Schlüsselwort

1 Ein Desiderat: Videoaufnahmen von Kunstunterricht

In der kunstdidaktischen Forschung spielt die Unterrichtsvideografie eine immer größer werdende Rolle (Hofmann 2019). Wie in anderen Fachdidaktiken auch führt das bisher noch nicht dazu, dass ein großer Pool frei verfügbarer Unterrichtsvideos für die Lehramtsausbildung zur Verfügung stünde, siehe Teil A, Kap. 2. Das Metaportal „unterrichtsvideos.net“, welches die Unterrichtsvideos einer Vielzahl bedeutsamer Videoplattformen im deutschsprachigen Raum bündelt, stellt nur acht Videos zum Kunstunterricht bereit. Dabei sind Grundschul-, Unter- und Mittelstufeklassen vertreten; alle zeigen kunstpraktisches Arbeiten bzw. Durch einen Lehrer*innenvortrag eingeleitete Praxisphasen. Dies ist dahingehend bedauerlich, dass Kunstunterricht nicht allein auf die Kunstpraxis zu reduzieren ist; mit fortschreitender Jahrgangsstufe tritt neben der Produktion auch die Rezeption von Kunst immer weiter in den Vordergrund: Das Beherrschen der Bildanalyse ist schließlich standardmäßig für die Qualifikationsphase für das Abitur vorgesehen (Schoppe 2019).

In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, wie Unterrichtsvideos zur Auseinandersetzung mit Bildern im Fachunterricht anderer Fächer auch für die Kunstdidaktikausbildung nutzbar gemacht werden können: Schließlich spielt der Umgang mit historischem oder tagespolitischem Bildmaterial eine große Rolle im Geschichts-, im Deutsch-, im Politikunterricht und in vielen anderen Fächern. Hierzu wird nach dieser Einführung zunächst ein Blick auf die Kompetenzorientierung in der Kunstdidaktik geworfen (Abschn. 2): Was muss guter Kunstunterricht heute leisten? Die Beantwortung dieser Frage ist die Grundlage für die Reflexion der Parallelen zwischen der Kunstdidaktik und anderen Fachdidaktiken, wie der Geschichts- und auch der Politikdidaktik (Abschn. 3): In welcher Weise ist es überhaupt möglich, Unterrichtsvideos aus anderen Schulfächern für die kunstdidaktische Ausbildung hinzuzuziehen? In Abschn. 4 wird konkret der mögliche Einsatz zweier LarS-Videos in der Lehramtsausbildung Kunst vorgestellt. Ein kurzer Ausblick in Abschn. 5 schließt diesen Beitrag.

2 Bildkompetenzen: Mehr als nur Kunstproduktion

Das Alltagsverständnis von Kunstunterricht mag stark geprägt sein durch die Vorstellung von praktisch arbeitenden Kindern. Mit Blick auf aktuelle Debatten der Kunstdidaktik scheint diese Auffassung zumindest überholt, wenn nicht gänzlich unzutreffend zu sein. Diese Einschätzung gewinnt insbesondere dadurch Aufwind, dass selbst über alle Bundesländer hinweg doch weitreichende Einigkeit darüber herrscht, welche Kompetenzen im Kunstunterricht von den Schüler*innen entwickelt werden sollen, ja, wozu Kunstunterricht letztlich dient: Es ist die Bildproduktion einerseits, aber ebenso wichtig ist die Bildrezeption auf der anderen Seite (Wagner 2018).

Zu beachten ist, dass der einstmals enge Begriff der „Kunst“ sich im Zuge der stetigen Ausweitung des Gegenstandsbereichs des Kunstunterrichts seit den 1960/70er Jahren auch anderen visuellen Erzeugnissen geöffnet hat (Wagner 2018). Unter „Kunst“ versteht sich in der heutigen Kunstdidaktik nicht mehr nur das Werk im Museum und unter „Bild“ sind nicht mehr nur zweidimensionale künstlerische Arbeiten zusammengefasst. Bilder werden gemeinhin verstanden als manifestierte Kulturtechniken; Bilder sind Malereien, Grafiken, Plastiken, Skulpturen, Fotografien, Filme, Installationen, Performances, Konstruktionsskizzen, Modelle, Bauwerke, Theaterstücke, Landschaftsbilder, Werbebilder, Straßenschilder, Schaubilder, digitale Bilder etc.: „Auch wenn nicht alle Bildsorten geeignet sind, ästhetische Erfahrungen auszulösen, bestimmen doch alle genannten Bildsorten den Kunstunterricht.“ (Kirchner und Kirschenmann 2020). Während Bilder auch Gegenstand in anderen Fächern sind, ist der Kunstunterricht noch immer das einzige Fach, das sich explizit und zuvorderst mit Bildern beschäftigt. Daraus entsteht nach Wagner (2018) eine gesellschaftliche Verpflichtung: „Die Fähigkeit Bilder zu interpretieren, zu kritisieren, herzustellen und damit zu kommunizieren ist eine wichtige Voraussetzung für Teilhabe in der heutigen Welt.“ Der Fachverband für Kunstpädagogik, BDK, hat schon 2006/2007 die Ansätze gebündelt und ein Kompetenzmodell vorgeschlagen. Dieses findet sich, obgleich nicht von der Kultusministerkonferenz als verbindlich angesehen, in vielen länderspezifischen Kunstkompetenzmodellen so oder in abgewandelter Form realisiert (Wagner 2018). Hier steht neben der Bilderproduktion die Bilderrezeption im Mittelpunkt; die formulierten Teilkompetenzen umfassen das Wahrnehmen, Beschreiben, Analysieren, Empfinden, Deuten und Werten.

3 Bildanalyse interdisziplinär?

Für die Kompetenzentwicklung in der Rezeption von Bildern im Kunstunterricht ist die Bildanalyse die bewährte Herangehensweise (Schoppe 2019). Auch wenn das Verhältnis zwischen der Kunstgeschichte und der Kunstdidaktik historisch betrachtet nicht immer als kooperativ zu bezeichnen ist (Busse 2019), so ist doch als Konsens zu verzeichnen, dass die Bildanalyse, traditionell ein kunstgeschichtliches Standardwerkzeug, hier eine Brücke zu schlagen vermag. Die Leitfäden zur Bildanalyse, wie sie in aktuellen Theorie- wie Praxisbeiträgen zur Kunstdidaktik zu finden sind, gehen im Wesentlichen auf die Klassiker der Kunstgeschichte zurück (Teuwsen 2022). Hier ist zuvorderst Erwin Panofsky mit seinem Standardwerk „Meaning in the Visual Arts“ (1983) zu nennen und weitergehend Max Imdahl (1996), der sich auf Panofskys Dreischritt in der Bildanalyse bezog. In der Einführung in die Kunstgeschichte von Hans Belting et al. (2008) wird dieses Standardwerkzeug, das sich verkürzt mit den drei Schritten der werkimmanenten Beschreibung sowie Analyse und der werktranszendenten Interpretation zusammenfassen lässt, seit vielen Jahren an die Studierenden der Kunstgeschichte und der Kunstdidaktik weitergegeben.

In der Kunstunterrichtspraxis wird, je nach Bundesland und Curriculum, noch eine Schwelle zwischen den Schritten 2 und 3 zugelassen. Schoppe (2019) beschreibt, dass in der Sekundarstufe I der Fokus auf die werkimmanente Bildanalyse gelegt wird: Die Lernenden sollen also zunächst Sicherheit in der ausführlichen Beschreibung eines Bildes im ersten Schritt und in der werkimmanenten Analyse im zweiten Schritt gewinnen. Dazu kommt fakultativ die interpretative Vertiefung durch externe Quellen, d. H. Auch die Interpretation der Bedeutung im Kontext der Rahmenbedingungen des Entstehens. Dieser Schritt soll spätestens in der Oberstufe von den Lernenden eingeübt werden (Schoppe 2019).

Auch in anderen Fachdidaktiken wird Panofsky als Referenz für Bildanalysen genannt (z. B. Für Geschichte: Bernhardt 2018), während ebenso weitere Herangehensweisen an Bilder diskutiert werden (Hamann 2007). In der Politikdidaktik spielen Bilder eine große Rolle in der Einstiegsphase (Frech 2019) und hier insbesondere Karikaturen. Die politikdidaktische Fachliteratur weist große Überschneidungen auf, was das Vorgehen der Karikaturenanalyse angeht (u. A. Klepp 2010; Hoyer 2017; Frech 2019). Die Formulierungen unterscheiden sich leicht, führen aber auch auf einen Dreischritt hinaus: Der erste Schritt ist immer die ausführliche Beschreibung der Karikatur und der zweite Schritt ist die bildimmanente Interpretation. Der dritte Schritt wird bei Klepp (2010) als „Anwendung“ beschrieben und meint die Konzentration der Kernaussagen. Weitere Materialien können hinzugenommen werden, um die Kernaussagen zu prüfen und über die Bildebene hinaus zu führen.

Die Parallelen zwischen der traditionell kunstgeschichtlichen Herangehensweise, wie sie auch heute in der Kunstdidaktik vermittelt wird, und der Herangehensweise in der Politikdidaktik, wie auch in anderen Fachdidaktiken, ist frappierend. Dementsprechend ist es überaus zielführend, Unterrichtsaufnahmen aus der Politikdidaktik, welche den Umgang mit Karikaturenanalysen zeigen, auch für andere Fachdidaktiken einzusetzen, in denen die Bildanalyse eingeübt werden soll – im Fall dieses Beitrages ist das die Kunstdidaktik. Folglich soll dieser Beitrag auch die Lehrenden der Fachdidaktiken Deutsch, Geschichte etc. Dazu einladen, entsprechende Unterrichtsszenen für ihre Lehre zu verwenden.

4 Ein Fall, zwei Realisierungen: Der Einsatz einer Vignette zur Karikaturenanalyse in der kunstdidaktischen Lehre

Es dürfte für die Lesenden keine große Überraschung sein, dass sich unter den 22 LarS-Animationsvideos, welche auf realen Szenen sozialwissenschaftlichen Unterrichts fußen, bereits zwei Videos zum Einstieg mit einer Karikaturenanalyse finden. Und zwar zeigen die ersten beiden Videos in Modul A, zusammengefasst im Modulteil A1, zwei Realisierungen derselben Unterrichtsplanung durch zwei unterschiedliche Lehrpersonen in zwei verschiedenen Klassen (beide Jahrgangsstufe 9 an einem Gymnasium). Die Lehr-/Lernumgebung dreht sich, wie auch die beiden Szenen, um den Einstieg mit der Karikaturenanalyse. Für Studierende der Kunstdidaktik ist für die Arbeit mit den Videos Voraussetzung, dass sie bereits mit den Schritten der Bildanalyse vertraut sind; ob die Methode dabei auf Panofsky (1983), Belting et al. (2008) oder andere zurückgeht, ist dabei weniger entscheidend.

In jedem Fall laden die Videos zur Reflexion über das Unterrichtshandeln der Lehrperson ein: Wie leitet sie die Schüler*innen durch die Bildanalyse? Dabei sollten die Studierenden zunächst zur genauen Beobachtung eingeladen werden und die Fragen beantworten, inwiefern alle Schritte vorkommen, ob diese angemessen voneinander getrennt sind und auch, ob alle für das Bild wesentlichen Elemente hinreichend beschrieben, analysiert und in Kontext gesetzt sind. Die Beobachtung sollte auch darauf abzielen, ob die Lehrperson Antworten vorwegnimmt, oder ob sie die Schüler*innen dabei unterstützt, selbst die richtigen Antworten zu finden. An diese Beobachtungsaufgaben anschließend ist es möglich, die Studierenden zu einer weitergefassten Analyse der beiden Szenen zu führen: Wenn etwas nicht optimal verläuft – warum ist das so? Eine Gegenüberstellung der beiden Szenen ist dahingehend fruchtbar, dass Vor- und Nachteile des jeweiligen Unterrichtshandelns der Lehrperson mit dem Blick auf eine gelungene Unterrichtssituation verglichen werden können: Welcher Lehrperson ist die Durchführung der Bildanalyse in welcher Hinsicht besser gelungen? Gibt es Aspekte, die in der einen oder in der anderen Umsetzung besser funktionieren?

Vertiefend ist es, als ein Beispiel, möglich, die Studierenden mit der Konzeption von Handlungsalternativen für die Lehrpersonen in einer oder beiden Szenen zu beauftragen: An welcher Stelle sollte die jeweilige Lehrperson besser anders handeln? Wie genau? Die Begründung sollte auf fachdidaktische Literatur bezogen werden, womit der Brückenschlag vom Politikunterricht in diesen Szenen zur Kunstdidaktik geschlossen wird.

5 Bildkompetenzen als essenzielle fachübergreifende Kompetenzen

„Bildersozialismus“ sagt Ullrich (2016) und meint damit, dass die Individuen in allen Gesellschaften nicht mehr nur immer mehr Bilder rezipieren und konsumieren, sondern im Zuge der Digitalisierung in unserer globalisierten Welt auch immer mehr Bilder produzieren. Diskursanalytisch betrachtet prägen diese Bilder die gesellschaftliche Realität und wechselseitig wirkt diese Realität auf die Bilder zurück (Teuwsen 2022). Dementsprechend ist die Entwicklung in den unterschiedlichen Fachdidaktiken folgerichtig: Bildkompetenzen müssen gestärkt werden und die Art und Weise, dies zu ermöglichen findet erstaunlich viele Schnittmengen in den unterschiedlichen Disziplinen. In diesem Sinne regt dieser Beitrag dazu an, die Animationsvideos No. 1 und No. 2 nicht nur für die politik- bzw. sozialwissenschaftliche Fachdidaktik und die Kunstdidaktik zu verwenden, sondern auch in lehramtsbezogenen Lehrveranstaltungen in der Germanistik, in der Geschichtsdidaktik und darüber hinaus.