Mittels einer kommunikativ angelegten Sprachanalyse wurden die jeweiligen Positionierungen der Referendarin und des Fachleiters rekonstruiert. Verglichen mit den Ergebnissen Košinárs zu den Professionalisierungsverläufen von LAA konnte gezeigt werden, dass die Positionierungen der Referendarin diese als selbstbewusste und an der eigenen Ausbildung aktiv partizipierende LAA ausweist.

Im Folgenden soll untersucht werden, wie die LAA die Interaktion mit ihrem Fachleiter selbst einschätzt.

9.1 Das Nachträgliche Laute Denken (NLD)

Mit der Methode des NLD wird innerhalb dieser Untersuchung eine weitere Sicht auf die UNB ermöglicht, nachdem zunächst das Geschehen selbst dargestellt und analysiert wurde. Von besonderem Interesse ist dabei, ob sich die Analyse der Positionierungen, wie sie sich in der UNB zeigen, hier wiederfinden lassen und wie die Referendarin vor allem auf die Positionierungen ihres Fachleiters in dieser UNB reagiert.

Das „Laute Denken“ ist im Anschluss an Bühler eine Methode, die es erlaubt, kognitive Prozesse erfahrbar zu machen.

Nach Weidle und Wager (1994: 81) besteht diese Methode darin, dass eine Versuchsperson gebeten wird, „laut auszusprechen, was ihr in einer bestimmten Situation … durch den Kopf geht.“ In der Denkpsychologie wurde die Methode entwickelt, „um herauszufinden, welche kognitiven Prozesse sich beim Problemlösen abspielen.“ … „Dabei wird das Verhalten und Erleben von Menschen direkt aus dem Interaktionszusammenhang heraus exploriert“Footnote 1, entweder während sie sich in einer Anwendungssituation befinden, z. B. eine Aufgabe lösen oder wenn sie eine Situation beobachten und verbalisieren, was ihnen dabei durch den Kopf geht.

Einzug gehalten hat die Methode der videounterstützten Rekonstruktion kognitiver Prozesse auch im Bereich der Unterrichtsforschung, um herauszufinden, welche Kognitionen das Handeln von Lehrer:innen und Schüler:innen begleiten bzw. steuern.

Beim retrospektiven Lauten Denken werden mithilfe von Film- oder Tonaufnahmen als „stimulated recall“ Gedanken nach einer Handlung beschrieben. Weidle und Wagner, die im Zuge ihrer Unterrichtsforschung die Methode des „Nachträglichen Lauten Denkens“ eingeführt haben, unterscheiden dabei verschiedene Inhalte, die den Versuchspersonen (Vpn) beim Anblick von Filmaufnahmen durch den Kopf gehen:

„Die Vpn sprechen oft nicht nur ihre Gedanken [Herv. i. O., A. B.-H.] laut aus, sondern berichten auch über ihre Wahrnehmungen ( ‚ich sehe gerade …‘) und Gefühle oder Empfindungen (‚jetzt ärgere ich mich …‘). Hinzu kommt, dass sie oft ihre eigenen Gedanken und ihr Verhalten kommentieren.“ (Ebd.: 82)

Damit wird allerdings auch schon eine Schwierigkeit der Methode des Lauten Denkens angedeutet: Die Autorinnen sprechen hier von einem „Kapazitäts- bzw. Auswahlproblem“ (ebd.: 84), denn man kann sich leicht vorstellen, dass nicht alles, was gedacht wird, auch ausgesprochen werden kann. Je nach Versuchskontext und Persönlichkeit scheinen die Verbalisierungstendenzen hinsichtlich ihrer Auswahl, Fülle und Qualität stark zu variieren.

Zudem kann man nicht davon ausgehen, dass alle mentalen Inhalte dem menschlichen Bewusstsein zugänglich sind, etwa bei Routinetätigkeiten. Auch Silberer (2005:5) äußert sich kritisch zur internen Validität der Methode, da die Versuchspersonen in der Lage sein müssten,

„ihre Gedanken wahrzunehmen, diese Wahrnehmungen bis zur Artikulation zu speichern, während des Artikulationsprozesses auf diesen Speicher zurückzugreifen und schließlich das Gedachte in verständliche Worte zu fassen.“

Ein wesentlicher Gesichtspunkt bei dem Einsatz der Methode des Nachträglich Lauten Denkens ist der zeitliche Abstand zur Aufnahmesituation. So stellen Wagner et al. fest, dass man davon ausgehen muss, dass ein Teil dessen, was aufgenommen wurde, in der Zwischenzeit von den Probanden schlicht vergessen wird. Dies um so eher, je mehr Zeit zwischen der Aufnahme und der Selbstbeobachtung liegt. Allerdings konnten die Autorinnen feststellen, dass die Vpn „sich besonders bei für sie schwierigen Unterrichtssituationen hinterher subjektiv sicher“ sind, daß sie das, was sie im NLD berichten, tatsächlich im Unterricht gedacht haben“ (ebd.: 98).

Für die hier vorliegende Erhebung besteht die Möglichkeit des Erinnerns, weil davon auszugehen ist, dass vor allem die problematischen Stellen aus der videographierten UNB erinnert werden und zum nachträglichen Denken anregen.

Die Forscher:innen benutzen spontane Reaktionen bei der Beobachtung des Videomaterials, „um ausführlichere Verbalisierungen nicht zu behindern“ (ebd.: 13) und gleichzeitig die „handlungssteuernden kognitiven und emotionalen Prozesse“ (Wahl 2006: 67) in komplexen und herausfordernden Situationen untersuchen zu können.

Bei der Methode des Nachträglich Lauten Denkens (NLD) kommt es in der vorliegenden Untersuchung vor allem darauf an, eine Erhebungssituation herzustellen, die möglichst wenig steuernden Einfluss auf die Referendarin ausübt, damit diese sich authentisch zu ihrem eigenen Verhalten und dem ihres Ausbilders verhält.

Im Sinne einer „sozialen Erwünschtheit“ könnte die Tatsache, dass sich die Referendarin in einem Ausbildungsverhältnis befindet, die Ergebnisse beeinträchtigen, vor allem dann, wenn die LAA damit rechnen müsste, dass mit ihren Daten nicht sensibel umgegangen wird. Da allerdings zum Zeitpunkt der Erhebungssituation die Referendarin ihre Ausbildung bereits erfolgreich beendet hat, ist mit dieser Sorge nicht zu rechnen. Zudem ist Frau Henke ausführlich darüber aufgeklärt worden, zu welchem Zweck die Untersuchung dient und in ausführlichen Gesprächen zum Kontext der gesamten Untersuchung zeigte sie sich besonders interessiert an der inhaltlichen Auswertung und einem möglichen Nutzen für die Referendar:innenausbildung.

Wagner und ihre Mitarbeiterinnen gingen bei ihren Aufnahmen mit der Methode des NLD so vor, dass sie die aufgezeichneten Schulstunden den Vpn vorspielten. Dabei wurde das Videoband in kurzen Abständen (kleinere Sinneinheiten etwa alle 40 Sekunden) immer wieder angehalten und die Schüler:innen wurden gefragt: „Was ist Dir (Euch) an dieser Stelle durch den Kopf gegangen?“ (Weidle &Wagner 1994: 98). Sie hielten das Video auch immer dann an, wenn die Beteiligten durch eine Reaktion anzeigten, dass sie zu einer Situation etwas sagen wollten.

Analog zu der Methode des Nachträglich lauten Denkens entwickelte Breuer (2000: [4]) im Rahmen der beruflichen Kompetenzentwicklung therapeutischer Berater:innen ein ähnliches Verfahren, das ihm erlaubt mit sog. Selbstkonfrontations-Interviews die „Sicht der Subjekte“ als „Expertise der Betroffenen“ zu nutzen.

Die Expertise der Betroffenen soll auch in der hier dokumentierten Situation zum Tragen kommen. Es wird dabei davon ausgegangen, dass ähnlich wie bei Wagner et al. vor allem emotional bedeutsame Stellen des Videomaterials erinnert werden können, bzw. in der Retrospektive eine (erneute) Resonanz erfahren.

Die Ausgangsfrage der hier vorgestellten Erhebung lautete: „Was kommt Ihnen bei der Beobachtung der UNB jetzt in den Sinn? Bitte teilen Sie alles mit, lassen Sie möglichst auch keine flüchtigen Einfälle aus.“ Die Referendarin war gespannt, ob sich ihre Erinnerungen mit Hilfe des Videomaterials schnell einstellen würden, äußerte aber die Vermutung, dass diese Erfahrungen gut in ihrem Gedächtnis verankert seien und dass der Grund dafür vor allem in der hohen Belastung der Unterrichtshospitationen und den UNB liege. Es wurde sich für das weitere Vorgehen darauf geeinigt, dass die Referendarin die Aufnahme der videographierten UNB immer dann stoppt, wenn sie eine Stelle im Videomaterial erwähnenswert findet. Ihre Äußerungen wurden mit einem Audiogerät aufgenommen. An manchen Stellen des Materials stellte ich im Anschluss an ihre Äußerungen inhaltliche Nachfragen, wenn wesentliche Aspekte für das Forschungsvorhaben berührt wurden.

Im Folgenden geht es nicht um die Frage, ob das Nachträglich Laute Denken die im Moment der Aufnahme ablaufenden kognitiven Prozesse tatsächlich repräsentiert. Insofern kann man den zeitlichen Abstand zwischen der UNB selbst und dem Betrachten der Aufzeichnung hier vernachlässigen.

9.2 Die Reaktionen der LAA auf die UNB

Die Kommentare, die die Referendarin bei der Ansicht der aufgezeichneten UNB äußert, übertreffen in ihrer Quantität (47:22 Minuten) die der UNB (37:33).

Beim Betrachten der Videoaufzeichnung fallen der Referendarin mehrere Aspekte dieses Beratungsgespräches auf, die sie als Reaktion auf die Videoaufnahme spontan benennt. Es lassen sich dabei inhaltlich mehrere Aspekte unterscheiden. Im Folgenden sollen zunächst die Aspekte dargestellt werden, die mehrfach wiederholt werden und damit als wesentliche Aspekte oder, in den Worten Kruses (2015: 470), als „Erzählfiguren bzw. Gestalten“ ihrer Beobachtungsnarration gelten können. Als „Faustregel“ zur Selektion des erhobenen Datenmaterials (vgl. Deppermann 2008a: 36) empfiehlt es sich generell, vor allem die Passagen aus Gesprächen zu wählen, in denen sich die Gesprächsbeteiligten ausdrücklich auf die interessierenden Phänomene beziehen, was im vorliegenden Kontext solche Äußerungen der Referendarin sind, in denen ihre Involviertheit oder gar Betroffenheit zur Videoaufzeichnung erkennbar werden. Es wird davon ausgegangen, dass gerade diese Episoden gut erinnert werden.

Zudem werden im Sinne von „sprachlichen Aufmerksamkeitsebenen“ (Kruse: ebd. 471) auch Besonderheiten der Wortwahl untersucht. Auf der Ebene der Lexik spielen dabei die „subjektive Bedeutungskonstruktionen“ eine prominente Rolle, die …vor allem metaphorisch strukturiert“ (ebd: 473) sind. Die „figurative Sprechweise“, verweist in vielen alltagssprachlichen Zusammenhängen, so Herbrik (2014: 158 ff), auf Situationen, in denen Emotionen eine große Rolle spielen.

9.2.1 Das Warten auf die „Gewitterwolke“

Während die Referendarin ihre eigene Reflexion zur Stunde beobachtet, beginnt sie mit ihrer Kommentierung des aufgezeichneten Geschehens.

Tabelle 9.1 Warten auf die GewitterwolkeFootnote

Die Zeilenzählung folgt der Zählung des Transkripts.

Sie beschreibt mit dieser Äußerung, auf was sie während der UNB geachtet hat. Nach der Reflexion der gehaltenen Unterrichtsstunde richtet sie ihre Aufmerksamkeit darauf, wie der Fachleiter auf ihre Reflexion reagiert.

Die gleich zweifache Verwendung (Z. 5 f.) von Temporaladverbialien, in Kombination mit der ebenfalls wiederholten Diktumsgradierung „schon“ zeigen in dieser ersten Reaktion auf das Videomaterial, wie bereits am Anfang der eigenen Reflexion versucht wird, die Reaktion des Fachleiters einzuschätzen. Die Diktumsgradierung „schon“ verdeutlicht dabei, dass es sich bei der Bemühung um das frühe Abschätzen der Fachleiterreaktion um etwas handelt, dass nach Zifonun (1997: 894) „vor dem Erreichen eines Standardwerts“ liegt. Dieses erste Abschätzen stellt verglichen mit dem Standardablauf der UNB insofern eine Abweichung dar, weil zu diesem Zeitpunkt die Referendarin üblicherweise erst einmal die Struktur ihrer Stellungnahme vorstellt. Die inhaltliche Ausführung der vorgestellten Aspekte folgt erst danach. Doch schon hier, bei der Bekanntgabe der Reflexionsaspekte, scheint die LAA genau darauf zu achten, wie der Fachleiter auf ihre Reflexion reagiert. Nach der Reflexion sollte zunächst eine kurze Rückmeldung zur Stellungnahme im Hinblick auf ihre formale Gestaltung erfolgen. Erst bei dem Abgleich der Beratungsaspekte wäre zu erwarten, dass die Referendarin erführe, welche Eindrücke der Fachleiter zur Stunde hat, indem er entweder Themen benennt, die die Referendarin noch nicht benannt hat oder aber ihre Themenwahl bestätigt.

Der Ausdruck „das erste MAL“ in der Äußerung „achtet man eigentlich schon das erste MAL auf die reaktion der fachleiter“ (Z. 5,) kündigt laut Duden an, dass es sich hierbei um „durch eine bestimmte Angabe oder Reihenfolge gekennzeichneter Zeitpunkt eines sich wiederholenden oder als wiederholbar geltenden Geschehens“Footnote 3 handelt. Tatsächlich thematisiert die Referendarin schon im übernächsten Kommentar wieder die Reaktion des Fachleiters (Tabelle 9.2).

Tabelle 9.2 Blick auf die Reaktionen des Fachleiters

Diese Äußerungen beziehen sich auf den Anfang der UNB. Die LAA beschreibt ihr eigenes Beobachtungsverhalten während ihrer Stundenreflexion. Dabei fällt ihr auf, dass sich schon bei ihrer Reflexion die antizipierte Reaktion des Fachleiters auf ihre Reflexion auswirkt. Dass das Beobachten des Fachleiters dabei kein Zufallsprodukt ist, sondern von ihr systematisch betrieben wird, verdeutlichen die mehrfach verwendeten Frequenzadverbien „immer“ (Z. 17) und „immer wieder“ (Z. 23), die (vgl. Zifonun: 1141) die „Häufigkeit des Auftretens von Sachverhalten“ angeben. Am Anfang der Videoaufzeichnung bemerkt die Referendarin, dass sie schon bei der Bekanntgabe der Reflexionsaspekte „das erste MAL“ (Tabelle 9.1, Z. 6) die Reaktion des Fachleiters registriert. Die Präpositionalphrase deutete an, dass „gleichartige Ereignisse“ (ebd.: 1141) zu einem späteren Zeitpunkt folgen werden. Damit wird deutlich, dass es sich nicht um eine einmalige Beobachtung oder Wahrnehmung möglicher Anzeichen für eine Reaktion auf die gezeigte Stunde handelt (Tabelle 9.3).

Tabelle 9.3 Knackpunkt der Beratung

Die Referendarin markiert mit „hier“ die Stelle in der UNB (Z. 27), in der der Fachleiter zum ersten Mal das Wort an sie richtet. Entsprechend dem vorgesehenen Ablauf der UNB nähert man sich aus Sicht der Referendarin dem kritischen Punkt – dem Abgleich der Beratungsaspekte und damit auch einem möglichen Kritik- bzw. Beratungsaspekt aus Sicht des Fachleiters. Für diesen Abschnitt im Gesprächsverlauf wählt die LAA hier den Begriff „Knackpunkt“, der laut Wörterbuch der deutschen SpracheFootnote 4 die „entscheidende“ Stelle markiert, von der „etwas Bestimmtes abhängt“. Dass hier das Entscheidende zu erfahren sein wird, betont die Referendarin durch den wiederholten Gebrauch der assertiven Satzadverbiale „wirklich“ (Z. 30 f.). Sie drückt damit aus, dass es vor allem um diese Einschätzung der Stunde geht und damit um seine Rückmeldung, was an der Stunde positiv bzw. negativ zu bemerken ist.

Es ist zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht üblich, dass sich die LAA und der Fachleiter zu den Beratungsaspekten austauschen. Es steht erst noch die Positivrunde an.

Doch die Positivrunde kann die LAA kaum als Wertschätzung erleben. Sie kritisiert, dass in der Positivrunde die positiven Informationen, die man bekommt, kaum gewürdigt werden können, weil man es eigentlich kaum abwarten kann, dass das Entscheidende, die Einschätzung des Fachleiters, endlich zur Sprache gebracht wird (Tabelle 9.4).

Tabelle 9.4 Kritik an der Positivrunde

Die Zeitadverbiale (Z. 41) zeugt davon, dass es für die Referendarin vor allem um diese entscheidenden Hinweise des Fachleiters geht, auf die sie wartet. Die Diktumsgradierung „noch“ (Z. 42) zeugt von dieser Erwartung. Mit dieser Gradierung wird eine Skala beschrieben (vgl. Zifonun 1997: 884), auf der die zeitliche Position eines vermuteten oder erwarteten Wertes angegeben wird. „Was noch der Fall ist, hätte man zum fraglichen Zeitpunkt bereits als abgeschlossen erwartet“ (ebd.). Damit ist „noch“ auf einen Zeitpunkt bezogen, der hinter dem erwarteten „Ereigniszeitpunkt“ liegt, seine „Hervorbringung“ (ebd.) fehlt noch. Die zeitliche Einordnung der Ereignisse scheint aus der Sicht der Referendarin nicht in der für sie angemessenen Reihenfolge zu verlaufen.

Die Ereignisse, die zeitlich vor der „Breitseite“ (Z. 43) liegen, scheinen offenbar nur „kleine Aspekte“ (Z. 42) zu sein. Die Bedeutung von „Breitseite“ scheint vor allem negativ verwendet zu werden. Unter einer „Breitseite“ versteht man „das gemeinsame Abfeuern der Geschütze an einer der beiden Längsseiten eines Kriegsschiffes. Die Breitseite ist das bevorzugte Schussverfahren des Linienschiffes.“Footnote 5Auch außerhalb von Marinekontexten wird der Begriff „Breitseite“ im Sinne eines (verbalen) Angriffs verwendet.

Wesentlich scheint hier zu sein, dass die Erwartungshaltung derart drängend für die Referendarin empfunden wird, dass alle anderen Gesprächsinhalte für sie zu einer „Kleinigkeit“ verkommen.

Die Qualität dieser Erwartungen, wie sie sich für die Referendarin darstellt, wird noch an weiteren Stellen der Kommentierungen deutlich, von denen zwei weitere Beispiele aufgegriffen werden (Tabelle 9.5).

Tabelle 9.5 Das ganz große „Aber“

„Das ganz große aber“ (Z: 49) fällt auf der lexikalen Sprachebene auf, da es durch mehrere Eigenschaften eine besondere Betonung seitens der Sprecherin erfährt. Zunächst sticht hier ins Auge, dass das Adversativ „aber“ in dieser Aussage nominalisiert wurde. Substantivierungen sind (vgl. Zifonun 1997: 28) vor allem bei Adjektiven „die Kleinen“ und Verben „das Singen“ zu finden, seltener bei Adverbien „das Heute“ oder eines Konjunktors, wie es das Adversativ „Aber“ ist.

Innerhalb der hier verwendeten Satzstruktur fungiert das Adversativ „aber“ als Subjekt und nimmt damit nach der IDS-Grammatik Mannheim der Tendenz nach „die semantische Rolle des Agens“Footnote 6 ein. Dass ein Subjekt als Agens fungiert, ist zwar nicht in jedem Falle gegebenFootnote 7, allerdings kann man in dieser Äußerung nach Eisenberg (2013: 281) davon ausgehen, dass hier das „Aber“ als Agens „den Träger des Geschehens oder Seins“ benennt.

In der Nominalphrase „das ganz große Aber“ fungiert der bestimmte Artikel „das“ als Determinierer des Substantivs und dieses wird durch das Attribut „große“ und die Intensitätspartikel „ganz“ noch weiter konkretisiert. Insgesamt wird im weiteren Verlauf das „Aber“ noch mehrmals wiederholt. Auch diese wiederholte Verwendung des nominalisierten Adversativs zeugt von seiner Bedeutung für die Referendarin in dieser UNB.

Dem Adversativ wird innerhalb der hier getätigten Äußerung das Prädikat „schweben“ zugeordnet. Mit diesem Prädikat wird der Gegenstand näher charakterisiert. Dieses Charakteristikum führt die Referendarin im folgenden Verlauf ihrer Kommentierung weiter aus (Tabelle 9.6).

Tabelle 9.6 Gewitterwolke

Das erwartete oder antizipierte „Aber“ des Fachleiters, hier als „Gewitterwolke“ (Z. 99) bezeichnet, schwebt seit Beginn der UNB über dem Geschehen. Die metaphorische Ausdrucksweise gilt an dieser Stelle als Markierung für ein wesentliches Merkmal der hier vorliegenden Kommentierung.Footnote 8 Sie verdeutlicht die Qualität und Bedeutung, die die (antizipierte) Sicht des Fachleiters auf die Unterrichtsstunde für die Referendarin besitzt.

Der bildspendende Bereich der von der Referendarin verwendeten Metapher „Gewitterwolke“ verweist auf einen Bereich der Natur, mit dem hier die Situation der erwarteten Rückmeldung zur Stunde in Verbindung gebracht wird. Dabei ist die Wahl dieser Metapher mit dem hier ausgewählten Wetterphänomen alles andere als positiv. Das Gewitter selbst kann als ein bedeutendes Naturereignis gelten. Die Bedrohlichkeit des Gewitters hat Eingang in unserer Sprache gefunden. Ausdrücke wie „vom Donner gerührt“ oder „vom Blitz getroffen“Footnote 9 zeugen von der Gefahr, die vom Gewitter ausgehen kann. Damit steht das Gewitter für das „Bedrohliche“ und „Unkontrollierbare“ der Natur, der wir ausgesetzt sind. Dies trifft uns mal plötzlich, aus „heiterem Himmel“ oder es kündigt sich schon lange vorher an, beispielsweise durch drohende Gewitterwolken, die den Himmel verdunkeln. Gewitterwolken unterscheiden sich von anderen Wolken vor allem (jedenfalls für Laien) an ihrer Farbe. Die dunklen Gewitterwolken sind auf Grund ihrer Mächtigkeit nicht oder zumindest weniger vom Licht durchdrungen. Die feuchtwarme Luft, die nach oben aufsteigt, wird während dieser Luftbewegung statisch aufgeladen. So baut sich eine immer größere Spannung auf, die sich schließlich in Blitzen entlädt.

Meteorologische Sprachentlehnungen sind, wie Metaphern überhaupt, eine sinnliche Vergegenwärtigung von besonderen Lebenssituationen. Dass das Gewitter in diesem Narrativ als Ankündigung eines drohenden Unheils verstanden werden kann, ist nicht dem Lexem selbst zu entnehmen, als vielmehr der Reaktion, die die Referendarin auf das so beschriebene Phänomen zeigt. Das Gewitter lässt, vor allem mit dem Hinweis auf seine Ankündigung in Form einer sich nähernden Gewitterwolke, die Atmosphäre des Gespräches aus der Sicht der Referendarin als eine atmosphärisch aufgeladene Situation verstehen. Diese Spannung ist negativ konnotiert, „Und man überlegt immer schon, ja okay, war das jetzt gut, war das jetzt irgendwie schlecht?“ (Z. 17 f.); man möchte, dass sie möglichst bald aufgelöst werden kann. In dieser Situation bleibt die Anspannung und daher beobachtet die LAA ihr Gegenüber weiter sehr aufmerksam:

so sieht man ja immer auch wieder, man guckt ja auch immer, was macht der denn jetzt? Schreibt der jetzt mit, nickt er, was tut er da eigentlich gegenüber? Dass da einfach schon ganz viel Reaktion in meiner eigenen Reflexion einfach da ist.“ (Z. 23–26)

Das ständige Beobachten (vgl. dazu auch Abschn. 12.2.1) lenkt die Referendarin von ihrer eigenen Reflexion ab. Sie bemüht sich, mögliche Reaktionen des Fachleiters zur Rückschau auf ihre Stunde zu antizipieren, um so durch angemessene Reaktionen zu signalisieren, dass sie die richtigen Inhalte bei ihrer Stundenreflexion berücksichtigt.

9.2.2 Die Sprechweise des Fachleiters

Nachdem sich die LAA immer wieder über die Anspannung innerhalb der UNB geäußert hat, kommt sie nach ca. acht Minuten der Videobeobachtung dazu, einen neuen Aspekt zu benennen (Tabelle 9.7).

Tabelle 9.7 Zur Sprechweise des Fachleiters

Das Besondere an der Form des mit „wir tun mal so“ (Z. 137) gerahmten Gesprächsabschnitts ist der damit verbundene Bezug auf etwas Nicht-Anwesendes. Eingeleitet wird die Äußerung mit „und das ist immer dies“ (Z.137). Dabei wird mit dem bestimmten Artikel „das“ das Denotat „dies“ für die folgende Äußerung bestimmt. Das deiktische Determinativ „dies“ verweist auf die nachfolgenden Ausführungen des „wir tun mal so als“. Man kann die Funktion von „dies“ mit Zifonun (1997: 323) auch beschreiben als ein Verweis auf „Elemente außerhalb der Sprechsituation“ um dem Leser oder Hörer eine Orientierung für das weitere Verstehen zu bieten. Gleichzeitig findet sich mit dem Adverb „immer“ ein Hinweis darauf, dass das hier Identifizierte, auf das verwiesen wird, eine gewisse Regelmäßigkeit besitzt und damit der Sprecherin schon bekannt ist.

Das „wir tun mal so“ kann nach Rakoczy (2009: 74) als „die Mutter aller darstellenden Kunst“ gelten. Scheule (2013: 69) beschreibt in seiner anthropologischen Forschung zum Spiel diese Form des sozialen Agierens als eine häufig auftretende Variante der Kooperation, die in den Begriffen der Spieltheorie als „Spielsituationen“ vielfältig auftritt. Dabei geht Scheule in Anlehnung an John Searle davon aus, dass das Spiel in der empirisch-anthropologischen Forschung zur „Ontologie des Sozialen“ (ebd.: 70) zählen kann. Es ist das Spiel, das uns ontogenetisch auf die verschiedenen „institutionellen Tatsachen“ (ebd.: 71) vorbereitet.

Innerhalb des Spiels, so stellt Scheule (2013: 71) dessen Funktion dar, werden den involvierten „Gegenständen und Personen Funktionen“ zugewiesen. Damit allerdings ein Spiel mit diesen zugewiesenen Funktionen tatsächlich gespielt werden kann, müssen die Funktionszuweisungen von den Mitspielenden in ihrem Status anerkannt werden. Diese „Statusfunktionen“ besitzen nach Scheule eine „deontische Macht“ (ebd.), die die für das Spiel notwendigen „Rechte, Pflichten, Verpflichtungen, Forderungen, Genehmigungen, Ermächtigungen, Ansprüchen und so weiter“ anerkennen. Mit Rückgriff auf Searles Sprechakttheorie betont Scheule, dass die sogenannten „Deklarativa“ jene Sprachakte bezeichnen, mit denen Statusfunktionen zugewiesen werden. „Sie verändern die Welt, indem sie das Bestehen eines Sachverhalts proklamieren und dafür sorgen, dass dieser Sachverhalt besteht.“ (Searle 2012: 26 f., zit. nach Scheule ebd.: 72) Die deklarativen Sprechakte, die in unserer Sprache formuliert werden, besitzen Searle weiter folgend die Form „X gilt im Kontext K als Y“ (ebd. 73). Die Geltung der konstitutionellen Funktion deklarativer Sprechakte schränkt Scheule allerdings ein. Statusfunktionen sind, so Scheule, abhängig von der „dualen Sicht“ von „X als Y“ (ebd: 74). Auch wenn Vereinbarungen dieser Art nicht explizit in einer Äußerungssituation hergestellt werden müssen, sondern nur „mit dem Spielkontext gegeben“ (ebd: 75) sind, kann die wechselseitige Anerkennung dieser Vereinbarung über die Status-Funktion des gemeinsamen „so-tun-als-ob“ zumindest in einigen Fällen als problematisch gelten.Footnote 10

Die Statusfunktion des in diesem Ausschnitt so benannten Spiels „Arztreden“ (Z. 141) verlangt, dass Sprecher und Hörer als Sprechergemeinschaft anerkannt werden („Was fehlt uns denn?“). In Abschn. 8.2.1 ist dies bereits als eine Redestrategie des Fachleiters identifiziert worden. Wiederholt konstruiert dieser in der UNB ein „Sprechergruppenplural“ mit der Verwendung von wir-Formen.

Mit der Identifizierung dieser Redeweise als „Arztreden“ (Z. 141) spielt die Referendarin auf bestimmte Formen der Beziehungsgestaltung in Arzt-Patienten-Gesprächen an. Diese Art der Kommunikation wurde vor allem in medizinischen Kontexten untersucht und scheint seit einer kommunikativen Wende innerhalb dieses Kontextes nach Einschätzung von Ludger Hoffmann (in Zifonun, ebd.: 320) eher „auf dem Rückzug“ zu sein. Von der Referendarin werden hiermit – unabhängig von der gängigen Praxis der Arzt-Patienten-Kommunikation – Äußerungen paternalistisch-abwertender Art beschrieben, die eine gemeinsame Perspektive von Arzt und Patient behaupten.Footnote 11

Interessanterweise ist die Verwendung dieses „wir“ gerade in Lehr-Lern-Situationen anzutreffen. In Lehreräußerungen wie beispielsweise „Wir wollen uns hier diese Zeichnung ansehen“ wird als Verweisgruppe die Lehrerin und die anwesenden Schüler:innen angesprochen. Die Entscheidung darüber, ob in der Gruppenbildung durch die Verwendung der kollektiven Sprecherrolle alle Gruppenmitglieder enthalten sind oder aber vielleicht in bestimmten Fällen der Sprecher, also im schulischen Diskurs der Lehrende als einziger enthalten ist, bleibt durch diese Sprechweise verborgen.

Moll (in: Ehlich et al. 2012: 39) zeigt im Zusammenhang hochschulischer Wissensvermittlung, dass die Verwendung der kollektiven Sprecherdeixis in Lehr-Lern-Situationen die Funktion besitzen kann, den „Prozess der Wissenserarbeitung“ so zu gestalten, dass die Lernenden „explizit miteinbezogen sind.“ Ihrer Einschätzung des kollektiven „wir“ liegt eine Untersuchung Rehbeins (1978: 355; zit. nach Ehlich (ebd.) zugrunde, nach der mit dieser Sprechweise eine „Fokussierung des Hörers auf die eigene Planung des Sprechers“ (ebd.) stattfindet. Lehrer formulieren damit im Unterricht ihren Handlungsplan und machen ihn für die Lernenden transparent.

Die Referendarin scheint jedoch diese Art der schulischen Kommunikation für ihre Ausbildungssituation abzulehnen. Mit der Verwendung des Präpositionalgefüges „Überpädagogisierung“ (Z. 139) kennzeichnet und charakterisiert sie in dieser Sequenz die Art und Weise, wie der Fachleiter mit ihr kommuniziert. Die Präposition „über“ hat im Zusammenhang mit Verben (hier in nominalisierter Form) einen „transformativen Charakter“ (Zifonun 1997: 1872). Im Zusammenhang mit Verben wie „überkochen“ „überschäumen“ kann ein Übergang zu einem nicht mehr positiven Zustand beschrieben werden. Als Quelle der hier bezeichneten räumlichen Dimensionierung kann dabei die Perspektive der Referendarin gelten, die damit zum Ausdruck bringt, dass diese Art der Kommunikation für sie einen negativen Transfer bedeutet, bei dem der Bereich akzeptierter Pädagogisierung überschritten wird.

Im Gegensatz zu dieser Form pädagogischen Umgangs entwirft die Referendarin als Alternative eine für sie angemessenere Art und Weise, in der der Fachleiter mit ihr sprechen sollte. Eingeleitet durch den in Z. 138 verwendeten Konjunktor „soll doch ganz klar sagen“ wird hier das semantische Verhältnis zu den vorherigen Äußerungen („Wir tun mal so“) näher bestimmt. „Doch“ bezeichnet dabei als Adversativ einen Gegensatz zu der Sprechweise, die oben als „Spiel“ charakterisiert wurde. Dieser Gegensatz wird von der Referendarin in den nachfolgenden Äußerungen genauer ausgeführt. Die von ihr bevorzugte Sprechweise, die sie dabei skizziert, zeichnet sich durch „Klarheit“ aus. Das Adverb „klar“ (Z, 138, 140, 148) wird insgesamt dreimal in diesem Kontext wiederholt und dabei zweimal mit dem Intensitätspartikel „ganz“ (Z. 138, 148) spezifiziert, was einen Hinweis auf die von der Sprecherin gewünschte Norm gibt.

Als Grund für diese Forderung führt die Referendarin in dieser Sequenz aus, dass sie, wie auch die Referendar:innen generell, wisse, worauf der Ausbilder mit seiner Sprechweise „hinaus möchte“ (Z. 137). Sie dagegen möchte dieses Spiel unterbrechen, indem sie eben nicht so tut, als „wüsste der Referendar nich, worauf er (der Fachleiter, A.B.-H.) hinauswill“. Das pädagogische Intervenieren, was in ausgewählten Lernsituationen eine angemessene Form der Kommunikation sein mag, wird von ihr strikt abgelehnt. Stattdessen wünscht sich die Referendarin eine Kommunikation, die ohne Umschweife auf das zu sprechen kommt, was wichtig ist. In diesem Fall wären dies Hinweise zur Sozialform, die für die Schüler:innen ausgewählt werden sollten. Als zukünftige Lehrerin kennt sie „die Regeln“ einer pädagogischen Gesprächsführung, die sie in diesem Zusammenhang als kollektive Sprecherdeixis identifiziert (Z. 141: „wir können ja noch mal überlegen“). Im Gegensatz zu dieser für sie unangebrachten Ausdrucksweise plädiert sie für eine eindeutige Sprecherdeixis seitens des Fachleiters durch die Verwendung des Personalpronoms „ich“ (Z. 140), wobei sie hier die erwünschte Redeweise im direkten Ausdrucksmodus imitiert.

In Z. 142 benutzt die Referendarin in Kontrast zu dem Sprechergruppenplural „uns“ das Personalpronomen „Sie“, mit dem sie, so Zifonun (1997: 39) eine Distanzform wählt, mit der eine andere Art der Rollenverteilung in diesem Gespräch markiert wird. Mit der Aufgabe des Pronomens „uns“ wird die Gemeinschaft einer Sprechergruppe verändert durch eine zweite Gruppe, die der Hörer (du / ihr). Darüber hinaus wird eine weitere Distanz durch die förmliche Anrede „Sie“ hergestellt.

Im weiteren Verlauf ihrer Darstellung erläutert die Referendarin ihre Gründe für die gewünschte Ausdrucksdifferenzierung (Tabelle 9.8).

Tabelle 9.8 Gewünschte Ausdrucksdifferenzierung

Die Situation innerhalb der UNB, so führt die Referendarin in dieser Sequenz aus, sei ihnen als Referendar:innen klar. Sie erwarten Kritik an der von ihnen gezeigten Stunde. Die Kommunikation, so fordert sie hier, sollte dabei aber nicht so verlaufen, wie sie üblicherweise im Unterricht selbst häufig vorkommt. Sie erwartet stattdessen eine sachliche Gesprächsführung, die im Kontrast steht zu dem, was sie als „väterlich“ (Z. 163) oder „emotional“ bezeichnet. Mit dem Komparativ „schwerer“ (Z. 166) deutet sie an, dass es natürlich nicht leicht sei, überhaupt kritisiert zu werden, aber diese Kritik wiegt noch einmal „schwerer“, wenn sie in einer Art und Weise ausgedrückt werde, die an eine „väterliche“ Kommunikationsform erinnere. Der Grund für die Steigerung dessen, was hier nur schwer zu ertragen ist, wird am Anfang dieser Sequenz benannt. Der Eindruck, dass etwas mit einem „so gemacht werden müsste“ (Z. 157), stelle die „eigene Kompetenz.. in Abrede“ (Z. 156). Der deiktische Ausdruck „so“, der in dieser Phrase auftaucht, verweist dabei auf die Art des „Überpädagogisierens“, von der zuvor die Rede war. Dabei war von der Referendarin zunächst die Art und Weise, das Eigentümliche dieser Redeweise, beschrieben worden. An dieser Stelle führt sie nun aus, warum diese Redeweise für sie nur „schwerer“ zu ertragen ist.

Der Ausdruck, dass mit einem etwas „so gemacht werden müsste“ stellt die Person, um die es in dieser Äußerung geht, als jemanden dar, mit dem in gewisser Weise zu verfahren ist. Die Passivkonstruktion in dieser Äußerung, die nach Eisenberg (2013: 122) vor allem die „Syntaktisierung einer agenslosen Konstruktion“ ermöglicht, stellt mit dieser Konstruktion die Handlung als Ereignis in den kommunikativen Vordergrund der Aussage. „Sie dienen zur Darstellung von Ereignissen, die von jemanden verursacht (oder … kontrolliert) sind“ (ebd.). Damit wird deutlich, was als das Störende an der kritisierten Kommunikationsform wahrgenommen wird. Ein Agens, das in dieser Äußerung nicht weiter benannt wird,Footnote 12 gestaltet die Situation der UNB in einer Weise, die Kontrolle am Objekt der Handlung (also der LAA) ausübt, in diesem Fall hinsichtlich der Gestaltungsweise der kommunikativen Form während der UNB. Wenn aber jemand mit den Regeln dieser Verhaltensweise selbst vertraut ist, und das sind angehende Lehrer:innen, dann wird es verständlich, wenn sie es ablehnen, so behandelt zu werden, wie üblicherweise Schüler:innen behandelt werden, von denen man annimmt, dass diese Verfahrensweise für sie förderlich ist.

Ein weiterer Grund dafür, warum die beschriebene Kommunikationsweise nur „schwer“ zu ertragen ist, könnte auch darin bestehen, dass die Referendarin mit dieser Ausdrucksform eine persönliche Nähe zum Hörer unterstellt, wie sie etwa in familiären Beziehungen typisch ist. Die kollektive Sprecherdeixis „uns“ und „wir“, die im familiären oder freundschaftlichen Kontext anzutreffen ist, lehnt sie für die UNB eindeutig ab. Hier geht es aus ihrer Sicht um eine klare Trennung der Rollen, auf der einen Seite sie als Auszubildende und auf der anderen Seite der ausbildende Fachleiter, von dem sie auch benotet wird.

…„also könn Sie mir das ganz normal und sachlich sagen“ (Z. 162 f.) kann man insgesamt als Hinweis lesen, dass die Referendarin keine besondere Kommunikationsform, Ausdrucksweise oder kommunikatives Spiel wie „wir tun so als“ wünscht.

Mit der erwünschten Anerkennung von Ausbilder:innen, dass die LAA kompetent genug ist, eine sachliche und objektive Rückmeldung zu erhalten, lässt sich aus der Sicht dieser Referendarin Kritik deutlich leichter annehmen und verarbeiten, als wenn diese Kritik in einer besonderen, vielleicht vorsichtigen und pädagogischen Weise transportiert wird.

9.3 Zusammenfassung der Ergebnisse des NLD

Es zeigt sich, dass die Beobachtung der aufgezeichneten UNB bei der Referendarin sehr detaillierte Erinnerungen an die zurückliegende Situation evozierte. Auch wenn an dieser Stelle nicht völlig geklärt werden kann, ob die geäußerten Eindrücke beim Betrachten des Datenmaterials denjenigen entsprechen, die die LAA auch in der Ausbildungssituation selbst erlebt hat, bieten ihre Kommentare doch einen wertvollen Hinweis auf ihre Einschätzung zur Interaktion mit ihrem Fachleiter.

Hervorgehoben werden sollen hier vor allem die Ergebnisse, die im Hinblick auf die im vorigen Kapitel erarbeiteten Positionierungen der Referendarin bedeutsam sind. Damit treten zwei Beobachtungsinhalte in den Vordergrund: Zum einen ist auffallend, dass die Referendarin an einer Stelle ihr eigenes Verhalten kommentiert. Sie bemerkt ihre eigene Anspannung und kommentiert diese ausführlich. Ein anderer Aspekt betrifft die Gesprächsführung des Fachleiters.Footnote 13

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    Die Anspannung der Referendarin:

Die Spannung, die dadurch wächst, dass die LAA erst nach ihrer Reflexion erfährt, ob sie aus Sicht der Fachleitung die wesentlichen Punkte angesprochen hat, beeinflussen ihre eigenen Ausführungen erheblich. Die „drohende Gewitterwolke“ wird von Anfang an erwartet und man würde sie am liebsten schon zu Beginn des Gespräches über sich ergehen lassen. Das hätte den großen Vorteil, dass die Mitteilungen, die im Vorfeld dieser Gewitterwolke untergehen, mehr Aufmerksamkeit bekommen könnten. So könnte nach Meinung der LAA die Positivrunde ganz anders wahrgenommen werden, eben nicht nur als „Abdämpfung“ der erwarteten Fachleiterkritik, sondern tatsächlich als Anerkennung dessen, was aus Ausbilderperspektive schon an Fähigkeiten und Kompetenzen bei der Auszubildenden festzustellen ist. So wirkt die Nennung der positiven Aspekte lediglich wie eine Vorbereitung auf die Kritik, die unweigerlich folgen wird.

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    Die Gesprächsführung des Fachleiters:

Es gibt ein weiteres wichtiges Ergebnis aus der Mitschau der Videographie. Frau Henke beklagt mehrfach die Gesprächsführung ihres Ausbilders. So kritisiert sie die Verwendung des Sprecherplurals als „väterlich“, als unglückliche paternalistische Ausdrucksweise. Eine gewisse Distanz zwischen den Sprechern fände sie als angehende Lehrkraft angenehmer, zumal ihr diese Sprechweise, wie sie im Unterricht zwischen Lehrer:innen und Schüler:innen häufig vorkommt, eine unattraktive Positionierung zuweist.

Darüber hinaus ärgert sie sich über die Fragetechnik ihres Ausbilders, die sie als „Hokuspokus“ entlarvt, weil ihr während dieses Ausbildungsgespräches sicher nicht die Dinge einfallen, die sie weder bei der Planung noch bei der Durchführung der Unterrichtsstunde berücksichtigen konnte. Die Beratungsinhalte, nach denen der Fachleiter sie hier fragt, waren ja genau die von ihr benannten Beratungsaspekte. Wenn zu diesen eigenen Fragen wiederum nur weiter Fragen des Fachleiters gestellt werden, deutet die Referendarin diese Art der Gesprächsführung als „Überpädagogisierung“. Damit verbindet sie offenbar die schon herausgestellten „Regiefragen“ des Fachleiters als eine Maßnahme, die seine Intervention abtönen soll. Doch genau diese vorsichtige Haltung lehnt die Referendarin ab. Sie möchte nämlich als eine Person gelten, der die Wahrheit oder zumindest ein Urteil und auch eine klare Antwort zugemutet werden kann.

Berücksichtigt man das Bedürfnis, in dieser Weise wahrgenommen zu werden, dann kommt man zu dem Ergebnis, dass die Selbstpositionierung als erfolgreiche und aktiv handelnde Lehrkraft, wie sie in der Interaktion zwischen LAA und Fachleitung nachgewiesen werden konnte, von der Referendarin als Anspruch für die Ausbildung im VD bestätigt wird.