Schlüsselwort

1 Einleitung

„Selbstverständlichkeit anstatt Rücksichtnahme“

Aus: Koordinierungsbüro zur Umsetzung der UN-BRK in München (2021)

Aufzüge in Bürogebäuden, Rollstuhlrampen vor Wahllokalen oder Treppenlifte in Wohnhäusern – dies sind Beispiele für typische Assoziationen vieler Menschen zum Schlagwort Barrierefreiheit. Man wird dem vielgestaltigen Begriff aber nicht gerecht, wenn man ihn auf die Zugänglichkeit von Gebäuden und Transportmitteln beschränkt. Wie die UN-Behindertenrechtskonvention konstatiert, geht Barrierefreiheit über die Beseitigung von baulichen Barrieren im Sinne einer „volle[n] Teilhabe in allen Lebensbereichen“ (UN-BRK 2008, S. 13) hinaus. Barrierefreiheit, im Sinne des Behindertengleichstellungsgesetzes von Bund und NRW, „[…] ist die Auffindbarkeit, Zugänglichkeit und Nutzbarkeit der gestalteten Lebensbereiche für alle Menschen“ (BGG 2003). Die Zugänglichkeit aller Lebensbereiche umfasst dabei „[…] den gleichberechtigten Zugang zur physischen Umwelt, zu Transportmitteln, Information und Kommunikation, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten […]“ für Menschen mit Behinderungen (UN-BRK Art. 9). Der vorliegende Beitrag berücksichtigt diesen Grundsatz und bezieht sich daher auf die digitale Barrierefreiheit: auf Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die damit zusammenhängenden Systeme. Angesichts der weitreichenden Digitalisierung ist der Blick auf die Barrierefreiheit digitaler Räume zu richten. Alle am Bildungskontext Beteiligten profitieren von einem barrierefrei gestalteten Umfeld. Barrierefrei gestaltete Lehr-/Lernumgebungen bieten oft mehrere Bedienmöglichkeiten, können beispielsweise mit der Tastatur oder mit der Maus gesteuert werden, die Inhalte können vorgelesen werden. Sie bieten allen Nutzenden Wahlmöglichkeiten. Ein weiteres Beispiel sind Videos mit Untertiteln, die nicht nur für Menschen mit Hörbeeinträchtigung notwendig sind, sondern z. B. auch das Hörverständnis von nicht-Muttersprachler*innen unterstützen. Die Literatur deutet jedoch auf Forschungsdesiderate und Umsetzungsdefizite bezogen auf die Barrierefreiheit im Kontext von Lehr-/Lernprozessen hin (Wilkens et al. 2021a; Haage et al. 2021).

Im LArS-Projekt entwickelt ein hochschulübergreifendes Team aus Fachdidaktiker*innen lizenzfreie und digitale Lehr-Lernmaterialien für die Verwendung in der Lehrer*innenbildung im Fach Sozialwissenschaften. Die Teammitglieder haben sich vorgenommen, alle entstehenden Lehr-/Lernmaterialien sowie die Onlinelernumgebung barrierefrei zu gestalten. Dazu kooperierten die Dortmunder Projektmitarbeiter*innen mit dem Bereich Behinderung und Studium der TU Dortmund (kurz: DoBuS), der u. a. Lehrende bei der Gestaltung ihrer Lehr- und Lernmaterialien berät und unterstützt. Auf diese Weise sollten fach- und hochschuldidaktische Expertise und Kompetenz im Bereich Barrierefreiheit und gleichberechtigte Teilhabe an Hochschulbildung vernetzt und für das Projekt fruchtbar gemacht werden.

In diesem Beitrag werden die Erfahrungen dieser Kooperation dargestellt und reflektiert. Ziel ist, einen Überblick über relevante Aspekte der Barrierefreiheit im Kontext von (digitalen) Lehr-/Lernmedien zu geben sowie Einblicke in konkrete Erfahrungen hiermit im Kontext des LArS-Projekts zu gewähren. Zunächst werden die theoretischen Grundlagen digitaler Barrierefreiheit dargelegt. Im Mittelpunkt stehen die grundlegenden Prinzipien bei der Gestaltung barrierefreier Videos. Anschließend stehen die praktischen Erfahrungen im LArS-Projekt im Fokus. Dieser Teil differenziert zwischen inhaltlichen, formalen und technischen Aspekten sowie Feedback und Korrekturschleifen bei der Erstellung von Untertiteln, Audiodeskriptionen sowie barrierefreiem Begleitmaterial im universitären Lehr-/Lernkontext. Strukturgebend für den Artikel ist die Identifikation von Problemkomplexen und die damit einhergehende Vorstellung potenzieller Lösungsansätze. Letztere können als Denkanstöße für künftige Projekte digitaler Barrierefreiheit im Bildungskontext dienen.

2 Grundlagen zur Produktion von barrierefreien Videos

Kapitel zwei thematisiert die Barrierefreiheit von Videos. Zunächst wird das Potenzial der barrierefreien Gestaltung von Videos erläutert und gezeigt, was Untertitel und Audiodeskription sind und wie sie gestaltet werden. Dann wird auf die Besonderheiten bei der Gestaltung von Untertiteln und Audiodeskription im Hochschulkontext eingegangen. Zuletzt erfolgt ein Einblick in die Umsetzung barrierefreier Lernumgebungen im Sinne des Universal Design for Learning.

2.1 Ansprüche an barrierefreie Videos

Videos werden zunehmend in Bildungskontexten eingesetzt, auch in inklusiven Settings wird ihnen ein großes Potenzial im Sinne des Universal Design for Learning zugeschrieben (AEM Center o. D.). Allerdings werden Studierende mit Sinnesbeeinträchtigungen ausgeschlossen, wenn die Videos nicht barrierefrei gestaltet werden (Thompson 2015). Barrierefreiheit bei Videos heißt, Alternativen für Nutzer*innen, die die Audioinformationen oder die Bildinformationen nicht (vollständig) wahrnehmen können, anzubieten. Wer schlecht hört oder gehörlos ist, benötigt Untertitel, die am unteren Bildrand das im Film Gesagte schriftlich wiedergeben. Wer sehbeeinträchtigt oder blind ist, braucht eine Audiodeskription, die als zusätzliche Tonspur in den Gesprächspausen des Films beschreibt, was im Bild zu sehen ist. Auch bei der Bereitstellung der Videos muss Barrierefreiheit mit bedacht werden, denn sie müssen für alle erreichbar und bedienbar sein. Das betrifft vor allem die Videoplayer, denn Player, die nicht für eine reine Tastaturbedienung ausgelegt sind, können von Nutzer*innen, die mit assistiven Technologien wie Screenreadern oder Mausalternativen arbeiten, nicht bedient werden (Puhl und Lerche 2019).

Untertitel

Untertitel für Hörgeschädigte (SDH, subtitles for the D/deaf and hard of hearing) enthalten neben dem Gesagten auch Informationen über Geräusche, Musik, Soundeffekte, nonverbale Laute oder prosodische Merkmale (z. B. Stocken in der Sprache), wenn sie handlungstragend bzw. für das Verständnis unerlässlich sind (Mälzer und Wünsche 2019c, S. 333). Unterschieden wird auch zwischen closed captures und open captures: Während open captures in den Film eingebrannt und immer sichtbar sind, können closed captures bei Bedarf zugeschaltet werden. Sie werden mit spezieller Untertitelungssoftware als eigene Datei produziert. Viele Untertitel-Editoren sind kostenlos erhältlich, wie z. B. Subtitle Edit oder Aegisub.

Es gibt keine einheitlichen und verbindlichen Regeln für die Gestaltung von Untertiteln. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der deutschsprachigen Länder haben 2015 aber Richtlinien herausgegeben, die als Standards auch in anderen Kontexten übernommen werden können (ARD/ORF/SRF/ZDF 2015b). Die Standards enthalten Vorgaben für die Zeichenzahl pro Sekunde und pro Zeile, die Platzierung der Untertitel im Bild, die Schriftart, -größe, -farbe sowie den Hintergrund oder die Umrandung der Untertitel (Mälzer und Wünsche 2019c, S. 334). Sie gewährleisten eine gewisse Einheitlichkeit und wurden insbesondere für eine optimale Lesbarkeit festgelegt. Untertitel sollten auf einem schwarzen Hintergrundbalken dargestellt werden und eine serifenlose Schriftart haben (z. B. Arial, Tahoma). Zur Schriftgröße gibt es keine klare Vorgabe, diese sollte aber mindestens 46pt betragen. Anhand der Schriftfarbe können Sprecher*innen zugeordnet werden. Die verwendeten Farben müssen einen guten Kontrast zum schwarzen Hintergrundbalken aufweisen. In der Regel wird weiß verwendet. Weitere empfohlene Farben sind gelb, cyan und grün. Die Farben müssen sparsam eingesetzt werden, z. B. weiß für den hauptsächlich Sprechenden und gelb für weitere Sprechende (ARD/ORF/SRF/ZDF 2015b).

Es dauert in der Regel länger, eine Information zu lesen, als sie zu hören. Deshalb besteht die größte Herausforderung beim Erstellen der Untertitel darin, einen geeigneten Kompromiss zwischen guter Lesbarkeit und der wortgetreuen Wiedergabe des Gesagten zu finden. Die Selbstvertretungsverbände von Menschen mit Hörbeeinträchtigungen und Gehörlosigkeit fordern vor allem eine wortgetreue Übersetzung, die keine Informationen vorenthält (Bosse und Hasebrink 2016, S. 85; Schneider 2013). Das lässt sich nicht immer einhalten. Für eine gute Lesbarkeit sehen die Standards maximal 37 Zeichen pro Zeile und zweizeilige Untertitel vor, die zentriert und vorzugsweise in Pyramidenform am unteren Bildschirmrand angeordnet sind. Abweichungen von der Zeichenzahl von plus minus 20 % sind zulässig (Mälzer und Wünsche 2019c, S. 334). Wenn Kürzungen beim gesprochenen Wort nötig sind, ist es sinnvoller, möglichst nah am Wortlaut zu kürzen, anstatt Sätze umzuformulieren. Ein Großteil der Menschen mit Hörbeeinträchtigungen hat in der Regel noch ein gewisses Hörvermögen. Abweichungen zwischen Text und Gehörtem können deshalb ablenken und das Verständnis behindern (Mälzer und Wünsche 2019c, S. 337). Eine spezielle Herausforderung sind Untertitel für Kinder mit Hörbeeinträchtigungen, die sich noch im Leselernprozess befinden (Mälzer und Wünsche 2019a). Für Kinder und Jugendliche wurden auf Grundlage eines Forschungsprojekts eigene Empfehlungen herausgegeben (Mälzer und Wünsche 2019b).

Audiodeskription

Eine Audiodeskription für Videos zu erstellen, ist deutlich komplexer als eine Untertitelung, weil mehr Entscheidungen getroffen werden müssen. Audiodeskriptionen bieten „eine verbale Beschreibung der relevanten (visuellen) Komponenten eines künstlerischen oder medialen Werks, sodass blinde und sehbehinderte Menschen dessen Form und Inhalt insgesamt verstehen können“ (Remael et al. 2015, S. 11–12). Zu den relevanten Informationen zählen Schauplätze, Personen und Handlungen; auch Texteinblendungen werden vorgelesen. Für die Beschreibungen können nur die Sprechpausen in den Videos genutzt werden, andere akustische Informationen wie Musik- und Toneffekte sollten unberührt bleiben. Es erweist sich häufig als kompliziert zu entscheiden, wo die Informationen platziert und welche Informationen zu welchem Zweck (Sinn der Informationen) ausgewählt werden (Benecke 2019).

Auch für die Audiodeskription gibt es Standards der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (ARD/ORF/SRF/ZDF 2015a). Für die formale Gestaltung lassen sich daraus für Bildungskontexte hilfreiche Regeln ableiten. Innerhalb der Sprechpausen und gleichzeitig möglichst handlungssynchron soll die Audiodeskription die zentralen Fragen „Wer, Wo, Was, Wann“ beantworten. Dabei wird nicht immer in ganzen Sätzen, sondern möglichst knapp und ohne Interpretation, Erklärung oder Bewertung im Präsens formuliert (ARD/ORF/SRF/ZDF 2015a). Ausführliche Anleitungen wurden auch im EU-finanzierten internationalen Forschungsprojekt ADLAB erarbeitet, an dem europäische Universitäten und öffentlich-rechtliche Sender beteiligt waren (Remael et al. 2015). Die Standards beziehen sich vor allem auf Spielfilme und künstlerische Medien.

2.2 Besonderheiten bei Videos in Bildungskontexten

Im Kontext der (Hoch-)Schulbildung ergeben sich weitere Anforderungen, die an die Barrierefreiheit von Videos gestellt werden. Diese folgen zum einen aus den unterschiedlichen Arten von Lehr- und Lernvideos. Sie reichen von klassischen Vorlesungsaufzeichnungen über mit einer mediendidaktischen Zielsetzung produzierte Lehrvideos, wie Erklärvideos oder Screencasts, bis zu interaktiven Videos mit Fragen und Arbeitsaufträgen (Puhl und Lerche 2019, S. 88–89). In der Lehrer*innenbildung werden häufig Unterrichtsbeobachtungen eingesetzt, die einen Einblick in die Unterrichtspraxis geben und zur Reflexion von Unterricht dienen (Wilkens et al. 2021b, S. 330). Hier lassen sich auch die Animationsvideos des Projekts LArS verorten.

Bisher gibt es keine auf den Bildungskontext zugeschnittenen Standards. Die hier vorgestellten Überlegungen sind maßgeblich aus eigenen Erfahrungen und Erkenntnissen in der Arbeit mit Videos abgeleitet. Als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Technischen Universität Dortmund und in Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt „DEGREE 4.0 – Digitale reflexive Lehrer/-innenbildung 4.0: videobasiert – barrierefrei – personalisiert“, beschäftigt sich der Bereich Behinderung und Studium (DoBuS) mit der Barrierefreiheit von Videos im Hochschulkontext.

Bei der Erstellung von Untertiteln steht die Genauigkeit der Übersetzung im Konflikt mit der Lesbarkeit. Im Bildungskontext kommt es aber speziell auf eine wortgetreue Untertitelung an. In der Lehrer*innenbildung werden z. B. Unterrichtssituationen beobachtet und reflektiert. Wenn beispielsweise im Lehramtsstudium das Vorgehen der Lehrkraft anhand einer aufgezeichneten Unterrichtsstunde analysiert wird, kann die originalgetreue ungekürzte Wiedergabe für die Aufgabenerfüllung entscheidend sein. Kompromisse können hier sein, die Zeichenzahl pro Zeile zu erhöhen oder die Standzeit zu verkürzen. Dabei muss im Austausch mit den betroffenen Studierenden ausgelotet werden, wie viel Anpassung bei der Zielgruppe der Studierenden vertretbar ist.

Im Lehr-/Lernkontext müssen Lernziel und Aufgabenstellung auch bei der Erstellung von Audiodeskriptionen mitgedacht werden; die Herausforderung ist allerdings größer. Zu Beginn des Films oder einer Sequenz stehen immer die Situationsbeschreibung und die Schilderung des Settings (Beantwortung der W-Fragen). Beschrieben werden auch Text- und Bildinformationen wie Tafelanschriebe und Abbildungen. Entscheidend ist, dass in der Audiodeskription nicht vorweggenommen wird, was die Studierenden in der Aufgabe bearbeiten sollen. Außerdem darf die Audiodeskription keine wichtigen Informationen auf der Bildebene auslassen. Das entstehende Spannungsfeld zwischen Didaktik und Barrierefreiheit (Wilkens et al. 2020) wird verstärkt, wenn die Audiodeskription von fachfremden Beschreiber*innen verfasst wird. Dann ist ein enger Austausch mit den Lehrenden, die das Video einsetzen, notwendig. Fragen, die Autor*innen mit den Lehrenden besprechen sollten, sind unter anderem: Sollen Handlungen prozesshaft beschrieben werden (z. B. „Der Schüler malt einen Kreis, zieht zwei Striche hindurch, streicht dann alles durch und malt einen weiteren Kreis daneben, durch den er zwei Striche zieht“) oder endproduktorientiert („Der Schüler malt einen Kreis mit vier gleichgroßen Teilen“)? Sind Gestik und Mimik wie Lächeln, Augenrollen oder Wegschauen von Bedeutung? Welches fachliche Wissen kann vorausgesetzt werden; ergo, welche Fachbegriffe müssen die Beschreiber*innen kennen? Es kann auch sein, dass das Video mehrfach mit unterschiedlichen Lehr-/Lernzielen eingesetzt wird und deshalb verschiedene Audiodeskriptionen für das gleiche Video notwendig sind.

Eine sowohl technische als auch didaktische Herausforderung stellt das richtige Timing dar, also die Frage, in welche Sprechpause der Text der Audiodeskription eingefügt wird. Beschreibung und Sprechpause müssen sinnvoll aufeinander abgestimmt sein (Mälzer und Wünsche 2019a, 455). Eine technische Herausforderung ergibt sich, wenn schlicht zu wenig Sprechpausen im Video vorhanden sind. Im Bildungskontext hat es sich als notwendig erwiesen, teilweise verlängerte Pausen durch Standbilder in das Video einzufügen, wenn Beschreibungen zur Bearbeitung der Aufgabe nicht ausgelassen werden können (Wilkens et al. 2021b). Bei Beobachtungsaufgaben muss die Audiodeskription beispielsweise sicherstellen, dass sehr genau über die Beobachtung diskutiert werden kann. Im Projekt DEGREE 4.0 hat DoBuS Audiodeskriptionen für Videos verschiedener Fachdidaktiken erstellt. Im Zuge des Projekts sind bisher folgende Formate entstanden:

  • die klassische Audiodeskription, bei der die Audiodeskription in die vorhandenen Sprechpausen eingefügt wird,

  • die erweiterte Audiodeskription, bei der Standbilder in das Bild eingefügt werden sowie

  • die schriftliche Audiodeskription, die erstellt wird, wenn das Video aus Datenschutzgründen keinen Ton, aber Untertitel enthält oder, wenn wichtige Bildelemente im Video nicht ausreichend beschrieben werden können, z. B. eine Karikatur, die als Unterrichtseinstieg dient (Wilkens et al. 2021b, S. 336).

In Fernsehproduktionen werden Beschreiber*innen mit Sehbeeinträchtigung oder Blindheit immer in den gesamten Prozess miteinbezogen, weil nur sie das Ergebnis der Audiodeskription beurteilen können. Eine abschließende „Qualitätskontrolle“ ist gewinnbringend, weil sehende Autor*innen immer auf Grundlage der visuellen Inhalte arbeiten. Auch während der Erstellung der Audiodeskription ist es sinnvoll, wenn sehende Beschreiber*innen mit Menschen mit Sehbeeinträchtigung oder Blindheit zusammenarbeiten. Das wird in der Hochschule nur selten leistbar sein, aber in Zweifelsfällen oder bei schwierigen Entscheidungen gibt es dazu im Grunde keine Alternative. Diese Perspektive kann an Hochschulen durch zentrale Einrichtungen eingebracht werden, die sich um digitale Barrierefreiheit und die Belange von Studierenden mit Behinderungen kümmern. An der TU Dortmund gibt es mit DoBuS eine zentrale Servicestelle, die Lehrende bei der Erstellung barrierefreier Materialien berät und bei Bedarf Materialien für Studierende mit Behinderungen umsetzt. Bei DoBuS arbeiten Mitarbeiter*innen mit und ohne Behinderungserfahrungen. Die Nutzendenperspektive fließt durch Mitarbeiter*innen mit Behinderungen und die Erfahrungen aus der Beratungsarbeit mit Studierenden mit Behinderungen ein. Solche Servicestellen, die mit entsprechender Expertise und Ressourcen ausgestattet sind, sind an Hochschulen wichtig, um Lehrende zu unterstützen und zu entlasten sowie die Qualität der Barrierefreiheit zu sichern.

2.3 Barrierefreie Lernumgebungen im Sinne des Universal Design for Learning

Videos werden in Bildungskontexten in der Regel in digitale Lernumgebungen eingebaut und mit didaktischen Zielen und Aufgaben verbunden. Im Sinne des Universal Design for Learning (UDL) muss das gesamte Lehr-/Lernsetting für alle Studierenden auffindbar, zugänglich und nutzbar sein. Universal Design for Learning meint, Lehr-/Lernprozesse so zu gestalten, dass alle Lernenden Informationen entnehmen können (z. B. mit barrierefreien Videos), Lernergebnisse verarbeiten und darstellen können sowie engagiert und motiviert lernen können (für mehr Infos z. B. Fisseler 2021).

Barrierefreiheit ist die Bedingung, damit die drei Gestaltungsprinzipien für Studierende mit Behinderungen umgesetzt werden können. Deshalb müssen auch das Lernmanagementsystem und die eingesetzten Videoplayer/Mediaelemente barrierefrei sein. Im Arbeitskreis Barrierefreie Videos in der Hochschullehre – auf Initiative des Projekts BIK für alle und der Justus-Liebig-Universität Gießen – wurden 2018 Anforderungen an barrierefreie Videoplayer formuliert (Puhl und Lerche 2019).

Es sollte möglich sein, die Untertitel in Form von closed captions einzubinden, damit Nutzer*innen sie nach Bedarf zu- oder abschalten können. Denn was für die einen Notwendigkeit ist, kann für andere eine Barriere sein. So können Untertitel für Nutzer*innen aus dem Autismus Spektrum eine Barriere darstellen (Wilkens et al. 2021a). Viele Videoplayer können mittlerweile closed captions einbinden, sodass Nutzer*innen selbst entscheiden können, ob sie die Untertitel einschalten oder nicht. Selten ist es bisher allerdings möglich, die Audiodeskription als zusätzliche Audiodatei einzubinden, sodass häufig nur die Alternative bleibt, zwei Versionen desselben Films einzustellen. Puhl und Lerche (2019) nennen zwei Player, Able Player und OzPlayer, die dies können.

Eine zentrale Anforderung für die Bedienbarkeit des Players ist die Tastaturbedienbarkeit, da Nutzer*innen mit Sehbeeinträchtigungen/Blindheit oder mit motorischen Beeinträchtigungen häufig assistive Technologien am Computer benutzen und nicht die Maus. In Bildungssettings beschränkt sich die Bedienung häufig nicht nur auf Play, Pause und Stop, sondern es gibt zusätzlich interaktive Inhaltsverzeichnisse oder andere interaktive Elemente wie Quizfragen oder andere Arbeitsaufträge, die häufig über H5P-Elemente mit dem Video kombiniert werden. Auch sie müssen für Tastaturbedienung und Screenreader optimiert sein, da sonst diese Studierenden von der Aufgabe ausgeschlossen sind.

Während Lehrende die selbst produzierten Videos barrierefrei gestalten können, haben sie es nicht in der eigenen Hand, wie die Lernmanagementsysteme mit Mediaplayern und Aufgabenformaten gestaltet sind. Dies ist Aufgabe der Hochschule. Häufig bleiben deshalb nur zweitbeste Lösungen wie zwei Versionen der Videos einzustellen oder gleichwertige Aufgabenalternativen zu entwickeln. Dies bedeutet einen Mehraufwand, der bei einer barrierefreien digitalen Infrastruktur nicht nötig wäre.

3 Produktion barrierefreier Lehr-/Lernmaterialien im LArS-Projekt: ein Erfahrungsbericht

Das Projekt LArS.nrw (Lernen mit Animationsfilmen realer Szenen sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer) zielt auf die Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung von angehenden Lehrer*innen sozialwissenschaftlicher Unterrichtsfächer ab. Im Vordergrund des Verbundprojektes der drei Universitätsstandorte Dortmund, Duisburg-Essen und Wuppertal stehen Animationsfilme, welche auf realen Unterrichtsszenen basieren. Diese Animationen sind eingebettet in eine digitale Lehr-/Lernumgebung, die darüber hinaus Aufgabenstellungen, interaktive Elemente und Self-Assessments bereithält (vgl. CIVES! School of Civic Education 2021). Die Lehr-/Lernmaterialien sind als Open Educational Resources angelegt. Barrierefreiheit im LArS-Kontext betrifft die Lehr-/Lernmaterialien in Form von Videos und Comics, Kontextinformationen in Form von PDF-Dateien, interaktive Module als Zusatzmaterialien und die Onlineumgebung in ihrer Gesamtheit. Der Fokus des vorliegenden Beitrags liegt auf der Barrierefreiheit von Animationen.

Bereits zu Beginn des LArS-Projektes stand Barrierefreiheit auf der Agenda, allerdings hatten die Projektmitarbeiter*innen bisher keine Erfahrung und Expertise in diesem Bereich. Vor diesem Hintergrund eröffnete die Zusammenarbeit mit DoBuS den Zugang zu fachlich fundierten Standards und Konventionen. Die Kooperation ermöglichte den verantwortlichen Mitarbeiter*innen einen Wandel von laienhaft-alltagstheoretischen Ansätzen hin zu einer wissenschaftsbasierten Herangehensweise. Folglich hat die Auseinandersetzung mit digitaler Barrierefreiheit im Laufe des LArS-Projektes einen zunehmenden Stellenwert eingenommen. Allerdings erwies sich das Einführen und Anlernen der Mitarbeiter*innen sowie die Erstellung des barrierefreien Materials als eine zeitintensive Aufgabe.

Je nach Material und Bedarf unterscheiden sich die Anforderungen von Barrierefreiheit. Studierende mit Hörbeeinträchtigungen stoßen auf Barrieren bei Videos, nicht jedoch bei Texten und Comics. Studierende mit Sehbeeinträchtigungen und Blindheit brauchen bei beiden Medienformaten Anpassungen. Der Aufwand für die barrierefreie Gestaltung ist je nach Format unterschiedlich. Dennoch lassen sich übergreifende Problemkomplexe herausarbeiten, um Handlungsempfehlungen für eine barrierefreie (universitäre) Lehre zu generieren. Diese beruhen auf den Herausforderungen, die während der Arbeit an den Lehr-/Lernmaterialien innerhalb des LArS-Projekts auftraten. So entstanden Problemkomplexe, welche nicht trennscharf zu verstehen sind und sich in vier Unterkapitel ausdifferenzieren lassen: Die inhaltliche sowie formale Gestaltung (Abschn. 3.1 und 3.2), die technischen Voraussetzungen der digitalen Lernumgebungen (Abschn. 3.3) und das Feedback sowie die Korrekturschleifen (Abschn. 3.4). Diese werden im Folgenden genauer erläutert. Links zu den Videos des LArS-Projekts mit Untertiteln sind in Abschn. 14.1 zu finden, entsprechende Links zu den Videos mit Audiodeskription in Abschn. 14.2.

3.1 Inhaltliche Gestaltung

Zunächst wird der Problemkomplex der inhaltlichen Gestaltung, der den umfassendsten der vier Problemkomplexe darstellt, behandelt. Dieser lässt sich in vier Unterkategorien ausdifferenzieren: Konflikt zwischen Vollständigkeit und kognitiver Verarbeitungsgeschwindigkeit, Spannungsverhältnisse zwischen Informationsvorsprung und -vorenthaltung, ungewollte Erzeugung von Barrieren bei der Erstellung von barrierefreiem Material sowie barrierefreie Gestaltung von Comics. Diese werden im Folgenden genauer erläutert.

Beim Konflikt zwischen der Vollständigkeit und kognitiver Verarbeitung sind Fragen zur Detailtiefe der Übersetzungen in Form von Untertiteln und Audiodeskriptionen zu beantworten. Bei Videos müssen die Toninformationen in Text und die Bildinformationen in Ton übersetzt werden. Hier ergibt sich ein Konflikt zwischen der Vollständigkeit der Informationen, dem vorhandenen Platz bzw. der verfügbaren Zeit und der Aufnahmefähigkeit der Nutzer*innen. Bei der Einbettung von Untertiteln sowie Audiodeskriptionen geben Länge und Rhythmus der Animationsvideos den Zeitrahmen für die Untertitel und Audiodeskriptionen vor. Schnelleres Sprechen oder längere Untertitel bieten keine Lösung, da sie kognitiv nicht mehr verarbeitet werden können.

Eine der größten Herausforderungen bei der Erstellung von Untertiteln besteht in der Nichtüberschreitung von 37 Zeichen pro Zeile. Zunächst haben wir versucht, die Untertitel einzeilig zu gestalten. Dies ließ sich nicht umsetzen, da die Standzeit zu kurz war und die Sätze in zu kleine Sinneinheiten zerteilt wurden, um sie lesen und verstehen zu können. Der Hinweis von DoBuS auf zweizeilige Untertitel hat sich als wertvoll herausgestellt. Zweizeilige Untertitel sowie eine Maximalstandzeit von bis zu vier Sekunden pro Einblendung sind der kognitiven Verarbeitbarkeit zuträglich. Zugleich kommt die Zweizeiligkeit der Maxime einer möglichst wortgetreuen Wiedergabe des im Animationsvideo Gesagten zugute, ohne dabei die Lesbarkeit zu beeinträchtigen.

Die Erstellung hochwertiger Audiodeskriptionen wirft den zuvor genannten Konflikt ebenfalls auf. Einerseits sollen die bereitgestellten Informationen möglichst vollständig sein, andererseits sind die Sprechpausen oft sehr kurz. Der Anspruch der Vollständigkeit ist vor dem Hintergrund des „Nicht-Vorwegnehmens“ von Interpretation und Wertung zu betrachten. Als Lösung wurde die Abspielgeschwindigkeit der Audiodeskription erhöht. Dies hat jedoch Grenzen, damit alle der Audiodeskription im Sinne des Universal Design for Learning folgen können. Während blinde Menschen erhöhte Sprechgeschwindigkeiten von Screenreadern gewöhnt sind, werden andere dadurch überfordert. Im Material werden zwei Versionen der Videos zur Verfügung gestellt: eine ohne und eine mit Audiodeskription für Studierende mit oder ohne Sehbeeinträchtigungen.

Im Zuge dessen sind stimmspezifische Aspekte der Sprecher*innen – damit sind Parameter wie die Stimmlage, die Tonhöhe und im natürlichen Sprechfluss gesetzte Pausen gemeint – zu berücksichtigen. In der Nachbearbeitung definiert sich der Grad der ‚Raffbarkeit‘ über diese Aspekte; eine sonore Stimme mit trennscharfen Sprech- und Atempausen kann in der Regel in höherem Maße beschleunigt werden. Bei der Erstellung der Audiodeskriptionen bei LArS bedeutete dies konkret, dass die weibliche, eher hohe Stimme der Sprecherin in geringerem Maße beschleunigt werden konnte als die der zweiten männlichen, tiefen Stimme. Sprechgeschwindigkeit und Varianz der Tonhöhe lassen sich zwar modifizieren, beeinflussen aber die Verständlichkeit und Authentizität der Fragmente negativ. Nicht zielführend wäre es in diesem Fall, unbeabsichtigt neue Barrieren zu schaffen.

Das Spannungsverhältnis zwischen Informationsvorsprung und -vorenthaltung zeigt sich bei der Audiodeskription. Eine Schwierigkeit besteht darin, eine präzise Formulierung zu finden, ohne dabei wichtige Informationen auszuklammern oder irrelevante Informationen beizusteuern. Inhalte sollen weder vorenthalten noch vorweggenommen werden. Zur Veranschaulichung kann eine Unterrichtssituation herangezogen werden, in der eine Lehrperson auf einen Schülerbeitrag reagiert, indem sie die Stirn runzelt. Innerhalb einer Audiodeskription ist auf eine möglichst deskriptive Schilderung der beobachteten Situation zu achten. Das Stirnrunzeln ist als solches zu beschreiben, anstatt die mimische Reaktion als ‚die Lehrperson ist sichtlich genervt‘ zu interpretieren. Das Beispiel zeigt, dass stets der Faktor der gleichberechtigten Teilhabe zu berücksichtigen ist. Solche und ähnliche Aspekte waren Gegenstand der Diskussionen im Rahmen der gemeinsamen Videokonferenzen zwischen DoBuS und den LArS-Projektmitarbeiter*innen.

Der Problemkomplex der inhaltlichen Gestaltung umfasst auch Alternativtexte. In den begleitenden schriftlichen Materialien mussten unter anderem Abbildungen, Karikaturen und Schaubilder mit Alternativtexten versehen werden. Alternativtexte sind schriftliche Beschreibungen der visuellen Informationen, da Screenreader lediglich Textinformationen verarbeiten können. Im Sinne der Präzision ist darauf zu achten, die Informationen – besonders, wenn es sich um stichpunktartige Aussagen handelt – adäquat darzustellen. Exemplarisch lässt sich die Beschreibung von Schaubildern anführen. Hierbei ist es erforderlich, die dort enthaltenen Inhalte insoweit zu adaptieren, dass sie vollständig und verständlich dargelegt werden.

Bei der Audiodeskription können auch neue ungewollte Barrieren entstehen. Zur Veranschaulichung dieses Problemkomplexes wird im Folgenden die barrierefreie Beschreibung einer Karikatur im Kontext des Animationsfilms No. 1 (siehe dazu No. 1 „Einstieg mit Karikatur I (JG 9)“ Zeitpunkt 00:21) angeführt. Diese Karikatur beinhaltet unter anderem ein Hakenkreuzsymbol. Es stellte sich die Frage, ob das Hakenkreuz im Zuge der Beschreibung explizit benannt oder umschrieben werden soll. Im Duden ist eine Beschreibung für das Hakenkreuz zu finden, in welcher das Symbol als „gleichschenkliges Kreuz mit vier in die gleiche Richtung weisenden, rechtwinklig geknickten, spitzwinkligen oder abgerundeten Armen“ (Duden 2022) umschrieben wird. Diese Beschreibung ist kompliziert und lässt nicht sofort an ein Hakenkreuz denken.

Die Analyse einer Karikatur folgt in politikdidaktischen Kontexten einem Dreischritt. In einem ersten Schritt wird die Karikatur beschrieben, gefolgt von einer Interpretation und einer abschließenden Bewertung (Klepp 2010; Kuhn 2006). Auf didaktischer Ebene ist insbesondere die Frage nach dem Vorstellungsvermögen von Lernenden zu beantworten. Es ist zu klären, wo eine reine Beschreibung an ihre Grenzen kommt, eine wirkliche visuelle Vorstellung zu vermitteln. Damit blinde Studierende die gleichen Voraussetzungen haben, müsste eigentlich nur die Beschreibung angegeben werden. Allerdings ist es auf der Basis der Duden-Definition sehr schwer, auf das beschriebene Hakenkreuz zu schließen. In Anbetracht dessen wird das Hakenkreuz im Rahmen der barrierefreien Karikaturbeschreibung namentlich angeführt. Zu dieser Entscheidung sind die Projektmitarbeiter*innen sowie DoBuS nach einer ausgiebigeren Debatte gemeinsam gelangt. Damit geht einher, dass ein Teil der zu bearbeitenden Aufgabe vorweggenommen wird. Der potenzielle Informationsvorsprung wird in Kauf genommen, um einer vermeidbaren Verkomplizierung der Karikaturbeschreibung vorzubeugen.

Comics sind für viele Studierende sicher ein motivierendes Material, dies gilt aber nicht für blinde Studierende. In Absprache mit DoBuS haben die Projektmitarbeiter*innen entschieden, ein eigenes Dokument zu erstellen, welches nur eine Textversion enthält. Jedes einzelne Comicbild mit einem Alternativtext zu versehen, reichte zum Verständnis nicht aus, wie bei der Erstellung entsprechender Beispieldateien deutlich wurde. Zur Vermittlung relevanter Informationen wie den Positionen der Protagonist*innen im Raum, Handmeldungen und weiteren Aspekten erschienen Alternativtexte zu den bestehenden Dateien nicht geeignet. Besonders die mitunter unregelmäßige Reihenfolge der Bildbausteine in Comics stand der konservativen Lesereihenfolge des Screenreaders (von links nach rechts und oben nach unten) im Wege. Anstelle des nicht-linearen Comics wurde für blinde Studierende ein linearer Text zur Verfügung gestellt.

Es ist zu betonen, dass der Einsatz von Comics nicht grundsätzlich abgelehnt wird. Comics sind in der Regel nah an der Lebenswelt und ihr Einsatz kommt vielen Studierenden zugute. Wenn jedoch blinde Studierende im Kurs sind, dann ist im Sinne der Gleichberechtigung über Alternativen zum Einsatz von Comics nachzudenken. Lehrende müssen in Bildungskontexten die Frage beantworten, wie sie das Universal Design for Learning umsetzen, indem sie auf die individuellen Bedarfe der Studierenden eingehen.

3.2 Formale Gestaltung

Der zweite Problemkomplex betrifft Fragen der formalen Gestaltung. Bei der optischen Gestaltung der Untertitel gilt es, einzelne Standards gegeneinander abzuwägen. Für die Lesbarkeit ist einerseits auf einen guten Kontrast von Hintergrund und Schriftfarbe zu achten. Andererseits sollen verschiedene Sprecher*innen durch unterschiedliche Farben gekennzeichnet werden. Wir haben deshalb zunächst versucht, jede*n Schüler*in mit einer eigenen Farbe zu kennzeichnen. Dies ließ sich jedoch nicht mit lesbaren Kontrasten umsetzen; die fertigen Untertitel der 22 Animationsfilme basieren nun auf drei verschiedenen Schriftfarben auf schwarzem Hintergrund: Beiträge der Lehrer*innen sind mit gelber Schrift, Schüler*innenbeiträge magentafarben und Informationen über Geräusche, Musik, Soundeffekte, nonverbale Laute oder prosodische Merkmale mittels weißer Schrift visualisiert.

Zudem stehen Fragen der formalen Gestaltung mit den Audiodeskriptionen in Verbindung. Hierzu wurde die Auswahl der Sprecher*innen nach Gesichtspunkten der eindeutigen Abhebung von der jeweiligen Originalspur getroffen. So soll vermieden werden, dass verwirrende Interferenzen zwischen Kommentar- und Dialogebene entstehen. Zwei Sprecher*innen aus dem Projektteam – eine weibliche und eine männliche Stimme – vertonten die im Vorhinein erstellten Transkripte. Die Besonderheit bestand darin, dass die weibliche Stimme bereits in einigen der Videos vertreten war. Somit musste bei der Auswahl berücksichtigt werden, dass sich die Deskriptionsstimme nicht mit den Dialogbeiträgen derselben Stimme überschneidet. Konkret wurde in den entsprechenden Videos auf den männlichen Sprecher zurückgegriffen, in denen die weibliche Person bereits einen größeren Redeanteil innerhalb des Hauptdialogs hatte. Alternativ zu selbsteingesprochenen Texten können Audiodeskriptionen mit synthetischen Stimmen abgebildet werden. Eine Text-to-Speech-Software, wie beispielsweise NaturalReaders, verbalisiert Texte und gleicht einer Screenreader-Stimme. Die Software bietet eine große Auswahl an Stimmen, die klar voneinander unterscheidbar sind. Das Arbeiten mit TTS-Software ist zeiteffizient sowie ortsunabhängig und es wird kein Aufnahmeequipment benötigt.

3.3 Technische Voraussetzungen der digitalen Lehr-/Lernumgebung

Dieser Problemkomplex beinhaltet die Fragestellung, ob Untertitel als closed captures oder als open captures eingebettet werden. Die Entscheidung, die Untertitel als closed captures einzubetten, kann vor dem Hintergrund des Universal Designs for Learning begründet werden: Wenn die Untertitel fakultativ zu- oder abgeschaltet werden können, dann kann jede*r die Version auswählen, die für sie*ihn passend ist.

Entscheidungen hinsichtlich einer obligatorischen oder fakultativen Einbettung betreffen ebenfalls die Audiodeskriptionen. Grundsätzlich sei auf die Möglichkeit hingewiesen, Videodateien mit alternativen Audiospuren zu erstellen und diese nach Bedarf zu- oder abzuschalten. In Abhängigkeit vom jeweiligen Player variieren die Optionen, weshalb Kenntnisse vorhanden sein müssen, was der Player kann, der zur Verfügung steht. Das Bereitstellen mehrerer Videos mit jeweils zusätzlicher Audiospur kann also trotz des Speicher- und Exportmehraufwands die nutzungsfreundlichere Variante darstellen und sollte je nach Projektdesign und zur Verfügung stehendem Player sorgfältig geplant werden. In jedem Fall stellt die eingebettete Umsetzungsform das Optimum dar. Im Sinne der Übersichtlichkeit, Inklusivität und Kompaktheit des bereitgestellten Datenpakets sollte folglich versucht werden, eine Vielzahl von Videoversionen zu vermeiden. Am besten ist es, wenn alle mit demselben Material arbeiten können und es nicht verschiedene Varianten gibt. Konkret bedeutet dies, eine Version mit zuschaltbarer Audiospur zu präferieren. Dies stellt eine Anforderung an die jeweilige Lernplattform dar.

Eine weitere Schwierigkeit bilden interaktive H5P-Elemente, die beispielsweise Drag-and-Drop-Funktionen enthalten. Letztgenannte sind bisher häufig auf die Mausbedienung ausgelegt und können nicht vollständig mit der Tastatur oder per Screenreader bedient werden. Studierende mit motorischen Beeinträchtigungen, die keine Maus nutzen können, und blinde Studierende, die mit Screenreadern arbeiten, können die Aufgaben in H5P nicht bearbeiten. Für sie müssen andere Lösungen gefunden werden. Im Sinne des Universal Design for Learning ist sicherzustellen, dass auch ebenjene Studierende diese Aufgaben bearbeiten können.

3.4 Feedback und Korrekturschleifen

Nachfragen bei einer sehbeeinträchtigten Person hatten zum Gegenstand, wie Bilder – exemplarisch die angeführte Karikatur – innerhalb eines Alternativtextes beschrieben werden sollen, ohne eine Interpretation vorwegzunehmen. Damit zusammenhängend wurden Ratschläge für die Audiodeskriptionen erteilt, die zum Ergebnis hatten, dass zusätzliche Dokumente barrierefreier sind als beispielsweise lange Karikaturbeschreibungen innerhalb eines Videos einzuspielen. Die Rückmeldungen zweier Menschen mit Sehbeeinträchtigung zu den ersten Audiodeskriptionsversionen des ersten Animationsfilms und zu ersten Versionen weiteren Lehr/-Lern-Materials haben entscheidend zu einer Qualitätsverbesserung des barrierefreien Materials beigetragen. Selbstkritisch ist anzumerken, dass von Einzelpersonen nur sehr bedingt Rückschlüsse auf die Heterogenität von Menschen mit Behinderungserfahrung gezogen werden können. Dementsprechend ist es erforderlich, dass auf Barrierefreiheit spezialisierte Sachverständige hinzugezogen werden.

Zur Steigerung der Qualität barrierefreier Lehr-/Lernumgebungen sind auf der Basis des Feedbacks zahlreiche Korrekturschleifen notwendig. Allein zur Optimierung der Audiodeskription des ersten Animationsfilms waren diverse Korrekturdurchläufe erforderlich. Die Gestaltung barrierefreier Materialien ist demnach als zeitintensiver Prozess zu verstehen, in dessen Rahmen immer wieder mehr oder weniger große Veränderungen vorgenommen werden müssen, um das Endprodukt auf der Grundlage der Korrekturschleifen zu optimieren.

4 Fazit

Digitale Barrierefreiheit in Bildungskontexten zu gewährleisten, ist ein komplexes und aufwendiges, aber machbares Vorhaben. Im Rahmen von LArS stand die Barrierefreiheit von Videos im Vordergrund. Im Artikel wurden die wesentlichen Prinzipien für die Erstellung von Untertiteln und Audiodeskription zusammengefasst und aufgezeigt, wo in der Umsetzung Herausforderungen entstehen können. Im Bildungskontext sind zusätzlich zu den „normalen“ Regeln für Untertitel und Audiodeskriptionen von Videos didaktische Fragen zu beachten. Aufgabenstellung und Lernziel müssen mitgedacht werden, damit die Bildbeschreibung nicht vorwegnimmt, was die Studierenden in der Aufgabe bearbeiten sollen. Wenn es auf Details ankommt, müssen unter Umständen auch ungewöhnliche Lösungen gefunden werden, wie das Beispiel der Karikaturbeschreibung deutlich macht.

Für den Arbeitsprozess erwies sich die Kooperation zwischen DoBuS, die Erfahrung mit behinderungsspezifischen Bedarfen einbrachten, und den Projektmitarbeiter*innen mit den fachdidaktischen Kenntnissen als unverzichtbar. Der interdisziplinäre Austausch stellte sicher, dass sowohl die hochschuldidaktische Perspektive als auch die des DoBuS Berücksichtigung fanden. Die Ressourcen professioneller Einrichtungen zum Thema Barrierefreiheit sollten daher unbedingt genutzt werden.

Lernumgebungen und -materialien barrierefrei zu gestalten, gelingt nicht im Vorbeigehen. Vor allem die Audiodeskriptionen kosten Zeit und die Feedbackrunden mit behinderungserfahrenen Expert*innen müssen eingeplant werden. Solche Diskussionen bereits in der Konzeptphase zu führen, kann hilfreich sein. So fällt die Erstellung von Audiodeskriptionen leichter, wenn sie schon bei der Konzeption des Films mitgedacht werden, indem vielleicht kurze Tonpausen eingeplant und manche Bildbeschreibungen von den Sprecher*innen übernommen werden.

Zur Barrierefreiheit gehört auch, dass die barrierefreien Lernumgebungen problemlos auffindbar und nutzbar sind. Die Zugänglichkeit dieser Lernumgebungen zu gewährleisten, ist eine strukturelle Aufgabe der Hochschulen. Didaktische Hinweise für die Lehrenden im Sinne des Universal Design for Learning sind wichtig, damit nicht durch den konkreten Einsatz neue Barrieren entstehen. Aufgabe der Hochschulen ist es, Lehrende und Lernende vor dem Hintergrund des Universal Design for Learning für die Wichtigkeit barrierefrei gestalteter Bildungskontexte zu sensibilisieren.

Ferner bietet der wissenschaftlich begleitete Einsatz des Materials einen Ansatzpunkt für zukünftige Forschungsvorhaben. Im Zuge dessen stellt auch der interdisziplinäre Austausch zwischen den am Projekt beteiligten Institutionen – hinsichtlich der regelmäßig zu erfolgenden Evaluation – einen Mehrwert dar. Nachhaltige Barrierefreiheit darf nicht mit dem Projektabschluss enden; gerade die Anwendung in Lerngruppen erfordert professionelle Sensibilität und Schulung aufseiten der Lehrenden.