Schlüsselwort

1 Prüfen mit Animationsvideos – eine Praxislücke

Das Potenzial von Animationsvideos realer Unterrichtsszenen für die Lehramtsausbildung in der Fachdidaktik Sozialwissenschaften sowie in verwandten Fächern liegt besonders in der Förderung der professionellen Unterrichtswahrnehmung und einer stärkeren Theorie-Praxis-Verzahnung (vgl. Kap. 1, 2 und 6). Dieses Potenzial drückt sich in einer Vielzahl wissenschaftlicher und praxisbezogener Beiträge zur Verwendung authentischen Videomaterials von Unterricht in der Lehramtsausbildung aus. Diese Beiträge sind einerseits allgemeindidaktisch einzuordnen (vgl. Gold et al. 2021; Weber et al. 2020) und kommen andererseits aus den Fachdidaktiken selbst (vgl. Barth et al. 2020). Unabhängig dieser Zuordnung und auch ungeachtet des zugrunde liegenden Forschungsdesigns, des verwendeten Mediums (z. B. Animationsvideos oder reale Unterrichtsaufnahmen) oder des Ziels der jeweiligen Untersuchung ist diesen Beiträgen eines gemein: Die Professionalisierung der angehenden Lehrkräfte findet in diesen Studien offenbar ausschließlich während der Studie, während der Intervention oder ganz allgemein während der Lehrveranstaltung statt. Ausgeblendet wird der Part in der universitären Lehre, der diesen Lehr-/Lerneinheiten nachgelagert ist: die Prüfung.

Sicherlich ist entsprechenden Studien nicht vorzuwerfen, dass die universitären Formen der Prüfung unberücksichtigt bleiben; vielmehr soll hier das Augenmerk darauf gerichtet werden, dass solche Studien, die sich explizit auf die Möglichkeiten, Prüfungen mittels authentischen Unterrichtsmaterials durchzuführen, weitestgehend fehlen. Das Potenzial realer Unterrichtsszenen für Klausuren, mündliche Prüfungen, Hausarbeiten, u. s. w. wurde offenbar noch nicht entdeckt, obwohl sich die Arbeit mit realen Unterrichtsszenen in der Lehramtsausbildung als überaus förderlich für die Entwicklung der professionellen Unterrichtswahrnehmung herausgestellt hat, siehe Kap. 1. Zwar werden die Möglichkeiten der Aufzeichnung des eigenen Unterrichts für Prüfungen in Form von Portfolios durch Falk Scheiding in seinem großen Review zu Unterrichtsvideos und möglichen digitalen Praxisbezügen aufgezeigt (2020). Hier geht es also darum, die eigene Professionalisierung anhand der Aufnahmen der eigenen Person in der Rolle der Lehrperson zu dokumentieren und nachzuzeichnen. Ein Portfolio kann schließlich als Prüfungsdokument vorgelegt werden; bewertet wird hier dann die aus der Dokumentation ersichtliche Entwicklung der studierenden Person mit Blick auf fachdidaktische oder allgemeindidaktische Kompetenzen. Die professionelle Unterrichtswahrnehmung wird hier allenfalls nebenher mitgeprüft.

Wie jedoch lassen sich Unterrichtsaufnahmen von anderen Lehrpersonen konstruktiv in das universitäre Prüfen integrieren? Hierum soll es in diesem Beitrag gehen. Nach dieser Einführung wird dazu in Abschn. 2 erläutert, welche Rolle Prüfungen in der Lehramtsausbildung spielen und wie sich Unterrichtsvideos grundsätzlich dort verorten lassen. In Abschn. 3 werden zwei Möglichkeiten vorgestellt, Animationsvideos realer Unterrichtsszenen in mündlichen Prüfungen zu verwenden und es wird erläutert, welche Rahmenbedingungen für einen gelungenen Einsatz entscheidend sind. Ein möglicher Einsatz von Unterrichtsrepräsentationen in Klausuren wird in Abschn. 4 ausformuliert. In Abschn. 5 wird schließlich erwogen, inwiefern auch schriftliche Arbeiten in der Lehramtsausbildungen sich auf die Unterrichtsvideos beziehen können bevor dieser Beitrag mit einem abschließenden Fazit in Abschn. 6 endet.

2 Kompetenzorientiert Prüfen in der Lehramtsausbildung

Um zu erwägen, wie reale Unterrichtsszenen für universitäre Prüfungen herangezogen werden können, muss zunächst genau betrachtet werden, welche Rolle Prüfungen in der Lehramtsausbildung spielen. Genauer: Welche Voraussetzungen muss die Prüfung mit Videomaterial erfüllen, damit sie den Qualitätsstandards in der Lehramtsausbildung gerecht wird?

Im Zuge der Bologna-Reform hat in der universitären Lehre ein bedeutender Paradigmenwechsel stattgefunden: Fortan sollten Studierende kompetenzorientiert ausgebildet werden. Nicht länger würde der Fokus auf den Lehrbemühungen der Lehrenden liegen, sondern gelangten die tatsächlich erlangten Kompetenzen der Studierenden in den Mittelpunkt. Dieser Paradigmenwechsel lässt sich auch durch den sogenannten „Shift from teaching to Learning“ (Wildt 2004) beschreiben. Diese Fokussierung auf die Seite der Studierenden brachte mit sich, dass Lehrziele immer weniger Bedeutung hatten. Lehrziele waren bis in die 1990er Jahre in Deutschland der Hauptfokus des Unterrichts und der universitären Lehre: Der Inhalt galt als Primat der Lehre (Frölich-Steffen, den Ouden 2019). Die Verantwortung für den Lehr-/Lernprozess lag demnach nur auf der Seite des Lehrens bei den Lehrenden; für das Lernen sollten allein die Studierenden die Verantwortung übernehmen. Dementsprechend wurden die Ziele für die universitäre Lehre als Lehrziele formuliert.

Im Zuge der Reform wurde der Kompetenzzuwachs der Studierenden genauer in den Fokus genommen: der Zuwachs an Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (Frölich-Steffen, den Ouden 2019). In der Folge wurde nicht länger von Lehrzielen gesprochen, sondern von Lernzielen, ähnlich verwendet auch learning outcomes und (intendierte) Lernergebnisse:

Learning Outcomes geben Auskunft darüber, welche Kompetenzen, welches Wissen und welche Einstellungen (im Sinne von Werthaltungen) am Ende einer Lerneinheit, einer Lehrveranstaltung oder eines Moduls in einem Studiengang von den Studierenden erwartet werden. (Frölich-Steffen, den Ouden 2019)

Im Gegensatz zur vorigen Lehrzielorientierung bietet die Lernzielorientierung die Möglichkeit, die zu erwartenden Kompetenzen aufseiten der Studierenden genau zu überprüfen: Sie sind konkret und messbar (Frölich-Steffen, den Ouden 2019). Etabliert zur Formulierung und zur Messung der Lernergebnisse bei den Studierenden hat sich die kognitive Taxonomie nach Bloom, 2001 von Anderson und Krathwohl überarbeitet. Diese findet sich auch im Nexus Impuls für die Praxis „Lernergebnisse praktisch formulieren“ wieder; hier werden die sechs Kategorien der kognitiven Prozessdimension aufgelistet, welche von aufsteigender Komplexität sind: 1) (Wissen) erinnern; 2) Verstehen; 3) Anwenden; 4) Analysieren; 5) Beurteilen; 6) (Er-)Schaffen (Gröblinghoff 2015).

Diese Auflistung gibt bereits einen Eindruck, was unter einer Kompetenz überhaupt zu verstehen ist. Die in der Hochschuldidaktik wohl verbreitetste Definition geht auf Weinert (2001) zurück. Danach sind Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernten kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können (Weinert 2001).

Dieser allgemeine Kompetenzbegriff muss durch Studien- und Prüfungsordnungen sowie fächerspezifische Bestimmungen schließlich mit konkretem Inhalt gefüllt werden; wie bereits beschrieben sollten die Erwartungen genau mit zu erwartenden Lernergebnissen bzw. Learnings Outcomes definiert werden. Auf diese Weise entstehen fest umrissene und messbare studiengangsspezifische Kompetenzerwartungen, welche weiter in Module und schließlich einzelne Lehrveranstaltungen aufgeschlüsselt werden.

Als zentrales Element kommen an dieser Stelle die Prüfungen hinzu. Das Prinzip des Constructive Alignment verdeutlicht, inwiefern die genau definierten Kompetenzerwartungen spätestens mit Blick auf die universitäre Prüfung von höchster Bedeutung sind. Unter Constructive Alignment versteht man das wechselseitige Beziehungsverhältnis zwischen Learning Outcomes, Lehr-/Lernaktivitäten und der Prüfung (Frölich-Steffen, den Ouden 2019). Die anvisierten Lernziele aufseiten der Studierenden, die Lehr-/Lernaktivitäten im Seminar/in der Vorlesung/im Praktikum etc. und die abschließende Prüfung sollen demnach aufeinander abgestimmt sein. Das bedeutet, dass die Lernziele schon vor Beginn der Lehrveranstaltung vorliegen sollen – üblicherweise lassen sich diese den entsprechenden Studienordnungen entnehmen. Das Prüfungsformat sollte den Lernzielen entsprechen. Ist beispielsweise vor allem das Erinnern von Wissen in dieser Veranstaltung bzw. in diesem Modul angestrebt, so eignet sich eine Klausur mit vielen Fragen zu unterschiedlichen Themenbereichen, die nicht komplex aufeinander aufbauen, sehr gut. Sind hingegen Kompetenzen in der Gesprächsführung, in der Argumentation oder auch in der Präsentation von Fachinhalten gefordert, so eignet sich eine mündliche Prüfung zum Abschluss. Während diese beiden Variablen, die Lernziele und die Prüfungsform, normalerweise durch die Prüfungsordnung bereits vorgegeben sind, so bietet der dritte Punkt des Constructive Alignments, die Lehr-/Lernaktivitäten, Gestaltungsfreiheit – unter der Prämisse, dass diese Aktivitäten die Brücke zwischen den Lernzielen und der Prüfung zu schlagen vermögen.

An dieser Stelle soll der weite Bogen vom Prinzip des Constructive Alignment zurückgeschlagen werden zur Eingangsfrage: Wie lassen sich Unterrichtsaufnahmen konstruktiv in das kompetenzorientierte universitäre Prüfen integrieren? Immerhin fällt auf: Es gibt viele Studien zur Verwendung von Unterrichtsaufnahmen in der Lehramtsausbildung und es gibt ebenso viele ausgearbeitete Seminarkonzepte, die sich auf authentisches Unterrichtsmaterial stützen. Sollten sich, wenn die Lernzielorientierung im Zuge der Bolognareform und das daraus resultierende Prinzip des Constructive Alignment ernstgenommen wird, nicht genauso viele Studien und Praxisbeiträge zur Prüfung mit Unterrichtsvideos finden lassen? Wenn Videos von Unterricht tatsächlich immer mehr Raum der Lehr-/Lernaktivitäten einnehmen – müsste sich das nicht auch in den Prüfungen entsprechend widerspiegeln?

Gründe für diese Diskrepanz mag es viele geben; sie sollen nicht Gegenstand dieser Abhandlung sein. Stattdessen werden in den folgenden beiden Kapiteln konkrete Vorschläge gemacht, wie sich Prüfungen in der Lehramtsausbildung mit Unterrichtsvideos kompetenzorientiert gestalten lassen.

3 Mündliche Prüfungen mit Unterrichtsvideos und Animationsvideos realer Unterrichtsszenen

Mündliche Prüfungen sind in den Didaktikmodulen der Lehramtsstudiengänge fest verankert, und zwar aus gutem Grund: Die Fähigkeiten der Studierenden, sich ad hoc präzise auszudrücken und auch in anspruchsvollen Situationen angemessen zu kommunizieren, können hier getestet werden (Walzik 2012). Schließlich ermöglicht keine andere Prüfungsform, Sozialkompetenzen abzuprüfen:

[…] Prüfender und Studierender interagieren direkt miteinander, was ein hohes Maß an Sozialkompetenz erfordert. Die Überprüfung der Sozialkompetenz von Studierenden kann gerade ein Teil der gewünschten Prüfungsleistung sein, dies insbesondere in Fachbereichen, in denen ein Großteil des späteren Berufslebens ebenfalls in der direkten Interaktion mit anderen Menschen stattfinden wird, wie beispielsweise in den Lehramtsberufen. (Frölich-Steffen, den Ouden 2019)

Auch ohne die Verwendung realer Unterrichtsszenen entfalten mündliche Prüfungen also besondere Potenziale in der Lehramtsausbildung, die nicht durch Klausuren, schriftliche Abgaben oder Portfolioarbeit geleistet werden können. Im Einsatz von Unterrichtsvideos, zu denen auch die LArS-Animationen gehören, können die Vorteile mündlicher Prüfungen noch weiter ausgearbeitet werden. Denn, wie schon im ersten Kapitel des Teils A herausgestellt, schult der Einsatz solcher Videos die professionelle Unterrichtswahrnehmung der angehenden Lehrer*innen. Schließlich ist eine der größten Herausforderungen im späteren Lehrberuf, in den fachdidaktischen Standardsituationen, wie auch in den kritischen Momenten unmittelbar zu reagieren und den Unterricht entsprechend zu lenken; und zwar möglichst professionell, d. h. allgemein- sowie fachdidaktisch legitimiert, sodass das Stundenziel erreicht werden kann. Im Unterricht bleibt dabei nicht die Zeit, zunächst zu recherchieren, in den Unterlagen oder in der Fachliteratur nachzusehen; die Reaktion und möglicherweise das Eingreifen der Lehrperson ist unmittelbar gefordert.

Zweifelsfrei lässt sich diese Facette in mündlichen Prüfungen durch die Hinzunahme von realen Unterrichtsszenen hervorragend simulieren und schließlich prüfen. Nicht nur können Lehrende hier die professionelle Unterrichtswahrnehmung der Studierenden prüfen, indem die gezeigten Szenen entsprechend beschrieben und analysiert werden. Darüber hinaus lässt sich auch beleuchten, ob diese Wahrnehmungen und Interpretationen der Unterrichtsszene zu einer entsprechenden Performanz, also zu einem der Situation angemessenen Unterrichtshandeln, führen kann (vgl. Abb. 1.2 in Teil I, Kap. 1). Sicherlich kann „Performanz“ hier nicht wörtlich genommen werden, denn diese Performanz bezieht sich auf das Handeln in der realen Situation. Und doch besteht in der mündlichen Prüfung die Möglichkeit, die Studierenden beschreiben und begründen zu lassen, welches Handeln in dieser Situation angemessen wäre, d. h. wie sie selbst (stattdessen) reagieren bzw. handeln würden und warum.

Um die Arbeit mit den LArS-Animationsvideos (aber auch anderen Szenen realen Unterrichts) in mündlichen Prüfungen nach dieser Hinführung noch etwas konkreter zu veranschaulichen, sollen an dieser Stelle zwei Möglichkeiten einer mündlichen Prüfung mit LArS-Videos exemplarisch vorgestellt werden. Der mündlichen Prüfung voraus gehen sollten in beiden Fällen bestimmte Vorbereitungen: Im Sinne des Constructive Alignment sollen sowohl das Medium Animationsfilm als auch die Fokusse der Untersuchung (z. B. professionelle Unterrichtswahrnehmung mit dem weiteren Ziel des entsprechenden Unterrichtshandelns) sowie die Prüfungsmodi (also das Sprechen und die Diskussion über die Fälle) aus den Lehr-/Lernaktivitäten der Lehrveranstaltung vertraut und eingeübt sein. Damit einhergehend sollten die Studierenden transparent über die Erwartungen informiert sein, d. h. die Lernziele kennen und wissen, was nötig ist, um das Erreichen dieser zu zeigen (Neumann 2019). Schließlich sollte das Konzept der mündlichen Prüfung im Vorfeld erstellt sein; im Sinne der Gütekriterien der Objektivität, Validität und Reliabilität darf eine mündliche Prüfung nicht intuitiv oder aus dem Bauch heraus durchgeführt werden (Walzik 2012). Je besser die Prüfung vorbereitet und vorstrukturiert ist, desto präziser lassen sich zudem prüfungspsychologische Fehler in der Bewertung vermeiden, wie z. B. der Halo-Effekt, Reihenfolge- oder Kontrasteffekte (Neumann 2019).

Üblicherweise ist die vorgesehene Länge einer mündlichen Prüfung in der Prüfungsordnung festgelegt; das Verlaufsmodell ist es meist nicht. Hier haben Lehrende also die Freiheit – im Rahmen der zeitlichen Begrenzungen – die Prüfung optimal auf die Arbeit mit einem Video zuzuschneiden. Stary (2002) stellt in seiner hochschuldidaktischen Abhandlung zur mündlichen Prüfung mehrere Verlaufsmodelle vor, die beispielsweise das Referat eines vorbereiteten Themas beinhalten oder das Besprechen eines vorher eingereichten Thesenpapiers. Auch die LArS-Videos ermöglichen so eine Prüfung, welche auf die eigenständige Vorbereitung des Prüflings zu Hause setzt. Diese Variante ist die erste von zwei hier beschriebenen Möglichkeiten: Hier könnte das Video zu Hause vorbereitet worden sein, sodass der Prüfling in einem die Prüfung einleitenden Vortrag zu den Beobachtungen und Interpretationen des gezeigten Unterrichtshandelns referiert. Dieses Vorgehen verliefe analog zu der Arbeit mit den Videos in der Lehrveranstaltung: Auch hier spielt die Vorbereitung der Videos zu Hause eine wichtige Rolle, siehe Kap. 6. So wie vormals in der Lehrveranstaltung würde schließlich hier in der mündlichen Prüfung eingehender über das Video diskutiert und zum Beispiel Handlungsalternativen verhandelt. Die durch das LArS-Team zu den Videos konzipierten Lehr-/Lernaktivitäten illustrieren dabei eine Vielzahl an Möglichkeiten fachdidaktischer Perspektiven und Eingrenzungen. Ausführlich werden diese in den Kap. 3, 4 und 5 in Teil A vorgestellt, sodass hier nicht weiter darauf eingegangen wird.

Das oben beschriebene Potenzial der Arbeit mit Unterrichtsvideos in mündlichen Prüfungen könnte in der ersten, eben beschriebenen, Variante noch nicht vollends ausgeschöpft werden. Denn das spontane Reagieren auf die Situation ließe sich so nicht prüfen. Soll also auch diese Facette mitgeprüft werden, empfiehlt es sich, den Prüfling in der Prüfungssituation mit einem neuen Video zu konfrontieren. Das ist die zweite Variante, welche die Arbeit mit den LArS-Filmen in mündlichen Prüfungen zulässt. Hier ist es möglich, die unmittelbaren Reaktionen der Studierenden abzufragen und im Verlauf der Prüfung diese Reaktionen weiter zu reflektieren, zu diskutieren, Handlungsalternativen aufzuweisen und ggfs. auf andere Bereiche überzugehen. Hierzu ist es zweckmäßig, das Video nicht komplett zu zeigen, sondern an einem bestimmten Punkt zu pausieren und zu fragen, wie der Prüfling hier reagieren würde und warum. Möglicherweise ist es sinnvoll, den Studierenden nach der unmittelbaren Reaktion einige Minuten Zeit zur Stillarbeit zu geben, um selbst zu bewerten, inwiefern die gezeigte Reaktion bzw. das angebotene Unterrichtshandeln angemessen war/wäre. Davon ausgehend ließe sich der zweite Teil des Videos ansehen, um dann in eine Diskussion über das tatsächlich gezeigte Handeln der Lehrperson zu sprechen. Hier würde demnach das Abprüfen der Performanz des Prüflings dem Testen der Unterrichtswahrnehmung- und Interpretation vorausgehen.

In der Wahl des Prüfungsmodus sollten einige Dinge beachtet werden. Und zwar lassen sich fachdidaktische Schwerpunkte für beide Varianten gleichermaßen fixieren und schließlich abprüfen. Ein wichtiger Unterschied besteht vor allem in der Schwierigkeit des jeweiligen Szenarios: Ermöglicht die Vorbereitung eines Videos zu Hause den Studierenden etwas mehr Sicherheit, so sind sie in der Konfrontation eines neuen Videos und unter dem Druck, gleich entsprechend reagieren zu müssen, sicherlich einer größeren Unsicherheit ausgesetzt. Demnach ist die zweite Variante nicht empfehlenswert für Studierende in den Einführungskursen im Bachelor, sondern eher Masterstudierenden zuzumuten, die bestenfalls im Praxissemester sind oder dieses schon absolviert haben. Weiterhin sollte beachten werden, dass der erste Entwurf, der die Vorbereitung zu Hause einschließt, eher die niedrigeren Taxonomiestufen nach Bloom, siehe oben, bedient, als die höheren. Die Studierenden können sich hier zu Hause entsprechend vorbereiten und müssen in der Prüfung zuvorderst zeigen, dass sie sich an ihre Vorarbeit erinnern und das Vorbereitete replizieren können (Stufe 1) und dass sie die Zusammenhänge verstanden haben (Stufe 2). Auch die Aspekte des Anwendens (Stufe 3) und der Analyse (Stufe 4) kommen vor. Im zweiten Entwurf spielen die höheren Stufen ab Stufe 3 eine größere Rolle, womit die Prüfung eine höhere Komplexität aufweist. Auch deswegen bietet sich der zweite Entwurf eher für Masterstudierende an. Diese Entscheidung sollte mit den in den Studien- und Prüfungsordnungen manifestierten Lernzielen für das jeweilige Modul einhergehen.

4 Schriftliche Prüfungen mit Repräsentationen realer Unterrichtsszenen

Das Arbeiten mit Unterrichtsvideos in Animationen ist zwar auch in Klausuren möglich, wird an dieser Stelle jedoch nicht empfohlen. Zu groß sind die technischen Hürden: Können in einem großen Vorlesungssaal alle alles gut hören und sehen? Oftmals kommen der Mimik oder einzelnen Geräuschen besondere Bedeutung zu. Die Arbeit auf selbst mitgebrachte Endgeräte der Studierenden auszulagern, bringt noch mehr technische Komplikationen mit sich. Hinzu kommt das unterschiedliche Arbeitstempo der Studierenden bei einzelnen Aufgaben; das Beschauen eines Videos in mehreren Abschnitten über die Zeit einer Klausur hinweg zu takten ist eine Strapaze für die Studierenden, genau wie für die Lehrperson, welche gleichzeitig kaum noch Kapazitäten für andere Aufgaben in der Prüfungssituation hätte.

Anstelle der Videos eignet sich für eine Klausur besser eine andere Form unterrichtlicher Repräsentationen: Comics, die die Szenen der Unterrichtsaufnahmen ebenso realitätsgetreu reproduzieren, wie es die Videos tun. Im Anhang dieses Sammelbandes findet sich ein Beispiel. Für die Klausur sind die Vorteile der Comics klar ersichtlich: Alle Wortbeiträge der Videos finden sich verlustfrei verschriftlicht auch in den Comics wieder. Im Gegensatz zu den Videos ermöglichen die Comics jedoch ein asynchrones Arbeiten der verschiedenen Prüflinge: Die Aufgaben können, wie sonst auch in Klausuren, in unterschiedlichen Reihenfolgen (so der Aufbau der Klausur das zulässt) und in unterschiedlichen Tempi bearbeitet werden.

Genau wie die Videos lassen sich auch die Comics für unterschiedliche Jahrgänge in der Lehramtsausbildung einsetzen. Sie ermöglichen in Klausuren im Bachelor die dort schwerpunktmäßig angesiedelte Abdeckung der ersten vier Komplexitätsstufen nach Blooms Taxonomie der kognitiven Lernziele. Mit den entsprechenden Operatoren würden die Klausurfragen hier also vor allem nach Beschreibungen fragen, nach Transferleistungen, nach Analysen und Interpretationen der gezeigten Situation. Im Master läge der Fokus auf den oberen Komplexitätsstufen; auch hier sind die Anwendung bekannter Elemente und die Analyse entsprechend eingeübten Strukturen zentral; anstatt aber zusätzlich vor allem auf Reproduktion zu setzen, stünden hier das Urteilen und Bewerten (Taxonomiestufe 5) sowie das Erschaffen (Stufe 6) mit im Vordergrund. Genauer: Im Master sollten die Studierenden eingängig und kriterienorientiert die gezeigten Situationen nicht nur beschreiben und analysieren können, sondern auch einschätzen, beurteilen und begründet Handlungsalternativen entwickeln. Im Sinne des Constructive Alignments gilt auch hier: Die Studierenden sollten diese Modi in der Lehrveranstaltung schon eingeübt haben und sollten über den Erwartungshorizont informiert ein. Im Idealfall haben sie die intendierten Lernergebnisse zu Beginn der Lehrveranstaltung erhalten und sind in Kenntnis darüber, wie sie das Erreichen dieser in der Prüfung zeigen können.

5 Seminar-, Haus- und Abschlussarbeiten mit Unterrichtsvideos und Animationsvideos realer Unterrichtsszenen

Wie schon der Absatz zu den mündlichen Prüfungen zeigt, lassen sich Unterrichtsrepräsentationen nicht nur dann einsetzen, wenn die Prüfung im Moment der ersten Konfrontation mit dem Video abgenommen wird. Die Möglichkeit, den Prüfling ein Video vor der mündlichen Prüfung vorbereiten zu lassen und in der Situation zunächst ein Referat abzurufen zeigt bereits, dass die Videos weitaus flexibler eingesetzt werden können. Weitergedacht eignen sie sich auch für eine schriftliche Abgabe in Form einer Seminararbeit, einer Hausarbeit oder möglicherweise sogar einer Bachelorarbeit. Denn: Die Videos sind trotz der bereits durchgeführten didaktischen Reduktion von großer Komplexität und enthalten normalerweise mehr als einen fachdidaktischen Bezug. Das zeigt allein die Tatsache, dass in mehreren Fällen dieselbe Szene unter verschiedenen Gesichtspunkten zu LArS-Animationsvideos aufbereitet wurde, siehe Kap. 6.

Die Aufarbeitung eines Videos in einer schriftlichen Abgabe erfordert eine umfassende Betreuung. Hier ist es nicht möglich, durch einen im Vorfeld konzipierten Fragekatalog wie in der mündlichen Prüfung oder in der Klausur eine Vielzahl von Prüflingen abzuprüfen; vielmehr müssen die Fragestellungen der Arbeiten und die Inhalte individuell verhandelt und betreut werden. Viele Möglichkeiten der fachdidaktischen Fokussierung weisen bereits die durch das LArS-Team konzipierten Lehr-/Lernumgebungen auf. Diese Umgebungen sollten im Kontext von schriftlichen Abgaben aber nicht zu eng interpretiert werden, sind sie doch in erster Instanz für 90-minütige Seminarsitzungen mitsamt Vor- und Nachbereitung entworfen. In einer schriftlichen Arbeit, die über eine unbenotete Seminararbeit hinausgeht, sollte die Beschäftigung mit einem Video oder ggfs. auch zweien desselben Modulteils oder sogar modulübergreifend tiefgreifender erfolgen und im Fall von Abschlussarbeiten auch über die Videos hinausführen. Dies könnte beispielsweise eine umfassende Analyse der dargestellten Situation mit detaillierter Einordnung aller relevanten fachdidaktischen Aspekte sein. Einer davon sollte schwerpunktmäßig ins Auge gefasst werden; schließlich würde erarbeitet, wie ein alternativer Stundenverlauf zum selben Thema aussähe, der, als ein Beispiel, dem Prinzip der Schüler*innenorientierung besser gerecht würde oder nach einem ganz anderen Prinzip begründet entwickelt würde. Diese ist nur eine von sehr vielen Möglichkeiten, Unterrichtsvideos in eine Haus- oder Bachelorarbeit einzubringen.

6 Fazit

Das Ziel dieses Beitrags ist es, für die Verwendung von Unterrichtsvideos und speziell Animationsvideos realer Unterrichtsszenen in Prüfungen in der Lehramtsausbildung zu werben. Das Prinzip des Constructive Alignments ernstgenommen, ist dieser Schritt nur konsequent, wenn die professionelle Unterrichtswahrnehmung der Lehramtsstudierenden erfolgreich und nachhaltig entwickelt werden soll.

Aufgrund von immer mehr Videostudien und auch wachsender Popularität der Arbeit mit authentischen Unterrichtsvideos ist davon auszugehen, dass zukünftig mehr und mehr Material verfügbar sein wird. Was das Projekt LArS angeht, so liegen erst 22 frei zugängliche Videos mitsamt Lehr-/Lernumgebungen vor. Von Prüfungsseite her betrachtet ist das wenig, denn: Je nach Prüfungsform ist es wichtig, dass die Videos bzw. Comics den Studierenden nicht bereits bekannt sind. Aber selbst, wenn die Studierenden (irgendwann) die Videos schon alle kennen, konnte der Artikel möglicherweise zeigen, dass die Materialien dennoch für die Prüfungen verwendet werden können: Alle Videos enthalten schließlich überaus viel Potenzial und können aus den unterschiedlichsten fachdidaktischen Perspektiven verhandelt werden. Aus den 22 Filmen lassen sich also immer wieder neue Prüfungen generieren, seien es mündliche Prüfungen, Klausuren oder schriftliche Arbeiten.