming anything. (Kirsch, 2000, S. 273)

Er drückt hiermit aus, dass Schüler*innen motiviert werden sollen, ihr Vorwissen zu nutzen und das Vorwissen generell stärker kultiviert werden soll in der (Schul-) Mathematik (Kirsch, 2000, S. 277). Dies kann im Widerspruch zu einer stark axiomatischen Einführung stehen. Dennoch steht auch ein axiomatisches Vorgehen nicht im Widerspruch zu diesem Aspekt, in dem die Annahme, was Schüler*innen schon wissen, explizit formuliert werden soll (Kirsch, 2000, S. 273 ff.).

Abbildung 5.5
figure 5

Beschreibung von Schritt 3: In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage dieses Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

Ergebnis dieses Schritts ist notwendiges Vorwissen zum Verständnis des mathematischen Inhalts (s. Abb. 5.5). Dieser Schritt ist im Gegensatz zu den Schritten 1 und 2 zielgruppenabhängig, weil das benötigte Vorwissen der Zielgruppe betrachtet wird. Es werden für diesen Schritt exemplarisch theoretische Bezüge gegeben.

Theoretische Bezüge für Schritt 3

Die in Abbildung 5.5 kursiv dargestellen theoretischen Grundlagen werden im Folgenden erläutert.

Im Anschluss an eine Genetisierung aus dem zweiten Schritt wird hier ein zweites Verständnis einer Genese dargestellt, die psychologische Genese. Wittmann (1981) beschreibt den „Anschluß an das Vorverständnis der Adressaten“ (S. 131) als Merkmal für eine Charakterisierung einer genetischen Darstellung. Diese kann auch situationsbezogen genutzt werden für die „Konstruktion mathematischer Lernsequenzen“ (Wittmann, 1981, S. 130).

Des Weiteren ist das Anknüpfen an Vorwissen eine Grundvoraussetzung für eine kognitive Aktivierung, also die Stimulierung seitens der Lernenden durch „Prozesse des verständnisvollen fachlichen Lernens im Unterrichts“ (Kunter et al., 2005, S. 504).

Schritt 4: Verschiedene Darstellungsebenen und Grundvorstellungen

We can not develop a theory, or even the phenomenology, of the ways of representing mathematical ideas here. This is a problem that the psychologist is not in a position to solve, and that doesn’t interest the mathematician. (Kirsch, 2000, S. 278)

Bezüglich dieses Aspekts des Elementarisierens bezieht sich Kirsch auf die drei verschiedenen Darstellungsebenen nach Bruner (1964). Enaktive Darstellungen haben das Ziel, Handlungen und Aktionen zu mathematischen Inhalten durchzuführen. Lehrkräfte sollten in der Lage sein, verschiedene Optionen bereitzuhalten. Auf ikonischer Ebene arbeiten heißt, mathematische Sachverhalte mithilfe von Bildern, Diagrammen oder Tabellen zu erarbeiten. Die dritte Darstellungsebene, die symbolische, beinhaltet verbale und symbolische Darstellungen. Erstere können Verbalisierungen jeglicher Art sein. Zweitere erfordert ein Hantieren mit mathematischen Symbolen. Schüler*innen sollten in verschiedenen Weisen und auf verschiedenen Levels von Sprache unterrichtet werden (Bruner, 1964, S. 1 ff.).

Eine weitere grundlegende Aktualisierung von Kirschs Aspekten des Elementarisierens ist die Hinzunahme von Grundvorstellungen. Wie in Abschnitt 2.3 aufgeführt, beschreibt die Grundvorstellungsidee „Beziehungen zwischen mathematischen Inhalten und dem Phänomen der individuellen Begriffsbildung“ (vom Hofe, 1995, S. 97). Diese Grundvorstellungen sind Entwicklungen nach Veröffentlichung der Elementarisierungsaspekte und verknüpfen den Aufbau entsprechender Repräsentationen (also Darstellungen) mit der Sinnkonstituierung, in anderen Worten einer Anwendungsorientierung, und des Anknüpfens an bekannte Sach- oder Handlungszusammenhänge (Vorwissen).

Abbildung 5.6
figure 6

Beschreibung von Schritt 4: In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage dieses Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

Ergebnisse (s. Abb. 5.6) können Darstellungen auf enaktiver, ikonischer sowie symbolischer Ebene sein. Auf allen drei Ebenen werden „prototypische“ Darstellungen gezeigt. Auf symbolischer Ebene kann zwischen Sprache sowie mathematischen Symbolen unterschieden werden. Die benötigten Grundvorstellungen werden, falls vorhanden bzw. zutreffend, genannt. Eine fortschreitende Didaktisierung ist hier erkennbar.

Theoretische Bezüge für Schritt 4

Die in Abbildung 5.6 kursiv dargestellen theoretischen Grundlagen werden im Folgenden erläutert.

Wie schon vorher beschrieben bezieht sich eine mögliche Codierung auf unterschiedliche Darstellungen nach Bruner (1964). Dabei definiert Bruner (1964) die Darstellungsebenen wie folgt:

By enactive representation I mean a mode of representing past events through appropriate motor response. [...] Iconic representation summarizes events by the selective organization of percepts and of images, by the spatial, temporal, and qualitative structures of the perceptual fields and their transformed images. [...] Finally, a symbol system represents things by design features that include remoteness and arbitrariness. (S. 2)

Um die Relevanz dieses Schritts zu unterstreichen sei das epistemologische Dreieck mathematischer Interaktionen erwähnt. Steinbring (2000) bezieht sich dabei auf die „kommunikativen Mechanismen“ :

Die besondere Wechselbeziehung zwischen „Zeichen/Symbolen“ und „Objekten/Referenkontexten“ ist zentral für die Beschreibung und Analyse von mathematischer Unterrichtskommunikation als eine spezifische soziale Interaktion. Jedes mathematische Wissen bedarf bestimmter Zeichen- bzw. Symbolsysteme zur Erfassung und Kodierung des Wissens. (S. 33)

Für einen Begriffserwerb ist diese Wechselbeziehung relevant. Im mathematischen Kontext lassen sich Begriffe somit als „symbolisierte, operative Beziehung zwischen abstrakten Kodierungen und den sozial intendierten Deutungen auffassen“ (Steinbring, 2000, S. 34).

Die Darstellungsebenen nach Bruner wurden für einen fach- und sprachintegrierten Förderansatz ausdifferenziert und die Relevanz der Vernetzung der Darstellungsebenen hervorgehoben. Die symbolische Repräsentation wurde in symbolisch-numerische, symbolisch-algebraische und verbale Darstellungsformen ausdifferenziert. Falls Deutsch als Erst- oder Zweitsprache gelernt wurde, kann hier jeweils mit sprachlichen Registern unterschieden werden. Die Register sind entweder alltagssprachlich, bildungssprachlich oder fachsprachlich. Sie sind für die Diagnose und Förderung relevant (Prediger & Wessel, 2012, S. 28 ff.). Deshalb dient dies nur als theoretischer Bezug und wird in der didaktisch orientierten Rekonstruktion nicht weiter betrachtet.

Die Grundvorstellungen wurden schon in Abschnitt 2.3 eingeführt. Die hier beschriebenen Ergebnisse sind einerseits bereits erarbeitete Grundvorstellungen und andererseits mögliche Grundvorstellungen, die sich aus der bereits durchgeführten Analyse ergeben können. Für die Herleitung neuer Grundvorstellungen haben Salle und Clüver (2021) einen Verfahrensrahmen entwickelt. Primäres Ziel der didaktisch orientierten Rekonstruktion ist es aber nicht, neue Grundvorstellungen nachweisen zu können.

Schritt 5: Grundlegende didaktische Konzepte

Doubtless I have left out important aspects of making mathematics accessible, such as through illuminating examples. They are certainly of great importance for learning mathematics. (Kirsch, 2000, S. 281)

Kirsch weist in seinem Fazit auf weitere Aspekte hin. Speziell einleuchtende Beispiele werden noch einmal gesondert von ihm genannt (Kirsch, 2000, S. 281). Dieser Aspekt wurde um grundlegende didaktische Konzepte erweitert. Dies könnte einerseits die Einordnung nach Leitideen und fundamentalen Ideen und andererseits eine spiralcurriculare Strukturierung sein. Bei diesem Schritt wurde bewusst eine offene Formulierung gewählt, da es spezifische didaktische Konzepte, abhängig vom mathematischen Inhalt, gibt. Diese können für eine didaktisch orientierte Rekonstruktion relevant sein, sind aber auf andere mathematische Teilbereiche nicht anwendbar.

Abbildung 5.7
figure 7

Beschreibung von Schritt 5: In kursiver Schrift ist die theoretische Grundlage dieses Schritts beschrieben. Eingerahmt sind die hervorzubringenden Ergebnisse

In Abbildung 5.7 sind mögliche Ergebnisse sichtbar. Einerseits können hier einleuchtende Beispiele gegeben werden. Anderseits können dem mathematischen Inhalt fundamentalen Ideen zugewiesen und auch die vorrangige Leitidee angegeben werden.

Für die hier behandelten mathematischen Inhalte sollen in diesem Schritt auch die verschiedenen Wahrscheinlichkeitsbegriffe Anwendung finden. Diese Zugänge sind ein zentrales didaktisches Konzept, spezifisch für die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Deshalb werden sie in die vorliegende Arbeit aufgenommen, haben aber in anderen mathematischen Teilbereichen keine Relevanz.

Theoretische Bezüge für Schritt 5

Die in Abbildung 5.7 kursiv dargestellen theoretischen Grundlagen werden im Folgenden erläutert.

Bruner (1976, S. 26 f.) nimmt an, dass wichtige Ideen der Mathematik auf unterschiedlichen Niveaus der Exaktheit behandelt werden können. Daraus schließt er, dass mathematische Ideen auf immer höherem Niveau wiederholend im gesamten mathematischen Curriculum auftauchen sollten. Dies ist der Ursprung des Begriffs der spiralcurricularen Strukturierung. Diese spiralcurriculare Strukturierung mathematischer Ideen hängen eng mit der Einordnung nach den Leitideen (s. 2.1) zusammen. Die Leitideen sind im Abschnitt 2.3 eingeführt und finden hier als theoretischer Bezug Verwendung. Ebenso ist das Konzept der fundamentalen Ideen in diesem Abschnitt dargestellt.

5.3 Beschreibung der Vorgehensweise einer Rekonstruktion

In diesem Abschnitt wird die Vorgehensweise der Rekonstruktion beschrieben. Ziel der Rekonstruktion ist es, ausgehend von den Ergebnissen der Didaktisierung, elementarisiertes akademisches Wissen für Lehrkräfte zu identifizieren und zu strukturieren. Dieser Prozess (s. Abbildung 5.8) folgt weitgehend dem Vorgehen der didaktischen Strukturierung innerhalb der didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann et al. (1997).

Abbildung 5.8
figure 8

Überblick über den Teilprozess Rekonstruktion

Die didaktische Rekonstruktion entstammt der Biologiedidaktik und wurde in Kooperation einer Oldenburger und einer Kieler Arbeitsgruppe mit dem Ziel konzipiert, „fachliche Vorstellungen, wie sie in Lehrbüchern und anderen wissenschaftlichen Quellen Ausdruck finden, mit Schülerperspektiven so in Beziehung [zu setzen], dass darauf ein Unterrichtsgegenstand entwickelt werden kann“ (Kattmann et al., 1997, S. 3). Dabei sollen Teile wissenschaftlicher Arbeiten explizit gemacht werden, die „bisher bei der Erforschung von naturwissenschaftlichem Unterricht und von Schülervorstellungen vorausgesetzt oder nicht eigens als wissenschaftliche Aufgabe begriffen wurden“ (Kattmann et al., 1997, S.4). Es sollen also auch die Vorannahmen, die Wissenschaftler*innen bei ihrer Forschung berücksichtigen, explizit und sichtbar für Nicht-Wissenschaftler*innen und auch Schüler*innen gemacht werden. Basierend auf Klafkis (1995) Ansatz der didaktischen Analyse und dem Strukturmomentemodell der Berliner Schule (Heimann, 1979) wurde dieses Modell entwickelt.

Kattmann et al. (1997) definieren die didaktische Rekonstruktion wie folgt:

Die didaktische Rekonstruktion umfasst sowohl das Herstellen pädagogisch bedeutsamer Zusammenhänge, das Wiederherstellen von im Wissenschafts- und Lehrbetrieb verloren gegangenen Sinnbezügen, wie auch den Rückbezug auf Primärerfahrungen sowie auf originäre Aussagen der Bezugswissenschaften. (S. 4)

Bei der didaktischen Rekonstruktion beziehen Kattmann et al. drei wechselwirkende Teilaspekte aufeinander: fachliche Klärung, Erfassung von Schülervorstellungen und didaktische Strukturierung.

Ziel der fachlichen Klärung ist es, anhand einer kritischen und methodisch kontrollierten systematischen Untersuchung, „fachwissenschaftliche Aussagen, Theorien, Methoden und Termini aus fachdidaktischer Sicht“ (Kattmann, 2007, S. 94) zu beleuchten. Das Erfassen von Lernendenperspektiven in der didaktischen Rekonstruktion erfolgt empirisch, indem individuelle Lernvoraussetzungen untersucht werden, die „die Zuschreibung von mentalen Werkzeugen bzw. gedanklichen Konstrukten (Vorstellungen) gestatten“ (Kattmann, 2007, S. 95). Dazu gehören kognitive, affektive und psychomotorische Komponenten sowie die Erfassung der zeitlichen Dynamik aus Lernendenperspektive.

Kattmann (2007) bezeichnet die didaktische Strukturierung als den Planungsprozess, „der zu grundsätzlichen und verallgemeinerbaren Ziel-, Inhalts- und Methodenentscheidunugen für den Unterricht führt (Design von Lernangeboten, Gestaltung von Lernumgebungen)“ (S. 96). Obwohl diese Arbeit das Ziel hat, mit einer Methode Aussagen über normative Wissensinhalte für Lehrkräfte treffen zu können, können Teile der didaktischen Strukturierung für die Rekonstruktionsprozesse genutzt werden. Die didaktische Strukturierung wird durch einen Vergleich der Ergebnisse der fachlichen Klärung sowie durch das Erfassen von Lernendenperspektiven erzeugt. Dafür stellen Kattmann et al. (1997) verschiedene Kategorien zur Erstellung eines Suchrasters auf, indem wechselseitig Vergleiche gezogen werden. Folgende grundsätzliche Kategorien werden hier genannt:

  • Eigenheiten: Konzepte zu bestimmten Inhaltsbereichen sind entweder hauptsächlich für fachwissenschaftliche Theorien oder aber für die Vorstellungen der [Schüler*innen] charakteristisch, sie sind den fachwissenschaftlichen oder den lebensweltlichen Theorien eigen.

  • Gemeinsamkeiten: Den fachwissenschaftlichen Theorien wie den Vorstellungen der [Schüler*innen] sind gleichgerichtete und kongruente Vorstellungen zu bestimmten Inhaltsbereichen gemein.

  • Verschiedenheiten: Vorstellungen zu bestimmten Inhaltsbereichen sind zwischen fachwissenschaftlichen Theorien und den Vorstellungen der [Schüler*innen] verschieden. Die Verschiedenheiten können als Gegensätze bewertet werden und sind nur dann als Widersprüche zu bezeichnen, wenn sie ausdrücklich im Rahmen derselben Theorie stehen.

  • Begrenzthei ten: Die Eigenheiten der Sicht der [Schüler*innen] ermöglichen es, die Grenzen der wissenschaftlichen Theorien zu erkennen und umzukehren.

    (Kattmann et al., 1997, S. 13)

Kattmann et al. (1997) betonen die Rückgebundenheit an die fachliche Klärung und die Untersuchungen zu Lernendenvorstellungen. Dabei stellt letztere die realen Voraussetzungen und Erstere den Zielbereich, welcher im Unterricht anzustreben ist, dar.

Strukturgebend sind also die vier Kategorien der didaktischen Strukturierung innerhalb ihrer Methode der didaktischen Rekonstruktion. Diese vier Kategorien werden im Folgenden für die didaktisch orientierte Rekonstruktion beschrieben.

Formulierung von Wissenselementen ausgehend von den Ergebnissen der Didaktisierung (Eigenheiten)

Die Kategorie Eigenheiten wird wie folgt von Kattmann et al. (1997) adaptiert und neu definiert:

Konzepte bzw. Elemente zu den einzelnen (Teil-) Inhaltsbereichen sind entweder hauptsächlich für Wissen für Fachwissenschaftler*innen oder für Lehrkräfte charakteristisch, sie sind also fachwissenschaftlichen oder schulpraktischen Theorien eigen.

Um Wissenselemente strukturieren und ordnen zu können, werden innerhalb dieser Kategorie die Ergebnisse der Didaktisierung als Wissenselemente identifiziert. Ziel dieser Kategorie ist die Klärung der Relevanz von mathematischen (Teil-) Inhalten für Lehrkräfte. Bei der Analyse innerhalb der Kategorie Eigenheiten werden folgende Leitfragen beantwortet, um dieses Ziel zu erreichen.

  • Was muss nicht weiter betrachtet werden? Welche mathematischen Inhalte können bei der weiteren Betrachtung verworfen werden?

  • Welche Themengebiete sind für Lehrkräfte relevant?

Anschließend werden die Wissenselemente also anhand der Leitfragen zu fachwissenschaftlichen oder schulpraktischen Theorien zugeordnet. Dabei werden die einzelnen Teilinhaltsbereiche betrachtet. Die (inhaltlichen) Anforderungen an Lehrkräfte, die mit der Zielsetzung einhergehen, werden mit der Didaktisierung verglichen und auf Relevanz für Lehrkräfte geprüft. In der Didaktisierung wird also auf die Elemente fokussiert, die für das elementarisierte akademische Wissen von Lehrkräften relevant sind. Verworfen werden aber keine Wissenselemente. Die Elemente, die den fachwissenschaftlichen Theorien zugeordnet werden, können trotzdem elementarisiertes akademisches Fachwissen sein. Diese Kategorie findet also übergeordnet statt, weil die Schritte inhaltlich nicht miteinander verglichen werden.

Die nächsten beiden Kategorien erfordern einen inhaltlichen Vergleich des Inhaltsbereichs.

Vergleich der Wissenselemente der unterschiedlichen Teilbereiche, um Gemeinsamkeiten zu identifizieren (Gemeinsamkeiten)

Die Kategorie Gemeinsamkeiten wird wie folgt von Kattmann et al. (1997) adaptiert und neu definiert:

Die einzelnen (Teil-) Inhaltsbereiche haben gleichgerichtete oder kongruente Konzepte bzw. Elemente gemein.

Ziel dieser Kategorie ist die Identifikation von Konzepten bzw. Elementen mit Gemeinsamkeiten. Bei der Betrachtung der Inhaltsbereiche innerhalb dieser Kategorie wird folgende Leitfrage beantwortet, um das genannte Ziel zu erreichen: Welche Gemeinsamkeiten zeigen sich bei Konzepten bzw. Elementen?

Auch hier werden innerhalb der Teilbereiche des mathematischen Inhalts die einzelnen Schritte der Didaktisierung durchlaufen und auf (inhaltliche) Gemeinsamkeiten geprüft. Der Ablauf sieht also Folgendes vor: Die Schritte 1 bis 5 der einzelnen Didaktisierungen werden durchlaufen und miteinander verglichen sowie auch die einzelnen Teilbereiche. Die Inhaltsbereiche werden miteinander verglichen und auf übergeordnete Gemeinsamkeiten geprüft. Dieser Abschnitt dient also dazu, Vernetzungen aufzuzeigen.

Vergleich der Wissenselemente der unterschiedlichen Teilbereiche, um Verschiedenheiten zu identifizieren (Verschiedenheiten)

Die Kategorie Verschiedenheiten wird wie folgt von Kattmann et al. (1997) adaptiert und neu definiert:

Bestimmte Konzepte beziehungsweise Elemente sind zwischen den einzelnen (Teil-) Inhaltsbereichen verschieden. Die Verschiedenheiten können als Gegensätze bewertet werden und sind nur dann als Widersprüche zu bezeichnen, wenn sie ausdrücklich im Rahmen derselben Theorie bestehen.

Ziel dieser Kategorie ist die Identifikation von Konzepten bzw. Elementen mit Verschiedenheiten. Bei der Betrachtung der Inhaltsbereiche innerhalb dieser Kategorie wird folgende Leitfrage beantwortet, um das gesetzte Ziel zu erreichen: Welche Verschiedenheiten zeigen sich bei den Konzepten bzw. Elementen?

Im Gegensatz zur vorherigen Kategorie werden nun die Didaktisierungen auf Verschiedenheit geprüft. Der Ablauf sieht also Folgendes vor: Die Schritte 1 bis 5 der einzelnen Didaktisierungen werden durchlaufen und miteinander verglichen sowie auch die einzelnen Teilbereiche. Es sollen inhaltliche Verschiedenheiten von Inhaltsbereichen verglichen und dargestellt werden. Anschließend werden die Inhaltsbereiche miteinander verglichen und auf übergeordnete Verschiedenheiten geprüft. Dieser Abschnitt dient auch dazu, Vernetzungen aufzuzeigen.

Zuordnung zu Wissensdimensionen und -arten sowie Festlegung von Grenzen der Wissenselemente anhand von Wissensnetzen (Begrenztheiten)

Die Kategorie Verschiedenheiten wird wie folgt von Kattmann et al. (1997) adaptiert und neu definiert:

Die Begrenztheiten von möglichen Inhalten ermöglichen es, die Grenzen der einzelnen Elemente und Konzepte (u. a. wissenschaftliche Theorien) zu erkennen und umgekehrt. Einsatzmöglichkeiten werden reflektiert und eine Zuordnung der Konzepte bzw. Elemente zu Wissensarten vorgenommen.

Ziel dieser Kategorie ist es, Grenzen der einzelnen Konzepte bzw. Elemente aufzuzeigen, Einsatzmöglichkeiten zu reflektieren und Konzepte bzw. Elemente zu Wissensarten zuzuordnen. Bei der Betrachtung der Inhaltsbereiche innerhalb dieser Kategorie werden folgende Leitfragen beantwortet, um das Ziel zu erreichen.

  • Welche Grenzen sind erkennbar?

  • Welche Einsatzmöglichkeiten können den Konzepten bzw. Elementen zugeordnet werden?

  • Welche Wissensarten können den Konzepten bzw. Elementen zugeordnet werden?

Die bisherigen Ergebnisse aus der Betrachtung von Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten werden reflektiert und bewertet. Dabei wird den oben genannten Leitfragen gefolgt und mögliche Grenzen (auch hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades) werden aufgezeigt. Anschließend werden die Einsatzmöglichkeiten reflektiert mit dem Ziel, die Anwendbarkeit des Wissens für Lehrkräfte aufzuzeigen. Auch hier können Elemente und Konzepte als nötiges Wissen verworfen werden. Anschließend werden die übrig gebliebenen Konzepte bzw. Elemente zu den Wissensarten zugeordnet. Dabei wird auf die Wissensdimensionen (Schulfachwissen, schulbezogenes Fachwissen, akademisches Fachwissen) und die Wissensarten (Objektwissen, Metawissen) zurückgegriffen.

Die Rekonstruktion soll also anhand dieser vier Kategorien (Eigenheiten, Gemeinsamkeiten, Verschiedenheiten und Begrenztheiten) strukturiert werden. Zusammenfassend sind die Kategorien in Tabelle 5.1 abgebildet.

Tabelle 5.1 Überblick über die rekonstruierenden Kategorien der didaktisch orientierten Rekonstruktion

Dieser Teilprozess der Rekonstruktion wird nun im folgenden Abschnitt mit den Kategorien der didaktischen Strukturierung nach Kattmann (2007) verglichen.

Theoretische Bezüge für die Kategorien

Ging es bei Kattmann et al. (1997) in der didaktischen Strukturierung um den Vergleich von fachlicher Klärung zu den Untersuchungen zu Lernendenvorstellungen, wird die didaktische Strukturierung in anderer Hinsicht genutzt und deshalb adaptiert (s. Abbildung 5.8). Ziel dieser Arbeit ist es, systematische, normative Aussagen über das elementarisierte akademische Wissen von Lehrkräften zu treffen. Ausgehend vom Kern des mathematischen Inhalts werden also zunächst keine Vorstellungen von Lehrkräften erhoben. Die Ergebnisse der Didaktisierungen sollen im rekonstruktierenden Teilprozess mit dem zu Anfang erklärten Ziel und der Zielgruppe verglichen werden. Der Vergleich zwischen den Kategorien der didaktischen Strukturierung nach Kattmann (2007) und den adaptierten Kategorien für die Rekonstruktion zeigt einerseits große Ähnlichkeiten in der Struktur und andererseits Unterschiede in der Durchführung 5.2. Die Grundlage des Vergleichs innerhalb der didaktischen Strukturierung ist eine Andere, da in der Rekonstruktion dieser Arbeit die mathematischen Inhalte mit dem Ziel der didaktisch orientierten Rekonstruktion verglichen werden. Die individuellen Vorstellungen der Schülerinnen und Schüler entfallen in diesem Fall. Auch der „[wechselseitige] Vergleich“ (Kattmann et al., 1997, S. 12) wird hier nicht weiter betrachtet, weil die ausschließliche Fokussierung auf Lehrkräfte erfolgen soll. Ein weiterer Unterschied zur didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann et al. (1997) ist die Disziplin. Während sich Kattmann et al. (1997) auf naturwissenschaftliche Disziplinen mit ihrem experimentellen Charakter beziehen, findet sich dieser in der (fach-) wissenschaftlichen Mathematik nicht wieder. Des Weiteren ist die Zielsetzung der didaktischen Rekonstruktion nach Kattmann et al. (1997) eine andere als in dieser Arbeit. Kattmann et al. (1997, S. 4) verfolgen die Absicht, Unterrichtsgegenstände zu entwickeln. Diese Arbeit hat das Ziel der Systematisierung einer didaktisch orientierten Rekonstruktion zur Strukturierung eines mathematischen Inhalts, um normative Aussagen über Wissensinhalte generieren zu können. Im Folgenden werden die einzelnen Kategorien von Kattmann et al. (1997) mit den adaptierten Kategorien für diese Arbeit betrachtet (s. auch Tabelle 5.2).

In der Kategorie „Eigenheiten“ wurden Teile der didaktischen Strukturierung nach Kattmann (2007) übernommen. Dabei wird die Unterscheidung zwischen fachwissenschaftlichen und den lebensweltlichen Theorien übernommen. Die lebensweltlichen Theorien werden genutzt, um die Relevanz für Lehrkräfte darstellen. Insbesondere zeigt diese Kategorie Indizien auf, falls die Elemente, die zu den fachwissenschaftlichen Theorien zugeordnet werden, über das eigentlich notwendige Wissen von Lehrkräften hinausgeht. Es erfolgt eine Einordnung der Relevanz.

Bei den Kategorien „Gemeinsamkeiten“ und „Verschiedenheiten“ wurde die Definition und die Vorgehensweise größtenteils übernommen. Die Ausnahme bilden die Vergleichsobjekte. In dieser Arbeit werden im Gegensatz zu den Arbeiten von Kattmann et al. (1997) nicht die fachwissenschaftlichen Theorien mit den individuellen Vorstellungen der Lernenden verglichen, um Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten zu identifizieren. Hier werden die mathematischen Konzepte bzw. Elemente und ebenso etwaige Teilbereiche unter Berücksichtigung von Ziel und Zielgruppe miteinander verglichen.

Tabelle 5.2 Vergleich der Kategorien didaktischer Strukturierung mit den adaptierten Kategorien für die Rekonstruktion der didaktisch orientierten Rekonstruktion

Die originale und die für die in der Arbeit adaptierte Kategorie „Begrenztheiten“ unterscheiden sich substantiell. Bei Kattmann et al. (1997) werden Grenzen wissenschaftlicher Theorien anhand der individuellen Vorstellungen von Schülerinnen und Schüler ersichtlich und umgekehrt. Die adaptierte Kategorie geht darüber hinaus. Einerseits geht es um die Grenzen wissenschaftlicher Theorien, andererseits soll hier aber auch eine Reflexion über Einsatzmöglichkeiten potentiellen Wissens sowie eine Zuordnung in Wissensarten einzelner Konzepte bzw. Elemente erfolgen.

Die theoretischen Bezüge sind also auch für den zweiten Teilprozess der didaktisch orientierten Rekonstruktion gegeben. Im Folgenden wird nach der Beschreibung beider Teilprozesse die gesamte Methode begründet bzw. reflektiert.

5.4 Zusammenfassung und Folgerungen

Im Rahmen dieser Arbeit wurde eine stoffdidaktische Methode gewählt. Das erste Ziel dieser Arbeit ist die Systematisierung einer didaktisch orientierten Rekonstruktion, angelehnt an Kirsch, zur Strukturierung eines mathematischen Inhalts ausgehend vom Kern des Inhalts mit dem Ziel, normative Aussagen über Wissensinhalte für Lehrkräfte generieren zu können.

Wie in Abbildung 5.1 mit den Pfeilen im Hintergrund angedeutet, finden zwei große Prozesse innerhalb der didaktisch orientierten Rekonstruktion statt. Ausgehend von einer Zielsetzung unter Betrachtung einer Zielgruppe und einer möglichen Einteilung des größeren mathematischen Inhaltsbereichs in kleinere Bereiche, bedeutet der Durchlauf der fünf Schritte eine Didaktisierung eines mathematischen Inhalts.

In Schritt 1 der Didaktisierung wird nur der mathematische Inhalt losgelöst von der Genetisierung und der Anwendungsmöglichkeiten betrachtet. Es sollen zentrale Konzepte, fundamentale Strukturen, Eigenschaften, Definitionen, Sätze sowie Beweise und Beweisideen angegeben werden. Im zweiten Schritt werden mögliche Bezugssysteme des mathematischen Inhalts miteinbezogen, sodass Anwendungsmöglichkeiten und auch die historisch-genetischen Entwicklungen beschrieben werden. Ab Schritt 3 der Didaktisierung werden weitere didaktische Überlegungen angestellt. Die Zielgruppe wird betrachtet und anhand derer das benötigte Vorwissen angegeben. In Schritt 4 werden verschiedene Darstellungsebenen betrachtet und benötigte Grundvorstellungen angegeben. Bei den Grundvorstellungen können nicht nur schon in der Literatur vorher bestehende Grundvorstellungen angegeben werden. Der Prozess bis Schritt 4 kann auch auf neue Grundvorstellungen hinweisen, obwohl Grundvorstellungen nicht im Fokus dieser Arbeit stehen. In Schritt 5 werden weitere grundlegende didaktische Konzepte integriert. Hier bietet sich eine Erweiterung durch spezifische, auf den entsprechenden Teilbereich genutzte, didaktische Konzepte an. Für den Bereich der Wahrscheinlichkeitsrechnung sind Wahrscheinlichkeitsbegriffe ein Beispiel für grundlegende didaktische Konzepte.

Nachdem die Didaktisierung für jeden Bereich durchgeführt wurde, werden die Vernetzungen zwischen den Teilbereichen innerhalb jedes Schritts, aber auch in Hinsicht auf den gesamten Prozess, aufgezeigt und reflektiert. Hier können sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten ergeben, die innerhalb eines kleineren Teilbereichs nicht aufkommen würden. Dies erfolgt durch die Rekonstruktion mit Hilfe der vier verschiedenen Kategorien: Eigenheiten, Gemeinsamkeiten, Verschiedenheiten und Begrenztheiten. Dabei werden Konzepte bzw. Elemente aufgrund fehlender Relevanz verworfen, Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten identifiziert und anschließend mögliche Grenzen und Einsatzmöglichkeiten reflektiert. Im Anschluss werden normative Aussagen generiert, die Wissensarten zugeordnet werden können.

Wie zu Beginn dieses Kapitels erwähnt versteht Bigalke (1974) unter einer Methode „ein mehr oder weniger planmäßiges Verfahren, das angewandt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen“ (S. 112). Dieses planmäßige Verfahren ist durch die Strukturierung der beiden Teilprozesse „Didaktisierung“ und „Rekonstruktion“ gegeben. Eine Zielsetzung wird in beiden Teilprozessen verfolgt.

Nach Griesel (1974) ist das Ziel stoffdidaktischer Analysen eine bessere Grundlage für die Formulierung der inhaltlichen Lernziele zu schaffen. Auch wenn die Zielsetzung in dieser Arbeit eine andere ist, nämlich das Generieren normativer Aussagen über Wissensinhalte von Lehrkräften, so ähnelt sich die Zielsetzung dennoch. Die Methode wird genutzt, um normative Aussagen klar zu formulieren und eine begriffliche Basis für empirische Forschung zu liefern.

Beide Teilprozesse wurden durch theoretische Bezüge begründet und sind dadurch anschlussfähig. Die Didaktisierung beruht auf Kirschs Aspekten der Elementarisierung. Die einzelnen Schritte wurden aufgrund theoretischer Bezüge belegt. Die Rekonstruktion basiert auf der didaktischen Strukturierung nach (Kattmann et al., 1997) und wird nach der oben beschriebenen Adaption mit Wissensarten kombiniert.

Dieses Kapitel beschreibt also, wie die didaktisch orientierte Rekonstruktion systematisiert wurde, um entsprechend normative Aussagen über Wissensinhalte von Lehrkräften generieren zu können.

Das erste Ziel der Arbeit wurde also erreicht. Eine stoffdidaktische Methode wurde systematisiert und mithilfe der didaktisch orientierten Rekonstruktion lassen sich normative Aussagen generieren. Damit wurden die Prozesse innerhalb dieser stoffdidaktischen Analyse offengelegt und der Prozess normativer Entscheidungen lässt sich dadurch transparenter darstellen.

Die Erprobung der Methode, welche das zweite Ziel dieser Arbeit ist, wird im nächsten Kapitel beschrieben.