„[...].in den Schubladen der Wissenschaft hat man die einzelnen Schubladen aufgetan, hat sie zu einem Paket geschnürt und hat jetzt ein Paket zusammengebaut, das der neuen Pädagogik entspricht. Aus wissenschaftlicher Sicht passt das gut[...].“

(SL_6_MGA, Z. 746 ff.)

Ausgehend von der Annahme, dass schulische Umwelten aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen bestehen, die Einfluss auf die Ausgestaltung und Abläufe von Entwicklungsprozessen innerhalb schulischer Organisationen nehmen (vgl. Walgebach & Meyer 2008), wird in der vorliegenden Arbeit das Antwortgeschehen von Schulleiter/-innen auf institutionelle Ansprüche untersucht. Besonders sichtbar wird ein solches Antwortgeschehen, wenn neue Erwartungen aus der institutionalisierten Umwelt an die schulischen Organisationen herangetragen werden, beispielsweise im Zuge von Reformen. Von diesen Grundprämissen ausgehend, werden nachfolgend zentrale Ergebnisse der Studie unter Rückbindung an neo-institutionalistische Zugänge sowie im Kontext von Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung diskutiert. Dabei markieren die beiden leitenden Fragestellungen dieser Arbeit den Orientierungsrahmen für die anschließende Erörterung:

  1. A)

    Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiter/-innen bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform an ihrem Standort?

  2. B)

    Wie respondieren Schulleiter/-innen auf ihre institutionelle Umwelt?

Ferner rekapituliert das fünfte Kapitel die Grenzen und Chancen, die diese Arbeit aufweist, und leitet entsprechend der Befunde Implikationen sowohl für Schulleitungs- als auch Schulentwicklungsforschung ab. Die geschieht vor dem Hintergrund der vorangegangenen Kapitel, in denen grundlegende theoretische Konzepte der neo-institutionalistischen Zugänge (Kapitel 2), weiterführende Konzepte zu Responsivität sowie Entwicklungslinien und -trends der Schulleitungs- und Schulentwicklungsforschung (Kapitel 3) und die empirischen Ergebnisse (Kapitel 4) aufgearbeitet wurden.

5.1 Responsive Schulleitung: Interpretation und theoretische Einordnung der Ergebnisse

5.1.1 Neo-institutionalistische Verortung der Ergebnisse

Dass neo-institutionalistische Konzepte und Ansätze zunehmend in erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Arbeiten berücksichtigt werden (vgl. Schemmann & Koch 2009; Erckrath 2019), wurde bereits betont. Drepper und Tacke (2012) führen dies unter anderem darauf zurück, dass viele Studien „am Fall von Erziehungsorganisationen“ (S. 211) durchgeführt wurden, was zur Folge hat, dass eine „hohe Identifikation mit dieser Perspektive sowie ein großer Wiedererkennungswert und Plausibilitätsgrad ihres empirischen Bezuges“ (ebd.) entstehen. Nichtsdestoweniger bergen diese vermeintliche „hohe Identifikation“ und die „Plausibilität“ auch die Gefahr, Ansätze und Konzepte zu übernehmen, ohne entsprechend kritische Reflexionen anzustrengen. Daher versteht sich die anschließende Diskussion auch als ein Versuch, eine solche kritische Haltung einzunehmen. Überdies hat die vertiefte Auseinandersetzung mit neo-institutionalistischen Zugängen gezeigt, dass sich in den vergangenen Jahren unterschiedliche Stränge entwickelt haben. Diese verschiedenen Entwicklungslinien haben zum Teil dazu geführt, dass zentrale Begriffe (Akteur, Institution, Organisation etc.) ein breites Definitionsspektrum aufweisen. Mit der Erweiterung der neo-institutionalistischen Zugänge durch das Modell der Responsivität wurde insbesondere das Umwelt-Organisationsverhältnis aus der Perspektive von organisationalen Akteuren (Schulleitenden) betrachtet. Die folgende Diskussion bezieht sich daher vordergründig auf diese Erweiterung und die sich daraus ergebenden Erkenntnisse für neo-institutionalistische Zugänge in der Erziehungswissenschaft.

Verhältnis zwischen institutionellen schulischen Umwelten und schulischen organisationalen Akteuren (Schulleitenden)

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung zeigen, dass Schulleitende unterschiedliche Verständnisse davon haben, wie sich ihnen die institutionelle schulische Umwelt zeigt. Während sich für einige Schulleitende die institutionelle Umgebung als begrenzend und einengend darstellt (SL_02_MGU; SL_04_MGU: SL_05_OGU; SL_06_MGU, SL_08_MGU), verstehen andere die institutionellen Erwartungsstrukturen ihrer Umwelt als Möglichkeitsräume (SL_03_OGU; SL_07_OGU; SL_10_MGU, SL_11_MGU), aus denen entsprechend geschöpft werden kann. Ein/-e Leitende/-r nahm die institutionelle Umwelt als gegeben wahr (SL_09_OGU). Entscheidend bei diesen Erkenntnissen ist, dass mit den unterschiedlichen Verständnissen auch unterschiedliche Auffassungen von den Ermöglichungsräumen organisationaler Akteure einhergehen. Wird die Umwelt als begrenzend wahrgenommen, so überträgt sich dies auf die Handlungsmöglichkeiten, die die Schulleitenden für sich sehen. Jene Leitende, die ihre Umwelt eher als begrenzend wahrnehmen, formulieren unter anderem den Wunsch, dass ihnen klare Vorgaben gemacht werden bzw. sie „von oben“ Informationen erhalten wollen, wie neue Reformen umzusetzen sind. In den empirischen Untersuchungen zeigte sich zudem, dass die Schulleitenden, die ihre institutionelle schulische Umwelt als begrenzend wahrnehmen, weniger häufig Reforminhalte als sinnstiftend bzw. Umsetzungen für ihren Standort als förderlich beschreiben (vgl. SL_06_MGU; SL_08_MGU). Aus den Ergebnissen konnte überdies abgeleitet werden, dass bisweilen mit bestimmten Umwelt-Organisationswahrnehmungen Legitimierungsstrategien einhergehen, die gegen die Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform argumentieren (SL_06_MGU, SL_08_MGU). Betrachtet man diese Erkenntnisse vor dem Hintergrund der theoretischen Zugänge, wie sie in Kapitel 2 dieser Arbeit aufbereitet wurden, so lassen sich begrenzende Wahrnehmungen einem kontingenztheoretischen Verständnis der Umwelt-Organisationsverhältnisse (vgl. Mense-Petermann 2006; Koch 2018) zuordnen. Organisationale Akteure passen sich laut der damit verbundenen Akteursbeschreibung „strategisch“ bzw. ggf. „inszenierend“ an (vgl. Tab. 2.9). Zum Teil wird (indirekt) ein kontingenztheoretisches Organisationsverständnis zugrunde gelegt, wenn in (einigen erziehungswissenschaftlichen) Arbeiten das Verhältnis zwischen Umwelt und Organisation diskutiert wirdFootnote 1 (vgl. hierzu Dubs 2005, 2016; Creemers et al. 2000). Die Auseinandersetzung des Verhältnisses wird meist erweitert durch Ansätze, die beschreiben, wie sich „Formal- und Aktivitätsstruktur“ zueinander verhalten bzw. welche Kopplungs- und EntkopplungsprozesseFootnote 2 (vgl. Weick 1976, 1982) sich zeigen. Dadurch entsteht im kontingenztheoretischen Organisationsverständnis die Sicht auf einen organisationalen Akteur, der vordergründig reaktionales Verhalten zeigt. Der Akteur reagiert auf die institutionellen Erwartungshaltungen. Durch dieses Akteursverständnis kann es zu verkürzten Folgerungen kommen, z. B. indem angenommen wird, dass im Falle von Reformumsetzungen organisationale Akteure (Schulleitende, Lehrende) Entkopplungsmechanismen anwenden, um ein „strategisches“ und „inszenierendes“ Akteursverständnis einzunehmen und Organisationsentwicklung im Sinne des kontingenztheoretischen ZugangsFootnote 3 zu gestalten (vgl. Schäfers 2009; Hartz, 2009; Marti 2017; Muslic 2018). Dabei wird angenommen, dass Akteure rational und strategisch handeln. Dieses technokratische Verständnis orientiert sich eher an Rational-Choice-Theorien und weniger an neo-institutionalistischen Zugängen. Frühe neo-institutionalistische Arbeiten gehen davon aus, dass Institutionen unhinterfragt übernommen werden. Dieses Umwelt-Organisationsverständnis bildet sich eher in einem konstitutionstheoretischen Zugang ab, namentlich in jenem mit einer inkorporierten Sicht. Das Umwelt-Organisationsverständnis ist normativ geprägt, und die institutionellen Umweltstrukturen schaffen die organisationalen Strukturen. Organisationen sind Reifikationen dieser Vorgaben. Organisationale Akteure verkörpern die institutionellen Vorgaben in Form von organisationalen Formalstrukturen und Handlungsweisen (vgl. Tab. 2.9). Die Vorgaben werden als unhinterfragte Skripten und Regeln übernommen. Die Auswertung der empirischen Daten hat nur in einem Interview eine solche Wahrnehmung rekonstruieren können (SL_09_OGU).

Insgesamt vier Mal zeigte sich in den Daten ein konstitutionstheoretisches Verständnis, das als translative Perspektive charakterisiert wird (vgl. Tab. 2.9). Die institutionelle Umwelt wird als Fundus beschrieben. Organisationale Akteure verfügen über die Fähigkeit, durch ihr Handeln auch Einfluss auf die institutionellen Umwelten zu nehmen. Dadurch unterscheidet sich diese Sichtweise entscheidend von den beiden zuvor genannten. Es liegt ein interpretatives Paradigma zugrunde. Dieses Verständnis des Umwelt-Organisationverhältnisses befördert vor allem neuere Entwicklungsstränge im Neo-Institutionalismus. Garud et al. (2007, S. 961) beschreiben „institutionelle Agenten“, die vorgegebene Strukturen nicht einfach nur übernehmen, sondern sie als Fundus für mögliche Handlungsalternativen ansehen, als „Institutional Entrepreneurs“.

Als besondere Herausforderung für die Anwendung neo-institutionalistischer Zugänge lässt sich festhalten, dass unterschiedliche Verständnisse angelegt werden und somit kein einheitlicher Theoriebezug hergestellt werden kann. Ein divergierendes Akteursverständnis (vgl. Tacke 2006) sowie unterschiedliche Grundverständnisse des Umwelt-Organisationsverständnisses erschweren die Diskussion.

Durch die Erweiterung mittels des Ansatzes der Responsivität gelingt es, alle drei Zugänge zu berücksichtigen und somit die Beschneidung des Antwortgeschehens der organisationalen Akteure durch vorgefertigte Annahmen, wie deren Antworten erfolgt (nur passiv oder gestaltend), aufzuheben. Für die Weiterentwicklung neo-institutionalistischer Zugänge bedarf es eines vertieften Diskurses, welches Organisationsverständnis als leitend erachtet wird. Insbesondere im Zusammenhang mit Autonomieansätzen und Konzepten der Selbstverantwortung braucht es ein Akteursverständnis, das weg von einem reaktionären und hin zu einem gestalterischen Antworten geht.

Schulische institutionelle Umwelten als Organisationale Felde r

Eines der bemerkenswertesten Ergebnisse der empirischen Untersuchung findet sich in Tabelle 4.2. Sie bildet die unterschiedlichen Anspruchsgruppen ab, die von den Schulleitenden als eine der drei relevantesten Anspruchsgruppen zur Legitimierung der Entwicklungen am Schulstandort genannt wurden. Zunächst zeigt sich, dass sich die Angaben je nach Schulleiter/-in unterscheiden. Daraus lässt sich ableiten, dass jede Schule im Detail ein eigenes organisationales Feld konstruiert. Die empirische Untersuchung konnte ferner zeigen, dass sich die Verständnisse der unterschiedlichen Akteursgruppen bzw. Anspruchsgruppen voneinander unterscheidenFootnote 4. Insbesondere hinsichtlich der Legitimierung für Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in schulischen Organisationen konnte aufgezeigt werden, dass die unterschiedlichen Gewichtungen der Anspruchsgruppen unterschiedliche Quellen der Legitimierung bedeuteten. Die strukturell-relationale Komponente spielt demnach eine entscheidende Rolle in der Ausgestaltung von Organisationalen Feldern.

Der Versuch, die mehrfach genannten Anspruchsgruppen nach dem Schema von Mitchell et al. (1997) bzw. Sandhu (2014) zuzuordnen, gelang nicht, da die Dimensionen Macht, Dringlichkeit und Legitimität von den einzelnen Schulleitern und Schulleiterinnen jeweils unterschiedlich interpretiert wurden. Auch die Definitionen für Anspruchsgruppen von Fligstein und McAdam (2012) in ihrer „Theory of fields“ erschienen wenig passend für die Beschreibungen und Interpretationen der Akteurs- bzw. Anspruchsgruppen durch die Schulleiter/-innen. Zum einen, da Akteursgruppen sich nicht zuordnen ließen und zum anderen, weil Unterscheidungen zwischen Etablierten und In-Frage-Stellern nicht eindeutig getroffen werden konnten. Fligstein und McAdam adressieren außerdem in ihrer Theorie des „strategic action fields“ organisationale Akteure wieder vordergründig in einem kontingenztheoretischen Verständnis, wonach primär reaktionäres Antwortgeschehen erfolgt. Zwar beschreiben sie sogenannte „challengers“, die andere Denkweisen aktiv ins Feld tragen, verorten diese jedoch eher in der Peripherie des Feldes (vgl. 2012, S. 13). Die vorliegenden Daten konnten keine Auskunft darüber geben, wo (Nähe – Distanz) sich die In-Frage-Steller/-innen („challengers“) innerhalb der Felder positionierten. Für diese Bestimmung bedarf es weiterführender Untersuchungen.

Einige der theoretischen Annahmen von Fligstein und McAdam ließen sich dahingehend bestätigen, als dass die Mitgliedschaft in einem Organisationalen Feld mehr von den eigenen Standpunkten aus gedacht wird als von Kriterien, die der Organisation zugeschrieben werden. Auch schreibt das Autorenduo, dass sich die Verbindungslinien der einzelnen Akteursgruppen innerhalb eines Feldes flexibel verändern können, je nach Situation und Bezugspunkt (vgl. S. 10). Diese Annahme kann durch die unterschiedlichen Nennungen von Akteursgruppen, bezogen auf die verschiedenen Qualitätsbereiche, belegt werden (vgl. Abbildung 4.224.28). Auch der Zugang, dass die einzelnen Akteure des Organisationalen Feldes sich bestimmten gemeinsamen Themen widmen (NMS-Reform, Schulqualität Allgemeinbildung), wodurch Dynamiken und gemeinsame Prozesse im Feld entwickelt werden, konnte in der zugrundeliegenden Untersuchung festgestellt werden.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse empfiehlt es sich dennoch, in weiterführende vertiefte Auseinandersetzungen zu Konzepten für Organisationale Felder zu investieren. Vor allem bedarf es einer Integration der strukturell-relationalen Verbindungen, damit die Gewichtung der einzelnen Akteure innerhalb des Feldes berücksichtigt werden und Widersprüche, die durch unterschiedliche Erwartungshaltungen innerhalb des Feldes auftreten, in erweiterte Modelle einfließen können.

Schulische Anspruchsgruppen und verbindende institutionelle Logiken

Wie in Kapitel 4 gezeigt werden konnte, gibt es eine Reihe von Akteursgruppen, die für Schulleitende in den unterschiedlichen Qualitätsbereichen unterschiedliche Relevanz aufweisen. Im Zusammenhang mit institutionellen Umwelten stellt sich die Frage, wie sich die verschiedenen Institutionen, die sich aus den von den Schulleitenden genannten Akteursgruppen ableiten lassen, in das von Scott (2001) bzw. durch Koch (2018) erweiterte Säulen- / Dimensionenmodell eingeordnet werden können.

Wie in Abschnitt 2.2.2.1 theoretisch dargestellt wurde, setzen sich Institutionen für Scott aus unterschiedlichen „Säulen“ (Pillars) zusammen. Der Autor unterscheidet dabei die regulative, normative und kulturell-kognitive Säule. Je nach Konzeption der Institution sind die Säulen unterschiedlich stark ausgeprägt. Diese Ausprägung zeigt sich in der Ordnungsgrundlage (regulativ – Gesetze und Regeln; normativ – bindende (normative) Erwartungen; kulturell-kognitiv – unhinterfragte Selbstverständlichkeiten). Für Koch liegt jedoch die kulturell-kognitive Dimension den beiden anderen Dimensionen zu Grunde, da sie übergreifend alle institutionellen Erwartungshaltungen beeinflusst. Darüber hinaus ergänzt Koch noch die strukturelle Dimension, da Institutionen auch davon geprägt werden, in welcher hierarchischen bzw. horizontalen Beziehung sie zu anderen Akteuren stehen. Dass diese Komponente entscheidend für die Bestimmung der institutionellen Umwelten ist, konnte bereits im vorangegangenen Abschnitt dargestellt werden. Orientiert man sich nun an dem Modell von Koch und spielt es für die Anspruchsgruppen durch, die am häufigsten genannt wurden, so ergäbe sich folgende erste Einteilung:

Tabelle 5.1 Verortung der Ergebnisse zu den relevantesten Anspruchsgruppen der Schulleitenden im Dimensionenmodell nach Koch (2018). (Adaption des Modells, Eigene Darstellung)

Die Verortung der relevantesten Anspruchsgruppen entlang der von Koch (2018) entwickelten Dimensionen (vgl. Tab. 5.1) gestaltete sich schwierig. Während sich die regulative und die normative Dimension noch verhältnismäßig einfach den Anspruchsgruppen zuordnen ließen, war es für die relational-strukturelle Dimension herausfordernder. Systembedingt ergaben sich für manche Anspruchsgruppen Nah- oder Distanzverhältnisse. Die beiden von den Schulleiter/-innen (SL_03_OGU; SL_06_MGU) genannten Anspruchsgruppen „Literatur“ bzw. „Forschung“ sowie „andere Schulleiter/-innen“ weisen keine direkten systembedingten Relationen auf. Anspruchsgruppen wie „Schulaufsicht“ und „Fort- und Weiterbildung“ konnten hingegen systembedingte Relationen vorweisen. Bei der Schulaufsicht impliziert die relational-strukturelle Dimension zudem eine Abhängigkeitskomponente, da Schulen dieser Institution dienstlich untergeordnet sind. Nichtsdestoweniger (siehe die Darstellung in Tab. 4.3) hängt die Nähe bzw. Distanz der Anspruchsgruppen zu anderen Akteuren innerhalb definierter Organisationaler Felder auch von der Wahrnehmung der Schulleitenden ab. Nur so erklärt sich eine Nicht-Nennung der letztgenannten Anspruchsgruppen bei manchen Schulleitenden. Diese Befunde vor Augen, stellt sich die Frage, inwieweit eine solche Zuordnung für die Darstellung realer institutioneller Umwelten praktikabel ist. Jedenfalls ergeben sich aus den daraus ersichtlichen Diskrepanzen weiterführende Fragen: Wie gelingt es, die Abbildung der relationalen Beziehungen z. B. durch die Verortung der Akteure in Abhängigkeitsstrukturen voneinander dazustellen? Wie geht man damit um, wenn Schulleitende Anspruchsgruppen auswählen, die in keinen institutionalisierten Beziehungen zu ihnen stehen (z. B. Literatur und Forschung, Partnerschulen außerhalb der eigenen Bildungsregion etc.)?

Der Umgang mit der letzten Dimension, nämlich der kulturell-kognitiven, stellte sich als besonderes herausfordernd dar. Wie ebenfalls in Abschnitt 2.2.2.1 diskutiert, liefert hier der Ansatz der „institutionellen Logiken“ eine Erweiterung, die bei der Beschreibung der kulturell-kognitiven Dimension unterstützt. Institutionelle Logiken sind laut Friedland und Alford (1991) “a set of material practices and symbolic constructions which constitutes its organizing principles and which is available to organizations and individuals to elaborate.” (S. 248). Sie bilden also die kulturell-kognitiven Bedeutungsrahmen, innerhalb derer Legitimierungen für Handlungen entstehen. Thornton et al. (2012) sprechen auch von kulturell-kognitiven „root metaphors“ (vgl. Scott 2014, S. 90), die unterschiedliche Subsysteme und deren Mechanismen in gesellschaftlichen Arenen (Feldern) anleiten. Solche „root metaphors“ existieren für zentrale Arenen wie Familie, Religion, Staat, Markt, Profession und kommunale Strukturen. Was jedoch können solche „root metaphors“ für Bildungssysteme sein?

In diesem Zusammenhang bedarf es einer Erweiterung der neo-institutionellen Theorien durch Konzepte aus den erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschungen. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Forschungsarbeit handelt, die im Kontext der Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung verankert ist, wird auf ein Konzept aus diesem Bereich zurückgegriffen. Konkret ist damit jene Matrixstruktur gemeint, die in Abschnitt 3.2.1 diskutiert und in Tab. 3.1 im Überblick abgebildet ist. Schratz et al. (2015) haben entlang eines Modells nach Scharmer und Käufer (2013) unterschiedliche Leitkonzepte der Schulentwicklung nachgezeichnet. Diese Logiken können mit den Entwicklungsphasen im Bereich der Schulentwicklung verbunden werden. Somit stellt die Matrix von Schratz et al. (2015) heuristisch die Entwicklungsphasen im Bereich der Schulentwicklung dar, die zum Teil durch bildungspolitische Änderungen beeinflusst bzw. erzeugt wurden, zum Teil diese beeinflusst haben und zum Teil nicht mit bildungspolitischen Reformen korrelieren. Entsprechend dem Modell von Czarniawaska und Joerges (1996) können diese unterschiedlichen Phasen auch als „Trends“ bzw. „Fashion“ verstanden werden (vgl. ausführlich Kapitel 3), die zu neuen institutionellen Logiken geführt haben (z. B. Outputsteuerung). Schratz et al. (2015) betonen in ihrem Aufsatz, dass sich diese Strömungen nicht gegenseitig abgelöst haben, sondern vielfach parallel nebeneinander herlaufen und sich auch in den Reformen bzw. bildungspolitischen Ansprüchen an die Schulen abgebildet sehen.

Diese Strömungen bzw. Logiken (1.0, 2.0, 3.0, 4.0) wurden nun als Bezugsrahmen im Responsivitätsmodell für die kulturell-kognitive Dimension herangezogen; jedenfalls für jene Anspruchsgruppen, für die eine solche Zuordnung Sinn ergab. „Literatur“ bzw. „Forschung“, „Eltern“ und „Schüler/-innen“ konnten diesen „root metaphors“ nicht zugeordnet werden; an dieser Stelle erscheinen andere institutionelle Logiken zielführender. Gleichzeitig zeigte sich für die Anspruchsgruppen „Eltern“ und „Schüler/-innen“, dass diese vor allem durch institutionelle Vorstellungen geprägt werden, die in der kulturell-kognitiven Dimension zu finden sind – zu klären bleibt die Frage, welche institutionellen Logiken für diese Anspruchsgruppen leitend sind.Footnote 7

Die Diskussion der Ergebnisse im Zusammenhang mit institutionellen Logiken der Anspruchsgruppen ergab überdies noch weiterführende Fragen, die auf Grundlage der vorliegenden Untersuchung nicht zu klären waren. So bedarf es einer weiterführenden Auseinandersetzung, wie das erweiterte Modell nach Koch (2018) und insbesondere die strukturell-relationale Dimension operationalisiert werden können. Auch die Vertiefung der Forschung hinsichtlich „institutioneller Logiken“ zeichnet sich als Mehrwert für die Entwicklung neo-institutionalistischer Theorieentwicklungen ab. Insbesondere im Bereich der Erziehungs- und Bildungswissenschaften greifen aktuelle Arbeiten diese Perspektive zunehmend auf (vgl. Bridwell-Mitchell 2012; Bridwell-Mitchell & Sherer 2016; Glazer, Massell & Malone 2018; Diehl 2019).

Modell der Responsivität als ergänzender Theoriebaustein

Die Erweiterung neo-institutionalistischer Theorien durch ein Modell der Responsivität bildet ein weiteres Puzzlestück für deren Entwicklung. Der Perspektivenwechsel von der Organisation bzw. deren organisationalen Akteuren auf das Umwelt-Organisationsverhältnis wurde in der Literatur bis dato wenig berücksichtigt und wenn, dann mit Modellen, die das Antworten der Akteure als strategisches (rationalisiertes) Handeln beschreiben (Olivier 1991). Das operationalisierte Modell der Responsivität nach Gärtner et al. (2017), wie es in Kapitel 4 empirisch entwickelt wurde, bietet die Möglichkeit, unterschiedliche neo-institutionalistische Stränge miteinander zu verbinden und so Prozesse unterschiedlichen Antwortgeschehens nachvollziehbar werden zu lassen. Dabei erfolgte außerdem eine Abkehr von den aus dem strategischen Management stammenden Ansätzen und eine Hinwendung zu dem in der philosophischen Phänomenologie (vgl. Waldenfels 2002) verankerten Verständnis von Responsivität.

Die Modellentwicklung und Operationalisierung entlang des vorliegenden Datenmaterials hat anschaulich gezeigt, dass der Antwortprozess, der auf institutionelle Ansprüche folgt, wesentlich komplexer ist, als es die von Oliver (1991, S. 152) genannten Antwortmuster (Erdulden, Kompromisse, Vermeiden, Trotzen, Manipulieren) sind. Die kontrastive fallorientierte Auswertung hat zudem noch einmal gezeigt, dass das Modell nicht in seinen Einzelbestandteilen greift, sondern erst das Zusammenwirken der einzelnen Phasen das Antwortgeschehen (vgl. Kap. 4) ausmacht – diese Erkenntnis ist zu betonen, da im Sinne eines phänomenologischen Verständnisses eine Aufspaltung des Antwortgeschehens in Phasen nur bedingt nachvollziehbar ist.

Die Überprüfung des entwickelten Modells durch weiterführende empirische Untersuchungen wird zeigen, inwieweit die Operationalisierung der Phasen gelungen ist. Insbesondere die Phase „Antworten“ bedarf einer weiterführenden kritischen Prüfung, da sich in ihr die variablen Faktoren der kulturell-kognitiven Logiken abgebildet finden, die direkten Bezug zur Schulleitungs- bzw. Schulentwicklungsforschung aufweisen.

5.1.2 Verortung der Ergebnisse aus Perspektive der Implementations-, Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung

Die vorliegenden Ergebnisse sollen nicht nur im Kontext neo-institutionalistischer Theorien diskutiert werden, sondern auch in aktuelle Forschungsansätze der Implementation, Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung eingebettet werden. In diesem Zusammenhang werden zentrale Befunde und Erkenntnisse herausgegriffen und erörtert.

Institutionelle schulische Umwelten und Implementationsforschung

Altrichter (2005, S. 37 ff.) unterscheidet zwischen zwei Implementationsmechanismen, wobei ersterer als „programmed approach“ bezeichnet wird. Dieser charakterisiert sich durch eine lineare „top-down“ Strategie, bei der bereits von Anfang an versucht wird, mögliche Hindernisse (z. B. fehlende Transparenz der intendierten Aktionen) zu berücksichtigen. Der zweite Zugang wird als „adaptive-evolutionary approach“ beschrieben. Dieser Ansatz beinhaltet ein Verständnis dafür, dass die Intensionen einer Reform bei der Umsetzung entsprechend den lokalen Gegebenheiten adaptiert werden. Diese Form der Implementation berücksichtigt „institutionelle und organisationale Muster“ bei der Reformumsetzung (Berman & McLaughlin 1976, S. 5). Gerade im Verständnis des zweiten Zugangs bedarf es eines Akteursverständnisses, das die aktive und gestalterische Rolle in Reformumsetzungsprozessen abbildet. Dabei sind weniger reaktionale Verhaltensweisen gemeint (eher kontingenztheoretische Sichtweise), sondern Umsetzungsformen, die mit Aushandlungsprozessen einhergehen (eher konstitutionstheoretische Sichtweise). Auch Kraler und Schratz (2012) greifen diese konstitutionstheoretische Sicht im Zusammenhang mit Implementation auf, indem sie von transformativen Prozessen sprechen, die zu next practice anstatt best practice (mehr von dem gleichen) führen. Durch die Interpretation bzw. die organisationalen Aktivierungs- oder Aktionsprozesse (Enactment – vgl. Ball et al. 2012) von Reformen entstehen neue Zugänge, die wiederum in die institutionelle schulische Umwelt zurückgespielt werden und somit zu Veränderungen auf Systemebene beitragen können.

Die Beforschung von responsivem Schulleitungshandeln erfolgte in dieser Arbeit anhand des Umgangs von Schulleitenden mit der Neuen-Mittelschulreform. Es soll jedoch betont werden, dass das zugrundeliegende Modell auch die Möglichkeit bietet, andere Schulentwicklungsprozesse und deren Umsetzung zu analysieren. Insbesondere für die Implementationsforschung bietet das Modell neue Perspektiven, um zu verstehen, wie Reformvorhaben an Schulstandorten übersetzt werden und welche besondere Rolle dabei die institutionellen Umwelten der Schulstandorte aus Sicht der Leitenden spielen.

Wie im dritten Kapitel beschrieben wurde, folgte die Neue-Mittelschulreform einer bestimmten Implementationslogik (vgl. Abschnitt 3.2.1). Die Verantwortung für die Ausgestaltung und Umsetzung der einzelnen Komponenten wurde mehrheitlich an die Schulstandorte und damit verbunden an die Schulleitenden sowie die neuen Teacher Leader, die Lerndesigner, übertragen. Damit folgte die Reform einem Steuerungsmodus (vgl. Schimank 2011), der Austausch- und Verhandlungsprozesse in der Umsetzung der Reform verstärkt berücksichtigte. Schulleitende, die vormals mehrheitlich mit Implementationskonzepten adressiert wurden, die anderen Logiken (vgl. Programmansatz bei Altrichter 2005) folgten, und damit verbunden Leitungsverständnisse entwickelt hatten, die darauf passend antworten konnten, sahen sich vor neue Herausforderungen gestellt. Eine Conclusio, die aus den Ergebnissen in Kapitel 4 abgeleitet werden kann, ist, dass auch Reformen bestimmte Implementationslogiken transportieren und mitunter kontradiktorisch zu vorherrschenden Führungslogiken von Schulleitenden sind. Dieser Fall tritt z. B. dann ein, wenn Schulleiter/-innen vornehmlich steuernde Führungsverständnisse haben, Reformimplementationsansätze jedoch vorsehen, dass am Schulstandort Umsetzungsstrategien gemeinsam entwickelt werden. Diese Erkenntnis impliziert, dass Reformbegleitungsprozesse immer auch die eigentliche Logik der Reform mitberücksichtigen sollten, um Schulleitende in diesem Sinne zu befähigen, entsprechende Veränderungen an den Schulstandorten zu initiieren. Oft sind diese Logiken innerhalb der kulturell-kognitiven Dimension zu verorten und werden somit nicht artikuliert bzw. hinterfragt, weil sie den größeren Bedeutungsrahmen setzen. Hier klarer den Bezugsrahmen sichtbar zu machen, könnte Reformvorhaben für Empfänger/-innen nachvollziehbarer werden lassen.

Eine weitere Erkenntnis im Zusammenhang mit Reformbegleitungsprozessen betrifft jene der Legitimierung. Schulleitende lassen sich von unterschiedlichen Anspruchsgruppen bestätigen, ob ihre Entwicklungsmaßnahmen als legitim erachtet werden oder nicht. Zwar, so konnte die Tabelle 4.3 zeigen, wurden Schulaufsichtsverantwortliche insgesamt sechs Mal als wichtige Anspruchsgruppe genannt und somit auch als legitimierende Instanz beschrieben, von fünf weiteren Schulleitenden allerdings nicht. Auch für die zweite Gruppe der Schlüsselakteure, wenn es um Reformbegleitungsprozesse geht – die Fort- und Weiterbildung –, konnte gezeigt werden, dass lediglich drei Schulleitende diese als zentrale Anspruchsgruppe definierten. Mehrfach genannte AnspruchsgruppenFootnote 8 waren dafür Eltern sowie für die Neuen Mittelschulen weiterführende Schulen. Wie zuvor aufgezeigt wurde, lassen sich die Eltern einer nicht-professionsbezogenen Akteursgruppe zuordnen und vertreten mehrheitlich eine kulturell-kognitive institutionelle Erwartungshaltung gegenüber Schulleitenden. Weiterführende Schulen können zu jenen Akteursgruppen gezählt werden, die aus einem professionsbezogenen, institutionellen Umfeld stammen. Je nach Anspruchsgruppen werden unterschiedliche Logiken in den Prozess der Reformumsetzung integriert. Scheint keine der Anspruchsgruppen einer professionsbezogenen Anspruchsgruppe zuzugehören, stellt sich die Frage, nach welchen Logiken pädagogische Inhalte aufbereitet und an den Schulen umgesetzt werden. Es bietet sich an, die Befunde der vorliegenden Arbeit entlang von Educational-Governance-Ansätzen kritisch zu diskutieren. Insbesondere erscheinen Mehrebenenperspektiven (Abs et al. 2014) sowie Rekontextualisierungsprozesse (Fend 2008) in diesem Zusammenhang vielversprechende theoretische Ansätze.

Die Ergebnisse der empirischen Untersuchung haben ferner gezeigt, dass Reformumsetzungsprozesse durch Legitimierungsprozesse von Akteuren aus nicht-professionsbezogenen Institutionen beeinflusst werden (vgl. Tab. 4.3). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwieweit dies bei Reformbegleitungsprozessen berücksichtigt wird. Ferner stellt sich die Frage, welche Rolle dabei die fragmentierte Professionsvertretung der Pädagoginnen und Pädagogen spielt.

Diese ersten Befunde dieser Untersuchung, ohne dass sie den Anspruch auf eine Verallgemeinerung erheben, regen an, über erweiterte systemische Reformbegleitungsprozesse nachzudenken (vgl. Altrichter 2005; Dedering 2012).

Responsives Antwortgeschehen im Kontext von Schulentwicklungsforschung

Schulentwicklungsforschung, so konnte bereits in Kapitel 3 gezeigt werden, hat für deutschsprachige Kontexte eine verhältnismäßig junge Geschichte, die sich dennoch in unterschiedliche Phasen einteilen lässt. Diese Entwicklungsphasen bedingen auch unterschiedliche Ausrichtungen der Schulentwicklungsforschung. Klein (2017) unterscheidet zwischen Schulentwicklungsforschung, deren Fokus auf die Lernergebnisse der Schülerinnen und Schülern gerichtet ist und deren originäre Forschungsparadigmen sich in der Schuleffektivitätsforschung wiederfinden, und einem zweiten Zugang, der mehr auf (organisationale) Entwicklungsperspektiven fokussiert. Darin verankert ist die Schulqualitätsforschung. Beide Zugänge folgen einer eher technokratischen Ausrichtung, da die relationale Dimension von Schule bzw. Schulkultur kaum beachtet wird und stattdessen eine Überbetonung von „technischen“ Lösungen zur Verbesserung des Wissens von Lehrkräften bzw. deren Kompetenz und Effektivität beim Unterrichten vorliegt (vgl. Klein & Bremm 2019). Auch Czejkowska, Dörler & Seyss-Inquart (2016) betrachten diese Entwicklungslinien in der Schulentwicklungsforschung kritisch. Sie ergänzen einen weiteren Trend, bei dem sie beschreiben, dass der Fokus auf „evidenzbasierter Planbarkeit“ liege und Schulentwicklungsprozesse nur evidenzbasiert funktionieren könnten (vgl. S. 18 f.).

Einige Theorien, die aktuell in der deutschsprachigen Schulentwicklungsforschung angewendet werden, transferieren technokratische Perspektiven in Form von „Trends“ (vgl. Czarniawaska und Joerges 1996) aus anderen Systemen. Insbesondere die Wahrnehmung des organisationalen Akteurs, die mit diesen technokratischen „Trends“ einhergeht, ist von einem kontingenztheoretischen Verständnis geprägt. Organisationale Akteure antworten „strategisch“ oder werden als rational entscheidende Akteure beschrieben. Auch Schulleitende werden nach diesem Verständnis charakterisiert. So schreiben Pashardis und Brauckmann (2018) etwa, „there are various leadership styles (and hybrids thereof) from which leaders can select depending on the situation face, at the system, organizational, and personal levels“ (S. 495). Durch diese Akteurswahrnehmung werden institutionelle und soziale Kontexte mehr und mehr ausgeblendet und organisationale Akteure (Schulleiter/-innen) zunehmend alleinig für ihre Entwicklung verantwortlich gemacht (vgl. Lehmann-Rommel 2004). Diese Entwicklungsperspektive kann insbesondere für die Schulentwicklungsforschung problematisch sein, da, wie Czejkowska, Dörler und Seyss-Inquart (2016) in ihrem Beitrag aufzeigen, eine Ausrichtung der Schulentwicklung zum Beispiel auf Output-Steuerung zu der Konsequenz führe, dass konkurrierende Systeme befördert werden. Auch die Ausrichtung auf eine Effizienzlogik sei, so Czejkowska (2016), für formale Bildungseinrichtungen nicht stimmig, da Effizienz „nicht ihr genuines Strukturmoment“ sei (S. 73). Damit unterstreicht Czejkowska noch einmal die theoretische Annahme, die in Abschnitt 2.1 und Abschnitt 2.3 entwickelt wurde, nämlich, dass Schulen Organisationen besonderer Art sind.

Einher mit der rationalen Beschreibung organisationaler Akteure geht ferner ein Zurückdrängen jenes kulturell-kognitiven Bezugsrahmens, der für deutschsprachige Bildungssysteme leitend ist – nämlich jenem des Verständnisses von BildungFootnote 9. Hierzu Bezug nehmend sei darauf verwiesen, dass sich die vorliegende Arbeit nicht erstrangig mit dieser Fragestellung beschäftigt hat, durch den Ansatz und die Operationalisierung des Konzepts der Responsivität und die Berücksichtigung neo-institutionalistischer Theorien jedoch Erkenntnisse in diese Richtung gesammelt werden konnten. Es bietet sich an, diesen Aspekt in weiterführenden Forschungen zu untersuchen.

Eine zweite Perspektive, die sich im Zusammenhang mit der Einbettung der Forschungsergebnisse in Schulentwicklungstheorien ergibt, beschäftigt sich mit der Frage, wie die in Kapitel 3 aufgezeigte vierte Phase der Schulentwicklungsforschung in Zukunft in den laufenden Diskurs eingebunden werden kann. Nach einem institutionalistischen Verständnis können Schulen als offene Systeme (vgl. Merkens 2011, Bormann 2002, S. 26 und Schreyögg 2008) beschrieben werden. Es ist daher entscheidend, institutionelle schulische Umwelten mit in den Blick zu nehmen, wenn es um schulische Entwicklungsprozesse geht. Die Ergebnisse der Schulleiter/-innen-Befragung zeigen, dass institutionelle Umwelten, aber auch vorherrschende institutionelle Logiken in der eigenen Schule einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie Reformen durch schulische Akteure rekontextualisiert werden. Spillane et al. (2019) greifen in ihren aktuellen Forschungsarbeiten genau diesen Aspekt auf: „We frame school systems as open systems that rely on the environments in which they operate for legitimacy and resources essential […]“ (S. 848). Insbesondere zeigen ihre Forschungsergebnisse, dass es gerade in der Schulentwicklungsforschung, aber auch in der Schulleitungsforschung, wichtig ist, institutionelle Umwelten zu berücksichtigen:

“First, we demonstrate the importance of understanding the institutional environments of organizations as fragmented and comprising multiple texts and discourses, and we underscore the need to understand how system leaders notice, frame, and combine different texts and discourses in their practice (Lounsbury 2007).” (S. 871)

Die vorliegende Arbeit setzt mit dem Modell der Responsivität an diesem Verhältnis zwischen organisationalem Akteur und institutioneller Umwelt an. Durch die Operationalisierung mittels theoretischer Elemente der neo-institutionalistischen Theorien konnte ein umfassender Blick darauf geworfen werden, wie Schulleitende in ihrem Handeln institutionelle Umwelten einbeziehen. Für die aktuelle Schulentwicklungsforschung ergeben sich aus den Befunden der vorliegenden Arbeit sowie aus aktuellen Bestrebungen, die Region mehr in den Blick zu nehmen, weiterführende Diskussionspunkte.

In Anbetracht der Tatsache, dass es in Zukunft vermehrt zur Bildung von Schulclustern kommen wird (vgl. Brauckmann et al. 2019), bedarf es Schulentwicklungstheorien, die die unterschiedlichen institutionellen Logiken berücksichtigen und Konzepte, ähnlich jenem des Organisationalen Feldes, aufgreifen. Gerade das Zusammenspiel unterschiedlicher Schulen, die diese Logiken für sich rekontextualisieren, fordert erweiterte theoretische Konzepte, die nicht nur Einzelschulen in den Blick nehmen. Ein Diskussionspunkt, der darüber hinaus in Kapitel 4 aufgetreten ist, ist die divergierende Wahrnehmung gleicher Anspruchsgruppen innerhalb einer Region. Wie erwähnt wurde, gehören die Schulleitenden, die im Zuge der Arbeit interviewt wurden, alle einer Bildungsregion an. Viele Akteursgruppen, die von den Schulleitenden erwähnt wurden, sind jeweils ein und dieselbe Person, nichtsdestoweniger werden diese Akteure unterschiedlich wahrgenommen (vgl. Anhang (3)). Wie kann also ein plurales Verständnis von Akteursgruppen abgebildet werden? Ein potentieller Ansatz wäre jener von Koch (2018), der Institutionen auch unter der Prämisse ihrer relational-strukturellen Dimensionen betrachtet. Gerade für regionale Schulentwicklung kann der Ansatz der Responsivität eine theoretische Erweiterung innerhalb der Schulentwicklungsforschung sein.

Eine dritte Perspektive eröffnet sich durch die Möglichkeit, mittels des entworfenen Modells eine vertiefte Betrachtung der Rolle der Schulleitenden an der Nahtstelle zwischen Schulentwicklung und Schulleitungshandeln anzustellen. Wie Koch (2011) schreibt, existieren oft nur vage Vorstellungen, „wie eigentlich genau Schulleitung in die Organisation hineinwirkt bzw. mit dieser interagiert“ (S. 55). Ausgehend von der Annahme, dass Schulleitende einen Einfluss auf Schulentwicklungsprozesse haben (Bonsen 2010), konnte gezeigt werden, dass das Antwortgeschehen der Schulleitenden Einfluss darauf hat, wie Reformen an Schulstandorten zunächst eingeführt und in weiterer Folge umgesetzt werden. Schulleitende fungieren hierbei als „Gatekeeper“ bzw. rahmen die Übersetzungsarbeit zu neuen Erlässen entsprechend der von ihnen wahrgenommenen Ansprüche.

Die Phasen des Modells zur Responsivität zeigen dabei auf, wie komplex solche Antwortprozesse sein können.

Responsive Schulleitung als erweiterte Dimension von Schulleitungshandeln und als Beitrag zur Professionsforschung von Schulleitenden

Erweiterte Perspektive auf Schulleitungshandeln

Mit dem Blick des soziologisch ausgerichteten Neo-Institutionalismus und seinen weiterführenden Konzepten erfolgte in der vorliegenden Arbeit eine Betrachtung von Schulleitungshandeln, die sich in Forschungsarbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen (vgl. Wissinger 2014) einreiht. Bedingt durch die Perspektive der Institutionalisten wurde besonders Schulleitungshandeln im Verhältnis zu institutionellen schulischen Umwelten untersucht. Somit lässt sich der eingenommene Blick auf Schulleitungshandeln zwischen der Mikro- und Mesoebene verorten. Als Mikroebene wird hier die Ebene des/ der Schulleiter/-in als organisationaler Akteur verstanden, während die Mesoebene die direkte institutionelle schulische Umwelt in den Blick nimmt. Da die befragten Schulleiter/-innen alle in der gleichen Bildungsregion verortet sind, bildet die Mesoebene zudem diese Region ab. Diese Perspektive, die auf das Verhältnis zwischen Mikro- und Mesoebene schaut, befasst sich daher mit Konzepten zu schulischen Kontexten, die, wie in vielen Forschungsarbeiten betont wird (vgl. Hallinger 2016), einen Einfluss auf schulisches Leitungshandeln nehmen. Mit dem erweiterten organisationstheoretischen Verständnis von institutionellen Umwelten sowie der Darstellung unterschiedlicher Akteursformationen in Form Organisationaler Felder bietet diese Arbeit ein Theoriemodell zur Kontexterfassung mit Verknüpfungen zu Schulleitungshandeln.

Das Responsivitätsmodell – erweiterte Konzepte zu Schulleitungshandeln

Responsivität als Modell bietet auch Anlass, Schulleitungshandeln in seinen unterschiedlichen Ausgestaltungsformen genauer betrachten zu können. Somit leisten die vorgestellten empirischen Ergebnisse weitere Einblicke, um das Handeln von Schulleiterinnen und Schulleitern in institutionellen schulischen Kontexten aufzuzeigen.

Buchen und Rolff (2016) verkünden in ihrem Handbuch „Professionswissen Schulleitung“, dass „das Professionswissen […] abgeklärt und ausformuliert“ (vgl. S. 1) sei. Den Autoren nach bildet sich diese heuristische Deskription von Professionswissen in den Bereichen Führung und Management, Organisationsgestaltung, Personalmanagement, Unterrichtsentwicklung, Kommunikation sowie Beratung und Qualitätsmanagement ab. Unter den Überthemen finden sich Beiträge, die vor allem technokratische Aspekte von Schulleitung abhandeln. Perspektiven der motivationalen Orientierung, Überzeugungen, Wertehaltungen und institutionelle Aspekte werden im Zuge des Handbuchs wenig berücksichtigt (vgl. Louis & Wahlstrom 2011; Burow 2016; Klein & Bremm 2019). Gerade Letzteres erscheint für die umfassende Betrachtung und ein weiterführendes Verständnis von Schulleitungshandeln wichtig. Die Operationalisierung des Modells zur Responsivität hat einige Konzepte aufgegriffen, die als Erweiterung des professionellen Handelns von Schulleitenden angesehen werden können:

  • Wahrnehmung der institutionellen Umwelt

  • Akteursgruppen und Anspruchsgruppen für Schulleitende im Zusammenhang mit Legitimierungsprozessen für Schulqualitätsentwicklung

  • Wahrnehmung von Veränderung

  • Schulleitung und Agency

  • Steuerungslogiken und ihr Einfluss auf Leitungsverständnisse

Insbesondere „Schulleitung und Agency“ sowie „Steuerungslogiken und ihr Einfluss auf Leitungsverständnisse“ sollen in der Diskussion noch einmal explizit hervorgehoben werden. Schulleiter/-innen, so Warwas (2012), sehen sich überwiegend als verwaltende bzw. gestaltende Führungskräfte. Die Ergebnisse des vierten Kapitels konnten jedoch auch zeigen, dass es einigen Schulleitenden schwer gefallen ist, Agency für die Neue-Mittelschulreform zu übernehmen, da, wie in den Interviews unter anderem angegeben wurde, sie aufgrund ihrer Freistellung von der Unterrichtsverpflichtung zu lange nicht mehr aktiv unterrichtet hätten. Dieses Paradoxon, dass Schulleitende sich nicht mehr mit grundeigenen pädagogischen Themen wie dem Unterrichten verbunden sehen, obwohl ihre Professionsentwicklung als Lehrpersonen erfolgte, regt dazu an, die Ergebnisse auch im Zusammenhang mit dem Thema Schulleitung als Profession zu beleuchten. In diesem Zusammenhang sollten auch die Ergebnisse bezüglich unterschiedlicher Leitungsverständnisse noch einmal näher betrachtet werden. Das Herausarbeiten der Leitungsverständnisse erfolgte indirekt über den inhaltsanalytischen Zugang der Auswertungsmethode. Dabei konnte aufgezeigt werden, dass Schulleitende, die ihre Umwelt als Ermöglichungsrahmen wahrnahmen, häufiger über ein Leitungsverständnis verfügen, das Aushandlungs- und Interpretationsprozesse beinhaltet, als Schulleiter/-innen, die ihre Umwelt als begrenzend beschrieben. Diese versuchten Qualitätsentwicklung und Reformumsetzungen vor allem steuernd bzw. durch die Installation von Experten und Expertinnen (Lerndesigner/-in, SQA-Koordinatorin) zu bewerkstelligen. Es konnte kein gemeinsamer Bezugsrahmen festgestellt werden.

Die Frage, die sich aus dieser Erkenntnis ergibt, ist, inwieweit sich Schulleitende den Steuerungslogiken, denen sie mit ihrem Leitungshandeln folgen, gewahr sind.

Schulleitung als eigenständige Profession

Die bereits im Zusammenhang mit Organisationalen Feldern und institutionellen Logiken diskutierten Ergebnisse zu den wichtigsten Anspruchsgruppen der Schulleitenden lassen auch für den Diskurs im Zusammenhang mit Schulleitungsprofession noch Räume zur vertieften Auseinandersetzung. Die Ergebnisse zeigten, dass nur ein/-e Schulleiter/-in die eigene Peergruppe (andere Schulleitende) als zentrale Anspruchsgruppe nannte. Zwar wurden professionsbezogene Anspruchsgruppen genannt, wie das Kollegium bzw. Lehrpersonen mit besonderen Funktionen, jedoch unterscheidet sich das Tätigkeitsfeld von Schulleitenden und Lehrpersonen zunehmend (vgl. u. a. Brauckmann 2013).

Wie in Kapitel 2 im Exkurs zu „Professionen“ herausgearbeitet wurde, weist Scott (2008) Professionen in der heutigen Gesellschaft eine entscheidende Rolle zu. Sie gestalten, nach Annahme des Autors, maßgebliche Bezugsrahmen im Bereich der kulturell-kognitiven Dimension (vgl. Scott 2001, Koch 2018). Für die pädagogische Profession konnte bereits im vorangegangenen Teil (theoretische Verortung der Ergebnisse) festgehalten werden, dass die Bezugsrahmen, also die kulturell-kognitive Dimension, vordergründig von bildungspolitischen Entscheidungsträgern (z. T. anderen Professionen angehörend) vorgegeben werden (vgl. hierzu auch Peetz 2019, S. 136 ff.). Professionseigene Orientierungspunkte für Schulleitende konnten nur begrenzt gefunden werden (andere Schulleiter/-innen; Kollegium bzw. Lehrpersonen mit besonderen Funktionen).

Ob Schulleitung als eigene Profession wahrgenommen wird oder nicht, konnte bis dato noch nicht hinreichend beantwortet werden, da wenige Forschungsarbeiten sich mit der Klärung dieser Frage beschäftigten. In diesem Zusammenhang können die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit nur bedingt in aktuelle Diskurse eingeordnet werden. Ausgehend von den Erkenntnissen der qualitativen Untersuchung, die jedenfalls keine verallgemeinerten Aussagen zulassen, zeichnen die interviewten Schulleitenden bezüglich ihres professionellen Verständnisses ein durchaus heterogenes Bild.

So gab ein/e Leitende/-r an, sich vor allem als administrativer Manager zu verstehen (vgl. SL_06_MGU, Z. 414 ff.), während andere Schulleiter/-innen es als ihre zentrale Aufgabe betrachteten, die Verantwortung für Entwicklung am Schulstandort zu übernehmen (SL_07_OGU, SL_11_MGU). Dabei zeigt sich zudem, dass einige der befragten Schulleitenden gezielt Lehrpersonen mit besonderen Funktionen einbinden und als Resonanzquelle für ihr Leitungshandeln heranziehen (vgl. SL_02_MGU; SL_04_MGU; SL_07_OGU). Diese Ergebnisse können zu den Befunden, die Klein (2017) in ihrem Beitrag herausgearbeitet hat, dahingehend in Bezug gesetzt werden, dass Schulleiter/-innen in Deutschland (im Vergleich zu den USA, vgl. S. 83) ihre Lehrkräfte vermehrt in Entscheidungsfindungen einbeziehen. Die Befunde zeigen zudem, dass sich einige der Befragten noch als primus inter pares (vgl. Schratz; Warwas 2009) wahrnehmen und unterrichtsbezogene Entwicklungen vor allem den Lehrer/-innen ihres Standorts überlassen.

Eine weitere Erkenntnis betrifft die Rolle der Schulaufsicht bzw. der verantwortlichen Inspektor/-innen auf regionaler Ebene. Ohne die Schulaufsicht, die vielfach in den Interviews als Verbindungsglied auf regionaler Ebene genannt wurde, würden die Schulleitenden ihre Leitungsaufgaben losgelöst von anderen Schulleitenden erledigen. Demnach gibt die Schulaufsicht momentan für die Schulleitungen einen verbindenden Bezugsrahmen vor, der nur bedingt professionsspezifisch angelegt ist, da, wie Tabelle 4.4 zeigt, regulative Dimensionen auf das Handeln der Inspektor/-innen einen starke Einfluss einnehmen (vgl. Jesacher-Rößler & Kemethofer 2020).

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich die weiterführende Forschungsfrage ableiten, wer die kulturell-kognitiven Bezugsrahmen für Schulleitungshandeln bestimmt und inwieweit pädagogische Professionsvertretungen hier eine Rolle spielen.

5.2 Grenzen und Chancen der Arbeit

In Kapitel 4. wurde bereits Grenzen der Arbeit im Zusammenhang mit den angewendeten Forschungsmethoden dargestellt. Die nachfolgenden Grenzen und Chancen der vorliegenden Arbeit verstehen sich in Bezug auf die angelegten theoretischen Konzepte.

5.2.1 Grenzen

Die vorliegende Arbeit nimmt eine Binnenperspektive ein. Dadurch können einige Dimensionen, die für die Beforschung von Schulleitungshandeln ebenfalls relevant gewesen wären (z. B. ökonomische Dimension, die Dimension der aus sozialen Lagen bedingten Interessen oder die Dimension sozialer Ungleichheit), nicht in den Blick genommen werden.

Die vorliegende Arbeit bildet keinen systematischen Überblick. Dies mag vielleicht auch nicht möglich sein, da neo-institutionalistische Zugänge per se keine in sich geschlossene Theorie bilden, sondern stellen, so Walgenbach und Meyer, „eher eine bestimmte theoretische Ausrichtung dar“ (2008, S. 194 f.). Bedingt wird dies bereits durch die unterschiedlichen Ausrichtungen der drei grundlegenden und in dieser Arbeit diskutierten konzeptionellen Arbeiten von Meyer und Rowan (1977), Zucker (1977) und DiMaggio und Powell (1983). In Anbetracht dessen bieten die neo-institutionalistischen Zugänge jedoch auch eine breite Möglichkeit, um sie mit weiterführenden theoretischen Modellen zu verknüpfen. Dies erfolgte in der vorliegenden Arbeit mittels des Ansatzes der Responsivität. Wie in Kapitel 4 bereits dargestellt, wurde besonders darauf geachtet, die Erweiterung nicht eklektisch anzustellen, sondern im Rahmen der empirischen Operationalisierung.

Es verlaufen einige der aufgegriffenen Konzepte in unvollendete Erzählstränge, die in weiterführenden Forschungsarbeiten aufgegriffen werden können und sollen. Einen solchen Erzählstrang stellt etwa die detaillierte Beschreibung der einzelnen Anspruchsgruppen als Institutionen dar. Eine qualitative Untersuchung der Logiken der unterschiedlichen Anspruchsgruppen würde ein tiefergreifendes Verständnis von den institutionellen schulischen Umwelten bedingen, insbesondere die Perspektiven der Eltern und Erziehungsberechtigten sowie der Schulaufsicht (vgl. Jesacher-Rößler & Kemethofer 2020). Auch eine Anwendung des Responsivitätsmodells auf Lehrer/-innen mit und ohne besondere Funktionen würde helfen, die Interdependenzen zwischen den Akteuren institutioneller schulischer Umwelten weiterführend zu verstehen.

Eine Grenze dieser Arbeit zeigt sich in der geringen Berücksichtigung von Machtkonzepten bezüglich Anspruchsgruppen und organisationalen Akteuren. Obwohl Koch (2018) mit seiner relational-strukturellen Dimension eine theoretische Erweiterung geliefert hat, die diese Komponente aufgreift, erfolgte noch keine vollständige Berücksichtigung der Machtverhältnisse innerhalb der Organisationalen Felder. Ein erster Hinweis, wie unterschiedlich solche Machtkonstellationen sein können, ist die Nennung unterschiedlicher Anspruchsgruppen für die Schulleitenden im Zusammenhang mit Legitimierungsprozessen. Die Befunde deuten an, dass einige Akteursgruppen in institutionellen schulischen Umwelten zwar qua ihrer institutionellen Zuordnung machtvoll sein müssten, jedoch von den Schulleitenden im Zusammenhang mit schulischen Entwicklungsprozessen nicht erwähnt oder nicht als Anspruchsgruppe beschrieben wurden (Schulaufsicht, Schulerhalter) – diese Fragen bieten sich für vertiefte Analysen und weiterführende Forschungsarbeiten (vgl. u.a Jahn 2016) an. In diesem Zusammenhang kann auch kritisch angemerkt werden, dass Erziehungsberechtigte und Schüler/-innen als einheitliche Quasi-Akteure behandelt werden, obwohl sie das nicht sind.

Unter Berücksichtigung der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Prozess, wie neue institutionelle Erwartungshaltungen entstehen (Institutionalisierungsprozess), wurden in Kapitel 3 unterschiedliche Modelle der Veränderung beschrieben. Im Rückblick zeigt sich, dass eine Berücksichtigung des Sensemaking-Ansatzes nach Weick (1995) zusätzliche Perspektiven eröffnet hätte. Gerade in Zusammenhang mit Habitualisierungsprozessen geht es vielfach um Legitimierung neuer Routinen und Handlungsformen; diese werden jedoch beeinflusst durch Sinnstiftungsprozesse der einzelnen Akteure. Auch eine Integration der Sinnstiftungsprozesse in das Modell zu Responsivität bietet sich für weiterführende Arbeiten an.

Da sich die Arbeit vordergründig mit theoretischen Konzepten des soziologisch ausgerichteten Neo-Institutionalismus befasst hat, erfolgte zum Teil nur eine implizite Kenntlichmachung von bildungswissenschaftlichen Bezugspunkten. Dies zur Kenntnis nehmend, wurden die Ergebnisse im 5. Kapitel im Kontext aktueller Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung eingebettet. Inwieweit für die Operationalisierung des Modells noch einschlägigere theoretische Zugänge (z. B. Schulkulturansatz nach Helsper 2010; 2014) hätten berücksichtigt werden können, bleibt Gegenstand der Diskussion.

5.2.2 Chancen

Vielfach konnte bereits in der Verortung der Ergebnisse aufgezeigt werden, worin sich die Chancen und Erweiterungen der Arbeit zeigen. An dieser Stelle sollen daher nur noch zentrale Punkte genannt werden.

Die vorliegende Arbeit richtet ihren Blick auf prozessuale Aspekte der Institutionalisierung bzw. der De-Institutionalisierung. Mit der theoretischen Erweiterung durch Konzepte zur Responsivität konnten diese zentralen Prozesse, die bis dahin nur unter bestimmten theoretischen Prämissen (strategisches Antworten) und in vereinzelten Studien aufgegriffen wurden (Olivier 1991), in einem Modell operationalisiert werden. Wie unter der Verortung „Verhältnis zwischen institutionellen schulischen Umwelten und schulischen organisationalen Akteuren“ erörtert, vermag das Modell Antwortgeschehen abzubilden, das unterschiedliche organisationstheoretische Grundannahmen miteinbezieht. Darüber hinaus verbindet das Modell Einzelstränge zu miteinander in Bezug stehenden Konzepten. Hierdurch kann der Kritik, die vielfach den neo-institutionalistischen Theorien entgegengebracht wird – sie seien fragmentiert und zum Teil eklektisch – ein Stück weit entgegengewirkt werden. Wie sich die unterschiedlichen Stränge histographisch entwickelt haben, wurde in Kapitel 2 ausführlich dargestellt; auch das soll als eine Stärke der Arbeit hervorgehoben werden.

Das Modell bietet ferner die Möglichkeit, institutionelle schulische Perspektiven auch aus Sicht anderer Akteure zu betrachten. Es lässt sich somit für eine mehrperspektivische Betrachtung anwenden. So bietet es sich in Zukunft an, das responsive Antwortverhalten von Teacher Leadern oder Lehrpersonen zu betrachten, um so innerhalb einer Schule oder auf regionaler Ebene Antwortgeschehen sichtbar zu machen und diese zum Anlass zu nehmen, schulkulturelle Aspekte bzw. Qualitätsentwicklungsprozesse tiefgreifender zu erörtern.

Die Betrachtung von Schule als offenes System, das als Teil eines Organisationalen Feldes existiert, bietet neue Perspektiven für die Schulentwicklungsforschung. Insbesondere für die (regionale) Schulentwicklung können die Erkenntnisse und Befunde nutzbar gemacht werden.

Vor allem für die Schulentwicklungsforschung lieferten die empirischen Ergebnisse neue Sichtweisen auf die Wahrnehmung der institutionellen schulischen Umwelten durch Leitende. Wie Schulleiter/-innen ihre Umwelt wahrnehmen, hat entscheidenden Einfluss darauf, wie sich ihnen ihre eigenen Handlungsmöglichkeiten darbieten – gerade in Zeiten, in denen erweiterte Autonomie diskutiert wird, scheint dies besondere Relevanz zu haben. Verbunden mit dieser Erkenntnis ist auch ein Hinterfragen der gängigen Verständnisse von Schulleitenden als organisationale Akteure – vielfach dominieren Theorien den Diskurs der Schulleitungsforschung, in denen Leitende rational-reaktionäre Verhaltensweisen attestiert bekommen.

Mit der Berücksichtigung bestimmter Steuerungsparadigmen in Form von kulturell-kognitiven Bezugsrahmen wurde der Versuch unternommen, „root metaphors“ für Schulleitende sowie professionsbezogene Akteure zu verankern – dieser Versuch versteht sich als erster Aufschlag in Richtung weiterführender Forschung zu allgemeinen kulturell-kognitiven Dimensionen für pädagogisch Handelnde. In diesem Zusammenhang sei noch einmal darauf verwiesen, dass die vorliegende Arbeit auch ein Stück weit einen Beitrag zur professionsbezogenen Forschung von Schulleitenden liefert.

Aus ebendieser Perspektive, der Schulleitungsforschung, bieten die Ergebnisse der Studie neue Einsichten in Schulleitungshandeln, welches den Antwortprozess im Blick hat und somit als Ergänzung zu neueren Arbeiten zu sehen ist, bei denen Antwortphänomen und -facetten von Schulleitungshandeln herausgearbeitet wurden (vgl. Schratz et al. 2019).

5.3 Fazit und Implikationen der Arbeit

Das fünfte Kapitel schließt mit einem Rückblick auf die eingangs erwähnten Fragestellungen und leitet aus den Befunden und Erkenntnissen weiterführende Implikationen ab. Eingangs wurden folgende zwei leitende Forschungsfragen formuliert:

  1. A)

    Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiter/-innen bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform an ihrem Standort?

  2. B)

    Wie respondieren Schulleiter/-innen auf ihre institutionelle Umwelt?

Um die erste Frage beantworten zu können, galt es zunächst theoretische Zugänge zu finden, die Schulleitende in ihren institutionellen schulischen Umwelten abbilden. Wie die qualitative Untersuchung gezeigt hat, orientieren sich Leitende an unterschiedlichen organisationalen Akteuren in ihrer Umwelt. Die Orientierung ist abhängig davon, wer den Schulleitenden in ihrem Verständnis ihre Entwicklungsprozesse legitimiert. Die Bandbreite der genannten Anspruchsgruppen ist groß – demzufolge lautet die Antwort auf die erste Frage: Schulleitende orientieren sich an unterschiedlichen Akteursgruppen. Unter den genannten Anspruchsgruppen finden sich sowohl professionsbezogene Akteure (Kollegium, Lehrpersonen mit besonderen Funktionen, andere Schulleitende), die Schulaufsicht, Fort- und Weiterbildner/-innen, Eltern und Schüler/-innen. Zudem wurde einmal Literatur bzw. Forschung als Bezugspunkt genannt.

Um die zweite Frage beantworten zu können, bedurfte es der Entwicklung eines Modells, das abbildet, was unter Responsivität verstanden werden kann. Dabei wurden unterschiedliche Konzepte miteinander verbunden, um den Antwortprozess von Schulleitenden auf Ansprüche, die an sie gestellt werden, sichtbar zu machen. Im Wesentlichen konnte dadurch gezeigt werden, welche komplexen Aspekte in das Antwortgeschehen von Schulleitenden mit hineinspielen. Weniger konkret konnte die Wie-Frage beantwortet werden, da alle Antwortgeschehen der Schulleitenden individuell abliefen. Die Ergebnisse konnten zeigen, dass sich responsives Schulleitungshandeln in einem ständigen Abwägen zwischen Legitimitätsansprüchen und Transformationsstreben befindet.

Neben diesen beiden Fragen ergaben die theoretische Auseinandersetzung sowie die empirische Untersuchung weiterführende Erkenntnisse. Angeleitet durch das folgende Zitat, soll die vorliegende Arbeit – als eine Arbeit, die im Bereich der Schulentwicklungsforschung geschrieben wurde – auch praktische Implikationen vorweisen.

„[...].in den Schubladen der Wissenschaft hat man die einzelnen Schubladen aufgetan, hat sie zu einem Paket geschnürt und hat jetzt ein Paket zusammengebaut, das der neuen Pädagogik entspricht. Aus wissenschaftlicher Sicht passt das gut[...].“ (SL_6_MGA, Z. 746 ff.)

Vertiefter Fokus auf institutionelle Logiken als kulturelle Bezugsrahmen

Die Auseinandersetzung mit neueren Ansätzen der neo-institutionalistischen Theorien hat dazu geführt, dass die Perspektive der institutionellen Logiken (Ocasio, Thornton & Lousbury 2012) mehr in den Fokus genommen wurde. Wie in Kapitel 3 gezeigt werden konnte, sind Veränderungsprozesse immanenter Bestandteil von Organisationentwicklung – institutionelle Logiken beeinflussen diese Veränderungen. Für erweiterte Schulentwicklungsansätze ist es daher empfehlenswert, sich mehr mit institutionellen bzw. kulturellen Bezugsrahmen auseinanderzusetzen.

A bkehr einer Engführung des Organisationsverständnisses in der Schulentwicklungsforschung

Schulentwicklungstheorien sind häufig von kontingenztheoretischen Sichtweisen geprägt. Einher mit diesem Organisationsverständnis geht eine Sicht auf organisationale Akteure, die deren Einbettung in institutionelle Kontexte nur bedingt berücksichtigt. Ausgehend von diesen Annahmen werden Akteure als rational entscheidende Individuen wahrgenommen. Dennoch wird ihnen oft nur die Rolle des Reaktionärs/der Reaktionärin zuteil, der/die mit bestimmten (empfohlenen) Strategien auf etwas antwortet. Die aktive Einbindung im Sinne einer Aushandlungskultur bzw. einer Mitgestaltung in der Umsetzung etwa von Reformen wird den Akteuren selten zugesprochen. In Zeiten, in denen Schulleiter/-innen jedoch mehr Autonomie erhalten sollen bzw. schulische Umwelten sich zunehmend schneller wandeln, braucht es eine Öffnung der organisationstheoretischen Sichtweisen.

Plädoyer für plurale Umsetzungsstrategien statt homogener Angleichung

Vielfach wird in neo-institutionalistischen Forschungsarbeiten, bedingt durch quantitative Forschungsmethoden, die reine Existenz ähnlicher Entwicklungsrichtungen und ein angleichendes Verhalten als eine Homogenisierung in der Entwicklung interpretiert. Die vorliegende Studie zeigt jedoch, dass eine tatsächliche Homogenisierung in dem Sinne nicht stattfindet. Vielmehr kann mittels der Ergebnisse auf der Mikroebene gezeigt werden, dass bestimmte Logiken, insbesondere die Ausrichtung zu bestimmten Anspruchsgruppen, die Umsetzung von Reformen beeinflussen. Für die Umsetzung bildungspolitischer Reformen ist dieses Wissen entscheidend, jedoch in dem Sinne nicht neu. Viele Studien weisen bereits darauf hin, dass top-down implementierte Reformen selten die Wirkungen erzielen, die beabsichtigt waren. Es bedarf daher Reformbegleitungsprozesse, die Schulen, Kollegien und Schulleitungen dabei unterstützen, neue Ansprüche entsprechend den schulkulturellen Logiken umzusetzen. Dafür ist jedoch eine Anerkennung pluraler Umsetzungsstrategien nötig, die auch in etwaigen Evaluationssettings aufgegriffen werden sollten. Damit sind Evaluationskonzepte gemeint, die eine solche Pluralität würdigen bzw. Fragestellungen, die mehr auf Prozesse als auf Ergebnisse fokussieren.

Ausbau der Schulleitungsforschung unter besonderer Berücksichtigung professionstheoretischer Fragestellungen

Dass Schulleitung mittlerweile, wie Buchen und Rolff (2016) schreiben, eine etablierte Berufsgruppe ist, zeigt auch das neue Schulleitungsprofil des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung, das 2019 erstellt und veröffentlicht wurdeFootnote 10. Dem gegenüber steckt jedoch die professionstheoretische Forschung zu Schulleitung noch in ihren Kinderschuhen (vgl. Rosenbusch & Warwas 2010). Auch diese Arbeit ist nur ein weiterer kleiner Baustein der fragmentierten Untersuchungen, die sich mit Schulleitungshandeln auseinandersetzen. Es bedarf größer angelegter Studien, die Schulleitung aus unterschiedlichen professionstheoretischen Zugängen beleuchtet und dadurch auch die Anerkennung und gesonderte Ausbildung dieses Berufs befördert. Die Etablierung und Förderung einer eigenständigen Profession könnte dazu führen, dass Diskurse breiter und vor allem unter Einbeziehung pädagogischer Expertise geführt werden. Dafür bedarf es einer weiterführenden Professionalisierung von Schulleiterinnen und Schulleitern, bei der professionsspezifische Momente von Leitungshandeln zentral in den Blick genommen werden (vgl. Tulowitzki et al. 2019; Schratz & Schley 2014, Schley & Schratz 2010).

Veränderte Professionalisierungsangebote für Schulleitende

Schulleiter/-innen wurden in der Regel direkt aus den Lehrerkollegien heraus rekrutiert. Bis dato erfolgte erst mit der Übernahme der neuen Funktion eine begleitende Professionalisierung. Neuere Entwicklungen in Österreich sehen vor, dass karrierevorbereitende Ausbildungsangebote bereits vor der Bewerbung um eine solche Funktion besucht werden müssen. Entscheidend für die berufsbegleitende Professionalisierung von Schulleitenden ist eine Erweiterung des Ausbildungsprofils in Richtung professionelles Lernen. Ähnlich wie seit einigen Jahren angemerkt wird, dass die Weiterqualifikation für Lehrende weg von einer reaktionären Formatstruktur, bei der neue Inhalte über Artefakte (Arbeitsblätter, die als Kopiervorlage dienen) bzw. symbolische Weitergabemechanismen (Inputvorträge und Referentenimpuls) vermittelt werden, führen soll, bedarf es auch bei der Schulleiter*innenausbildung einer gesteigerten Förderung aktionaler Weitergabemechanismen im Sinne professionellen Lernens (z. B. in Professionellen Lerngemeinschaften oder Lernnetzwerken, vgl. hierzu die Leadership AcademyFootnote 11).

Eine besondere Rolle nimmt in Österreich dabei die Schulaufsicht ein, in deren Verantwortung unter anderem die weiterführende Professionalisierung von Schulleitenden liegt. Formate und Zugänge, die eine Offenheit gegenüber unterschiedlicher Umsetzungsstrategien zuzulassen sowie die Befähigung der Schulleitenden, Entscheidungen entlang transparenter Steuerungslogiken zu treffen, gilt es zu fördern. Dafür entscheidend sind gemeinsame – auch schultypübergreifend – entwickelte Bezugsrahmen.

Implikationen für eine regionale Schulentwicklungsforschung

Den vorherigen Gedanken aufgreifend, empfiehlt es sich auch für regionale Schulentwicklungsstrategien gemeinsame Bezugsrahmen zu entwickeln. Die vorliegende Arbeit untersuchte Schulleitende, die sich in einer Bildungsregion befinden. Das Konzept des Organisationalen Feldes bietet sich besonders an, um Strukturen, Abläufe und Beziehungen innerhalb regionaler Schulentwicklungsfragen abzubilden und institutionelle schulische Umwelten in ihrer Komplexität und Verwobenheit nachvollziehbar werden zu lassen. Wie bereits betont, ist das Konzept noch nicht zur Gänze entwickelt, da Fragen der Machtbeziehungen sowie die Perspektiven aller Akteure miteinbezogen werden müssen – für weiterführende Forschung in diesem Bereich ist jedoch ein erster Grundstein gelegt worden. Der propagierte Ansatz kann zukünftig insofern relevant werden, als dass Schulzusammenlegungen sowie neu abgesteckte Steuerungseinheiten (Schulaufsicht neu) regionale Schulentwicklung mehr in den Fokus nehmen (vgl. Brauckmann et al. 2019).

Evidenzorientierte Unterstützungsstrukturen für Transformationsprozesse

Ein Nebenprodukt der qualitativen Studie ist die Erkenntnis, dass Schulleitende sich nur selten an Forschung orientieren, wenn es um Entscheidungen hinsichtlich schulischer Entwicklungsprozesse geht. Lediglich eine Leitungsperson gab an, Literatur bzw. Forschung als entscheidende Anspruchsgruppe zu sehen. Zwar nannten insgesamt drei Schulleitende im Zuge der Interviews Forschung bzw. einschlägige Fachliteratur als Orientierungsquelle, dies jedoch nur im Zusammenhang mit bestimmten Themen (meist dem Qualitätsbereich Lernen und Lehren). Auch andere Studien (Demski 2017; Neelemann 2019) kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Die Frage bzw. Implikation, die sich aus dieser Erkenntnis ableiten lässt, ist eine, die in den vergangenen Jahren oft gestellt wurde – nämlich wie es gelingen kann, Forschungsergebnisse auch für schulische Akteure zugänglich zu machen und mehr noch: ihnen einen Stellenwert einzuräumen, dass ein Bezug darauf für pädagogisch Handelnde sinnstiftend ist. Wie die Entwicklungsbegleitung der Neuen Mittelschule gezeigt hat, konnten im Zuge des mehrgenerationalen Entwicklungsprozesses über Handreichungen, Fort- und Weiterbildungsformate sowie (Onlinelern-)Ateliers neue pädagogische Ansätze über forschungsgeleitete Begründungsstrategien habitualisiert werden (vgl. Abbildung 2.3). Dennoch wurde von den Schulleitenden das Bundeszentrum als Akteursgruppe genannt und nicht die dahinterstehende Forschung. Es erscheint daher weiterhin wichtig, Brücken zwischen Forschung und Praxis zu bauen, die von beiden Seiten beschritten und an deren Enden beide Seiten gleichermaßen begrüßt werden.