„Die Umwelten von Organisationen bestehen aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen, die die Ausgestaltung von Organisationen nachhaltig prägen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 11)

Im folgenden Kapitel soll zunächst noch einmal begründet werden, warum die Wahl der theoretischen Fundierung auf Zugänge aus dem Neo-Institutionalismus gefallen ist sowie eine Vorstellung der zentralen Konzepte dieser Theorie erfolgen (Abschnitt 2.1). Historiographisch werden diese präzisiert, indem sie im Kontext des Forschungsstandes betrachtet und anschließend in Bezug auf Schulleitung bzw. Schulleitungshandeln diskutiert werden. Die Theorien des Neo-Institutionalismus haben seit den 1980er Jahren „unterschiedliche disziplinäre und inhaltliche Entwicklungspfade genommen […], diese unterscheiden sich so stark, dass nicht von dem Neo-Institutionalismus als monolithische Theorie gesprochen werden kann.“ (Sandhu 2012, S. 73).Footnote 1 Daher werden im Zuge dieser Arbeit ausgewählte Begriffe dieser sozialwissenschaftlichen Theorieströmung aufbereitet, um Schulen in ihren institutionellen Umwelten und vor allem die Rolle von Schulleiter/-innen in diesen Umwelten erörtern zu können. Aus diesem Vorhaben lassen sich zwei zentrale Aspekte für das zweite Kapitel ableiten.

Zum Ersten werden Zugänge beschrieben, die es ermöglichen Schulen und insbesondere Schulleiter/-innen in einer institutionalisierten Umwelt (1) abzubilden – hierbei werden Leitbegriffe wie Institution (Abschnitt 2.2) und Organisation (Abschnitt 2.3) im Zusammenhang von formalen Bildungskontexten erörtert. Vor allem die diversen Verständnisse von Institutionen und wie diese entstehen, tradiert werden bzw. sich verändern, werden auf Grundlage unterschiedlicher Ansätze aufgearbeitet. Um eine veranschaulichende Zugangsweise zu ermöglichen, werden die unterschiedlichen theoretischen Ausführungen anhand relevanter Beispiele für schulische Umwelten aufbereitet.

Eine Klärung des Akteursbegriffs aus Sicht des Individuums leitet die zweite Phase der vertieften theoretischen Auseinandersetzung in diesem Kapitel ein. Dabei rücken die Schulleiter/-innen ins Zentrum der Betrachtung. Deren Aufgabenprofil sowie ihr Handeln im Spannungsfeld zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen wird im Zusammenhang mit Konzepten zu Agentenschaften (Abschnitt 2.4) dargelegt.

Im Zuge der theoretischen Auseinandersetzung werden Hypothesen formuliert, die Ausgangspunkte für die Kategoriensysteme in der empirischen Untersuchung sein werden. Überdies wird an entsprechender Stelle darauf verwiesen, wie Zugänge der neo-institutionalistischen Theorien erweitert bzw. im Sinne eines für die vorliegende Arbeit zielführenden Verständnisses geschärft werden.

2.1 Verortung, Entwicklung und Bedeutung des Neo-Institutionalismus für Fragen der Schulforschung

„Im Kern geht es im NI [Neo-Institutionalismus] um die institutionelle, multikausale und multikontextuelle Einbettung von Organisationen in die Gesellschaft.“ (Senge und Hellmann 2006, S. 8)

2.1.1 Historiographie der neo-institutionalistischen Theorien

Bereits die Anfänge des Neo-Institutionalismus gründen auf empirischen Forschungen in Non-Profit-Organisationen (z. B. Schulen, Krankenhäuser, Universitäten). So verwundert es nicht, dass diese Theorie gerade in den letzten Jahren eine Renaissance in erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten (vgl. u. a. Schaefers 2002; Brüsemeister 2003; Koch und Schemmann 2009a, 2009b, Powell 2009; Schaefers 2009; Merkens 2011, Muslic und Ramsteck 2016; Muslic 2017; Schemmann 2017; Koch 2018; Pilz 2018; Kamm 2019) und der schulischen Leadership-ForschungFootnote 2 im Konkreten (vgl. u. a. Spillane 2017; Hallinger 2018) erfahren hat. Zentrale Perspektiven, die die neo-institutionalistischen Theorieströmungen charakterisieren, sind von einer Abkehr der Beschreibung organisationaler Umwelten als technisch bzw. aufgabenorientiert und einer Hinwendung zum Verständnis der Umwelten als kulturell bzw. institutionell geprägt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 12; Senge und Hellmann 2006; Merkens 2011). Durch diese Orientierung lassen sich neo-institutionalistische Theorieströmungen von anderen Organisationstheorien unterscheiden. Es wird nicht mehr davon ausgegangen, „dass die Zuordnung der Mittel zu den Zwecken in den Organisationen immer rational im Sinne von effizient erfolge bzw. instrumentell funktionell sei.“ (Merkens 2011, S. 23)

Eine Unterscheidung etwa gegenüber dem Rational-Choice-Ansatz wird deutlich, indem bemerkt wird, dass Neo-Institutionalisten zwar davon ausgehen,

„dass es Ziele in Organisationen gibt, deren Verwirklichung nach den Kriterien rationaler Wahl angestrebt wird – korporative Akteure [also] durchaus ‚intendedly-ration‘ (Simon 1997: 88 ff.) [handeln] – aber Neo-Institutionalisten meinen zeigen zu können, dass die Motive für die rational intendierten Ziele in der Regel aufgrund (oftmals unbewusster) institutioneller Einflüsse entstehen. Das heißt, rationales Handeln wird im Neo-Institutionalismus nicht wie im Rational-Choice-Ansatz als Prämisse zugrunde gelegt, sondern in seinen sozialen Voraussetzungen erst erklärt (Hirsch-Kreinsen 2003: 3). [...] In der Logik des Neo-Institutionalismus wird die Gesellschaft als ein Gefüge von Institutionen begriffen, und es sind die Institutionen der Gesellschaft, welche dauerhaft, verbindlich und maßgeblich das organisationale Handeln bestimmen.“ (Senge 2011, S. 17).

Eine gleiche Argumentationslinie wird verfolgt, wenn nach einer Abgrenzung des Neo-Institutionalismus zur Kontingenztheorie gesucht wird. Demnach geht es im Neo-Institutionalismus nicht mehr darum, den Fortbestand von Organisationen durch effiziente Arbeits- und Tauschprozesse zu gewährleisten, sondern sich durch die Orientierung an institutionellen Umwelten entsprechende Legitimität für den Fortbestand der Organisation zu verschaffen:

„Legitimität wird dabei jedoch nicht als eine spezielle Ressource verstanden, die ebenso wie andere Ressourcen in (ökonomischen) Transaktionsbeziehungen eingesetzt werden kann, sondern als eine notwendige Bedingung, in der sich die Übereinstimmung der Organisation mit gesellschaftlich geteilten Werten, normativen Erwartungen sowie mit allgemeinen Regeln und Gesetzen widerspiegelt.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 12)

Besonders die Einbettung in die gesellschaftlichen Umwelten konfrontiert Organisationen mit Vorgaben und Erwartungshaltungen, auf die sie reagieren müssen. Diesen gerecht zu werden, bedeutet, Legitimität zu erhalten. „Der Neo-Institutionalismus fokussiert die Grenze zwischen Organisation und Gesellschaft und betrachtet diese unter der Perspektive von Unsicherheitsabbau und Legitimations- respektive LegitimitätsaufbauFootnote 3 in Organisationen.“ (Hartz 2011, S. 67). Durch die unterschiedlichen Institutionen, die die Umwelt beeinflussen, entstehen heterogene Ansprüche an Organisationen und deren Akteure. Diese Ansprüche lassen sich beschreiben als „gesellschaftliche Erwartungen im Allgemeinen und […] staatlich-politische Regulierungen im Besonderen“ (Hasse und Krücken 1999, S. 55). In empirischen Studien konnte jedoch festgestellt werden, dass sich Organisationen trotz dieser heterogenen Erwartungshaltungen immer mehr angleichen. Schemmann (2017) folgert daraus, dass „[es] einen Kern von Annahmen oder Regeln [gibt], die weiterhin konsensual in der Gesellschaft bestehen und sich über längere Zeiträume als verbindlich für das Handeln von Akteuren erweist“ (S. 189). Viele Untersuchungen, die ausgehend von neo-institutionalistischen Theorien durchgeführt wurden, versuchen daher zu ergründen, wie es zu solchen Angleichungen kommt bzw. welche Folgen eine Orientierung an solchen heterogenen Umwelterwartungshaltungen haben kann.

„Akteure und ihre Umwelt stehen aus neo-institutionalistischer Perspektive in einem wechselseitigen Konstituierungsverhältnis. In der empirischen Forschung geht es dem Neo-Institutionalismus folglich um die Frage, wie sich dieses wechselseitige Bedingungsverhältnis von sozialen Akteuren, insbesondere von Organisationen, und ihrem institutionellen Kontext als Prozess darstellen lässt und welche Folgen daraus für die Akteure einerseits sowie die institutionelle Umwelt andererseits entstehen.“ (Koch und Schemmann 2009b, S. 10).

Was Koch und Schemmann hier ansprechen, sind Fragen, die die Forschungsentwicklungen in den vergangenen Jahren besonders beschäftigt haben – eine zentrale Kritik in den Anfängen der Neo-Institutionalismusforschung zielte auf die Nichtberücksichtigung von Wandel- und Veränderungsprozessen (vgl. Walgenbach und MeyerFootnote 4 2008, S. 85). Dies hat sich dezidiert in der jüngeren Forschungsgeschichte verändert und somit zu einer weiteren Differenzierung innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen geführt (vgl. Greenwood et al. 2008). Im Detail wird auf diese Kritik, nämlich fehlende Konzepte für die Abbildung von Wandel, in Kapitel 3 noch eingegangen.

Dass der Neo-Institutionalismus nicht als „Grand Theory“ (vgl. Dierkes und Zorn 2005, S. 313) betrachtet wird, ist auch der nicht eindeutigen Abgrenzung zu eng verwandten Theorieströmungen, wie denen des „alten Institutionalismus“ geschuldet. Senge und Hellmann (2006) betonen, dass im „alten Institutionalismus“ „Wechsel und Veränderung der Organisation im Zentrum standen“ (S. 13), und verweisen darauf, dass die „erste Generation“ der neo-institutionalistischen Theorieströmungen „[…] gesellschaftliche Einflüsse auf Handlungsstränge und konkrete Akteurskonstellationen innerhalb von Organisationen untersuchte, während im NI diese als Mikroperspektive zu bezeichnende Forschungsrichtung insbesondere in den frühen Arbeiten vernachlässigt wurde.“ (ebd.). Walgenbach und Meyer (2008) ergänzen, dass außerdem im alten Institutionalismus „besonders normative Dimensionen von Institutionen betrachtet wurden“, im neuen Ansatz jedoch „vor allem die kognitiven Dimensionen von Institutionen, z. B. die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten des Alltags“ (S. 12), diskutiert werden. Auch erfolgt im neuen Ansatz nicht mehr eine Betrachtung von einzelnen Organisationen, sondern werden Organisationen in ihren Einbettungen in die Umwelt betrachtet, was wiederum mit Hilfe von Organisationalen Feldern, ein dezidiertes Instrument des neuen Ansatzes, veranschaulicht und erforscht werden kann. Nichtsdestoweniger betont Merkens (2011), sei eine solche klare Unterscheidung zwischen „altem“ und „neuem“ Institutionalismus nicht so einfach, da „es in den letzten 20 Jahren eine rasche theoretische Entwicklung gegeben hat und Grundpositionen, die am Beginn der 1970er Jahre formuliert worden sind, heute nicht mehr mit der Ausschließlichkeit des Anfangs gelten […]“ (S. 9 f.). Walgenbach und Meyer (2008, S. 12) sprechen sich deshalb dafür aus, die beiden Strömungen des Institutionalismus als unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zu verstehen. Für Arbeiten im Bereich der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschung wird in erster Linie der organisationssoziologische Institutionalismus herangezogen (vgl. Schaefers 2002; Türk 2004; Koch & Schemmann 2009a/b). Dieser Tradition folgt auch diese Forschungsarbeit.

Koch und Schemmann (2009) bestimmen in ihrem einleitenden Kapitel das Verhältnis zwischen Neo-Institutionalismus und Erziehungswissenschaft. Sie rekurrieren dabei auf Türk (2004), der drei unterschiedliche „Analyse- und Aggregationsebenen“ unterscheidet, nämlich einen organisationsinternen (Organization as Institution) (1), einen umweltbezogenen (Organization and Insitution) (2) und einen gesellschaftstheoretischen (World Policy) (3) (vgl. Türk 2004) Ansatz.

Die Ebene, auf der Organisationen und Institutionen in ihrem Wechselspiel beobachtet werden, wird wie folgt charakterisiert.

„Sie [programmatische Beiträge eines umweltbezogenen Neo-Institutionalismus] fokussieren die institutionalisierte Organisationsumwelt und deren Wirkung auf die organisationale Struktur und Praxis [...].“ (Koch & Schemmann 2009b, S. 8)

Während jene der Mikroperspektive so beschrieben wird:

„In neueren Arbeiten [...], im Gegensatz zu der ursprünglich betonten Prägekraft von Institutionen, [steht] vor allem [...] die Gestaltung der Organisation (organisationaler Wandel) sowie ihrer institutionalisierten Umwelt (institutioneller Wandel) [im] Mittelpunkt des Forschungsinteresses [...].“ (ebd.)

Da im Mittelpunkt dieser Arbeit Schulleiter/-innen und deren Handlungen stehen, bedarf es einer Erweiterung der Interaktionsbetrachtung zwischen Umwelt und Organisation auf Mikroebene. Die vorliegende Arbeit bewegt sich, daraus resultierend, im Zwischenfeld der erst- und zweitgenannten Aggregationsebenen.

Koch und Schemmann (2009b) verweisen darauf, dass in neueren Arbeiten Zugänge zur Aggregatsebene (1) – organisationsinterner Ansatz – „die Rolle von individuellen Akteuren bei der Ausgestaltung und Verbreitung spezifischer Organisationsformen“ (ebd., S. 8) betont werden.

Für die Fragestellung und die zu diskutierenden Hypothesen ist es relevant, die Mikroperspektive verstärkt einzunehmen – eine Sichtweise, die in den Anfängen der Theorie nur vereinzelt behandelt wurde (Zucker 1977), jedoch zunehmend mehr Beachtung findet (vgl. Meyer und Jepperson 2005; Meyer und Hammerschmid 2006; Hardy und Maguire 2008; Powell und Colyvas 2008; Rybnikova und Lang 2017). Gerade für Personen mit erweiterter Leitungsverantwortung, die über Handlungsmöglichkeiten verfügen, Organisationsentwicklung maßgeblich zu bestimmen, müssen passende Ansätze im Neo-Institutionalismus gefunden werden. Konkret bedeutet das, Ansätze, die weg von einer rein passiven Beeinflussung von Akteuren bzw. Organisationen durch Institutionen und hin zu einem responsiven Agieren in institutionellen Umwelten gehen. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit entsprechenden neuen Entwicklungslinien der Theorie erfolgt im weiteren Verlauf der Arbeit (Abschnitt 2.4 und 2.3) unter den entsprechenden Kernbausteinen der Theorieströmungen.

Neo-institutionalistische Theorien sind nicht zuletzt aus einem fortlaufenden „Wechselspiel zwischen empirischer Forschung und damit verbundener theoretischer Weiterentwicklung“ (Sandhu 2012, S. 74) entstanden – und bieten daher im besonderen Maß eine Ausgangsposition für die zu untersuchenden Fragestellungen in dieser Arbeit.

Auch tritt die vorgestellte Theorieströmung der seit Jahren anhaltenden Orientierung an Organisationstheorien und Akteurskonzepten entgegen, die einen starken Fokus auf „starke Handelnde“ (sowohl individuell als auch organisatorisch) legen (vgl. z. B. „New Public Management“ und in Teilen auch Diskurse der „School Effectiveness and School Improvement“-Forschung). Auch Leitungsverständnisse wurden dadurch maßgeblich beeinflusst, indem Leitende etwa als immer rational Steuernde wahrgenommen wurden (ausführlich hierzu Abschnitt 3.2.2).

Mit neo-institutionalistischen Ansätzen wird betont, dass Organisationsentwicklung nicht ohne die Organisation umgebende Gesellschaft, hier verstanden als Umwelt, geprägt durch Institutionen, betrachtet werden kann. Dazu unterstreichen Walgebach und Meyer:

„[...] [Es] wird in der neoinstitutionalistischen Organisationstheorie durchaus anerkannt, dass Organisationen auch als ein Versuch der effizienten Steuerung durch eine technisch-rationale Ausgestaltung der Struktur zu verstehen ist. Allerdings wird besonders betont, dass die Grenzen zwischen Organisation und Umwelt verschwimmen und die Durchlässigkeit von Organisation für rationalisierte institutionalisierte Erwartungen eine verstärkte Beschäftigung mit dem Einfluss der kulturellen oder institutionellen Umwelt der Organisation erforderlich macht.“ (2008, S. 17)

Schulleitungs- sowie Schulentwicklungsforschung in deutschsprachigen Ländern bedarf einer Erweiterung um diese Perspektive und muss sich daher bemühen, Handlungs- und Organisationstheorien entweder zu übersetzen oder Theorieansätze zu stärken, die von vorneherein einen entsprechenden kulturellen Fokus haben. Bildung bzw. Bildungssysteme und die darin handelnden Akteure sind mehr als in anderen gesellschaftlichen Systemen bestimmt von kulturellen Vorstellungen, denn Schule kann verstanden werden als ein Ort für kulturelle Aushandlungsprozesse zwischen unterschiedlichen Generationen. Schule prägt daher entscheidend die Gesellschaft und damit wiederum das institutionelle Umfeld jedes Einzelschulstandortes.

2.1.2 Schulleitung in einer institutionalisierten Umwelt

Ob Umwelt, Kontext, Außenwelt oder externe Beziehungen – Schulen werden auch in der Schulentwicklungs- und Schulleitungsforschung nicht als in sich geschlossene Systeme betrachtet, sondern es wird der Einfluss der Umwelten auf Schule und deren Entwicklung klar erkannt (vgl. Bormann 2002; Fend 2008; Rolff 2013; Schratz et al. 2015; Hallinger 2018). Wie sich die Umwelten jedoch gestalten, lässt sich unterschiedlich beschreiben. Auch innerhalb neo-institutionalistischer Theorien werden Organisationen als „offene Systeme“ verstanden (vgl. Merkens 2011, S. 25). Umwelten werden hier nicht, wie bereits beschrieben, als technische wahrgenommen, sondern als von Institutionen geprägte – also als institutionelle Umwelten. Mit Offenheit ist hier zunächst gemeint, dass die Umwelten Einfluss auf die Organisationen haben. Wie stark oder schwach diese Einflüsse sind, hängt wiederum von der Stärke der Legitimation ab, die von der Anspruchsgruppe ausgeht. Für die hier vorliegende Arbeit wird jedoch nicht nur das passive Reaktionsverhalten dieses „offenen“ Systems von Interesse sein, sondern vor allem auch die Frage, inwieweit institutionelle Umwelten von Organisationen mitgestaltet werden, also inwieweit die hier angesprochene Offenheit in beide Richtungen geht.

John W. Meyer und Brian Rowan verdeutlichen gleich zu Beginn ihres den Neo-Institutionalismus begründenden Aufsatzes „Institutionalized organizations: Formal structure as myth and ceremony“, wie sie die Einbettung von Organisationen in ihre Umwelten verstehenFootnote 5:

„Formal organizations are generally understood to be systems of coordinated and controlled activities that arise when work is embedded in complex networks of technical relations and boundary-spanning exchanges. But in modern societies, formal organizational structures arise in highly institutionalized contexts. Professions, policies and programs are created along with the products and services that they are understood to produce rationally. […] That is, organizations are driven to incorporate the new practices and procedures defined by prevailing rationalized concepts or organizational work and institutionalized in society. Organizations that do so increase their legitimacy and their survival prospects, independent of the immediate efficacy of the acquired practices and procedures.” (1977, S. 340 f.)

Die beiden Autoren führen zunächst an, dass Umwelten nicht nur als technische Umwelten wahrgenommen werden, sondern auch institutioneller Natur sein können. Walgenbach und Meyer erläutern, dass im frühen Neo-Institutionalismus technische Umwelten als solche definiert sind, die durch den Markt bewertet werden und „durch eine effiziente Koordination und Steuerung ihrer Arbeits- und Tauschprozesse einen Wettbewerbsvorteil erlangen“. (2008, S. 68). Institutionelle Umwelten hingegen zeichnen sich dadurch aus, dass „Organisationen Konformität mit institutionalisierten Regeln zeigen müssen, um von ihrer Umwelt Legitimität zugesprochen zu bekommen und Unterstützung zu erhalten“ (ebd.). Es gilt daher zu klären, was überhaupt unter Institutionen verstanden wird, welche unterschiedlichen Formen von Institutionen in der schulischen Umwelt vorkommen und wer für die Organisation institutionelle Akteure darstellen von denen Legitimierung für das organisationale Handeln ausgehen.

Vor diesem Hintergrund deuten Meyer und Rowan im oben beschriebenen Abschnitt bereits an, was in den folgenden Unterkapiteln ausgeführt werden wird, nämlich, dass verschiedene Anspruchsgruppen (Professionen, Politik, Programm etc.) in der institutionellen Umwelt agieren. Verbunden mit dem Auftreten dieser Anspruchsgruppen sind häufig auch neue Produkte und Services, die im Verständnis dieser Gruppen Rationalität schaffen. Organisationen, so die beiden Autoren, die diesen Erwartungen und Ansprüchen Folge leisten, steigern ihre Legitimierung und festigen ihr Weiterbestehen, jedoch unabhängig davon, ob die durch die Umwelt geforderten Praktiken die Effektivität in den Organisationen selbst steigern oder nicht.

Walgenbach und Meyer erläutern hierzu, dass „beide Umwelten, technische und institutionelle, [zu] ‚rationalen’ organisatorischen Formen [führen].“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 68). Mit „rationalen“Footnote 6 organisatorischen Formen ist gemeint, dass es bestimmte Normen gibt, die sich in Regeln manifestieren, die einzelne Anspruchsgruppen als Erwartungen an Organisationen formuliert haben. Häufig wird in der Literatur das Beispiel der Umweltvorgaben an ein Unternehmen bemüht. Unternehmen müssen – ob es förderlich für ihre Arbeitsweise ist oder nicht – bestimmte Auflagen erfüllen, damit sie entsprechende Legitimierung (u. U. weiterer Fortbestand des Unternehmens) der dies fordernden Anspruchsgruppe (z. B. Politik) erhalten. Dieser zentrale Aspekt der Rationalitätsschaffung führt mitunter zu Verhalten in Organisationen, die wider deren logischen Arbeitsweisen sein können. Da der Anspruch der Organisationen, den Erwartungen der Umwelten zu genügen, jedoch in vielen Fällen höher ist als die Effizienz der eigenen Arbeitsweisen, kommt es zu entsprechenden Antwortverhalten der Organisationen. Daraus ergeben sich einige weiterführende kritische Momente für die Organisationen. Zum einen haben Organisationen meist mehr als eine Anspruchsgruppe, zum anderen sehen sich Organisationen, deren Legitimation sich vor allem aus institutionellen und nicht-technischen Umwelten speist, mit der Herausforderung konfrontiert, dass Rationalität nur schwer gemessen werden kann. Was sich für technische Umwelten leicht beschreiben lässt, gestaltet sich für institutionelle Umwelten schwerer, diese „erfordern [den] Nachweis, dass eine Organisation den institutionalisierten RationalitätsmythenFootnote 7 genügt.“ (Kieser & Ebers 2006, S. 361)

Meyer und Rowan (1977) haben ein Konzept entwickelt, das veranschaulichen soll, in welcher Abhängigkeit Organisationen zu ihren institutionellen Umwelten stehen und inwieweit ein Zusammenhang zwischen den Erwartungsstrukturen (rationalized institutional myths) und dem Überleben (survival) der Organisation erfolgen kann (Abbildung 2.1):

„Organisationen, die gesellschaftlich legitimierte und rationalisierte Elemente in ihre formalen Strukturen übernehmen, maximieren ihre Legitimität, erhöhen den Ressourcenzufluss und verbessern ihre Überlebenschancen.“ (Walgenbach & Meyer, S. 26 nach Meyer & Rowan 1977, S. 352)

Abbildung 2.1
figure 1

Überlebensstrategien von Organisationen (Meyer und Rowan 1977, S. 353)

Für formale Bildungseinrichtungen (insbesondere für Schulen) und zum Teil auch für Non-Profit-Organisationen allgemein kann festgehalten werden, dass ein „Überleben“ im zuvor dargestellten Sinne nicht vorrangiges Ziel ist und ein bestimmtes opportunes Verhalten auch nicht zwangsläufig zu einem erhöhten Ressourcenfluss führen muss. Die Existenz von Schulen per se wird gesellschaftlich (noch) nicht angezweifelt. Insbesondere die in dieser Arbeit untersuchten Schulen sind allesamt Pflichtschulen. Eine Auflösung bzw. Schließung dieser Schulen ist nicht vorgesehenFootnote 8, da eine ausreichende Anzahl an Schülerinnen und Schüler (vermeintlich) gesichert ist. Pflichtschulen sind, wie der Name sagt, verpflichtet, alle schulpflichtigen Schülerinnen und Schüler, die in keine andere (weiterführende) Schule aufgenommen wurden (z. B. wegen ihrer Noten), aufzunehmen. „Survival“ sollte daher in anderer Form übersetzt werden. Auch das Verständnis von RessourcenFootnote 9 muss angepasst werden. Die Finanzierung und Ressourcenausstattung von Pflichtschulen erfolgt nach einem Prinzip, das zu großen Teilen fix geregelt ist – organisationale Konformität mit institutionellen Erwartungshaltungen erhöht die Ressourcenzufuhr nur bedingtFootnote 10. Betrachtet man Ressourcenausstattung für Pflichtschulen im Sinne monetärer Ressourcen, so gilt, dass je nach Anzahl der Schülerinnen und Schüler am Standort und etwaige gesonderte Förderbedürfnisse dieser Schülerinnen und Schüler (sonderpädagogischer Förderbedarf) Lehrer/-innen-Stellen zugeteilt werden. Somit ist jedem Schulstandort eine monetäre Grundversorgung mit Ressourcen zugeteilt.

Darüber hinaus bestimmt der Schulerhalter – das ist bei Pflichtschulen im Regelfall eine oder mehrere Gemeinde(n)Footnote 11, bei Bundesschulen der Bund –, welche budgetären Mittel den Schulen zugedacht werden. Die Zuständigkeit der Schulerhalter liegt dabei z. B. in den Bereichen Ausstattung, Gebäude, IT sowie Assistenzpersonal (Schulassistenz, Sekretariatskraft). Mitunter kommt es jedoch bei Pflichtschulen zu erheblichen Unterschieden in der Ressourcenzuwendung. Dies hängt z. B. von der finanziellen Lage der Gemeinde(n) ab. Gemeinden nehmen daher für Pflichtschulen, die in dieser Arbeit im Zentrum stehen, eine bedeutende Rolle ein.

Auch DiMaggio und Powell (1983) setzen sich in ihrem, ebenfalls die neo-institutionalistischen Theorien mitbegründeten Aufsatz „The Iron Cage Revisited: Institutional Isomporphism and Collective Rationality in Organizational Fields“ mit dem Hergang von Rationalisierung und dem Wandel von Organisationen auseinander:

„Bürokratisierung und andere Formen der Homogenisierung entstehen unserer Ansicht nach durch die Strukturierung (Giddens 1979) organisationaler Felder. Dieser Prozess wiederum wird besonders vom Staat und den Professionen beeinflusst, den großen Rationalisierern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus zu erläuternden Gründen bilden hochstrukturierte organisationale Felder einen Kontext, in dem individuelle Bemühungen, mit Ungewissheit und Handlungsrestriktion rational umzugehen, in ihrer Gesamtheit oft zu einer Homogenisierung der Struktur, der Kultur und des Outputs führen.“ (DiMaggio und Powell 1983, nach Koch 2009, S. 58)

Ihr Konzept des „Organisationalen Felds“ erweitert die Theorie vor allem um die Möglichkeit, die verschiedenen Anspruchsgruppen und deren Erwartungen an die Organisation darstellen zu können. Entgegen bisheriger Annahmen fasst ein „Organisationales Feld“ „die gesamte relevante Umwelt, in der eine Organisation operiert“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 34).

Legt man diesen hier angeführten Gedanken auf Schulen und deren Umwelt um, so muss zunächst festgehalten werden, dass Schulen besondere Arten von Organisationen sind – daher wird diese Besonderheit (angeleitet durch das neo-institutionelle Verständnis von Organisationen) im Unterkapitel 2.3 herausgearbeitet. Für Schulen oder andere Non-Profit-Einrichtungen sind die Anforderungen der institutionellen Umwelt wesentlich entscheidender als die der technischen Umwelten (vgl. Walgenbach und Meyer 2008; Koch 2009; Merkens 2011).

2.1.3 Neue Perspektiven für die Schul(leitungs)forschung

Dass neo-institutionalistische Theorien Einzug in die Erziehungswissenschaft gehalten haben und als Ansätze zur Beforschung schulischer Prozesse herangezogen werden, wurde bereits betont. In welchem Ausmaß die Theorie überdies eine Erweiterung und Bereicherung für die Schul(leitungs)forschung darstellt, soll nachfolgenden noch einmal herausgestrichen werden.

Zunächst liefern neo-institutionalistische Zugänge Ansatzpunkte, die es ermöglichen kulturell-kognitiv angeleitete Einflüsse der schulischen Umwelten bezogen auf Schulentwicklungshandlungen beschreibbar zu machen. Damit können sie die aktuell dominanten Governance-Diskurse erweitern. Diese, so Benz et al. (2007, S. 19), vernachlässigen vielfach die kulturell-kognitiven Dimensionen als Erklärungsmuster für Rekontextualisierungen (vgl. Fend 2008b, S. 235 ff.) innerhalb eines Mehrebenensystems – etwa bei Reformen. Mit den Zugängen der neo-institutionalistischen Theorien wird in der vorliegenden Arbeit eine erweiternde Perspektive auf das Handeln von Leitenden sowie die Entwicklung schulischer Organisationen gegeben.

Schulische Akteure, im Fall der vorliegenden Arbeit Schulleiter/-innen, bewegen sich in einer institutionalisierten Umwelt. Sie sehen sich trotz der vorhergehenden Ausführungen konfrontiert mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen, wie Schule, ja wie Unterricht auszusehen hat. Die Betrachtung der Mikroperspektive einzelner Leitungshandelnden an der Nahtstelle zur Mesoperspektive – der schulischen Umwelt – erlaubt es, neue Einsichten in das Umwelt-Organisationsverhältnis zu gewähren. Insbesondere soll die Perspektive der aktiven Rolle der organisationalen Akteure in der Ausgestaltung und Beeinflussung der institutionellen Umwelt mitgedacht werden.

Auch der omnipräsente Verweis, dass die Umsetzung von Neuerungen innerhalb schulischer Organisationen mit den Kontextfaktoren der einzelnen Schulen zusammenhängt, bleibt allzu oft vage. Mit Hilfe neo-institutionalistischer Zugänge erfolgt in dieser Arbeit eine intensive Auseinandersetzung mit Umwelten, die von unterschiedlichen institutionellen Akteuren geprägt werden – damit erfährt der Begriff „Kontext“ eine Schärfung. In diesem Zusammenhang werden auch Anspruchsgruppen, die schulischen Umwelten prägen und Einfluss auf schulische Entwicklungsvorhaben haben, in den Blick genommen. Welche Anspruchsgruppen das jeweils sind und welcher institutionellen Logik diese jeweils folgen und welchen Einfluss das auf das Handeln der Akteure in den Schulen haben kann, soll im Zuge dieser Arbeit geklärt werden. Diese erweiterte Betrachtung kann ein vertieftes Verständnis für schulisches Leitungshandeln gewähren.

2.2 Im Dickicht institutioneller schulischer Umwelten

„Von ihnen [gesellschaftlichen Institutionen] gehen Einflüsse aus, denen sich Organisationen nicht gänzlich entziehen können, auf die Organisationen aber unterschiedlich reagieren können.“ (Senge 2011 S. 18)

2.2.1 Ein verwobenes Geäst: Institutionen und institutionelle Umwelten

Institutionen sind der zentrale Ansatzpunkt der neo-institutionalistischen Theorieströmungen. Das Verhältnis zwischen ihnen und Organisationen steht im Mittelpunkt der neo- institutionalistischen Organisationstheorien. Auch im Fokus des wissenschaftlichen Interesses dieser Arbeit steht das Verhältnis zwischen Schule bzw. Schulleiterinnen und Schulleitern und ihrer institutionellen Umwelt. Daher ist für diese Arbeit zentral, ein umfassendes Verständnis einer solchen institutionellen Umwelt zu entwickeln. Dieses Unterkapitel fokussiert demnach auf Modelle zur Darstellung, Tradierung und Entwicklung von Institutionen bzw. institutionellen Umwelten.

Walgenbach und Meyer formulieren in Bezug auf das Verhältnis zwischen kollektiven Akteuren, sprich Organisationen, und ihrer institutionellen Umwelt einen viel zitierten und für die Rezeption der neo-institutionalistischen Theorie leitenden Satz:

„Die Umwelt von Organisationen besteht aus institutionalisierten Erwartungsstrukturen, die die Ausgestaltung von Organisationen nachhaltig prägen. So lässt sich das Kernargument der Organisationstheorie zusammenfassen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 11)

Liest man diese CharakterisierungFootnote 12, so lässt sich daraus der Schluss ziehen, dass Organisationen als „Produkt“ (Koch 2018, S. 113) institutioneller Annahmen, Vorgaben bzw. Erwartungshaltungen zu verstehen sind. Genauer gesagt, dass Organisationen gegenüber Institutionen in einer untergeordneten Rolle zu betrachten sind (Meyer & Rowan 1977; DiMaggio & Powell 1983; Fligstein 1985). Neue Zugänge verweisen allerdings darauf, dass Organisationen auch als „Produzenten“ (Koch 2018, S. 113) bzw. als aktive(rer) Akteure (Abdelnour, Hasselbladh, Kallinikos 2017; Greenwood, Oliver, Sahlin-Andersson & Suddaby 2008) die Umwelt gestalten können. Um diesen Ansatz weiter zu verfolgen, braucht es jedoch ein anderes bzw. verändertes Verständnis, wie institutionelle Umwelten auf kollektive und individuelle Akteure wirken, mit ihnen in Wechselbeziehung stehen bzw. sie sich selbst verändern können. Diese Erweiterung der Definition von institutioneller Umwelt bewirkt, dass kein eindeutiges, für die Theorieentwicklungen stringentes Konzept für Institutionen, also für organisationale Umwelten, vorliegt. Je nachdem, worauf der Fokus gerichtet wird, können unterschiedliche Blickrichtungen anschlussfähiger sein. Für die komplexen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit empfehlen sich daher dreiFootnote 13 unterschiedliche Zugänge. Bereits in der Darstellung dieser unterschiedlichen Zugänge sollen für die Weiterverwendung im empirischen Teil zentrale Elemente hervorgehoben werden. Mit diesem Ansatz soll ferner ein Grundstein für die Ausdifferenzierung der institutionellen Umwelten der untersuchten Schulen im empirischen Teil gelegt werden.

Eine häufig in der Literatur angeführte Herausforderung im Umgang mit dem Institutionenbegriff ist, dass die institutionelle Umwelt selbst zunehmend organisierter ist. Scott erläutert dies wie folgt:

„The first and most general assumption underlying our approach is that the environment of organizations are themselves increasingly organized. Organizations increasingly do not exist and complete as individual autonomous units, but as members of lager systems […]

Not only are these organizational environments becoming more highly organized socially: they are also more highly organized culturally.“ (Scott 1983, S. 160f.)

Die zentrale Problemlage besteht demnach darin, dass viele institutionalisierte Erwartungshaltungen der Gesellschaft mehr und mehr organisiert und somit durch individuelle bzw. kollektive Akteure vertreten werden. Demnach ergeben sich Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen den Begriffen „Organisation“ und „Institution“.

„Organisationen bestehen aus Handlungen (oder, bei Luhmann, aus Kommunikation). Institutionen regeln Handlungen. Organisationen sind Handlungssysteme, Institutionen aber gesellschaftliche Erwartungsstrukturen [...] Organisationen sind heutzutage – nicht ‚schon immer’ – ein Fall von Institutionen.“ (Ortmann 2015, S. 120)

Schimank (2011) schreibt hierzu: „Alle Institutionen sind handlungsprägend; aber einige sind darüber hinaus selbst handlungsfähig, besitzen Akteursstatus.“ (S. 293). Gerade diese entscheidende Feststellung bedarf einer vertieften Betrachtung im Zusammenhang mit schulischen institutionellen Umwelten. So werden in vielen Diskursen Organisationen – wie staatliche Einrichtungen (z. B. Behörden) – als Institutionen bezeichnet, da ihnen mitunter Aufgaben wie das Ausformulieren übergreifender Regeln bzw. das Etablieren, Durchsetzen und Kontrollieren solcher Regeln (vgl. Koch 2018, S. 116, Fußnote 68) zuteilwerden. Schulische institutionelle Umwelten sind geprägt von Behörden (z. B. Schulaufsichtsbehörde, Kinder- und Jugendamt; kommunale Verwaltungen etc.). Die „duale Grundstruktur des Umweltverständnisses“ (Koch 2018, S. 115) wird charakterisiert durch sowohl sozial-strukturelle als auch kulturelle Merkmale, eine Weitläufigkeit der begrifflichen Verständnisse. Althans und Engel (2017) verweisen auf Göhlich (2011, 2013), der Organisationen als durch kulturelle Kontexte geformt, aber auch sozial konstruiert, d. h. kultur-gestaltend, beschreibt und auf die verschwindende Grenze zwischen Organisation und Kultur aufmerksam macht. Dies trifft, so der Autor weiter, besonders auf Organisationen zu, denen der Status einer Institution zugeschrieben werden kann. Althans und Engel (2017) rekurrieren auf diese „mangelnde Trennschärfe“ zwischen den Begriffen, welche, so die beiden Autorinnen, speziell im pädagogischen Diskurs zu finden sei (vgl. S. 3).

Daher ist es nötig, nicht nur einen genauen Blick auf Konzepte und Verständnisse zum Institutionenbegriff zu werfen, sondern darüber hinaus muss auch die Frage nach Anspruchsgruppen, die stellvertretend für bestimmte institutionelle Normen, Routinen und Vorgaben stehen, miteinbezogen werden.

Türk (2004) liefert mit seiner umfassenden und überblickenden Beschreibung dessen, was unter Institutionen verstanden werden kann, eine erste Verortung:

„Der Begriff der Institutionen bezieht sich [...] auf komplexe dauerhafter, gegenüber abweichendem Verhalten relativ resistenter Regeln, Normen, Deutungen, Orientierungen und Handlungsmuster. Diese sind im Alltag nur zu einem Teil bewusst präsent, zum anderen Teil fungieren sie als Bedingungen der Möglichkeit von Handeln überhaupt, da sie Formen und Inhalte für Sinn-, Erwartungs-, Ziel- und Strategiebildung bereitstellen“ (S. 924).

Da die vorliegende Arbeit sich insbesondere mit dem soziologisch geprägten Neo-Institutionalismus auseinandersetzt, hilft eine weitere Präzisierung, welche von Miebach (2007) stammt:

„Während Anthropologen auch Bräuche und Rituale als Institutionen betrachten, grenzt die Soziologie den Begriff der Institution auf soziale Normen und Regeln ein, die das Handeln von Individuen in sozialen Kontexten beeinflussen.“ (S. 128)

Die neo-institutionalistischen Theorien fassen Organisationen als Handlungssysteme auf und nicht als Strukturen und Ziele wie in der klassischen Organisationstheorie. Diese Handlungssysteme sind reguliert durch kulturell-kognitive, regulative und normative Elemente der institutionellen Umwelt, die innerhalb der Organisation verankert sind. Während der alte Institutionalismus (vgl. u. a. Parsons) die normative Dimension einseitig betont, legen neo-institutionalistische Theorien den Fokus insbesondere auf den kulturell-kognitiven Aspekt. Der regulative Aspekt wird in der Tradition der Herrschaftstheorien von Weber und Giddens fortgesetzt. Damit analysieren die neo-institutionalistischen Theorien neben den institutionellen Vorgaben die praktischen Prozesse innerhalb der Organisation genauer. Die Modelle und Konzepte zum Institutionenverständnis im Neo-Institutionalismus lassen sich mehrheitlich auf Berger und LuckmannFootnote 14 (1969 [1966]) zurückführen. Diese beschreiben die Entstehung von Institutionen durch den Prozess der Institutionalisierung:

„Institutionalisierung findet statt, sobald habitualisierte Handlungen durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden. Jede Typisierung, die auf die Weise vorgenommen wird, ist eine Institution.“ (2012 [1980])

Ausgehend von Habitualisierung als Vorstufe der Institutionalisierung werden Handlungen, die sich bewährt haben, wiederholt und dadurch zur Gewohnheit. Somit manifestieren sie sich in Handlungsmodellen, die sich reproduzieren lassen und letztlich typisiert werden (vgl. ebd. S. 72 ff.). Neben einer Typik der Akte bilden sich auch Typiken von Akteuren (vgl. ebd. S. 76 ff.). Berger und Luckmann sprechen in diesem Zusammenhang von Rollen. Diese Rollen hängen letztlich nicht mehr von bestimmten Individuen ab, sondern werden Individuen mit bestimmten Erwartungshaltungen an ihre Rolle konfrontiert.Footnote 15 Durch diese Rollen wird Handeln im gesellschaftlichen Gefüge wechselseitig kalkulierbarer und führt zu einer Entlastung im Sinne eines „Vorbereitet-Seins“ (ebd.) auf bestimmte Verhaltensweisen.Footnote 16 Eine Institutionalisierung kann als abgeschlossen angesehen werden, wenn sie an Dritte weitergegeben wird, z. B. an nächste Generationen oder an unbeteiligte Dritte, die nicht an der originären Konstruktion beteiligt waren.Footnote 17 Erfolgt dies, sprechen Berger und Luckmann von „Objektivation“ (Berger und Luckmann 1982, S. 22). Diese kann im konkreten Organisationshandeln nicht verändert oder zerstört werden: „Institutionen sind nun etwas, das seine eigene Wirklichkeit hat, eine Wirklichkeit, die dem Menschen als äußeres, zwingendes Faktum gegenübersteht.“ (ebd. S. 62)

Institutionen stehen demnach als „objektive Faktizität“ (ebd., S. 20) den Individuen gegenüber. Die Veränderung institutionalisierter Verhaltensmuster erfordert die Habitualisierung anderer Verhaltensweisen, die dann institutionalisiert werden. Neben dieser ersten (primären) Objektivation sprechen Berger und Luckmann noch von einer zweiten (sekundären) Objektivation, nämlich der LegitimierungFootnote 18. Legitimation verbindet unterschiedliche Sinnkomplexe miteinander, sodass dadurch die institutionalisierten Handlungsmuster zusätzlich gerechtfertigt und gefestigt werden (sekundäre Objektivation).

Trotz all dieser Annahmen verweisen Berger und Luckmann auch auf den Umstand, dass Institutionen „zwar eine Neigung zur Dauerhaftigkeit“ haben, dennoch der Prozess der Institutionalisierung kein unwiderruflicher sei (S. 86). Der Hinweis auf die Veränderbarkeit von Institutionen wird nur in einem Absatz angerissen. Für die Rezeption und Weiterentwicklung im Neo-Institutionalismus ist dies jedoch von großer Bedeutung, da ein statisches Verständnis von Institutionen, wie es in den originären Texten propagiert wird, für Veränderungsprozesse in Organisationen und auch in der Gesellschaft nicht haltbar ist. Dies wird als zentrale Kritik an den neo-institutionalistischen Theorien formuliert.Footnote 19

Die Autorinnen und Autoren der originären Arbeiten wie Meyer und Rowan (1977), DiMaggio und Powell (1983) und Zucker (1977) bzw. Tolbert und Zucker (1983) präzisieren den Institutionenbegriff im Zuge der Gründung der neo-institutionellen Theorieströmungen für ihre Arbeiten noch einmal und führen weitere zentrale Begriffe im Kontext ihrer Zugänge ein.

So nutzen Meyer und Rowan in ihrem für die Theorie richtungsweisenden Aufsatz von 1977 den Begriff des Mythos, um Institutionen wie folgt zu beschreiben:

„Institutionelle Regeln fungieren als Mythen, die von Organisationen inkorporiert werden, um Legitimität, Ressourcen, Stabilität und erhöhte Überlebensaussichten zu erlangen.“ (Übersetzung nach Schemmann & Koch 2009c, S. 28)

Institutionen werden von den beiden Autoren auch als „rationalisierte institutionalisierte Mythen“ bzw. „rationalisierte institutionalisierte Regeln“ bezeichnet (Koch 2009, S. 113). Koch (ebd.) leitet daraus drei Aussagen ab. Institutionen werden demnach erstens enger gefasst, nämlich als Regeln – somit rückt neben der Vorstellung von „Objektivität, Externalität, Sinnbezug und Dauerhaftigkeit vor allem de[r] handlungsleitende Charakter institutionalisierter kultureller Wissensbestände in den Vordergrund“ (ebd.). Zweitens beschreiben die Autoren Institutionen als ‚rationalisierte‘ Regeln bzw. Mythen. Demnach sind Institutionen nicht mehr als allgemeine, abstrakte Erwartungshaltungen zu verstehen, sondern als „hochgradig konkrete ‚Rezepte‘ der Gestaltung von Organisation (ebd.). „Institutionen genießen den Status eines sozialen Faktums“ (Meyer und Rowan 1977, S. 341) und sind somit wenig dynamisch in dieser Interpretation. Drittens führen Meyer und Rowan den Begriff Mythos in die Debatte ein. Koch bringt die dahinterstehenden Aussagen wie folgt auf den Punkt: Die Autoren verstehen darunter „eine gesellschaftlich kursierende Vorstellung von dem, was als normativ richtiges, gesellschaftlich angemessenes und rationales Handeln von Organisationen gilt“ (Koch 2009, S. 113).

„Rationalitätsmythen sind für die Institutionalisten Regeln und Annahmegefüge, die rational in dem Sinne sind, daß sie plausible soziale Ziele bestimmen und in sinnvoll erscheinender Weise festlegen, welche Mittel zur rationalen Verfolgung dieser Zwecke die angemessenen sind. Sie sind Mythen in dem Sinne, daß ihre Wirklichkeit und Wirksamkeit von einem geteilten Glauben an sie abhängt, sie also nicht einer ‚objektiven‘, d.h. empirischen Prüfung unterzogen werden bzw. werden können (Scott 1987b, 1992a). Die Verwendung des Plurals – Mythen – weist darauf hin, daß Rationalität differenziert, d.h. in unterschiedlichen Formen, in einzelnen Bereichen der Umwelt von Organisationen auftreten kann.“ (Walgenbach 1998, S. 275f.)

Meyer und Rowan (1977) entwickeln in ihrem Aufsatz ein Konzept von Institutionen, das sie als ‚Blaupausen‘ (des Organisierens) darstellen. In Abgrenzung zu technologisierten Umwelten betonen die Autoren insbesondere die kulturell-kognitiven Seiten von Institutionen. DiMaggio und Powell unterstreichen dies und verweisen darauf, dass sich die theoretischen Ansätze auf den „cognitive turn in contemporary social theory“ (1991, S. 22), den sie der phänomenologischen Soziologie und Ethnomethodologie zuordnen.

Ein entscheidender Kritikpunkt an dieser Darstellung ist die Unveränderlichkeit dieser einflussnehmenden Institutionen auf kollektive Akteure. Zwar, so schreibt Walgenbach, wird immer von Mythen gesprochen – in unterschiedlichen Formen –, wie und in welcher Weise diese jedoch z. B. unterschiedlich starken Einfluss auf den Prozess des Organisierens nehmen, wird nicht präzisiert. Auch bezüglich der Entstehung und Verbreitung von Institutionen bleiben die Autoren vage.

DiMaggios und Powells (1983) Begriffsauseinandersetzung manifestiert sich vor allem in ihrer Präzisierung des abstrakten Verständnisses von institutionellen Umwelten, welches zuvor von Meyer und Rowan eingeführt wurde. Sie tragen dem Rechnung, indem sie ihren Fokus insbesondere auf strukturelle Aspekte von Institutionen lenken: „Felder existieren nur in dem Ausmaß, in dem sie institutionell definiert sind. Der Prozess institutioneller Definition oder ‚Strukturierung‘, besteht aus vier Aspekten.“ (DiMaggio & Powell 1983, Übersetzung Schemmann & Koch 2009, S. 60) Diese vier Aspekte, die zu einer Strukturierung der institutionellen Umwelt führen, sind: eine Steigerung der Interaktion zwischen den Organisationen eines Feldes; klar definierte interorganisationale Herrschaftsstrukturen und Koalitionsmuster; Erhöhung der Informationsmengen, die von den Organisationen verarbeitet werden müssen, sowie, bedingt durch gemeinsame Unternehmungen, eine Intensivierung des gegenseitigen Wahrnehmens der Organisationen (vgl. ebd.). DiMaggio und Powell bringen damit eine von Giddens (1979) geprägte Perspektive mit in den Diskurs, nämlich jene der Strukturation (DiMaggio und Powell 1991, S. 22). Da das Hauptaugenmerk der beiden Autoren darauf gerichtet war zu erklären, wie es zu homogenen Entwicklungen und somit zu isomorphen Angleichungen bei Organisationen kommen kann, spielten Strukturen für sie eine entscheidende Rolle, obwohl sie mit der kognitiv-kulturellen Dimension die parsonssche Strukturtheorie zugunsten von praktischen Handlungsprozessen zu überwinden versuchten. Daher ist es konsequent, dass DiMaggio und Powell in ihren Ausführungen die Institutionalisierung nicht innerhalb sozialer Systeme verorten, sondern für den sozialen Kontext den offeneren Begriff „Organisationales Feld“ einführen. Bis heute ist dieses die primäre Analyseebene der Theoriestränge (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 71). Als „Organisationales Feld”Footnote 20 definieren die Autoren jene Organisationen, die „in the aggregate, constitute a recognized area of institutional life: key suppliers, resource and product costumers, regulatory agencies and other organizations that produce similar services or products.“ (DiMaggio und Powell 1983, S. 123). Zwar herrscht Einigkeit darüber, dass die Einführung des Instruments des Organisationalen Feldes ein entscheidender Meilenstein war, die detaillierte Konzeption und Weiterführung jedoch noch nicht vollends ausgereift war. So wurde kritisiert, dass es als äußerst statisches Konstrukt beschrieben wurde sowie Beziehungen und Aushandlungsprozesse im Feld selbst nur eine untergeordnete bis keine Rolle spielen. DiMaggio und Powell würdigen Bourdieus Habitustheorie als zentralen Baustein der soziologischen Praxistheorie (1991, S. 25–26). Sie beziehen sie allerdings nicht auf die Feldtheorie Bourdieus, die als „Feld von Kämpfen“ gerade die Kämpfe um Status und Macht innerhalb der Felder betont.

Auch die Gewichtung der einzelnen Akteure innerhalb des Feldes wurde nicht weiter beachtet sowie Widersprüche, die durch unterschiedliche Erwartungshaltungen innerhalb des Feldes auftreten können, nicht berücksichtigt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 73).

Davon abgesehen, versuchen die beiden Autoren im Gegensatz zu Meyer und Rowan dennoch den Prozess des Wandels mit in ihre theoretischen Erläuterungen aufzunehmen und benennen insgesamt drei Mechanismen der Diffusion, die zu einem Wandel führen können: Zwang, Mimese und normativer Druck. Erzwungener Wandel ist zurückzuführen auf formellen bzw. informellen Druck, der entweder aus Abhängigkeit oder aus kulturellen Erwartungen der Gesellschaft resultieren kann (vgl. DiMaggio und Powell 1983, übersetzt von Schemmann und Koch 2009c, S. 64). „Unter bestimmten Umständen ist organisationaler Wandel eine direkte Antwort auf staatliche Anordnung.“ (ebd.) DiMaggio und Powell verbinden mit Zwang vor allem die „politisch konstruierten Umwelten“ (ebd.). Mimetischer Wandel sei, so die Autoren, zurückzuführen auf Ungewissheit und die Suche nach Orientierung, die sich dann in einem Nachahmen niederschlagen (vgl. S. 66). „Organisationen neigen dazu, jene Organisationen in ihrem Feld zu imitieren, die sie als legitimer und erfolgreicher wahrnehmen.“ (ebd. S. 68). Die dritte Form des Wandels wird als jene des normativen Drucks beschrieben. Repräsentiert wird dieser institutionelle Wandel laut DiMaggio und Powell durch Professionen. In Bezug auf Larson (1977) und Collins (1979) wird unter Professionalisierung

„die kollektive Anstrengung einer Berufsgruppe [verstanden], die Bedingungen und Methoden ihrer Tätigkeit selbst zu definieren, die ‚Produktion von Produzenten‘ (Larson 1977, S. 49–52) zu kontrollieren sowie eine kognitive Grundlage und Legitimation ihrer beruflichen Autonomie zu etablieren.“

Damit einhergehend wird ein Spannungsfeld beschrieben, bei dem sich individuelle Akteure im Zweifelsfall in einem Loyalitätskonflikt zwischen ihrer Profession und den formulierten organisationalen Zielen wiederfinden können (vgl. DiMaggio und Powell 1983, übersetzt nach Schemmann und Koch 2009c, S. 69).

Die Benennung zentraler Institutionen wie politische Systeme und Professionen vertiefen die anfänglichen Überlegungen, dass institutionelle Erwartungshaltungen von bestimmten Akteuren repräsentiert bzw. inkorporiert werden. Durch die Engführung der möglichen Auslöser von Wandel werden auch die entsprechenden institutionellen Umwelten verkleinert. Ein Kritikpunkt lautet daher, dass es einer differenzierteren Betrachtungsweise von institutionellen Umwelten im Sinne von erweiterten Akteuren des Organisationalen Feldes bedarf. Dieser Kritikpunkt wird im Rahmen dieser Arbeit aufgegriffen und erweitert diskutiert. Auch die Darstellung von Organisationen, als stark von äußeren Umwelten beeinflusst und auf diese nur passiv reagierend, ist ein Kritikpunkt, der bereits mehrfach angesprochen wurdeFootnote 21 – und in Kapitel 3 unter dem Aspekt des institutionellen Wandels und des Antwortverhaltens darauf nochmals ausführlich beleuchtet wird. Die Aufnahme der Strukturkomponente erweitert den Diskurs.

Im Mittelpunkt des Aufsatzes von Zucker stehen drei besondere Eigenschaften von Institutionen, nämlich deren Vermittlung, deren relative Beständigkeit und deren Veränderungsresistenz (vgl. Zucker 1977, S. 726). Mit ihrer auf der Mikroebene durchgeführten Studie untersucht die Autorin, wie die Vermittlung insbesondere jener institutioneller Handlungen, die als Faktum kommuniziert bzw. transportiert werden, erfolgt. Dabei betont die Autorin den Aspekt der Zeit – je länger eine Institution bereits existiert, desto verfestigter ist sie und desto unhinterfragter wird sie übernommen. Walgenbach und Meyer (2008) weisen darauf hin, dass nach dem Verständnis Zuckers

„Institutionalisierung einer Praktik oder einer Form nicht entweder gegeben oder nicht gegeben sei, sondern dass Institutionalisierung als Variable verstanden werden muss. Unterschiedliche Grade der Institutionalisierung hätten eine unterschiedliche Beständigkeit der Institution zur Folge.“ (S. 41)

Somit beschreibt die Autorin Institutionen als nichts Statisches, sondern als etwas Dynamisches.

Institutionen, die den höchsten Grad der Institutionalisierung erlangt haben, müssen nicht mehr legitimiert werden. Sie sind beständig, nahezu unveränderbar, und werden mehr oder weniger uniform von Generation zu Generation übernommen (vgl. ebd., S. 730). Das von der Autorin genannte dritte Merkmal ist die Veränderungsresistenz. Je stärker die Institutionalisierung, umso resistenter ist die Handlungsweise und umso beständiger die Kultur, so Zuckers Annahme.

Walgebach und Meyer (2008) verweisen an dieser Stelle darauf, dass sich in diesen Grundannahmen die Unterschiedlichkeit von Zuckers Beitrag zu den beiden zuvor dargestellten Grundlagenpapieren abzeichnet. In den Konzepten von Meyer und Rowan und DiMaggio und Powell werden institutionelle Erwartungshaltungen von Organisationen aufgrund von Zwang oder Erwartungsdruck übernommen. Diese müssen nach Zuckers Annahmen jene sein, die wenig stark institutionalisiert sind. Nur dadurch ließe sich ein bewusstes Erleben von Druck oder Zwang in der Übernahme solcher Erwartungshaltungen erklären. Die Übernahme erfolgt nach dieser Auslegung nicht unhinterfragt. Abermals spielt die Frage nach Macht und Legitimität mit in die Übernahme von Erwartungshaltungen hinein:

„Der Grad der Institutionalisierung hängt andererseits auch vom persönlichen Einfluss ab. Die Bewertung der Handlung, die ein Akteur / eine Akteurin, der/die Einfluss ausübt, hängt von den Qualitäten ab, die dieser Person zugesprochen werden. Sie kann, verbunden mit einer bestimmten Person, hohe Verbindlichkeit haben, beispielsweise weil diese Person eine bestimmte Funktion innehat oder weil ihr eine Autorität zugesprochen wird. Die Legitimität der Handlungen schwindet aber auch mit der Person. Entsprechend ist der Grad der Institutionalisierung dieser Handlungen gering (vgl. Zucker 1977, S. 729).“ (Falk 2016, S. 110f.)

Wie bereits beschrieben, beschäftigt sich Zucker jedoch nicht mit wenig institutionalisierten Handlungen, sondern mit jenen, die die stärkste Institutionalisierung erfahren haben. In der Ethnomethodologie, auf die sich Zucker beruft, werden die Verhaltensmuster nicht durch die bewusst-intentionale Umsetzung von Normen institutionalisiert, sondern durch die laufende Reproduktion in praktischen Handlungsprozessen.

Da Zuckers Forschungen vor allem auf der Mikroebene durchgeführt wurden, ist ihre Beschreibung der Akteure besonders interessant. „Den Akteuren kommt bei einer solchen Betrachtung eine eigene, aktive Rolle zu. Sie sind es, die diese Institutionen kontinuierlich und über Generationen hinweg reproduzieren, ohne sie infrage zu stellen.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 42).

In einem weiterführenden Aufsatz veranschaulichen Tolbert und Zucker (1996) nochmals die Ausführungen Zuckers zum Institutionalisierungsprozess. Besonders hervorzuheben sind hierbei die unterschiedlichen Institutionalisierungsgrade (vgl. Abbildung 2.2), angefangen von der Vorstufe, die sie als Habitualisierung benennen (vgl. auch Berger und Luckmann), die Zwischenstufe, die sie als Objektivierung bezeichnen sowie die abschließende Stufe der Institutionalisierung. In den beiden ersten Phasen, so die Autorinnen, sind die institutionellen Vorstellungen noch instabil und führen zu einem hohen Veränderungsgrad bei den Akteuren. Erst in Phase 3, der Sedimentierung, kann von jenen Institutionen gesprochen werden, die, unhinterfragt und als Norm geltend (vgl. Tabelle 2.1), tradiert werden.

Abbildung 2.2
figure 2

Bestandteile des Institutionalisierungsprozesses (Tolbert & Zucker 1996, Übersetzung L.J.-R.)

Tolbert und Zucker (1996) gehen davon aus, dass unterschiedliche exogene Auslöser, wie Technologiewandel, Marktkräfte und (neue) GesetzeFootnote 22, zu einer veränderten Handlungsweise (Habitualisierung) führen. Durch unterschiedliche, wiederum exogene oder endogene Faktoren werden Reaktionen objektiviert. Betont werden soll dabei die „theoretische Abstraktion“ (‚Theorizing‘). An dieser Stelle wird die neue Handlungsweise untermauert mit theoretischen Konzepten bzw. werden Argumentationsstrategien zur Legitimation dieser Handlungsweise ausgearbeitet. Überträgt man diese Phase auf schulische bzw. bildungssystemische Veränderungen, so lässt sich in dieser Phase eine vermehrte Produktion, etwa von Handreichungen oder Publikationen zu einem bestimmten Thema, erfassen. Dies lässt sich besonders eindrucksvoll bei der Einführung der Neuen-Mittelschul-Reform nachzeichnen. Während die Pilotierungsphase dieses Schultyps ab 2009/10 lief, wurde dieser Schultyp ab 2012/2013 als neue verpflichtende Schulform anstelle der vormaligen Hauptschulen eingeführt. Mit bundesweitem Roll-out der Reform (2012) mussten die habitualisierten Erfahrungen aus der Pilotierungsphase forschungsgeleitet abstrahiert werden – dies entspricht dem von Tolbert und Zucker beschriebenen Prozess. Im Zuge der Objektivierung der Erkenntnisse wurde eine Vielzahl an unterschiedlichen Präsentationen und Handreichungen angefertigt. Abbildung 2.3 zeigt die Entwicklung von MaterialienFootnote 23, die insbesondere das Thema „kompetenzorientierte bzw. kritieriale Leistungsrückmeldung“ umfassen.

Abbildung 2.3
figure 3

(Eigene Darstellung)

Darstellung des Objektivierungsvorgangs im Zuge der NMS-Reform am Beispiel Leistungsrückmeldung

Phase 3, der Prozess der Sedimentierung, kann unterschiedlich verlaufen – wenn man so will, entscheidet sich hier, ob es zu einer Institutionalisierung kommt oder nicht. Die entscheidenden Einflüsse auf das Gelingen der Sedimentation sind Widerstand bzw. Fürsprache und Ergebnisse im Sinne von positiven Effekten, die für die involvierten Akteure wahrnehmbar sind. Tolbert und Zucker führen hierzu aus:

„Even in the absence of direct opposition, sedimentation may be truncated gradually because of a lack of demonstrable results associated with a structure. A weak positive relation between a given structure and desired outcomes may be sufficient to affect the spread and maintenance of structures, particularly if advocates continue to be actively involved in theorizations and promotion. However, in many cases, the link between the structure and the intended outcomes is quite distant, and demonstration of impact exceedingly difficult.“ (S. 178)

Konstruiert man diesen Prozess für die Transformation, sprich die Umwandlung der ehemaligen Hauptschule zur Neuen Mittelschule, weiter, so erfolgt zum momentanen Zeitpunkt die Phase der Sedimentierung. Beeinflusst wird dieser Prozess der Institutionalisierung durch partielle RückführungenFootnote 24 eingebrachter Veränderungen durch neue Regierungsparteien und ein Fehlen aktueller wissenschaftlicher Befunde zu den Auswirkungen der neuen Lehr- und Lernkultur. Inwieweit bzw. in welcher Form eine Sedimentierung stattfinden kann, ist zum momentanen Zeitpunkt demnach ungewiss.

Neben den Aspekten „theoretische Abstraktion“ sowie „Verbreitungsformen während des Prozesses“ gehen Tolbert und Zucker auch auf die Charaktereigenschaften derjenigen ein, die die Handlungsvorgaben übernehmen. Unter anderem beschreiben Tolbert und Zucker sogenannte „Champions“, die in der Lage sind, Veränderungen herbeizuführen und im Vergleich zu anderen Akteuren Prozesse in Phase 1 und 2 anleiten können. Diese Explikationen der Autoren lassen vermuten, dass es in ihrer Lesart unterschiedliche Akteurstypen gibt. Unklar bleibt, inwieweit eine Veränderung von institutionellen Vorstellungen erfolgen kann, wenn die Phase der Sedimentation bereits eingetreten ist.

Tabelle 2.1 Stufen der Institutionalisierung und vergleichenden Dimensionen (Tolbert & Zucker 1996, übersetzt L.J.-R.)

Die Beschreibung des Veränderungsgrades, den die neuen Handlungsweisen auf ihrem Weg von der „veränderten Handlung“ hin zu einer „institutionalisierten Handlung“ durchlaufen, wird von Tolbert und Zucker (1996) als „hoch – moderat – gering“ beschrieben. Daraus lässt sich schließen, dass, einmal im Status der Institutionalisierung angekommen, keine Veränderungen der Handlungen mehr erfolgen – wie kann hier jedoch ein Prozess der De-Institutionalisierung oder Veränderung inkludiert werden?

„The reversal of this process, or deinstitutionalization, is likely to require a major shift in the environment (e.g. long-lasting alterations in markets, radical change in technologies) which may then allow a set of social actors whose interests are in opposition to the structure to self-consciously oppose it or to exploit its liabilities [...]“. (S. 184)

Dieser Aussage nach zu urteilen, gehen Tolbert und Zucker davon aus, dass eine De-Institutionalisierung einen exogenen Auslöser braucht; inwieweit Organisationen aus sich heraus neue Handlungsmöglichkeiten entwickeln können bzw. eine aktive Rolle in ihrem Antwortverhalten gegenüber der Umwelt einnehmen, bleibt weitestgehendFootnote 27 unklar.

Mit dieser Rückblende auf die zentralen Texte des Neo-Institutionalismus wurden unterschiedliche Zugänge und Konzepte für die Begrifflichkeiten, die institutionelle Umwelten bedingen, erörtert.

Vor diesem theoretischen Hintergrund soll im Folgenden auf zwei Definitionsversuche aus dem deutschsprachigen Diskurs zu neo-institutionalistischen Theoriesträngen verwiesen werden.

Zum einen entwirft Senge (2006, S. 44 f.) ein Konzept, bei dem sie drei direkte Merkmale und ein indirektes Merkmal für Institutionen festlegt:

  • Institutionen sind soziale Regeln für Handlungen (sachliche Dimension).

  • Die Befolgung institutionell vorgegebener Regeln hängt vom Grad der Institutionalisierung ab (soziale Dimension).

  • Institutionalisierung setzt Wiederholung voraus (zeitliche Dimension).

„Eine soziale Regel ist dann eine Institution, wenn sie maßgeblich für ein empirisches Phänomen ist, wenn sie in sozialer Hinsicht für einen oder mehrere Akteure verbindlich ist und wenn sie zeitlich von langer Dauer ist.“ (Senge 2006, S. 44)

Tabelle 2.2 Unterschiedliche Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006)

Koch und Schemmann (2009) zum anderen präzisieren diese von Senge aufgelisteten Merkmale und benennen sie neu:

  • Sachliche Dimension I – Objektivität (Institutionen sind für mehrere soziale Akteure vorhanden),

  • Zeitliche Dimension – Permanenz (Institutionen überdauern die Beteiligung der einzelnen Akteure)

  • Soziale Dimension I – Externalität (Institutionen existieren außerhalb der sozialen Akteure)

Darüber hinaus fügen sie zwei weitere Merkmale hinzu:

  • Soziale Dimension II – Sinnhaftigkeit (Institutionen repräsentieren eine inhaltliche Bedeutung für Akteure)

  • Sachliche Dimension II – Regelhaftigkeit (Institutionen nehmen bestimmenden Einfluss auf Akteure) (vgl. S. 7).

Für die beiden Autoren stehen Institutionen „stellvertretend für ganz unterschiedliche Elemente einer gesellschaftlichen Umwelt, in die soziale Akteure – seien es Individuen, Organisationen, Nationalstaaten etc. – eingebunden sind und von denen sie grundlegend konstituiert und permanent beeinflusst werden.“ (ebd.)

Während Senge die Regelhaftigkeit nur implizit beschreibt, umfasst die Beschreibung von Koch und Schemmann diese explizit. Senge gelingt es überdies, ein dynamisches Momentum einzubringen, indem sie mögliche unterschiedliche Gewichtungen der einzelnen Merkmale abbildet (siehe Tab. 2.2). Sie integriert in ihre ‚soziale Dimension‘ den Aspekt der Institutionalisierung. Allerdings liegt für Senge eine Institution nur dann vor, „wenn eine Regel alle drei Bedingungen erfüllt (maßgeblich, verbindlich, von langer Dauer)“. (Senge 2006, S. 45) Somit kann für die Autorin nur dann von Institutionen gesprochen werden, wenn gemäß ihrer Darstellung alle drei Parameter (sachliche, soziale und zeitliche Dimensionen) von höchster Regelhaftigkeit (maßgebliche Regel) sind. Damit knüpft sie an Zucker an, die genau diese Institutionen als zentral für ihre Forschung angesehen hat. Inwieweit man auch von Institution sprechen kann, wenn die Regelhaftigkeit unterschiedlich ausgeprägt ist, bleibt zu klären – nach Meyer und Rowan würden hier noch die Aspekte der Legitimation, der Macht bzw. des Zwangs (Legitimationsdruck) mit einfließen. Dies ist bis dato nicht ausreichend definitorisch berücksichtigt. Legitimation ist nur indirekt in der sachlichen und sozialen Dimension berücksichtigt. Führt man beide Definitionen zusammen, so müssten diese, rückführend auf die Erkenntnisse aus den originären Texten, sowohl um diese Dimension als auch um die Strukturkomponenten, die es bei DiMaggio und Powell bereits im Ansatz gibtFootnote 28, erweitert werden. Für die Erweiterung der strukturellen Dimension wird der Begriff der Interdependenz vorgeschlagen (Tabelle 2.3)

  • Soziale Dimension III – Interdependenz (Institutionen beeinflussen Umwelt und Akteure wechselseitig)

Tabelle 2.3 Erweiterte Dimensionen des Institutionenbegriffs (nach Senge 2006 und Koch & Schemmann 2009)

Vor allem in Bezug auf die Weiterentwicklung des Verständnisses von institutionellen Umwelten und die Schärfung zentraler Begrifflichkeiten in diesem Zusammenhang ist es für die vorliegende Arbeit wichtig, sich mit weiteren Arbeiten und Ansätzen auseinanderzusetzen. Da eine zentrale Absicht dieser Forschungsarbeit darin liegt, institutionelle schulische Umwelten benennen bzw. aus Sicht der Schulleiterinnen und Schulleiter darstellen zu können, muss eine intensive Auseinandersetzung erfolgen. Erst ein umfassendes Verständnis über Institutionen, Akteure, Anspruchsgruppen und deren Beziehungen untereinander sowie das Zusammenspiel zwischen Handlungen und Institutionen ermöglicht es, die empirischen Untersuchungen theoretisch einordnen zu können.

2.2.2 Alte Pfade, verschlungene Wege und neue Zugänge

Obwohl in den bisher dargestellten Arbeiten bereits eine Vielzahl an Fragestellungen bezüglich institutioneller Umwelten angesprochen wurde, fehlt es an einer notwendigen Vertiefung, so etwa beim Konzept der unterschiedlichen institutionellen Ausprägungen. Wie können Institutionen in ihrer Unterschiedlichkeit innerhalb von institutionellen Umwelten dargestellt werden? Die Bearbeitung dieser zentralen Frage erfolgte im Neo-Institutionalismus vergleichsweise spät. Erst in den 1990er-Jahren setzten sich Autorinnen und Autoren gezielt mit einer KlärungFootnote 29 bzw. Weiterentwicklung der Begriffslage auseinander.

Einschlägig bekannt wurde W. Richard Scott mit seinem Drei-Säulen-Modell (1995). Scott greift in seiner Arbeit (2001, erstmals 1995) wesentliche Argumente von Jepperson (1991)Footnote 30 und Suchmann (1995)Footnote 31 auf und legt eine weitreichende Begriffsbestimmung für Institutionen vor (Scott 2001, S. 48):

  • „Institutions are social structures that have attained a high degree of resilience.

  • Institutions are composed of cultured-cognitive, normative and regulative elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning in social life.

  • Institutions are transmitted by various types of carriers, including symbolic systems, relational systems, routines and artifacts.

  • Institutions operate at multi-level of jurisdiction, from the world system to localized interpersonal relationships.

  • Institutions by definition connote stability but are subjects to change processes, both incremental and discontinuous.”

Neben dem Modell der drei Säulen findet Scott auch Antworten auf die Frage, wie sich Institutionen ausbreiten bzw. wie sie weitergegeben werden. Somit versucht er, in sein Modell ebenfalls die dynamische Seite des Wandels von Institutionsebenen einzubauen. Neuere Arbeiten greifen Scotts Ansatz auf und vertiefen ihn, indem sie die Frage behandeln, wie Verbreitungsmechanismen zwischen Institutionen und Handlungen von Akteuren konzipiert sind – dazu finden sich genauere Ausführungen bei Barley und Tolbert (1997). Beide Autoren greifen zudem den von DiMaggio und Powell induzierten Ansatz auf, den neo-institutionalistischen Zugang mit der Strukturationstheorie nach Giddens (1976, 1979) zusammenzubringen. Die Weiterentwicklung der Autoren bewegt sich vor allem im Bereich des kognitiv-kulturellenFootnote 32 Verständnisses von Institutionen (vgl. Koch 2018, S. 118 f.). In eine ähnliche Richtung gehen auch andere Arbeiten, etwa von Greenwood et al. (2008). Für die hier vorliegende Arbeit sind die Ausführungen von Barley und Tolbert relevant, da das Modell der „kulturellen Skripten“, wie die Autoren kognitiv-kulturelle Erwartungsstrukturen bezeichnen, bestimmte schulische Umwelten zu erfassen vermag.

Die Limitation des Scott‘ schen Ansatzes findet sich in dem Umstand, dass Institutionen als dauerhafte, nicht veränderbare Umwelteinflüsse beschrieben wurden. Mit der bereits erwähnten Wende, dass institutionelle Umwelten nicht nur Einfluss auf kollektive und individuelle Akteure nehmen können, sondern ein Einfluss auch in umgekehrter Form geschehen kann, etablierte sich der Wunsch in einer Weiterentwicklung des Institutionenkonzeptes auch institutionellen Wandel abbilden zu können. Dieser Anspruch führte zu einem Verständnis von Institutionen als Prozess (vgl. Koch 2009, S. 117 f.). Geleitet von Schlagwörtern wie „Institutionalisierung“, „Re-Institutionalisierung“ und „De-Institutionalisierung“ (Zucker 1977; DiMaggio 1991, S. 30 ff.), erfolgte eine vertiefte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Zugängen, wie Institutionen in der Literatur zu neo-institutionalistischen Theorien dargestellt werden. Diesen neueren Theoriezweig repräsentierend, werden in dieser Arbeit noch die Arbeiten von Hasselbladh und Kallinikos (2000) sowie Philips, Lawrence und Hardy (2004) näher betrachtet. Diese Autoren verstehen Institutionen als Diskurse – ein Ansatz, der vor allem für Theorien der Responsivität anschlussfähig erscheint (vgl. Abschnitt 3.3). Die folgenden Unterkapitel dienen daher primär einer Perspektivenöffnung, um ein besseres Verständnis dafür zu erlangen, was hinter den unterschiedlichen, in den neo-institutionalistischen Theoriesträngen angewendeten, Institutionenbegriffen steckt.

Um die nachfolgenden Darstellungen über institutionelle Umwelten in einer strukturierten Form zu besprechen und die einzelnen Aspekte miteinander vergleichen zu können, sollen gemeinsame Fokusse für die Analyse gewählt werden. Dies hilft bei einem nachfolgendem Resümee. Darüber hinaus soll anhand anschaulicher Beispiele auch eine Brücke zum Thema der Arbeit geschlagen werden. Die Beispiele sind aus den institutionellen Umwelten von Schulen gewählt.

Diesen Ausführungen folgend, kann als erster Vergleichspunkt folgender genannt werden:

  1. i.

    Prozesse der Institutionalisierung (Wandel)

Für die Fortführung dieser Arbeit, insbesondere den empirischen Teil betreffend, ist es wichtig, dass nachvollzogen werden kann, wie exogene Faktoren, etwa eine Reform, zu innerorganisationalen Veränderungen führen kann. Überdies werden die drei vertieft behandelten Theorieausführungen auf ihr Verständnis von Institutionalisierung bzw. Wandel hin untersucht. Ausführlich beschrieben wurden sowohl bei Berger und Luckmann als auch bei Zucker (1977) bzw. Tolbert und Zucker (1999), wie der Prozess von der Habitualisierung zur Institutionalisierung verläuft – wenig beschrieben wurde dagegen bis dato der umgekehrte Prozess. DiMaggio und Powell gehen auf diesen Aspekt mit dem Konzept der „Diffusion“ und des „Isomorphismus“ ein. Entscheidend sind jedoch auch Veränderungsprozesse, die durch exogene Auslöser erfolgen. Daher liegt der vierte und letzte Untersuchungsschwerpunkt auf den theoretischen Beschreibungen von Wandel bestehender institutioneller Vorstellungen.

  1. ii.

    Konzepte der Legitimation

Insbesondere der Aspekt der Legitimation ist für die vorliegende Arbeit und die übergreifende Fragestellung, welche Akteure der institutionellen Umwelt von Schulleiterinnen und Schulleitern als legitimierend wahrgenommen werden, besonders wichtig.

Berger und Luckmann (2012 [1980]) unterscheiden verschiedene Ebenen von LegitimierungFootnote 33. Zunächst, so führen die Autoren aus, gehe es im Prozess der Legitimierung um die Produktion einer neuen Sinnhaftigkeit (vgl. S. 98 f.). Sowohl institutionelle Ordnungen als auch Personen, die an verschiedenen institutionellen Prozessen beteiligt sind, sollen Institutionen als sinnhaft wahrnehmen. Die beiden Autoren betonen dabei eine Sinnverschränkung sowohl auf horizontaler als auch auf vertikaler Ebene. Entscheidend ist der Hinweis, dass die Frage nach Legitimation sich erst dann stellt, wenn eine institutionelle Ordnung in eine neue Generation bzw. an unbeteiligte Dritte herangeführt wird, da diesen das Momentum der Habitualisierung fehlt. Hier muss auf ein mögliches Missverständnis hingewiesen werden. Zucker (1977) sowie Tolbert und Zucker (1999) verwenden den Begriff „Habitualisierung“ auch dann, wenn eine institutionalisierte Erwartungshaltung gegenüber neuen Akteuren geäußert (also an Dritte weitergegeben) wird– hier bedarf es ihrer Ansicht nach sehr wohl einer Legitimierung. Wohingegen bei der Übergabe von institutionellen Vorstellungen, etwa von Generation zu Generation, institutionelle Vorstellungen und Annahmen so gefestigt sind, dass sie als unhinterfragte Tatsachen angenommen werden – hier entfällt die Notwendigkeit der Legitimierung.

Meyer und Rowan (1977) weisen in ihrem Aufsatz auf einen weiteren Aspekt im Zusammenhang mit Legitimierung hin, der vor allem für die empirische Untersuchung von großer Bedeutung ist. Organisationen sehen sich häufig mit mehr als einer institutionellen Erwartungshaltung von mehr als einer Quelle konfrontiert. Mitunter können diese verschiedenen Institutionen bzw. Erwartungen konfligierende Ansprüche stellen. Um ihr Überleben zu sichern, so die Autoren, müssen individuelle Akteure bzw. Organisationen auf die institutionellen Erwartungen jener Anspruchsgruppen reagieren, die ihnen die größte Legitimität zusprechen.

“In order to survive, organizations conform to what is societally defined as appropriate and efficient, largely disregarding the actual impact on organizational performance.” (Meyer und Rowan 1977, S. 353)

Um hier alternative Konzepte zu berücksichtigen bzw. eine Vertiefung der Frage nach Legitimierung zu erhalten, richtet sich hierauf der zweite Betrachtungsfokus.

  1. iii.

    Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen (Action)

Da in dieser Arbeit die Schulleiterinnen und Schulleiter und deren Handeln im Mittelpunkt stehen, wird ein besonderes Augenmerk auf die theoretischen Explikationen hinsichtlich der Verbindung zwischen Handlung und Institutionen gerichtet. Wie werden in der theoretischen Aufarbeitung die Ebenen der institutionellen Umwelt mit der Handlungsebene zusammengebracht? Hierzu bieten die drei originären Texte wenige Aufschlüsse.

  1. iv.

    Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren

Eine Frage, die bereits im Problemaufriss dieses Unterkapitels zum Ausdruck gebracht wurde und die überdies auch von Berger und Luckmann mit der Konstruktion von Rollen angesprochen wurde, ist, wie bzw. warum und wann bestimmte Akteure Agentenschaft für institutionelle Vorstellungen übernehmen. Institutionelle Vorstellungen können als nicht zuschreibbare Erwartungshaltungen aus der Umwelt an individuelle oder kollektive Akteure herangetragen werden; sie können aber auch durch individuelle (Vertreter/-innen z. B. einer Institution) oder kollektive Akteure (Organisationen) vermittelt werden.

Besonders interessiert in diesem Zusammenhang ist auch noch einmal die bereits angesprochene Debatte um Profession als Institution – darauf wird in einem Exkurs Bezug genommen. Außerdem wird im Zusammenhang mit diesen Fragestellungen erneut ein Blick darauf geworfen, wie das Akteurskonzept vor allem erweitert durch die Berücksichtigung der Theoriediskurse zum Thema Agentenschaft, behandelt wird.

Um eine lesefreundliche Darstellung zu ermöglichen, werden anschließend an jedes Modell die genannten vier zentralen Aspekte noch einmal in einer tabellarischen Übersicht dargestellt. Die Reihenfolge der Besprechung beginnt mit Scott (1995, 2001), gefolgt von Barley und Tolbert (1997) und schließt ab mit Hasselbladh und Kallinikos (2000) sowie Philips, Lawrence und Hardy (2004).

2.2.2.1 Institutionelle Umwelten als Säulen bzw. als Dimensionen

Setzt man sich mit unterschiedlichen Konzepten zu institutionellen Umwelten in neo-institutionalistischen Theorien auseinander, so stellt man fest, dass das Modell, das von Scott entwickelt wurde, jenes ist, das in unterschiedlichen Disziplinen (u. a. Soziologie, Politikwissenschaften, Bildungswissenschaften) in den vergangenen Jahrzehnten am dominantesten rezipiert wurde. Sowohl in deutschsprachigen (Senge und Hellmann 2006; Senge 2011; Koch und Schemmann 2009, Walgebach und Meyer 2008; Schaefers 2002, Sadhu 2012, Horwath 2017; Koch 2018) als auch englischsprachigen Artikeln (Hopkins & Spillane 2015; Nelson 2016; Hall 2017) Scotts Modell als Grundlage für weiterführende Forschungen herangezogen wird.

Scott geht in seiner Grundannahme davon aus, dass “Institutions are comprised of regulative, normative, and cultural-cognitive elements that, together with associated activities and resources, provide stability and meaning to social life” (2008, S. 48) (Tabelle 2.4).

Tabelle 2.4 Säulenmodell nach Scott (2008)

Das Säulen-Modell soll nun im Detail beschrieben werden; um dies anschaulich zu gestalten, wird dabei auf eine Anspruchsgruppe aus der schulischen Umwelt zurückgegriffen. Besonders geeignet erscheint hierbei die SchulaufsichtFootnote 34 (vgl. u. a. Dedering & Sowada 2017; Hall 2017).

Die Schulaufsicht verkörpert mehrere Dimensionen institutioneller Umwelten – zum einen bildet die Schulaufsicht das Organ bzw. die Institution, die Aspekte der regulativen Umwelt für Schulen prägt. Die Akteure, die den juridischen Part innerhalb der Schulaufsicht übernehmen, verengen Handlungsweisen in Schulen Footnote 35 , indem sie auf die Wahrung expliziter, schriftlich fixierter und formalisierter Regeln (vgl. Koch 2018, S. 116) verweisen. Sie verkörpern damit die regulative Dimension. Die Akteure, die den pädagogischen Part übernehmen (Schulinspektorinnen und Schulinspektoren), wirken im Bereich der normativen Umwelt auf Schulen. Durch ihre Interpretation etwa neuer Reformerlasse werden zulässige Handlungsoptionen benannt. So werden Werte als „Konzeption des Wünschenswerten, als Standards, die der Bewertung von Verhalten dienen, sowie Normen im Sinne einer Spezifizierung, wie Dinge getan werden sollen“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 58 f.) dargestellt. Schulinspektorinnen und Schulinspektoren agieren so als Professionsvertretung und werden mitunter auch als eine solche von Schulleiterinnen und Schulleitern bzw. Lehrerinnen und Lehrern wahrgenommen, obwohl sie in ihrem Berufsverständnis eigentlich den Staat vertreten.

Während den juridischen Vertreterinnen und Vertretern als Sanktionsmedium die (rechtlich bindende) „Strafe“ zur Verfügung steht, können die pädagogischen Vertreterinnen und Vertreter nur abgeschwächte Formen der Sanktionierung bemühen. Den direkten Kontakt zu den Schulen haben jedoch die Schulinspektorinnen und Schulinspektoren. In ihrer täglichen Arbeit werden sie mit vielen Fragen zum gesamten Wirkungs- und Aufgabenbereich der Schulaufsicht belangt, so auch mit Fragen zur regulativen Dimension. Qua ihrer Erfahrung geben Inspektorinnen und Inspektoren auf diese Fragen oftmals ebenfalls Antworten. Als Konsequenz ergibt sich innerhalb der Institution ‚Schulaufsicht‘ nicht nur ein Ungleichgewicht der Professionen, sondern auch Fehladressierungen im professionellen Verständnis. Eine dadurch bedingte fehlende Eindeutigkeit im Erwartungsbild an Schulleiterinnen und Schulleiter kann zu Missverständnissen im Antwortverhalten führen.

Exkurs Profession

Profession als Institution bzw. als Agent spielt für Scott (u. a. 2008) in der heutigen Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Für den Autor haben Professionen die Rolle inne, neue institutionelle Rahmenvorgaben zu entwickeln (vgl. 2014, S. 122). Hierbei sieht er die Rolle der Profession in allen drei Dimensionen vertreten bzw. mit Hilfe aller drei Mechanismen arbeiten. So wirken Professionen allgemein im Bereich der kognitiv-kulturellen Dimension, indem sie neue Vorstellungen und Konzepte einbringen, aus denen wiederum Handlungsanleitungen und Richtlinien ergehen. Bestimmte Professionsvertretungen agieren jedoch vor allem mittels normativer Mechanismen – sie setzten Standards und Normen, wie Handlungen durchzuführen sind. Viele Studien belegen, dass Professionen vor allem durch normative Codes funktionieren. Einige Professionen verfügen sogar über Handlungsmechanismen, die im Sinne der regulativen Dimensionen funktionieren. Hierzu zählen etwa Juristen bzw. Juristinnen und Vertreterinnen und Vertreter von militärischen Professionen (vgl. ebd., S. 123; 2008, S. 226). Prinzipiell kann zu den Aussagen Scotts ergänzt werden, dass Professionen, die eine Professionsvertretung haben, z. B. Ärzte bzw. Ärztinnen durch die Ärztekammer, wesentlich gefestigter in ihrem Professionsverständnis sind als jene, die keine solche Vertretung haben. Pädagoginnen und Pädagogen haben in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern keine eigenständige Professionsvertretung; gleiches gilt für Schulleiterinnen und SchulleiterFootnote 36.

Koch fügt den drei genannten Säulen (regulativ, normativ und kognitiv-kulturell) des etablierten Institutionenmodells von Scott (2014 [1995]) eine weitere Säule bzw. Dimension – Koch spricht von Dimensionen –, nämlich die der strukturellen UmweltFootnote 37 hinzu. Er führt dazu aus, dass

„organisationale Akteure in Relation zu weiteren individuellen und kollektiven Akteuren stehen. Dieses Beziehungsgeflecht schließt hierarchische und horizontale Relationen zwischen Organisationen ein und umfasst so letztlich alle für die Organisation relevanten weitere Akteure.“

Mit dieser weiteren Dimension induziert Koch auch die Frage nach dem Nähe- und Distanzverhältnis in institutionellen Umwelten. Unterschiedliche Positionen von individuellen und kollektiven Akteuren können entscheidenden Einfluss auf ein potentielles Reagieren auf deren Erwartungshaltungen haben. Gerade für schulische Umwelten ist diese zusätzliche Dimension zu berücksichtigen. Um diese ergänzende Dimension Kochs besser verorten zu können, erfolgt ein kurzer Exkurs zu strukturellen Aspekten innerhalb neo-institutionalistischer Theoriezugänge.

Neil Fligstein und Doug McAdam veröffentlichten 2012 eine „Theory of Fields“, in der sie das Feldkonzept von DiMaggio und Powell, auf welches sich auch Koch beruft, erweitert und theoretisch fundiert haben. Einige ihrer Überlegungen können Fragen, die im Laufe der Theorieentwicklung entstanden sind, weiter diskutieren. So etwa die Fragen: Wie kann man „Felder“ definieren? Wer gehört den Feldern an, wer nicht? Wer sind die zentralen Akteure und wer die peripheren Handelnden im Feld? Auch die Frage, wie Felder mit anderen Feldern verbunden werden können, steht im Zentrum ihrer Ausführungen.

„A strategic action field is constructed mesolevel social order in which actors (who can be individual or collective) are attuned to and interact with one another on the basis of shared (which is not to say consensual) understandings about the purpose of the field, relationships to others in the field (including who has power and why), and the rules governing legitimate action in the field.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9)

Wie hier angeführt wird, sehen Fligstein und McAdam die Möglichkeit, dass Akteure in einem Feld sowohl Individuen als auch Kollektive sein können. Weiters führen sie aus: „All collective actors (e.g., organizations, clans, supply chains, social movements, and govermnetal systems) are themselves made up of strategic action fields.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9). Damit wird festgehalten, dass Gruppen und Organisationen, die in einem Organisationalen Feld angeführt werden, noch einmal als eigenes Feld definiert werden können.

„[...] [T]he ties between fields highlight the interdependence of strategic action fields and their very real potential to effect change in one another. Indeed, we will argue that these links constitute one of the main sources of change and stability in the fields.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 9)

Fligstein und McAdam heben außerdem hervor, dass es sich bei Feldern um sozial konstruierte Umgebungen handelt (vgl. hierzu auch Berger und Luckmann). Die soziale Konstruiertheit lässt sich an drei Merkmalen festmachen:

„First, membership in these fields is based far more on subjective ‚standing‘ than on objective criteria. […] The boundaries of strategic action fields are not fixed but shift depending on the definition of the situation and the issues at stake. […] So fields are constructed on a situational basis, as shifting collection of actors come to define new issues and concerns as salient. Finally, and most important, fields are constructed in the sense that they turn on a set of understanding fashioned over time by members of the field.“ (Fligstein und McAdam, 2012, S. 10)

Zu dem letztgenannten Punkt weisen die beiden Autoren explizit darauf hin, dass eine gemeinsame „institutionelle Logik“Footnote 38 ein verbindendes Glied im Feld sein kann. Nach Friedland und Alford (1991) sowie Thornton und Ocasio (1999) versteht man unter institutionellen Logiken „die sozial konstruierten, historischen Muster materieller Praktiken, Annahmen, Werte, Glaubenssätze und Regeln, nach denen Individuen ihre Handlungen ausrichten, Zeit und Raum organisieren und ihrer sozialen Realität Sinn zuschreiben.“ (Thornton und Ocasio 1999, S. 804, übersetzt von Sandhu 2012, S. 108). Sandhu (2012) verweist darauf, dass institutionelle Logiken die „Scharniere“ zwischen Handlung und Struktur bilden, und somit eine Verbindung zwischen den Makro- und Mikro-Ansätzen innerhalb der Theorieströmungen (vgl. S. 108) schaffen.

In seiner detaillierten Auseinandersetzung mit dem Drei-Säulen-Modell hält Koch positiv fest, dass es Scott gelungen sei, „die unübersichtliche Debatte [zu] systematisier[en] und präzisier[en].“ (Koch 2018, S. 22, Fn. 70). Insbesondere eröffnet Scott mit seinem Modell die Möglichkeit, durch die regulative und normative Säule den Neo-Institutionalismus und dessen Institutionenverständnis für andere Organisationstheorien anschlussfähig zu machen (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 63.). Gleichzeitig übt Koch aber auch Kritik an Scotts Darstellung. So kritisiert er erstens die bereits angeführte Verkürzung und das Wegfallen der sozio-strukturellen Dimension, also jenes Theoriestranges, der durch die Aufarbeitung der Arbeiten von DiMaggio und Powell sowie von McAdam und Fligstein wieder aufgenommen wurde. Zweitens bemängelt Koch, dass Scott die drei Säulen (regulative, normative und kulturell-kognitive) in seiner Matrix nebeneinanderstellt und somit den Anschein erweckt, diese Institutionen wären gleichrangig. Dem widerspricht Koch, denn die kulturell-kognitive Dimension sei als grundlegende Ebene zu betrachten. Diese Interpretation entspricht auch den Ausführungen zum Professionsverständnis, bei dem vor allem aus der kognitiv-kulturellen Säule grundlegende Ideen und Denkrichtungen erwachsen, aus denen sich dann normative und regulative Mechanismen ableiten lassen. Eine solche Zugangsweise wäre auch an den von Zucker bzw. von Tolbert und Zucker aufgearbeiteten Institutionalisierungsprozess anschlussfähiger und würde eher zu der Definition von Institutionen passen. Kochs Vorschlag, die kognitiv-kulturelle Säule über die drei Elemente (regulativ, normativ und strukturell) zu stellen, ist ebenfalls stimmig für die Weiterführung im Sinne der institutionellen Logiken. Den Zugang der institutionellen Logiken wählen auch McAdams und Fligstein für ihre Feldtheorie. Friedland und Alford (1991) und weiterführend Thornton et al. (2012)Footnote 39 beschreiben unterschiedliche Subsysteme und deren Mechanismen in gesellschaftlichen Arenen (Feldern), die übergeordnet von kulturell-kognitiven „root metaphors“ (vgl. Scott 2014, S. 90) geleitet werden.

Drittens kritisiert Koch, dass Scott in seinem Modell die Wirkung vereinseitigt. Im Zentrum Scotts Betrachtungen steht ausschließlich, wie Umwelten auf Organisationen reagieren können, nicht jedoch, wie Organisationen Institutionen beeinflussen. Hier ist auf Abschnitt 2.3 zu verweisen, wo eine solche einengende Lesart für die Organisation „Schule“ diskutiert wird.

Koch merkt bei all seiner Kritik jedoch auch an, dass sich seine Äußerungen erstrangig auf die Matrix Scotts und nicht auf dessen begleitende Rahmenschriften bezieht. In diesen thematisiert Scott die ihm angetragene Kritik zum Teil sehr wohl. Deutlich wird dies etwa in seinen Ausführungen zur Verbindung zwischen Institutionen und Handeln.

Der Autor betont in seiner Arbeit, dass, obwohl institutionelle Elemente wie Regeln, Normen und Vorstellungen symbolischer Natur sind, sich diese in sozialen Handlungsformen niederschlagen müssen, um wirkungsvoll zu werden. Somit schlägt er die Brücke zwischen Vorstellungen und Handlungen, Beziehungen und Ressourcen, durch welche diese in der Gesellschaft verbreitet werden.

Um diese Annahme zu präzisieren, hat Scott Mechanismen, wie institutionelle Erwartungshaltungen transportiert werden, genauer betrachtet und in unterschiedliche Kategorien eingeteilt. Im Englischen spricht er von sogenannten „Carrier Systems“.

„Institutions, whether regulative, normative, or cultural-cognitive elements are stressed, are conveyed by various types of vehicles or carriers (Jepperson 1991, S. 50). I identify four types:

  • Symbolic systems

  • Relational systems

  • Activities

  • Artifacts.“ (2014, S. 95)

Diese Ausführungen Scotts wurden bis dato in der deutschsprachigen Literatur wenig diskutiert. Für die vorliegende Arbeit sind sie jedoch von großer Bedeutung, vor allem wenn es um das Antwortverhalten auf institutionelle Erwartungshaltungen und um Veränderungsprozesse geht. Daher werden diese Mechanismen in Kapitel 3 noch einmal ausführlicher vorgestellt und erörtert.

Scott greift in seinen Ausführungen auf das Legitimitätsverständnis nach Suchmann (1995) zurück. Dieser definiert Legitimität wie folgt:

Legitimacy is a generalized perception or assumption that the action of an entity are desirable, proper, or appropriate within some socially constructed system of norms, values, beliefs and definitions. (1995, S. 574, herv. im Org.).“

Mit dem Bezug auf Suchmann entwickelt Scott das ursprüngliche Verständnis von Meyer und Rowan (1983) weiter. Das Autorenduo geht von einem Legitimitätsverständnis aus, das vorsieht, dass Organisationen institutionelle Vorgaben unhinterfragt und als Selbstverständlichkeit übernehmen. Koch bringt dies auf den Punkt, indem er schreibt, „mit der organisationalen Aneignung der institutionellen Umwelt [geht] zugleich und zwangsläufig die Legitimität gesellschaftlicher Institutionen auf den organisationalen Akteur über.“ (2018, S. 174, herv. im Orig.). Suchmanns Definition schwenkt Mitte der 1990er in eine andere Richtung. Laut seiner Definition werden Institutionen und Legitimität nicht mehr gleichgesetzt, indem sie von den Organisationen übernommen werden, sondern Organisationen werden „durch weitere soziale Akteure“ (vgl. ebd.) als legitim oder nicht legitim eingeschätzt.

Wie bereits zu erkennen ist, befasst sich auch Koch – im Zusammenhang mit institutionellen Umwelten – zentral mit der Frage nach Legitimität. Zunächst unterscheidet er zwischen Legitimität, Legitimation und Legitimierung. Das Verständnis von Legitimität, so Koch, sei in den neo-institutionalistischen Zugängen eng mit dem Verständnis von Institutionen verwoben. Er schreibt:

„[...] die institutionelle Umwelt [wird] als Bedeutungswelt verstanden, die als eine Ansammlung kultureller Regeln fungiert und entsprechend von den Organisationen Konformität einfordert. Die (weitgehend unhinterfragte) Umsetzung solcher Vorgaben in organisatorische Strukturen und Handlungsweisen wird entsprechend als (weitgehend unbemerktes) Legitimierungsbemühen der Organisation betrachtet.“ (2018, S. 187).

Mit Blick auf die neueren Entwicklungen fügt er jedoch hinzu, dass sich dieses Verständnis dahingehend gewandelt hat, als dass „Legitimität nicht ‚mechanisch‘ mit der Inkorporation einer institutionellen Anforderungswelt einhergehe, sondern Legitimität analytisch erst in der Folge solcher Prozesse von sozialen Akteuren zugesprochen werde.“ (ebd.)

Damit verdeutlicht Koch gleichzeitig den Zusammenhang zwischen institutionellen Vorstellungen und Akteuren, die diese vertreten, und wie dadurch bestimmte Akteursgruppen innerhalb der institutionellen Umwelten die Rolle einnehmen können, Organisationen mehr oder weniger Legitimität zuzusprechen. Eine Zusammenfassung zu Scott und dessen Ansätze findet sich in Tabelle 2.5.

Tabelle 2.5 Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Scott (2008) und Koch (2018)

2.2.2.2 Institutionelle Umwelten als soziale Kategorien und kulturelle Skripten

Im Ansatz von Barley und Tolbert (1997) wird die Operationalisierbarkeit von Institutionen ins Zentrum gestellt. Besonders relevant sind diese Ausführungen für weiterführende empirische Untersuchungen von institutionellen Umwelten. Die Autoren beginnen ihre Ausführungen zunächst recht kritisch, indem sie beanstanden, dass von Institutionalisten in empirischen Untersuchungen ignoriert wurde, wie Institutionen entstehen, sich verändern oder reproduziert werdenFootnote 40:

„Institutionalists, however, have pursued an empirical agenda that has largely ignored how institutions are created, altered, and reproduced, in part, because their models of institutionalization as a process are underdeveloped.“ (S. 93)

Anknüpfend an Tolberts Ausführungen zusammen mit Zucker, wird insbesondere die kognitiv-kulturelle Dimension untersucht. Bei kulturell-kognitiven Elementen handelt es sich laut Scott um jene institutionellen Erwartungsstrukturen, die unhinterfragt von den Akteuren übernommen werden.

Des Weiteren verweisen die Autoren auf die Strukturationstheorie, die zwar den Prozess im Blick hat, jedoch die Empirie vernachlässigt (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 93). In einer Zusammenführung beider Theorien sehen die Autoren eine Chance der Weiterentwicklung. Auch hier ist eine Parallele zur Weiterentwicklung des Drei-Säulen-Modells durch Koch zu vermerken. Dabei geht es den Wissenschaftlern in erster Linie darum, einen Weg zu finden, beobachtbare Handlungsmuster in bestimmten Kontexten nachvollziehbar zu machen. Gleichzeitig versuchen sie, diese Handlungsmuster in Verbindung zu übergeordneten institutionellen Vorstellungen zu bringen. Von diesem Ansatz ausgehend, definieren Barley und Tolbert Institutionen wie folgt:

„[...] we define institutions as shared rules and typification that identify categories of social actors and their appropriate activities or relationships (see also Burns and Flam 1987). This definition bears a, strong resemblance to Giddens’ (1984:377) notion of ’structure’ and Sewell’s (1992) idea of a ’schema’. Neither Giddens nor Sewell, however, emphasize the degree to which institutions vary in their normative power and their effect on behaviour.“ (Barley und Tolbert 1997, S. 96)

Der von Barley und Tolbert forcierte Ansatz gleicht jenen Annahmen, die vor allem in der ersten Phase der Theorieentwicklung (vgl. Greenwood et al. 2008) dominant waren. Handlungen erfolgen aufgrund kognitiver Vorlagen („templates“) oder Skripten („scripts“) – Akteure deuten entsprechend dieser Annahme Situationen und leiten aus ihnen routiniert ablaufende, z. T. schematische Handlungsweisen für ein „weitgehend unreflektiertes Entscheiden und Handeln gemäß einer Logik der Angemessenheit“ (Koch 2018, S. 121, Fn. 121) ab. Hier zeigt sich deutlich die Parallelität zu Konzepten der Strukturationstheorie. Übertragen auf neo-institutionalistische Theorien sind dies jene Handlungsanleitungen, die sozial vorstrukturiert sind (vgl. ebd.).

Im Aufsatz von Tolbert und Zucker wird bereits darauf hingewiesen, dass nicht alle Praktiken und Handlungsweisen gleichermaßen institutionalisiert sind. Auch bei Skripten und Vorlagen gibt es jene, die stabiler, und jene, die aufgrund ihrer noch jungen Existenz bzw. ihres wenig objektivierten Status instabil sind (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 96).

In weiterer Anlehnung an den Prozess der Institutionalisierung von Tolbert und Zucker sowie Giddens „Modell der Strukturation“ (vgl. Giddens 1984) haben Barley und Tolbert ein Modell entwickelt, das die Verbreitung bzw. die Weitergabe von institutionellen Erwartungshaltungen abbildet.

Abbildung 2.4
figure 4

A sequential model of institutions (Burger 2013, s. 63 nach Barley und Tolbert 1997, S. 101)

Das Modell verdeutlicht, wie institutionelle Umwelten (Instituional RealmsFootnote 41) in aktive Handlungsprozesse überführt werden und somit zur Festigung bzw. Sedimentierung führen. Während die vertikalen Pfeile institutionelle Handlungsbeschränkungen darstellen, bilden die diagonalen Pfeile eine Aufrechterhaltung oder veränderte institutionelle Erwartungen durch Handlungen ab. So stellt soziales Verhalten diachron Institutionen dar, während Institutionen das Handeln synchron einschränken (vgl. Barley und Tolbert 1997, S. 100).

Ein besonders gutes und auch aktuelles Beispiel ist das Thema der Benotung aus Sicht der Eltern und ErziehungsberechtigtenFootnote 42.

  1. (a)

    Der erste Pfeil symbolisiert, wie institutionelle Erwartungshaltungen in Skripten übersetzt werden (‚encoding‘). Barley und Tolbert (1997) erläutern ihren Begriff ‘Skript’ wie folgt:

    “With regard to day-to-day interactions, it is useful to think of institutions as being enacted through ’scripts’ (Barley 1986). Although some analysts have treated scripts primarily as cognitive phenomena (Schank and Ableson 1977), we believe it is empirically more fruitful to view scripts as behavioral regularities instead of mental models or plans. From this perspective, scripts are observable, recurrent activities and patterns of interaction characteristic of a particular setting.” (S. 101)

Burger (2012) vergleicht die Skripten mit „‚Drehbüchern‘ einer Interaktion […], die in ähnlichen Situationen wiederholt angewendet werden.“ (S. 62).

Ein Beispiel für ein Drehbuch in Verbindung mit Noten könnte etwa das Ausstellen eines Zeugnisses, in welchem die Schülerinnen- und Schülerleistung in Form von Ziffernnoten angeführt sind, sein. Die Lernenden bekommen von den Lehrenden für ihre erbrachten Leistungen Ziffernnoten.

  1. (b)

    Der zweite Pfeil beschreibt den Prozess, wie Akteure die Skripten oder Drehbücher in konkrete Handlungen überführen („enacting“). Hierzu führen Barley und Tolbert aus:

    „Enacting a script may or may not entail conscious choice or an awareness of alternatives. If actors recognize that they are following a script, they will often offer a standard rationale for doing so […]. In many cases, however, enactment does not involve awareness or intentionality: actors simply behave according to their perception of the way things are.“ (1997, S. 102)

    Um bei dem zuerst beschriebenen Beispiel zu bleiben, geht es nun darum, Benotungsmodelle für Schüler/-innen und Schüler auf der Ebene des Unterrichts zu entwickeln.

  2. (c)

    Der dritte Pfeil steht für den Akt, bei dem Akteure ihre konkreten Handlungen weitestgehend im Sinne des vorgegeben Skripts erfüllen, dies aber nicht zwangsläufig exakt so, wie im Skript vorgegeben, umsetzen müssen („revise or replicate“). An dieser Stelle kann es zu einer Weiterentwicklung oder Neuinterpretation von Skripten kommen. Dies ist zum einen wiederum abhängig von dem Status, in welchem sich die institutionelle Erwartung befindet; ist sie noch nicht sedimentiert, sind Veränderungen leichter möglich, ist sie es, wird es schwieriger. Zum anderen hängt die Neuinterpretation, so die Autoren, davon ab, ob es zu einem kontextuellen Wandel gekommen ist, da nur durch diesen überhaupt eine Infragestellung der Skripten ausgelöst werden kann.

    In dem gewählten Notenbeispiel können nun zwei Wege eingeschlagen werden. Die Lehrer/-innen finden in ihrer Notenpraxis Beurteilungswege, die nach ihrem Verständnis den übergeordneten Zweck der Leistungsrückmeldung (Rückmeldung an den Lernenden über seinen Lernprozess, Rückmeldung an den Lehrenden, inwieweit sein Unterricht die Lernziele bei den Schülerinnen und Schülern erreicht hat) erfüllen. Dies kann weiterhin in Form von Ziffernnoten erfolgen (1) oder sich zum Beispiel in variierter Form auch in einer Verbalbewertung der erbrachten Leistung niederschlagen (2). Dabei wird auf der Basis z. B. bereits existierender Modelle ein eigenes Modell über-/erarbeitet Footnote 43 oder das Modell übernommen .

  3. (d)

    Der vierte Pfeil bringt zum Ausdruck, wie die Neuinterpretation bzw. das Fortbestehen des Skripts Auswirkungen auf die institutionellen Umwelten hat (‚objectification and externalization‘). Konkret wird beschrieben, wie die institutionellen Erwartungsstrukturen darauf respondieren – ob etwa dem neuen Skript Legitimation zugesprochen wird, es also auf Akzeptanz trifft – und somit weiterhin Ressourcen zur Verfügung stehen, oder ob eine Ablehnung erfolgt und somit keine Akzeptanz erzeugt wird.

    In dem schulischen Beispiel werden die Eltern am Ende des Jahres mit einem Zeugnis konfrontiert, in dem entweder Ziffernnoten stehen oder keine Ziffernnoten mehr zu finden sind, sondern Beschreibungen von Zielbildern. Während die Eltern und Erziehungsberechtigten im ersten Fall ihre Erwartungshaltungen erfüllt sehen, ist ihnen im zweiten Fall eine solche Form der Leistungsbeurteilung vollkommen fremd, da sie weder während ihrer eigenen schulischen Laufbahn noch in anderen gesellschaftlichen Kontexten derartige Bewertungen kennengelernt haben. Sie sind also irritiert. Diese Irritation könnte zwei mögliche Szenarien nach sich ziehen: Im ersten Fall verlangen sie die Wiedereinführung von Ziffernnoten, um ihren Erwartungen bzw. Vorstellungen, wie Zeugnisse auszusehen haben, gerecht zu werden, im zweiten akzeptieren sie die neuen Skripten (u. U. verlangen sie aber nach einer Erklärung). Sollte Fall eins eintreten, müssen sich die Lehrenden überlegen, wie sie nun die Skripten so fortschreiben, dass sowohl die von ihnen adressierten Ziele als auch die institutionellen Erwartungen seitens der Eltern in vereinbare Skripten gebracht werden.

Diesem Modell folgend, kann nun, um institutionellen Wandel nachvollziehen zu können, ein Vergleich von T und T + 1 (vgl. Abbildung 2.4) angestellt werden. Wie Wandel jedoch tatsächlich ausgelöst wird, kann auch durch dieses Modell nicht beantwortet werden. Das kritische Moment ist mit Punkt (c) angesprochen. Handelt es sich bei den weitergetragenen Skripten um bereits verfestigte, sedimentierte intentionelle Vorstellungen, werden diese Skripten unhinterfragt übernommen. Handelt es sich um neue Ansätze, kommt es, wie in dem Beispiel unter Punkt (d) angeführt, zu konfligierenden Situationen. Die Autoren verweisen daher auf zusätzliche Untersuchungen der Akteure im Moment des Wandels. „Information on actors’ interpretations is crucial for assessing whether they consciously consider alternative courses of action and the costs and benefits associated with such choices.” (Barley und Tolbert 1997, S. 105) Dennoch wird von den Autoren an dieser Stelle ausgeblendet, wie bereits etablierte intentionelle Erwartungshaltungen destabilisiert werden können. Sprich, welche endogenen oder exogenen Auslöser dazu beitragen, institutionellen Wandel zu veranlassen. Es bleibt die Annahme, dass an dieser Stelle entscheidende Machtsponsoren benötigt werden bzw. entsprechende Legitimationsquellen auftreten müssen, die die Lehrerinnen und Lehrer in ihren Weiterentwicklungen bestärken. Werden Eltern als entscheidende Machtquellen angesehen, können – zumindest im dargelegten Beispiel – neue Leistungsbeurteilungsformen unter Umständen nicht bestehen. Auch die Rolle der Akteure, die die Skripten über/-erarbeiten oder einfach nur übernehmen, wird nicht genauer beleuchtet. Eine Übersicht zu den dargestellten Ausführungen findet sich in Tabelle 2.6.

Tabelle 2.6 Zusammenführung der vergleichenden Aspekte nach Barley und Tolbert (1997)

2.2.2.3 Institutionelle Umwelten als Idealvorstellungen, Diskurse und Techniken der Kontrolle

Das Modell nach Scott und in weiterer Folge auch die Erweiterungen durch Koch lassen Institutionen auf Säulen „ruhen“. Dabei entsteht ein Modell, das nur wenige Hinweise liefert, wie Institutionen entstehen und wie sie sich wandeln (vgl. Nagel, Schulte und Hiß 2017). Einen möglichen Zugang, wie institutioneller Wandel vollzogen werden kann und welche Rollen hier Akteure spielen, lieferten Tolbert und Barley. Daran anschließend erfolgt eine weitere Präzisierung hinsichtlich des Prozesses der Objektivierung von Institutionen bzw. des institutionellen Wandels durch Maguire und Hardy (2009), Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) (Zusammenfassung in Tabelle 2.7). Diese sehen Diskurse als grundlegende Entstehungsorte für Institutionen. „Institutionen entwickeln sich und bestehen in einem rekursiven und iterativen Prozess, der sich zwischen Handlungen, Texten, Diskursen und Institutionen abspielt.“ (Nagel, Schulte und Hiß 2017, S. 464) Phillips, Lawrence und Hardy (2004) definieren für sich den Prozess der Institutionalisierung wie folgt:

„Institutionalization is the process by the structured collection of texts that exist in a particular field and that produce the social categories and norms that shape the understandings and behaviors of actors.“ (ebd., S. 638)

Damit betonen sie einen Aspekt, der bis dato in den Ausführungen dieser Arbeit nur teilweise berücksichtigt wurde – jenen der sprachlichen Weitergabe von Vorstellungen bzw. Ansichten und der Abbildung dieser Sprechakte. Die Autoren sprechen hier von „texts“Footnote 44, Hasselbladh und Kallinikos (2000, S. 704) werden in ihren Ausführungen konkreter:

“Institutions are conceived as consisting of basic ideals that are developed into distinctive ways of defining and acting upon reality (i.e. discourses), supported by elaborate systems of measurement and documentation for controlling action outcomes. In this approach, institutionalization theoretically occurs at the intersection of abstract ideals (logics), discourses (systems of knowledge) and techniques for structuring practices.”

Hasselbladh und Kallinikos sehen Institutionen dieser Definition zufolge als grundlegende Ideale, die zu unterschiedlichen Umsetzungen und Realitäten führen. Diese Umsetzungen und Realitäten bilden für die Autoren z. B. Diskurse.

Maguire und Hardy (2009, S. 150 ff. übersetzt v. L. J-R.) tragen einige EigenschaftenFootnote 45 von Diskursen zusammen, die im Kontext von Institutionalisierung und Deinstitutionalisierung relevant erscheinen:

  • Diskurse sind Sammlungen von miteinander verbundenen Inhalten (Parker 1992)

  • Diskurse schaffen es, Bedeutung und Wirkungen in der realen Welt entstehen zu lassen (Carabine 2001, S. 268)

  • Diskurse bieten eine Sprache, um über ein Thema zu sprechen, und schaffen ein bestimmtes Wissen über ein Thema (vgl. du Gay 1996, S. 43).

  • Sie definieren, wer und was als ‚normal‘, ‚standard‘ und ‚akzeptabel‘ (Merilänn, Tienari, Thomas & Davies 2004, S. 544) angesehen wird bzw. was als geeigneter Weg zu denken, zu sprechen und zu handeln (vgl. Hall 2001) akzeptiert wird.

  • Diskurse prägen „die Strategien und Regeln, wie wir über ein Themengebiet sprechen und auf dieses reagieren können, sodass bestimmte Möglichkeiten und Ergebnisse eher als andere angewendet werden“ (Reed 1998, S. 96).

  • Diskurse erzeugen „Macht-/Wissensbeziehungen, die sprachlich kommuniziert, historisch lokalisiert und in die soziale Praxis eingebettet sind“ (Heracleous & Barratt 2001, S. 757)

  • Diskurse konstituieren Realität eher, als dass sie sie beschreiben (Phillips et al. 2004, S. 636).

Damit Diskurse wirkmächtig werden, so führen Hasselbladh and Kallinikos in ihrer Definition weiter aus, müssen sie durch ausgefeilte Mess- und Dokumentationssysteme zur Kontrolle der Handlungsergebnisse unterstützt werden. Hier findet sich eine Anschlussmöglichkeit zu den regulativen Elementen bei Scott wieder. Phillips et al. (2004) ergänzen, dass vor allem Diskurse, die kohärent und strukturiert sind, das Potential haben, zu einer Wiederholung und Selbstverständlichkeit zu werden (vgl. ebd. S. 644). Ebenfalls bestärkend wirken Mechanismen, die die Diskurse eng in die soziale Realität anbinden und somit Plausibilität schaffen (vgl. ebd.).

Abbildung 2.5
figure 5

Formen der Objektivierung (Hasselbladh & Kallinikos 2000)

Maguire und Hardy (2009) erörtern in ihrem Beitrag zudem zwei Schlüsselmechanismen, die institutionalisierte Praktiken verstärken. Zum einen hängt die Dynamik von der Position der DiskursführendenFootnote 46 ab, welche bürokratischen Positionen diese einnehmen, wie sie sozial konstruiertFootnote 47 sind und welche legitimierten Identitätskategorien ihnen zugesprochen werden – in diesem Zusammenhang beruft sich das Autorenpaar auf Bourdieu (1990) und Foucault (1979). Dabei wird zu bestimmten Zeiten nur eine begrenzte Anzahl von solchen Diskursführerschaften als sinnvoll, legitim und mächtig verstanden (vgl. Maguire, Hardy & Lawarence 2004). Die Positionen der Diskursführenden können sich innerhalb des Feldes über die Zeit ändern, indem sie neu verhandelt werden (vgl. Maguire & Hardy 2009, S. 150 nach Oakes et al. 1998, S. 260). Durch die Berücksichtigung dieser „techniques of control“ (vgl. Abbildung 2.5) gelingt es den Autoren, auch die Dimension „Macht“ mit in die Konzeptualisierung der institutionellen Umwelten einfließen zu lassen.

Zum anderen betrachten die Autoren das vorhandene Wissen („body of knowledge“) als Schlüsselmechanismus. Ausgehend von bereits bestehendem Wissen bauen sich neue Wissensstrukturen auf, die sich an normative Vorstellungen anschließen und so Ideen erzeugen, die akzeptables und inakzeptables Verhalten beschreiben (ebd. S. 156).

In ihrer Rekonstruktion, wie De-Institutionalisierungsprozesse ablaufen, orientieren sich Maguire und Hardy wiederum an den drei Säulen nach Scott (vgl. 2001) und zeichnen die schrittweise Auflösung und Neuformierung institutioneller Prozesse nach. Dieser Prozess läuft, den Autoren zufolge, immer nach dem gleichen Schema ab – zunächst kommt es zu einer Normalisierung der Problematisierung und im Anschluss daran zu einem Wandel in der Argumentationsführung und einer neuen Darstellung des besagten Sachverhalts. Die unterschiedlichen Phasen verlaufen wie nachfolgend beschrieben:

  1. (1)

    Aufbrechen der Idee und Vorstellung im Bereich der kulturell-kognitiven Säule, ausgelöst durch bestimmte Dokumente von autorisierten Autoren (z. B. Wissenschaftler/-innen, Vertreter/-innen der Profession)

    1. a.

      Normalisierung der Problemdarstellung

    2. b.

      Neudarstellung des Sachverhalts

  2. (2)

    Im Bereich der normativen Säule lösen die neuen Vorstellungen und Überzeugungen eine öffentliche Debatte aus. Die bis dato als angemessen befundene und befürwortete Sichtweise wird zunehmend hinterfragt und destabilisiert. Medien greifen das Thema auf und moralische Infragestellungen werden lauter.

    1. a.

      Normalisierung der Problemdarstellung

    2. b.

      Neudarstellung des Sachverhalts

  3. (3)

    Die regulative Säule wird „aktiv“. Neue Gesetze werden erlassen, die vormalige rechtliche Räume einschränken bzw. neu aufsetzen.

Ein solcher Prozess vollzieht sich nicht ohne Widerstand und so wurden in allen Phasen Versuche unternommen, den voranschreitenden institutionellen Wandel zu determinieren – im Falle des von Maguire und Hardy angeführten Beispiels des Giftstoffes DDT jedoch erfolglos.

Überträgt man diese Weiterführung der theoretischen Ausführungen zu institutionellen Umwelten nun wiederum auf die konkrete Situation schulischer Umwelten, so lässt sich dies besonders gut am Beispiel bestimmter neu eingebrachter Diskurse im Zusammenhang mit der Reform, die eingangs benannt wurde – der Neuen Mittelschul-Reform in Österreich – darstellen.

Mit der Einführung der Neuen Mittelschule in Österreich wurde ein neues Lern- und Lehrkonzept für diesen Schultyp entwickelt. Kernthemen dieser neuen Lern- und Lehrkulturen waren Begriffe wie „flexible Differenzierung“, „authentische Aufgabenkultur“, „kriteriale Leistungsbeurteilung“. Hinter diesen Begriffen standen neue theoretische Konzepte, die mit Hilfe forschungsgeleiteter Praxis und übermittelt durch das Zentrum für lernende SchulenFootnote 48, dem die Verantwortung für die bundesweite Begleitung der Neuen Mittelschulen übertragen wurde, vorgebracht. In bundesweiten sogenannten Lernateliers mit jeweils zwei Vertreterinnen und Vertretern eines jeden Standortes wurden diese neuen Themen bearbeitet. Somit wurden zentrale Begrifflichkeiten national eingeführt und mit theoretischen Konzepten unterfüttert. Auch das Professionalisierungskonzept der ModellregionFootnote 49 baut auf diesem theoretischen Konzept auf. Die Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen führten begonnene Diskurse des Zentrums nun in der Modellregion fort und vertieften diese sowie führten die zugrunde liegenden Konzepte weiter aus. Ein Resultat – so die Aussage eines SchulleitersFootnote 50 – ist nun, dass er einen merklichen Anstieg von Fachgesprächen in seinem Kollegium verzeichnet und sogar Begrifflichkeiten wie „flexible Differenzierung“ nun zum aktiven Wortschatz seiner Lehrerinnen und Lehrer gehören. Institutionelle Vorstellungen, wie mit Schülerinnen und Schülern in einer heterogenen Zusammensetzung umgegangen werden kann, veränderten sich so innerhalb weniger Jahre: weg von segregierenden Ansätzen wie dem Bilden von Leistungsgruppen hin zu einem binnendifferenzierten Zugang über flexible Differenzierung.

An vielen Schulen konnten dadurch erste De-Institutionalisierungsprozesse beobachtet werden. Dabei wurden bestimmte gängige Lehrpraktiken hinterfragt und normative Ansichten wandelten sich. Eine Änderung der regulativen Dimension wurde zwar mit Einführung der Neuen Mittelschule zunächst vollzogen, jedoch durch das Ende der Legislaturperiode und dem damit verbundenen parteipolitischen Wechsel zu entscheidenden Teilen wieder aufgehoben. Ob und wie sich nun eine weitere De-Institutionalisierung fortführen lässt, kann momentan nicht abgeschätzt werden.

Tabelle 2.7 Zusammenführung der Arbeiten von Maguire und Hardy (2009); Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000)

Zusammenfassung, Rückschlüsse für die vorliegende Arbeit und Vorschau

Der Abschnitt 2.2 zielte darauf ab, eine Klärung herbeizuführen, was unter Institutionen bzw. institutionellen Umwelten verstanden werden kann. Die Aufarbeitung der unterschiedlichen Zugänge führte zunächst einmal dazu, eine Übersicht zu erhalten, welches Verständnis zu Institutionen überhaupt hinter den einzelnen Theoriesträngen zum Neo-Institutionalismus steht. Damit trägt diese Aufarbeitung zu einem besseren allgemeinen Verständnis dessen bei, wie und durch wen Institutionen entstehen bzw. weitergegeben werden. Durch die ausgewählten Konzepte konnten überdies weitere zentrale Bausteine des Neo-Institutionalismus noch einmal in einer vertieften Weise betrachtet werden. Im Folgenden werden die Erkenntnisse noch einmal zusammengefasst, für die vorliegende Arbeit relevante Aspekte benannt und relevante Punkte zur weiteren Vertiefung herausgearbeitet.

  1. (a)

    Institutionen bzw. institutionelle Umwelten

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass unterschiedliche Zugänge zum Institutionenverständnis existieren. Es kann außerdem festgehalten werden, dass Institutionen vielfach etwas Flüchtiges sind, das durch Handlungen zum Ausdruck gebracht wird.

Allen Verständnissen zugrunde liegt, dass Institutionen durch kulturell-kognitive Verständnisse geprägt sind. Bei Scott (2008) bzw. Koch (2018) kommt es zu einer weiteren Ausdifferenzierung, indem zwischen eher normativ-geprägten und eher regulativ-geprägten Institutionen unterschieden wird. Um diesen Ausprägungen eine Form zu verleihen, sprechen die beiden Autoren davon, dass Institutionen aus Säulen bzw. Dimensionen bestehen. Koch erweitert dabei die Säulen von Scott um die sozio-strukturelle Dimension. Damit verbindet Koch die beiden Rahmungen, die in den Konzepten zu institutionellen Umwelten vorherrschen, nämlich jene der kulturellen und strukturellen Rahmung (vgl. Koch 2018, S. 163).

Für Barley und Tolbert (1997) zeigen sich Institutionen bzw. institutionelle Vorstellungen in Form von sozialen Kategorien und Skripten. Sie betonen in ihren Ausführungen vor allem die strukturierende Rahmung innerhalb von institutionellen Umwelten.

Maguire und Hardy (2009), Phillips, Lawrence und Hardy (2004) sowie erweiternd Hasselbladh und Kallinikos (2000) legen ihren Arbeiten ein Verständnis zugrunde, das Institutionen als vorherrschende Logiken bzw. als Diskurse betrachtet. Dabei fehlt in diesem Konzept allerdings eine Ausdifferenzierung, worin sich die Logiken unterscheiden. Die Autoren betonen in ihren Arbeiten vor allem die Weitergabe von Institutionen. Ihr Verständnis kann jedoch als Ergänzung bzw. Vorstufe zu dem Verständnis von Scott und Koch betrachtet werden, da sie sich mit der Entstehung und – wie zuvor beschrieben – dem Wandel von Institutionen auseinandersetzen, während das Modell von Scott bzw. Koch bereits existierende Institutionen beschreibt.

Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem Institutionenverständnis nach Scott und dessen Erweiterung durch Koch. Mit Hilfe dieses Modells lassen sich institutionelle Umwelten von Schulen bzw. Akteursgruppen, die unterschiedlichen Institutionen angehören, beschreiben und in der übergeordneten Fragestellung, nämlich welchen Einfluss eine Orientierung an diesen Akteursgruppen für die Umsetzung der NMS-Reform an den Schulstandorten hat, diskutieren.

  1. (b)

    Prozess der Institutionalisierung (Wandel)

Institutionen sind nicht als starres Konstrukt zu verstehen, sondern als sich weiterentwickelnde bzw. verändernde Logiken. Scott brachte im Zuge seiner Arbeiten noch die Weitergabe von institutionellen Vorstellungen in Form von Carrier-Mechanismen mit in die Diskussion.

Wie eine solche Veränderung herbeigeführt werden kann bzw. was Auslöser für sich wandelnde institutionelle Vorstellungen sein kann, wurde in den dargestellten Arbeiten nur zum Teil aufgegriffen. Daher erfolgt für diesen Aspekt eine weiterreichende Auseinandersetzung in Abschnitt 3.1. Gerade in Anbetracht der Fragestellung dieser Arbeit, wie Organisationen auf Veränderungen reagieren, die durch einen exogenen Auslöser (NMS-Reform) initiiert wurden, braucht es ein Konzept, dass Wandel umfassender begreift als die bereits diskutierten Arbeiten.

  1. (c)

    Konzepte der Legitimität

Scott greift in seinen Ausführungen auf das Legitimitätsverständnis von Suchmann (1995) zurück. In dessen Verständnis erfolgt eine Aufhebung der Gleichsetzung von Legitimität und institutionellen Vorgaben. Das bedeutet, dass Organisationen nicht mehr nur dann als legitim erachtet werden, wenn sie unhinterfragt die institutionellen Vorstellungen für sich übernehmen, sondern legitim ist, so Suchmanns Auslegung, was durch soziale Akteure als legitim erachtet wird. Dieses Verständnis unterstreicht auch Koch. Damit manifestiert sich ein Verständnis, das besagt, „organisationale Inkorporation gesellschaftlicher Erwartungen und Entwürfe [kann] dann Legitimität erzeugen, muss dies aber nicht zwangsläufig.“ (Koch 2018, S. 175). Offen bleibt auch in diesem Ansatz noch, inwieweit Organisationen die Möglichkeit haben, zu bestimmen, wer ihnen Legitimität zuspricht bzw. abspricht.

Daher soll vor diesem Hintergrund das Verständnis von Legitimität und institutionellen Umwelten in Abschnitt 2.4 noch einmal vertieft im Zusammenhang mit unterschiedlichen Formen von Anspruchsgruppen diskutiert werden.

  1. (d)

    Zusammenhang zwischen Institutionen und Handlungen

Eine der offenen Fragen, die unter anderem dazu geführt hat, sich noch einmal vertiefend mit weiteren Arbeiten, in denen der Institutionenbegriff behandelt wird, auseinanderzusetzen, war jene, wie sich der Zusammenhang zwischen Institutionen bzw. institutionellen Vorstellungen und abgeleiteten Handlungen erklären lässt.

Dabei lieferten vor allem Barley und Tolbert mit ihrem Ansatz der Skripten, die bestimmte Handlungsroutinen beschreibbar machen, einen nachvollziehbaren Ansatz. Eine noch offene Frage ist in diesem Zusammenhang, wie handlungsfähig organisationale Akteure überhaupt sind. Die aufbereiteten Arbeiten zeigen, dass sich der Begriff der passiven Organisation, die institutionelle Vorstellungen inkorporiert übernimmt, gewandelt hat. Jedoch bedarf es zusätzlich eines erweiterten Verständnisses, wie organisationale Akteure im Verhältnis zu institutionellen Umwelten darstellen werden können. Dem Rechnung tragend folgt in Abschnitt 2.3 eine solche Vertiefung.

  1. (e)

    Zusammenwirken zwischen Institutionen und Akteuren

Anschließend an die vorhergehenden Anmerkungen zeigt sich in den diskutierten Arbeiten, dass das Akteursverständnis nicht mehr als rein passives beschrieben wird. Insbesondere Maguire & Hardy (2004) entwickeln mit ihrem Ansatz des „Institutional Entrepreneur“ ein Verständnis, das Akteure nicht nur als aktiv, sondern sogar als vorgebende Instanz beschreibt. Dadurch erfolgt eine vollkommene Umkehr des ursprünglichen Verständnisses von Institutionen und Akteuren.

Eine Frage, die trotz intensiver Auseinandersetzung nach wie vor unbeantwortet bleibt, ist jene nach der Übernahme von bestimmten institutionellen Vorstellungen, sprich, wann und wie werden Akteure zu Vertreter/-innen bestimmter institutioneller Logiken. In den Arbeiten wurde bereits das Konzept der Agency angesprochen, dieses soll jedoch noch vertieft in Abschnitt 2.4 behandelt werden, um eine weiterführende Klärung zu bieten.

2.3 Schule als Organisation im neo-institutionalistischen Verständnis

„Im Neo-Institutionalismus werden Organisationen mit Blick auf ihre gesellschaftliche Einbettung als institutionalisierte Organisationen angesprochen.“

(Koch 2018, S. 143; Herv. i. O.)

Um Schulen im Verständnis des Neo-Institutionalismus beschreiben zu können, bedarf es zunächst einer Klärung, wie Organisationen allgemein in diesen Theorieströmungen aufgefasst werden. Damit findet man sich sogleich mit einer Grundproblematik der Organisationsforschung konfrontiert – denn eine Definition von der Organisation gibt es nicht (vgl. Miebach 2007, S. 15). Dennoch braucht es eine Annäherung an den Organisationsbegriff aus neo-institutionalistischer Sicht, um in weiterer Folge diesen Begriff im Diskurs um pädagogische Organisationen, konkret Schulen, verwenden und diskutieren zu können.

Einführend bietet Scott eine Definition von Organisation. Demnach sind Organisationen

„soziale Strukturen, geschaffen von einzelnen in der Absicht, gemeinsam mit anderen bestimmte Ziele zu verfolgen. Nach diesem Verständnis ergibt sich für alle Organisationen eine Reihe von gleichgelagerten Problemen. Alle müssen ihre Ziele definieren (und umdefinieren); alle müssen ihre jeweils Beteiligten dazu bringen, gewisse Dienste zu leisten; alle müssen diese Dienste kontrollieren und koordinieren; Geldmittel und Ressourcen müssen beschafft und Produkte oder Dienstleistungen verteilt werden; Mitglieder müssen ausgewählt, geschult und ersetzt werden.“ (Scott 1986, S. 31)

In dieser Beschreibung von Organisationen wird vor allem eine inner-organisationale Perspektive eingenommen und noch kein differenziertes Verständnis geboten, wie Organisationen im Wechselspiel mit ihrer Umwelt zu definieren sind. „Vor allem staatliche Vorgaben und organisationsübergreifende professionelle Standards“ (Mense-Petermann 2006, S. 64) liefern Organisationen Hinweise, wie Dinge zu bewerkstelligen sind – daher bedarf es eines Miteinbeziehens dieser externen Dimension in die Definition. In der modernen Gesellschaft weiten sich diese Anspruchsgruppen für Organisationen immer mehr aus. Deshalb sehen sich moderne Organisationen mit deutlich vielschichtigeren und komplexeren Mustern rationalisierter und institutionalisierter Umwelten konfrontiert. Daraus lässt sich schließen, dass Organisationen einem erheblichen Druck unterliegen. Wie gelingt also ein Organisationsverständnis, das einer solchen Komplexität gerecht wird und Organisationen in ihrem Verhältnis zu ihren institutionellen Umwelten fassbar macht?

Für eine erste Verortung unterscheidet Schreyögg (2008) zunächst zwischen zwei grundsätzlichen Zugängen: entweder a) etwas hat eine Organisation (instrumentelles Organisationsverständnis) oder b) etwas ist eine Organisation (institutionelles Organisationsverständnis) (vgl. Bormann 2002, S. 26).

Tabelle 2.8 Instrumentelles versus institutionelles Organisationsverständnis (nach Bormann 2002, S. 26 und Schreyögg 2008, S. 4 ff.)

Tabelle 2.8 stellt die beiden Organisationsverständnisse nach Schreyögg gegenüber und beschreibt sie in ihren Unterschieden. Ein instrumentelles Organisationsverständnis geht von Organisationen als „zeitlich überdauernde, fest gefügte, räumliche Gebilde“ (ebd.) aus. Organisationsstrukturen lassen sich zum Ziel der Optimierung rational steuern. Organisationsmitglieder passen sich weitestgehend an die Strukturen an (vgl. ebd., S. 27). Dem gegenüber steht ein institutionelles Organisationsverständnis, das einen „dynamische[n], prozessorientierte[n] nach innen gerichtete[n] Fokus auf Organisation [richtet]“ (ebd.). Im Gegensatz zu einem instrumentellen Organisationsverständnis können Handlungen in einem institutionellen Organisationsverständnis zwar geplant, jedoch durch unvorhersehbare (institutionelle) Einflüsse auch irritiert werden:

„Organisationen werden in dieser Perspektive als Systeme aufgefasst, die sich per se im Wandel befinden. Dieser Ansicht nach sind sie in der Lage, ihre aufbau- und ablauforganisatorischen Erfordernisse entsprechend den eigenen Anforderungen und denen der Umwelt zu gestalten, um subjektiv – d.h., ins Innere der Organisation gerichtet bzw. akteursorientiert-plausibel zu sein.“ (ebd.)

Orientiert man sich an den unterschiedlichen Bezeichnungen, so müsste ein Organisationsverständnis im neo-institutionalistischen Sinne eindeutig jenem der zweiten Kategorie – also der des institutionellen Verständnisses – zugerechnet werden. Dennoch bereitet eine solche klare Zuteilung gemäß der beschriebenen Kriterien Schwierigkeiten. Dies liegt in erster Linie daran, dass sich die neo-institutionalistischen Theoriezugänge aus der Bürokratietheorie nach Weber entwickelt haben (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 15). Diese basiert auf einer technisch-funktionalistischen Interpretation von Organisationen: Organisationen als Mittel, um ein oder mehrere vorgegebene Ziele in technisch effizienter Weise zu erreichen:

„Bürokratie bedeutet nach Max Weber (1972) eine Form der legalen Herrschaft, die auf dem Glauben an die Legitimität gesetzter Ordnung und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft berufenen Amtsträger beruht.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 15)

In der Theorie Webers lassen sich organisationale Strukturen als hierarchiegeleitet beschreiben und Organisationsmitglieder, von ihm als Beamte beschrieben, dadurch charakterisieren, dass sie ‚formalen Gehorsam‘ leisten und „den Inhalt des Befehls um dessen selbst willen zur Maxime [eines] ihres Verhaltens gemacht haben.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 16, nach Weber 1972, S. 123). Gekennzeichnet durch vermeintliche „Professionalität, Objektivität und Abkehr von der Willkür der Herrschenden […]“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 16), prägt dieses Verständnis noch heute die Vorstellung eines Rechtsstaates (vgl. ebd.). Es kann somit eine technisch-funktionale Interpretation konstatiert werden, die im o. g. Sinn eine instrumentelle Lesart von Organisationen nach sich zieht. Es erscheint an dieser Stelle wichtig zu erwähnen, dass dieses Verständnis gerade in Behörden noch immer auf breite Zustimmung trifft bzw. dem eigenen Organisationsverständnis zu entsprechen scheint, insbesondere in nachgeordneten Behörden (vgl. Brüsemeister und Newiadomsky 2008). Schulen sind nachgeordnete Behörden – allerdings der besonderen Art, dazu in weiterer Folge mehr.

Die Theoriestränge des Neo-Institutionalismus gehen zwar über das Konzept von Weber hinaus, weil sich die moderne Organisation nicht mehr angemessen nach Webers Idealtyp beschreiben lässt (vgl. Walgenbach und Meyer 2008, S. 16), dennoch gibt es auch im Neo-Institutionalismus Lesarten, die Organisationen als rationale AkteureFootnote 51 beschreiben. Allgemein gilt im Neo-Institutionalismus: Organisationen sind eng mit ihrer Umgebung verbunden und dadurch nicht nur rationalen Umwelten, sondern auch kulturellen Umwelten ausgesetzt – dieser Aspekt fehlt in Webers Theorie. In diesem Sinne folgt der Neo-Institutionalismus dem institutionellen Organisationsverständnis als eines, das umweltoffen ist.

„Der NI gehört daher zu den sogenannten ‚open system‘-Ansätzen, weil er nicht die Organisation als autonome Einheit, mit ihren internen Strukturen und Prozessen ins Zentrum der Betrachtung stellt, sondern das Verhältnis von Organisationen und Umwelt.“ (Mense-Petermann 2006, S. 63)

Dennoch kann zweitens moniert werden, dass Schreyögg (2008) bzw. Bormann (2002) zufolge der Fokus beim institutionellen Verständnis von Organisationen auf Prozessen und dem Inneren von Organisationen (vgl. S. 27) liegt – auch das ist keine klare Perspektive, die der Neo-Institutionalismus einnimmt, betrachtet er doch das (wechselseitige) Verhältnis von Umwelt (Institution) und Organisation:

„[...] es geht dabei nicht nur um die Verfasstheit der Organisation ‚als solche‘, sondern auch um die Art und Weise, wie die Organisation seitens der Umwelt beeinflusst wird (Organisation als Produkt) und wie sie umgekehrt diese Umwelt mitgestaltet (Organisation als Produzent).“ (Koch 2018, S. 141)

Schlussfolgernd gelingt eine Annährung über den Zugang von Schreyögg, jedoch noch keine zufriedenstellende Beschreibung von Organisationen. Es kann von einem institutionellen Organisationsbegriff ausgegangen werden, allerdings herrschen noch zu viele Uneindeutigkeiten. Es verlangt daher nach einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Organisationsbegriff im Neo-Institutionalismus.

2.3.1 Organisationen im wechselseitigen Organisationen-Umwelt-Verhältnis

Koch (2018) merkt gleich zu Beginn seiner Ausführungen an, dass „einer Präzisierung dessen, was eine Organisation ausmacht, weit weniger Aufmerksamkeit [im Neo-Institutionalismus] geschenkt wird [als etwa in anderen Organisationstheorien].“ (S. 141). Neben Koch (2018) haben sich im deutschsprachigen Raum auch Mense-Petermann (2006) und Meier (2009) eingehendFootnote 52 mit dem Organisationsbegriff im Neo-Institutionalismus beschäftigt.

So stellt etwa Koch (2018) die Frage: „Was ist gemeint, wenn eine Organisation als institutionalisierte Organisation bezeichnet wird?“ (S. 142). Wie auch Mense-Petermann (2006, S. 64) rekurriert Koch auf Türk (1997, S. 132 ff.) und dessen Unterteilung in eine konstitutionstheoretische und eine kontingenztheoretische Sicht auf Organisationen. Allerdings erweitern Koch wie auch Mense-Petermann die Ausführungen von Türk, da jener, so Koch, „lediglich auf der Grundlage eines einzigen (Schlüssel-)Aufsatzes [zum Neo-Institutionalismus]“ (Koch 2008, S. 144) seine Organisationsbestimmung für diese Theorieströmung eingeführt hat und neuere Entwicklungen (nach 1990) nicht berücksichtigte. Auch Mense-Petermann teilt inhaltlich die Kritik Kochs, indem sie anmerkt, dass „die Aufgabe, den Organisationsbegriff des NI vorzustellen, […] nicht auf eine[r] systematische[n] Darstellung der neo-institutionalistischen Autoren selbst aufbauen [kann], sondern auf eigene Rekonstruktionsarbeit angewiesen [ist].“ (Mense-Petermann 2006, S. 65). Letztlich formulieren beide Autoren damit die Wichtigkeit, sich auch innerhalb des Neo-Institutionalismus mit einem eigenen Organisationsbegriff zu beschäftigten.

Während Organisationen im Sinne eines konstitutionstheoretischen Ansatzes als organisationale Akteure, die gezielt spezifische Umwelterwartungen aufnehmen, zu verstehen sind, werden nach einem konstitutionstheoretischen Verständnis Organisationen als „Konstruktionsergebnis und Verkörperung gesellschaftlicher Vorstellungswelten betrachtet“ (ebd., S. 142).

Mense-Petermann (2006, S. 65) schlägt vor, den Organisationen-Begriff für den Neo-Institutionalismus von drei unterschiedlichen Blickwinkeln aus zu betrachten (Organisation als Bausatz aus institutionellen Elementen; Organisation als Reifikation ihrer institutionellen Umwelt und Organisation als Institution). Koch (2018, S. 143) differenziert diese drei Blickrichtungen nochmals:

Tabelle 2.9 Heuristik der Verständnisweise einer „gesellschaftlich eingebetteten Organisation“ (nach Koch 2018, S. 143 erweitert um die Perspektive von Mense-Petermann 2006 durch L. J.-R.)

Alle drei Zugänge versuchen in ihren Definitionen des Organisationsbegriffs die Beziehung der Organisation zu ihrer Umwelt zu fassen und insbesondere „die produktive Verarbeitung kultureller Einflussfaktoren“ (Koch 2018, S. 142) innerhalb der Organisation zu beschreiben.

2.3.1.1 Kontingenztheoretische Sicht auf Organisationen

Die kontingenztheoretische SichtFootnote 53 auf Organisationen geht hauptsächlich auf die Ausführungen von Meyer und Rowan in ihrem 1977 erschienenen Aufsatz „Institutionalized organizations: Formal structures as myths and ceremony“ zurück. Organisationen machen sich, nach diesem Verständnis, institutionelle Muster zu eigen, um eine bestmögliche Anpassung an die Ansprüche, die die Umwelt an sie stellt, zu leisten. Mense-Petermann spricht in Anlehnung an Meyers und Rowans Bezeichnung „prefabricated formulae“ von „Schablone für das Organisieren“ (Mense-Petermann 2006, S. 66 nach Meyer und Rowan 1977, S. 344). Dabei geht es insbesondere darum, jenen Ansprüchen und Anspruchsgruppen gerecht zu werden, die Organisationen nach ihrem Verständnis die meisten Ressourcen bzw. die höchste Legitimation zuteil werden lassen. Das Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt kann in dieser Lesart charakterisiert werden als ein bewusst-strategisches, aber nicht als ein selbstverständlich-unhinterfragtes Übernehmen von Strukturen:

„Die Autoren [Meyer und Rowan] gehen nun davon aus, daß organisationen entlang eines Kontinuums unterschieden werden können, an dessen einem Ende sich Organisationen befinden, deren Erfolg und Überleben in erster Linie vom erfolgreichen Management der Außenbeziehungen mit der technisch und marktlichen Umwelt abhängt, und an dessen anderem Ende Organisationen zu finden wären, deren Erfolg von der Stabilität und dem Vertrauen abhängt, das sie durch Anpassung an institutionelle Regeln erlangen.“ (Mense-Petermann 2006, S. 68 nach Meyer und Rowan 1977, S. 354)

Der Grad der Übernahme hängt davon ab, als wie bindend diese Vorgabe erachtet wird bzw. wie notwendig das Erfüllen dieser Anforderung für die Organisation, etwa für den Zuspruch von Legitimation, ist. So können die Vorgaben der Umwelt als eine Notwendigkeit, eine Gelegenheit oder ein Impuls verstanden werden (vgl. Mense-Petermann 2006, S. 68). Hier muss allerdings darauf verwiesen werden, dass das Verständnis einer Vorgabe als Impuls eher einem Organisationsverständnis einer konstitutionstheoretischen Sicht gleichkommt.

Es bleibt festzuhalten, dass ein kontingenztheoretisches Organisationsverständnis seine Formalstruktur so zu gestalten versucht, dass

„sie [Organisationen] unter den gegebenen Umweltbedingungen ihre Ziele möglichst effizient erreichen. [...] Zwar wird den Organisationen nach innen ein nahezu unlimitierter Handlungsspielraum [...] zugestanden, jedoch führt die Logik der permanenten Suche nach dem ‚best fit‘ zu einer kontinuierlichen Anpassungsleistung [...].“ (Koch 2018, S. 144f.)

Beispielhaft, so Koch (vgl. 2018, S. 150 ff.), steht für dieses Organisationsverständnis jenes der „losen Kopplung“, das sich mittlerweile auch in erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Forschungsarbeiten großer Beliebtheit erfreut. Nicht zuletzt, da Weick (1976) dieses Modell anhand von Bildungseinrichtungen entwickelt hat und in Schulen Paradebeispiele für solche Organisationen sieht. Muslic (2017) hat sich intensiv mit diesem Organisationsverständnis im Zusammenhang mit Schulen und Reformumsetzungen im Bereich „Lernstandserhebungen“ auseinandergesetzt. Für Muslic bietet das Modell der „losen Kopplung“ eine Möglichkeit, schulische Organisationsstrukturen im Sinne der „Neuen Steuerung“ und in Abkehr von einem Verständnis von Schule als bürokratische Organisation zu verstehen (vgl. Muslic 2017, S. 22). Dabei betont die Autorin mit Rekurs auf Kuper (2008), dass Schulen „als primär gemanagte und sich wandelnde […] Organisation“ zu sehen seien, die „im Angesicht effizienterer Steuerungserwartungen insbesondere durch eine externe (Akteurs-)Ebene wie der Schulaufsicht“ (Muslic 2017, S. 22) mit veränderten Organisationsstrukturen und Entkopplungsmechanismen antworten.

Koch verweist auf diese verbreitete LesartFootnote 54, indem er schreibt, dass dieses Verständnis von Organisation besonders in der „Steuerungs-Debatte“ populär sei. Er kritisiert jedoch diesen Zugang deutlich, indem er anmerkt, dass man sich nicht des „Eindrucks erwehren [könne], dass die Metapher hierbei als Substitut einer Erklärung diene.“ (Koch 2018, S. 152). Theorien zu Entkopplungsmechanismen werden oft herangezogen, um misslungene „Top-Down“-Reformvorhaben zu beschreiben (vgl. u. a. Kuper 2001, Schaefer 2002; Muslic 2017). Kritik an diesem Organisationsverständnis wird vor allem dahingehend geäußert, als dass ein klassisches Verständnis von Organisation aus anderen Organisationstheorien beibehalten wird und diese Auslegung keinem „originären neoinstitutionalistischen Organisationsverständnis“ (Koch 2018, S. 145) entsprechen würde. Gegenüber anderen Organisationstheorien werden gesellschaftliche Erwartungen nur als ergänzenden Faktoren miteinbezogen.

„Der institutionelle Charakter der Organisation liegt gemäß dieser Perspektive darin, dass sie in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen agiert, von welchen sie restringiert und damit in ihrer Produktivität eingeschränkt wird.“ (Koch 2018, S. 145, Hervorhebung i O.)

So gehe es am Ende doch wieder nur um eine bestmögliche Passung der Organisation für die Ansprüche der Umwelt in einem strategischen Sinn (vgl. Ortmann, Sydow und Türk 1997, S. 29; Koch 2018, S. 145).

2.3.1.2 Konstitutionstheoretische Sicht auf Organisationen

Im Gegensatz zur kontingenztheoretischen Sicht, bei der das Verständnis von Organisationen auf strukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen bezogen wird, steht in der konstitutionstheoretischen Lesart vor allem die kulturelle Bedeutungswelt im Mittelpunkt (Koch 2018, S. 146). Zu unterscheiden sind bei dieser Sicht zwei Zugänge: Der erste versteht Organisationen als Reifikationen ihrer institutionellen Umwelten (vgl. Mense-Petermann 2006, S. 69), der zweite Organisationen als Institutionen. Bei der Sichtweise von Organisationen als Reifikationen werden institutionelle Strukturen, Programme und Regeln als selbstverständliche und unhinterfragte Skripten übernommen. Organisationen werden hier als Verkörperungen von kulturellen Vorgaben verstanden. Umweltanforderungen werden in organisationalen Strukturen abgebildet. Koch spricht sich für den Begriff der Verkörperung aus, da „es sich um eine Transformation einer ideellen Umwelt in eine materiale Organisation handelt.“ (Koch 2018, S. 147). Mense-Petermann betont, dass diese Lesart von Organisationen vor allem im World-Policy Ansatz diskutiert wird. Inwieweit ein solches Organisationsverständnis auch auf die Schule zu beziehen ist – das heißt eine nicht hinterfragte Überstülpung der kulturellen Umwelt auf die Schule –, ist bis dato noch nicht Gegenstand einschlägiger Schulentwicklungsforschung gewesen.

Die institutionellen Vorstellungen formen die Organisation und beeinflussen demnach die individuellen organisationalen Akteure. Die von Sanduh (2012) getroffene Definition beschreibt dieses Verständnis wie folgt:

„Organisationen sind nicht das Ergebnis rationaler Entscheidungen, sondern die Folge und Konsequenz einer sozialen und kulturellen Konstruktion. Diese Konstruktion erfolgt durch kognitive Skripte, eingespielte und nicht hinterfragte Handlungsmuster und Routinen. Sie sind institutionalisierte Erwartungshaltung in der gesellschaftlichen Umwelt von Organisationen abgelagert.“ (S. 75)

Dominiert in den ersten beiden Lesarten noch die Umwelt gegenüber der Organisation, verändert sich das im dritten Zugang. Die zweite Lesart, Organisationen aus konstitutionstheoretischer Sicht, bildet einen Kontrast – hier befinden sich Organisationen und Institutionen im Wechselspiel und beeinflussen sich gegenseitig. Mense-Petermann (2006) spricht hier von „Organisation als Institution“.

„Die Organisation bzw. die sozialen Akteure interpretieren die gesellschaftliche Bedeutungswelt nicht nur, sondern bearbeiten diese aktiv (z. B. durch ‚Übersetzungsleistungen‘).“ (Koch 2018, S. 147)

Organisationen entstehen bzw. entwickeln sich aus einem Fundus an gesellschaftlich etablierten Deutungen. Dieses Organisation-Umwelt-Verhältnis würde in Anbetracht der Ausführungen in Kapitel 1 einem „Enactment“-ProzessFootnote 55 entsprechen. Koch (2018, Fn. 105, S. 147) versteht „Enactment“ als Synonym für „Verkörperung“ – hier divergieren die Ansichten Kochs und der Autorin. „Enactment“ wird verstanden als „organisationaler Aktivierungs- oder Aktionsprozess“, der Anforderungen verwoben mit innerorganisationalen Bedingungen umsetzt (vgl. Ball et al. 2012). Dieses Organisationsverständnis wurde vor allem von Zucker (1987, 1988), teilweise verbunden mit diversen anderen Theoriesträngen (Meyer und Jepperson 2005, S. 57), in den 1990er-Jahren verwendet. Ein theoretischer Seitenstrang im Neo-Institutionalismus, der dieser Lesart von Organisationen zuzuordnen ist, findet sich im Diskurs um sogenannte institutionelle Unternehmer bzw. „Institutional Entrepreneurs“ (Campbell 2004; Hardy und Maguire 2008). Dieser Diskurs soll in erweiterter Form in Abschnitt 2.4.1 fortgeführt werden, da er von besonderer Bedeutung für Schulleitungshandeln ist.

Die umfangreiche Darstellung nach Koch (2018) und Mense-Petermann (2006) hat gezeigt, dass Organisationsverständnisse innerhalb der neo-institutionalistischen Zugänge nach drei verschiedenen Lesarten präzisiert werden können. Mit Hilfe dieses fundierten Verständnisses ist es nun möglich, Schulen als Organisationen aus neo-institutionalistischer Perspektive eingehender zu betrachten.

2.3.2 Schule als Organisation der besonderen Art

Nach diesen Ausführungen gilt es nun, die Brücke zum Thema der vorliegenden Arbeit zu schlagen – Schulen als Organisationen stehen hier insofern im Mittelpunkt, als dass Schulleiterinnen und Schulleiter innerhalb solcher Organisationen agieren und des Weiteren eine besondere organisationale GrößeFootnote 56 (vgl. Muslic 2017, S. 22) darin einnehmen.

„Kaum ein gesellschaftlicher Bereich wird so stark anhand seiner Organisationen identifiziert wie Erziehung und Bildung in der modernen Gesellschaft.“ (Drepper und Tacke 2012, S. 207). Dass Schulen innerhalb des pädagogischen Diskurses aber überhaupt als Organisationen betrachtet werden bzw. sich eine eigene Forschungsrichtung etabliert hat, die organisationstheoretische Forschung über Schulen betreibt, geht mit intensiven Debatten einher. So stand und steht im Zentrum der erziehungswissenschaftlichen Tradition das Erziehen, welches vor allem von der Warte des pädagogischen Handelns aus diskutiert und analysiert wurde – eine organisationale bzw. institutionelle Sicht wurde wenig bis kaum berücksichtigt (vgl. Böttcher und Terhart 2004, S. 7). Diese Engführung löste sich mit Ende der 1960er-Jahre und der „sozialwissenschaftlichen Wende“ von der Pädagogik hin zur Erziehungswissenschaft auf – organisationtheoretische Zugänge fanden mehr und mehr Beachtung sowohl unter Theoretiker/-innen als auch unter Praktiker/-innen. Insbesondere der Bürokratieansatz von Max Weber wurde in die erziehungswissenschaftlicheForschung aufgenommen.

„Die Schule erscheint als bürokratische Organisation mit allen Merkmalen der verordneten Leistungserbringung, regelhaften Amtsausübung, standardisierten Kontrolle und aktenmäßigen Kommunikation. […] Allerdings gelten diese Merkmale eher für die Führungsebene der schulischen Organisation und weniger für den Kernbereich der Lehrertätigkeit. Das Unterrichten lässt sich nur bedingt bürokratisch regulieren, da Lehrkräfte eine Arbeit verrichten, die kaum standardisierbar und nicht technisierbar ist.“ (Herzog 2009, S. 159f.)

Dies hatte und hat zur Folge, dass eine Kontroverse unter den Pädagogen und Pädagoginnen und Erziehungswissenschaftler/-innen entflammte. Das Organisationsmodell von Weber bildet mit seinem rationalen Verständnis einen deutlichen Gegenpol zu den erzieherischen Idealbildern des pädagogischen Handelns. Mittlerweile, unter anderem auch abgemildert durch andere Zugänge, wird die organisationstheoretische Forschung im Bereich der Schulforschung akzeptiert (vgl. Böttcher und Terhart 2004, S. 9; Koch 2018, S. 30 ff.). Dennoch dominieren zwei unterschiedliche Forschungsperspektiven auf Schule als Organisation (vgl. Drepper und Tacke 2012). Die beiden Autoren unterscheiden die Perspektiven: Schule, gesehen als „innere Organisation“, und Schule, gesehen als „äußere Organisation“ (vgl. ebd., S. 209). Während Schule als „äußere Organisation“ vor allem Fragen des Schulmanagements, namentlich der Ordnung und Planbarkeit durch den Staat und dessen Verwaltung im Forschungsfokus hat (vgl. Drepper und Tacke 2012, S. 209), behandelt die Perspektive, die Schule als „innere Organisation“ untersucht, Fragen rund um das erzieherische Kernthema „Unterricht“. Die Perspektive der „inneren Organisation“ wird jenem Organisationsverständnis zugesprochen, welches dem einer „professionellen Organisation“ gleich ist. Hierbei werden Organisationsabläufe und Strukturen in erster Linie mittels fallorientierten Arbeitens durch hochqualifizierte Experten charakterisiert (Klatetzki 2012, Klatetzki und Tacke 2005). Drepper und Tacke (2012) merken an, dass „diese Perspektiven bisher weitgehend getrennt geblieben [sind], wenngleich sie erkennbar aufeinander verweisen und sich mithin wechselseitig voraussetzen.“ (S. 209) Terhart (2018) widerspricht insofern, als dass er auf einen Wandel verweist, der sich vollzogen hat, und durch den eine derartige Schwarz-Weiß-Betrachtung gerade in den letzten Jahren aufgehoben wurde:

„Erst mit der Orientierung an offenen Organisationskonzepten u.a. aus dem Neo-Institutionalismus (Senge und Hellmann 2006 ), die den mechanistischen und rationalistischen Charakter älterer Organisationsvorstellungen definitiv abgestreift haben zugunsten einer eher organisch zellulären bzw. nicht-deterministischen, kulturell geprägten Sicht von Organisation, wurde auch in der Schulpädagogik die Diskussion neu geöffnet (vgl. Schaefers 2002 ; Koch und Schemmann 2009 ).“ (S. 50)

Ausgehend von den mittlerweile weitverzweigten und unterschiedlichen Ansätzen, können verschiedene Systematisierungsschemata abgeleitet werden, um schulische Organisationen in ihrem Besonderen zu beschreiben. Da die nun folgende Beschreibung Basis für den empirischen Teil dieser Arbeit sein wird, wurde eine Systematisierungsmöglichkeit gewählt, die auch von Muslic (2017) nach Kuper und Thiel (2009, S. 419 ff.) angewendet wurde. Demnach „lassen sich Organisationen anhand von drei Zentralperspektiven systematisieren […]“ (Muslic 2017, S. 38 f.), die wiederum bestimmten Organisationstheorien zugeordnet werden können. Es wird hierbei unterschieden zwischen Perspektiven, die

  1. (1)

    das Verhältnis von Organisation und Umwelt untersuchen,

  2. (2)

    die Binnenstruktur der Organisation untersuchen und

  3. (3)

    das Verhältnis von Organisation und Individuum in den Blick nehmen.

Das Verhältnis von Organisation und Umwelt (1) kann typischerweise – wie bereits ausführlich beschrieben – den Organisationstheorien des Neo-Institutionalismus zugerechnet werden. Auch Mintzberg mit seinem Managementansatz, welcher auf den situativen Ansatz zurückgeht, zählt zu den Vertreter/-innen dieser Perspektive, die Organisationen als umweltoffen beschreibt. Eine zentrale Grundannahme geht davon aus, „dass Kontingenzfaktoren in der Umwelt der Organisation ihren Aufbau und ihre Struktur determinieren.“ (Kuper und Thiel 2009, S. 493). Mintzberg (1979) typologisiert Organisationen anhand von fünf unterschiedlichen Basiskomponenten. „Er nimmt an, dass Organisationsstrukturen mit Zielen, Aufgaben und Umweltbedingungen (z. B. staatliche Regulierung, Machtverhältnisse) variieren, sich aber grundsätzlich in einer für die Effektivität und Effizienz der Gesamtorganisation vorteilhaften Weise ausbilden“ (Iseringhausen und Staender 2012, S. 186 f.). Bildungsorganisationen ordnet er hierbei ebenfalls einem solchen Typ zu, er bezeichnet sie als „professional bureaucracy“.

Die zweite Perspektive nimmt die Binnenstruktur und somit inner-organisationale Prozesse und Strukturen in den Fokus. „[D]ie Differenzierung von Aufgaben, die entsprechende Einrichtung von Strukturen und die Integration der Einzelkomponenten“ (Kuper und Thiel 2009, S. 492) stehen hierbei im Mittelpunkt. Wie diese Binnenstrukturen beschrieben werden, unterscheidet sich wieder entsprechend der Organisationstheorien. Max Weber (1972 [1922]), einer der zentralen Vertreter dieser Perspektive, beschreibt mit seinem Bürokratie-Modell die Bedeutung vertikaler und horizontaler Strukturen in Organisationen. Für die horizontalen Strukturen beschreibt er die Anordnung der Handelnden in abgegrenzten Einheiten sowie die Notwenigkeit, für diese Aufgabenbereiche qualifizierte Ausbildungen vorweisen zu können. Die vertikalen Strukturen stellt er in Form von Hierarchieebenen dar, die typischen Amtsstrukturen entsprechen. Ein weiterer bekannter Vertreter dieser Perspektive ist Taylor (1977 [1911]) – der den nach ihm benannten Taylorismus populär gemacht hat. Mit seiner Perspektive auf Managementstrukturen innerhalb von Organisationen hat er lange Zeit inner-organisationale Unternehmensstrukturen geprägt. Nach seiner Theorie werden Aufgaben und Abläufe in Organisationen spezialisiert und standardisiert:

„Neben der aufgabenspezifischen Auswahl und Qualifikation der Arbeiter ist die Spezialisierung auf Funktionen bereits auf der Leitungsebene (Funktionsmeister) und die regelhafte, standardisierte Aufgabenbearbeitung ein Hauptmerkmal der tayloristischen Betriebsführung. Integration der spezialisierten Bereiche gelingt über ihre enge Verschaltung und über ein strenges System von Weisung und Ausführung.“ (Kuper und Thiel 2009, S. 493)

Ähnlich orientiert sich auch der betriebswirtschaftliche Zugang zu Organisationen. In diesem spielt vor allem die Effizienz in den Arbeitsprozessen eine Rolle. Es erfolgt ebenfalls wie in den anderen Zugängen eine Aufgabendifferenzierung, die damit in Form von Weisungsappellen an die Handelnden übermittelt wird. Somit kommt es zu einer Operationalisierung von Teilaufgaben. Durch ein solches Handeln etablieren sich feste organisationale Strukturen. Typisch für diese Perspektive sind Beschreibungen und Betrachtungen von Aufbau- und Ablauforganisationen.

Die letzte Perspektive – das Verhältnis von Organisation und Individuum (3) – wird favorisiert von unterschiedlichen Organisationsansätzen wie der Rational-Choice-Theorie, von deskriptiven entscheidungsprozessorientierten Ansätzen bzw. dem mikropolitischen Ansatz, von der Agenturtheorie und dem Human-Relation-Ansatz. Während etwa die Rational-Choice-Theorie davon ausgeht, dass rationale Entscheidungen auf Basis einer Kosten-Nutzen-Rechnung gefällt werden, orientiert sich der Handelnde im deskriptiven entscheidungsprozessorientierten Ansatz an Legitimitätszusprüchen (vgl. Kuper und Thiel 2009, S. 491). Im mikropolitischen Ansatz wird davon ausgegangen, dass Entscheidungen nach Machtinteressen erfolgen, während in der Agenturtheorie Verträge zwischen den Handelnden die entscheidenden Koordinationsmöglichkeiten für die Organisationsentwicklung bieten. Man sieht an dieser differenzierten Ausgestaltung, wie unterschiedlich die Wahrnehmung des Handelnden trotz einer gemeinsam eingenommenen Perspektive dennoch sein kann. Alle trachten in ihrer Perspektive jedoch nach Antworten auf die Frage, wie das individuelle Handeln von Akteuren durch spezifische Orientierung und Interessen motiviert werden kann, damit Organisationsziele erreicht werden können (vgl. Kuper und Thiel 2009, S. 491).

Wie den Beschreibungen dieser Perspektiven entnommen werden kann, dienen den Zugängen mitunter unterschiedliche Ausprägungen von Organisationen als Vorlage. Schule kann und wird aus allen drei Perspektiven beschrieben. Daher soll im Folgenden nun Schule als OrganisationFootnote 57 nach dem Verhältnis von Organisation und Umwelt, nach besonderen Merkmalen für organisationsinterne Prozesse und Strukturen und nach Merkmalen, die das Verhältnis von Organisation und Individuum bestimmen, charakterisiert werden.

  1. (1)

    Verhältnis von Organisation und Umwelt

  2. Der Staat definiert in Form des Bildungs- und Erziehungsauftrages das übergeordnete Organisationsziel für alle Schulen (vgl. Rolff 1995; Muslic 2017, S. 38).

  3. Das Eröffnen und Auflösen von Schulstandorten hängt nicht mitvon den erzielten „Leistungen“ des Standortes ab, sondern wird vom Schulerhalter (z. B. Gemeinden) bzw. dem Bund reguliert.

  4. Schulische Organisationen sind eingebettet in ein Mehrebenensystem. Die Akteure in diesem System bzw. die Akteursebenen folgen unterschiedlichen Handlungslogiken und stehen in wechselseitiger Interdependenz zueinander (vgl. Fend 2008). Nehmen Lehrkräfte vor allem Handlungslogiken ein, die sich mit der Frage des Erziehens und der Bildung von Individuen auseinandersetzen, so umfasst das Handlungsspektrum von Schulleitung neben pädagogischen Themen bereits Themen der Steuerung sowie administrative Aufgaben. Die Ebene der Schulaufsicht beinhaltet zu einem weitaus größeren Ausmaß Aufgabenbereiche, die der administrativen und steuerungs-logischen Orientierung zugesprochen werden können. Dadurch ergeben sich die unterschiedlichen Handlungslogiken und mitunter auch die unterschiedlichen Organisationsverständnisse innerhalb des Bildungssystems. Alle drei Ebenen werden durch institutionelle Umwelten beeinflusst.

  5. Schulleitung ist einerseits Teil der linearen Verwaltungshierarchie, andererseits Teil der reversiblen Hierarchie innerhalb der einzelnen Schule. Schulleiter/-innen müssen somit unterschiedliche Handlungsrationalitäten beachten und bewegen sich zwischen dem Spannungsfeld der professionellen Autonomie und der bürokratischen Regulierung (vgl. Thiel 2008, S. 223).

  6. Die handelnden Personen in der Organisation „Schule“ können – zumindest im deutschsprachigen Raum – fast ausschließlich einer Profession zugerechnet werden: Es handelt sich um Pädagoginnen und Pädagogen. Tacke (2004) spricht hier von einer „professionellen Monokultur“ (S. 24).Footnote 58

  7. Durch die unterschiedliche Fachzugehörigkeit der Lehrerinnen und Lehrer ist die schulische Organisation von einer internen Arbeitsteilung geprägt. Die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer erfolgt durch andere Institutionen, die z. T. staatlich geregelt sind (für Österreich beispielsweise die Reform „PädagoInnenbildung Neu“an z.T. autonomen Hochschulen). Die Fort- und Weiterbildung der Lehrenden wird durch nachgeordnete Behörden (Pädagogische Hochschulen) geregelt und ist somit mehr verstaatlicht als die Ausbildung. Deren Einfluss ist mitunter stark (vgl. Schratz 2012).

  8. Die Schulorganisation und die Unterrichtskonzeption werden durch gesetzliche Vorgaben (Schulorganisationsgesetz und Schulunterrichtsgesetz) bestimmt. Außerdem gibt es zentrale Lehrpläne, die eine Rahmung für jedes Unterrichtsfach anführen.

  9. Durch zentralisierte Standardüberprüfungen in den Fächern Mathematik, Deutsch und der ersten lebenden Fremdsprache (Österreich: Englisch) sowie einer zentralisierten Reifeprüfung (Österreich: Matura) werden seitens einschlägiger Institute (z. B. Institut für Bildungsforschung, Innovation und Entwicklung [Bifie] in Österreich oder Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen [IQB] in Deutschland)Footnote 59 Output-orientierte Steuerungselemente eingeführt. Die Orientierung an den dabei verlangten Kompetenzen (z. B. zugrundeliegende Kompetenzmodelle) führt zu einer weiteren Einflussnahme umweltlicher Akteure auf die Unterrichtstätigkeit in den entsprechenden Schultypen.Footnote 60

  10. Dennoch gilt, dass trotz „zahlreicher Vorschriften, Regulierungen und Disziplinierungsmöglichkeiten […] eine Einsicht in und ein Durchgriff auf schulische und unterrichtliche Prozesse von außen […] größtenteils nicht möglich [ist].“ (Muslic 2017, S. 43).

  11. Die Rekrutierung der Mitglieder der Organisation erfolgt unterschiedlich. Während Lehrpersonal aufgrund seiner Ausbildung ausgewählt wird und von staatlicher Stelle den Organisationen zugewiesen wird, erfolgt die Auswahl der Schülerinnen und Schüler über gesetzliche Regelungen (Sprengelschulen) oder durch organisationsinterne Regelungen (Notendurchschnitt, Geschwisterbonus, freie Plätze).

  12. (2)

    Binnenstruktur – organisationsinterne Prozesse und Strukturen

  13. Schule fügt sich keinen „direktiven Arbeitstechnologien“ (Luhmann 2004, S. 469). Damit ist gemeint, dass sich Unterricht nicht technologisieren lässt, da dieser situationsbedingt immer unterschiedlich abläuft.

  14. Innerorganisationale Strukturen sind gekennzeichnet durch flache Hierarchien. Besondere Funktionsrollen bzw. Karrierestufen innerhalb der Organisation sind nur vereinzelt vorhanden. Zwischen Schulleitung und Lehrenden bestehen in den meisten Fällen nur Entwicklungsstufen, die Funktionsrollen umfassen, für die es keiner weiteren Qualifikationen bedarf (Fachvorstand, Qualitätsbeauftragte). Die Funktion „Schulleitung“ setzt nur in vereinzelten Fällen Qualifikationsbedingungen voraus. In der Regel haben in Schulen Schulleitungsverantwortliche und Lehrerinnen und Lehrer in den ersten Dienstjahren die gleiche Ausbildung. Außerdem wird diese Funktion von den Stelleninhaber/-innen nach einem Bewährungszeitraum unbefristet ausgeübt. Eine Funktionsabberufung des/der Stelleninhabers/-in kann nur im Wege des Disziplinarrechts oder auf eigenen Wunsch erfolgen.

  15. Handelnde Personen können zum Teil schulfeste Stellen innehaben.

  16. Schulen werden als „schwer veränderbare Organisationen“ dargestellt (Rowan 2006). Muslic und Ramsteck (2016) führen dies neben der Autonomie der Lehrkräfte vor allem zurück „auf die Tatsache, dass sie [Schulen] in Abhängigkeit zur staatlichen Bildungsadministration stehen und damit ihrer Kontrolle und Regulierung unterliegen.“ (S. 90).

  17. Während Lehrende über ihre Ausbildung Teil der Organisation werden, erfolgt die Rekrutierung von Schülerinnen und Schülern, als ebenfalls innerhalb der Organisation handelnde Personen, über gesetzliche ZuweisungFootnote 61 (vgl. Rolff 1995; Muslic 2017, S. 38).

  18. Die Mitbestimmung unterschiedlicher Akteure bzgl. Organisationsstrukturen kann u. a. durch Konferenzen bzw. durch Gremien und Steuergruppen erfolgen. Während den Lehrenden hier in erster Linie Konferenzen und Sitzungen als Medium dienen, können Schülerinnen und Schüler, insbesondere in höheren Schulen über Ausschüsse, wie etwa den Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) mitbestimmen. Auch Eltern haben hier die Möglichkeit, ihre Meinung einzubringen.

  19. Sämtliche interne Regelungen und Abläufe werden schulautonom etwa über entsprechende Hausordnungen geregelt.

  20. (3)

    Das Verhältnis von Organisation und Individuum

  21. Die Handelnden verfügen über umfangreiche Autonomiespielräume (Mintzberg 1979; Meier und Schimank 2010) – insbesondere im Bereich des Unterrichts. Strukturen innerhalb der Schulen können charakteristische Autonomie-Paritäts-Muster (Lortie 1972; Altrichter und Posch 1999; Altrichter und Eder 2004) aufweisen. Lehrende haben somit weitläufige autonome Handlungsspielräume, wie sie ihren Unterricht gestalten und inwieweit sie welchen Lehrstoff wie vermitteln.

  22. Muslic und Ramsteck (2016) verweisen im Zusammenhang mit der hohen Autonomie auch auf die wenig ausgeprägte Rechenschaftspflicht, denen die Handelnden unterliegen (S. 203; vgl. Avenarius 2010, S. 664).

  23. Die Verantwortung für die Fort- und Weiterbildung liegt innerhalb der Organisation, zum Teil bei den handelnden Akteuren selbstFootnote 62.

Die dargestellten Merkmale erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sind vor allem für den Kontext dieser Arbeit – das österreichische Schulwesen – formuliert. Dennoch sollen diese organisationalen Merkmale von „Schule“ aufzeigen, warum Schulen als Organisationen der besonderen Art zu verstehen sind. Ihre Abhängigkeit und Eingebundenheit in institutionelle Strukturen zum einen, die Drepper und Tacke als „Souveränitätsabhängigkeit“ (Umweltabhängigkeit) (2012, S. 207) bezeichnen, und ihre innerorganisationale Autonomie, die Altrichter und Posch (1999) in Anlehnung an Lortie (1972) als „Autonomie-Paritäts-Muster“ beschreiben, verdeutlichen diese Sonderstellung gegenüber anderen Organisationen. Diese Komplexität und Vielgestaltigkeit erklärt mitunter, warum Schulen im Kontext so unterschiedlicher Organisationsansätze beschrieben und beforscht werden (können). Andererseits kann durch die dargestellten Besonderheiten auch herausgearbeitet werden, warum bestimmte Organisationstheorien für schulische Organisationen gerade nicht anschlussfähig sind. Allen Perspektiven immanent ist nämlich, dass Schulen mit Hilfe von Theorien aus anderen Wissenschaften betrachtet werden können, seien es organisations-soziologische oder betriebswirtschaftliche Organisationstheorien. Daher bedarf es bei der Übertragung von Theorien aus anderen Wissenschaften vorab einer Klärung und einer intensiven Auseinandersetzung, ob eine Übertragung überhaupt möglich ist, bzw. wenn ja, wie es zu einem Transfer der Ansätze auf Schulen als Organisationen kommen kann.

Zusammenfassung und Ableitungen für die vorliegende Arbeit

Nach der eingehenden Darstellung, aus welchen Perspektiven Schulen, wenn man sie mit Hilfe unterschiedlicher Organisationstheorien beschreibt, betrachtet werden können, soll noch einmal dezidiert auf Schulen im Zusammenhang mit einem neo-institutionalistischen Organisationsverständnis eingegangen werden. Kuper und Thiele (2009, S. 491 ff.) verweisen darauf, dass eine Unterteilung gemäß unterschiedlicher Blickwinkel und Theoriekonzepte möglich ist. Für die erfolgte Betrachtung innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen lassen sich jedoch ebenfalls binnen-differenzierend weitere Organisationsverständnisse unterteilen. Dies ist insofern stimmig, als dass der Neo-Institutionalismus, wie bereits im ersten Kapitel aufgezeigt wurde, verschiedene Untersuchungsebenen in den Blick nimmt. Sandhu (2012) hat dies mit Hilfe eines Modells übersichtlich dargestellt.

Abbildung 2.6
figure 6

Untersuchungsebenen aus neo-institutioneller Perspektive (Sandhu 2012, S. 87)

Die vorgestellten Perspektiven finden sich demnach alle in den Analyseebenen des Neo-Institutionalismus wieder. Nachdem sowohl die Rolle der Schulleiterinnen und Schulleiter (Verhältnis „Organisation und Individuum“) sowie deren responsives Verhalten (organisationsinterne Prozesse und Strukturen) auf die umweltlichen Ansprüche (Verhältnis „Organisation und Umwelt“) im Mittelpunkt stehen, tangiert die dieser Arbeit zugrundliegende Untersuchung alle vorgestellten Perspektiven.

Wie die ausführliche Herleitung und Darstellung der Lesarten von Organisationen im Neo-Institutionalismus gezeigt hathaben, gibt es nicht die eine Lesart. Auch die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Zugängen zu Schule als Organisation zeigt, dass hier das Verständnis, was eine schulische Organisation ist, bzw. deren Beschreibungen divergent sind. Terhart (2018) bringt dies wie folgt auf den Punkt:

„Für die Schulpädagogik ist der Blick auf Schule naturgemäß konstitutiv und zugleich darauf fokussiert; für die Organisationspädagogik dagegen ist Schule lediglich ein spezieller Fall von (pädagogisch gerichteter) Organisiertheit unter sehr vielen anderen.“ (S. 56)

Für Schule als Organisation – verstanden im neo-institutionalistischen Organisationsansatz – wurde bereits darauf verwiesen, dass sich diese Perspektive großer Beliebtheit in der erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Debatte erfreut, dort allerdings eine kontingenztheoretische Lesart vorherrscht. Schulen werden mit Vorzug im Sinne des „loosly-coupled-Systems“ interpretiert. Dass allerdings der Neo-Institutionalismus ebenfalls gleich zwei konstitutionstheoretische Zugänge ausweist, blieb bis dato unbeachtet. Beide Ansätze bieten die Möglichkeit, die bisher nicht vereinbarten Positionen eines inneren und äußeren Verständnisses von schulischen Organisationen zusammenzuführen. Während das Verständnis „Schule als Reifikation“ hier noch weniger Raum für eine Zusammenführung lässt, da es einem normativen Paradigma folgt, bietet der Ansatz „Schule als Institution“ deutlicher interpretative und ermöglichende Handlungsstrukturen (vgl. Koch 2018, S. 143). Diese anderen Verständnisse des Organisationsbegriffs widersprechen der Aussage Terharts. Auch organisations-pädagogische Betrachtungen von Schule können konstitutiv sein.

Für die empirische Untersuchung lassen sich zwei Hypothesen ableiten. Zum einen gilt es, mit Hilfe der Experteninterviews noch einmal aufzuzeigen, dass Schulen „besondere“ Organisationen sind, was sich u. a. im Aufgabenrepertoire der Leitung widerspiegelt. Zum anderen wird davon ausgegangen, dass Schulleiterinnen und Schulleiter unterschiedliche Verständnisse von ihren Schulen als Organisationen haben. Eine unterschiedliche Sichtweise kann mitunter ein divergentes Respondieren auf die Umwelt zur Folge haben. Daher bedarf es der Mitberücksichtigung des Organisationsverständnisses von Schulleiterinnen und Schulleitern.

Hypothese

H 1 :

Schulleiter/-innen agieren in Organisationen, die besondere Merkmale haben und sich daher von anderen Organisationen (z. B. Wirtschaftsunternehmen) unterscheiden.

H 2 :

Schulleiter/-innen können das Verhältnis zwischen schulischen Organisationen und deren institutionellen Umwelten unterschiedlich wahrnehmen. Diese Wahrnehmung bedingt, wie Schulleitende ihren Handlungsspielraum ausgestalten.

2.4 Zwei Blickrichtungen auf die Organisation Schule

„[es geht] immer auch um das Verhältnis von Institutionen, Akteuren und Handlungen, d. h. um einen Brückenschlag zwischen Handlungs- und Strukturebene.“

(Meyer und Hammerschmid 2006, S. 161)

2.4.1 Der Blick von innen: Schulleiter/-innen als AkteurInnen in bestimmter Agentenschaft

Im vorangegangenen Kapitel hat eine intensive Auseinandersetzung mit Konzepten zu kollektiven Akteuren, sprich Organisationen, stattgefunden. Da jedoch der AkteursbegriffFootnote 63 nicht nur für kollektive Akteure gültig ist, sondern auch individuelle Akteure beinhaltet, erfolgt diesbezüglich eine weiterführende Auseinandersetzung. Die dabei zur Anwendung kommende Detailliertheit mag erstaunen, wird aber nachvollziehbar, da für die qualitative empirische Forschung erst die systematische und begriffliche Rahmung entwickelt werden muss. Vielfach wurde kritisiert, dass im Neo-Institutionalismus „die Ausblendung des Akteurs, seiner Interessen und strategischen Handlungen sowie die Ausblendung von Macht“ (Walgenbach und Meyer 2008, S. 116 nach Perow 1995, 1996; Reed 1992; Aldrich 1992; Beckert 1999; Wolf 2003) vorherrsche. Sich dieser Schwäche bewusst, verwiesen die maßgeblichen Autoren wie Meyer und Powell sowie DiMaggio bereits früh auf diese Schwachstelle:

„(I)nstitutional theory has no explicit or formal theory of the role that interests play in institutionalization and consequently defocalizes, or distracts attentions from, the way in which variation in the strategies and practices of goal-oriented actors may be related to variation in organizational structures, practices and forms.“ (DiMaggio 1988, S. 4)

Die kritische Frage im Zusammenhang mit dem Akteurskonzept ist, inwieweit dieses sowohl für kollektive Akteure, sprich Organisationen und Nationalstaaten zu verwenden ist (vgl. hierzu Abschnitt 2.3) und inwieweit auch individuelle Akteure – im Falle dieser Arbeit also Schulleiterinnen und Schulleiter – damit adressiert werden können. Wie können Akteure in ihrer institutionellen Verwobenheit beschrieben werden? Anhand der Darstellung von Sandhu (2011, S. 84; vgl. Abbildung 2.6) wird deutlich, was auch Meyer und Hammerschmid (2006) hervorheben, nämlich, „dass [es] immer auch um das Verhältnis von Institutionen, Akteuren und Handlungen, d. h. um einen Brückenschlag zwischen Handlungs- und Strukturebene [geht].“ (S. 161) Die hier in besonderer Weise betonte Herausforderung, dass sich „soziale Akteure zwar als durch Institutionen definierten, aber nicht [dadurch] determiniert […] konzipieren lassen“ (ebd.), gilt es überdies zu berücksichtigen. Mitunter sorgt diese Mehrebenenanschlussfähigkeit des Akteursbegriffs für Irritation. Sandhu führt hierzu aus:

„[...] im Gegensatz zu Theorieansätzen, in denen Akteure entweder die zentrale Untersuchungseinheit darstellen (vgl. Kron und Winter 2009: 41ff.) oder in denen Akteure zugunsten strukturalistischer Erklärungsmodi ausgeblendet werden, hält der Neo-Institutionalismus am Begriff des Akteurs fest. Doch sie sind keine ‚muskulösen ‚Macho‘-Akteure‘ (Meyer 2005: 6), die permanent rational entscheiden und strategisch handeln. Sondern sie sind mit kulturellen Wertvorstellungen ‚aufgeladen‘, die durch habituelles Verhalten oder spezifische Handlungsskripte abgearbeitet werden.“ (Sandhu 2012, S. 88)

Wie Sandhu schreibt, treffen Akteure ihre Entscheidungen nicht auf Basis eines rationalen Kalküls, dennoch handeln sie mitunter in ihrem eigenen Interesse: „ […] das Verständnis von Eigeninteresse [unterscheidet sich] in der neoinstitutionalisitischen Organisationstheorie immer noch deutlich von jenen, welches wir in Theorien finden, die auf der Annahme eines rationalen Akteurs basieren.“ (Walgebach und Meyer 2008, S. 116). Nichtsdestoweniger muss auch bei der Konkretisierung des Akteursverständnisses die Unterschiedlichkeit im Reaktionsverhalten von individuellen bzw. kollektiven Akteuren auf ihre institutionelle Umwelt zentral sein. Dies muss auch im Kontext der Schulentwicklung sowie Schulleiter/-innen nochmals aufgegriffen und für die unterschiedlichen Anspruchsgruppen formuliert werden. Meyer und Hammerschmid (2006) setzen sich in ihrem Beitrag vertieft mit dem Akteurskonzept innerhalb der neo-institutionalistischen Theorieströmungen auseinander und versuchen eingangs, die Wechselwirkung von Institutionen und Akteuren zu beschreiben:

„Institutionen entfalten ihre Wirkung, weil sie kognitiv so stark verankert sind, daß sie die Wahrnehmung der Akteure und ihre Situationsdefinition beeinflussen. Umgekehrt sind es die Akteure, die durch die Interpretation und die entsprechende Umsetzung in Handlungen Institutionen kontinuierlich und über Generationen hinweg reproduzieren oder eben verändern.“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162).

Ausgehend von diesen Erläuterungen kann die Wirkung der Akteure im Zusammenhang mit dem Prozess der Institutionalisierung genauer beleuchtet werden. Hier schließen die folgenden Ausführungen an die zuvor erörterten Erklärungskonzepte zur Entstehung von Institutionen an. Zum einen existiert ein mikroperspektivischer Ansatz von Zucker (1977), der „die kognitive Verankerung institutionalisierten Wissens fokussiert“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 161). Zum anderen gibt es den von Meyer und Rowan (1977) entwickelten Ansatz, der eine starke Beeinflussung des Handelns der Akteure durch äußere Erwartungsstrukturen beschreibt. Dabei gehen beiden Autoren von der Makroebene aus und betonen den Ansatz der Realitätsmythen, die eine Beeinflussung der Institutionswerdung von außen und als Ergebnis darstellen. Durch diese beiden Zugänge unterscheidet sich auch das Akteurskonzept. Meyer und Hammerschmid (2006) fassen zusammen, dass bei Zucker „die Beständigkeit kultureller Praktiken in engem Bezug zum Grad der Institutionalisierung steht: Hochgradige institutionalisierte Praktiken sind relativ stabil, von Einzelpersonen unabhängig und veränderungsresistent“ (S. 161). Dies, so folgern beide Autoren, führt bei Zucker dazu, dass Akteure bestimmten Handlungsmustern unreflektiert folgen und diese so annehmen, wie sie sind. Positive oder negative Sanktionen greifen bei diesem Grad der Institutionalisierung nicht mehr.

Meyer und Rowan (1977) und zu einem gewissen Grad auch DiMaggio und Powell (1983) gehen im Vergleich dazu genau von einer solchen externen positiven bzw. negativen Sanktionierung aus (Zwang) und betonen in ihrem Ansatz den Einfluss der institutionellen Umwelt auf das Handeln der Akteure innerhalb ihrer institutionellen Erwartungsstrukturen.

„Meyer/Rowan fokussieren in ihrem klassischen Aufsatz auf die Übernahme von Praktiken aufgrund machtvoller Institutionen in der Umwelt der individuellen oder kollektiven Akteure (z. B. Organisationen).“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162). Im Gegensatz zu Zuckers Ansatz betonen beide „den Charakter von Institutionen als Erwartungsstrukturen. Akteure befolgen Institutionen nicht nur deshalb, weil sie selbst keine Handlungsalternativen sehen, sondern weil sie davon ausgehen, daß andere diese institutionellen Praktiken von ihnen erwarten.“ (Meyer und Hammerschmid 2006, S. 162 nach Meyer und Rowan 1977, S. 75).

Unter Bezugnahme auf die weiteren Theorieausführungen lässt sich somit ein Akteursverständnis nachzeichnen, das eine gewissen Spannweite aufweist. Von den anfänglich schwachen, mit wenig Reaktionsmöglichkeiten ausgestatteten Akteuren, die als Spiegelbild einer institutionalisierten Umwelt fungieren (u. a. Zucker 1977; Tolbert und Zucker 1983; Meyer und Rowan 1977), bis hin zu aktiven, sich für institutionellen Wandel verantwortlich zeichnende „institutionelle Entrepreneure“ finden sich Beispiele in den Forschungsarbeiten (vgl. u. a. DiMaggio 1988; Hardy und Maguire 2008; Battilana, Leca und Boxenbaum 2009). Wie die Akteure dabei ihre Situationsdefinition gestalten, ob eher aktiv-kreativ oder reaktiv-sachlich (vgl. Scott 2008, S. 227 ff.), hängt auch von dem Akteursverständnis der Akteure selbst ab. Diese Vielfalt bestärkt zudem die Ausführungen (vgl. Abschnitt 2.3) zu den in den neo-institutionalistischen Theorieströmungen unterschiedlichen Verständnissen des Verhältnisses zwischen Organisation und institutioneller Umwelt. Alle Konzepte werden jedoch immer unter der Prämisse verwendet, dass der Akteur im Verständnis seiner Beziehung zur institutionellen Umwelt zu betrachten ist.

Um jedoch zurück zur zweiten Ausgangsfrage zu kommen – wie gelingt es, dass Institutionen von oder durch Akteure vertreten bzw. verkörpert werden, braucht es mehr als nur ein passives Akteursverständnis, es braucht einen Zugang, der Akteure handlungsfähig im Sinne institutioneller Erwartungshaltungen werden lässt. Eine Möglichkeit, diese Brücke zu schlagen, ist mit Hilfe des Konzepts der Agentenschaft (Agency).

Agentenschaft (Agency)

Geht man von dem Handelnden im normativen Paradigma aus, so kann man Agency als „Rollenhandeln“ verstehen. Der Sozialkonstruktivismus löst sich von diesem Verständnis des alten Institutionalismus, indem die aktive Rolle des handelnden Individuums betont wird. „Agentenschaft“ steht zunächst einmal für ein Konzept, das eine Übernahme von unterschiedlichen Rollen ermöglicht:

„Es sind Rollen, mittels deren Institutionen der individuellen Erfahrung einverleibt werden. Die Rollen sind in ihrer sprachlichen Vergegenständlichung ein wesentlicher Bestandteil der objektiv faßbaren [sic!] Welt einer jeden Gesellschaft. Als Träger einer Rolle – oder einiger Rollen – hat der Einzelne Anteil an einer gesellschaftlichen Welt, die subjektiv dadurch für ihn wirklich wird, daß [sic!] er seine Rollen internalisiert.“ (Berger und Luckmann 2012 [1977], S. 78)

Für Meyer und Jepperson (2000) ist Agentenschaft ein kulturelles Konstrukt. Für sie impliziert Agentenschaft die autorisierte Vertretung bestimmter Interessen:

„First, we see the actorhood of individuals, organizations, and national states as an elaborate system of social agency […] Second, we call attention to the ways in which this cultural system constructs the modern actor as an authorized agent for various interests (including those of the self).” (S. 101)

Konkret führen Meyer und Jepperson an, können Akteure Agentenschaften in vier Ausprägungen übernehmen: Als Agenten für sich selbst (1), als Agenten für andere/ Dritte (2), als Agenten für Einheiten ohne Akteursstatus (3) und als Agenten für generelle Prinzipien.

  1. (1)

    für sich, z. B. als Herr oder Frau Müller

Dabei betonen die Autoren, dass „das agentenhafte Individuum […] in seiner Persönlichkeit oder seinem Lebensentwurf liegende Ziele verfolgt und nach Selbstverwirklichung strebt, keine ‚natürliche‘ Entität, sondern ein Resultat der modernen Kultur ist.“ (Walgenbach und Meyer 2008, S 127). Damit gelingt es Meyer und Jepperson, eine Agentenschaft zu konstruieren, die nicht im Widerspruch zu neo-institutionalistischen Vorstellungen steht. Weiters können Akteure Agentenschaften für andere übernehmen. Für den schulischen Kontext könnte dies in Form,

  1. (2)

    als Angestellte/-r im Schulsystem oder für Schülerinnen und Schüler

Durch die immer weiter fortgeschrittene Organisiertheit der Gesellschaft sind viele Aktivitäten stilisiert und standardisiert. Dies erleichtert die Übernahme von Agentenschaften für andere. Diese Übernahme der Agentenschaften kann so weit reichen, dass sogar für unbekannte Dritte Prinzipien vertreten werden:

„Individuals in an instant can advise others of their true interests, or can participate in complete good faith as advisors and consultants to organizations that they might have known nothing about previously“ (Meyer und Jepperson 2000, S. 107).

Drittens vertreten Agenten vermehrt die Interessen von Akteuren, die keinen Akteursstatus haben – dies kann etwa der Klimawandel sein oder, um im schulischen Kontext zu bleiben,

  1. (3)

    etwa als Erziehungsziele des 21. Jahrhunderts (Nicht-Akteur).

Bei den Vertretern solcher Nicht-Akteure spielt die Wissenschaft als Impulsgeber eine entscheidende Rolle (vgl. Meier 2004, S. 233).

Die letzte Agentenschaft steht für die legitime Vertretung bestimmter Prinzipien. Etwa von

  1. (4)

    Verpflichtung für die vorherrschenden moralischen Gesetze und Vorstellungen einer Gesellschaft.

Emirbayer und Mische (1998) entwerfen ein Konzept, das Agentenschaft in einem Kontinuum aus Vergangenem, Gegenwärtigem und Zukünftigem betrachtet. Dies wird beeinflusst durch Handlungsmuster, die bereits erlebt wurden, orientiert sich dabei jedoch gleichzeitig an möglichen Handlungsweisen in der Zukunft und entsteht außerdem im Zusammenspiel mit den Eventualitäten des Augenblicks (vgl. S. 962). Sie streichen dabei drei Elemente hervor. Zum einen umfasst Agentenschaft für sie das „iterative“ Element, das vergangene Handlungsmuster als Ausgangspunkt nimmt und somit dazu beiträgt, Institutionen über die Zeit aufrechtzuerhalten. Das zweite Element beschreiben sie als „projektiv“. Damit meinen sie „die fantasievolle Generierung möglicher zukünftiger Handlungspfade durch Akteure“ (S. 971). Dabei unterstellen sie den Akteuren, dass sie zukünftige Szenarien unter Einbeziehung eigener Wünsche, Hoffnungen und Ängste kreativ rekonfigurieren (vgl. ebd.). Das dritte Element von Agentenschaft umfasst „praktisch-evaluative“ Momente. In ihrer Agentenschaft können Akteure für aktuelle Situationen „unter Berücksichtigung der sich abzeichnenden Anforderungen, Dilemmas und Zweideutigkeiten praktische und normative Urteile über mögliche Handlungspfade fällen“ (ebd.). Unter Agentenschaft verstehen die Autoren demnach:

„[…| the temporally constructed engagement by actors of different structural environments – the temporal-relational contexts of action – which, through the interplay of habit, imagination, and judgment, both reproduces and transforms those structures in interactive response to the problems posed by changing historical situations.“ (Emirbayer und Mische 1998, S. 970)

Emirbayer und Mische liefern somit ein Konzept für Agentenschaft, das sowohl Räume der Gestaltung, also des Wandels, zulässt, als auch in bereits vorgegebene Handlungsstrukturen eingebettet ist. Durch diesen Zugang lassen sie Spielräume und Varianten für verschiedene Ausgestaltungen von Agentenschaften offen. Agentenschaft kann beschrieben werden als

„the interpretive processes whereby choices are imagined, evaluated, and contingently reconstructed by actors in ongoing dialogue with unfolding situations.“ (Emirbayer und Mische 1998, S. 966)

Beide Zugänge zeugen von der Komplexität, die mit dem Konstrukt der Agentenschaft verbunden ist. Dieses umfasst sowohl die Dimensionen der kulturellen als auch der sozialen Bezogenheit, indem sie auf Handlungsmuster und Routinen ebenso eingeht wie auf soziale Strukturen. Agentenschaft lässt sich demnach immer innerhalb eines kulturell-strukturellen Rahmens beschreiben und auch ausleben (vgl. Abdelnour et al. 2017). Dabei ergibt sich jedoch ein Paradoxon:

„Actors who are truly embedded are not supposed to imagine, desire or realize alternative ways of doing things, because institutionalized arrangements and practices structure cognitions, define interests and, in the limit, produce actors’ identities’.“ (S. 674)

Das hier beschriebenen ‚Paradoxon of embededd agency‘ (vgl. Seo und Creed 2002; Battalina und D’Aunno 2009) greift in dem Moment, in dem Individuen oder auch Organisationen zwar vermeintlich die Möglichkeit haben zu handeln, jedoch in institutionelle Erwartungsstrukturen eingebettet sind und somit keine volle Freiheit haben. Abdelnour et al. (2017) haben in ihrem Überblicksartikel die Paradoxien der unterschiedlichen Konzepte zur Agentenschaft noch einmal aufgearbeitet und vier verschiedene Perspektiven extrahiert. Mit Hilfe dieser Zugänge können paradox erscheinende Annahmen transparenter gemacht werden und zu einer weiteren Klärung des Konstrukts beitragen.

  1. (1)

    Agentenschaft aus Sicht des willenhaften Akteurs (‚wilful actor‘)

Als erstes Beispiel führen sie den „willenhaften Akteur“ an – eine Perspektive, die vor allem ausgelöst durch den „agentic turn“ in den vergangenen Jahren zunehmend an Popularität gewonnen hat. Die Versuche, steuerungslogische Konzepte (u. a. Oliver 1991) innerhalb neo-institutionalistischer Strömungen zu etablieren, hat dazu geführt, Akteurskonzepte zu finden, die eine solche aktive Handlungsmöglichkeit aufweisen. Bezeichnend für den willenhaften Akteur ist das Konstrukt des „Institutional Entrepreneur“. Hierbei wird von einem Akteur ausgegangen, der nicht einfach institutionelle Vorstellungen und Erwartungen weitergibt („Carrier“), sondern diese mit Handlungen verknüpft und dabei interpretiert und durch anhaltende Aushandlungsprozesse weitergibt (vgl. Hardy und Maguire 2008, S. 205).

Institutional Entrepreneur (IE)

Institutionelle Unternehmer/-innen, wie Walgenbach und Meyer (2008, S. 139) diese Form der Agentenschaft übersetzen, sind Akteure, denen die Verantwortung zugesprochen wird, aktiv Institutionen neu zu kreieren oder diese zu verändern (vgl. Hardy und Maguire 2008, S. 198). Während einige Autoren und Autorinnen davon ausgehen, dass individuelle Akteure die Rolle der Institutional Entrepreneurs (IE) übernehmen können (u. a. Phillips et al. 2004), vertreten andere eher die Auffassung, dass es sich dabei um einen Prozess handelt, der von verschiedenen Akteuren mitgetragen wird (u. a. Czarniawska und Joerges 1996, S. 13 ff.).

Eine entscheidende Frage im Umgang mit IE ist die nach deren Position in Organisationalen Feldern. Um Veränderungen herbeiführen zu können, ist ein gewisses Maß an Macht und Legitimation notwendig – wie und warum erhalten bestimmte Akteure das „Recht“, anders zu handeln (vgl. Fligstein und McAdams 2012, S. 13 f.; Battilana 2006)? Nicht selten handelt es sich bei IE um Akteure, die in unterschiedlichen Feldern agieren und somit auch als Brückenbauer („Boundary Bridgers“/ „Boundary Spanners“) zwischen diesen fungieren können (vgl. Greenwood und Suddaby 2006, S. 40). So bringen sie z. B. neue Handlungsmöglichkeiten in ein bestehendes Feld. IE können jedoch auch Akteure sein, die keine zentrale oder etablierte Stellung innerhalb eines bestehenden Feldes haben. Die Abseits-Akteure („peripher actors“) haben weniger Verbindungen und somit auch weniger Anspruchsgruppen – sie können Handlungsideen entwickeln, ohne dabei von etwaigen Erwartungshaltungen oder institutionellen Vorgaben (vgl. ebd.) zu sehr eingeschränkt zu sein. Mit dieser Hypothese wird dem Konzept des „Macho-Akteurs“ (Sandhu 2012) bzw. des Champions (Tolbert und Zucker 1983), der Veränderungen herbeiführt, entgegengetreten. IE verfolgen in ihrer Agentenschaft unterschiedliche Strategien. Hardy und Maguire (2008, S. 206 f.) verweisen etwa auf den Einsatz von Ressourcen, ausgefeilten Begründungsstrategien und bewusst angelegten Kollaborationen.

Es muss jedoch darauf geachtet werden, dass trotz des Ansatzes, Akteure auch als „willenhaft“ wahrzunehmen, die neo-institutionalistischen Vorstellungen nicht übergangen werden dürfen und Elemente des rational-handelnden Akteurs durch die Hintertür wieder eingebracht werden (vgl. Mutch 2007, S. 1124).

  1. (2)

    Agentenschaft mit Berücksichtigung der kollektiven Absicht

Agentenschaft wird sowohl individuellen als auch kollektiven Akteuren wie Organisationen oder Professionen zugeschrieben, ohne dabei näher ins Detail zu gehen, wie zwischen dem Individuum und dem Kollektiv dabei die Agentenschaft verhandelt werden kann. Ein Irrglaube bzw. eine Fehlinterpretation, die dabei häufig auftritt, ist, dass kollektive Akteure als die Summe ihrer individuellen Akteure angesehen werden. Ausgeblendet werden dabei Aushandlungsprozesse, wie eine kollektive Agentenschaft entsteht. Scott (2008) hat sich dieses Dilemmas angenommen, indem er die Profession als kollektive Agentenschaft beschreibt. In seiner Beschreibung unterscheidet er verschiedene Gruppierungen, denen die individuellen Akteure innerhalb der Profession angehören können. Diese drei Gruppen charakterisieren sich durch eine „kreative“ (‚creative professionals‘), eine „translative“ (‚carrier professionals‘) oder eine „sachlich-nüchterne“ Art (‚clinical professionals‘) (vgl. Scott 2008, S. 227 f.), um mit institutionellen Vorstellungen und Überzeugungen umzugehen. Gerade wenn kollektive Akteure Handlungsroutinen haben, die nicht denen der individuellen Akteure entsprechen, bedarf es Mechanismen, die die individuellen Akteure dennoch nach den Vorgaben des kollektiven Akteurs handeln lassen (vgl. Ortmann 2010). Abdelnour et al. (2017) verweisen an dieser Stelle auf Barley und Tolbert (1997), die über Skripten und Rollenkonzepte eine solche Agentenschaft empirisch darstellen konnten.

  1. (3)

    Agentenschaft, betrachtet als Flickenteppich

Unter diesem Punkt führen Abdelnour et al. (2017) die Problematik der Parallelität mehrerer Agentenschaften auf. Insbesondere wird dabei auf die Veränderung von institutionellen Erwartungshaltungen der Umwelt eingegangen. Während die eine Anspruchsgruppe noch Praktiken verteidigt, die viele Jahre lang etabliert waren, formuliert eine andere Anspruchsgruppe neue Erwartungshaltungen, die zwar noch nicht weit etabliert sind, die Arbeit jedoch erleichtern würden. Abdelnour et al. schreiben dazu:

„Institutional fields are inherently dynamic and the practices and organizations that populate and constitute them are far from settled or unitary. The seemingly uniform institutional forces constituting an organizational field, predicated on shared ideals and mandatory techniques, are often underlain by incompatible goals, diverse skills and competences, as well as different traditions with unique role structures, positions, agency forms or cultures. This suggests a need to reconsider the very definition of institutions in a way that lends itself to the study of agency forms in the context of institutional diversity and fragmentation.“ (2017, S. 1786).

  1. (4)

    Agentenschaft, betrachtet aus der Perspektive des modularen Individuums

Das letzte Dilemma lässt sich daraus ableiten, dass individuelle Akteure mehr als nur eine Agentenschaft innehaben können und dieser Tatsache geschuldet, selbst in Dilemmata kommen können. Die Autoren verweisen auf die Möglichkeit der bewussten Rollenannahme, um sich diesen konfligierenden Momenten zu stellen – wohlwissend, dass es sich hierbei wieder um eine Rollenübernahme im Berger‘- und Luckmann‘schen Sinne handelt. Rollenflexibilität, so Abdelnour et al., erlaubt es Akteuren, sich in verschiedenen institutionellen Umwelten zu bewegen (vgl. S. 1788).

Für die vorliegende Arbeit sind besonders die beiden Perspektiven (1) und (4) wichtig und unter Umständen auch die Sichtweise (2). Perspektive (1) bedarf es vor allem, um den Wandel von Institutionen verstehen zu können. Dabei kann sich diese Perspektive zum einen auf den bzw. die Schulleiter/-in selbst beziehen, zum anderen kann auch darauf geschaut werden, wie individuelle oder kollektive Akteure in der schulischen Umwelt durch ihr Agieren als „willenhafte Akteure“ eine Veränderung herbeiführen (z. B. das Zentrum für lernende Schulen). Der Fokus (2), also das Verhältnis zwischen Individuen und dem Kollektiv, einschließlich des nochmaligen Verweises etwa auf die Profession, ist für Schulleiter/-innen deshalb von Bedeutung, weil ein Professionsverständnis (zumindest im österreichischen Kontext) von Schulleiter/-innen als ein solches noch nicht (auf institutioneller Ebene in Form einer Professionsvertretung) etabliert ist und somit ein Zugehörigkeitsgefühl, das im Sinne einer Agency existieren könnte, weniger ausgeprägt erscheint. Die Perspektive (4) ist schließlich vor allem deshalb besonders relevant, weil sich Schulleiterinnen und Schulleiter in vielen unterschiedlichen Agentenschaften wiederfinden und sich in ihrer Rolle als Schulleiter/-in orientieren bzw. für bestimmte Agentenschaften entscheiden müssen.

Um Schulleiter/-innen in ihrer agentenhaften Akteursrolle darstellen zu können, hilft ein exemplarischer Aufriss des AufgabenfeldesFootnote 64 bzw. sollen die Herausforderungen, mit denen sich Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrer täglichen Arbeit konfrontiert sehen (vgl. u. a. Schratz et al. 2015), aufgezeigt werden:

  • Schulleiter/-innen bewegen sich zwischen zwei Handlungsrationalitäten (Rosenbusch und Huber 2008, S. 750). Sie müssen einerseits Anweisungen einer verwaltungs-hierarchisch organisierten Behörde ausführen (übergeordnete Dienstbehörde) und zum anderen eine pädagogische, wenig hierarchisch orientierte Organisation leiten (vgl. Schulunterrichtsgesetz § 56 Abs. 1; vgl. Bonsen 2010, S. 278 f.)

  • Sie tragen einen Großteil der Verantwortung für schulische Qualitätsentwicklungsprozesse (Schulunterrichtsgesetz § 56 Abs. 2; vgl. Schratz & Hartmann 2009, S. 333) und befinden sich in Rechenschaftspositionen gegenüber ihrer übergeordneten Dienststelle wieder (z. B. in Form von Bilanz- und Zielvereinbarungsgesprächen im Qualitätsentwicklungsprozess) (ebd. §17 Abs. 1; Bildungsdirektioneneinrichtungsgesetz; vgl. Altrichter 2017)

  • Ihre Aufgabe besteht darin, pädagogische Zielvorstellungen zu entwickeln und diese gemeinsam mit den Lernenden und Lehrenden des Standorts umzusetzen. (vgl. u. a. Thiel 2008; Schratz 2016, S. 318 f.)

  • Sie agieren in einem Spannungsfeld zwischen kollegialem Austausch und vorgesetzten Qualitätsprüfenden („Primus-inter-Pares-Dilemma“, vgl. Schratz et al. 2015; Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz § 32 Abs. 2)

  • Sie zeichnen sich verantwortlich für die Personalentwicklung an ihrem Standort. (vgl. Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz § 32 Abs. 6; Appius et al. 2012)

  • Ihre Arbeit umfasst zu großen Teilen administrative Aufgaben, die viel Zeit in Anspruch nehmen. (vgl. Brauckmann et al. 2014, S. 47)

  • Sie sind Repräsentanten und Repräsentantinnen der Organisation nach außen.

  • Sie agieren als Bittsteller gegenüber den Schulerhaltern. (u. a. Schulbudget, Schulneubauten)

  • Sie sind Diskurspartner in bildungsrelevanten Fragen. (z. B. zum Thema „regionale Schulentwicklung“)

  • Sie sind Kontaktpersonen für außerschulische Bildungspartner/-innen in unterschiedlichen Belangen (Raummiete – Vereine; Ministrantenfreistellung, Schulgottesdienste – Kirche/ islamische Glaubensgemeinschaft; Jurymitglied beim Malwettbewerb der ortsansässigen Bank – Wirtschaft).

  • Sie sind Nahtstellenpartner/-innen für andere (Aus-)Bildungsorganisationen.

  • Sie fungieren als Deeskalationspartner/-in bei Konflikten.

Aus diesen Ausführungen wird deutlich, dass sich Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrer täglichen Arbeit mit vielen unterschiedlichen Anspruchsgruppen sowie institutionellen Vorstellungen und Erwartungshaltungen konfrontiert sehen. Da für die vorliegende Arbeit insbesondere jene institutionellen Erwartungen, die mitunter die von Anspruchsgruppen an Schulleiterinnen und Schulleiter herangetragen werden, von Interesse sind, wird im folgenden Kapitel eine theoretische Fundierung des Konzeptes der Anspruchsgruppen weiterführend behandelt.

2.4.2 Der Blick von außen: Schulische Anspruchsgruppen

Unweigerlich hängt das Thema „Anspruchsgruppen“ mit dem Aspekt der Legitimität und jenem der Macht zusammen. Gerade noch einmal vor dem Hintergrund Kochs Ausführungen, in denen er betont, dass die Weitergabe kultureller Regeln nicht als „,mechanische‘ Inkorporation“ (2018, S. 187) zu verstehen ist, sondern durch sozialen Akteuren erfolgt.

Organisationen sind in Feldstrukturen eingebettet, in denen sie nicht nur von einer Anspruchsgruppe gefordert werden, sondern gleich von mehreren:

„Organisationen sind – so ein Kernargument des institutionalistischen Ansatzes – darauf angewiesen, daß sie von unterschiedlichsten gesellschaftlichen Anspruchsgruppen Legitimität zugesprochen bekommen. Legitimität erhalten Organisationen nur dann, wenn sie den Anforderungen und Erwartungen der jeweiligen Anspruchsgruppe genügen.“ (Walgenbach 1998, S. 267)

Wie bereits beschrieben, vertreten Anspruchsgruppen in dieser Auffassung ebenfalls institutionelle Erwartungshaltungen, auf die organisationale Akteure (Organisationen) Antwort geben:

„Viele der in Organisationen vorzufindenden Stellen, Abteilungen, Verfahrensweisen oder Programme werden aufgrund der öffentlichen Meinung und der Sichtweisen wichtiger Kunden erforderlich oder durch Gesetze erzwungen, sie werden adoptiert, und zwar unabhängig von ihren Auswirkungen auf das Arbeitsergebnis.“ (Walgenbach 1998, S. 273)

Dabei soll jedoch betont werden, dass die Ansprüche nicht willkürlich an Organisationen herangetragen werden, sondern etwa im Zuge von Reformen oder Kooperationen/Beziehungen, die zwischen den unterschiedlichen Akteuren bestehen (vgl. hierzu Kochs sozio-strukturelle Dimension). Sandhu (2014, S. 1165) bestimmt ausgehend von drei unterschiedlichen Attributen (Macht, Dringlichkeit und Legitimität) unterschiedliche Typen von AnspruchsgruppenFootnote 65 für Organisationen (Abbildung 2.7). Hierbei beruft er sich auf Mitchell et al. (1997), Suchmann (1995) und auch Weber (1922).

Um die Konzepte, die Sandhu (2014, S. 1165 ff.) für seine Schlüsselbegriffe verwendet, transparent aufzuzeigen, werden die Begriffe Macht, Dringlichkeit und Legitimität in weiterer Folge kurz dargestellt. Dabei werden die drei Begriffe noch einmal über die von Sandhu bereits erfolgte Erläuterung hinaus hergeleitet.

Macht wird dabei in Anlehnung an Weber verstanden als „die Chance, in einer Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstände durchzusetzen.“ (vgl. Weber 1922, S. 28/29)

Dringlichkeit: Mitchell et al. (1997) gehen in ihren Ausführungen zu Dringlichkeit auf zwei zentrale Eigenschaften ein. Zum einen das zeitliche Empfinden – wie lange kann ein Reaktionszeitraum sein, bis die Anspruchsgruppe ihn als zu lange empfindet und – zum anderen, wie sieht die Beziehung zur Anspruchsgruppe generell aus. Daraus leiten die Autoren ab: „We define urgency as the degree to which stakeholder claims call for immediate attention.“ (Mitchell et al. 1997, S. 867)

Legitimität: Auch Sandhu bezieht sich bei seinem Verständnis von Legitimität auf jenes nach Suchmann (1995), das bereits in Abschnitt 2.2.2. vorgestellt wurde. Er schreibt dazu:

„Die Legitimität einer Organisation ist die kollektive und generalisierte Wahrnehmung bestimmter Gruppen oder Publika innerhalb und außerhalb der Organisation. Sie urteilen über die Handlungen bzw. Aussagen einer Organisation bzw. über die Organisation als Ganzes.“ (Sandhu 2014, S. 1163)

Abbildung 2.7
figure 7

Stakeholder-Typologie (nach Mitchell et al. 1997)

Aus den drei zuvor genannten Eigenschaften ergeben sich sieben „idealtypische“ Anspruchsgruppen.

  • keine Anspruchsgruppe im eigentlichen Sinn (keine der drei Merkmale)

Für die Schule wären das Gruppen, die weder Macht noch Legitimität noch Dringlichkeit mit ihren Ansprüchen hervorrufen. Dies könnten kommunale Einrichtungen sein, die an einer Kooperation mit der Schule interessiert sind.

  • latente Anspruchsgruppe (eine der drei Merkmale)

Hier werden je nach Attribut drei Gruppen unterschieden:

    • fordernde Anspruchsgruppen (Dringlichkeit)

Fordernde Anspruchsgruppen verfügen über ein hohes Maß an Dringlichkeit. Z. B. können Schulsozialarbeiter/-innen als eine solche fordernde Anspruchsgruppe auf den Plan treten, wenn es an der Schule einen Vorfall gegeben hat. Ihr Ansuchen ist dringend und bedarf in den meisten Fällen einer sofortigen Antwort.

    • ruhende Anspruchsgruppen (Macht)

Ruhende Anspruchsgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie über Macht verfügen, diese aber nicht zwangsläufig gebrauchen. Ein Beispiel könnte etwa die Gemeinde als Schulerhalter sein. Diese wird erst dann tätig, wenn sie Handlungsbedarf sieht oder die Schule an sie herantritt. Aufgrund der Position verfügt diese Anspruchsgruppe aber über die Macht, entscheidende Veränderungen mittragen zu können oder nicht.

    • vernachlässigbare Anspruchsgruppen (Legitimität)

Diese Gruppe hat zwar die Möglichkeit, der Schule Legitimität zuzusprechen, verfügt aber weder über das Attribut Macht noch über den Aspekt der Dringlichkeit. Als hypothetisches Beispiel könnte hier etwa eine Einrichtung stehen, die Preise und Auszeichnungen für besonders gute Schulen vergibt.

  • fordernde Anspruchsgruppe (zwei der drei Merkmale)

Betrachtet man insbesondere das Merkmal der Legitimität, so unterscheidet Sandhu weitere drei Anspruchsgruppen:

    • diskrete Anspruchsgruppen (sind legitim, verfügen aber über wenig Macht)

Für schulische Umwelten wären dies zum Beispiel die Schülerinnen und Schüler; ihnen wird gerade in höheren Schulen eine Stimme im sogenannten Schulgemeinschaftsausschuss (SGA) per Gesetz eingeräumt. Tatsächlich verfügen sie aber in der Realität häufig über wenig Macht. Ähnlich könnte man dies auch für Eltern nachzeichnen, allerdings weniger eindeutig, da Eltern durch bestimmte Faktoren auch zur folgenden Anspruchsgruppe zählen könnten:

    • abhängige Anspruchsgruppen (verfügen über Legitimität und Dringlichkeit)

Dieser Anspruchsgruppe fehlt die Eigenschaft „Macht“, um ihre Interessen durchsetzen zu können. Das Attribut „abhängig“ leitet sich laut Sandhu ab von der Eigenschaft, dass ihre Ansprüche zwar „gerechtfertigt und zeitkritisch sind, aber nicht allein durchsetzungsfähig sind“ (vgl. 2014, S. 1165). Anspruchsgruppen dieses Typs versuchen daher, für ihre Ansprüche Machtsponsoren zu finden. Um das vorhin genannte Beispiel im Zuge der Benotung noch einmal aufzugreifen: Eltern könnten als Machtsponsor/-in zum einen den Schulleiter/die Schulleiterin selbst haben, der/die sie in ihrem Ansuchen unterstützt. Zum anderen sind Eltern und Erziehungsberechtigte in der Lage, sich an mächtige Instanzen wie etwa die Schulaufsicht zu wenden, um so zu ihrem Anspruch zu kommen. Ein anderes Beispiel für eine abhängige Anspruchsgruppe sind Einrichtungen zur Professionalisierung. Zieht man noch einmal das Beispiel des Zentrums für lernende Schulen heran, so wurde hier der Machtsponsor „Ministerium“ hinzugezogen, um überhaupt erst eine bundesweite Entwicklungsbegleitung aller Neuen Mittelschulen durchsetzen zu können.

Sandhu führt bei dieser Gruppe ferner an, dass auch durch Lobbyarbeit die eigenen Interessen vorangebracht werden können. Anders gestaltet sich dies bei der dominanten Anspruchsgruppe.

    • dominante Anspruchsgruppen (verfügen über Legitimität und Macht)

Diese Form der Anspruchsgruppe ist jene, die qua ihrer Eigenschaften einen starken Einfluss auf eine Organisation ausüben kann. Beispielhaft könnte man Akteure anführen, die etwa durch Gesetze Neuerungen innerhalb der Organisation fordern. Dieser Anspruchsgruppe fehlt jedoch der Aspekt der „Dringlichkeit“. Gerade die Frage, wie ein potentielles Antwortverhalten auf eine solche Anspruchsgruppe aussehen kann, wird für die weitere empirische Untersuchung relevant sein.

  • definitive Anspruchsgruppen (weisen alle drei Merkmale vor).

Auf die dominante Anspruchsgruppe folgt nur noch jene Anspruchsgruppe, die als definitive Anspruchsgruppe beschrieben wird. Sie verfügt über alle Eigenschaften und ist somit jene Anspruchsgruppe, die am meisten Einfluss auf die Entwicklungen und Ausgestaltungen der Organisation nehmen kann.

Es ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, dass die hier ausgewählten Beispiele alle rein hypothetisch und nur zur Veranschaulichung formuliert wurden. Wie sich die Situation mit unterschiedlichen Anspruchsgruppen tatsächlich verhält, wird im vierten Kapitel im Rahmen der empirischen Untersuchung gezeigt.

Sandhu verweist in seinen Ausführungen noch darauf, „dass die beschriebenen Eigenschaften keineswegs statisch und dauerhaft verteilt [sind].“ (2014, S. 1165). Außerdem leitet sich die Frage, inwieweit eine Anspruchsgruppe als mächtig bzw. als dringlich in ihren Ansprüchen wahrgenommen wird, auch von der Einschätzung – in dem Fall der vorliegenden Arbeit – des/der Schuleiters/Schulleiterin ab. Daher ist es von besonderer Bedeutung, einen Blick auf die verschiedenen Anspruchsgruppen zu werfen.

Ein anderer Zugang betrachtet Anspruchsgruppen in Form ihrer Anordnung innerhalb einer FeldstrukturFootnote 66. Fligstein und McAdam haben in ihrer „Theory of fields“ (2012) eine Typologie von Anspruchsgruppen vorgenommen. Sie unterscheiden zwischen:

Diese etablierten Akteure dominieren die Feldstrukturen. Sie haben großen Einfluss. Ihre Interessen und Ansichten spiegeln sich in den organisationalen Handlungsstrukturen deutlich wider. Ihre Interessen sind leitend für die Sinnstiftung und die Strukturen des Feldes (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 13). Im Kontext schulischer Akteure kann dies etwa die Schulaufsicht sein.

  • Challengers (Infragesteller/-innen)

Unter „Challengers“ werden Akteursgruppen angeführt, die im Vergleich zu den etablierten Akteuren weniger zentrale Positionen einnehmen und somit auch in vergleichsweise geringem Maß Einfluss nehmen. Nichtsdestoweniger kennen sie die Feldstrukturen sehr gut, insbesondere die dort vorherrschenden Logiken und etablierten Akteure. Aus dieser Position heraus gelingt es ihnen, alternative Handlungsformen aufzuzeigen, die dennoch anschlussfähig für die gängigen Vorstellungen sind. Diese Eigenschaft bildet sich auch in ihrer Bezeichnung „Infragesteller/-innen“ ab (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 13). Für schulische Umwelten wären dies z. B. Initiativen, die Schule anders denken – das können Fort- und Weiterbildungsinstitutionen sein oder Initiativen wie „Schule im Aufbruch“ (vgl. Rasfeld & Breidenbach 2014) oder die „London Challenge“ (vgl. Kidson & Norris 2014).

  • Governance Units (Interessenvertretungen)

Ihre Aufgabe besteht darin, dominierende Positionen im Feld zu stärken und die Vormachtstellung der etablierten Akteure zu bekräftigen. Es handelt sich dabei nicht um staatliche Akteure, sondern um interne Akteure des Feldes. (Vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 12 f.) Klassisch wären für schulische Umwelten etwa Gewerkschaften oder Professionsvertretungen.

Es zeigt sich allerdings bereits in der theoretischen Aufarbeitung dieses Konzepts, dass sich einige der Anspruchsgruppen schulischer Umwelten nicht in dieses Schema integrieren lassen bzw. mehrfach zugeordnet werden können.

Die Ausführungen Fligsteins und McAdams (2012) berücksichtigen zudem die Frage, wie sich ein „gemeinsames Verständnis“ innerhalb eines FeldesFootnote 68 entwickeln kann. Ihren Annahmen zufolge sind hierfür vier Formen des Verstehens nötig.

  1. (1)

    Allgemeines Verständnis

Um sich in einem gemeinsamen Feld bewegen zu können, bedarf es zunächst eines allgemeinen Verständnisses, was das GemeinsameFootnote 69 an diesem Feld ist. Ein solches Verständnis ist jedoch nicht gleichzusetzen mit einem allgemein gültigen Konsens aller Akteure (vgl. Fligstein und McAdam 2012, S. 11). Es bedeutet lediglich, dass die Themen, um die sich das Feld formiert, als legitim angesehen werden. Ein Beispiel aus dem schulischen Kontext kann die Einführung der Neuen-Mittelschul-Reform sein. Hier ist allen im Feld klar, dass diese umzusetzen ist, nichtsdestoweniger haben die Akteure des Feldes unterschiedliche Zugänge und Ansichten zu dieser Thematik.

  1. (2)

    Verständnis der eigenen Position im Feld

Um Felder und somit auch deren Strukturen zu begreifen, ist es wichtig, dass die Akteure selbst wissen, wo ihre Positionen innerhalb dieses Feldes sind. Fligstein und McAdam schreiben dazu: „[…] actors know who their friends, their enemies, and their competitors are because they know who occupies those roles in the field.“ (Ebd., S. 11) Wie dem Zitat zu entnehmen ist, hilft die Bestimmung der anderen Akteure im Feld dabei, die genaue Verortung von sich selbst festzulegen. Je nach Wahrnehmung der anderen Akteure setzt man sich auch zu diesen in Beziehung bzw. begegnet diesen.

  1. (3)

    Verständnis der Spielregeln

Ausgehend von der Tatsache, dass Felder um gemeinsame Themen entstehen, haben diese Felder auch gemeinsame Spielregeln. Mit diesen Spielregeln ist ein kulturelles Verständnis dafür gemeint, wie sich Handlungen und Akteure im Feld verhalten können/dürfen, sprich, was als legitim angesehen wird. Verhalten sich Akteure außerhalb der Spielregeln, kann dies zu erheblichen Irritationen im Feld führen.

  1. (4)

    Verständnis der gegenseitigen Beeinflussung bzw. der Reaktion anderer auf das eigene Verhalten

Der letzte Punkt behandelt das Verständnis des Miteinanders der Akteure im Feld. Wie beeinflussen sich die Akteure gegenseitig? Welche Reaktionen erhält man auf sein eigenes Verhalten bzw. auch: wie reagiert man auf die Verhaltensweisen der anderen Akteure?

„We expect that actors will tend to see the moves of others from their own perspective in the field. […] The reactions of more and less powerful actors to the actions of others this reflect their social position in the field.“ (Ebd.)

Es wird also die eigene Position im Feld reflektiert und – so die Schlussfolgerung – kann sich diese dadurch auch verändern.

Gerade die beiden Zugänge (2.) und (4.) erscheinen bemerkenswert, wenn man sich genauer betrachtet, wie sich responsives Verhalten einzelner Akteure bzw. Akteursgruppen im Feld gestaltet. In Kapitel 3 wird gesondert auf diese Thematik eingegangen.

„[...] for us, there is constant jockeying going on in fields as a result of their conscious nature. Actors make moves and other actors have to interpret them, consider their options, and act in response.“ (Fligstein und McAdam 2012, S. 12)

Fligstein und McAdam gehen außerdem davon aus, dass sich Felder stets in Veränderung befinden, es kommt zu ständigen Aushandlungsprozessen.

Mit dieser Untergliederung wird ein erweitertes Konzept für Anspruchsgruppen geschaffen. Zusammen mit der Annahme, dass sich Organisationale Felder um gemeinsame Aushandlungsprozesse formieren – wie etwa die Ausgestaltung einer neuen Schulreform im Kontext schulischer Organisationen – hilft die Kategorisierung nach Fligstein und McAdam, die institutionellen Umwelten von Schulen besser beschreiben zu können. Gemäß der angeführten Kriterien von Sandhu bietet sich eine Möglichkeit, die genannten Anspruchsgruppen aus den empirischen Daten später zu unterschiedlichen Feldern zu rekonstruieren. Dabei werden einige Akteure innerhalb mehrerer Felder vorkommen.

Erste Überlegungen – wenn auch nicht unter der Prämisse, diese als Organisationale Felder darzustellen – wer schulische Anspruchsgruppen und somit mögliche Akteure eines Feldes sein können, liefert Helmut Fend in seiner Neuen Theorie der Schule (2008).

FendFootnote 70 versucht, das Bildungssystem als Ganzes fassbar zu machen. Dazu orientiert er sich vorrangig an den systemtheoretischen Auslegungen nach Luhmann. Interessant für die vorliegende Arbeit sind jedoch seine Ausführungen zu Bildungssystemen als institutionelle Akteure.

„Versteht man sie [Institutionen] als Regelsysteme, die das Ergebnis von sozialen Vereinbarungen oder auch von Machtkonstellationen sind, dann bedeuten Handlungen im Namen dieser Institutionen, Regelandwendung zu vollziehen. Institutionelle Akteure handeln dann als Individuen, aber nicht nach persönlichen Zielen und Bedürfnissen, sondern nach jenen, die im Regelwerk der Institution definiert sind. Handeln von institutionellen Akteuren ist nach dieser Definition normativ strukturiertes Zusammenhandeln.“ (Fend 2008, S. 153, Anmerkung L. J.-R.)

Des Weiteren führt er aus, dass „[d]ie Kernaufgabe des institutionellen Akteurs ‚Bildungswesen‘ […] somit in der Vermittlung von Kultur, von kulturellen Deutungssystemen und von kulturellen Kompetenzen [besteht].“ (ebd., S. 179)

Fend unterteilt die Akteure in „externe“ und „interne“ und nimmt als dritte Kategorie „Rezipienten“ hinzu (vgl. Tab. 2.10). Strittig in Fends Darstellung ist die exklusive Behandlung von Schülerinnen und Schülern sowie von Eltern und Erziehungsberechtigten, denen er mit der Bezeichnung „Rezipienten“ eine Rolle zuteilwerden lässt, die für Fend außerhalb der Akteursebene liegt. In Abschnitt 3.2 werden alternative Konzepte diskutiert.

Tabelle 2.10 Akteure des Schulsystems (nach Fend 2008a)

Besonders relevant ist Fends Darstellung der „internen“ Akteure, da ein expliziter Bezug auf diese Gruppe von Erwartungshaltenden bis dato noch nicht erfolgt ist, Entwicklungen einer Organisation jedoch maßgeblich von ihnen mitgestaltet werden können.

Zusammenführung und Ableitungen

Die dargelegten Weiterführungen konnten anhand ausgewählter Theorieströmungen aufzeigen, wie umfangreich und weitverzweigt der Diskurs zu zentralen Theorieelementen ist. Eine vollständige Darstellung und die Berücksichtigung der Entwicklungen sind in dieser Arbeit nicht leistbar. Wichtig war es daher, namentlich auf jene Punkte einzugehen, die für die zentrale FragestellungFootnote 71 der vorliegenden Arbeit relevant sind:

  1. A)

    Woran bzw. an wem orientieren sich Schulleiterinnen und Schulleiter bei der Ausgestaltung und Umsetzung der Neuen-Mittelschul-Reform an ihrem Standort?

  2. B)

    Wie respondieren Schulleiterinnen und Schulleiter durch Schulentwicklungsinitiativen – also auf Organisationsebene – auf ihre institutionelle Umwelt?

Es erfolgte eine umfangreiche Darstellung, wie sich institutionelle Umwelten beschreiben lassen. Neben den Ausführungen zu Scotts Drei-Säulen-Modell konnten Erweiterungen durch Koch (2018) sowie Fligstein und McAdams (2012) unterschiedliche Elemente bzw. Mechanismen von Institutionen charakterisieren. Dass Schulleiterinnen und Schulleiter bestimmte Aufgaben innerhalb der Schulentwicklungsprozesse erfüllen, geht aus ihren Leiter/-innen-Beschreibungen hervor. Wie sie jedoch diese Aufgaben erfüllen, ist nicht im Detail vorgegeben. Im Zuge dieser Forschungsarbeit wird angenommen, dass hierfür unterschiedliche institutionelle Rahmen bzw. institutionelle Erwartungshaltungen existieren, an welchen sie sich orientieren können.

Für die empirische Untersuchung leitet sich damit folgende Hypothese im Konkreten ab:

H 3 :

Institutionelle Umwelten von Schulen, und daher auch Handlungsfelder von Schulleitern und Schulleiterinnen, charakterisieren sich wie folgt:

H 3.1 :

Institutionelle Umwelten der Organisation Schule setzen sich aus unterschiedlichen Anspruchsgruppen zusammen, bei denen sich unterschiedlichen Handlungslogiken zeigen.

H 3.2 :

Anspruchsgruppen können nach unterschiedlichen Logiken handeln und dementsprechend unterschiedliche institutionelle Erwartungshaltungen z. B. bei Reformumsetzungen an Schulen stellen.

Ein weiteres vertieftes Verständnis wurde durch die Auseinandersetzung erlangt, wie die einschlägigen Fachexpertinnen und -experten den Begriff des Akteurs – hier mit besonderem Fokus auf den individuellen Akteur – definieren. Erweitert durch die Konzepte der Agentenschaft können für die nachfolgende empirische Studie folgende Hypothesen abgeleitet werden:

H 4 :

Das Verständnis von Schulleitung bzw. die Agentenschaft dieser Funktion kann unterschiedlich interpretiert werden. Schulleiterinnen und Schulleiter antworten verschieden auf ihre Umwelten und adressieren unterschiedliche Anspruchsgruppen.

H 4.1 :

Für Schulleiterinnen und Schulleiter gibt es in Österreich wenig professionsspezifische Orientierungsmöglichkeiten, z. B. innerhalb einer eigenständigen Professionsvertretung.

H 4.2 :

An wem sich ein/-e Schulleiter/-in orientiert, unterscheidet sich im Vergleich zu anderen Leiter/-innen.

H 4.3 :

Die Gewichtung der bzw. die Orientierung an bestimmten Anspruchsgruppen erfolgt durch die Schulleiter/-innen. Dadurch wird auch die Schulentwicklung der Schule mitbeeinflusst.

Das zweite Kapitel diente der Hypothesengewinnung für die Fragestellungen, die Schule als Organisation und Schule in ihren institutionellen Umwelten beleuchten wird. Ein solcher Zugriff auf die institutionell-kontextuellen Bedingungen, denen sich Schulen und somit auch Schulleiterinnen und Schulleitern gegenübersehen, hilft dabei, diese zentralen Akteure der Schulentwicklung in ihrem responsiven Verhalten besser verstehen zu können. Der besondere Fokus der Arbeit, der auf dem Leitungshandeln der Schulleiterinnen und Schulleiter liegt, wurde ebenfalls anhand ausführlicher Darstellungen zum Akteurskonzept sowie des Konstruktes der Agentenschaft theoretisch unterfüttert. Im folgenden Kapitel werden ferner Veränderungsprozesse im Sinne von institutionellem Wandel genauer betrachtet sowie Theorien zu responsivem Antwortgeschehen dargestellt.