„Die Theoriebildung ist so anzulegen, dass die Möglichkeit besteht Neues zu entdecken und theoretische Vorannahmen […] in Frage zu stellen bzw. zu modifizieren“ (Steinke 2015, S. 328)

4.1 Erhebungsdesign

Der empirischen Untersuchung werden in dieser Arbeit zwei Aufgaben zuteil. Auf der einen Seite soll explorativ ein erweitertes Wissen über Schulleitungshandeln entwickelt werden. Auf der anderen Seite sollen die im theoretischen Teil aufgearbeiteten organisationstheoretischen Annahmen zu responsiven Akten der Schulleitenden veranschaulicht und formulierte Hypothesen modifiziert bzw. partiell überprüft werden. Damit diese beiden Aufgaben umgesetzt werden können, erfolgt zunächst eine Kontextdarstellung der Erhebung sowie in weiterer Folge eine Beschreibung der methodischen Vorgehensweise.

4.1.1 Gütekriterien qualitativer Forschung

Die Frage nach Gütekriterien der qualitativen Forschung ist keine leicht zu beantwortende, da die Heterogenität dessen, was unter qualitativer Forschung subsumiert wird, groß ist. Strübing (2018) schlägt folgende fünf Qualitätskriterien vor:

  • Gegenstandsangemessenheit

  • Empirische Sättigung

  • Theoretische Durchdringung

  • Textuelle Performanz

  • Originalität

Für Strübing meint Gegenstandsangemessenheit „nicht nur eine Passung der Methode auf den zu untersuchenden Gegenstand, sondern eine Abgestimmtheit von Theorie, Fragestellung, empirischem Fall, Methode und Datentypen […]“ (S. 86) zu gewährleisten. Er erörtert in Bezug auf das Gütekriterium „Gegenstandsangemessenheit“ auch jenen zentralen Aspekt der Offenheit qualitativer Forschungsvorhaben.

„‚Offenheit‘ bedeutet, dass man ein empirisches Phänomen nicht einfach mit soziologischen Fragestellungen konfrontiert, sondern dass man von seiner Exploration das Auftauchen jener Fragen erwartet, mit denen es sich von innen erschließen lässt.“ (ebd. S. 86)

Zu Offenheit findet man in der Literatur unterschiedliche Haltungen. Glaser und Strauss weisen in ihren frühen Arbeiten darauf hin, dass möglichst keine theoretischen Arbeiten im Vorfeld qualitativer Studien, die mit Hilfe der „Grounded Theory“ ausgewertet werden, gelesen werden sollen (vgl. Meinefeld 2015, S. 268). So würde man dem Anspruch der maximalen Offenheit gegenüber dem Datenmaterial gerecht. Dieser Zugang wurde von den Autoren später revidiert. Eine moderatere Position unterstützt die Formulierung von „Ex-ante-Hypothesen“. Diese Befürworter/-innen argumentieren, es gebe

„[...] in der Tradition qualitativer Forschung genügend Beispiele dafür, daß es möglich ist, theoretische Annahmen zu überprüfen, widersprechende Fälle zur Kenntnis zu nehmen und die eigenen Annahamen zu verändern. Nichts spricht deshalb dafür, die Unabhängigkeit des eigenen Urteils vorschnell zu pessimistisch einzuschätzen und sich damit auch viele Erkenntnismöglichkeiten zu zerstören, die mit einer theoriegeleiteten vom erreichten Forschungsstand ausgehenden empirischen Forschung verbunden ist. (Hopf 1996, S. 159)

Für die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen spricht laut Hopf (1996), dass „Aufgaben der Deskription mit […] mehr Genauigkeit, Umsicht und Selbstreflexion“ (S. 164) erfolgen können und auch durch qualitative Methoden die Möglichkeit eingeräumt wird, bereits bestehende Theorien weiter zu elaborieren. Ein Verzicht auf Ex-ante-Hypothesen, so Meinefeld (2015, S. 274), führe zu einer Engführung der qualitativen Forschung.

Auf diese Argumentation stützt sich auch die vorliegende Qualifikationsarbeit, indem die aus der theoretischen Auseinandersetzung entstandenen Thesen als Ausgangspunkt für die qualitative Studie gewählt werden. Die Arbeit versteht sich daher als explorativ angelegte Studie, die nach Lamnek und Kell (2016, S. 98) vor allem die zweite (2) und dritte (3) Funktion einer explorativen Studie adressiert:

  1. (1)

    Formulierung von Hypothesen und Theorien,

  2. (2)

    Modifizierung von Hypothesen und Theorien und

  3. (3)

    partielle Prüfung von Hypothesen und Theorien.

Entscheidend ist in diesem Zusammengang, wie die Forschungsfragen formuliert werden (vgl. Maxwell 2005). Dies wird im folgenden Unterkapitel (4.1.3) nachvollziehbar erläutert.

Als weiteren Punkt führt Strübing (2018) die „Empirische Sättigung“ als Gütekriterium von qualitativer Forschung an. Diese wird durch: „(1) die Erschließung des Feldes und den Rapport zum Feld, (2) durch die Breite und die Vielfalt des Datenkorpus und (3) durch die Intensität der Gewinnung und Analyse der Daten.“ (S. 88) hergestellt. In Rekurs auf die vorliegende Arbeit kann gesagt werden, dass der Zugang zum Forschungsfeld durch das Forschungsprojekt „Modellregion Bildung Zillertal“ erfolgte. Im Zuge des Projektes bestand bereits eine Bekanntheit mit den interviewten SLFootnote 1der Modellregion. Der Erhebungszeitraum lag in den Schuljahren 2016/17 und 2017/18. Zu diesem Zeitpunkt lief das Projekt bereits zwei bzw. drei Jahre. Grundsätzlich gestaltete sich die Beziehung zwischen der Forschenden und den SL als responsiv (vgl. Althans & Junge 2017). Damit ist gemeint, dass die SL und die zu beforschenden Akteure in den Schulen als Subjekte und nicht als passiv zu beforschende Objekte wahrgenommen werden. Das Forschungssetting in der Modellregion wurde so angelegt, dass erhobene Daten an die Schulen zurückgespielt wurden, um so Schulentwicklungsprozesse anzuregen und Daten als Grundlage gemeinsamer Aushandlungsprozesse auf Ebene des Kollegiums bzw. der Schulentwicklungsteams an den Schulstandorten zu ermöglichen (Demski 2017). Etwas anders verhält es sich mit den vier SL, die zu einer Kontrastierung der Fälle in der Modellregion nachträglich interviewt wurden. Die Zusammenarbeit mit jenen SL erfolgte punktuell, z. B. während gemeinsamer Konferenzen mit allen SL auf Bezirksebene oder im Rahmen von regionalen Vernetzungsinitiativen der Modellregion. Da außer den SL-Interviews keine vertieften Daten an den Schulstandorten erhoben wurden, fiel das Rückspielen der Daten im Verhältnis weniger umfassend aus. Neben der kommunikativen Validierung von Daten, wurden die Daten auch in Bezug zur dargelegten theoretischen Aufarbeitung diskutiert.

Prinzipiell waren alle Gesprächspartner/-innen in den Interviewstudien offen und bereit, Einblicke in ihre Schulleitungstätigkeiten zu gewähren. Eine solche Bereitschaft wirkt sich direkt auf die Qualität der Interviews aus (vgl. Baur & Blasius, 2014, S. 50)

Hinsichtlich der Breite des Datenkorpus schreibt Strübing (2018):

„Für die empirische Sättigung sind der Umfang und die Zusammensetzung des Datenkorpus relevant. Sowohl die Dauer des Feldaufenthalts und die schiere Menge der Protokolle, die Zahl und Streuung von Interviewpartnern, die Länge und die Anzahl von Aufzeichnungen, Dokumenten oder Bildern spielen für die Datenintensität einer Studie eine Rolle.“ (S. 89)

Dieses Gütekriterium wird in der vorliegenden Arbeit vor allem durch eine Pluralität an abweichenden Fällen (deviant cases) hergestellt (vgl. ebd.). Dies wird noch einmal gesondert diskutiert, wenn auf die Auswahl der SL für die Interviewstudie eingegangen wird. Das iterative Vorgehen in der Analyse der Daten befördert darüber hinaus die empirische Sättigung dieser Arbeit.

Die „theoretische Durchdringung“, das dritte von Strübing (2018) genannte Qualitätskriterium, wurde bereits im Zusammenhang mit dem Aspekt der „Offenheit“ und dem ersten Kriterium (Gegenstandsangemessenheit) diskutiert. Die vorliegende Arbeit wird diesem Qualitätskriterium gerecht, indem sie „durch theoretische Perspektivierung […], die Anschlussfähigkeit an andere Studien schaff[t] […].“ (S. 91).

Das Gütekriterium „Textuelle Performanz“ zielt vor allem darauf ab, wie die Forschenden ihre Ergebnisse und Daten aufbereiten, um sie unterschiedlichen Adressaten zugänglich zu machen. Da die vorliegende Arbeit im Rahmen eines größer angelegten Forschungsprojektes entstanden ist, wird immer wieder reflektiert, wie Daten so zurückgespielt werden können, dass SL und Schulentwicklungsteams diese für eigene Entwicklungsprozesse verwenden können. Gerade die Auswertung und Darstellung qualitativer Daten muss nach den Maßstäben der Verständlichkeit und Plausibilität erfolgen, um für den / die Lesenden eine Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten (vgl. ebd. S. 94). Steinke (2015, S. 325 f.) spricht in diesem Zusammenhang von „intersubjektiver Nachvollziehbarkeit“, bei der zunächst das Vorverständnis dargelegt, Erhebungsmethode und Erhebungskontext transparent dargestellt sowie Aufarbeitung und Auswertung der Daten nachvollziehbar erläutert werden sollen.

Das letzte Gütekriterium, das von Strübinger (2018) genannt wird, ist jenes der „Originalität“. Durch die ausführliche theoretische Darlegung des zu untersuchenden Gegenstands konnten Forschungsdesiderata aufgezeigt werden, deren empirische Untersuchung teilweise in dieser Arbeit in Form eines explorativen Ansatzes erfolgt. Dadurch ergibt sich die Originalität dieser Arbeit.

4.1.2 Forschungsprojekt Modellregion Bildung Zillertal

Die Daten, die dieser Arbeit zu Grunde liegen, stammen aus dem Projekt Modellregion Bildung ZillertalFootnote 2. Dieses Projekt wurde 2013 von der Tiroler Landesregierung in Auftrag gegeben, um die Beforschung einer Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen innerhalb einer Modellregion durchzuführen. Mit September 2014 wurde die Universität Innsbruck, konkret das Institut für LehrerInnenbildung und Schulforschung, mit der wissenschaftlichen Begleitung dieses Modellprojektes beauftragt. Das Projekt wird von einer Steuergruppe koordiniert, die sich aus Vertreter/-innen der Schulaufsicht (Landesschulrat für Tirol/seit 2019 Bildungsdirektion), bildungspolitischen Verantwortungsträgern des Bundeslandes (Bildungsabteilung Tirol) sowie Verantwortlichen des wissenschaftlichen Konsortiums (Universität Innsbruck) und Verantwortlichen des pädagogisch-praktischen Bereichs (Koordinator für Fort- und Weiterbildung) zusammensetzt. Die Projektlaufzeit für die erste Phase wurde zunächst auf vier Jahre (Schuljahre 2014/15, 2015/16, 2016/17, 2017/18) angelegt und dann um ein weiteres halbes Jahr verlängert. Mit Januar 2019 startete die zweite Phase des Projektes, bei der wiederum eine wissenschaftliche Begleitung (ebenfalls Universität Innsbruck) bis einschließlich 2022 mitgeplant wurde.

Neben der Beforschung der Gelingensbedingungen einer Gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen umfasste der Forschungsauftrag die wissenschaftliche Begleitung der Schulentwicklungsprozesse an den sieben Neuen Mittelschulen der Modellregion sowie Bildungsentwicklungsprozesse in der Region. Darüber hinaus wurde die wissenschaftliche Begleitung beauftragt, die Fort- und Weiterbildungsinitiative, die für alle Lehrenden an den sieben teilnehmenden Schulen verpflichtend eingerichtet wurde, zu evaluieren. Die Modellregion umfasst insgesamt sieben Sekundarstufe-1-Schulen, die zum Zeitpunkt der Begleitforschung alle in der Transformationsphase zur Neuen Mittelschule standen. Wie dem theoretischen Teil dieser Arbeit entnommen werden kann, fand in den letzten zehn Jahren eine umfassende Reformierung des Schultyps „Hauptschule“ in Österreich statt. Die Transformation der Schulen vollzog sich in Generationen. Damit ist gemeint, dass in insgesamt acht Generationen alle knapp 1200 Hauptschulen in Österreich auf ihrem Entwicklungsweg zu Neuen Mittelschulen begleitet wurden. Mit der Reform zur Neuen Mittelschule gingen neue pädagogische Konzepte einher, wie die Aufhebung von Leistungsgruppen oder die Einführung einer neuen Teacher-Leader-Rolle (Lerndesigner/-in). Die sieben Schulen der Modellregion haben in den Generationen 3, 4 bzw. 6 mit der Umsetzung der Reform begonnen. Wie im Eingang der Arbeit bereits vermerkt, ließen erste Vorstudien (Porträtieren der Schulen), die nicht zum Datenkorpus dieser Arbeit zählen, vermuten, dass die Neue-Mittelschulreform an den Standorten in der Modellregion unterschiedlich umgesetzt wurde.

Insgesamt unterrichteten im Schuljahr 2018/2019 184 Lehrer/-innen an den sieben Neuen MittelschulenFootnote 3. Alle Neuen Mittelschulen in der Modellregion kamen zusammen auf eine Zahl von insgesamt 1357 Schüler/-innen. Dabei unterscheiden sich die Standorte jedoch mitunter deutlich in ihren Schüler/-innenzahlen. Der kleinste Schulstandort hatte 68 Schüler/-innen, während den größte Schulstandort 271 Schüler/-innen besuchten.

Die Modellregion Bildung Zillertal lag zum Zeitpunkt der Erhebungen in einem größeren Bildungsbezirk, zu dem insgesamt vierzehn Neue Mittelschulen zählen. Zum Sampling der vorliegenden Arbeit wurden neben den sieben Neuen Mittelschulen des Tales noch vier weitere Neue Mittelschulen aus dem Bildungsbezirk hinzugezogen.

4.1.3 Sampling: Schulleitende einer ländlichen Region

Bei der Auswahl der Stichprobe für die vorliegende Arbeit wurde zum einen die vor der Untersuchung angenommene Arbeitshypothese berücksichtigt, dass Schulleiter/-innen, deren Schulen in einem homogenen soziodemographischen Umfeld angesiedelt sind, Schulentwicklungsprozesse ähnlich gestalten, da viele ihrer Anspruchsgruppen gleich oder ähnlich sind. Als Kontrastierung dazu wurde eine SL-Gruppe, deren Schulen in einem anderen soziodemographischen Umfeld liegen, ausgewählt. Somit wurden alle sieben SL der Modellregion in das Sample aufgenommen und durch vier SL aus dem Bezirk ergänzt.

Die Entscheidung, die Kontrastgruppe ebenfalls aus dem Bezirk zu wählen, wurde aus dem Grund gefällt, dass alle Schulen über dieselbe/denselben Schulaufsichtsverantwortliche/-n verfügten und somit eine Konstante im institutionellen Umfeld der SL gesetzt war. Neben der/dem Schulaufsichtsverantwortlichen wurden alle Schulen auch von der gleichen regionalen Neue.Mittelschul-Begleitung in ihrem Transformationsprozess begleitet. Alle Schulstandorte besuchten zudem die bundesweiten Veranstaltungen des Zentrums für lernende Schulen.

Während die SL der Modellregion nach der Primarstufe einen nahezu hundertprozentigen Übertritt aller Schüler/-innen in ihre Schulen haben, schwankt die Übertrittsquote bei den Schulen, die im unmittelbaren Einzugsgebiet einer gymnasialen Unterstufe liegen, zwischen 60 und 80 Prozent.

Die soziodemographische Beschreibung der Sprengelgemeinden der sieben Schulen in der Modellregion zeichnet sich durch einen geringen Anteil an Akademiker/-innen (die Akademikerquote der Gemeinden liegt zwischen 1,2 % und 8,7 %Footnote 4) sowie einen Anteil von mindestens 83 % österreichischer Staatsbürger/-innen aus. Für die Gemeinden der vier Schulstandorte außerhalb der Modellregion variieren diese Angaben: Die Akademikerquote liegt zwischen 6,8 % und 14,1 %), er Anteil österreichischer Staatsbürger/-innen beträgt mindesten 80,6 % – hier ist allerdings festzuhalten, dass die soziodemographische Zusammensetzung der Schüler/-innen an den Schulstandorten abweichen kann. Beide Gruppen können als ländliche Schulstandorte bezeichnet werden, wobei die vier Schulen der Kontrastgruppe in urbanisierten Gemeinden lokalisiert sind.

Neben den genannten Kriterien bedingte außerdem die Zugänglichkeit zu diesen Schulen die Stichprobenauswahl. Demnach ist das Stichprobendesign ein Convenience Sample (Akremi 2019, S. 320).

Im Detail weist die Stichprobe zudem eine Heterogenität in Bezug auf das Geschlecht der SL, das Dienstalter und die Leitungserfahrung sowie die Größe der Schule auf. Wie bereits beschrieben, lassen sich die Schulen den Generationen 3, 4 und 6 der Neue Mittelschul-Entwicklungsbegleitung zuordnen.

Tabelle 4.1 Übersicht der untersuchten Schulen und SL (eigene Darstellung)

Die vorliegende Arbeit erhebt durch ihr Untersuchungsdesign keinen Anspruch auf Repräsentativität, sondern verfolgt durch die Stichprobenauswahl das Ziel der Angemessenheit für die theoretische Fragestellung.

4.1.4 Qualitative Interviewstudien und inhaltsanalytisches Auswertungsverfahren

Als Methode wurde für diese Arbeit das episodische Interview gewählt. Zurückgehend auf Flick (2011) besteht dieses aus zwei Teilen, einer argumentativ-theoretischen und einer erzählenden Darstellung. Damit können zwei unterschiedliche Formen des Wissens bei den Interviewten abgefragt werden. Zum einen jenes Wissen, „das aus unmittelbarer Erfahrungsnähe hervorgegangen ist und einen Erinnerungsfundus an konkreten Begebenheiten“ (Lamnek & Krell 2016, S. 343) beinhaltet und zum anderen ein „abgeleitete[s] Wissen, d. h. Generalisierungen, Abstraktionen und die Setzung bestimmter Zusammenhänge durch das Subjekt, […]“ (ebd.). Flick unterscheidet in diesem Sinn zwischen semantisch-begrifflichem Wissen und episodisch-narrativem Wissen.

Insbesondere für die Untersuchung von professionellem Handeln stellt diese Interviewform eine geeignete Methode dar, da durch die interne Methodentriangulation zweier Zugänge sowohl konkrete Fragen gestellt als auch durch die Erzählaufforderungen bestimmte Erfahrungen der Befragten miteinbezogen werden können (vgl. Flick 2011, S. 273). Gerade für jene Fragen, die sich aus der theoretischen Auseinandersetzung mit institutionellen Umwelten und Schulleitungshandeln ergeben haben, sind direkte Fragen oft wenig zielführend und Erzählungen bzw. Einblicke in die alltägliche Praxis eine bessere Grundlage zur Beantwortung der Forschungsfragen.

In Abbildung 4.1. exemplifiziert Flick den Ablauf, indem er auf Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Sozialen Arbeit eingeht. Hierbei wird zunächst ein einschlägiger Begriff, z. B. Gesundheit, aus Sicht der interviewten Gesprächspartner/-innen beschrieben, bevor es im Interviewprozedere anhand konkreter Fragen, ebenfalls das übergeordnete Thema betreffend, zu Erzählaufforderungen kommt. Die Erzählpassagen können sich somit sowohl auf die konkreten Fragestellungen als auch aufeinander beziehen.

Abbildung 4.1
figure 1

Aufbau und Struktur des Episodischen Interviews (nach Flick 2011)

Um das Schulleitungshandeln sowie die Schulentwicklungsvorhaben an den Standorten möglichst in ihrer Breite abbilden zu können, wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, der neben Fragestellungen, die aus der Theorie abgeleitet werden konnten, Erzählimpulse, die an die sechs Qualitätsbereiche der Qualitätsoffensive „SQA (Schulqualität Allgemeinbildung)“ des österreichischen Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) angelehnt waren, lieferte. Die Allgemeinbildenden Pflichtschulen (APS) und Allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) in Österreich sind angehalten, sich im Zuge von Entwicklungsvorhaben an diesen Kriterien zu orientieren. Dementsprechend bieten diese Qualitätskriterien einen Orientierungsrahmen für Schulentwicklung an Allgemeinbildenden Pflichtschulen und höheren Schulen. Gleichzeitig sind die bildungspolitischen Reformvorhaben im Zuge der Neuen-Mittelschulreform in genau diesen Bereichen angesiedelt.

Die QualitätsbereicheFootnote 10 wurden für die Arbeit in der Modellegion adaptiert und umfassen auch für die vorliegende Untersuchung folgende Dimensionen:

  1. Q 1)

    Lehren und Lernen

  2. Q 2)

    Professionalisierung und Personalentwicklung

  3. Q 3)

    Kommunikation und Zusammenarbeit

  4. Q 4)

    Lebensraum Schule und Klasse

  5. Q 5)

    Leistung, Kompetenz und Umgang mit Evidenzen

Um zusätzlich den Aspekt „Veränderung“ in die Interviewstudie aufzunehmen, wurde die Originaldimension „Q 6) Umgang mit Neuem“ ergänzt. Die Qualitätsdimension „Schulführung und Schulmanagement“ wurde nicht explizit berücksichtigt, da sie sich in der Adressierung der SL ohnehin abbildete (Abbildung 4.2).

Abbildung 4.2
figure 2

Adaption des episodischen Interviews für die qualitative Studie (nach Flick 2011, erweitert durch L. J.-R.)

Wiederkehrende Fragestellungen, wie

  • Wer sind die relevanten Akteure in diesem Bereich?

  • Welche Erwartungshaltungen haben diese Akteure?

  • Wie wird Ihrerseits/deinerseits auf diese Ansprüche geantwortet?

wurden vertiefend im episodisch-narrativen Teil von der Interviewerin abgefragt. Mit Hilfe dieses Designs konnten die Schulentwicklungsprozesse und das Antwortverhalten der SL gegenüber Ansprüchen der institutionellen Umwelt umfangreich abgedeckt werden.

Flick (2011, S. 279) macht in Zusammenhang mit diesem Interviewformat auch darauf aufmerksam, dass sich die Erzählpassagen in unterschiedliche Textsorten untergliedern können. Es handelt sich nicht immer um reine Erzählformen, sondern mitunter werden auch „Repisoden“ (regelmäßig wiederkehrende Episoden) oder Beispielsituationen geschildert, an denen die Interviewten nicht selbst beteiligt waren. Darauf gilt es, insbesondere in der Auswertung, zu achten.

Laut Flick (2011, S. 279) sind für das episodische Interview unterschiedliche Auswertungsformen möglich. Zwar würde sich für den narrativen Teil des Interviews und für Teile der Fragestellungen dieser Arbeit eine dokumentarisch-rekonstruktive Methode anbieten, da die vorliegende Qualifizierungsarbeit jedoch nicht im Rahmen einer größeren Forschungsgruppe entstanden ist (was unabdingbar für die Qualität einer solchen Methode wäre), wurden die Interviews nach einem inhaltsanalytischen Verfahren ausgewertet.

„Im Zentrum der Analyse steht das Kategoriensystem. Kategorien stellen die Auswertungsaspekte in Kurzform dar, haben formal Ähnlichkeit mit den Codes in der Grounded-Theory-Methodologie. Die Kategorien müssen jedoch in der Inhaltsanalyse genau definiert und mit inhaltsanalytischen Regeln muss die Zuordnung zum Text festgelegt werden [...].“ (Mayring 2010, S. 603)

Die genaue Definition der Kategorien erfolgt theoriegeleitet und wird vor der Auswertung festgelegt (deduktiv). Sowohl die Erstellung der Kategorien als auch deren Anwendung sind interpretativ. Da sich die qualitative Inhaltsanalyse in ihren Anfängen aus einer quantitativen Methode heraus entwickelt hat (vgl. Mayring 2010, S. 601), folgen auch die heutigen Variationen noch systematischen und regelgeleiteten Vorgangsweisen, die sich unter anderem an Gütekriterien orientieren, die vor allem für quantitative Forschung herangezogen werden: Validität und Reliabilität. Während die Validität dadurch gewährleistet wird, dass das Kategoriensystem die wesentlichen Aspekte des Materials umfasst, entspricht das inhaltsanalytische Vorgehen dem Gütekriterium Reliabilität, indem ein „intersubjektiv-konsensuales Textverständnis angestrebt wird.“ (Schreier 2014, S. 3) Die Beschreibung dieser beiden Gütekriterien findet sich in den bereits ausführlich dargestellten Gütekriterien der qualitativen Forschung wieder.

Mayring betont überdies, dass es sich bei dem inhaltsanalytischen Verfahren um ein zirkuläres Verfahren handelt. Damit meint er, dass während der Auswertung immer wieder Rückkopplungsschleifen eingebaut werden, die auch helfen können, das Kategoriensystem zu verfeinern. Die Erweiterung der Kategorien erfolgt während des Auswertungsprozesses (induktiv) und somit aus dem Material heraus. Andere Forscher/-innen wie etwa Schreier (2012) und Kuckartz (2012) sprechen sich dezidiert für eine Weiterentwicklung am Material aus. Laudel und Gläser (2009) halten „grundsätzlich […] eine gemischt deduktiv-induktive Vorgehensweise“ für zielführend (Schreier 2014, S. 2.) Diese Varianz der Inhaltsanalyse wird wiederum dem zentralen Anspruch von qualitativer Forschung, nämlich der Offenheit, gerecht.

Bedingt durch die Weiterentwicklung der Analysemethode erfolgte in den vergangenen Jahren eine weitere Ausdifferenzierung unterschiedlicher Herangehensweisen. Schreier (2014, S. 4 ff.) benennt in ihrem wegweisenden Artikel folgende Varianten:

  • Inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse

  • Evaluative qualitative Inhaltsanalyse

  • Formale qualitative Inhaltsanalyse

  • Zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse

  • Typenbildende qualitative Inhaltsanalyse

  • Explikative qualitative Inhaltsanalyse

  • Summative qualitative Inhaltsanalyse

  • Qualitative Inhaltsanalyse mittels Extraktion

Für die vorliegende Arbeit wird insbesondere die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse herangezogen. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie darauf abzielt, „inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben“ (Schreier 2014, S. 5). In der vorliegenden Arbeit wurden theoriegeleitete Oberkategorien aus den theoretischen Teilen der Arbeit gebildet und Unterkategorien in den meisten Fällen aus dem Material entwickelt. Damit folgt die Arbeit einer von Schreier (2012) und Kuckartz (2012) empfohlenen Vorgangsweise.

Die kategoriengeleitete Auswertung wird überdies durch eine kontrastive fallbezogene Analyse vertieft. Bei diesem vergleichenden Analyseverfahren geht es weniger darum, den Fall in „seiner Komplexität und Ganzheit“ zu betrachten (Flick 2007, S. 254), sondern möglichst deutliche Unterschiede zwischen den Einzelfällen herauszuarbeiten. Die besondere Herausforderung liegt dabei in der Auswahl der Fälle. Diese sollten so gewählt werden, dass einerseits die Vergleichbarkeit beibehalten und andererseits die Kontrastierung in einem höchstmöglichen Maß gewährleistet wird (vgl. George & Bennett, 2005). Während sich durch das Befragungsdesign und die vergleichbaren Rahmenbedingungen der SL eine hohe Komparation ergibt, führen die Antworten der Befragten zur nötigen Kontrastierung.

Die Analyseform der kontrastierenden Fallanalyse (most-different cross-case research) wird außerdem als eine geeignete und verbreitete Methode zur Beforschung von Schulleiter/-innenhandeln genannt (Khan & van Wynsberghe 2008, S. 7).

Während der erste Analyseschritt, die rein kategorienbasierte Auswertung, sich vor allem auf die Beschreibung der institutionellen Umwelten sowie die unterschiedlichen Facetten von Sensing- und Legitimierungsstrategien beschränkt, fokussiert die erweiterte kontrastive Fallanalyse auf die Argumentationsmuster, die in der beschreibenden Wahrnehmung der institutionellen Umwelt sowie der Darstellung der Agentenschaft und des Leitungsverständnisses angeführt wurden. Das Herausarbeiten unterschiedlicher Muster (vgl. Yin 2009, S. 269) bzw. Spannungsfelder stellt dabei das zentrale Moment dieses Analyseverfahrens dar. Beiden Analysen liegt ein kategoriengeleitetes Verfahren zugrunde. Der Begriff „Kategorie“ wird dabei im Verständnis von Kelle und Kluge (2016) verwendet:

„Kategorie ist demnach jeder Begriff, der zu einer Klassifizierung von beliebigen Objekten dienen kann, im qualitativen Forschungsprozess also jeder Begriff, der zur Kennzeichnung und Unterscheidung von Phänomenen jeglicher Art [...] und damit zur Erschließung, Beschreibung und Erklärung der Daten genutzt werden kann.“ (S, 60)

Die Interviews, die im Rahmen dieser Arbeit geführt wurden, beliefen sich auf eine Dauer von mindestens einer Stunde zwanzig Minuten bis längstens zwei Stunden dreißig Minuten. Alle Interviews wurden autographiert und für die Auswertung transkribiert. Die Aufnahmen wurden wortgetreu transkribiert, auf Notationssysteme wurde jedoch verzichtet, da für die Datenauswertung ausschließlich die Inhalte der Interviews von Bedeutung sind (vgl. Fuß und Karbach 2014). Die zum Teil dialektal gefärbten Antworten wurden in Standardsprache übertragen (u. a. Satzbau und Grammatik).

Die Analyseeinheiten für die kategorienbasierte Auswertung wurden wie folgt zugewiesen: Als Kodiereinheit wurde ein Satz festgelegt, als Kontexteinheit werden jene Absätze bezeichnet, die sich eindeutig auf einen Frage- oder Erzählimpuls beziehen. und die Auswertungseinheit erfolgt sequenziell, entsprechend des Textverlaufs. Als Fall wird in dieser Arbeit die/der Schulleiter/-in als Einzelperson festgelegt.

Die Auswertung der vorliegenden Daten erfolgte zum Teil mit Unterstützung der Auswertungssoftware MAXQDA (vgl. Rädiker & Kuckartz 2019), ansonsten manuell.

4.1.5 Operationalisierung eines Modells zu responsivem Schulleitungshandeln

Um im Folgenden die empirischen Daten vor dem Hintergrund des Ansatzes des responsiven Schulleitungshandelns auswerten zu können, bedarf es eines Modells, das die Operationalisierung des Schulleitungshandelns ermöglicht. Als Grundlage hierfür dient das in Kapitel 3 vorgestellte Modell von Gärtner et al. (2017). Nachdem das Respondieren als Erweiterung des innerhalb der neo-institutionalistischen Theorien im Vordergrund stehenden Umwelt-Organisations-Verhältnisses zu lesen ist, schlagen sich in der Operationalisierung ebenfalls die in Kapitel 2 und 3 diskutierten theoretischen Zugänge nieder.

Das von Gärner et al. (2017) entwickelte Modell des Respondierens umfasst ursprünglich die Phasen „sensing“, „responding“, „influencing“ und „responsibility“. Für die vorliegende Untersuchung wird das Modell dahingehend weiterentwickelt, als dem „Wahrnehmen“ die Phase des „Antwortens“ nachsteht. Dieser folgt die Phase der „Verantwortungsübernahme“ und mündet letztlich in der Phase des „Legitimierens“. Damit wird das Modell, das aus der strategischen Unternehmensführung stammt, um den Aspekt der Legitimierung erweitert, wohingegen die Phase der Beeinflussung mit der Phase des Antwortens zusammengezogen wird. Durch bestimmtes Antworten wird auf etwas als etwas geantwortet. Der Umstand, dass die Phase des Legitimierens als letzte Phase definiert wird, liegt den theoretischen Annahmen aus Kapitel 2 (vgl. ebd. bzw. erweitertes Modell Travel of Ideas Abbildung 3.2). Der Prozess der Legitimierung schließt den Institutionalisierungsprozess so weit ab, als dass im Anschluss daran nur noch Sedimentierungsprozesse innerhalb der Organisation folgen.

Durch diese Weiterentwicklung des Konzepts nach Gärtner et al. (2017) ergibt sich ein Modell (vgl. Abbildung 4.3), das grundlegend für die Überprüfung der vorliegenden empirischen Daten herangezogen wird.

Abbildung 4.3
figure 3

Weiterentwickeltes Modell der Responsivität (nach Gärtner et al. 2017)

Während in weiterer Folge zunächst die Grobstruktur der Auswertung skizziert wird, erfolgt in den Einzeldarstellungen der Bereiche noch einmal eine feinkörnigere Erläuterung – wiederum unter Bezugnahme auf die theoretischen Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3.

Die einzelnen Phasen werden im Zuge der Operationalisierung dimensioniert. So entstehen pro Phase Dimensionen, die sich wiederum in Teildimensionen unterteilen lassen. Diese Dimensionen und TeildimensionenFootnote 11 bilden das Kategorienschema für die Auswertung.

Begonnen wird mit den Befunden zur Phase „Wahrnehmen“ (1). Dabei ergeben sich aus den theoretischen Herleitungen in den Kapiteln 2 und 3 drei Unterpunkte für diesen Bereich:

  1. 1.1

    Strategien zur Wahrnehmung

    Frage 1.1::

    Wie spüren die Leitenden hin? (Sensing)

  2. 1.2

    Beschreibung Umwelt-Organisations-Verständnis

    Frage 1.2::

    Wie nehmen die Leitenden ihre institutionelle Umwelt wahr?

  3. 1.3

    Anspruchsgruppen und deren Beschreibungen

    Frage 1.3 a::

    Wer sind für die Leitenden relevante Anspruchsgruppen?

    Frage 1.3 b::

    Wie werden diese Anspruchsgruppen beschrieben?

    Frage 1.3 c::

    Ist jede genannte Gruppe eine Anspruchsgruppe?

Phase zwei von Responsivität beschreibt das Antwortverhalten (2) der Leitenden. Da sich das Antwortverhalten der Schulleitenden nicht unabhängig von deren Kontexten und Zugängen beschreiben lässt, fokussiert dieser Teil der Auswertung auf

  1. 2.1.

    den Umgang mit Veränderung

    Frage 2.1::

    Wie beschreiben die Leitenden Veränderungsprozesse an ihrem Standort?

  2. 2.2

    Mechanismen der Weitergabe: Carrier

    Frage 2.2::

    Mittels welchen Carrier werden Erwartungshaltungen seitens der Schulleitenden an die Kollegien weitergegeben?

  3. 2.3

    die Verständnisse von Schulleitung

    Frage 2.3::

    Welche Führungsverständnisse zeigen sich in den Interviews?

Mit diesem Schritt sollen Antwortprozesse nachvollziehbar gemacht werden. Es wird dabei davon ausgegangen, dass, je nachdem, welches Führungsverständnis vorherrscht bzw. wie auf Veränderung reagiert wird, sich entsprechende Handlungen ableiten.

Die dritte Phase beschreibt die Verantwortungsübernahme (3) der Schulleitenden. Dieser Aspekt ist eng mit der Agency und Akteursschaft verbunden, die die Leitenden übernehmen. Darüber hinaus soll noch gesondert analysiert werden, wofür eigentlich Verantwortung übernommen wird, sprich, welche Bereiche die Leitenden überhaupt als Verantwortungsbereiche für sich abstecken. Für die Auswertung der Daten ergeben sich zwei Leitaspekte:

  1. 3.1

    Ziele und Absichten der Verantwortungsübernahme

    Frage 3.1::

    Wofür übernehmen die Leitenden im Kontext von Entwicklungsprozessen und Reformumsetzung Verantwortung?

  2. 3.2.

    Darstellung von Agency

    Frage 3.2.::

    Wie zeigt sich Agency bei den Leitenden?

In der letzten Phase des Respondierens erfolgt das Legitimieren (4). Dabei unterteilt sich dieser Teil des Modells in zwei Aspekte – zum einen werden allgemein Strategien zur Legitimierung aus den Interviews herausgearbeitet, zum anderen wird der Prozess des Legitimierens noch einmal wie in Abschnitt 2.3 erörtert im Zusammenhang mit den sozialen Akteuren, die der Organisation Legitimität zusprechen, dargestellt.

  1. 4.1

    Strategien zur Legitimierung

    Frage 4.1::

    Wie beschreiben die Schulleitenden in den Interviews Momente, in denen sie Legitimierung für ihr (Entwicklungs-)handeln erfahren?

  2. 4.2

    Legitimierung im Zusammenhang mit Anspruchsgruppen

    Frage 4.2.::

    Wie hängen die genannten Legitimierungsstrategien mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen der schulischen Umwelten zusammen?

Die Ergebnisdarstellung folgt der dargestellten Logik in Abbildung 4.4.

Abbildung 4.4
figure 4

Operationalisierung der Responsivitäts-Phasen (eigene Darstellung)

Für die Auswertung der elf Interviews mit den Schulleitenden erfolgte eine Orientierung an den Hypothesen, die im Zuge der theoretischen Auseinandersetzung mit neo-institutionalistischen Theorien und responsivem Leitungshandeln in Kapitel 2 und 3 formuliert wurden. Die sich daraus abgeleiteten Hypothesen bewegen sich entlang unterschiedlicher Verbindungslinien zwischen institutioneller Umwelt, organisationalem Feld der Einzelschule sowie den Schulleitenden als organisationalen Akteuren auf Microebene (vgl. Abbildung 4.5). Die Pfeile in der Abbildung symbolisieren dabei jeweils die „Blickrichtung“.

Auf Grundlage der theoretischen Auseinandersetzung wurde ferner ein Codierleitfaden (vgl. Anhang (2)) entwickelt, mittels dessen die Daten strukturiert wurden. Dabei wurden die Rohdaten zunächst grob zusammengefasst, um in weiterer Folge eine feinkörnigere Kategorisierung in sich zum Teil induktiv ergebende Subkategorien vornehmen zu können.

Abbildung 4.5
figure 5

Verortung der Hypothesen im Zwischenspiel zwischen institutioneller Umwelt und schulischem organisationalem Akteur (Schulleiter/-in) (eigene Darstellung)

Damit die Untersuchung von Responsivem Schulleitungshandeln möglich ist, bedarf es allerdings einer Erweiterung der theoretischen Annahmen durch ein empirisches Modell. Dabei ist besonders darauf zu achten, dass diese Erweiterung nicht in Eklektizismus übergeht. Mauerer und Schmid verweisen ebenfalls auf diesen Umstand:

„In vielen Fällen führt die Anerkennung der Tatsache, dass die bislang verwendete Theorie offenbar nicht ausreicht, um bestimmte Handlungen zu erklären, zu der Gefahr, sie etwa rein additiv und intuitiv, um einzelne Zusatzfaktoren zu erweitern und damit die Menge der erklärungswichtigen Faktoren zu erhöhen.“ (2010, S.121 f.)

Dieser Herausforderung Rechnung tragend wurde anhand der zugrundeliegenden theoretischen Annahmen das bereits von Gärtner et al. (2017) entwickelte Modell erweitert und entsprechend neo-institutionalistischer Zugänge operationalisiert. Eine detaillierte Beschreibung der Operationalisierung folgt im anschließenden Unterkapitel.

4.2 Ergebnisse der empirischen Studie

Im Folgenden werden die Ergebnisse der qualitativen Auswertung präsentiert. Dabei werden die Phasen (wahrnehmen, antworten, verantworten, legitimieren) des Respondierens nacheinander in ihren unterschiedlichen Dimensionen dargestellt.

4.2.1 Beschreibung Umwelt-Organisations-Verhältnis (Dimension „wahrnehmen“)

Die wahrgenommen Umwelt-Organisations-Verhältnisse ergaben sich aus jenen Interviewsequenzen, in denen Akteursgruppen in der Beschreibung einer der sechs Qualitätsbereiche (Schulqualitätsentwicklung Allgemeinbildung, SQA) genannt wurden. Es wird festgehalten, dass es sich nicht ausschließlich um Anspruchsgruppen, sondern auch um Ansprechpartner/-innen oder allgemein für die SL relevante Akteursgruppen handelte. Zwischen diesen Gruppen wird daher in der folgenden Darstellung keine Unterscheidung getroffen. Wurden die Akteursgruppen nur indirekt genannt, sind sie in den Abbildungen grau (vgl. Abbildung 4.64.16). Ergänzt werden die Falldarstellungen durch markante AussagenFootnote 12, die im Zuge der Beschreibungen der institutionellen Umwelten getätigt wurden. Mit markant ist in diesem Zusammenhang eine besonders auffällige Äußerung in Bezug auf eine Akteursgruppe gemeint. Nach jeder Falldarstellung folgt auf Basis der in Abschnitt 2.4., Tab. 2.9 dargestellten Beschreibung des Umwelt-Organisations-Verhältnisses eine kategoriengeleitete Zuteilung.

Die aufgeschlüsselte Darstellung der institutionellen Umwelt wird als Voranalyse für die im zweiten Teil der empirischen Auswertung angewendeten kontrastierenden Fallvergleiche gesehen. An die Falldarstellungen schließen Beschreibungen der Akteursgruppen an. Diese Beschreibungen werden durch eine Zuordnung zu den einzelnen Qualitätsbereichen strukturiert.

Falldarstellung 1 – SL_01_OGU

SL_01_OGU beschreibt die institutionelle Umwelt als Quelle der Inspiration, in der viele innovative Ansätze und Zugänge unter anderem durch den Austausch mit anderen Kolleginnen und Kollegen gewonnen werden können (Z. 77 f.; 241 ff.; 643 ff.). Dennoch gibt es auch Momente, in denen die institutionelle Umwelt als beschränkend wahrgenommen wird:

„[...] mir sind oft, sehr oft, vom Lehrerdienstrecht sind mir einfach, waren uns die Hände gebunden. Und das hat mich massiv aufgeregt.“ (SL_01_OGU, Z. 727 f.)

Auf der anderen Seite zeigt sich im Interview, dass SL_01_OGU Ansprüche, die von außen an sie/ihn herangetragen werden, ignoriert:

Manchmal gibt es bei mir nur klick klick klick. Weg ist es. Ich finde nicht die Zeit, mir alles anzuschauen. Gewisse Dinge, da wären auch vielleicht ein paar Dinge dabei, die wären jetzt vielleicht gut. [...] Ich habe sie weggeklickt. Ich habe auch den Mut.“ (SL_01_OGU, Z. 525 f.)

SL_01_OGU beschreibt in den Interviewpassagen weniger die außerschulischen Akteure, sondern fokussiert in den Erzählungen stark auf innerschulische Prozesse und innerschulische Akteure (vgl. Z. 842 ff.).

An einigen Stellen im Interview wurde auf externe Instrumente verwiesen, die Auskunft über die Qualität des Lernens und Lehrens bzw. die Leistung geben (u. a. Z. 94 f;).

Zu betonen bei diesem Interview ist, dass die Anspruchsgruppe „weiterführende Schule“ kaum seitens SL_01_OGU eingebracht wurde, sondern von der Interviewerin. Dennoch wurden die weiterführenden Schulen sowie Betriebe als eine der drei relevantesten Anspruchsgruppen definiert (Z. 1205 f.). Neben den bereits genannten Anspruchsgruppen zählen auch Schüler/-innen und Eltern (Z. 280) zu den explizit genannten:

  1. 1.

    weiterführenden Schulen sowie Betriebe

  2. 2.

    Schüler/-innen

  3. 3.

    Eltern

Die Umweltwahrnehmung von SL_01_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.6
figure 6

Übersicht Akteursgruppen SL_01_OGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 2 – SL_02_MGU

SL_02_MGU beschreibt im Zuge der Neue-Mittelschul-Einführung, dass man sich zum einen umgeschaut hat, wie andere Schulen mit der Thematik umgehen, zum anderen aber auch am eigenen Standort viele Dinge selbst entwickelt hat (vgl. Z. 182 f.).

Bei Ansprüchen, z. B. Neuerungen, die an SL_02_MGU „von oben“ herangetragen werden, wird zunächst ein Filtermechanismus eingesetzt:

„Das Neue, das von oben kommt, habe ich eine Strategie entwickelt. Dass ich zuerst einmal ganz stark filtern tue.“ (Z. 462 ff.)

Mit Filtern meint SL_02_MGU vor allem, dass Neuerungen, die z. B. auf einer SL-Konferenz vorgestellt werden, zunächst gesichtet und dann entschieden wird, in welchen „Häppchen“ (vgl. Z. 469) die Informationen an das Kollegium weitergegeben werden. Für SL_02_MGU gelingen Entwicklungsprozesse dann, wenn sich die Lehrenden mit einer Sache identifizieren können bzw. hinter einer Sache stehen.

„Ich glaube, dass alles, was nur von oben her verlangt wird, wenn man nicht das ganze... das Feuer noch selber beim Lehrer entfacht, dass man da eher an Schulentwicklung scheitert.“ (SL_02_MGU, Z. 476)

Gerade in der Wahrnehmung, woher neue Anregungen kommen, z. B. in der Unterrichtsentwicklung, beschreibt SL_02_MGU, dass dies aus dem Team kommen würde, da viele der Kolleginnen und Kollegen selbst aktiv in der Fort- und Weiterbildung als Lehrende tätig seien (vgl. Z. 382): „Die Lehrer sind mein Kapital“ (SL_02_MGU, Z. 394)

Die grundsätzliche Orientierung von SL_02_MGU ist eher nach innen gerichtet.

„Ich selber bin generell der Typ, wo ich nicht sehr nach außen schaue, was machen andere, und was müssen wir machen, und was machen andere, wie setzen die es um, sondern wo ich sage: [...].. da hat sicher jede Schule auch ihre Besonderheiten und ihre Eigenheiten.“ (SL_02_MGU, Z. 577 ff.)

Für die Reputation der Schule, so SL_02_MGU, spielen die Gemeinde und der Bürgermeister eine „wesentliche“ Rolle (Z. 954, Z. 961). Diese Akteursgruppe wird wichtiger eingeschätzt als z. B. die Schulaufsicht (Z. 721 ff.). Diese, so wird im Interview ausgeführt, sei in den einzelnen Bezirken in ihrer Schwerpunktsetzung unterschiedlich und verfolge meist ihre eigenen Ziele, auch fernab von Reformen (vgl. 548 ff.). Ergebnisse bei Bildungsstandarderhebungen haben für SL_02_MGU „gar keinen“ (Z. 1205) Stellenwert in Bezug auf die Tatsache, ob die eigene Schule eine gute Schule ist.

SL_02_MGU gibt als die drei wichtigsten Bezugsgruppen an:

  1. 1.

    die Eltern,

  2. 2.

    das eigene Kollegium

  3. 3.

    die Schüler/-innen

Die Umweltwahrnehmung von SL_02_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.7
figure 7

Übersicht Akteursgruppen SL_02_MGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 3 – SL_03_OGU

Von SL_03_OGU wird die Umwelt im Interview ambivalent beschrieben. Zum einen wird sie als Fundus und Ressource dargestellt, aus der man neue Anregungen und Zugänge schöpfen könne (Z.45 ff.), zum anderen führten bestimmte institutionelle Vorgaben zu einer Beschränkung, so etwa das Angebot der Pädagogischen Hochschule:

„[...] es [gibt] Lehrer an der Pädagogischen Hochschule, die eigentlich das NMS-Konzept hintertreiben und dann gibt’s natürlich die anderen, die Leuchttürme, die gibt’s genauso. Und das spielt schon eine Rolle, weil die Fortbildung schon nochmal eine enorme Bedeutung hat; was mir in der Hinsicht immer gefehlt hat und immer noch fehlt ist, dass man sich in der Fortbildung auf wichtige Bereiche in einem gewissen Zeitraum konzentriert.“ (Z. 117 ff.)

Eine institutionelle Einschränkung erlebt SL_03_OGU auch durch Personalmangel und/oder gesetzliche Vorgaben, wie etwa bei der Anstellung von Lehrpersonen:

„[…] ich habe ja eine AHS-Lehrerin gehabt, die ist mittlerweile am Gymnasium, die hat nicht mehr dürfen, weil sie Geographie und Geschichte hat.“ (SL_03_OGU, Z. 679)

„[...] es ist bald, Mathematiker gibt’s sowieso keine und [...], ganz blöd ist das, dass sie dann an ihrer [Stamm-]Schule eine Stunde halten müssen oder wie, da gibt es eine Regel?!“ (SL_03_OGU, Z. 703)

In den Ausführungen zu bestimmten Akteuren aus der institutionellen Umwelt beschreibt SL_03_OGU, wie im Zuge der Neue-Mittelschulreform viele Neuerungen auf den eigenen Schultyp zugekommen sind und wie wenig Veränderungsdruck auf anderen Schultypen lastet.

„[...], dass natürlich die ganze AHS-Szene sich von dem überhaupt nicht betroffen fühlt, also da sieht man ja überhaupt null Grund, warum man überhaupt irgendwas ändern sollte. Das ist schon ein riesen Hindernis.“ (SL_03_OGU, Z.293 f.)

Gerade bei der Umsetzung der Neue-Mittelschulreform wird seitens der Schulaufsicht von den SL verlangt, bestimmte thematische Inhalte aufzubereiten (Z. 132, 166, 220). Die Beschreibung dieses Vorgangs lässt jedoch darauf schließen, dass eigene Vorstellungen eingearbeitet werden können und somit auf den Anspruch der Umwelt gestalterisch geantwortet werden kann.

„Ich möchte schon beeinflussen, was da abläuft.“ (SL_03_OGU, Z. 235 f.)

Dass SL_03_OGU die institutionelle Umwelt auch als Fundus wahrnimmt bzw. auch gegen institutionelle Erwartungen an bestimmten Dingen festhält, zeigt sich an dem folgenden Beispiel:

„[...] es muss einen individuellen Lernbereich geben. ILB hat das geheißen. Und das ist für mich unbedingt notwendig, wenn man Lernseitigkeit und eine innere Differenzierung will, weil ich wüsste nicht, wie man mit reinem Frontalunterricht eine innere Differenzierung machen soll. [...] Und dann habe ich das in diesem Zeitfenster, wo der LSI das verfügt hat, da habe ich das an meiner Schule verbindlich gemacht. [...] Und das habe ich dann auch, als das nicht Gesetz geworden ist, beibehalten.“ (Z. 177 ff.)

Außerdem zeigt sich SL_03_OGU auch offen für Kooperationen, z. B. mit den Ausbildungsstätten für zukünftige Lehrer/-innen:

„Ja also, ganz, das ist wirklich a Woche, die eine totale Win-Win-Situation. Einerseits organisieren wir das so, dass die betroffenen Klassen in den ersten zwei Stunden ILB oder Freiarbeit haben, da können sie [Studierenden] das beobachten und nachfragen usw. und dann machen sie Projekte, also eines eher Hauptfach-orientiert, 3.,4. Stunde, 5.6. Stunde eher Realien-orientiert und machen immer tolle Sachen für die Kinder.“ (Z. 1216 ff.)

Zusammenfassend gibt SL_03_OGU an, dass folgende Anspruchsgruppen die größte Relevanz für sie/ihn haben (Z. 1669 ff.):

  1. 1.

    Schülerinnen

  2. 2.

    Literatur

  3. 3.

    Teacher-Leader

Die Umweltwahrnehmung von SL_03_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.8
figure 8

Übersicht Akteursgruppen SL_03_OGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 4 – SL_04_MGU

SL_04_MGU gibt an, dass immer mehr wissenschaftliche Erkenntnisse Einzug in schulische Entwicklungsprozesse halten (vgl. Z. 50) – dem steht SL_04_MGU grundsätzlich offen gegenüber.

Ähnlich wie andere Schulleitende auch, wird im Interview darauf verwiesen, dass vielfach die Rahmenbedingungen, z. B. des Dienstrechts, Entwicklungen hemmen können.

„Personalentwicklung ist aufgrund des Beamtendienstrechtes nur schwer möglich.“ (SL_04_MGU, Z. 178)

Insbesondere wird mit den Anstellungsbedingungen gehadert:

„Da wäre zum Beispiel der beste Schub 30 Stunden Anwesenheitspflicht an der Schule, ein zwei Nachmittage, wo ich nicht Unterricht hätte, würden mir persönlich da sehr in die Hände spielen.“ (SL_04_MGU, Z. 199 ff.)

SL_04_MGU gibt an, dass die Umsetzung der Neuen Mittelschule im Bezirk ernster genommen würde als in anderen Bezirken: „Wir im Bezirk sind ja päpstlicher als der Papst“ (Z. 863), was damit zusammenhängt, dass die Schulaufsicht des Bezirks ein besonderes „Augenmerk“ auf die Umsetzung dieser Inhalte legt (vgl. Z. 869 f.).

Gerade wenn es um die Wahrnehmung der institutionellen Umwelt geht, ist eine Sequenz des Interviews hervorzugeben, in der SL_04_MGU aufzeigt, wie mit gesetzlichen Vorgaben umgegangen wird:

„Entweder aus dem Gesetz… Aber du weißt selber, wie das Ganze interpretiert wird… wie der Lehrplan interpretiert werden kann. Die Leistungsbeurteilungsverordnung… da steht wieder ganz etwas anderes als wie wir jetzt tun. Und das passt dann nicht zusammen mit dem neuen Konzept. Das hörst du natürlich sehr oft. Und einerseits pochen wir natürlich auf Gesetze, aber andererseits sagen wir da dann wieder die Leistungsbeurteilungsverordnung, die nehmen wir jetzt da nicht so tragisch.“ (SL_04_MGU, Z. 879 ff.)

Als begrenzender bzw. hinderlicher Umweltfaktor wird die Situation mit der Abwanderung der Schüler/-innen nach der Volksschule in die gymnasiale Unterstufe beschrieben:

„Und die Gymnasien haben halt immer voll. Das heißt, wir können tun, was wir wollen, die Gymnasien haben es voll. [...] Zuerst ist einmal gesagt worden nur drei Klassen, dann nur bis 25, jetzt haben sie halt vier Klassen, zum Teil bis 28.“ (SL_04, MGU, Z. 1275 f.)

Das verbindet SL_04_MGU mit dem allgemeinen gesellschaftlichen Druck, den die Neue Mittelschule spürt:

Der gesellschaftliche Druck ist einfach so groß, wir können tun, was wir wollen. Den schaffen wir nicht, den Spagat.“ (SL_04_MGU, Z. 1293 f.)

Am Beispiel eines Erlebnisses wird geschildert, wie Vorgaben (Einhaltung des Dienstweges) gemacht werden. Das Beispiel zeigt, die Einbettung der Institution „Schule“ in ihre Umwelt.

„[...] dann ist das eine Aktion [offener Brief], die du als Beamter nicht tun dürftest. Und du übergehst den Dienstweg, wir überspringen die Hierarchie.“ (SL_04_MGU, Z. 1464 ff.)

Die Sicht auf die eigene Schule und die innerschulischen Akteure wird ebenfalls im Interview thematisiert, dabei werden die eigenen Strukturen als hinderlich für Entwicklung beschrieben:

„Bei uns [ist] in der Kommunikation schon ein bisschen ein Knäuel.“ (vgl. Z. 667 f.)

Für SL_04_MGU sind die drei wichtigsten Anspruchsgruppen:

  1. 1.

    Lerndesigner/-in (erweitert: Schulentwicklungsteam)

  2. 2.

    Schulaufsicht/ Pflichtschulinspektor/-in

  3. 3.

    Fort- und Weiterbildung / Zentrum für lernende Schulen

Die Umweltwahrnehmung von SL_04_MGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden.

Abbildung 4.9
figure 9

Übersicht Akteursgruppen SL_04_MGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 5 – SL_05_OGU

Durch das gesamte Interview zieht sich das Motiv, dass „von oben“ vorgegeben wird, welche Themen in der Schulentwicklung zu berücksichtigen sind. Als „von oben“ werden dabei die Institutionen Bundesministerium, Schulaufsicht und Zentrum für Lernende Schulen genannt. Durch die Vorgaben „von oben“ wird der Handlungsspielraum von SL_05_OGU als begrenzt eingeschätzt. Die Neue Mittelschul-Reform wird zunächst als starker, von außen kommender „Fremdkörper“ beschrieben:

„Sofort. [...]. Ich glaube, das war psychologisch der Knackpunkt. Die Lehrer haben alle das Gefühl gehabt. Nicht weil ich ihnen das gegeben habe. Sondern weil das auch von da oben irgendwie da durch das schnelle Aufoktroyieren so gewirkt hat: Alles, was wir bisher gemacht haben, war schlecht. Und jetzt kommt sozusagen der neue Messias, oder war es die X, und verkündet das einzig Gute. Auf Kritik gestoßen ist auch, dass nur, oder dass zum Großteil englische Referenzliteratur genommen worden ist.“ (SL_5_OGU, Z. 1126)

„Es kommt hie und da was daher. Und man merkt dann schon, ob es wichtig war oder nicht. Wenn das jetzt überall aufgegriffen wird von der (äh) PSI im Bezirk oder (äh) vom Landesschulinspektor. Dann weiß man: Okay, jetzt wird es wichtig, wenn sie das Thema aufgreifen. Aber ich täte schon sagen, im Schnitt kommen Reformen, die durchgezogen werden sollen, von der Schulaufsicht.“ (SL_5_OGU, Z. 925ff.)

Die Dringlichkeit, bestimmte Dinge umzusetzen, nimmt SL_05_OGU spürbar von bestimmten Akteursgruppen wahr:

„Man merkt schon, was der Schulaufsicht wirklich wichtig ist. Zum Beispiel Arbeit mit Lerndesigns habe ich schon als sehr, sehr wichtig empfunden.“ (SL_5_OGU, Z. 899 ff.)

„Das konsequente Arbeiten am SQA-Plan ist für mich auch als sehr, sehr wichtig dahergekommen.“ (SL_5_OGU, Z. 909)

Wichtig für SL_05_OGU ist auch, dass bei Veränderungen, die vorgegeben werden, auch klar transparent aufgezeigt wird, wer etwas von wem verlangt – dass die Ansprüche an die Lehrenden nicht seitens der Schulleitung kommen, sondern „von oben“.

„Ganz wichtig wäre, dass das von oben klar gemacht wird. Dass das nicht so ein nebulöser Begriff ist, sondern dass das eine eindeutige Sache in der Hierarchie ist. Das würde verändert gehören, dass man sagt: Auch, auch amtlich ist das so.“ (SL_5_OGU, Z. 625)

In der institutionellen Umwelt von Schulen agieren unterschiedliche Professionen, diese stehen nach Angabe von SL_05_OGU in einer hierarchischen Beziehung zueinander:

„Dienstrecht schlägt die Pädagogik“ (SL_5_OGU, Z. 125)

Für SL_05_OGU sind die wichtigsten Anspruchsgruppen der schulischen institutionellen Umwelt die folgenden:

  1. 1.

    Schulaufsicht

  2. 2.

    Schüler/-innen

  3. 3.

    Eltern/ ex equo: weiterführende Schulen / Ausbildner in Betrieben

Die Umweltwahrnehmung von SL_05_OGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden.

Abbildung 4.10
figure 10

Übersicht Akteursgruppen SL_05_OGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 6 – SL_06_MGU

SL_06_MGU gibt an, dass sich die Außenwelt verändert und man als Organisation darauf reagieren muss – dies sei ein ständiger Prozess:

„Strategie ist die Fortführung des ursprünglich leitenden Gedankens gemäß den sich ändernden Bedingungen. Und die Bedingungen ändern sich so, wie es bei uns der Fall ist, ob es jetzt im Rahmen der Mittelschule war oder, was weiß ich, mit Änderungen von Regierungen oder Ministern usw. ist, muss man sich ständig auf das einstellen, was an Rahmenbedingungen kommt und dementsprechend entwickeln wir dann.“ (SL_06_MGU, Z. 50 ff.)

Dennoch nimmt SL_06_MGU die Veränderungen, die im Zuge der Neuen-Mittelschulreform stattgefunden haben, als verengend wahr. Im Interview werden diese beschrieben. Die Verengung führt dazu, dass es „nur mehr eine Wahrheit geben“ (91 ff.) würde, „[u]nd diese Wahrheit hat zu verfolgt werden und diese Wahrheit wurde mit erhobenem Zeigefinger uns dann präsentiert und die haben wir dann machen müssen.“ (SL_06_MGU, Z. 93 f.)

SL_06_MGU hat das Gefühl, dass durch die Neue Mittelschule viele Freiheiten der Lehrpersonen beschnitten wurden:

„[...] ein gewisses Quäntchen an Authentizität sei meinen Lehrern erlaubt. Hat man ihnen aber genommen, sage ich.“ (Z. 225 f.)

Für SL_06_MGU war das System vor Einführung der Neuen Mittelschule besser, dieses „war ein System, das 25 Jahre gelaufen ist, ja, da hat es 25 Jahre Leistungsgruppen gegeben.“ (SL_06_MGU; Z. 117 f.)

Weiters führt SL_06_MGU aus:

„[...] die haben vorgegeben, was zu geschehen hat. Und wir haben gemacht, was zu geschehen hatte.“ (Z. 101)

In diesem Zusammenhang beschreibt SL_06_MGU, dass die Vorgaben, die „von oben kommen“ aus einem Konglomerat mehrerer Quellen stammten:

„Diese eine Wahrheit kommt von höchster Ebene: Landesschulrat, herunter PSIs[…] ja, PHT, das ist natürlich, das ist ja alles vernetzt [...].“ (Z. 99 f.)

Diese Neuerungen wurden als Zwang wahrgenommen:

„Die Lehrer wurden in ein System gezwungen, ob sie glücklich waren oder nicht. Also, es ist gut, wenn man irgendwas vorgibt, an das man sich halten muss, aber es hat auch Auswüchse gegeben, wo Schulen nur mehr mit gewissen Tabellen, die irgendjemand erfunden hat, arbeiten mussten. Man ist nie mehr auf die Authentizität eines Lehrers eingegangen, sondern die hatten einfach das zu vollziehen, was man sich vorgestellt hat.“ (SL_06_MGU, Z. 107 ff.)

Durch die Einführung der Neuen Mittelschule, so SL_06_MGU, kam es zu Einschränkungen und Engführungen:

„Fortbildungsseite geht: da war es diversifizierter, da habe ich viele Fortbildungen gehabt, [...] aber einfach breiter gestreut. Jetzt hat man einen NMS-Fortbildungsstrang, was es ja auch bedarf, weil sonst würden wir den Herausforderungen ja nie gewachsen sein können. Weil wir das halt auch noch nicht gelernt haben.“ (Z. 125 ff.)

Bei der Einführung der Neuen Mittelschule sei Vieles unklar gewesen:

„Wir sind ziemlich alleine gelassen worden mit den Problematiken, die wir haben. Der Versuch, [den Transformationsprozess] eben mit, sage ich jetzt einmal, Seminaren und Leuten zu besetzen, die haben weniger Ahnung gehabt als wir [...]“ (Z. 155 f.)

Diese Unklarheit hat zu einer Frustration und letztlich zu einer Eigeninitiative und einer Abkehr von den zentralen Begleitungsprogrammen geführt.

Gerade das Thema „Neue Mittelschule“ sei seitens der Schulaufsicht eine „Herzensangelegenheit“ (Z. 271) und man komme „[…]eh nicht narrisch ausFootnote 13[…]“ (Z. 271).

SL_06_MGU schwankt in den Aussagen zwischen Kritik gegenüber der Bevormundung durch die Schulaufsicht einerseits und dem Lob für die Unterstützung, etwa in Form von Fort- und Weiterbildungsangeboten, andererseits:

„Was ich ja auch schätze, so ist es ja nicht. Sonst müsste ich mir selber etwas aus den Fingern saugen. Da ist mir lieber ich bin dahingehend auch geführt, das ist nicht das Thema.“ (Z. 276 ff.)

SL_06_MGU gibt an, dass die Umsetzung der Neuen Mittelschule in den einzelnen Bezirken sehr unterschiedlich erfolgte:

„Ja, ich weiß ja auch, dass auf PSI-Ebene [...] mehr oder weniger ernst genommen wird, in dem was man dann auf die Klientel hinunterbricht.“ (Z. 450 ff.)

Immer wieder wird im Interview darauf verwiesen, dass die Handlungsspielräume, die seitens der „Obrigkeit“ gegeben werden, in der Praxis so nicht realisierbar seien. Als konkretes Beispiel führt SL_06_MGU die Schwierigkeit mit Zusatzstunden (vgl. Z. 489 ff.) an.

Auf die Frage, ob SL_06_MGU glaubt, die Freiheit zu besitzen, eine Umsetzung anders zu gestalten, als sie als Empfehlung vorgegeben wurde, antwortet SL_06_MGU:

„Das weiß ich nicht, habe ich nicht gefragt. [...]: In dem Maße, wie man ja keinen bekommt, der einem dann wirklich endgültig sagen kann: „Wir haben die Wahrheit gefunden“ – weil es sie ganz einfach nicht gibt. Weil da halt immer auch Abstriche drin sind, bitte. Also bin ich so weit, dass ich sage: Nicht ich, „le roi c´est moi“, nein nicht wirklich. Aber ich sage: Ich habe keinen gehabt, der mir die Wahrheit beschreiben hat können. Wir entwickeln uns selber etwas, [...]. Ich habe ja Vorgaben, was soll ich denn. … Zielbild getroffen, Zielbild erreicht, oder nicht erreicht usw., dann komme ich ja nicht aus, bitte.“ (Z. 586 ff.)

SL_06_MGU gibt an, durch das Konkurrenzverhältnis mit der gymnasialen Unterstufe am eigenen Standort Nachteile zu erleben:

„Und wir werden ausgehungert von vorne bis hinten. Und wir haben keine Guten mehr. Was ist denn das für ein Setting da drinnen, wenn ich keine Leistungsstarken mehr habe? Da möchte ich einmal eine Antwort.“ (Z. 962 ff.)

Auch die Eltern, als Umwelt, sorgen dafür, dass das Konkurrenzverhältnis zum Gymnasium bestärkt wird (Z. 1011 ff; 1064 ff.). Nach Aussagen von SL_06_MGU hat der Schulstandort durch negative Zuschreibungen durch die Volksschulen mit Schüler/-innenanmeldezahlen zu kämpfen (Z. 994 ff.):

„[...]Das heißt also, man versucht, uns so gut als möglich auszuschalten und zu umgehen. Und das ist teilweise generiert aus ganz mieser Propaganda.“ (Z.1008 ff.)

Zusammengefasst wird die Umwelt seitens SL_06_MGU als limitierend und beschränkend wahrgenommen. Außer im Qualitätsbereich 4 werden auffallend wenig Akteursgruppen genannt. Die wichtigsten Bezugsgruppen sind für SL_06_MGU vor allem externe Akteure aus der schulischen institutionellen Umwelt:

  1. 1.

    andere Direktor/-innen

  2. 2.

    die Schulaufsicht

  3. 3.

    Fort- und Weiterbildungen

Die Umweltwahrnehmung von SL_06_MGU kann als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden.

Abbildung 4.11
figure 11

Übersicht Akteursgruppen SL_06_MGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 7 – SL_07_OGU

Im Interview mit SL_07_OGU wird deutlich, dass die Wahrnehmung der institutionellen Umwelt als wenig beschränkend, sondern als Inspiration und Bereicherung wahrgenommen wird. SL_07_OGU verweist im Gespräch insbesondere auf den Umstand, dass Neuerungen, wie etwa die Einführung der Neuen Mittelschule, keinem „Patentrezept“ (vgl. Z. 158, Z. 167) folgen, sondern eine eigene Übersetzungsleistung des Schulstandortes bedinge:

„Und Mittelschule ist kein Patentrezept. [...] Das muss jede Mittelschule für sich entwickeln. Natürlich in Absprache mit anderen Mittelschulen kann man sich gegenseitig unterstützen [...]. Man muss ja nicht immer alles neu erfinden, sage ich mal. Aber generell ist es ganz wichtig, dass das auch so im Denken gefestigt wird: Wir müssen das Ganze selbst für uns entwickeln, dass es für unsere Schule am besten ist.“ (SL_7_OGU, Z. 158)

Besonders hervorgehoben wird diese Sichtweise noch einmal im folgenden Zitat:

„Weil es gibt kein, es gibt kein Patentrezept. Es gibt Inputs. Aber was wir daraus machen, müssen wir selber herausfinden.“ (SL_7_OGU, Z. 167)

SL_07_OGU gibt im Interview an, sich von anderen Schulen Inspiration zu holen (Z. 139), im Gespräch werden diese neuen Erfahrungen kontextualisiert und mit den eigenen Systemstrukturen verknüpft. Außerdem führt SL_07_OGU an, dass durch neue Kollegen und Kolleginnen, die an die Schule kommen, neuer Antrieb in das Kollegium gebracht wurde, der dazu führte, dass Veränderungsprozesse anliefen und vorangetrieben wurden (vgl. Z. 425 ff.).

Die wichtigsten Anspruchsgruppen für SL_07_OGU sind (Abbildung 4.12):

  1. 1.

    Eltern

  2. 2.

    Schüler/-innen und ehemalige Schüler/-innen

  3. 3.

    Schulleitende von weiterführenden Schulen

Die Umweltwahrnehmung von SL_07_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.12
figure 12

Übersicht Akteursgruppen SL_07_OGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 8 – SL_08_MGU

SL_08_MGU gibt an, dass die Schule an sich keinen eigenen Schwerpunkt für die Schulentwicklung definiert habe, sondern die Ausrichtung, was thematisch in den Entwicklungsprozessen angegangen wird, von außen an die Schule herangetragen werde:

„Es ist halt, was im Rahmen von der Neuen Mittelschule verlangt wird, SQA, innere/äußere Differenzierung, Kompetenzorientierung, Individualisierung. Also das Landläufige, das Übliche.“ (SL_8_MGU, Z. 7 ff.)

Die Quelle für die Themen ist dabei die „Schulaufsicht“ (SL_8_MGU, Z. 13).

SL_08_MGU beschreibt die Veränderungen, die im Zuge der Neuen-Mittelschulreform an die Schule herangetragen wurden, z. B. die Aufhebung der Leistungsgruppen, als großen Wandel. Aus den Beschreibungen geht hervor, dass SL_08_MGU sich selbst kaum vorstellen kann, wie etwa eine innere Differenzierung möglich sein kann (vgl. Z. 91 ff.).

SL_08_MGU beschreibt ebenfalls im Kontext der Reform, dass eine fehlende Unterstützung etwa seitens der Ausbildungsinstitutionen wahrnehmen werden konnte:

„[...] Und bei den jungen Lehrern habe ich gesehen, dass sie das Rüstzeug von der Ausbildung her nicht mitbringen. [...], da habe ich oft gehört: „Wir haben auf der Hochschule eigentlich in der Richtung nichts gemacht“. (SL_8_MGU, Z. 108 ff.)

In einer Sequenz (SL_8_MGU, Z. 213 ff.) berichtet SL_08_MGU von einem Bildungstag, der seitens der Schulaufsicht geplant wurde und der als „nicht als erfolgreich“ eingeschätzt wurde. Das Thema hatte laut SL_08_MGU keinen Bezug zu den Entwicklungsthemen des Standorts. Durch diese Sequenz wird eine deutliche Unterscheidung zwischen innen und außen sichtbar.

Auch die Anspruchsgruppe der Eltern wird von SL_08_MGU als Herausforderung beschrieben:

„[...] Das ist mein Hauptwunsch, dass ich zwei- bis dreimal im Jahr die Eltern verpflichten könnte, zwei Stunden hereinzukommen, wo dann ich oder andere Lehrer oder irgendwelche Fachleute… aber was mich jetzt anbelangt, den Eltern einmal klipp und klar sage, „was ist Schule“. Was erwarten sich die Eltern von uns, aber was erwarten wir uns von den Eltern? Also ein gesellschaftliches Problem.“ (SL_8_MGU, Z. 295 ff.)

SL_08_MGU gibt im Interview an, seit jeher abzuwägen, welche Ansprüche verpflichtend seien und bei welchen es sich lediglich um Empfehlungen handle. Demnach werde dann auch das weitere Handeln am Schulstandort abgeleitet.

„Oder mit PSI: ‚Müssen wir das machen, ist das notwendig, sollen wir noch abwarten?‘. ‚Was ist Pflicht?‘ Gerade mit dem Schulautonomiepaket zum Beispiel, wo wir gesagt haben wir im Haus, wir tun einmal jetzt nichts mit Schulzeiten oder Schulstunde, bleibt einmal gleich.“ (SL_8_MGU, Z. 568 f.)

Für SL_08_MGU ist es vor allem entscheidend, ob etwas gemacht werden muss, oder ob es sich um eine Empfehlung handelt:

„Also die Frage ist: ‚Muss es gemacht werden?“‘ (SL_8_MGU, Z. 578)

SL_08_MGU beschreibt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform die sich ergebenden Dilemmata bzw. die Genese des Umsetzungsszenarios:

„Für mich ist das Konzept NMS vor 8 oder 9 Jahren, das hat eigentlich unheimlich gut geklungen. Voll begeistert, es war eine Aufbruchstimmung [...] Und dann sind viele dieser Fortbildungen eigentlich fehlgelaufen. Wir haben da Sachen gemacht, wo wir uns im Nachhinein gefragt haben: ,Wozu haben wir es gemacht?‘. [...]. Es ist für mich persönlich ein theoretisches Konzept, das entworfen worden ist von Theoretikern und das in der Praxis – und das stellt sich ja jetzt heraus – teilweise nicht so funktioniert wie sie sich das vorgestellt haben. [...] Es fehlt der Zeitraum der Evaluierung, das ist einfach dann viel zu schnell dann über uns alle darübergestülpt worden. [...] Knackpunkte, es ist [...] ja, viel zu schnell, viel zu wenig durchdacht und nicht richtig evaluiert.“ (SL_8_MGU, Z. 594 ff.)

SL_08_MGU gibt an, vor allem der Politik die Schuld für die Situation, in der sich die Schule zurzeit befinden würde, zu gebe.

„Wir haben keine Ruhe mehr.“ (SL_8_MGU, Z. 659)

Trotz allem sieht SL_08_MGU durchaus auch Spielräume im System:

„In einem Satz gesagt, was von den Verordnungen, Gesetzen ist unbedingt einzuhalten und wo kann man das ein bisschen lockerer nehmen.“ (SL_8_MGU, Z. 772)

SL_08_MGU beschreibt im Zusammenhang mit der Qualitätsdimension „Kommunikation und Zusammenarbeit“ die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Insbesondere geht sie/er dabei auf die veränderten Aufnahmemöglichkeiten in die gymnasiale Unterstufe ein und setzt diese in den Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform:

„Irgendwo in einer Gewerkschaftszeitung war es drin, dass die Eltern uns halt vieles, was wir, was NMS ist, uns nicht mehr abnehmen. Man schaut, dass man die Kinder in die Gymnasien schickt. Und die eine Sache ist natürlich, Gymnasien werden immer mehr. Ich meine, es ist ganz logisch, je mehr Klassen ich eröffne, desto mehr Schüler kommen hinein. Das war vor 20 Jahren zum Beispiel noch anders, da war viel weniger. Erstens einmal waren viel mehr Schüler, zweitens waren viel weniger Gymnasialklassen, [...].“ (SL_8_MGU, Z. 950 ff.)

SL_08_MGU berichtet im Zusammenhang mit der Anspruchsgruppe Eltern einen „Mythos“ (Z. 1381). Der besage, dass der eine Standort weniger gut sei als ein anderer Mittelschulstandort. Mythen, die die Reputation einer Schule beeinflussen, seien, so gibt SL_08_MGU im Interview an, ein großes Problem. (vgl. SL_8_MGU, Z. 1405 ff.)

In der Zusammenfassung wird die schulische Umwelt mit ihren unterschiedlichen Anspruchsgruppen als größtenteils beschränkend und für die Entwicklung hemmend beschrieben.

Es werden von SL_08_MGU ausschließlich externe Akteursgruppen als wichtigste Anspruchsgruppen genannt:

  1. 1.

    Die Schulaufsicht

  2. 2.

    Die Eltern

  3. 3.

    Die Wirtschaft/Betriebe/Wirtschaftskammer

Die Umweltwahrnehmung von SL_08_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.13
figure 13

Übersicht Akteursgruppen SL_08_MGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 9 – SL_09_OGU

SL_09_OGU beschreibt die Ansprüche, die bestimmte Anspruchsgruppen stellen, weder als limitierend noch im Sinne eines Fundus. Am ehesten könnten die Aussagen von SL_09_OGU dahingehend interpretiert werden, dass „gesellschaftliche Regeln und Vorgaben“ aber auch historisch gewachsene Strukturen innerhalb der Schule die Organisation gestalteten. Diese Interpretation lässt sich etwa durch die Beschreibung des Einflusses ehemaliger SL der Schule stützen (SL_09_OGU, Z. 597 f.):

„Woher kommt es? Aus unserer Vergangenheit, weil nämlich meine Vorgänger – Direktorvorgänger waren alles Mathematiker, [...] jetzt waren die Mathematiker in der Hierarchie immer ganz oben, außerdem haben [die ehemaligen Schulleiter den] [...] Mathematikern viele andere Fähigkeiten [zugesprochen]: organisatorisch, kreativ, technisch begabt [...] die haben ganz viele Begabungen, die kann man auch in mehreren Fächern einsetzten, weil sie teilweise auch mehrere Prüfungen haben und sie haben sonst viele Begabungen, die bei Veranstaltungen und so einfach dienlich sind. Jetzt waren die Mathematiker immer die führenden Persönlichkeiten hier, [...] man hat ihnen viel Verantwortung gegeben, viel Bühne [...].“ (SL_09_OGU, Z. 597 ff.)

Ferner durch Zuschreibungen, die SL_09_OGU gegenüber ausgewählten Anspruchsgruppen formuliert:

Na, die Eltern erwarten einfach, dass man auf sie und ihre Kinder eingeht, dass man ihre Sorgen und Nöte versteht, das ist glaube ich sehr wichtig für die Eltern.“ (SL_09_OGU, Z.714)

„Weil die Eltern sehen das nie mit Kompetenzen verknüpft, bei den Eltern geht alles über Noten.“ (SL_09_OGU, Z. 65)

„[....] die Schulerhalter, denen ist einfach das Gebäude wichtig und denen ist es wichtig, dass ihre Einwohner sagen, die Schule funktioniert gut, das ist denen einfach wichtig.“ (SL_09_OGU, Z. 515)

„Die Erwartung der Schulaufsicht an mich? [...] Ja, dass ich das… also da geht es jetzt immer um die NMS-Entwicklung, gell, dass ich jetzt das, was z. B. auch vom ZLS kommt, das was sie also vorgeben, was wichtig für die NMS ist, dass ich das umsetze in der Schule mit meinem Team.“ (SL_09_OGU, Z.491-493).

Das so entstandene Bild der Schule ist geprägt von „traditionellen Bildern“, die durch vermeintliche Erwartungsformulierungen seitens SL_09_OGU beschrieben werden:

„Zum Beispiel bei den Kompetenzen, auf die wir großen Wert legen: Ehrlichkeit, Höflichkeit, Verlässlichkeit.“ (SL_09_OGU, Z. 791).

„[...] es alles ist in Ordnung und es ist sauber und die Lehrer passen auf und die Kinder sind gut erzogen.“ (SL_09_OGU, Z. 513, Rückmeldung zur Wahrnehmung des Schulerhalters)

SL_09_OGU charakterisiert die Schule als „konservativ“ (SL_09_OGU, Z. 531).

Als zentrale Erwartungshaltung der institutionellen Umwelt an SL_09_OGU wird immer wieder das Lehren und Lernen betont, das müsse im Sinne eines guten Übergangs in die weiterführenden Schulen oder in den Lehrbetrieb „passen“. Auf diesen Aspekt wird an mehreren Stellen verwiesen (SL_09_OGU, Z. 29; Z. 360; Z. 803).

Als wichtigste Gruppen werden im Interview

  1. 1.

    das Kollegium,

  2. 2.

    die Schulaufsicht und

  3. 3.

    die weiterführenden Schulen genannt.

Die Umweltwahrnehmung von SL_09_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (inkorporiertes Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.14
figure 14

Übersicht Akteursgruppen SL_09_OGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 10 – SL_10_MGU

Von SL_10_MGU wird die Umwelt als vielschichtig beschrieben – vor allem liefert die institutionelle Umwelt Rückmeldung über „den Ertrag des Unterrichts“ (Z. 42). Dies können Eltern sein, aber auch andere Akteure – hier bleibt SL_10_MGU vage (Z. 41 ff.). Nichtsdestoweniger ist diese Rückmeldung Ausgangspunkt für entsprechende Änderungen: „[…] irgendwo in einem Fach irgendwas nicht passt, dann [ist] das natürlich, da ist dem nachzugehen.“ (SL_10_MGU, Z. 49 f.)

SL_10_MGU gibt im Interview an, dass die Ansprüche, die an sie/ihn seitens der Umwelt gestellt werden, unterschiedlichen Charakter hätten – handelt es sich bei den Ansprüchen um Gesetze, so sei diesen Folge zu leisten, handelt es sich um Empfehlungen, so müsse sehr genau abgewogen werden, welchen Mehrwert der Schulstandort dadurch hätte bzw. welchen Mehraufwand eine Veränderung hervorrufen würde (vgl. Z. 423 ff.).

Neue Gesetze sind zu befolgen:

„Und bitte dann deutlich sagen bei diesen Konferenzen: Das ist Gesetz. Bitte, da braucht man nicht drüber reden.“ (SL_10_MGU, Z. 494)

SL_10_MGU beschreibt, dass, wenn die Empfehlungen der Schulaufsicht nicht beachtet, man einiges an Gegenwind erlebe: „Von anderen Schulen. Von der Schulaufsicht. Ja. Aber das halte ich leicht aus.“ (Z. 556). In dieser Passage wird deutlich, dass SL_10_MGU nach eigenen Logiken entscheidet – das Verständnis der Umwelt ist ebenfalls mehr jenes eines Fundus als jenes eines rigiden Vorgabekorsetts.

Prinzipiell, so die Angaben von SL_10_MGU spiele die Schulaufsicht keine große Rolle:

„Also, Schulaufsicht – ist null“ (SL_10_MGU, Z. 75)

SL_10_MGU führt aus, dass vor allem interne Teams für die eigene Orientierung wichtig seien.

SL_10_MGU beschreibt im Zuge eines Bauvorhabens die Beziehungsgestaltung zwischen Schule und Gemeinde als schwierig, da beide Institutionen unterschiedliche Fokusse hätten:

Das ist schwierig, ganz schwierig. Weil, für mich jetzt weniger, weil ich über Jahrzehnte mit den Gemeinden zu tun habe. Das weiß ich schon, worauf ich aufpassen muss. Und wo ich weiß, da komm ich nicht weiter. Aber im Zuge des Umbaus natürlich haben wir auch Lehrpersonen gehabt, die mit in Gemeindeversammlungen waren usw. Da gelingt es nicht gut. Weil natürlich die Gemeindevertreter leider andere Interessen haben als Lehrpersonen. Wir haben das pädagogische und die Schüler/-innen im Fokus. Und die Gemeinde hat das Geld im Fokus. Eindeutig. Da zählen nur die Euros. Ja. Mit dem muss man lernen umzugehen.“ (SL_10_MGU, Z. 693 ff.)

Eine entscheidende Anspruchsgruppe sind für SL_10_MGU die weiterführenden Schulen.

Dabei zeigt sich deutlich, dass SL_10_MGU große Unterschiede in der Wertigkeit der Rückmeldungen aus weiterführenden Schulen macht. Vor allem die Rückmeldungen der HTL und der HAK sind relevant, Rückmeldungen aus anderen weiterführenden Schulen werden weniger hervorgehoben (vgl. Z. 909 ff., 957 ff.).

„Wir haben in den letzten Jahren viele Gespräche geführt mit weiterführenden Schulen. Die haben uns dann rückgemeldet, wo sie Wünsche hätten. Wir haben das dann auch befolgt.“ (SL_10_MGU, Z. 80 f.)

Grundsätzlich wurden seitens SL_10_MGU wenig unterschiedliche Akteursgruppen genannt.

Bei der Frage nach der Außenwirkung gibt SL_10_MGU fast immer zwei Gruppen an – die Schüler/-innen und die Eltern: „Wieder für unsere Klientel. Eltern und Schüler.“ (SL_10_MGU, Z. 582)

Es wird angegeben, dass die drei wichtigsten Anspruchsgruppen die folgenden sind (vgl. Z. 1197):

  1. 1.

    Eltern

  2. 2.

    Schüler

  3. 3.

    weiterführende Schule

Die Umweltwahrnehmung von SL_03_OGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.15
figure 15

Übersicht Akteursgruppen SL_10_MGU (eigene Darstellung)

Falldarstellung 11 – SL_11_MGU

Bereits die Darstellung der genannten Akteursgruppen verdeutlicht, dass SL_11_MGU viele unterschiedliche Gruppen in der schulischen Umwelt wahrnimmt. Dabei wird neben einer grundsätzlich positiven Einstellung zu den Kooperationsmöglichkeiten auch eine Überforderung durch die vielen unterschiedlichen Ansprüche beschrieben:

„[...] weil einfach die Menge zu viel ist. Ich habe ganz lang gebraucht, mich zu orientieren, von wem kommt es, hat es eine unterschiedliche Wertigkeit [...]“ (SL_11_MGU, Z.241)

Besonders in der Darstellung des Verhältnisses zu den Schulerhaltern wird sichtbar, wo die institutionelle Umwelt für SL_11_MGU als Limitation erfahrbar wird.

„[...] mehr Interesse würde ich mir auf alle Fälle vorstellen, ich hab sie eingeladen teilzunehmen, [...], dass sie mitfahren, [...] keine Rückmeldung von irgendjemandem aus den sechs Gemeinden. Ich hätte sie jetzt wieder eingeladen, [...] sich einmal ein Bild zu machen. Ich kann eigentlich nichts entscheiden – so habe ich es versucht rüber zu bringen – wo ich mir nicht selbst ein Bild vor Ort mache - keiner schaut in die Schule hinein.“ (Z. 567 ff.)

Auch wird bemängelt, dass die Anspruchsgruppe der Schulerhalter zwar bestimmte Ansprüche stellt, SL_11_MGU im Ort jedoch in anderen Belangen wenig Mitspracherecht eingeräumt wird (vgl. Z. 669 ff.).

Auch die abschließende Bemerkung, was die Aufgabe der Schulleitung sei, lässt Rückschlüsse auf das Verständnis und die Ansprüche der Umwelt zu:

„Und dann bin ich aber auch fehl am Platz, es ist die Aufgabe der PSI und meine Aufgabe als Schulleiter/-in [das NMS-Konzept umzusetzen] und wenn ich das nicht mache, dann bin ich da eigentlich fehl am Platz.“ (Z. 816 ff.)

Im Qualitätsbereich Kommunikation und Zusammenarbeit werden von SL_11_MGU viele unterschiedliche Gruppen genannt – dies wird wie folgt begründet:

„Wer für mich der Wichtigste ist? Ich kann nur sagen, für mich sind diese 4 oder 5 Organisationen irrsinnig hilfreich in der NMS-Entwicklung.“ (Z. 421)

„[...] Schlussendlich müsste ich mich aufgrund meiner Dienstpflichten nach der Schulaufsicht richten.“(Z. 429 f.)

Die Schulaufsicht spielt in der institutionellen Umwelt eine maßgebliche Rolle (vgl. Z. 325). Durch die Beschreibungen von SL_11_MGU wird jedoch auch klar, dass die Vorgaben nicht als „top-down“-Verordnung wahrgenommen werden, sondern als „Stütze und Orientierung“ (ebd.), was wiederum eher auf ein Verständnis der Umwelt als Ermöglichungsraum hindeutet.

Für SL_11_MGU sind außerdem die Lehrpersonen mit besonderer Funktion eine weitere wichtige Quelle für Austausch (vgl. 59; 297)

„Ja. Lerndesigner haben für mich da auch wieder ganz eine wichtige Rolle. Weil die sind professionalisiert.“ (Z. 348 ff.)

Die Nennung der drei wichtigsten Anspruchsgruppen deckt sich mit den Aussagen im Interview (Abbildung 4.16).

  1. 1.

    Schulaufsicht

  2. 2.

    Schulentwicklungsteam (SET-Team)

  3. 3.

    Fort- und Weiterbildner/-innen/ Entwicklungsbegleitung

Die Umweltwahrnehmung von SL_11_MGU kann als vermehrt konstitutionstheoretische Sichtweise (translatives Verständnis zum Teil jedoch auch inkorporiertes Verständnis) beschrieben werden.

Abbildung 4.16
figure 16

Übersicht Akteursgruppen SL_11_MGU (eigene Darstellung)

Nach der Betrachtung aller Fälle kann zusammenfassend Folgendes festgehalten werden: Die Nennung der Akteursgruppen der institutionellen Umwelten und die Wahrnehmung des Umwelt-Organisations-Verständnisses unterscheiden sich zum Teil deutlich voneinander. Dabei besteht die Unterschiedlichkeit nicht nur in der rein quantitativen Nennung der Akteure, sondern auch in der wiederkehrenden Nennung sowie der institutionellen Zuordenbarkeit der genannten Gruppen. Während einige SL ihre institutionelle Umwelt durch häufige Nennung interner Akteursgruppen charakterisieren (vgl. SL_10, SL_9, z. T. SL_04), werden in anderen Beschreibungen vielfach externe Akteursgruppen mit pädagogischen Hintergründen (Fort- und Weiterbildung, Entwicklungsbegleitung, andere SL sowie Fachexperten und -expertinnen bzw. Fachliteratur) genannt (vgl. SL_03, SL_05 und SL_07). Als interne Bezugsakteure wurden häufig Lehrpersonen mit besonderer Funktion benannt. Die häufigste Funktion, die dabei erwähnt wurde, war jene der Lerndesignerin/ des Lerndesigners, gefolgt von SQA-Beauftragten und Lehrpersonen, die eine bestimmte Zusatzqualifikation vorweisen konnten bzw. als Fachvorstände/FachvorständinnenFootnote 14 agierten. Gerade im Zuge von Schulentwicklungsprozessen wurden diese Akteursgruppen häufig genannt. Die Falldarstellungen SL_04, SL_06 und SL_11 weisen überdies eine hohe Anzahl an Nennungen im Qualitätsbereich Zusammenarbeit und Kommunikation auf – hier wird eine Vielzahl an externen Akteursgruppen genannt.

Alle SL nannten die Schulaufsicht als Akteur. In der Detailbetrachtung konnte jedoch deutlich unterschieden werden, welche Rolle die Schulaufsicht – hier gemeint in Form der Pflichtschulinspektorin/des Pflichtschulinspektors (PSI) – in der institutionellen Umwelt der Schulleitenden einnimmt (unterstützend/ermöglichend oder vorgebend/anweisend). Auf diesen Aspekt wird in der der vertieften Analyse der kontrastiven Falldarstellung weiter eingegangen.

Eine weitere Akteursgruppe, die von allen Schulleitenden genannt wurde, waren die Eltern. Die Nennung dieser Akteursgruppe erfolgte vor allem auf die Frage, welche Akteursgruppe in den entsprechenden Qualitätsbereichen für die Außenwirkung der Schule besonders relevant sei. Damit lässt sich auch in der nachfolgenden Einzelanalyse der Qualitätsbereiche der hohe Wert der Akteursgruppe Eltern erklären. Die explizite Nennung von Fachexperten und -expertinnen erfolgte in vier Fällen (SL_01, SL_03, SL_04, SL_05).

In Tabelle 4.2 erfolgt noch einmal eine Gesamtübersicht über alle als direkte Anspruchsgruppen definierten Akteursgruppen, die jeweils am Ende der Interviews von den Schulleitenden als die drei bzw. vier wichtigsten Akteursgruppen genannt wurden. Im Überblick zeigt sich, dass insgesamt sechs der elf Leitenden angaben, dass die Schulaufsicht sowie die beiden Gruppen „Schüler/-innen“ und „Eltern“ relevante Anspruchsgruppen seien. Insgesamt fünf Mal wurden die „weiterführenden Schulen“ genannt und „Lehrpersonen mit besonderer Funktion“ erhielten in Summe vier Nennungen.

Tabelle 4.2 Übersicht über die drei relevanten Anspruchsgruppen aller Schulleitenden (eigene Darstellung)

4.2.2 Strategien zur Wahrnehmung (Dimension „wahrnehmen“)

Mit der Darstellung der institutionellen Umwelten, wie sie von den SL wahrgenommen und durch die Nennung einzelner Akteursgruppen beschrieben werden konnten, wurde bereits ein erster Prozess der Wahrnehmung dargestellt. Die Wahrnehmung und Beschreibung der Akteursgruppen hat Auswirkungen auf die weiteren Entscheidungen, die im Zusammenhang mit Schulentwicklungsvorhaben getroffen werden.

Eine entscheidende Frage dabei ist, auf welche Weise bzw. mit welchen Strategien SL ihre institutionelle Umwelt wahrnehmen. Dabei konnten unterschiedliche Zugangsweisen resp. Instrumente aus den Interviews herausgearbeitet werden. Im Folgenden werden die Befunde entlang des entwickelten Kategorienschemas dargestellt. Die Reihenfolge der Strategien ist nicht gleichzusetzen mit der Häufigkeit der Nennung. Alle Strategien verstehen Wahrnehmen in der Absicht, Informationen über Erwartungen, die an die SL bzw. die Standorte gerichtet werden, zu erhalten.

Die Wahrnehmungsstrategien lassen sich entlang unterschiedlicher Achsen beschreiben. Eine Achse vollzieht sich zwischen „strukturiert“ und „unstrukturiert“. Beispielsweise gaben die SL an, dass Ansprüche in Form von institutionalisierten Prozessen an sie herangetragen werden. Dies geschieht etwa durch Erlässe und neue Gesetze, die den SL über den Dienstweg kommuniziert werden. Auch durch die verpflichtende Teilnahme an SL-Konferenzen erfahren die Leitenden Neues. Auf der anderen Seite gibt es Situationen, in denen die SL mit Informationen konfrontiert werden, auf die sie nicht vorbereitet sind. Dies kann z. B. in Form von Medienberichten geschehen, in denen SL von Ansprüchen erfahren, die sie und ihren Standort betreffen.

Eine weitere Achse beschreibt die Spannungspole zwischen intendierter Wahrnehmung und ad- hoc-Beobachtungen. In den Interviews wurden Wahrnehmungsstrategien beschrieben, bei denen die Schulleitenden gezielt Unterrichtsbesuche durchführten und formale Entwicklungsgespräche mit Lehrenden ihres Schulstandortes abhielten. Auf der anderen Seite berichteten die Interviewten von spontanen Gesprächen im Kaffeezimmer sowie von Beobachtungen, die sich auf ihrem Weg durch das Schulhaus ergaben. In beiden Fällen bilden sich die Strategien in der Kategorie „persönlicher Kontakt“ ab.

Die dritte Achse lässt sich als Spannungspaar zwischen punktueller und universeller Wahrnehmung beschreiben. Dabei ist gemeint, dass die Schulleitenden, je nachdem, welche Akteursgruppe für sie von besonderer Bedeutung ist, mehr oder weniger sensibel auf deren Anliegen bzw. Rückmeldungen reagieren. Ein Beispiel hierfür ist das Wahrnehmen über das Weiterkommen der ehemaligen SL. Jene SL, die die weiterführenden Schulen als besonders relevante Akteursgruppe beschrieben haben, gaben auch in ihren Wahrnehmungsbeschreibungen an, sich regelmäßig darüber zu informieren, wie es den ehemaligen Schüler/-innen an den weiterführenden Schulen ergeht. Bei jenen Schulleitenden, bei denen eine wenig ausdifferenzierte Akteurslandschaft zu verzeichnen war, konnten eher punktuelle Wahrnehmungsstrategien aufgezeigt werden (vgl. SL_10_MGU; SL_06_MGU), wohingegen bei Schulleitende, die eine breite Varianz an Akteursgruppen vorwiesen (vgl. SL_03_OGU, SL_02_MGU, SL_07_OGU, SL_11_MGU), auch die Wahrnehmungsaspekte einen universelleren Charakter hatten.

Eine letzte Achse lässt sich zwischen nach innen und nach außen gerichteter Wahrnehmung bilden. Diese Achse zeigt sich in den Kategorien „externes Feedback“ und „internes Feedback“. Dabei konnten aus den Interviews unterschiedliche Orientierungspunkte bzw. Marker für die Wahrnehmung herausgearbeitet werden. Während für einige Schulleitende vor allem externe Rückmeldungen besondere Bedeutung hatten und sich die Wahrnehmung vor allem auf diese Akteursgruppen richtete, gaben andere Leitende an, vor allem nach innen gerichtet hinzuspüren (i.S. von sensing), um zu schauen, was gefordert bzw. gewünscht wird. Hinsichtlich der zur Unterstützung der Wahrnehmung herangezogenen Instrumente wurden markante Unterschiede erkennbar: Während einige SL selbst Umfragen in Form von Fragebögen konzipierten (SL_01_OGU, SL_07_OGU), griffen andere auf bereits existierende Evaluationsinstrumente zurück (SL_02_MGU, SL_11_MGU). Wieder andere SL nutzten keinerlei Instrumente, um von den für sie relevanten Anspruchsgruppen Informationen zu erhalten (SL_10_MGU).

Vielfach lassen sich durch das Wahrnehmen nicht direkt Erwartungshaltungen ableiten; dies geschieht durch zusätzliche Prozesse wie etwa Reflexionen oder Vergleiche. Diese beiden Kategorien lassen sich keiner Achse zuordnen. Eine besondere Strategie soll zuletzt noch herausgegriffen werden, da sie vor allem im Zusammenhang mit den weiterführenden Schulen aufschien: die Strategie der Zuschreibung. Obwohl viele Standorte angeben, keinen Austausch mit den weiterführenden Schulen bzgl. pädagogischer Themen zu pflegen, so wird doch vielfach angenommen, dass bestimmte Inhalte und didaktische Methoden seitens dieser Akteursgruppe erwartet werden. Diese Form der Wahrnehmung hat Auswirkungen auf die sich darauf stützenden responsiven Handlungen in der Schulentwicklung.

Die folgende Tabelle 4.3 zeigt aus Sicht der befragten Schulleitenden Ausgangspunkte und Prozesse der Wahrnehmung. Die Kategorien werden mit Zitaten, die aus den empirischen Daten exzerpiert wurden, unterlegt.

Tabelle 4.3 Kategorien und Unterkategorien zu Strategien und Wahrnehmungen

4.2.3 Beschreibung der wahrgenommen Akteursgruppen (Dimension „wahrnehmen“)

Um auf die einzelnen Akteure noch einmal gesondert eingehen zu können, folgt im Anschluss eine graphische Darstellung der Verteilung der Nennung der Akteursgruppen innerhalb der im episodischen Interviewformat abgefragten sechs Qualitätsbereiche. Die graphische Darstellung wurde gewählt, da die unterschiedliche Schwerpunktsetzung in den Bereichen dadurch besonders gut zum Ausdruck gebracht werden kann. Ergänzend zu den Darstellungen erfolgt eine, durch ausgewählte Zitate unterstützte, Zusammenfassung der Ergebnisse. Dabei werden die genannten Akteure in ihren unterschiedlichen Wahrnehmungen präsentiert. Die Unterteilung der Akteursgruppen geschieht wie folgt: interne Gruppe (Selbstbezug, Schüler/-innen, Kollegium, Lehrpersonen besonderer Funktion (LP mit besonderer Funktion), Schulentwicklungsteam (SE-Team), Vorgänger/-innen, Schulwart, Freizeitpädagogen/-pädagoginnen), semi-interne Gruppe (Schulforum, Eltern, Schulaufsicht, Schulpsychologie, Schulsozialarbeiter/-innen, Mitarbeiter/-innen des Pädagogischen Beratungszentrums (PBZ)) semi-intern ohne pädagogischen Bezug (Schulärztin /-arzt, Abteilung Bildung (Juristinnen/Juristen und Sachbearbeiter/-innen), Schulerhalter, externe Gruppe mit pädagogischem Bezug (Fachexperten/-expertinnen/ Literatur, Fort- und Weiterbildner/-innen, Schulentwickler/-innen, andere Schulleiter/-innen, Vertreter/-innen anderer Schulen, Vertreter/-innen weiterführender Schulen, Volksschulvertreter/-innen, Bundesinstitut für Innovation und Entwicklung (BIFIE), externe Gruppe ohne pädagogischen Bezug (Wirtschaft, Gemeinde, Vereine, Pfarrer, Medien, private Kontakte, Statistiken, Politik). Da die Akteursgruppen, die genannt werden, nicht mit Anspruchsgruppen gleichzusetzen sind, wird für die Beschreibung der Qualitätsbereiche der neutralere Begriff „Akteursgruppe“ gewählt.

Qualitätsbereich 1

Abbildung 4.17
figure 17

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 1 (eigene Darstellung)

Für den Qualitätsbereich Lernen und Lehren kristallisiert sich sowohl in der Gruppe der schulinternen Akteure, der semi-internen Gruppe (Schulaufsicht) als auch der externen Gruppe mit pädagogischem Bezug (Fort- und Weiterbildner/-innen) eine Mehrfachnennung heraus (Abbildung 4.17).

In der Gruppe der internen Akteure spielen vor allem Lehrpersonen mit besonderer Funktion eine besondere Rolle – allen voran die/der Lerndesigner/-in (LD). Dabei handelt es sich um eine Funktion, der mit dem Roll-Out-Prozess der Neuen Mittelschule eine besondere Aufgabe zuteilwurde. Lerndesigner/-innen nahmen gemeinsam mit den SL an bundesweiten Treffen teil, bei denen beide umfangreich (über 1,5 Jahre hinweg) mit dem neuen pädagogischen Konzept vertraut gemacht wurdenFootnote 15. Angedacht als Multiplikator/-innen, verantworteten die Lerndesigner/-innen qua ihrer neuen Funktion die Begleitung der Transformationsprozesse hin zu den neuen pädagogischen Konzepten der Neuen Mittelschule an den Schulstandorten mit. Dabei wird diese Rolle in den Interviews unterschiedlich wahrgenommen. Zum einen als „Sparringpartner/-in“, aber vielfach auch als „Inputgebende/-r“.

Lerndesigner/-in als Unterstützung und Sparringpartner/-in:

„Das muss ich jetzt wirklich sagen, das bestimme ich und ich hole mir da natürlich teilweise schon meine/-n Lerndesigner/-in und erklär ihr/ihm das, was ich da bei der Konferenz will und diesen Part übernimmt sie/er dann[...]“ (SL_01_OGU, Z. 49)

„Dann ist für mich mein/-e Lerndesigner/-in eine ganz starke Ansprechperson. Dann überlegen wir uns, was wäre in welcher Reihenfolge in der Schule umsetzbar, und wie bringen wir es zu den Lehrern. Dann meistens eine Konferenz, und da wird es vorgestellt, und dann schauen wir wie wir das umsetzen. Das ist so der Weg.“ (SL_04_MGU, Z. 1536 ff.)

„Das sagt mir eigentlich nur (ah) die/der Lerndesigner/-in manchmal: Das musst du. Da müssten wir noch was machen. (ah).“ (SL_05_OGU, Z.690)

„Und nachher (ah) hole ich mir die Koordinatoren, oder meine/-n SQA, oder meine/-n Lerndesigner/-in einfach in der Konferenz, ähnlich einer Kurzkonferenz zusammen und dann besprechen wir das.“ (SL_07_OGU, Z. 429 f.)

„[...] Immer wenn sie/er dann wieder, wenn sie/er – sie/er ist ja momentan in Ausbildung und da können wir dann über das reden – sie/er wieder Neues erfahren hat oder da wo wir der Meinung sind, da sind wir noch nicht so weit, da müssen wir wieder ein bisschen mehr dahinter sein, da ist die/der Lerndesigner/-in für mich ganz wichtig.“ (SL_09_OGU, Z. 331)

Lerndesigner/-in als Inputgebende/-r

„Also schulintern kommen sie von dem/der Lerndesigner/-in […]“ (SL_04_MGU, Z. 135)

„Dass ich den einzelnen Lehrern, die Fortbildungen gegangen sind, den Auftrag gebe, sie sollen das, was wichtig war und was in den Unterricht einfließen kann, den Kolleginnen und Kollegen weitergeben.“ (SL_08_OGUZ. 262)

„Die wichtige Rolle hat einmal die/der Lerndesigner/-in“ (SL_02_MGU, Z .241)

Die beiden weiteren Gruppen, die im Zusammenhang mit Lernen und Lehren häufig genannt wurde, sind die Eltern und die Schulaufsicht. Zu der Akteursgruppe Eltern kann festgehalten werden, dass meist bei der letzten Frage – „Welchen Stellenwert hat diese Qualitätsdimension für die Außenwirkung?“ – die Antwort kam: „Einen hohen Stellenwert“. Auf die vertiefte Frage “Für welche Anspruchsgruppe?“ war die Antwort: „Für die Eltern“. Die Nennung dieser Gruppe erfolgte nur im Zusammenhang mit der Außenwahrnehmung – nicht in direktem Zusammenhang mit der Qualitätsdimension. Die Ergebnisse für die Schulaufsicht beziehen sich in erster Linie auf die/den Pflichtschulinspektor/-in (PSI) des Bezirks. Vor allem, da diese/-r in der Qualitätsdimension „Lernen und Lehren“, bedingt durch die Entwicklungsziele auf Bundes- und Landesebene, starke Akzente auf regionaler Ebene gesetzt hat. Auch dabei differiert die Wahrnehmung der Akteursgruppe deutlich.

Zum Teil wird diese Akteursgruppe auch ambivalent betrachtet, als Gruppe, die Vorgesetzte, aber gleichzeitig auch als „unterstützende Institution“.

Schulaufsichtsvertreter/-innen als Unterstützung

„Ich sehe die Schulaufsicht wirklich als Unterstützung, um eine gute Schule zu sein. Erstens bei den Entwicklungsplänen: Sind wir, sind wir richtig unterwegs? Welche nächsten Entwicklungsschritte müssen gesetzt werden. (SL_11_MGU, Z. 314 ff.)

„Ja, die muss mir ja auch Orientierung geben. Also aus meiner Sicht. Sie gibt mir absolut… Sie gibt mir Stärke und Orientierung“ (SL_11_MGU, Z. 325 f.)

„Ja das ist auch interessant, weil die Schulaufsicht, die vorgehende, war für mich überhaupt nicht relevant, [...]. Mit der [jetzigen] kann ich gut und da hat ‘s auch eine Bedeutung gekriegt. [...].“ (SL_03_OGU, Z. 367)

„Ich empfinde [sie/ihn] als wertschätzend und große Hilfe.“ (SL_04_MGU, Z. 431 f.)

„Ist ein starker Partner, der uns Schulleiter sehr stützt.“ (SL_04_MGU, Z. 846)

„Die Schulaufsicht ist momentan eher so involviert, dass wir bei den Direktorenkonferenzen einfach immer wieder darauf hingewiesen werden, was wichtig ist, worauf wir schauen sollen.“ (SL_07_OGU, Z. 109)

Schulaufsichtsvertreter/-innen als Vorgebende/-r

„Schulaufsicht – weil das einfach ein MUSS ist und für mich eine gute Orientierung“ (SL_11_MGU, Z. 825)

„Es kommt hie und da was daher. Und man merkt dann schon, ob es wichtig war oder nicht. [...] Dann weiß man: Okay, jetzt wird es wichtig, wenn sie das Thema aufgreifen. Aber ich täte schon sagen, im Schnitt kommen Reformen, die durchgezogen werden sollen, von der Schulaufsicht.“ (SL_05_OGU, Z. 925 ff.)

„Da ist wirklich eine Hierarchie, so eine Maschinerie in Gang gekommen. Nicht? Die Ausdrücke IST, BIS ZUM, IST ZU, das hat man früher nicht so gehört. Wie soll man denn sagen? Deshalb ist man bei den Lehrern auf Widerstand gestoßen. Nicht? AB SOFORT IST ZU.“ (SL_05_OGU, Z. 1173)

Im Bereich der Akteure aus dem Bereich „extern mit pädagogischem Bezug“ sind zwei Gruppen in dieser Dimension hervorzugeben. Dies sind zum einen die Fachexpert/-innen und zum anderen die Fort- und Weiterbildner/-innen.

Fachexpert–/-innen wurden insgesamt von sechs SL genannt, wobei vor allem SL_03_OGU (vgl. Z. 15, 393, 75) diese Gruppe als besonders relevant betrachtete.

„Also daran orientiere ich mich einerseits eben an der Szene also Bildungsbericht und andererseits an den, ah Felix Winter und Thorsten Bohl [...]“ (SL_03_OGU, Z. 75 ff.)

Die zweite häufig genannte Gruppe in dieser Kategorie ist jene der Akteure aus dem Bereich der Fort- und Weiterbildung. Zu dieser Gruppe zählt zum einen das Zentrum für lernende Schulen (ZLS), das die Neuen Mittelschulen in ihrer Entwicklung begleitet hat. Zum anderen sind in diesem Zusammenhang die Fort- und Weiterbildner/-innen im Allgemeinen, die insbesondere über die Pädagogischen Hochschulen Fortbildungsveranstaltungen leiten, sowie die im Rahmen der Modellregion Bildung Zillertal in zu unterrichtsrelevanten Themen abgehaltenen regionalen Fort- und Weiterbildungsformate im Besonderen angesprochen. Die Fort- und Weiterbildung fungiert vor allem als Impulsgeber:

„ZLS ist sehr wichtig“ (SL_04_MGU, Z. 1481)

„Die NMS Vernetzungsseite bietet ja sehr viel an Materialien, das ist praktisch ein Ozean“ (SL_05_OGU, Z. 19 f.)

„Von dem, was ich von meinen Schulleiterkonferenzen und von meinen Fortbildungen lerne.“ (SL_09_OGU, Z.790 f.)

„Modellregion ist für mich auch eine Professionalisierung.“ (SL_11_MGU, Z. 160)

Qualitätsbereich 2

Abbildung 4.18
figure 18

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 2 (eigene Darstellung)

Im Zusammenhang mit der Qualitätsdimension „Professionalisierung und Personalentwicklung“ wurde – neben internen Gruppen wie dem Kollegium und Lehrpersonen mit besonderer Funktion – als semi-interne Gruppe wiederum die Eltern genannt. Als weitere Gruppe aus dem Bereich „extern mit pädagogischem Bezug“ lässt sich noch jene der anderen SL sowie der Fort- und Weiterbildner/-innen identifizieren (Abbildung 4.18).

Die beiden internen Gruppen, Kollegium und Lehrpersonen mit besonderer Funktion, spielen im Zusammenhang mit Personalentwicklung und Professionalisierung vor allem dahingehend eine Rolle, als dass diese Qualitätsentwicklungsdimension primär das Kollegium bzw. die Weiterentwicklung bestimmter Funktionen betrifft. Daher wurden diese beiden Gruppen auch häufig in den entsprechenden Interviewsequenzen genannt. Es kann dabei jedoch wieder unterschieden werden, ob die Kollegien als Anspruch stellende Gruppe dargestellt wurden oder neutral als Gruppe im Zusammenhang mit Professionalisierung.

Kollegium als fordernde Gruppe (Widerstand als Motiv):

„Die Lehrer sind relativ – so wie ich es empfinde – ein stabiles Gebilde, wenn man das so sagen darf, das an und für sich Neuerungen nicht sehr aufgeschlossen gegenübersteht [...]“ (SL_04_MGU, Z. 28 f.)

„Aber… dass wirklich mit Freude, mit Elan an Neues herangegangen wird… das erlebe ich nicht bei allen, also bei sehr vielen nicht.“ (SL_04_MGU, Z. 99 f.)

Kollegium als innovativer Motor:

„Ich habe heuer ganz gute Leute gekriegt, neue (ge), die schon sehr viel in, in, in dieser Richtung gearbeitet haben und ganz viel Schulentwicklung gemacht haben. Und die haben einfach die Kollegen infiziert. [...] Die haben sich nachher darauf einlassen und das ist dann wie so ein Lauffeuer (ge), hat sich das verbreitet.“ (SL_07_OGU, Z. 700 f.)

„[...] wir können goldene Türklinken haben [...], wenn ich nicht das Lehrerinnen- und Lehrerteam habe, das hinter der Schule steht, das vor allem den entsprechenden Blick auf die Kinder hat, dann können wir nicht Schulentwicklung machen.“ (SL_02_MGU, Z. 395)

Kollegium als steuerbare Gruppe:

„Schwierig ist immer, wenn ein Fachbereich einen großen Vorsprung hat. Und der andere Fachbereich sich eher nach hinten entwickelt - (Pausenglocke) – als nach vorne (ge). Und deswegen muss man das ein bisschen steuern, das steuert man glaube ich schon als Schulleiter, wer wohin geht und was für Ausbildungen noch zusätzlich gemacht werden.“ (SL_07_OGU, Z. 334 f.)

Kollegium als nicht zu beeinflussende Gruppe:

„Ich habe nicht versucht sie umzupolen, umzumodeln. Ich habe versucht, dass sie auf das reagieren, was uns die neue Aufgabenstellung gibt. Aber ich weiß, dass die nicht unbedingt im ganzen NMS-Bereich dann Hurra schreien. In den ganzen NMS-Thematiken Hurra schreien.“ (SL_06_MGU, Z. 768 ff.)

„Aber das ist jedem seine persönliche Sache. Muss jeder selber wissen.“ (SL_10_MGU, Z. 395)

„Bei meinem Lehrkörper ist es so, dass also nicht gerade sehr viele Lehrer da sind, die jetzt „juhu“ schreien, was ich auch nachvollziehen kann. Ich habe auch in dem Sinn fast keine Zugpferde, wie es vielleicht andere…“ (SL_10_MGU, Z. 585)

Im Zusammenhang mit der Darstellung der Akteursgruppe „Kollegium“ (auch über den Qualitätsbereich hinweg) differenzieren viele SL auch zwischen den einzelnen Fachteams.

Kollegium als heterogene Gruppe mit unterschiedlichen Logiken:

„ […] in Deutsch funktioniert das einwandfrei, weil da hab ich ja alleine schon drei Personen da, die schaffen es schon, diese anderen – Konservativen– mitzuziehen. In Englisch habe ich bei den Innovativen nur eine mehr oder weniger und relativ viele Konservative [...]. Und in Mathematik habe ich nur solche [Konservative].“ (SL_09_OGU, Z. 593).

Uns gelingt in Deutsch viel, da sind wir sehr innovativ und uns gelingt viel. Das bekommen natürlich jetzt auch die anderen mit. Und die werden schon irgendwo neugierig. Ja.“ (SL_01_OGU, Z. 178)

„Und die, und die Mathematiker, die passen auch wieder hervorragend zusammen. Also als Bewahrer.“ (SL_01_OGU, Z. 198)

Auffällig ist wiederum die Gruppe der Eltern, für die Ähnliches gilt, wie bereits bei Qualitätsdimension 1 erläutert. Diese Akteursgruppe wurde nur im Zusammenhang mit der Außenwirkung dieses Bereiches genannt. Dabei wurde ein Konnex zwischen gut ausgebildeten Lehrer/-innen, zufriedenen Schüler/-innen und zufriedenen Eltern hergestellt:

Eltern als zufriedenzustellende Gruppe:

„Und wenn das gut angekommen ist im Kollegium, dann kommt das auch nachher im Weiteren gut an bei den Schülern und damit auch bei den Eltern. Also diese, diese Schleife Richtung Eltern, die muss man genau beobachten.“ (SL_10_MGU, Z.617 ff.)

„Wenn die Lehrer professionalisiert werden, dann überträgt sich das natürlich auch auf den Unterricht. Davon profitieren die Schüler (...). Zufriedene Schüler bedeutet zufriedene Eltern. (...) Und zufriedene Eltern heißt der Ruf der Schule ist positiv.“ (SL_07_OGU, Z. 656 ff.)

Als externe Bezugsgruppe wurden vor allem andere SL genannt. Im Bezirk, in dem alle elf Schulen liegen, finden regelmäßige SL-Konferenzen statt. Dadurch besteht ein institutionalisierter Austausch unter den SL. Die Interviewten gaben jedoch (ebenfalls bezogen auf das gesamte Interview) zum Teil an, über die organisierten Treffen hinweg bei anderen SL um Rat zu suchen bzw. nachzufragen, wie bestimmte Dinge an deren Standorten umgesetzt werden.

Andere SL als Resonanz- und Bezugspunkte:

„[...] oder ich frage dann auch oft, [...] wie [die/der andere Schulleiter/-in] das jetzt macht bei der NMS- Entwicklung“ (SL_09_OGU, Z. 854)

„Die Kollegen, also die Runde der Schulleiter, die ist ganz ganz wichtig. Das ist eine sehr homogene Gruppe, im positiven Sinne, also dass wir sehr offen reden können [...]“ (SL_04_MGU, Z. 922 ff.)

Qualitätsbereich 3

Abbildung 4.19
figure 19

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 3 (eigene Darstellung)

In Bezug auf den Umgang mit Neuem kann hier wenig beschrieben werden, da es in der Auswertung eher darum geht, welche Akteursgruppe mit „Neuem“ verbunden wird. Im Qualitätsbereich „Umgang mit Neuem“ wurde besonders häufig die Schulaufsicht erwähnt (vgl. Abbildung 4.19), da Neuerungen in erster Linie von ihr an SL herangetragen werden. Dabei fungieren wiederum die Pflichtschulinspektor/-innen als die am nächsten stehende Vertreter/-innen der Schulaufsicht. Mittels SL-Konferenzen auf Bezirksebene werden die SL über Neuerungen informiert. Dabei belegen die Interviews, dass die Akteursgruppe „Schulaufsicht“ ähnlich wahrgenommen wird, wie im Bereich „Lernen und Lehren“, nämlich als vorgebende Instanz bzw. als Unterstützung bei der Umsetzung von Neuerungen. Die SL unterscheiden wiederum, ob Vorgaben zu Neuerungen aufgrund klarer gesetzlicher Vorgaben umzusetzen sind oder ob es sich lediglich um Empfehlungen handelt, die sich etwa auf die Expertise von Fort- und Weiterbildner/-innen (z. B. ZLS) stützen.

Die zweite, ebenfalls bereits dargestellte Akteursgruppe ist die Fort- und Weiterbildung. SL gaben an, vor allem auch durch Fort- und Weiterbildungen Neues zu erfahren. Diese Erfahrung wird meist durch die Kolleginnen und Kollegen, die an den Fort- und Weiterbildungen teilgenommen haben, zurück in die Schule gespielt.

Während sich die Fort- und Weiterbildner/-innen eher als Impulsgebende beschreiben lassen, wird die Akteursgruppe Schulaufsicht als Anspruch stellende Gruppe wahrgenommen. Im Zusammenhang mit der Akteursgruppe Schulaufsicht, und besonders bezogen auf diese Qualitätsdimension, merken zwei SL an, dass sie deutlich unterscheiden, ob seitens der/des PSI ein neues Gesetz oder eine Empfehlung an sie weitergegeben wird. Schulaufsichtsvertreter/-innen werden in einer vermittelnden Rolle beschrieben, die versuchen, die in juridischer Diktion verfassten Gesetze und Erlässe durch Empfehlungen und Umsetzungsvorschläge mit pädagogischem Wissen zu verknüpfen. Zum Teil orientieren sich die Vertreterinnen und Vertreter der Schulaufsicht an Vorgaben, die z. B. vom Ministerium bzw. durch das Bundeszentrum für lernende Schulen (ZLS) ausgegeben wurden. Teilweise übersetzen sie dabei nach eigenen Interpretationen. Dies führt mitunter zu unterschiedlichen Auslegungen gleicher Gesetze (vgl. SL_04_MGU,Z. 869 f.).

Schulaufsichtsvertreter/-innen als übersetzende Instanz in einer Middle-Top-Down-Konstellation:

„Natürlich da (ah) sondiere ich immer: Was ist Gesetz? Was ist Wunsch oder Empfehlung? Und dann, wenn es natürlich eine Empfehlung ist, dann versuche ich auch, das schriftlich zu haben. Also. Wünsche nicht schriftlich, aber Empfehlungen. Gesetze sind selbstverständlich schriftlich. Damit ich auch argumentieren kann, das ist der Wunsch von dieser und dieser Person. Großes Thema war zum Beispiel die „4.0-Skala“. Das war eine Empfehlung. Ich habe mir das herausgesucht, das ist wirklich als Empfehlung schriftlich festgehalten. Und dann kommuniziere ich das an mein Kollegium.“ (SL_10_MGU, Z. 443)

Qualitätsbereich 4

Abbildung 4.20
figure 20

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 4 (eigene Darstellung)

Wenn es um den Qualitätsbereich „Kommunikation und Zusammenarbeit“ geht, spielen für die SL viele Akteursgruppen eine Rolle. Dies lässt sich auch deutlich aus der Grafik ablesen. Dabei beschränken sich die Akteursgruppen nicht nur auf innerschulische Gruppen, sondern es werden vor allem auch Gruppen aus den externen Bereichen genannt (Abbildung 4.20).

Die Eltern stellen dabei wieder eine Gruppe dar, die von vielen SL genannt wurde. Trotz der häufigen Nennung divergiert die Wahrnehmung dieser Akteursgruppe beträchtlich. Eltern erheben zwar Ansprüche, diese sind aber z. T. vage; wenn sie pädagogische Ansprüche erheben, dann geht es vor allem um die Leistung ihrer Kinder und das problemlose Bestehen der Schüler/-innen in weiterführenden Schulen.

Eltern als Anspruch Stellende (allgemein):

Na, die Eltern erwarten einfach, dass man auf sie und ihre Kinder eingeht, dass man ihre Sorgen und Nöte versteht, das ist glaube ich sehr wichtig für die Eltern.“ (SL_09_OGU, Z.714)

Eltern als Anspruch stellende Akteure (in pädagogischen Belangen):

„Die Erwartungen der Eltern sind, dass ihre Kinder hier so viel lernen, dass sie dann entweder in einer Lehre oder in einer weiterführenden Schule gut bestehen können. Das ist immer das Gleiche.“ (SL_09_OGU, Z. 33)

„Ja, weil sie [Schüler/-innen], wenn sie dann ins Gymnasium gehen oder wo immer hin, dann möchten sie, dass das funktioniert.“ (SL_03_OGU, Z. 409)

„[...] Sie erwarten von uns sehr wohl, dass wir [den Kindern] die Chancen offenhalten und zugleich erwarten sie von uns, dass wir Strenge walten lassen, sozusagen. Also des Wort Strenge ist ganz stark präsent.“ (SL_03_OGU, Z.92)

„[...] geht es einfach darum, dass Eltern das Gefühl haben, dass sie [Kolllegium] mit den Kindern gut arbeiten.“ (SL_04_MGU, Z. 559)

Meist werden Ansprüche dann erhoben, wenn es zu Konfliktsituationen kommt und Eltern die SL kontaktieren (vgl. SL_09_OGU, Z. 717).

Die Wahrnehmung von Eltern als Bildungspartner/-innen wurde nur indirekt beschrieben.

„[...] Ich versuche immer Ansprechpartner zu sein, wenn die Eltern etwas brauchen dann kriegen sie sehr schnell einen Termin und werden ernst genommen.“ (SL_04_MGU, Z. 572 ff.)

Die Rückmeldungen der SL zeichnen für die Akteursgruppe Eltern ein ambivalentes Bild. Eltern stellen zwar Ansprüche, und die Wichtigkeit dieser Gruppe zeigt sich in fast allen Qualitätsbereichen, allerdings werden sie nicht als pädagogische Instanz wahrgenommen und wird ihnen vielfach die Kompetenz abgesprochen, sich zu Schulentwicklungsthemen zu äußern.

Eltern als nicht pädagogische Ansprechpartner/-innen:

„[...] Wenn die Eltern so manchmal reinkommen, dann sagen sie ‚mei, nett so schöne Zeichnungen aufgehängt und die Klassen so groß und hell.‘ “ (SL_09_OGU, Z. 766)

„Ich will jetzt nicht sagen, dass jetzt so höchst verantwortungsvolle Aufgaben [mit Eltern diskutiert werden], wie [was] jetzt im Schulunterricht drinnen ist. Bitte, wo bitte soll ein Elternteil mitentscheiden in der Schulbuchauswahl?“ (SL_01_OGU, Z. 222)

Im Bereich der externen Zusammenarbeit erwähnten die SL insbesondere jene Akteure, mit denen die Schulstandorte an den Nahtstellen zusammenarbeiten. Dabei handelt es sich um die Akteursgruppen Wirtschaftstreibende und Vertreter/-innen von Volksschulen sowie weiterführenden Schulen.

Beginnend mit der Akteursgruppe Wirtschaft konnten drei Wahrnehmungsoptionen aus den Interviews herausgearbeitet werden: Erstens Wirtschaftsbetriebe, die an Schulen herantreten, um die angebotenen Lehrbetriebe zu bewerben.

Wirtschaftsbetriebe als Bittstellende:

„[...] Ich als Schulleitung lasse auch die Betriebe in die Schule hinein. Also. Die dürfen Vorträge halten usw., wobei ich natürlich schon sage: Ihr dürft Vorträge halten über die Lehrberufe, die ihr anbietet. Ich will keine Werbeveranstaltung für deine Firma.“ (SL_07_OGU, 1247 ff.)

Wirtschaftsbetriebe als Kooperationspartner/-innen:

„Also. Betriebe sind sicher auch Kommunikationspartner.“ (SL_05_OGU, Z. 1530 f.)

Die Wahrnehmung als Anspruchsgruppe, die bestimmte Erwartungshaltungen an die Schulen stellt, wurde in den Interviews zum Teil genannt. Die Wirtschaftsbetriebe vertreten neben den weiterführenden Schulen aber auch eine Institution im Bildungssystem, zu der Schüler/-innen im Verlauf ihrer Bildungsbiographien wechseln. Sie stellen somit auch Ansprüche an die Schulen, da von den zukünftigen Lehrlingen bestimmte Qualifikationen erwartet werden.

Wirtschaftsbetriebe als abnehmende Institution im Bildungssystem:

„Ja. Das, was für die [Innungsmeister] wichtig ist, ist für uns auch wichtig.“ (SL_05_OGU, Z. 1560)

„Und wir kriegen aber auch schon die Rückmeldung, dass, wenn wir zum Beispiel die Kinder Schnuppern schicken, wie sie sich anstellen.“ (SL_07_OGU_Z.1158 f.)

„Vor allem, weil sie auch immer wieder betonen, wie angenehm die Zusammenarbeit mit uns ist und vor allem wie angenehm unserer Schüler sind.“ (SL_11_MGU, Z. 527 f.)

An der Nahtstelle von der Primarstufe und der Sekundarstufe 1 beschreiben die SL in erster Linie Kooperationsprozesse, die auf Schulleitungsebene ablaufen. Dabei werden Volksschulvertreter/-innen mehrheitlich als Ansprechpersonen (vgl. SL_11_MGU, Z. 453) und weniger als Anspruchserhebende wahrgenommen. Die Volksschulvertreter/-innen werden dann für die Schulleitenden relevant, wenn der Eindruck entsteht, dass durch bestimmte Aussagen die Reputation der Schule gefährdet wird.

„[...] Das heißt also, man versucht so gut als möglich uns auszuschalten und zu umgehen. Und das ist teilweise generiert aus ganz mieser Propaganda.“ (SL_06_MGU, Z.1008 ff.)

Die dritte Nahtstelle ist jene mit den weiterführenden Schulen. Aufgrund des österreichischen Bildungssystems gibt es eine Vielzahl an weiterführenden Schulen. Die SL meinen in den Interviews jedoch vielfach nur die höheren weiterführenden Schulen.

„Na das [ der Austausch] findet nicht statt.“(SL_03_OGU, Z. 816 f.)

„Ma, hmm, da haben wir eigentlich wenig, relativ wenig Kontakt […].“ (SL_02_MGU, Z. 972)

Was indes stattfindet, sind regelmäßige Informationsveranstaltungen für die vierten Klassen (8. Schulstufe), zu denen Bildungsberater/-innen an die Schulen kommen. Im Anschluss daran finden – auf informeller Basis – Austauschgespräche statt. Die Beziehung zwischen den Beratungslehrenden und den Schulen wird unterschiedlich gestaltet. Anhand einer Interviewsequenz kann verdeutlicht werden, dass mitunter hierarchische Beziehungsstrukturen auftreten.

„Also da haben wir sehr gute Beziehungen, die kommen sehr gerne. Und sie werden sehr gut… wir schauen, dass wir das ganz nett machen an dem Abend. Das fängt an, dass sie einen Spezialparkplatz kriegen, dass Kinder sie empfangen usw.“ (SL_04_MGU, Z. 1353 ff.)

Qualitätsbereich 5

Abbildung 4.21
figure 21

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 5 (eigene Darstellung)

Die Akteure, die in der Abbildung 4.21 zum fünften Qualitätsbereich besonders markant aufscheinen, sind die Schüler/-innen. Diese Gruppe wurde zudem von fünf SL als zentrale Anspruchsgruppe über alle Qualitätsbereiche hinweg genannt. Nichtsdestoweniger wird diese Akteursgruppe nicht als Anspruch stellende oder in Qualitätsentwicklung eingebundene Gruppe beschrieben (vgl. SL_11_MGA, Z. 626 f.), sondern als zugrundliegender Bezugspunkt für schulische Entwicklungsprozesse.

Schüler/-innen als Bezugsgruppe für Entwicklungen:

„Eine Schule zu sein … wo Chancengleichheit für alle Schüler gegeben ist.“ (SL_11_MGA, Z. 86 f.)

„Dass Schüler sich wohl fühlen, dass sie gut behandelt werden, dass wir keine disziplinären Schwierigkeiten haben [...].“ (SL_04_MGU, Z. 552 f.)

„Ja, es wollen alle das Ziel erreichen, wir wollen da den Schülern die bestmögliche Schule bieten.“ (SL_09_OGU, Z. 647)

„[...] Und wie gesagt unser Ziel ist einfach (ah) auch den Schülern einfach. Lernerfolge, Erfolge, Erfolgserlebnisse zu vermitteln.“ (SL_07_OGU, Z.671 f.)

Qualitätsbereich 6

Abbildung 4.22
figure 22

Übersicht über die Nennung der Akteursgruppen im Qualitätsbereich 6 (eigene Darstellung)

Im Qualitätsbereich „Leistung, Kompetenz und Umgang mit Evidenz“ wurden innerschulisch vor allem die Lehrpersonen mit besonderer Funktion genannt, und zwar insbesondere die SQA-Koordinator/-innen die gemeinsam mit SL die Entwicklungspläne des Schulstandortes gestalten. Auch die LD wurden als Unterstützung von den Schulleitenden genannt. Zwei Standorte (SL_07_OGU; SL_11_MGU) betonten überdies noch die Schulentwicklungsteams (SET). Als externe Bezugsgruppen wurden weiterführende Schulen sowie das Bundesinstitut für Forschung, Innovation und Entwicklung (BIFIE) genannt (Abbildung 4.22).

Weiterführende Schulen konnten im Zusammenhang mit diesem Qualitätsbereich einerseits als Anspruch stellenden Gruppe charakterisiert werden.

Weiterführende Schulen als Anspruch stellende Institution:

„[...] Das trau ich mich zu sagen und das findet jetzt langsam auch in der, in den Höheren Schulen Anerkennung.“ (SL_03_OGU, Z. 176)

„[...] Da gibt’s auch ganz massive Kritiker [...], nehmen aber Schüler, die haben bei uns ein Grundlegend 3. (SL_03_OGU, Z. 176)

Andererseits wurden sie als Indikator für gute Leistung genannt, nämlich dann, wenn die Ergebnisse (Noten) der Schüler/-innen in den weiterführenden Schulen gut waren.

Weiterführende Schulen als Indikator für gute Leistung:

„Wir reden mit diesen Referenten. Fragen sie nach den Bedürfnissen, nach dem Abschneiden unserer Schüler. Was können sie? Wo bestehen sie? Wo bestehen sie nicht? Oder wo liegen die Probleme? Also, das ist für uns eigentlich jedes Jahr eine konstante Rückmeldung.“ (SL_10_MGU, Z. 155)

„ [...] Wenn ich weiß, dass unserer Schüler, was weiß ich, zu 2/3 einen ausgezeichneten oder guten Gesamterfolg haben, dann deutet das jetzt schon darauf hin, dass auch der Unterricht ganz gut sein muss [...].“ (SL_01_OGU, Z. 24)

„Kinder, wenn sie dann unsere Schule verlassen, in den ersten Jahren positiv sind in den anderen Schulen [sind].“ (SL_09_OGU, Z. 37)

Die weiterführenden Schulen zählen außerdem über alle Qualitätsbereiche hinweg zu der am häufigsten genannten Akteursgruppe.

Eine zweite Gruppe, die im Zusammengang mit dem letzten Qualitätsbereich erwähnt wurde, ist das BIFIE. Diese Akteursgruppe wurde vor allem als Synonym für evidenzorientierte Schulentwicklung gesehen, da die Instrumente des Bildungsinstituts vielfach für die SL Auskunft über die Leistung der Schüler/-innen gaben (Bildungsstandardtestungen, Informelle Kompetenzmessungen (IKM)). Das BIFIE als Akteursgruppe stellt keine Ansprüche an die Schulleiter/-innen, die Testergebnisse können jedoch als Anlass für Entwicklung dienen bzw. von der Schulaufsicht als Indikator für den Entwicklungsstand herangezogen werden. Da das Abschneiden bei den Testungen jedoch kaum Konsequenzen nach sich zieht und die Ergebnisse auch nur für den Schulstandort und nicht im Sinne eines Profilierungsinstrumentes gedacht sind, beziehen sich die Schulleitenden nur in bestimmten Kontexten, eben z. B. im Bilanz- und Zielvereinbarungsgespräch mit der/dem Schulaufsichtsverantwortlichen, auf die Ergebnisse. Dabei ist die Sichtweise auf die einzelnen Instrumente kontrovers. Manche SL unterstrichen deren unterstützende Wirkung (SL_01_OGU, SL_07_OGU), andere gaben an, die Ergebnisse als nicht weiter wichtig zu erachten: „Oder die BISTA-Testung, aber auf die gebe ich jetzt nicht so viel.“ (SL_10_MGU, Z. 1049 f.)

4.2.4 Zusammenfassung der Dimensionen „wahrnehmen“

Durch die Darstellung der elf SL und der von ihnen genannten Akteursgruppen konnte ein Überblick geschaffen werden, der zeigt, wie unterschiedlich die institutionellen Umwelten beschrieben werden. Die Kurzporträts der institutionellen Wahrnehmung der Schulleitenden unterscheiden sich dabei nicht nur in der Nennung der relevanten Akteursgruppen, sondern auch darin, wie diese Akteursgruppen von den Schulleitenden beschrieben wurden. Ferner liefern die einzelnen Falldarstellungen erste Hinweise darauf, ob die institutionellen Umwelten von den Schulleitenden als eher beschränkend oder ermöglichend wahrgenommen werden.

Im Hinblick auf die Akteursgruppen konnte festgestellt werden, dass trotz Mehrfachnennung der gleichen oder sogar derselben Akteursgruppe von den einzelnen Leitenden unterschiedliche Beziehungs- bzw. Abhängigkeitsstrukturen skizziert wurden.

Um diese unterschiedlichen Wahrnehmungen vertieft betrachten zu können, wurden entlang der sechs Qualitätsdimensionen die jeweils am häufigsten genannten Akteursguppen auf Grundlage der Interviewdaten beschrieben. Aus diesen Beschreibungen lässt sich ein Kategorienschema ableiten (siehe Anhang).

Für die Auswertung der unterschiedlichen Akteursgruppen wurde zunächst ein theoriegeleitetes Kategoriensystem konstruiert, das auf das Modell von Sandhu (2014, S. 1165 ff.) zurückgeht (vgl. Tabelle 4.1).

Tabelle 4.4 Kategorien der Anspruchsgruppen (nach Sandhu 2014, S. 1165 ff.)

Im Laufe der kategoriegeleiteten Auswertung der Akteursgruppen konnte jedoch feststellt werden, dass sich die von Sandhu vorgeschlagene Matrix nur schwerlich auf schulische Umwelten anwenden lässt. Zum einen unterscheiden sich die Akteursgruppen für jede/-n Schulleiter/-in in ihrem Anspruch nach Dringlichkeit, Macht und Legitimität, zum anderen müssten bestimmte Akteursgruppen qua der Abhängigkeitsstrukturen des Bildungssystems Anspruchsgruppen bestimmter Ordnung sein – zum Beispiel die Schulaufsicht. Für Letztgenannte lässt sich im Zusammenhang mit Q1 jedoch zeigen, dass die Einordnung der Relevanz dieses Akteurs unterschiedlich ausfällt und dementsprechend auch unterschiedliche Eigenschaften als Anspruchsgruppe zuordenbar sind. Das Spektrum erstreckt sich von unbedeutend („Spielt keine Rolle“ (SL_10_MGU; SL_03_OGU) bis hin zu „zentrale Ansprechperson“ (SL_11_MGU). Auch die Rolle des Schulerhalters, welcher über die finanziellen Mittel der Schulstandorte befindet, ist per se gesehen eine Anspruchsgruppe, die eine hohe Legitimität und Macht aufweist, von den SL aber ebenfalls unterschiedlich wahrgenommen wird: „Sie sind für mich wichtig, weil sie für mich wichtig sein müssen.“ (SL_11_MGU, Z. 648 f.). Von SL_08_MGU wurde sie während des gesamten Interviews kein einziges Mal erwähnt.

Es wurde daher in der Auswertung auf ein offenes Kodieren übergegangen, bei welchem die unterschiedlichen Wahrnehmungen der Akteursgruppen mitberücksichtigt wurden.

Da bestimmte Akteursgruppen nur für bestimmte Schulleitende als Anspruchsgruppen zu definieren sind, wird in weiterer Folge der neutrale Begriff „Akteursgruppen“ verwendet.

4.2.5 Veränderungsempfinden Der Schulleitenden (Dimension „antworten“)

Mit der Frage nach der Qualitätsdimension „Umgang mit Neuem“ wurde vielfach in den Interviews darauf hingewiesen, dass dieser Bereich ein „Dauerthema“ sei, das die Schulen permanent beschäftige.

Ausgangspunkte für Veränderungen sind in der Regel Ansprüche, die an die Schulen gestellt werden und auf die es zu antworten gilt. Die Phase „antworten“ setzt sich insgesamt aus drei Teildimensionen, und zwar dem Veränderungsempfinden, den Mechanismen der Weitergabe und dem Leitungsverständnis der SL zusammen. Diese Teildimensionen haben sich in der theoretischen Auseinandersetzung in Kapitel 3 als besondere Faktoren des Antwortverhaltens herauskristallisiert. Vor allem durch die Erweiterung des Modells „Travel of Ideas“ nach Czerniwaska & Jorges (1996) zeigt sich, dass der Moment, in dem das Wahrnehmen mit den institutionellen Logiken zusammentrifft und daraus Handlungen bzw. dadurch Übersetzungsprozesse in Gang gebracht werden, jener ist, in dem responsive Akte entstehen. Da SL in ihrer Funktion Entwicklungsprozesse, insbesondere Reformumsetzungen, an den Schulstandorten maßgeblich mitgestalten, geht es vor allem auch um ihr Veränderungsempfinden und ihr Verständnis von Leitung (ihrer Leitungslogik), aus denen heraus sie agieren.

Begonnen werden soll zunächst mit den unterschiedlichen Ansichten der Schulleitenden zum Thema „Umgang mit Neuem“. Dieser Qualitätsbereich wurde im Zuge des episodischen Interviews extra abgefragt und ermöglicht Rückschlüsse auf das Veränderungsempfinden. Die folgenden Subkategorien orientieren sich dabei zum einen an den in Abschnitt 3.1 entwickelten theoretischen Annahmen von Veränderung als inkrementeller Wandel bzw. Veränderung als fundamentaler Wandel. Ergänzt werden diese beiden Subkategorien durch eine induktiv entstandene Kategorie, in der Veränderung per se als besondere Herausforderung für Leitende betrachtet wird.

  • Veränderung verstanden als inkrementeller Wandel

Unter dem Begriffspaar „inkrementeller Wandel“ wird laut Merkens ein evolutionärer Ablauf von Veränderungsprozessen verstanden (vgl. 2011, S. 110 f.). Dabei wird auf bereits bestehende Logiken aufgebaut bzw. können die Veränderungsprozesse gut an die bereits existierenden Logiken angeschlossen werden. Wandel vollzieht sich in einer logischen Abfolge und wird als Weiterentwicklung verstanden.

Im Zuge der Umstellung von Hauptschule auf Neue Mittelschule gaben drei Leitende an, diesen Prozess als evolutionär zu sehen. Viele etablierte institutionalisierte Abläufe, so diese, würden den neuen pädagogischen Konzepten ähneln würden (vgl. SL_01_OGU, SL_03_OGU). SL_02_MGU gab an, dass durch die Transformation zur Neuen-Mittelschule-Formate, die an der Schule eingerichtet wurden, einen besonderen Aufschwung erlebten:

„Und mit der Umstellung dann auf die Neue Mittelschule ist eigentlich dieses offene Lernen ganz extrem auf fast alle Klassen übergeschwappt.“ (SL_02_MGU, Z. 116).

SL_07_MGU bemerkt, dass am Schulstandort ein regelrechter Schub in der Reformumsetzung zu verzeichnen war, da neue Kolleginnen und Kollegen das bereits in der Theorie vorhandene Wissen der anderen Lehrenden mit praktischen Beispielen unterlegen konnten:

„Ich habe heuer ganz gute Leute gekriegt, neue , die schon sehr viel in dieser Richtung gearbeitet haben und ganz viel Schulentwicklung gemacht haben. Und die haben einfach die Kollegen infiziert. Weil sie ihnen etwas gezeigt haben was, was bis dato eher nur das Theoretische war.“ (SL_07_MGU, Z. 699 ff.)

  • Veränderung verstanden als fundamentaler Wandel

Veränderung verstanden als fundamentaler Wandel entspricht laut Merkens einem revolutionären Ansatz (vgl. 2011, S. 110 f.). Dabei werden Neuerungen bzw. veränderte Ansätze als wenig anschlussfähig und schwerlich mit existierenden Logiken in Einklang zu bringen empfunden. Bereits gefestigte institutionelle Vorstellungen werden in Frage gestellt bzw. müssen laut Vorgaben verworfen werden (z. B. äußere Differenzierung).

Ein Verständnis von Veränderung als fundamentaler Wandel wird zum Beispiel zum Ausdruck gebracht, indem die Neuerungen als Einschränkung verstanden werden, als Zwang, Dinge anders zu machen:

„Ja, die Eindimensionalität dahingehend, dass es jetzt nur mehr eine Wahrheit gegeben hat. Und diese Wahrheit hat zu verfolgt werden und diese Wahrheit wurde uns mit erhobenem Zeigefinger dann präsentiert und die haben wir dann machen müssen.“ (SL_06_MGU, Z. 91 ff.)

Veränderung verstanden als „fundamentaler Wandel“ bedeutet auch, dass vorherrschende Logiken auf einmal nicht mehr zur Verfügung stehen und somit ein Vakuum bzw. ein Moment der Unsicherheit entsteht, in dem Entscheidungen getroffen bzw. neue Ankerpunkte gesucht werden müssen:

[...] Neu heißt immer Veränderung. Das heißt, ich verlasse das sichere Gelände. Und das ist immer mit Angst verbunden. Und es gibt halt Lehrpersonen, die da drauf einsteigen und sagen: Okay. Neues ist Entwicklung. Und es heißt was Gutes. Aber viele haben auch einfach Angst, alles falsch zu machen. (SL_07_OGU, Z. 1028 ff.)

„Das Problem, das wir haben, und das auch ich habe, das ist in vielen Belangen die Unsicherheit [...]. Und da ist sicher auch das Riesenproblem, jetzt haben wir, glaube ich, das achte Jahr die Neue Mittelschule, und wir sind immer noch beim Experimentieren.“ (SL_08_MGU, 117 ff.)

  • Veränderung verstanden als besondere Herausforderung für Leitende

Diese Subkategorie beschreibt nicht die konkrete Reaktion auf Veränderungen, sondern in den dieser Kategorie zugeordneten Interviewpassagen geht es allgemein um die Ansprüche, die an SL herangetragen werden und die eine Veränderung nach sich ziehen. Vielfach, so kann aus den Interviews entnommen werden, begegnet SL Widerstand aus dem Kollegium, wenn Neuerungen eingeführt werden sollen. Dies wird als Herausforderung wahrgenommen.

„[...] sie [Kolleginnen und Kollegen] sind von mir tief enttäuscht, weil ich ja auch schon so lange da bin und jetzt auf einmal von ihnen verlangen, dass wir da einiges verändern und das mögen sie gar nicht [...].“ (SL_09_OGU, Z. 607)

„Wobei vielleicht für mich das Problem aufkommt, dass doch einige Lehrer eher im – sage ich jetzt – alten System stark verhaftet sind und sich sehr schwer tun, sich auf das neue NMS-System einzustellen.“ (SL_08_MGU, Z. 84 f.)

SL_07_OGU begründet diesen Widerstand mit einem professionellen Verständnis, das sich als typische Mentalität bei Lehrer/-innen zeigen würde:

„[...] Lehrer oder generell. Wir warten immer auf Patentrezepte.“ (SL_07_OGU, Z. 158)

Gerade Reformen, die keine Blaupausen zur Umsetzung mitliefern, erfordern im Antworten auf die Ansprüche eine gesteigerte Eigeninterpretation und ein Maß an kokonstruktivem Herangehen.

Es zeigt sich in den Interviews, dass, je nachdem wie Veränderungsansprüche von den SL beschrieben wurden, eine direkte Verbindung zur Weitergabe dieser Ansprüche und eine sich daraus ergebende Erwartungshaltung seitens der Leitenden gegenüber ihren Kollegien generiert wurden. Im zweiten Teil der Dimension „Antworten“ werden daher die Weitergabe-Mechanismen konkret in den Blick genommen.

4.2.6 Mechanismen der Weitergabe (Dimension „antworten“)

Im Zusammenhang mit dem Aspekt der Weitergabe von Informationen muss zunächst noch einmal aus den Interviews rekonstruiert werden, über wen Neues in die Schule kommt. Ein zentraler Kanal ist dabei die Schulaufsicht, die über die SL sämtliche Gesetze, Erlässe sowie Empfehlungen zur Ausgestaltung selbiger an die Lehrer/-innen weitergibt. Hier liegt also das Informationsmonopol bei den Sl.

Im Zuge der Neuen-Mittelschulreform wurde auch den Lehrenden mit besonderer Funktion, nämlich den Lerndesigner/-innen, ein Zugang zu exklusiven Informationen ermöglicht. Durch die bundesweite Ausbildung unter der Leitung des ZLS erfuhren die LD vielfach, wie sich die Vorgaben der Neuen-Mittelschulreform in pädagogisches Handeln übersetzen lassen. Dieses Wissen wurde von den Lerndesignern und Lerndesignerinnen in ihrer Funktion als Multiplikatoren und Multiplikatorinnen zurück an die Schulstandorte getragen.

Neues wird ebenfalls durch Lehrpersonen, die z. B. an Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen teilgenommen oder an anderen Schulstandorten andere Erfahrungen gemacht haben, ins Kollegium getragen.

Im Zusammenhang mit der Dimension „Antworten“ interessiert vor allem, wie seitens der SL das neue Wissen kanalisiert wird – also mittels welcher Mechanismen eine Weitergabe erfolgt.

In Kapitel 2 bzw. in Kapitel 3 wurden die Carrier-Mechanismen vorgestellt. Scott (2014) unterscheidet insgesamt vier Mechanismen:

  • Symbolische Weitergabe

  • Relationale Weitergabe

  • Aktionale Weitergabe

  • Weitergabe durch Artefakte

Die Weitergabe erfolgt hauptsächlich in Form von symbolischer Weitergabe. Laut Scott (vgl. 2014, S. 172 f.) erfolgt bei der Weitergabe mittels „symbolic carriers“ bereits eine Interpretation bzw. eine Einbettung in eigene Logiken desjenigen bzw. derjenigen, die/der die Informationen weitergibt. Laut den SL wird als Hauptmedium für die Weitergabe von Informationen das Format der Konferenzen genutzt. Konferenz finden in unterschiedlicher Regelmäßigkeit statt und dort informieren die SL und z. T. die LD das Kollegium darüber, welche Neuerungen es gibt. Zum interpretativen Akt, wie er von Scott beschrieben wurde, gehört auch, was konkret weitergegeben wird.

„Und wir Schulleiter sitzen halt zwischen allen Stühlen. Also. Ich tu das für mich sozusagen abwägen, durchkauen und dann entscheide ich eigentlich, wieviel ich da weitergebe.“ (SL_05_OGU, Z. 1188)

„[...] und habe am Anfang sicher zu viel an Information an das Team weitergetragen. [...] Das habe ich aber dann [....] geändert“ (SL_11_MGU, Z. 243 ff.)

„ [...] wenn ich abwarte, dann kann ich schon sehr vieles abfedern. [...]. In der NMS-Entwicklung haben wir Dinge erarbeitet, die dann im Endeffekt wieder verschwunden sind. Das heißt nicht, dass sie schlecht waren, aber es war halt einfach zu viel wahrscheinlich, oder zu schnell [...]“ (SL_04_MGU, Z. 112 ff.)

Diese Form der Weitergabe wird dabei laut Leitenden von den Kollegien unterschiedlich wahrgenommen:

„[...] zuerst haben wir bei jeder Konferenz Input gemacht. Das ist als belehrend, als negativ empfunden worden. Nicht als große Hilfestellung, sondern wirklich negativ“ (SL_04_MGU, Z. 145 ff.)

Eine weitere Form der Weitergabe bzw. des Austausches mit Kolleginnen und Kollegen zu neuen Inhalten besteht in persönlichen Gesprächen mit SL. Diese Form der Informationsweitergabe erfolgt eher auf einer relationalen Weise. Scott beschreibt im Zuge der „relational carrier“ (2014, S. 174) das soziale Beziehungsgeflecht, über das Informationen weitergegeben werden. Auch findet eine gemeinsame Interpretation statt. Laut Scott erfolgt die Weitergabe einfacher und schneller, wenn ähnliche Zugänge und ein enges Vertrauensverhältnis zwischen den Austauschenden existieren. In den Interviews wird vielfach beschrieben, dass es, bevor Informationen an das Gesamtkollegium weitergegeben werden, Zwischenschritte in Form von bilateralen oder trilateralen Gesprächen mit Lehrpersonen mit besonderer Funktion gibt.

„Ich setze mich einmal damit auseinander, dass ich persönlich glaube, ein bisschen etwas davon zu verstehen. [...]. Dann ist für mich mein/-e Lerndesigner/-in eine ganz starke Ansprechperson. Dann überlegen wir uns, was wäre in welcher Reihenfolge in der Schule umsetzbar, und wie bringen wir es zu den Lehrern. Dann meistens eine Konferenz, und da wird es vorgestellt, und dann schauen wir, wie wir das umsetzen.“ (SL_04_MGU, Z. 1536 ff.)

„Also. Ich führe ja immer wieder ein Gespräch, wenn sie [Lehrende] von der Fortbildung oder von der Ausbildung kommen und ich schreibe das ja alles mit. Und nachher hole ich mir die Koordinatoren, oder meinen SQA, oder meinen Lerndesigner einfach in der Konferenz, ähnlich einer Kurzkonferenz zusammen und dann besprechen wir das. Und da ergibt sich dann oft wieder aus der Runde, aus der Diskussion der nächste Schritt.“ (SL_07_OGU, Z. 427 ff.)

Unter aktionaler Weitergabe, oder wie Scott schreibt „activities“, wird ein aktives Tun verstanden. In den Interviews konnten hierzu Weitergabe-Mechanismen rekonstruiert werden, bei denen die Leitenden ihrem Kollegium die Informationen, die sie erhalten haben, zur Verfügung stellten und sie dann baten, die Ausarbeitung der Neuerungen selbst zu übernehmen.

„[...] Das ist in verschiedenen Konferenzen, pädagogischen Konferenzen vorgestellt worden, wie man vorgehen soll, um was es geht, was die Zielrichtung ist und dann arbeiten die Lehrer das aus. Und dann mache ich es so, dass ich ab und zu, also im Jahr werden das vielleicht fünf oder sechs pädagogische Konferenzen mache, wo wieder ein Input gegeben wird und die Lehrer müssen das dann nach Fachschaften in Teams ausarbeiten.“ (SL_08_MGU, Z. 51 ff.)

„Das überlasse ich den Leuten.“ (SL_04_MGU, Z. 305 f.)

Der vierte von Scott beschriebene Mechanismus wird als Weitergabe über Artefakte beschrieben. Dabei geht es um Belegstücke bzw. Informationsschreiben, die weitergegeben werden. Die Interpretation der Inhalte erfolgt dabei bei jedem/-r Lesenden selbst. In den Interviews gaben die SL an, z. B. Artefakte des ZLS weiterzugeben. Dies können Newsletter („5minfür“) (vgl. SL_02_MGU) sein oder Handreichungen, wie etwa Praxiseinblicke (vgl. SL_05_OGU). Außerdem werden seitens der Gewerkschaften Informationsangebote gestellt (vgl. SL_07_OGU).

Wie die Interviews überdies zeigen, kann sich die Form der Weitergabe von einer passiven Adressierung des Kollegiums bis hin zu aktiven Beteiligungsstrukturen ziehen. Dies wiederum hängt eng mit dem Leitungsverständnis der SL zusammen. Daher wird darauf in der dritten Teildimension des Antwortens eingegangen.

4.2.7 Leitungsverständnisse (Dimension „antworten“)

Die dieser Teildimension zugrundeliegenden Kategorien ergeben sich aus den Schulleiterverständnissen, die in Kapitel 3 von Schratz et al. (2015) in Anlehnung an Scharmer (2012) entwickelt wurden. Es konnten alle Leitungstypen in den Interviews aufgezeigt werden. Im Sinne der Strömungen des Konfluenzmodells (vgl. Abbildung 3.4) kamen mitunter mehrere Leitungsverständnisse parallel bei den Schulleitenden vor. Das Leitungsverständnis hängt direkt damit zusammen, wie Schulleitende die Ansprüche, die an sie gerichtet werden, an ihr Kollegium weitergeben und in weiterer Folge, wie sich daraus Schulentwicklungsmaßnahmen ergeben. Es macht einen Unterschied, ob steuernd oder ko-konstruktiv vermittelt wird (Abbildung 4.23).

Abbildung 4.23
figure 23

Unterschiedliche Leitungslogiken im Spiegel der empirischen Daten (eigene Darstellung)

4.2.8 Ziel und Absichten der Verantwortungsübernahme (Dimension „verantworten“)

Die Dimension „verantworten“ lässt sich in zwei Teildimensionen untergliedern, und zwar zum einen in den Bereich „Ziele und Absichten der Verantwortungsübernahme“, der aus induktiv entwickelten Kategorien besteht. Hierbei gilt es zu klären, wofür sich die Schulleitenden verantwortlich fühlen, insbesondere im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform. Die zweite Teildimension greift wiederum auf Ansätze aus der Theorie zurück und legt die unterschiedlichen Verständnisse von Agency (vgl. Abschnitt 2.2.) der Datenauswertung zugrunde.

Mit der ersten Teildimension wird jener Pluralität Rechnung getragen, die sich während der Auswertung der Interviews ergeben hat. Es zeigte sich, dass die SL im Zusammenhang mit der Reformumsetzung unterschiedliche Zielperspektiven, für die sie verantwortlich zeichnen, formulierten. Dazu gehören die folgenden Perspektiven:

SL fühlen sich:

  • grundsätzlich verantwortlich für die Reformumsetzung bzw. die Umsetzung der Inhalte der Reform

Einige SL gaben in den Interviews direkt an, dass sie sich verantwortlich für die Umsetzung des Neuen-Mittelschul-Konzepts an ihrem Standort fühlen und dass die Entwicklungsmaßnahmen, die an der Schule gesetzt werden, ebenfalls darauf hinzielen.

„[...] dass die NMS kein falscher Weg ist, dass ich genau weiß, dass die gemeinsame Schule ein richtiger Weg ist, weil wir die Gemeinsame Schule schon seit fast 40 Jahren leben, weil sich gezeigt hat, dass Unterricht in einer heterogenen Gruppe mit zwei engagierten Lehrern, mit durchschnittlich begabten Schülern, dass da viel rauszuholen ist.“ (SL_01_OGU, Z. 97 f.)

„Und dann muss man schon sagen, im Zuge der Entwicklung der NMS haben wir dann gemerkt, dass wir dann ja eigentlich uns schon in dem Gebiet aufhalten, wo die NMS hinwill.“ (SL_03_OGU, Z. 76 f.)

  • verantwortlich für positive Abschlüsse/erfolgreiches Weiterkommen der Schüler/-innen

In manchen Interviews lag der primäre Fokus weniger auf der Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als auf dem Ziel, die Schüler/-innen möglichst erfolgreich in (bestimmte höhere) weiterführende Schulen zu entlassen. In diesen Interviews zeigt sich eine weniger ausgeprägte Verantwortungsübernahme für die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform.

„Im Prinzip muss das unser Ziel sein. Wir arbeiten ja nicht für uns selbst, sondern wir arbeiten, damit die Kinder dann gut auf das Leben bzw. auf die weiteren Schulen und Arbeitsbedingungen vorbereitet werden.“ (SL_04_MGU, Z. 1317 ff.)

„[...]Sie möglichst gut vorzubereiten, dass sie auch imstande sind, erfolgreich eine weiterführende Schule zu schaffen.“ (SL_05_OGU, 2109 ff.)

„Und sonst halt, ich meine ist ganz wichtig, das ist die Stärkung der Trägerfächer Deutsch, Englisch, Mathematik. Die Frage, was brauchen die, was brauchen sie in Englisch, wenn sie eine weiterführende Schule besuchen, dass man da ein bisschen einen Schwerpunkt legt, Grammatik zum Beispiel.“ (SL_08_MGU, Z. 971 ff.)

  • verantwortlich eine gute Stimmung im Kollegium zu halten/ hohe Zufriedenheit unter den Lehrern und Lehrerinnen

Für einige SL war es in den Interviews von zentraler Bedeutung, die Einführung neuer Reformen auch unter dem Gesichtspunkt der Zufriedenheit der Lehrer/-innen zu betrachten. Aus den Aussagen der Leitenden geht hervor, dass eine besondere Herausforderung im Zuge von Entwicklungsprozessen im Willen und in der Unterstützung des Kollegiums liegt. Daher sahen sie ihre Verantwortung auch darin, eine solche Zufriedenheit zu gewährleisten. In den Interviews wurde dieser Aspekt mitunter als große Herausforderung beschrieben, insbesondere dann, wenn die einzelnen Fachteams unterschiedlich weit in ihrer Entwicklung waren (vgl. SL_07_OGU).

„[...] da haben die Kollegen dann heute rückgemeldet: „Ja, aber das kann man nicht machen!“ Und ich habe gesagt: „Ich versteh euch, es gefällt mir auch nicht – wir müssen halt schauen, dass wir einen Weg finden, um das so zu machen, aber halt so, dass es für uns passt.“ (SL_09_OGU, Z. 365)

„[...] Zum Zweiten geht das langsam, weil der Mensch ist nun mal ein träges Wesen. Das langsam ins Kollegium zu bringen. Und wenn das gut angekommen ist im Kollegium, dann kommt das auch nachher im Weiteren gut an bei den Schülern und damit auch bei den Eltern.“ (SL_10_MGU, Z. 618 ff.)

„die Lehrer sind mein Kapital." (SL_02_MGU, Z. 394)

„[...] Intern ist für mich das Entschiedenste eine gewisse Zufriedenheit, dass die Kolleginnen und Kollegen stolz sind, [...]“ (SL_02_MGU, Z. 737 ff.)

„Wir sind nicht in der Privatwirtschaft, wir sind Beamte. [...] „Ich muss vorsichtig mit… oder, unter Anführungszeichen, nett mit meinen Lehrern umgehen.“ (SL_08_MGU, Z. 738 f.)

Ein weiterer Aspekt, der in Bezug auf Reformumsetzung und Verantwortung gesondert dargestellt werden kann, ist die Frage nach der Teilung von Verantwortung (SL_07_OGU, Z. 351 ff.) bzw. der Übertragung von Verantwortung (SL_02_MGU, Z. 353) an erweiterte Schulentwicklungsteammitglieder. In der Darstellung der Anspruchsgruppen wurde bereits die Rolle der/des Lerndesigner/-in als Inputgebende/-r bzw. als Verantwortliche/-r für die Reformumsetzung dargestellt.

„Die Verantwortlichkeit liegt bei den Fachkoordinatoren“ (SL_02_MGU, Z. 353)

„Ist ein sogenanntes Expertenteam, das sich einfach damit beschäftigt: Was wird unser Schwerpunkt? [...] Unser langfristiger Schwerpunkt für das nächste Jahr. Einfach um gemeinsam diese Schulentwicklung voranzutreiben. Und das ist wirklich ein ganz bunt gemischtes Team aus interessierten und engagierten Kollegen und Kolleginnen mit mir.“ (SL_07_OGU, Z. 351 ff.)

4.2.9 Rekonstruktionen von Agency (Dimension „verantworten“)

Der zweiten Teildimension von „verantworten“ liegt das Konzept von Agency nach Abdelnour et al. (2017) zugrunde. Insgesamt vier unterschiedliche Ausprägungen von Agentenschaft werden von den Autoren beschrieben. Agentenschaft als „willenhafter Akteur“ (1), Agentenschaft mit Berücksichtigung der „kollektiven Absicht“ (2), Agentenschaft als „Flickenteppich“ (3) und Agentenschaft aus der Perspektive des „modularen Individuums“ (4).

Vor diesem Hintergrund lassen sich für die Übernahme von Agentenschaft verschiedene Szenarien ausgehend von den Interviewdaten rekonstruieren (vgl. Abbildung 4.24).

Abbildung 4.24
figure 24

Szenarien zum Agency-Verständnis von Schulleitenden (eigene Darstellung)

Während die Agentenschaften (1), (3) und (4) in der empirischen Untersuchung rekonstruiert werden können, wurde eine kollektive Agentenschaft – bedingt dadurch, dass die vorliegende Untersuchung Einzelakteure im Fokus hat – nicht vorgefunden.

  • Agentenschaft als willenhafter Akteur

Abdelnour et al. (2017) beschreiben die Agentenschaft als willenhaften Akteur im Sinne des Konzeptes „Institutional Entrepreneur“ nach Maguire und Hardy (2008). Dabei werden institutionelle Erwartungen nicht einfach umgesetzt bzw. weitergegeben, sondern aktiv interpretiert und im Zuge von anhaltenden Aushandlungsprozessen angepasst. Die SL nehmen sich dabei in ihrer Agency als ko-konstruktive Akteure wahr, die trotz der institutionellen Rahmenbedingungen die Möglichkeit haben, aktiv die Umsetzung von Reformen mitzugestalten. Ein Beispiel aus dem Kontext der Ganztagesbetreuung, das in einem Interview genannt wurde, veranschaulicht diese aktive Rolle:

„Wenn ich als Chef eine Tagesbetreuung will, dann gibt es eine Tagebetreuung.“ (SL_01_OGU, Z. 999 f.)

Auch im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform stellen einige SL fest, dass sie durchaus Interpretationsspielräume in der Umsetzung der Reform orten.

„Ja, also aus so Bausteinen nehme ich mir die Freiheiten heraus, zu sagen, man darf ruhig was ändern, weil es nicht so erfolgreich ist, dass man sagen müsste, wir müssen jetzt da dabeibleiben.“ (SL_03_OGU, Z.1577 ff.)

Gerade bezogen auf die Reformumsetzung konnten aus den Interviews jedoch zwei konträre Richtungen abgeleitet werden. So gibt es Schulleitende, die sich als „willenhafte Akteure“ in ihrer Agentenschaft wahrnehmen und für die Mitgestaltung der Reform einsetzen, weil sie die Reform gutheißen, es gibt jedoch auch Leitende, die die Reform als weniger gelungen und sinnstiftend erachten, aber ihre Rolle ebenfalls als „willenhaften Akteur“ wahrnehmen – auch sie sehen eigenen Gestaltungs- und Handlungsraum, um die Reform auf ihre Ziele und Verständnisse hin anzupassen und umzusetzen:

„Also die Frage ist: „Muss es gemacht werden?“ (SL_08_MGU, Z. 578) „Also das… ich versuche die Lehrer zu überzeugen, und das tun sie jetzt auch schön langsam, gottseidank, mehr äußere Differenzierung Footnote 16 zu machen [...]“ (SL_08_MGU, Z. 1031 ff.)

„Was für mich in den letzten Jahren nicht so wichtig geworden ist, das sind zum Beispiel gewisse Vorbereitungsstrukturen. Weil wir einfach festgestellt haben, wenn die Vorbereitung einfach top ist und ich bringe das nicht an den „Mann“ oder an die SchülerInnen, dann hilft es gar nichts. Da ist mir lieber weniger oder eine ganz unprofessionelle Vorbereitung.“ (SL_10_MGU, Z. 22 ff.)

Eine Möglichkeit, solche Freiräume zu gestalten, ist z. B. das bewusste Offenhalten gegenüber dem Kollegium, wie Umsetzung auf Unterrichtsebene erfolgt. Dabei wird häufig betont, dass SL keine pädagogische Expertise mehr vorweisen könne, da sie bereits zu lange nicht mehr aktiv unterrichtet haben:

„Ja, also wenn ich das alles getan hätte, was man von mir wollte, dann wäre es so gewesen. Ich habe gesagt: Wisst ihr was, ich rede euch in der Causa, wie ihr da drinnen [Unterricht] das zusammenbringt, dass wir bei unseren Bildungsstandards immer gut abschneiden, da bin ich der Letzte, der euch in pädagogisch-didaktischen Sachen dreinredet. Zu dem bin ich auch schon zu lange aus der Klasse“ (SL_08_MGU, Z. 230 ff.)

„[..] Die differenzieren schon. Die, ähm, berücksichtigen auch von mir aus im Teamteaching das eine oder andere, was man soll. [...] Nana, selbstverständlich haben die auf das Setting reagieren müssen und sich irgendwohin bewegen [...]“ (SL_06_MGU, Z. 758)

„Sie ist in der Klasse drinnen. Ich bin ja rein ein Theoretiker. Ich kann ja nur das, was ich höre oder vielleicht lese, weitergeben, aber sie kann es aus eigener Erfahrung auch erzählen.“ (SL_02_MGU, Z. 495 f.)

„Ich sage immer ich kann leicht gescheit sein. Ich kann es aus den Büchern lesen, ich beschäftige mich zwar viel damit, aber ich habe es nicht einmal in längerer Phase jetzt umsetzen müssen… oder dürfen.“ (SL_04_MGU, Z. 722 ff.)

Die Aussagen zeigen, dass die Schulleitenden keine Agentenschaft für die Reforminhalte und deren Ausgestaltung auf Unterrichtsebene übernehmen, sondern die Verantwortung auf die Lehrenden übertragen.

  • Agentenschaft als Flickenteppich

Für Abdelnour et al. (2017) bedeutet eine Agentenschaft als Flickenteppich, dass mehrere unterschiedliche institutionelle Vorstellungen parallel existieren. Während die eine Anspruchsgruppe bestimmte Praktiken verteidigt, formulieren andere Anspruchsgruppen neue Erwartungshaltungen.

SL_06_MGU beschreibt diese Form der Agentenschaft eindrücklich in einer Interviewpassage, sie/er versteht sich als

„[e]inen Kritischen, der zum Verfechter einer Sache werden muss. Ich bin [ein/-e Zerrissene/-r].“ (SL_06_MGU, Z. 362)

SL_11_MGU formuliert im Zusammenhang mit dem Schulerhalter dessen Anspruch und die damit einhergehenden unterschiedlichen institutionellen Logiken, die sich von jenen der Neuen Mittelschule zum Teil unterscheiden – dennoch muss SL_11_MGU für beide Logiken Agentenschaft übernehmen.

„Ich habe das Problem – mit dem Schulerhalter – jetzt sind wir sechs Jahre NMS, aber dieses Konzept ist ihnen überhaupt nicht klar und überhaupt nicht wichtig, [...].“ (SL_11_MGU, Z. 634 ff.)

„[...] Aber sie [Gemeindemitglieder/Schulerhalter] sind für mich wichtig, weil sie wichtig sein müssen.“ (SL_11_MGU, Z. Z. 648 f.)

  • Agentenschaft als „modulares“ Individuum

Die dritte Form der Agentenschaft wird als modulares Individuum beschrieben. Darunter verstehen Abdelnour et al. (2017) eine bewusste Rollenannahme, um sich den konfligierenden Momenten zu stellen.

„[...] Der Kompetenzraster nach Mazono, soll ich zu denen sagen, das ist ein Blödsinn? Da schaufle ich mir selber ein Grab, [...] auch wenn ich mal nicht voll dahinterstehe, das werden meine Lehrer nie von mir erfahren, das ist ein totaler Blödsinn [...].“ (SL_01_OGU, Z. 259 ff.)

„Dann muss ich ehrlicherweise sagen: Aus meiner Professionalität als Direktor heraus und aus meiner Loyalität dem gegenüber, was meine Chefin von mir will, gell, habe ich versucht, aus all den Vorgaben alles auf Punkt und Beistrich zu erfüllen. Aber rein aus der Professionalität heraus meines Jobs. Aber nie aus meinem Gemüt heraus, dessen was ich glaube.“ (SL_06_MGU, Z. 1434 f.)

Die Auswertung der Interviews zeigte unter anderem, dass SL mehreren Formen der Agentenschaft zuordenbar waren (vgl. SL_06_MGU, SL_01_OGU). Im Zusammenhang mit Agentenschaft wurde überdies vielfach die Besonderheit schulischer Organisationen als nachgeordnete Dienststelle angeführt.

4.2.10 Strategien der Legitimierung (Dimension „legitimieren“)

Die Dimension „legitimieren“ setzt sich aus zwei Teildimensionen zusammen. Beide wurden induktiv aus den Interviews generiert, sollen jedoch vor dem Hintergrund der theoretischen Auseinandersetzung mit Legitimation in Abschnitt 2.2. dargestellt werden, dies betrifft vor allem die zweite Teildimension.

Die erste Teildimension „Strategien zur Legitimierung“ ist in den Kategorienschemata in den Tabellen 4.5 und 4.6 abgebildet. Dabei unterteilen sich die Legitimierungsstrategien in „pro“ und „kontra“ Entwicklungshandlungen zur Umsetzung der Neue-Mittelschulreform. Jene, die unter „pro“ kategorisiert sind, versuchen das angewendete Schulleiter/-innenhandeln zur Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform zu legitimieren, wohingegen jene, die unter „kontra“ subsumiert sind, Strategien der Legitimierung zeigen, in denen dargelegt wird, warum die Reform nicht umzusetzen ist bzw. scheitern muss. Die Reihenfolge der Kategorien hängt nicht mit der Häufigkeit der Nennung zusammen, auch erfolgt die Darstellung der Ergebnisse in abgewandelter Reihenfolge.

  • Legitimierungsstrategien „pro“

    • direkt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform

Das eigene erfolgreiche Handeln wird durch den Bezug auf Fachliteratur und Expert/-innenmeinungen legitimiert, indem in den Interviews Fachartikel (z. B. Kapitel des Nationalen Bildungsberichts) sowie Inhalte aus Vorträgen zitiert werden. Das eigene Handeln – in den Interviews den „Pro“-Kategorien zugeordnet, wird legitimiert durch den Vergleich mit anderen Schulstandorten und wie dort bestimmte Aspekte der Neue-Mittelschulreform im Vergleich mit dem eigenen Schulstandort umgesetzt werden. Legitimierung erfolgt auch über schriftliche Erzeugnisse, Artefakte, wie Protokolle von Fachteamsitzungen, anhand derer sich zeigen lässt, wie die einzelnen Gruppen an der Umsetzung bestimmter Reformvorhaben arbeiten. Gleich mehrfach wurde in Bezug auf die erfolgreiche Umsetzung der Reform, insbesondere hinsichtlich des Teamteachings, ein Rückgang von disziplinären Problemen erwähnt. Außerdem wurden in einigen Interviews als Legitimierung für das eigene Vorgehen bzw. für die Entwicklungsarbeit am Schulstandort die eigene Erfahrung zum einen im Bereich des Unterrichts und zum anderen im Bereich der Schulentwicklung genannt. Auch positive Evaluationsergebnisse zeugen, so die Aussagen der Leitenden, von einer gelungenen Umsetzungs- bzw. Entwicklungsarbeit am Standort. Dabei können die Evaluationsergebnisse durch externe Evaluationsinstrumente entstehen, aber auch durch Instrumente, die eigens für den Schulstandort entwickelt wurden. Ein weiterer wichtiger Punkt, wenn es um die Legitimierung des eigenen Handelns geht, ist die Bestätigung durch relevante Anspruchsgruppen. Hierauf wird im zweiten Teil der Dimension „legitimeren“ noch einmal vertieft eingegangen.

    • indirekt im Zusammenhang mit der Neuen-Mittelschulreform

Ein indirekter Zusammenhang mit der Legitimierung von Entwicklungshandlungen bzw. Umsetzungsvorgangsweisen von Leitenden lässt sich aus den folgenden Kategorien schließen. Ein/-e Schulleiter/-in gab an, dass eine fortlaufende Ressourcenzuwendung durch den Schulerhalter für sie/ihn ein Zeichen dafür sei, dass die (Entwicklungs-)Arbeit, die am Schulstandort gemacht wird, auf Zufriedenheit stößt. Auch jene Unterkategorien, die der Kategorie Reputation der Schule zugeordnet sind, legitimeren nur indirekt die Art und Weise, wie die Reform umsetzt wird. Nichtsdestoweniger wurden in den Interviews insbesondere die hohen Anmeldezahlen in der fünften Schulstufe häufig als Legitimierung für bestimmte Entwicklungen am Schulstandort genannt. So lautete der Tenor dieser Schulleitenden, dass, so lange diese Zahlen stimmen, die Entwicklung des Standortes auf einem richtigen Weg sei. Ähnlich verhält es sich auch mit der Kategorie Fort- und Weiterkommen der ehemaligen Schüler/-innen. Solange die Schüler/-innen in den weiterführenden Schulen Erfolge verzeichnen würden, solange sei auch die Ausbildung, die sie am Schulstandort erhalten haben, in Ordnung. Dieser Gedankengang trat in den Interviews mehrfach auf. Ein anderer verknüpfte die Zahl der Absolventen und Absolventinnen, die es auf eine bestimmte weiterführende Schule schaffen würden, mit der Bestätigung, dass Unterrichtsentwicklungen, wie sie sich am Schulstandtort vollziehen würden, entsprechend gut seien.

  • Legitimierungsstrategien „kontra“

Im Verlauf der Auswertung konnten auch Legitimierungsstrategien aus dem Datenmaterial herausgearbeitet werden, die Argumente und Gründe anführten, warum eine Umsetzung der Reform nicht gelinge. Zum einen wurde der Grund Überlastung angeführt. Jene SL gaben an, dass zu viel Neues in immer kürzer werdenden Abständen an sie herangetragen werde, was Ausdruck einer ansteigenden Schnelllebigkeit in diesem Bereich sei und womit eine hohe Rate an Dingen, die dann auch wieder verworfen werden, einhergehe. Dies führe zu Instabilität und Unsicherheit (vgl. SL_08_MGU, Z. 117). Auch die Rahmenbedingungen ließen ein Arbeiten im gewünschten Sinn (Empfehlungen zur Umsetzung der Reform) oftmals nicht zu. Damit verknüpfen lässt sich auch die Kategorie Aufwand, die die vielen zeitintensiven Sitzungen, in denen die Umsetzungen der Reform an den einzelnen Standorten konkretisiert werden sollten, als zeitlich nicht umsetzbar eingestuft. Unter der Kategorie Erfahrungen werden zwei Subkategorien zusammengefasst. Zum einen gaben Schulleitende an, bereits viele Reformen erlebt zu haben und um die geringe Rechenschaftspflicht zu wissen bzw. mit anderen Reformen auch gute Erfahrungen gemacht zu haben. Die zweite Subkategorie bezieht sich auf die Expertise des Kollegiums. Hier wird mit dem Argument gekontert, dass die eigenen Lehrpersonen schon immer gute Arbeit geleistet hätten (bewiesen durch gute Ergebnisse in den Bildungsstandards, vgl. SL_08_MGU) bzw. selbst in der Fort- und Weiterbildung tätig seien und somit über einen besonderen Expertenstatus verfügen würden. Entwicklungsarbeit im Sinne der Neue-Mittelschulreformbegleitung sei durch Externe nicht notwendig, da die eigene Expertise am Schulstandort sei (vgl. ebd.). Die Kategorie Vorgaben umfasst drei Unterkategorien: Erstere befasst sich mit dem Argument, dass die Reform unausgereift sei und sich daher nicht umsetzen lasse, da laut SL keine ausreichende Pilotierung erfolgt sei. Das zweite Argument führt an, dass seitens der unterschiedlichen Vertreter/-innen der Schulaufsicht unterschiedliche Vorgaben gemacht würden und dabei die Aussagen in entgegengesetzte Richtungen gingen; in eine ähnliche Richtung geht auch das dritte Argument, wonach die Ansprüche der Reformumsetzung im eigenen Bezirk, sprich wiederum die Vorgaben der Schulaufsichtsverantwortlichen, anders wahrgenommen würden als die Vorgaben, die in anderen Bezirken transportiert werden. Für SL sei nicht nachvollziehbar, warum in einem anderen Bundesland bzw. in anderen Bezirken Leistungsrückmeldeprozesse anders gestaltet würden als im eigenen Bezirk. Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass eine Umsetzung bei unterschiedlichen Ansprüchen nur schwerlich oder gar nicht möglich sei. Die letzte Legitimierungsstrategie begründet sich in der Meinung, dass die Konzepte der Neue-Mittelschulreform nur theoretische Konstrukte seien, die sich so in der Praxis nicht umsetzen ließen.

Gerade die Strategien, die eine Nicht-Umsetzbarkeit der Neue Mittelschul-Reform legitimieren, bauen zum Teil auf fehlendem Verständnis bzw. fehlenden Umsetzungsstrategien für bestimmte Reforminhalte auf. Ein Beispiel hierfür ist das Nichtverständnis von innerer Differenzierung:

Weil ich meine ich weiß sehr gut, in der ersten Leistungsgruppe, da bist du voll gefahren und in der dritten Leistungsgruppe, da hast du dann teilweise ganz, ganz wenig gemacht, weil auch die Schüler einfach nicht mehr mitgearbeitet haben, weil sie nicht willig waren und weil sie es auch einfach nicht geschafft haben. Und diese Schüler hast du jetzt in einer Klasse beieinander und da ist das Problem, wie sollst du da differenzieren? Und es ist natürlich auch für die Lehrer schon ein ziemlicher Mehraufwand an Zeit.“ (SL_08_MGU, Z. 92 ff.)

Tabelle 4.5 Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform
Tabelle 4.6 Kategorien und Unterkategorien der Legitimierung der Nicht-Umsetzung der Neuen-Mittelschulreform

4.2.11 Rekonstruktion von Legitimierung in Bezug auf wahrgenommen Anspruchsgruppen (Dimension „legitimieren“)

Im 1. Teil wurde die zweite Dimension bereits angesprochen – eine Legitimierung für eine bestimmte Handlungsweise, insbesondere im Zusammenhang mit der Umsetzung einer Reform, in dem Fall der Neuen-Mittelschulreform, hängt direkt mit den Anspruchsgruppen, die Legitimität zusprechen, zusammen. Wie Scott (2008), aber auch Koch (2018), in ihren Herleitungen – basierend auf den Ausführungen von Suchmann zum Legitimitätskonzept, das den neo-institutionalistischen Theorien zugrunde liegt – anführen, wird Organisationen durch weitere soziale Akteure Legitimität zugesprochen. Daher bedarf es weiterer sozialer Akteure, um überhaupt zu entscheiden, welche Handlungen als legitim oder nicht legitim erachtet werden. Wie die Dimension „Wahrnehmen“ bereits aufzeigen konnte, unterscheiden sich die SL mitunter deutlich darin, wen sie für sich als Anspruchsgruppe definieren bzw. wen nicht. Dementsprechend unterschiedlich zeigt sich auch in der Dimension „legitimieren“, durch wen die SL Legitimation erhalten. Exemplarisch soll dies am Bespiel eines SL nachgezeichnet werden (Abbildung 4.25):

Abbildung 4.25
figure 25

Anspruchsgruppen und Legitimierungsstrategien von SL_10_MGU (eigene Darstellung)

Die ausgewählten Interviewsequenzen zeigen, dass die Neue-Mittelschulreform den relevanten Anspruchsgruppen entsprechend präsentiert wurde, damit der Schulstandort die von der relevanten Anspruchsgruppe (weiterführenden Schulen) Legitimität für die eigene Entwicklung zuzusprechen wird.

4.2.12 Zusammenfassung der Dimensionen responsiven Leitungshandelns

Zusammengefasst konnte nun gezeigt werden, welche Komponenten zusammenspielen, um den Prozess des Respondierens von Leitungshandelnden auf die Erwartungshaltungen ihrer institutionellen schulischen Umwelten abzubilden. Dabei wird noch einmal deutlich, dass jene theoretischen Vertiefungen, die im Kontext der neo-institutionalistischen Theorien in den Kapiteln 2 und 3 aufgegriffen wurden, zur Operationalisierung der Phasen responsiven Leitungshandelns herangezogen wurden. Dadurch fungiert das Modell des Respondierens, wie es hier entwickelt wurde, als verbindendes Konzept, das die zum Teil voneinander losgelösten Diskussionsstränge der Theorie wieder zusammenführt und miteinander in Beziehung setzt.

Vor dem Hintergrund muss einerseits infolge der Berücksichtigung neuer Faktoren gezeigt werden, wo, wann und inwiefern die bisherigen Handlungsannahmen zu korrigieren bzw. zu erweitern sind und andererseits bedarf es einer Kenntlichmachung, wie sich die berücksichtigungswürdigen Zusatzfaktoren mit den überkommenen Varianten funktional verbinden lassen. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, wird in Tab. 4.4 eine solche theoretische Verortung dargestellt.

Um das responsive Schulleitungshandeln jedoch im Gesamten zu verstehen, können die vier Phasen nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Erst in ihrem Zusammenspiel ergibt sich der responsive Akt. Die einzelnen Dimensionen bedingen einander.Footnote 17 Im folgenden Kapitel sollen, um responsives Leitungshandeln in seiner Mehrdimensionalität darstellen zu können, ausgewählte Leitungshandelnde in den zuvor beschriebenen Dimensionen kontrastiv dargestellt werden (Tabelle 4.7).

Tabelle 4.7 Darstellung der vier Phasen, ihrer Teildimensionen und der zugrunde liegenden theoretischen Konzepte (eigene Darstellung)

4.2.13 Kontrastive fallorientierte Auswertung: Ausgewählte Leiter/-innen und deren responsives Leitungshandeln

Mit der kontrastiven fallorientierten Auswertung wird eine vierte Ebene in der Ergebnisdarstellung beschritten. Nach der Sichtung der Rohdaten (1), die mit Hilfe der aus der Theorie abgeleiteten Kategorien strukturiert (2) und dann anhand des Modells des Respondierens (3) ausgewertet wurden, erfolgt nun eine prototypische Anwendung des Modells (4) am Beispiel ausgewählter SL.

Während die Gesamtauswahl der SL nach der Logik des convenient samples erfolgte, wurden für die Fallauswahl in der kontrastiven fallorientierten Darstellung die Fälle nach einem Theoretic-sampling-Verfahren ausgewählt (vgl. Kelle und Kluge 2010, S. 50).

„Beim theoretical sampling erfolgt die Fallauswahl parallel zur Analyse des Datenmaterials anhand zentraler Kategorien der sich entwickelnden Theorie.“ (ebd., hervorgehoben im Original)

Die Fälle wurden so ausgewählt, dass sie sich in den Merkmalsräumen – den unterschiedlichen Phasen des Modells – möglichst deutlich voneinander unterscheiden, um eine Kontrastierung zu ermöglichen. Dieser vierte Schritt wurde unter anderem auch deshalb mit in die Ergebnisaufarbeitung aufgenommen, da mittels einer fallorientierten Darstellung noch einmal Verbindungslinien zwischen den Phasen des Respondierens sichtbar gemacht werden können, die so in der vorhergehenden Ergebnispräsentation nicht aufzeigbar waren.

Insgesamt wurden vier SL für diese kontrastive Darstellung ausgewählt. Die Geschlechterverteilung sowie die Lage der Schulen, ob im Einzugsgebiet einer Unterstufe oder nicht, sind gleich verteilt. Es handelt sich um die Leitenden SL_06_MGU, SL_07_OGU, SL_09_OGU und SL_10_MGU. Es hat sich im Zuge der Auswertung gezeigt, dass sich zum einen die Schulleitenden SL_07_OGU und SL_10_MGU besonders gut kontrastieren lassen, da sie sich in einigen Phasen des Respondierens ähneln, sich jedoch in ihrem Antwortverhalten auf die Neue-Mittelschulreform deutlich unterscheiden. Die Schulleitenden SL_06_MGU und SL_09_OGU wurden für die fallorientierte Auswertung ausgewählt, da sich deren Umwelt-Organisations-Wahrnehmung von den übrigen Schulleitenden unterscheidet.

Die Fälle werden nun entlang der Merkmalsräume responsiven Leitungshandelns einzeln dargestellt und in weiterer Folge kontrastiv miteinander verglichen.

Falldarstellung: SL_06_MGU

SL_06_MGU zeichnet sich durch eine Umwelt-Organisationswahrnehmung aus, die als vermehrt kontingenztheoretische Sichtweise beschrieben werden kann. Nach diesem Verständnis wird die institutionelle Umwelt als begrenzender Rahmen wahrgenommen (vgl. Abschn. 2.3.1, Mense-Petermann 2006; Koch 2018), der geprägt durch Erwartungshaltungen aus der institutionellen Umwelt bestimmte Anforderungen an die Organisation stellt:

„Habe es geschafft über acht Jahre Horror [NMS-Einführung], weil das war ein Wahnsinn, gell, habe es geschafft alle sozusagen [mitzunehmen], damit sich keine Grüppchen [bilden]“ (SL_06_MGU, Z. 1456)

Ergänzen lässt sich dies durch die Aussagen, bei denen SL_06_MGU z. B. die Vorgaben der Schulaufsicht als besonders beengend empfindet. Es gebe, so die/der Leitende, nur noch eine Wahrheit, der man zu folgen habe (vgl. SL_06_MGU, Z. 91 f; 93 f.). Im Vergleich zur konstitutionstheoretischen Sichtweise, die eher einem interpretativen Paradigma folgt, liegt im kontingenztheoretischen Verständnis ein normatives Paradigma zu Grunde: „[…] die haben vorgegeben, was zu geschehen hat. Und wir haben gemacht, was zu geschehen hatte.“ (SL_06_MGU, Z. 101). Mit der Wahrnehmung der Einengung geht auch eine Beschreibung durch SL_06_MGU einher, dass sich die Erwartungshaltungen der institutionellen Umwelten nicht in Handlungsanleitungen niederschlagen würden, sondern vielfach zwar Anforderungen gestellt würden, die Umsetzung jedoch an den Schulstandorten erfolgen müsse. Dieser Umstand wird als belastend beschrieben:

„Das [=die NMS-Einführung] war der Riesenwahn. Nichts erprobt. Und ich sehe uns jetzt auch noch immer in dieser Erprobungsphase.“ (SL_06-MGU, Z. 1519 f.)

Wenn man im Merkmalsraum „Wahrnehmen“ betrachtet, welche Akteursgruppen von SL_06_MGU genannt wurden, so handelt es sich insgesamt um 13 unterschiedliche Gruppen. Diese hohe Zahl kommt vor allem durch die Nennung im Qualitätsbereich 4 (Kommunikation und Zusammenarbeit) zustande. Während dort neun unterschiedliche Akteursgruppen genannt werden, belaufen sich die Nennungen in den Bereichen 1–3, 5 und 6 auf wenigstens 2 und maximal 4 unterschiedliche Akteursgruppen. Dabei fällt auf, dass jene Gruppen, die genannt werden, überwiegend externe Akteure sind. Auch die von SL_06_MGU als die drei zentralen Akteursgruppen mit Anspruchscharakter identifizierten Gruppen sind zu zwei Dritteln extern:

  • andere Direktor/-innen

  • die Schulaufsicht

  • Fort- und Weiterbildungen

Versucht man diese drei Gruppen nach dem Drei-Säulen-Modell von Scott und in Erweiterung nach jenem von Koch zu diskutieren, so lässt sich die Anspruchsgruppe „andere Direktor/-innen“ eher als institutionelle Akteure beschreiben, bei denen die normative Säule mehr ausgeprägt ist, während bei der Schulaufsicht eher die regulative Säule für die formulierten Ansprüche prägend ist.

„[...] aber ich kann ein Produkt dem anpassen, dass es mir als Schulstandort wieder besser geht. Das verbietet mir zurzeit das Gesetz.“ (SL_06_MGU, Z. 1525)

Dann sagt mir die Österreich-Vertreterin: Das scheint aber nur ein Tiroler Problem zu sein. Also in den anderen Bundesländern interessiert ein Lerndesign aber nicht das Schwarze unter dem Nagel. Dann sage ich: Ja, das weiß ich schon, weil wir in Tirol, die sind, die alles wie die Zinnsoldaten, wenn sie uns etwas vorgeben, dann vollziehen.“ (SL_06_MGU, Z.1485 ff.)

Die Fort- und Weiterbildung arbeitet mehr mit normativen Mechanismen. Beide institutionellen Akteure, „andere Direktor/-innen“ und „Fort- und Weiterbildung“, werden von SL_06_MGU auch im Sinne der kulturell-kognitive Säule genannt. So wurden während des Interviews vor allem Schulleitende erwähnt, die die Ansichten von SL_06_MGU teilen. Bzw. waren Akteure, die mit „Fort- und Weiterbildung“ gemeint waren, in erster Linie Lehrende des eigenen Schulstandorts, die auch in der Fort- und Weiterbildung tätig sind und so Neues an den Schulstandort bringen bzw. die Ansätze, die am Schulstandort etabliert sind, unterstützen:

„[...] unter den Umständen habe ich da ganz, ganz große Expertise selber im Haus gehabt und habe schon gewusst: In dem Fall brauche ich keinen, weil [Kollegin X], die an der PHT im Zuge der Mittelschulentwicklung bei [Frau X] am Institut mehr oder weniger das alles vollzogen hat, die habe ich mit Erstinformationen.“ (SL_06_MGUZ.327 ff.)

„Ich war nicht immer zufrieden, weil uns die Leute nicht zufriedenstellende Antworten geben haben können, weil es einfach eine unfaire Aufgabenstellung denen gegenüber war. Wir haben es entwickelt. Und davor hat es keiner gewusst, und wir sind mittendrin.“(SL_06_MGU, Z. 647 f.)

Entsprechend den genannten Anspruchsgruppen erfolgen auch die Strategien der Wahrnehmung. SL_06_MGU orientiert sich an Bildungsstandardergebnissen (Z. 65 f.), an Vergleichen mit anderen Schulstandorten (Z. 1419 ff.) sowie eigenen Einschätzungen und Beobachtungen des Kollegiums bei der Umsetzung von Vorgaben (Z. 1430 ff.).

Der Merkmalsraum „Antworten“ setzt sich aus den Dimensionen „Veränderungsempfinden“, „Mechanismen der Weitergabe“ und „Leitungsverständnis“ zusammen.

Obwohl im Interview angegeben wird, dass Wandel ein integraler Bestandteil von Entwicklung sei und es nie Stillstand gebe, werden die Veränderungen im Rahmen der Neue-Mittelschulreform als fundamental beschrieben.

„Es gibt keinen Stillstand, es wird sich immer etwas ändern. Natürlich in dem exorbitanten Maße, wie es sich jetzt im Rahmen der Mittelschule geändert hat, das ist katastrophal. Das war eine unfaire Aufgabenstellung in weiten Bereichen, eine Überfrachtung dessen.“ (Sl_06_MGU, Z. 1387 ff.)

Die Weitergabe der Ansprüche erfolgt in Portionen, die SL_06_MGU im Rahmen von Konferenzen kommuniziert. Vielfach betont SL_06_MGU im Interview, dass alle versuchen würden, die Umsetzung bestmöglich zu gestalten, jedoch oft keine Antworten auf die Anforderungen existieren würden (Z. 302 ff.). An diesen Stellen erfolge dann Eigeninterpretation.

SL_06_MGU sieht sich eher in einer administrativen als in einer pädagogisch-gestalterischen Rolle:

„[...] ich als Direktor habe also auch noch etwas anderes als nur die Pädagogik, und bin ja vielleicht dann auch hin und wieder der falsche Ansprechpartner, weil… schon dass im einen oder anderen vieles wissen muss, das heißt ich muss Bescheid wissen, was ist gefordert, was läuft, gell. Aber bis zum letzten I-Tüpfterl in der Pädagogik drin brauche ich nicht.“ (SL_06_MGU, Z. 414 ff.)

Mit diesem Leitungsverständnis geht auch der Merkmalsraum „Verantworten“ einher. Hier wird ersichtlich, dass durch das Negierung der pädagogischen Verantwortung vielfach Kolleginnen und Kollegen, die besondere Ausbildungen haben (LD) oder über andere ausgewiesen Kompetenzen verfügen (E-Learning-Experte/-in), die Verantwortung für die Umsetzung der einzelnen Reformaspekte übernehmen. Betrachtet man neben der Verantwortungsübernahme noch die Beschreibung der Agentenschaft, wie sie SL_06_MGU bei sich wahrnimmt, so wird das Bild eines „Zerrissenen“ (vgl. Agentenschaft „Flickenteppich“; Z. 362) nachgezeichnet:

Die letzte Phase des responsiven Leitungshandelns zeigt sich im Merkmalsraum „Legitimieren“. SL_06_MGU zieht vor allem Legitimierungsargumente heran, die ein Umsetzen der Reform verunmöglicht, da zu viele Widrigkeiten gegen die Transformation am Schulstandort sprächen. (vgl. Z. 618 ff; 741 ff.). Die Umsetzungsversuche, die am Schulstandort vollzogen wurden, werden mit der Expertise des eigenen Kollegiums legitimiert, hier lässt sich wieder eine Verbindungslinie zu den Anspruchsgruppen „Fort- und Weiterbildung“ herstellen. Da jene Kolleginnen und Kollegen, die als ausgewiesene (durch die PH) Expertinnen und Experten gelten, das Vorgehen am Standort mitentwickelt haben, ist dieses legitimiert. Auch die Bestätigung durch jene Direktorenkolleginnen und -kollegen, an denen sich SL_06_MGU orientiert, bestärkt die eigene Vorgangsweise.

SL_07_OGU

SL_07_OGU nimmt die Umwelt im Sinne einer konstitutionstheoretischen Sichtweise wahr. Diese Form des Umwelt-Organisationsverhältnisses untergliedert sich nochmals in ein inkorporatives und ein translatives Verständnis. SL_07_OGU beschreibt die Wahrnehmung nach dem translativen Verständnis. Dabei wird die Umwelt als Fundus verschiedener etablierter Deutungen wahrgenommen, aus dem geschöpft werden kann. SL_07_OGU bemerkt in diesem Zusammenhang:

„Und Mittelschule ist kein Patentrezept. [...] Das muss jede Mittelschule für sich entwickeln. Natürlich in Absprache mit anderen Mittelschulen kann man sich gegenseitig unterstützen [...]. Man muss ja nicht immer alles neu erfinden, sage ich mal. Aber generell ist es ganz wichtig, dass das auch so im Denken gefestigt wird: Wir müssen uns selber das Ganze für uns entwickeln, dass es für unsere Schule am besten ist.“ (SL_7_OGU, Z. 158 ff.)

Diese Aussage unterstreicht, dass die Neue-Mittelschulreform Handlungsspielräume eröffnet, die an den Schulstandorten interpretiert und befüllt werden können. Einher mit dieser gestalterischen Auffassung zeigt sich auch die Wahrnehmung der Akteure, welche das schulische institutionelle Umfeld prägen. In Summe wurden von SL_07_OGU 14 unterschiedliche Akteursgruppen genannt.Footnote 19 Die Zahl der genannten Gruppen zählt im Vergleich zu den anderen SL zu einer der höchsten. Die vielen unterschiedlichen Akteursgruppen bilden einen großen Fundus; die Nennungen zeigen, dass die Akteure dabei sowohl intern als auch extern sind. Im Vergleich zu anderen Schulleitenden fanden sich zwei Gruppen, die selten genannt wurden, zum einen persönliche Kontakt (Ehepartner) sowie Fachliteratur bzw. Fachexperten und Fachexpertinnen. Die drei wichtigsten von SL_07_OGU als Anspruchsgruppen definierten Akteure sind:

  • Eltern

  • Schüler/-innen und ehemalige Schüler/-innen

  • Schulleitende von weiterführenden Schulen

Die drei Akteursgruppen lassen sich institutionell weniger deutlich einordnen. Die Ansprüche der beiden ersten Gruppen ergeben sich eher aus den kulturell-kognitiven Vorstellungen, während sich die Vertreter/-innen der dritten Gruppe der pädagogischen Profession zuordnen lassen und somit auch ein normatives Element in den institutionellen Vorstellungen verankert sein wird.

Die Wahrnehmungsstrategien, die SL_07_OGU anwendet, basieren vor allem auf Beobachtungen und reflexiven Auseinandersetzungen damit (vgl. SL_07_OGU, Z. 404 f.), eigenen Erfahrungen, z. B. im eigenen Unterricht (Sl_07_OGU, Z. 63 ff.), und internen Daten (SL_07_OGU, Z.665), die aus Erhebungen stammen.

Die Phase des Antwortens wird bei SL_07_OGU bedingt durch ein Veränderungsempfinden, das sich auf die Neuerungen einstellt und diese weniger als Belastung, sondern vielmehr als notwendige Weiterentwicklung, ausgehend von sich verändernden Anforderungen, versteht. Dabei sieht SL_07_OGU auch die Hausforderungen, die mit neuen Anforderungen einhergehen (vgl. SL_07_OGU, Z. 1028 ff.)

Darauf reagiert SL_07_OGU, indem Strukturen am Standort geschaffen werden, die helfen, Neuerungen zuerst im Kontext der Ressourcen des Standortes zu betrachten. Im Anschluss wird mit einem kleineren Team darüber gesprochen, wie welche Neuerungen am besten eingeführt und wie möglichst viele Kolleginnen und Kollegen in einen ko-konstruktiven Prozess miteingebunden werden können (vgl. SL_07_OGU, Z. 427 ff.)

Das Leitungsverständnis, das SL_07_OGU aufweist, zeigt sich an vielen Stellen des Interviews als entwickelnd (3.0) und wie bereits beschrieben als ko-konstruktiv (4.0). Dieses Leitungsverständnis korreliert im Fall SL_07_OGU mit der Umwelt-Organisationswahrnehmung, die weiter oben interpretativ eingeordnet wurde. Eine ko-konstruktive Haltung sowohl im Verständnis, wie Organisationen auf ihre Umwelt reagieren, als auch wie innerhalb der Organisation Inhalte gemeinsam erarbeitet und umgesetzt werden, lässt auf eine konstante Logik schließen.

Die Verantwortungsübernahme, die erste Dimension des dritten Merkmalsraumes (Phase „verantworten“), der sich zudem aus der Übernahme der Agentenschaft ergibt, zeigt sich bei SL_07_OGU durch die Betonung der eigenen Erfahrung und des eigenen Wissens darüber, wie die Reforminhalte im Unterricht umgesetzt werden können. SL_07_OGU identifiziert sich mit den Inhalten und übernimmt für deren Umsetzung am Schulstandort Verantwortung, indem sie/er auch immer wieder Unterrichtsbesuche macht und Kolleginnen und Kollegen in ihrer Entwicklung gezielt begleitet.

Die Legitimierung für das eigene Handeln, so zeigt sich im Interview, holt sich SL_07_OGU vielfach aus dem Kollegium:

„Ich merke es immer wieder mittlerweile in Gesprächen mit Lehrpersonen, dass sie sich auf die Sache einlassen und mit neuen Ideen zu mir kommen und sagen: [...], das haben wir jetzt probiert. Das hat super funktioniert. Da wollen wir dranbleiben.“ (SL_07_OGU, Z. 179 ff.)

Dabei ist festzuhalten, dass sich nach den Interviewpassagen die Legitimität weniger aus den Rückmeldungen der drei Anspruchsgruppen ergibt als vielmehr aus dem, was SL_07_OGU wahrnimmt und im Gespräch z. B. mit anderen SL und Lehrpersonen mit besonderer Funktion mittnimmt. Es zeigt sich, dass für die Bestätigung der Reformumsetzung vor allem Rückmeldungen von Akteuren aus dem pädagogischen Umfeld für SL_07_OGU relevant sind.

SL_09_OGU

Das Verständnis, das SL_09_OGU von dem Verhältnis zwischen Schule und institutioneller Umwelt hat, lässt sich nach dem Modell von Mense-Petermann (2006) bzw. Koch (2018) am ehesten der konstitutionstheoretischen Sichtweise zuordnen, im Unterschied zu SL_07_OGU und SL_10_MGU jedoch als inkorporiertes Verständnis. Die gesellschaftlichen Vorgaben bilden die Skripten, nach denen (ohne diese groß zu hinterfragen) Abläufe und Strukturen organisiert werden. Das Besondere an diesem Schulstandort ist daher auch die abwartende Haltung, die seitens SL_09_OGU gegenüber der Neue-Mittelschulreform betont wurde. Laut Schulleitung sollte zunächst abgewartet werden, welche Stolpersteine diese Reformumsetzung mit sich bringt, bevor am Standort selbst der Umsetzungsprozess gestartet wird.

„Naja, nehmen wir z. B. die NMS, sie ist eingeführt worden und wir haben nicht gleich mitgetan. [...] Und da schauen wir jetzt natürlich sehr, was machen die anderen Schulen, aber leider habe ich jetzt erfahren müssen, [...] dass den Weg, den wir abkürzen wollten, ok wir schauen, was die anderen machen, den Fehler machen wir dann nicht, sondern wir machen dann gleich das ganz richtig. Jaaa, das ist nicht ganz praktisch, wir müssen – also es ist wirklich tragisch – [...]wir müssen wirklich den Weg genauso machen wie die anderen auch.“ (Z. 1016 ff.)

SL_09_OGU nennt dabei eine doch große Anzahl an Akteuren, die in den unterschiedlichen Qualitätsbereichen eine Rolle spielen, insgesamt 13 Akteure werden genannt. Die drei wichtigsten Anspruchsgruppen lauten:

  • das Kollegium

  • die Schulaufsicht

  • die weiterführenden Schulen

Im Vergleich mit den Interviewsequenzen zeigt sich, dass eine hohe Kongruenz zwischen den häufigsten Nennungen und den hier angeführten Akteursgruppen herrscht. SL_09_OGU gibt häufig im Interview an, dass die Lehrpersonen des Schulstandortes eine wichtige Akteursgruppe seien. Deren Ansprüchen gerecht zu werden und dabei die Neue-Mittelschulreform umzusetzen, wird an einigen Stellen als Herausforderung beschrieben, da SL_09_OGU auf Widerstand trifft.

Die Anspruchsgruppe „Schulaufsicht“ passt zum inkorporierten Verständnis, da durch diese Anspruchsgruppe auch Vorgaben und Umsetzungsskripten mitgegeben werden. Im Interview selbst wird auch die Wichtigkeit der Rückmeldung durch diese Anspruchsgruppe betont (Z. 737 ff.). Die weiterführenden Schulen entsprechen ebenfalls, wie die Schulaufsicht, einer Anspruchsgruppe, die in der Wahrnehmung von SL_09_OGU in einem hierarchischen Verhältnis zur/zum Leitenden selbst stehen. Die Rückmeldungen der weiterführenden Schulen beziehen sich laut Aussagen weniger auf die Bestätigung einer gelingenden Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als vielmehr auf die Bestätigung, dass der Standort ein guter Standort sei (Z. 1805). Eine anhaltend positive Rückmeldung wird damit gleichgesetzt mit einer anhaltend guten Reputation des Standortes.

Eine Akteursgruppe, die nicht im Zusammenhang mit Ansprüchen genannt wird, jedoch dennoch häufig im Interview vorkommt, ist jene der externen Schulentwickler/-innen – diese werden im Zuge von Legitimierungsprozessen mehrfach genannt (SL_09_OGU, Z. 1077, 1096, 1097)

Die Dimensionen der zweiten Phase, des Antwortens, lassen sich bei der/dem Schulleiter/-in wie folgt beschreiben: Das Veränderungsempfinden ist eher fundamental. An vielen Stellen des Interviews scheint auf, dass sich SL_09_OGU zwischen tradierten Ansätzen und Neuerungen hin und her bewegt und versucht, möglichst alle Kolleginnen und Kollegen auf dem Weg mitzunehmen (vgl. SL_09_OGU, Z. 906 ff.).

Da es im Kollegium jedoch unterschiedlichen Gruppierungen gibt, die auch unterschiedlich auf die Neuerungen reagieren, wird dadurch auch das Veränderungsempfinden beeinträchtigt. Die Mechanismen der Weitergabe werden ebenfalls durch die unterschiedlichen Gruppierungen beeinflusst – so beschreibt SL_09_OGU, dass es Gruppierungen gebe, die ihr/ihm näherstehen und andere, zu denen sie/er wenig bis keine direkten Verbindungen hat. Dies würde, so SL_09_OGU, auch die Weitergabe von Informationen bzw. das gemeinsame Arbeiten beeinflussen (SL_09_MGU, 845 f.).

Das Leitungsverständnis wird vielfach sichtbar, wenn SL_09_OGU davon spricht, dass sie/er „befiehlt“ oder „anordnet“. Gewachsene hierarchische Beziehungen werden im Interview explizit angesprochen und aus der Historie des Schulstandortes hergeleitet. SL_09_OGU gibt an, diese Art zu führen zunächst von ihrem/seinem Vorgänger übernommen (vgl. Z. 964 f.) zu haben, nun jedoch sukzessive auch andere Ansätze in Richtung „entwickeln“ und Gründung eines Mittleren Managements auszuprobieren (vgl. Z. 949).

Alles in allem zeigen sich in diesem Interview viele Bruchlinien, zwischen denen SL_09_OGU mäandert. Dabei zeichnen sich oszillierende Bewegungen zwischen den Leitungsverständnissen 1.0, 2.0 und 3.0 ab.

Die Neue-Mittelschulreform wird in dem Sinn, wie es etwa bei SL_08_MGU oder SL_10_MGU der Fall ist, nicht hinterfragt, es werden einige Teilaspekte kritisch diskutiert, ein Nichtumsetzen steht jedoch außer Diskussion. Dies untermauert ebenfalls die Wahrnehmung, dass die institutionellen Vorstellungen als regelhafte Vorgaben (unhinterfragt) umzusetzen seien. Daraus ergibt sich eine selbstverständliche Agentenschaft für die Reform.

Die Legitimierungsstrategien wurden zum Teil schon im Zuge der Diskussion der drei Anspruchsgruppen besprochen. Vielfach gibt SL_09_OGU auch an, sich die Legitimierung für das eigene Handeln durch das Kollegium zu holen:

„Aus dem, was mir die Lehrer zurückmelden“ (Z. 1068)

SL_10_MGU

SL_10_MGU nennt im Interview eine kleine Anzahl an Akteursgruppen. Insgesamt sind es acht Akteursgruppen. Die drei Akteursgruppen, die von SL_10_MGU als die wichtigsten Anspruchsgruppen definiert wurden, sind:

  • Eltern

  • Schüler

  • weiterführende Schule

Während die Eltern und Schüler/-innen im Interview für SL_10_MGU keine weiterführende Rolle spielen, da sie in keinem besonderen Maß mit Ansprüchen in Zusammenhang gebracht, noch mit bestimmten Legitimierungsstrategien bedacht wurden, bleibt die dritte Anspruchsgruppe übrig.

Aus dem Interview geht hervor, dass für SL_10_MGU die weiterführenden Schulen die wichtigste Anspruchsgruppe innerhalb der institutionellen Umwelt sind. SL_10_MGU hat dabei ein Verständnis der Organisation-Umweltbeziehung, das die Umwelt durchaus als Fundus wahrnimmt und somit im Konzept nach Mense-Petermann (2006) und Koch (2018) als konstitutionstheoretisch mit Schwerpunkt auf eine translative Sichtweise beschrieben werden kann. Für SL_10_MGU gibt es seitens der Schulaufsicht bestimmte Gesetze, die verpflichtend vorgegeben werden, und dann als Erweiterung Empfehlungen, bei denen SL_10_MGU sich vorbehält, dass diese am Schulstandort diskutiert und entweder umgesetzt oder nicht umgesetzt werden. Damit wird SL_10_MGU dem Verständnis gerecht, dass „Organisationen als Interpret oder Übersetzer gesellschaftlicher Deutungsangebote“ (vgl. Tab. 2.9) wahrgenommen werden. Da die Schulaufsicht nicht zu den zentralen Anspruchsgruppen für SL_10_MGU gehört, zählen die Empfehlungen, die von dieser Akteursgruppe formuliert werden, auch nicht zu jenen, die sie/er am Standort umsetzt. Dies wird besonders an der folgenden Interviewpassage sichtbar:

„[...] Ich unterscheide sehr wohl zwischen einer gesetzlichen Vorgabe und einer Empfehlung und dann noch drunter über einen Wunsch von diversen Stellen. Das ist für mich ganz wichtig. Weil über Gesetz brauche ich nicht zu diskutieren. Es wird einfach durchgeführt und fertig. Das ist das eine. Über Empfehlungen wird ganz genau diskutiert, überlegt welche Vorteile unsere Schule dadurch hat, [...]“ (Z. 421 ff.)

Das Veränderungsempfinden von SL_10_MGU lässt sich, da vielfach die existierenden Routinen und Logiken des Schulstandortes mittels der neuen Ansätze der Reform in Frage gestellt werden, als fundamentaler Wandel beschreiben. SL_10_MGU gibt hierbei die Gesetzesvorgaben weiter, nimmt sich jedoch heraus, alles Weitere im Sinne der ehemaligen Vorgangsweisen zu interpretieren. Somit wird die Veränderung eher im Sinne einer Bricolage als in Form eines Enactments (vgl. Kapitel 3) vollzogen. Das Leitungsverständnis von SL_10_MGU kann als „steuernd“ charakterisiert werden.

„Intern nicht, weil intern können wir es steuern.“ (Z.664).

Auffällig dabei ist, dass SL_10_MGU immer in der „Wir-Form“ spricht. SL_10_MGU fühlt sich jedoch für „alles“ verantwortlich (Z. 1118) und gibt keine Angaben zu geteilten Führungsverantwortungen. Bei der Reform-Umsetzung überlässt SL_10_MGU jedoch dem Kollegium viele Freiräume – ohne hier genauer hinzuschauen, wie die Umsetzung dann im Konkreten erfolgt. Im Vergleich zu SL_07_OGU unterscheidet sich das Führungsverständnis: Zwar nimmt SL_10_MGU Handlungsspielraum gegenüber der institutionellen Umwelt ebenfalls als interpretativ wahr, die Weitergabe bzw. die Interpretation erfolgt jedoch durch SL_10_MGU und nicht in einem ko-konstruktiven Ansatz. Eine Ambivalenz dazu bildet zuvor beschriebenes Faktum, dass SL_10_MGU dann jedoch keine Rechenschaft mehr seitens des Kollegiums einfordert, wie dort die Inhalte umgesetzt werden (vgl. SL_10_MGU, Z. 22 ff.).

4.2.14 Kontrastive Betrachtung von vier Schulleitenden

Vergleicht man die vier Schulleitenden in ihrer Wahrnehmung bezogen auf das Umwelt-Organisationsverständnis, so wird zunächst ein erster deutlicher Unterschied zwischen den Befragten erkennbar. Während SL_06_MGU die eigenen Handlungsspielräume als begrenzt beschreibt und die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform als angeordnete Top-Down-Bürde empfindet, sieht SL_07_OGU die Vorgaben als interpretierbar an und empfindet die institutionellen Rahmenbedingungen eher als Fundus, aus dem entsprechend dem Bedarf vor Ort gewählt bzw. geschöpft werden kann. Auch SL_10_MGU sieht dies ähnlich, stellt jedoch fest, dass es im Rahmen dieser Sichtweise durchaus fixe Anteile gibt, die „Gesetz“ sind und „an denen es nichts zu rütteln“ gibt. Inwieweit jedoch die Empfehlungen, die seitens der Akteursgruppen aus der institutionellen Umwelt existieren, umgesetzt werden müssen, bleibt für SL_10_MGU offen und somit ausgestaltbar. SL_09_OGU beschreibt in den Aussagen des Interviews das Umwelt-Organisationsverhältnis eher als inkorporiert, weder als begrenzend noch als interpretierbar, sondern als umzusetzen – dabei werden die Ansprüche, die seitens der Schulaufsicht an die Schulleitung bzw. den Standort gerichtet werden, weniger hinterfragt als eher Schritt für Schritt umgesetzt. Irritationen werden eher dadurch ausgelöst, wenn es keine klaren Vorgaben gibt, wie die Umsetzung erfolgen soll. Um aus der Erfahrung der anderen Standorte schöpfen zu können, habe sich der Schulstandort dazu entschieden, die Umsetzung der Reform erst so spät wie möglich anzugehen, um von den Erfahrungen anderer Standorte bestmöglich profitieren zu können.

Weiters unterscheiden sich die vier SL durch die drei von ihnen genannten Anspruchsgruppen – lediglich drei Akteursgruppen, nämlich Eltern, Schulaufsicht und weiterführende Schulen, wurden mehrfach genannt, alle anderen Anspruchsgruppen unterschieden sich. Mit allen Anspruchsgruppen verbindet sich der Aspekt der Legitimierung. Die jeweils drei genannten Anspruchsgruppen bilden für die Leitenden jene Akteursgruppen, von denen sie sich am ehesten Legitimierung für ihr Handeln bzw. die Entwicklung ihres Schulstandortes erhoffen. Diese Gruppen fungieren im Verständnis nach Suchmann als jene sozialen Akteure, die Abläufe und Entwicklungen der Organisationen als legitim bestätigen. Bezogen auf die Umsetzung der Neue-Mittelschulreform klang in den Interviews an, dass die Eltern weniger konkrete inhaltliche Ansprüche (zu pädagogischen Themen der Unterrichtsgestaltung) stellen, als vielmehr allgemein das Weiterkommen und die Zufriedenheit ihrer Kinder im Blick haben, wohingegen die anderen Anspruchsgruppen konkrete Erwartungshaltungen – auch bezogen auf pädagogisch-inhaltliche Themen – artikulierten. Während SL_10_MGU an vielen Stellen angab, die Gesetze so gut es gehe zu befolgen (Anspruchsgruppe Schulaufsicht), rechtfertigte sie/er gleichzeitig aber auch, dass bestimmte Reformaspekte (z. B. neue Unterrichtsvorbereitungsansätze wie das Lerndesign) nur teilweise umgesetzt würden bzw. auf andere Inhalte mehr Wert gelegt werde (Entwicklung hin zu den Erwartungen der Anspruchsgruppe weiterführenden Schulen).

In Bezug auf die Anspruchsgruppen kann durchaus festgehalten werden, dass die Schulaufsicht als regulativ-geprägte Institution vielfach durch die bereits erwähnten Empfehlungen auch als normativ-geprägt auftritt. Viele der genannten Anspruchsgruppen sind Akteursgruppen, deren organisationales Wirken sich im Kern mit pädagogischen Themen beschäftigt (Kollegium, andere Schulleiter/-innen, weiterführende Schulen, Fort- und Weiterbildung). Ihnen kann ein vordergründig normativ ausgerichtetes institutionelles Auftreten zugesprochen werden. Die Anspruchsgruppe Eltern vertreten vor allem die kulturell-kognitive Dimension.

Die Schulleitenden unterscheiden sich auch hinsichtlich der Ausgestaltung, wie sie neue Informationen weitergeben. Während SL_06_MGU und SL_10_MGU vor allem die direkte Weitergabe pflegen, nutzt SL_07_OGU sowohl die Methode der direkte Weitergabe als auch den Mechanismus der Aktivität, indem ko-konstruktiv neue Inhalte in Form von Expert/-innenkonferenzen ausgetauscht und diskutiert werden, um dann gemeinsam nächste Schritte zu planen. SL_09_OGU beschreibt im Rahmen von Weitergabe-Mechanismen auch relationale Beziehungen zu Kolleginnen und Kollegen des Lehrkörpers: So würden bestimmte Kolleginnen und Kollegen, mit denen sie/er mehr im Austausch steht, direkte Informationen erhalten und würde er/sie zu anderen Kolleginnen und Kollegen (aus bestimmten Fächern) keine solch intensiven Austauschbeziehungen pflegen.

In allen vier Beispielen konnte ein enger Bezug zwischen jenen Gruppen, die als Anspruchsgruppen definiert wurden, und den Legitimierungsprozessen, die in den Interviews beschrieben wurden, nachgezeichnet werden. Die beiden Schulleitenden, deren Legitimierung sich vor allem gegen die Umsetzung der Reform richtet (SL_06_MGU, SL_10_MGU), versuchten Begründungsmuster zu finden, warum eine Umsetzung scheitern müsse, während die anderen beiden SL vornehmlich Gründe fanden, woran sich zeigen würde, dass die Reformumsetzung gelinge.

Vor allem der Kontrast zwischen SL_07_OGU und SL_10_MGU zeigt deutlich, dass zwar beide ein Umwelt-Organisationsverständnis haben, das es ihnen erlaubt, die Umsetzungsprozesse am Standort relativ frei zu gestalten, diese freie Gestaltung jedoch in unterschiedliche Richtungen gehen kann. Maßgebend hierfür sind die Einstellungen und Orientierungen gegenüber der Reform: Während SL_07_OGU eigene Agentenschaft für die Reform einnimmt, ist bei SL_10_MGU das Gegenteil der Fall. Beide geben auch an, sich die Legitimierung ihrer Standortentwicklungsprozesse durch die Akteursgruppe „weiterführende Schule“ zusprechen zu lassen. Während für SL_07_OGU jedoch vor allem die Ergebnisse und Rückmeldungen ehemaliger Schüler/-innen Auskunft über die Legitimität geben, kommuniziert SL_10_MGU regelmäßig mit Vertreter/-innen der weiterführenden Schulen und sieht sich durch deren Rückmeldung in der eigenen Wahrnehmung, nämlich dass das Neue-Mittelschul-Konzept auch viele schlechte Seiten aufweise (vgl. Z. 593 ff.) bestätigt, wohingegen SL_07_OGU eine solche Erwartungshaltung gar nicht hat.

Gerade in der letzten Kontrastierung wird deutlich, dass auch bei vermeintlichen Parallelen in den Teildimensionen der Merkmalsräume das responsive Leitungshandeln doch unterschiedlich ausfallen kann, da es immer auf das Zusammenspiel aller vier Phasen des Respondierens ankommt. Im gezeigten Fall machen der Umgang mit Veränderung und die Übernahme von Agentenschaft für die Reform den entscheidenden Unterschied aus.

4.3 Zusammenfassung und Grenzen der Untersuchung

Durch die Operationalisierung der vier Phasen des Respondierens entstanden Merkmalsräume bzw. Dimensionen einer jeden Phase. Zusammengenommen ergeben die Dimensionen mit ihren Teildimensionen komplexe Merkmalsräume responsiven Schulleitungshandelns. Gerade die kontrastive fallbasierte Auswertung lieferte Erkenntnisse darüber, dass die Dimensionen dabei unterschiedlich zusammenspielen können bzw. sich gegenseitig bedingen.

Fasst man die dargestellten Ergebnisse noch einmal pointiert zusammen, so lässt sich festhalten, dass bei der Untersuchung nicht festgestellt werden konnte, dass die Nähe zu einer gymnasialen Unterstufe einen Unterschied im responsiven Leitungshandeln der SL ergab. Vielmehr zeigten sich aufgrund anderer Faktoren Unterschiede. Etwa dann, wenn die Wahrnehmung der eigenen Handlungsspielräume (Umwelt-Organisationsverständnis) unterschiedlich interpretiert wurde. Auch die Orientierung an unterschiedlichen Anspruchsgruppen und die damit einhergehende Unterschiedlichkeit der sozialen Akteure, die den organisational Handelnden Legitimität zusprechen, konnte als Faktor, der das responsive Leitungshandeln beeinflusst, herausgearbeitet werden. Bemerkenswert dabei ist auch die Heterogenität, die die Schulleitenden in ihren Nennungen, wer für sie Anspruchsgruppen sind, vorwiesen. Die Darstellung der Ergebnisse konnte in dem Zusammenhang ebenfalls zeigen, dass unterschiedliche Akteursgruppen sowohl als reine Akteursgruppen des institutionellen Umfeldes als auch als dezidierte Anspruchsgruppen wahrgenommen werden. Die Unterscheidung zwischen Anspruchsgruppen und Akteursgruppen wurde dabei jeweils durch die Leitenden getroffen, die den Gruppen entweder Legitimität für das Handeln der SL zusprachen oder nicht. Genannt seien hier noch einmal die Leitenden SL_10_MGU, durch die/den die Schulaufsicht nicht als Anspruchsgruppe wahrgenommen wird, sondern vielmehr die weiterführenden Schulen, und im Vergleich dazu SL_09_OGU, durch die/den die Schulaufsicht als Anspruchsgruppe genannt wurde. Zu der Thematik Anspruchsgruppe/Akteursgruppe lässt sich damit abschließend sagen, dass jeweils die Leitenden definieren, wer für sie Anspruchsgruppen sind – auch dann, wenn, wie im Fall der Schulaufsicht, diese aus ihrem Auftrag und ihrer Befugnis heraus (übergeordnete Behörde) eigentlich per se Anspruchsgruppen sein müsste.

Die Ergebnisdarstellung hat zudem gezeigt, dass die Übernahme von Verantwortung – und in diesem Zusammenhang auch das Verständnis von Agentenschaft – das responsive Leitungshandeln beeinflusst. Je nachdem, ob sich SL für die Umsetzung der Inhalte einer Reform verantwortlich fühlt bzw. Agentenschaft dafür übernimmt, das Antworten auf die gestellten Anforderungen in der Umsetzung anders ausgestaltet wird, als im Falle einer fehlenden Verantwortungsübernahme.

Wie die tatsächlichen Umsetzungen der Reforminhalte am Schulstandort vollzogen werden, wird wiederum auch vom Verständnis beeinflusst, das die SL im Zusammenhang mit Leitung haben. Dabei zeigten die Ergebnisse, dass unterschiedliche Leitungslogiken von den SL bedient wurden. Erwähnenswert hierbei ist, dass die Wahrnehmung der eigenen Handlungslogik, wiederum ausgedrückt im Umwelt-Organisationsverhältnis und im Leitungsverständnis, sich bedingen können (vgl. kontrastiven Fallbetrachtungen). Dieser Aspekt wird in der Diskussion in Kapitel 5 noch einmal vertieft aufgegriffen.

Grenzen der Untersuchung

Mit den vorliegenden Interviewdaten konnten erste explorative Untersuchungen angestellt werden, die responsives Schulleitungshandeln aus subjektiver Sicht der Schulleiter*innen entlang mehrdimensionalen Facetten rekonstruiert. Dabei ergaben sich einige Aspekte, bei denen die Untersuchung Grenzen aufweist. Diese Limitationen sollen an dieser Stelle der Arbeit unter besonderer Berücksichtigung des Untersuchungsdesigns diskutiert werden, bevor am Ende der Arbeit, in Kapitel 5, erweiterte Grenzen der Arbeit erörtert werden.

  • Repräsentativität und Generalisierbarkeit

Durch die qualitative Ausrichtung der Arbeit wird kein Anspruch auf Repräsentativität bzw. Generalisierbarkeit gestellt. Der explorative Charakter dieser Arbeit unterstreicht dies ebenfalls. Die Auswahl der Schulleitenden erfolgte grundsätzlich nach dem Verfahren des convenient samplings, auch diese Tatsache lässt eine allgemeine Gültigkeit außen vor. Die Beschreibung der Fallauswahl für die kontrastive Analyse als theoretical sampling ist dahingehend korrekt, als dass aus den vorliegenden Fällen auf Basis der größtmöglichen Differenzen ausgewählt wurde. Mit der Entwicklung eines Merkmalsraums in Anlehnung an die Typenbildung nach Keller und Kluge endet die empirische Untersuchung dieser Arbeit. Ergaben die elf vorliegenden Fälle genügend Datenmaterial, um die Dimension im Konkreten sowie einzelne Fälle kontrastiv zu beleuchten, reicht die Anzahl und Auswahl der Fälle jedoch nicht dafür aus, zu gewährleisten, dass für eine Typisierung die erforderlichen Träger/-innen des herausgearbeiteten Merkmalraums hinreichend vertreten sind (vgl. Kelle & Kluge 2010, S. 41). Dies stellt auch gleichzeitig eine Limitation der vorliegenden Arbeit dar.

  • Sozialer Bias

Walgenbach und Meyer merken an, dass „[…] die Organisationsforschung als Sozialwissenschaft immer Material interpretiert, das von den Akteuren bereits einem Interpretationsprozess unterzogen wurde […].“ (2008, S. 178). Auf diesen Umstand ist auch im Zusammenhang mit den vorliegenden Daten zu verweisen. Es kann darüber hinaus trotz des Empfindens der Interviewerin, dass alle Interviews in einer offenen und ehrlichen Gesprächsatmosphäre stattgefunden haben, nicht ausgeschlossen werden, dass bei den Selbstauskünften der Schulleitenden ein sozialer Bias miteinzubeziehen ist.

  • Operationalisierung des Modells mit Hilfe neo-institutionalistischer Zugänge

Untersuchungen, die mit neo-institutionalistischen Zugängen arbeiten, setzen sich zum Ziel, das Verhältnis zwischen institutionellen Umwelten und organisationalen Akteuren in den Blick zu nehmen. Die besondere Schwierigkeit dabei liegt zum einen darin, – dies wird in Kapitel fünf noch einmal ausführlicher diskutiert – die unterschiedlichen theoretischen Zugänge und Ansichten im Neo-Institutionalismus zusammenzubringen, und zum anderen darin, die häufig nicht direkt empirisch erfassbaren Elemente der theoretischen Zugänge wie „Institutionen“, „institutionelle Vorstellungen“ oder „Legitimität“ greifbar zu machen. Walgebach & Meyer schreiben daher, dass es,

„[...] eine grundlegende Anforderung an empirische Untersuchungen [ist], dass das rekursive Verhältnis zwischen Institutionen oder institutionellen Arrangements auf der einen Seite und dem Handeln von Organisation und Organisationsmitgliedern auf der anderen Seite zunächst konzeptualisiert und operationalisiert und anschließend durch entsprechende Analysen belegt werden muss.“ (2008, S. 178)

Dem folgend wurde in der vorliegenden Arbeit das Modell nach Gärtner et al. (2017), das aus dem strategischen Management stammt, und somit die theoretischen Richtungen, die gerade in jüngeren Jahren in den neo-institutionalistischen Theorieströmungen (vgl. Greenwood et al 2013; Hardy & Maguire 2013) existieren, herangezogen und adaptiert. Mit Hilfe der in Kapitel 2 und 3 dargestellten erweiterten Verständnisse von zentralen Konzepten im Neo-Institutionalismus erfolgte eine tiefergehende Operationalisierung der vier Phasen des Respondierens. Da es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Untersuchung handelt, die im Kontext schulischer Umwelten und schulischer Akteure durchgeführt wurde, wurden überdies Erkenntnisse der Schulleitungsforschung (Schratz et al. 2015) in der Operationalisierung mitberücksichtigt. Die Anwendung des so entstandenen Modells wurde in seinen einzelnen Bestandteilen zunächst mittels der vorliegenden Daten angewendet, bevor die Schulleitenden durch die kontrastive Falldarstellung in ihrem Gesamtprozess des Respondierens beschrieben wurden. Da es sich um eine explorative Studie handelt, weisen die einzelnen Operationalisierungen der Phasen an manchen Stellen noch Diskussionspotential auf.

So gelang es nicht, im Modell auch die institutionellen Logiken der Anspruchsgruppen abzubilden. Grundsätzlich erhebt das Modell keinen Anspruch auf Vollständigkeit von responsivem Leitungshandeln, es bietet jedoch entlang neo-institutionalistischer Theoriezugänge einen ersten vertieften Blick auf das Respondieren von SL gegenüber ihren institutionellen Umwelten im Zuge einer Reformumsetzung.

Auch, dies wurde bereits in der Zusammenfassung betont, war es für die Operationalisierung des Modells notwendig, die einzelnen Phasen zu unterscheiden. Der gesamte Akt des responsiven Leitungshandelns wird jedoch erst im Zusammenspiel der einzelnen Phasen sichtbar. So bedingen die Phasen einander und stellen sich als Prozess dar. Aus diesem Grund kann der Operationalisierung aus einem phänomenologischen Verständnis heraus auch Kritik zugesprochen werden. In einer phänomenologischen Sichtweise lassen sich die Phasen des Wahrnehmens und Antwortens nicht strikt trennen, sondern stellen sich in der Realität als zwei ineinander verschobene Erfahrungen dar

  • Auswertungsverfahren

Grundsätzlich findet sich in den unterschiedlichen empirischen Forschungsarbeiten, denen ein neo-institutionalistischer Theoriezugang zugrunde liegt, durchaus eine Breite an Methoden sowie methodischen Auswertungsformen. Somit lässt die Theorie hier eine Methodenpluralität und eine gewisse Offenheit zu.

Für die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit erscheinen die angewendeten Methoden sowie das gewählte Auswertungsverfahren adäquat. Dennoch soll an dieser Stelle darauf verwiesen werden, dass jene Fragestellung, die sich mit der Orientierung der Schulleitenden und deren Legitimierungsstreben befasst, auch mittels rekonstruktiver Auswertungsverfahren, wie der dokumentarischen Methode (vgl. Amling & Vogd 2017), hätten analysiert werden können. Da für diesen Zugang jedoch eine größere Forschungsgruppe notwendig ist und die Forschung im Rahmen der vorliegenden Qualifizierungsarbeit alleine von der Autorin durchgeführt wurde, ergaben sich bestimmte Limitationen bzgl. des Auswertungsverfahrens. Eine Validierung war somit nur kommunikativ mit den Befragten bzw. durch die ausführliche Darstellung der Ergebnisse im Sinne einer argumentativen Validierung (vgl. Lamnek 2010 S. 140) möglich.