Schlüsselwort

1 Gesamtkonzept des Moduls C

Das Lehr-/Lernmaterial zu Modul C „Herausfordernde Situationen“ ermöglicht in lehrkräftebildenden Veranstaltungen eine Auseinandersetzung mit kritischen Situationen des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. Darunter verstehen wir Situationen im sozialwissenschaftlichen Unterricht, in denen innerhalb eines fachdidaktischen Unterrichtssettings erzeugte Spannungen und Herausforderungen sichtbar werden und die damit in besonderer Weise sowohl mit Risiko als auch mit Potenzial für das Gelingen von Lehr-Lernprozessen verbunden sind. Im ersten Teil dieses Bandes erläutern wir in Kap. 5 den theoretischen Kontext des Moduls.

Im Modul C verteilen sich sieben Animationsvignetten auf vier Modulteile mit entsprechendem Material:

  1. C1.

    Problematische Präkonzepte (1 Vignette)

  2. C2.

    Didaktische Reduktion (2 Vignetten)

  3. C3.

    Problematische Schüler*innenäußerungen (2 Vignetten)

  4. C4.

    Kontroverse Themen im Unterricht (2 Vignetten)

Die Auswahl der Unterrichtssituationen und die Gestaltung der Aufgaben erfolgte mit Blick auf zwei fachdidaktische Schwerpunkte: dem Umgang mit Präkonzepten (insb. C1 und C2) sowie dem Umgang mit Kontroversität (insb. C3 und C4). Die Links zu den entsprechenden Videos sind in Anhang A zu finden.

2 Erläuterungen zum Aufbau der Aufgaben

Die zu den LArS-Animationen zur Verfügung gestellten Aufgaben zielen auf eine Förderung professioneller Wahrnehmung angehender Lehrkräfte in den Sozialwissenschaften (Kap. 1). Jeder LArS-Modulteil ist dabei in verschiedene, zeitlich und inhaltlich aufeinander aufbauende Abschnitte unterteilt (Kap. 6):

  1. 1.

    Zunächst sollen allgemeine Vorbereitungsaufgaben eine gemeinsame (Vor-)Wissensbasis sicherstellen. Hier können Studierende ihr Wissen beispielsweise über Quizformate selbständig überprüfen und erhalten eine formative Rückmeldung.

  2. 2.

    Nach dieser Vorbereitung folgt die Auseinandersetzung mit den Videovignetten. Eine Grundlage für die weitere Bearbeitung bilden hier zunächst Beobachtungsaufgaben, die sich auf die noticing-Komponente professioneller Wahrnehmung beziehen.

  3. 3.

    Auf diese folgen im Rahmen eines knowledge-based reasoning zunächst Analyseaufgaben. Hier werden die Beobachtungen der Vignetten mit fachdidaktischem, gegebenenfalls aber zusätzlich auch fachlichem und allgemeindidaktischem Wissen verknüpft und untersucht.

  4. 4.

    In abschließenden Reflexions- oder Entwicklungsaufgaben werden die zuvor gezogenen Schlüsse bewertet, unter neuen Gesichtspunkten beleuchtet, oder auch mögliche Handlungsalternativen entwickelt und abgewogen.

  5. 5.

    Mit optionalen Vertiefungs- und Nachbereitungsaufgaben geben wir Studierenden und Dozierenden die Möglichkeit, komplexere Fragen des Materials beispielsweise als vertiefende Leistungen in Form von individuellen Essays oder auch zur Fortführung und Anknüpfung an Diskussionen in folgenden Veranstaltungen zu behandeln. Alternativ können diese Aufgaben als Anregungen für die eigene Gestaltung folgender Seminareinheiten genutzt werden.

Eine Besonderheit von Modul C gegenüber den Modulen A und B besteht darin, dass in drei Modulteilen des Moduls C bereits in der Vorbereitungslektion ein Video verwendet wird, welches von den Studierenden asynchron bearbeitet und in der Seminarsitzung zur Einstiegsdiskussion besprochen werden soll. Die Modulteile „Didaktische Reduktion“, „Problematische Schüler*innenäußerungen“ und „Kontroverse Themen im Unterricht“ bestehen dabei aus jeweils zwei Videos, die sich mit Blick auf den inhaltlichen Schwerpunkt der Modulteile als einander entgegengesetzte Ausprägungen möglichen Lehrkräftehandelns gegenüberstehen. Für den Einsatz der Module ist es wichtig zu berücksichtigen, dass für die Besprechung der zur Vorbereitung vorgesehenen Vignette in den exemplarischen Zeitplänen in den Dozierendenhandreichungen nur wenig Zeit eingeplant ist, da diese nach dem vorgeschlagenen Plan lediglich als individuelle Vorbereitung und Seminareinstieg gedacht sind. In den Modulteilen C2, C3 und C4 besteht die Möglichkeit, die Vorbereitungsvignetten zunächst nur kurz aufzugreifen und eine inhaltliche Besprechung erst später, in der Auseinandersetzung mit dem Video des Kernmaterials, kontrastiv zu vertiefen. Die Vignetten wurden dabei in jedem Modulteil so zusammengestellt, dass sich fachdidaktische Fragen gerade in der Gegenüberstellung der Handlungsweisen der verschiedenen Lehrkräfte sinnvoll diskutieren lassen. Alternativ kann, bei ausreichenden zeitlichen Ressourcen, in der ersten Hälfte der Seminarsitzung eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Vorbereitungsvignetten stattfinden – zu diesem Zweck finden sich bereits in den Vorbereitungsaufgaben als „optional“ gekennzeichnete Reflexionsaufgaben, die bei einer kurzen Besprechung der ersten Vignetten nicht vertieft werden könnten. Dozierende haben somit die Möglichkeit, die Aufgabengestaltung flexibel auf ihre Bedürfnisse anzupassen.

Zuletzt ist zu betonen, dass Modul C stark diskursiv ausgelegt ist und einer Diskussionsleitung und gegebenenfalls -lenkung durch die jeweiligen Dozierenden bedarf. Um dies zu unterstützen, wurden in dem Modulteil zu mehreren Reflexionsaufgaben fiktive Studierendenaussagen entwickelt und bereitgestellt: Diese Aussagen sollen mögliche – und unterschiedlich gut begründbare – Positionen aufzeigen und für Dozierende eine Möglichkeit bereitstellen, die Diskussion in den Seminarsitzungen zu fördern oder wenig beachtete Perspektiven einzubringen. Die diskursive Auslegung unserer Aufgaben und des sonstigen Materials führt uns auch zur Empfehlung, die Besprechung von Analyse-, Reflexions- und Entwicklungsaufgaben nicht notwendigerweise stark zu trennen und hier eher die Dynamik der jeweiligen Seminardiskussionen zu nutzen.

Im Folgenden werden die einzelnen Modulteile vorgestellt.

3 Modulteil C1 – Problematische Präkonzepte

Im Zentrum des Modulteils C1 steht die Auseinandersetzung mit Präkonzepten von Schüler*innen zu den fachlichen Inhalten des sozialwissenschaftlichen Unterrichts. Präkonzepte sind vorunterrichtliche Vorstellungen von Schüler*innen zu den Inhalten eines Fachs (Vosniadou 2008; Weißeno et al. 2010), wobei der Begriff auf Lernprozesse fokussiert (Hahn-Laudenberg 2017). Die Erfassung solcher Schüler*innenvorstellungen kann durch deren Bedeutung für politische Aneignungsprozesse als zentrales Merkmal von Schüler*innenorientierung verstanden werden (Klee 2010). Ein an Schüler*innenvorstellungen und deren Veränderungen orientierter Unterricht setzt Formen und Arrangements voraus, in denen diese artikuliert und durch die Auseinandersetzung mit Aufgaben und Inhalten sowie durch die Konfrontation mit alternativen, von anderen Schüler*innen und fachlich orientierten instruktional eingebrachten Konzepten erweitert und verändert werden können (etwa im Sinne eines Conceptual Change).

In der sozialwissenschaftsdidaktischen Forschung sind typische Schüler*innenvorstellung zu zentralen politischen Konzepten wie Demokratie (Hahn-Laudenberg 2017), Menschenrechten (Heldt 2018), Arbeitslosigkeit (Schmitt 2017) oder Integration (Lutter 2011b) untersucht sowie verschiedene Möglichkeiten der Erfassung von Schüler*innenvorstellungen (Mosch 2011) vorgeschlagen worden. Die Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutsamkeit von Präkonzepten für politische Lernprozesse: Für wirksames politisches Lernen müssen die Präkonzepte der Lernenden von Lehrenden wahrgenommen werden und im Unterricht als Anknüpfungspunkte für die Auseinandersetzung mit Politik berücksichtigt werden. Gleichzeitig zeigen die im Modulteil eingesetzten Vignetten exemplarisch, wie herausfordernd es in der konkreten Unterrichtssituation ist, Präkonzepte von Lernenden in der Situation zu erkennen, vor dem fachwissenschaftlichen Hintergrund einzuordnen und didaktisch darauf zu reagieren. In Modulteil C1 wird dabei die durchaus kontroverse fachdidaktische Diskussion um die geeignete Konzeptualisierung und Terminologie („Fehlkonzepte“, „Präkonzepte“, „Alltagsvorstellungen“) aufgegriffen und auf die Unterschiede in der fachdidaktischen Diskussion um Fachkonzepte des politischen Unterrichts verwiesen. Die Studierenden werden aufgefordert, anhand einer Videovignette (No. 18: „Braucht man Parteien?“) und konkrete Vorstellungen von Schüler*innen zur Politik zu deuten und zu beurteilen. Während in anderen C-Modulteilen eine Abwägung möglicher Lehrkräftehandlungen im Vordergrund steht, fokussiert C1 stärker auf die Einschätzung und Diagnose subjektiver Vorstellungen von Schüler*innen.

Dabei legen wir in diesem Modulteil eine didaktische Unterscheidung zwischen problematischen und lediglich unterkomplexen Präkonzepten an. Wir gehen davon aus, dass die Präkonzepte von Schüler*innen erst dann zu einem Problem oder einer besonderen Herausforderung des Unterrichts werden, wenn die zugrunde liegenden Vorstellungen im Widerspruch zu wissenschaftlichen Erklärungen oder institutionellen (politischen) Funktionsweisen oder Grundlogiken stehen und auf diese Weise politisches Lernen zu behindern drohen (Hahn-Laudenberg 2017; Reinhardt 2018). Davon sind unterkomplexe Vorstellungen abzugrenzen, die im Lernprozess als notwendige Ausgangspunkte für den Erwerb von differenzierteren Konzepten erwartbar sind (siehe dazu auch Kap. 5).

Zur Bearbeitung der Einheit werden zum einen grundlegende Kenntnisse über die Funktionen von Parteien in demokratischen Systemen sowie idealerweise erste Berührungen mit der Diskussion um Schüler*innenvorstellungen in der politischen Bildung vorausgesetzt. Um dieses Grundlagenwissen zu aktivieren, beginnt die Einheit in der Vorbereitungslektion mit einem Selbsttest zu Funktionen von Parteien, der auf einer Kategorisierung von Niedermayer (2020) aufbaut. Die Studierenden informieren sich in kurzen Texten über die Debatte zu Basis- und Fachkonzepten (Goll 2020) und lösen weitere Selbsttestaufgaben zu Reinhardts Kategorisierung von häufigen Fehlvorstellungen zur Politik.

Mit Vignette No. 18 wird im Modulteil C1 nur ein LArS-Animationsvideo eingesetzt. Dieses stellt eine Situation am Ende einer Unterrichtseinheit zum Themenfeld Aufgaben und Funktionen von Parteien dar. Die Schüler*innen werden aufgefordert, ihre „Meinungen“ zur Frage zu nennen, ob man Parteien brauche. In den Antworten der Schüler*innen zeigen sich unterschiedliche Vorstellungen, die auf die themenrelevanten Kategorien von Fehlvorstellungen bei Reinhardt (2018) und Weißeno et al. (2010) bezogen werden sollen. Während eine eindeutige Zuordnung zu den dort aufgeführten Schüler*innenkonzepten nicht möglich ist, ergeben sich interessante Anlässe für Diskussionen über die Kategorien und ihre Übertragung auf die Situation: So lehnt ein Schüler die seines Erachtens überbordende Macht von Mehrheitsentscheidungen vehement ab. Seine Aussagen können dabei nicht als direktes Beispiel, sondern vielmehr als Umkehrung der von Reinhardt beschriebenen Vorstellung „Die Mehrheit habe immer Recht“ (Reinhardt 2018, S. 49–50) gedeutet werden.

Die Konfrontation mit der animierten Situation findet hier erst in den Kernaufgaben bzw. in der Seminarsitzung statt, nachdem die Vorbereitungsaufgaben (kurz) besprochen wurden. In den Beobachtungs- und Analyseaufgaben steht die Auseinandersetzung mit den Schüler*innenbeiträgen und den möglicherweise dahinterstehenden Vorstellungen im Vordergrund: Bereits in der Analyse soll eingeschätzt werden, inwiefern die verschiedenen Vorstellungen für den weiteren Verlauf der Unterrichtsreihe problematisch sein könnten. In der Reflexion und Entwicklung findet darauf aufbauend eine Auseinandersetzung mit dem Handeln der Lehrkraft statt. Hier soll erkannt werden, inwiefern die Unterrichtsführung der Lehrkraft und ihre Darstellung der abschließenden Beitragssammlung möglicherweise zum Vorbringen unreflektierter Vorstellungen einlädt und welchen Mehrwert diese für die Unterrichtsphase haben. Es wird deutlich, dass eine Sammlung von Vorstellungen zu Beginn der Unterrichtseinheit ertragreicher gewesen wäre. Dessen ungeachtet ergibt sich für die Lehrerin in dieser Situation jedoch der Auftrag, in der folgenden Sitzung mit den Schüler*innenvorstellungen zu arbeiten und dabei insbesondere die problematischeren Vorstellungen zu berücksichtigen.

Diese Diskussion kann durch eine nachbereitende Aufgabe zum Konzept der didaktischen Rekonstruktion (Lutter 2011a) vertieft werden, wobei die Planung von Unterricht ausgehend von den Vorstellungen von Schüler*innen konzeptualisiert wird und methodische Möglichkeiten vorgestellt werden. Darüber hinaus bietet die Diskussion um den Arbeitsauftrag der Lehrerin in Vignette No. 18 eine Möglichkeit zur Anknüpfung an oder auch Überleitung zum LArS-Modul B mit dem Schwerpunkt Urteilsbildung (siehe Heyen und Manzel in Kap. 8): Wo liegt in diesem Beispiel der Unterschied zwischen einer schnell hervorgebrachten „Meinung“ und einem – was angesichts der Unterrichtsphase angebracht gewesen wäre – politischen Urteil der Schüler*innen (Massing 1997)? Für eine vertiefende Auseinandersetzung mit der (Nicht-)Einbeziehung von Präkonzepten in fachintegrierend sozialwissenschaftsdidaktischen Lehr-Lernkontexten eignet sich die Vignette No. 19 („Der Begriff ‚Macht‘“) aus dem Modulteil C2.

Darüber hinaus gibt der Modulteil C1 Dozierenden die Möglichkeit, in der Diskussion möglicherweise problematische Vorstellungen zur Demokratie oder zum Parteiensystem unter Studierenden aufzudecken und zu reflektieren. Wir möchten Dozierende, die den Modulteil einsetzen, daher anregen, das Video auch zu diesem Zweck zu nutzen.

Die Lehr-/Lernumgebung des Modulteils C1 – Problematische Präkonzepte ist dabei auf die folgenden Kompetenzerwartungen ausgerichtet:

Die Studierenden…

  • ermitteln fachlich relevante Konzepte zum Inhaltsfeld „Parteien“.

  • erkennen Vorstellungen zu Parteien in Aussagen von Schüler*innen.

  • beurteilen den Problemcharakter der identifizierten Vorstellungen hinsichtlich des Unterrichtskontextes und des individuellen Konzeptaufbaus.

  • erläutern Zusammenhänge zwischen den von Schüler*innen geäußerten Konzepten und der Gesprächsführung der Lehrkraft.

  • entwickeln vor dem Hintergrund ihrer Auseinandersetzungen Strategien zum Umgang mit Präkonzepten von Schüler*innen im Unterrichtsverlauf.

Die Relevanz der Einheit bestätigte sich für uns durch die Erprobung des Materials im Wintersemester 2021/2022. Hier zeigten sich auch bei fortgeschrittenen Studierenden Probleme bei der fachdidaktischen und fachwissenschaftlichen Einordnung von Präkonzepten. Darüber hinaus bestanden häufig Probleme, Faktenwissen von konzeptuellem Wissen zu unterscheiden: Oft wurde „Präkonzept“ dabei intuitiv als Synonym für faktenbasiertes fachliches Vorwissen gebraucht, welches im Sinne eines Spiralcurriculums zum Beginn einer neuen Einheit zu reaktivieren wäre. So war in Diskussionen auszudifferenzieren, wo Schüler*innen lediglich Schwierigkeiten haben, sich an vorherige Unterrichtsinhalte (und gegebenenfalls fachsprachliche Begriffe) zu erinnern, und wo tiefergehende, konzeptuelle Vorstellungen zu den angesprochenen politischen Phänomenen und Zusammenhängen geäußert werden.

4 Modulteil C2 – Didaktische Reduktion im Zusammenspiel von Schüler*innenorientierung, Wissenschaftsorientierung und Exemplarität

Modulteil C2 fokussiert auf (fach-)didaktische Ansprüche an didaktische Reduktion und die damit verbundene Herausforderung, einen überfrachteten, rein lehrgangshaften Unterricht zu vermeiden. In diesem Kontext sind die fachdidaktisch konkretisierten Prinzipien der Schüler*innenorientierung, Wissenschaftsorientierung und Exemplarität zentral für die Planung und Durchführung sozialwissenschaftlichen Unterrichts. Fachdidaktische Prinzipien lassen sich als „grundlegende Handlungsregeln für die Planung und Lenkung des Unterrichts“ verstehen, die die zentrale Funktion erfüllen, „die Sachlogik der realen Welt und die Psychologik der Lernenden zu vermitteln“ (Detjen 2007, S. 319–320). Den drei in diesem Modulteil fokussierten Prinzipien ist gemein, dass sie unmittelbar die Auswahl- und Aufbereitungsentscheidungen von Unterrichtsinhalten betreffen: Schüler*innenorientierter Unterricht soll zum einen an das erkenntnisleitende Interesse von Schüler*innen anknüpfen und zum anderen Vorverständnisse der zu behandelnden Themen aufgreifen (Klee 2010). Demgegenüber stellt ein wissenschaftsorientierter Unterricht die Bedingtheit und Bestimmtheit von schulischem Wissen durch die Wissenschaften in den Vordergrund (Juchler 2014). Beide Prinzipien stellen komplexe Anforderungen an die Gestaltung des sozialwissenschaftlichen Unterrichts, die leicht zu einer Überfrachtung führen können. Es ist vorstellbar, dass Schüler*innen- und Wissenschaftsorientierung als zwei gänzlich gegensätzliche, kaum miteinander vereinbare Ansprüche verstanden werden, zwischen denen sich Lehrkräfte bei ihrer Unterrichtsgestaltung dichotom zu entscheiden hätten. Durch eine exemplarische Aufbereitung des Unterrichts wird eine Möglichkeit aufgezeigt, diesen vermuteten Zielkonflikt durch eine gezielte Anbindung von Unterrichtsinhalten an konkrete, für Schüler*innen greifbare Beispiele aufzulösen. Im Idealfall wird durch die Konzentration auf Fälle und Beispiele nicht der fachliche Anspruch, sondern der Umfang der im Unterricht behandelten Inhalte reduziert.

Für die Bearbeitung des Modulteils wird eine grundsätzliche Vertrautheit mit dem Konzept der fachdidaktischen Prinzipien in der schulischen politischen Bildung vorausgesetzt. Eine entscheidende Überlegung bei der Auswahl der Vignetten und der Konzeption der Lernaufgaben war für uns, dass Studierende diese Prinzipien anhand der beiden Vignetten nicht als abstrakte Anforderungen an ihren Unterricht wahrnehmen, sondern die Relevanz der Prinzipien für berufspraktische Herausforderungen erkennen können.

So beginnt dieser Modulteil in der Vorbereitungslektion unmittelbar mit einer nahezu plakativen Situation in Vignette No. 20 („Global Governance“): Hier bereitet ein noch wenig praxiserfahrener Lehrer eine Unterrichtsstunde zum Themenfeld Global Governance auf einem eher universitären Niveau lehrgangshaft für eine elfte Klasse einer Gesamtschule auf. Obwohl viele Schüler*innen sich beteiligen, wird deutlich, dass die Klasse weder seinen Ausführungen noch dem zur Verfügung gestellten Material folgen kann – die Schüler*innen wirken abgelenkt und verlieren zunehmend ihre Motivation. Die kurze und optionale Auseinandersetzung mit dieser Situation führt weiter zur Lektüre dreier kurzer Texte zu den Prinzipien Schüler*innenorientierung (Klee 2010), Wissenschaftsorientierung (Juchler 2014) und exemplarisches Lernen (Grammes 2014).

Die im Seminar zu bearbeitenden Kernaufgaben beziehen sich auf die Vignette No. 19 („Der Begriff ‚Macht‘“). Die darin dargestellte Situation stammt aus einer Unterrichtsreihe zur Globalisierung. Hier initiiert die Lehrerin im Anschluss an eine gemeinsam gesehene Reportage ein Unterrichtsgespräch über das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen und Staaten. Im gezeigten Ausschnitt wird über den Begriff Macht diskutiert, welcher von einigen Schüler*innen alltagssprachlich verstanden wird. Ähnlich wie in Modulteil C1 werden die Studierenden auch hier aufgefordert, die Schüler*innenvorstellungen zu den zentralen Begriffen der Einheit zu beschreiben und zu deuten. In der Reflexion soll hier allerdings besonderes Augenmerk auf die Frage gelegt werden, inwiefern der gezeigte Unterricht den Prinzipien der Schüler*innen- und Wissenschaftsorientierung gerecht wird. Dies lässt sich nur differenziert beantworten: Die Lehrerin agiert einerseits sehr schüler*innennah und legt zugleich Wert auf eine fachnahe Begriffsverwendung der Schüler*innen; andererseits übergeht sie jedoch die schüler*innenspezifischen konzeptuellen Verständnisse dieser Begriffe. In diesem Zusammenhang kann der mögliche Widerspruch zwischen Subjekt- und Wissenschaftsorientierung (Detjen 2007; Klee 2010) angesprochen werden. Die Lehrerin bereitet den Unterricht in dieser Situation bereits exemplarisch auf und versucht, zentrale Begriffe an Beispielen zu erläutern. Allerdings sollte in der Diskussion hinterfragt werden, inwiefern eine schüler*innengerechtere Ausgestaltung dieser Exemplarität, und damit auch eine weitere Reduktion des Inhalts- und Begriffsumfangs, die Schüler*innenorientierung ihres Unterrichts erhöhen könnte, ohne die Wissenschaftsorientierung des Faches zu vernachlässigen.

Die nachbereitende Aufgabe, die zur individuellen Bearbeitung oder auch in einer nachfolgenden Einheit als Gruppenaufgabe verwendet werden kann, baut auf die gemeinsame Abschlussdiskussion im Seminar auf. In Abhängigkeit vom Studienfortschritt der jeweiligen Studierendengruppe kann hier ein alternativer Unterrichtsverlauf in einem analogen Kontext skizziert oder auch detailliert geplant werden. Dabei soll eine dezidiert exemplarische Aufbereitung einer Einheit zum Themenfeld Globalisierung angestrebt werden. In dieser Auseinandersetzung kann an die in beiden Vignetten gezeigten Lehrkräftehandlungen angeknüpft werden.

Mit Blick auf das Prinzip der Schüler*innenorientierung überschneidet sich der Modulteil C2 mit dem Modulteil A2, in dem Schüler*innenorientierung und Problemorientierung in der Einstiegsphase bearbeitet wird (siehe Filler und Gronostay in Kap. 7). Dabei werden bezogen auf Unterrichtseinstiege die oft ebenfalls schwierig zu vermittelnden Ansprüche dieser beiden Prinzipien gegenübergestellt und Handlungsalternativen entworfen. Da Modulteil C2 jedoch durch die Gegenüberstellung von Schüler*innen-, Wissenschaftsorientierung und Exemplarität zwei weitere fachdidaktische Prinzipien in den Blick nimmt und sowohl die Planung und Gestaltung von Gesamtunterrichtsstunden als auch den Umgang mit besonders kritischen Situationen bei Fehlplanungen – Critical Incidents – fokussiert, kann Modulteil C2 als Ergänzung oder Vertiefung von A2 verwendet werden.

Die Lehr-/Lernumgebung des Modulteils C2 – Didaktische Reduktion ist auf die folgenden Kompetenzerwartungen ausgerichtet:

Die Studierenden…

  • erkennen Anzeichen für eine fehlende Passung von Unterrichtsinhalten, -methoden und den fachlichen, fachsprachlichen und motivationalen Voraussetzungen einer Lerngruppe.

  • diskutieren Planungs- und Handlungsentscheidungen einer Lehrkraft vor dem Hintergrund der fachdidaktischen Prinzipien Schüler*innen- und Wissenschaftsorientierung.

  • vergleichen Möglichkeiten zur inhaltlichen und sprachlichen Reduktion und zielgruppengerechten methodischen Anpassung von komplexen Lerninhalten im Inhaltsfeld „Globalisierung“.

  • skizzieren Entwürfe für am Prinzip des exemplarischen Lernens orientierten Unterricht zu vorgegebenen Inhaltsfeldern.

5 Modulteil C3 – Problematische Schüler*innenäußerungen

Die zentrale Herausforderung dieses Modulteils liegt in der Konfrontation mit Schüler*innenaussagen, deren Inhalt als rechtspopulistisch, menschenverachtend oder rassistisch eingeordnet werden kann. Gerade für angehende Lehrkräfte in gesellschaftswissenschaftlichen Fächern ist der Umgang mit Rechtspopulismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im Unterricht eine dauerhaft relevante Anforderung (Behrens et al. 2021; May und Heinrich 2020), die in einem engen Zusammenhang zu den Grenzen von Kontroversität im Unterricht steht (siehe Kap. 5). Eine wichtige Anforderung für die politische Lehrkräftebildung ist es hier, das häufige Fehlverständnis des Kontroversitätsgebots und Überwältigungsverbots als „Neutralitätsgebot“ zu verhindern (Hoffmann 2016). Qualitative Untersuchungen (Behrens 2014) zeigen zudem, dass individuelle Bewährungserlebnisse bei solchen herausfordernden Situationen häufig in einer Vermeidung der Auseinandersetzung und sogar einem Ignorieren der demokratie- oder menschenfeindlichen Inhalte von Äußerungen oder Handlungen bestehen. Gerade vor diesem Hintergrund erscheint eine antizipierende Auseinandersetzung mit solchen Herausforderungen in der Lehrkraftbildung essentiell.

Die beiden ausgewählten Unterrichtsszenen kontrastieren verschiedene Reaktionsmöglichkeiten auf problematische Schüler*innenäußerungen. In einer der im Modulteil C3 verwendeten Vignetten (No. 17: „Ursachen von Migration“) wehrt der verantwortliche Lehrer eine Äußerung eines Schülers entschieden ab, in einer zweiten Vignette (No. 16: „Fishbowl-Diskussion zum NPD-Verbotsverfahren“) verhält sich die Lehrerin zunächst lange Zeit eher passiv. Die kontrastierende Gegenüberstellung der Vignetten hat das Ziel, für die Studierenden die Frage aufzuwerfen: Wie würden sie damit umgehen?

Idealerweise sollten die Studierenden vor der Bearbeitung dieses Modulteils bereits über grundlegendes Wissen zum Beutelsbacher Konsens verfügen. Auch Wissen über die Partei NPD und die gescheiterten Verbotsverfahren sind für die Bearbeitung der späteren Aufgaben notwendig. Eine fachliche Einordnung relevanter Begriffe wie menschenfeindlich, rechtsextrem, rechtspopulistisch, verfassungsfeindlich und verfassungswidrig sollte – falls nicht im Fachstudium erfolgt – ebenfalls im Rahmen des Seminars vorgenommen werden.

Um einen Teil dieses Grundlagenwissens sicherzustellen, beantworten die Studierenden in den Vorbereitungsaufgaben kurze Quizfragen zu beiden Wissensfeldern und werden ermutigt, bei starken Wissenslücken eigenständig zu recherchieren. Nach darauf folgenden verständnisorientierten Lektüreaufgaben zu Texten von May (2016) und Besand (2020) beginnt der Modulteil C3 mit einer Beobachtungsaufgabe zu Vignette No. 17. Die Vignette soll hier einen eher unerwarteten Einstieg in die angekündigte Auseinandersetzung mit problematischen Schüler*innenäußerungen bieten: Sie zeigt einen Unterrichtseinstieg zum Themenfeld Migration und Integration, in dem ein Schüler „Hartz 4“ als möglichen Einwanderungsgrund nennt. Dies führt zu einer überraschend scharfen Reaktion des Lehrers. Die Studierenden sollen hier zunächst die relevanten Unterrichtsinhalte erkennen, die einen Kontext für die anschließende Analyse des Lehrerverhaltens und seiner Reaktion auf die Aussage des Schülers bieten. Die Vignette liefert eine erste Diskussionsgrundlage für den Einstieg in die Seminareinheit, bei der die Reaktion des Lehrers auch vor dem Hintergrund der fachdidaktischen Literatur – zumindest ohne Kenntnis des weiteren Kontexts der Lehrer-Schüler-Beziehung – als überzogen und die Person des Schülers potenziell als abwertend problematisiert werden kann. Mit Blick auf die Äußerung des Schülers kann dennoch diskutiert werden, ob und inwiefern derartige Aussagen ein im Unterricht zu behandelndes Problem darstellen können.

Im Fokus der Einheit steht jedoch die Vignette No. 16, welche eine Fishbowl-Diskussion zum NPD-Verbotsverfahren darstellt. Darin machen sich zwei Schüler die Positionen der NPD zu eigen, wobei unklar bleibt, inwiefern sie hier argumentativ eine Rolle einnehmen oder sich diese Positionen mit ihren eigenen Haltungen vermengen. Die anwesende Lehrerin greift hier nur sehr zögerlich ein, indem sie – ohne direkte Thematisierung der entsprechenden Aussagen – zur abstrakteren eigentlichen Diskussionsfrage des Für und Wider eines Verbots hinzulenken versucht.

Die Studierenden gleichen hier zunächst Probleme und Schwierigkeiten, die ihnen an der Situation auffallen, mit ihren zuvor notierten Erwartungen ab. Wie auch in der Vorbereitungsvignette zielen die Aufgaben hier auf die Analyse und Bewertung des Verhaltens der Lehrkraft. Dies soll in eine anschließende, fachdidaktisch fundierte Reflexion hinsichtlich der in diesen Situationen vorliegenden Spannungen hinsichtlich des Lehrkräftehandelns überleiten. Eine von uns vorgeschlagene Möglichkeit ist, eine mögliche Schematisierung solcher Spannungsverhältnisse in Form der Reflexionsmatrix von Behrens (2014) zu präsentieren. Durch diese, wie auch durch andere mögliche Formen der Sicherung, sollten ihre Studierenden hier angeregt werden, ihre eigenen Verortungen in diesen Spannungsfeldern und damit verbundene Handlungsoptionen zu reflektieren.

Der Modulteil C3 setzt Grundkenntnisse des Beutelsbacher Konsens voraus und zielt darauf, durch eine Sensibilisierung für die angesprochenen Herausforderungen eine Reflexion zu ermöglichen, sodass gemeinsam mögliche Handlungsstrategien und -alternativen diskutiert werden können. Die angesetzte Zeit ist mit einer 90-minütigen Einheit angesichts des möglichen Diskussionsbedarfs knapp bemessen, weshalb wir Dozierende dazu anregen möchten, einzelne Aspekte der Videos und Diskussionen in der darauffolgenden Sitzung zu vertiefen. Die Auseinandersetzung mit den Grenzen von Kontroversität wird überdies auch in Modulteil C4 vertieft.

Die Lehr-/Lernumgebung des Modulteils C3 – Problematische Schüler*innenäußerungen ist auf die folgenden Kompetenzerwartungen ausgerichtet:

Die Studierenden…

  • erkennen problematische Äußerungen von Schüler*innen vor dem Hintergrund verschiedener Ziele politischer Bildung.

  • leiten aus Aussagen von Schüler*innen Vermutungen über Vorstellungen und Einstellungen ab.

  • diskutieren die Angemessenheit von Interventionsmöglichkeiten bei problematischen Äußerungen vor dem Hintergrund von Alltagskonzepten, Alltagssprache und Differenzierungsfähigkeiten von Schüler*innen.

  • wägen mit Blick auf die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens verschiedene Möglichkeiten des Lehrer*innenhandelns bei populistischen oder extremistischen Äußerungen gegeneinander ab.

  • entwickeln differenzierte, fachdidaktisch und aus der gegebenen Situation begründete Interventionsmöglichkeiten.

Interviews, die wir im Rahmen der Entwicklung unseres Lernmaterials mit Studierenden durchführten, zeigten, dass diese hier stark auf allgemeine Klassenregelaspekte fokussieren und den problematischen Gehalt der Schüleraussagen oft lediglich als Sprachregelverstoß deuten (Kindlinger und Hahn-Laudenberg, 2023). Gerade vor dem Hintergrund des Kontroversitätsgebots wäre hier mit den Studierenden auch zu diskutieren, inwiefern die Schüler*innen die eigentliche Unterrichtfrage nach dem Verbot der NPD als weniger kontrovers empfinden als die Frage nach der inhaltlichen Legitimität der Parteipositionen. Eine wesentliche Frage im Seminarkontext ist hier, wie die Lehrerin mit dieser Diskursverschiebung umgehen könnte, ohne lediglich Klassenführungsaspekte in den Blick zu nehmen.

6 Modulteil C4 – Kontroverse Themen im Unterricht

Die zentrale Herausforderung des Modulteils C4 besteht in der Frage, wie Unterrichtsthemen angemessen kontrovers dargestellt werden können. Es handelt sich also um eine vertiefende Einheit zu speziellen Herausforderungen, die sich im Rahmen des Beutelsbacher Konsens an sozialwissenschaftlichen – aber auch fachübergreifenden – Unterricht stellen. Dabei knüpfen die Inhalte des Modulteils an eine aktuelle pädagogische Debatte zu Kriterien für Kontroversität an (Yacek 2018).

Ausgehend insbesondere von einem Beitrag von Hand (2008) dreht sich diese Debatte darum, welche Kriterien verschiedene Themen – und die zu diesen Themen vertretenen Positionen – erfüllen müssen, damit diese berechtigterweise „nicht direktiv“ im Unterricht diskutiert werden können. „Nicht direktiv“ bedeutet, dass diese Themen „ohne klare pädagogische Ziel- und Lenkungsabsicht und ohne darauf abgestimmte Mittel (etwa die Nutzung von Framing-Effekten) unterrichtet und so unparteilich wie möglich“ dargestellt werden (Drerup 2021, S. 484). Durch diese Terminologie wird eine neue Differenzierung in die Debatte um den Beutelsbacher Konsens eingeführt, die eine mögliche – wenn auch sehr eng gefasste – Antwort darauf sein kann, was „im Unterricht kontrovers erscheinen“ (Wehling 1977, S. 179) in der Praxis bedeuten kann. Für diesen hohen Anspruch werden insbesondere drei Kriterien vorgeschlagen:

  1. 1.

    Das soziale Kriterium, wonach sich die Kontroversität von Themen durch deren Umstrittenheit in der Öffentlichkeit rechtfertigt,

  2. 2.

    das politische Kriterium, das eine Vereinbarkeit mit liberal-demokratischen normativen Grundvorstellungen – in Deutschland insbesondere der freiheitlichen demokratischen Grundordnung – voraussetzt, und/oder als politisch-authentisches Kriterium vor allem institutionalisierte politische Debatten in den Blick nimmt, sowie

  3. 3.

    das epistemische Kriterium, welches nur dort eine für den Unterricht legitime Form von Kontroversität sieht, wo verschiedene Positionen mit der Vernunft vereinbar sind.

Das politische und epistemische Kriterium schließen an die im Beutelsbacher Konsens vorhandene Einschränkung auf Themen an, die „in Wissenschaft und Politik kontrovers“ (Wehling 1977, S. 179) sind. Allerdings ist beispielsweise das epistemische Kriterium in der Debatte nicht auf eine reine Vereinbarkeit mit wissenschaftlichen Erkenntnissen beschränkt (Hand 2007), sondern bezieht sich auf eine weiter gefasste Vorstellung von Rationalität und Begründbarkeit. Ein Verstoß gegen die Kriterien würde nicht notwendigerweise zu einem Ausschluss des jeweiligen Inhalts oder der Positionen aus dem Unterricht führen: Stattdessen rechtfertigt ein Verstoß einen direktiven Unterricht, in dem unterschiedliche Positionen als ungleichwertig dargestellt werden und durch deutliche oder auch subtile Praktiken auf eine Position hingewirkt wird (Warnick und Smith 2014).

Wie schon im Kap. 5 zum Modul erläutert, zeigen bisherige Seminarerfahrungen große Unsicherheiten unter Studierenden, welche Inhalte sich angemessen kontrovers diskutieren lassen und inwiefern das Einwirken auf die Positionen von Schüler*innen sich mit dem Überwältigungsverbot vereinbaren lässt. Die in Modulteil C4 eingesetzten Situationen bieten die Möglichkeit, diese Fragen anhand zweier Fälle zu diskutieren. Wie auch zur Bearbeitung von Modulteil C3 ist auch für Modulteil C4 grundsätzliches Wissen über die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens notwendig. In einem einführenden Quiz werden dabei drei mögliche Fehlverständnisse zum Beutelsbacher Konsens geprüft (wie etwa das Verständnis des Kontroversitätsgebots im Sinne eines allumfassenden Neutralitätsgebots), sodass die Studierenden zu einer ersten Reflexion angeregt werden. In der Vorbereitungslektion arbeiten die Studierenden anschließend mit Vignette No. 21 („Probleme der Integration“), in der eine Lehrerin eine künstliche Kontroverse zum Themenfeld Integration im öffentlichen Dienst erzeugt. Sie kontextualisiert dabei zunächst die zu dem Zeitpunkt diskutierten Integrationsprogramme und bittet ihre Klasse, mögliche Gründe für derartige Programme zu nennen. Anschließend fragt sie nach „Fragen und Problemen“ mit Blick auf „mehr Menschen mit Migrationshintergrund für den öffentlichen Dienst“. Diese zweite Frage scheint für die Schüler*innen der ersten Frage gegenübergestellt zu sein. Wie sich in den Beiträgen der Schüler*innen zeigt, ruft diese Dichotomisierung nun eine Sammlung von gefühlten Nachteilen von Integrationsmaßnahmen hervor. Die Schüler*innen beginnen, Integration grundsätzlich zu problematisieren und äußern dabei vorurteilsbehaftete Vorstellungen, die von der Lehrerin gleichermaßen freundlich-bestärkend aufgenommen werden. Möglicherweise unbeabsichtigt entsteht so eine künstliche Kontroverse, die potenziell Vorurteile legitimiert und verstärkt und somit mit Blick auf das politische und ebenfalls das epistemische Kriterium kritisiert werden kann. Die Auseinandersetzung mit dieser Situation soll die Studierenden in der Vorbereitung für die Herausforderungen des Themenfeld sensibilisieren.

Die Kernaufgaben beziehen sich auf Vignette No. 22 („Umweltschutz umgekehrt“), in der eine Lehrerin das Themenfeld Umweltschutz möglicherweise indoktrinierend aufbereitet. Entscheidend ist hier, dass die Lehrerin hier vermutlich eine motivierende Umsetzung des Themas geplant hatte, was jedoch nur teilweise den intendierten Effekt auf die Lerngruppe zu haben scheint. Während die Lehrerin erkennbar eine Sensibilisierung für das Thema Umweltschutz anstrebt, werden Ansatzpunkte für Kontroversität, die die Schüler*innen hervorbringen – wie beispielsweise die Frage nach dem Status von Atomkraft mit Blick auf Umweltschutz – von ihr übergangen. Die Studierenden sind in der Reflexion zum einen gefordert zu prüfen, ob in Vignette No. 22 schon eine Form von Indoktrination vorliegen könnte – trotz der expliziten Verortung von Umweltschutz in curricularen Vorgaben einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. Zum anderen sollen sie überlegen, wie sich das Themenfeld exemplarisch und, im Gegensatz zur Vignette, auch kontrovers aufbereiten ließe – ohne dabei jedoch eine Ausgewogenheit zwischen verschiedenen nicht gleichwertigen Positionen („false balance“) zu erzeugen. Dies kann durch eine Reflexionsaufgabe zur Klimakrise als Herausforderung für das Kontroversitätsgebot vertieft werden: Dabei soll erkannt werden, wie sich in „kontroversen“ Diskussionen zu diesem Themenfeld echte politische Kontroversen (Wie gehen wir mit den bevorstehenden klimatischen Veränderungen um?) mit Scheinkontroversen (Gibt es überhaupt einen Klimawandel?) vermengen können.

Die Kriteriendiskussion liefert den Studierenden hier Begrifflichkeiten, die sie in der Auseinandersetzung mit den beiden Fällen verwenden können. So können die Kriterien auch als Prüfkriterien für das Vorliegen von „authentischen“ und pädagogisch sinnvollen Kontroversen verstanden werden – sowie auch als Grundlagen für Abwägungsentscheidungen, wie stark lenkend Lehrkräfte die Diskussion von spezifischen kontroversen Themen gestalten sollten.

Die Lehr-/Lernumgebung des Modulteils C4 – Kontroverse Themen im Unterricht ist auf die folgenden Kompetenzerwartungen ausgerichtet:

Die Studierenden …

  • diskutieren den Zusammenhang zwischen der Gesprächsführung der Lehrkraft und den problematischen Schüler*innenäußerungen.

  • untersuchen Unterrichtsausschnitte und übergreifende Planungen hinsichtlich einer angemessen kontroversen Aufbereitung der Lerninhalte.

  • reflektieren, inwieweit sich unterschiedliche Unterrichtsinhalte für eine kontroverse Aufbereitung eignen.

  • diskutieren den Übergang von lenkender Unterrichtsführung zu Indoktrination am Beispiel einer Unterrichtsszene.

  • entwickeln Ideen für eine kontroverse Aufbereitung des Themas „Umweltschutz“ im sozialwissenschaftlichen Unterricht.

Die Erfahrungen im Seminar zeigen, dass je nach Vorkenntnissen der Studierenden ein Verständnis für die Kriterien nicht unmittelbar aus den Vorbereitungstexten vorausgesetzt werden kann, sondern gemeinsam im Seminar erarbeitet werden muss. In der Analyse der beiden Vignetten zeigte sich jedoch schnell der Mehrwert der begrifflichen Unterscheidungen, die im Rahmen der Kriteriendebatte angelegt werden: So kann im Hinblick auf die Themenfelder Integration und Umweltschutz gemeinsam mit den Studierenden diskutiert und geprüft werden, welche Fragestellungen mit Blick auf welches Kriterium eine Kontroverse darstellen und welche Positionen oder auch Fragestellungen gegebenenfalls außerhalb der Kriterien liegen. Ebenfalls haben sich für uns Diskussionen über die Frage, wie sich direktives und nicht-direktives Unterrichten in der Praxis unterscheiden (Warnick und Smith 2014) als fruchtbar erwiesen. Mit Blick auf Vignette No. 22 zum Umweltschutz ist es zudem möglich, die im Material bereitgestellte Definition von Indoktrination durch weitere Definitionen zu ergänzen.

7 Critical Incidents als Reflexionsansätze

Zum Material des Moduls C stellen wir umfangreiche Handreichungen für Dozierende zur Verfügung. Diese enthalten Erwartungshorizonte, die teilweise unterschiedliche Perspektiven auf die komplexen Fallbeispiele abbilden sollen. Es handelt sich dabei explizit nicht um Musterlösungen, sondern um Hinweise und Anregungen, die entsprechend dem Reflexionsanspruch des Core-Practices-Ansatz keine Auflösbarkeit der gezeigten Situationen nahelegen, sondern ein „Elaborieren und Weiterentwickeln“ (Fraefel und Scheidig 2018, S. 349) ermöglichen sollen. Hervorzuheben ist, dass die in den Vignetten gezeigten Situationen aus Sicht der angehenden Lehrkräfte als teilweise angstbesetzte Herausforderungen antizipiert werden (Kap. 5). Für Dozierende ist dabei wichtig, immer wieder zu betonen, dass die kritische Auseinandersetzung mit den Vignetten keine Verurteilung der dargestellten Lehrkräfte implizieren soll. Bei allen kritikwürdigen Aspekten des in den sieben Vignetten dargestellten Unterrichts handelt es sich um alltägliche und keineswegs dramatische Fälle, die kein Urteil über die allgemeine fachdidaktische Kompetenz der Lehrkräfte erlauben. Für Studierende bieten unsere Vignetten die Möglichkeit, solche schulrealitätsnahen Situationen losgelöst von konkretem Handlungsdruck fachdidaktisch einzuordnen, verbundene sozialwissenschaftlichen Lehr-/Lernprozesse zu erkennen, und, darauf aufbauend, theoriebasiert Handlungsoptionen zu entwickeln und reflektieren. Wir möchten Dozierende daher ermutigen, die im Modul C zur Verfügung gestellten Aufgaben an ihre Bedürfnisse und Gegebenheiten anzupassen und mit eigenen Schwerpunktsetzungen anzureichern.