Die Positionierungen, wie sie im Rahmen dieser Forschungsarbeit von den an der UNB Beteiligten beobachtet und analysiert werden, gelten als ein selbstverständlich auftretendes Phänomen, das in jeder Interaktion zu beobachten ist. Die Anteile und die Formen der jeweiligen Positionierungsarbeit können allerdings stark voneinander abweichen. So kann man in dem vorliegenden Fall davon ausgehen, dass mit dem Eintreten in ein Ausbildungsverhältnis wie das des Referendariats der Positionierungsarbeit für eine LAA eine andere Bedeutung zukommt als beispielsweise für den Ausbilder, der auf eine lange Berufserfahrung sowohl als Lehrer als auch als Ausbilder zurückblickt.

So werden im Folgenden zunächst die wesentlichen Aspekte der Selbstpositionierung gebündelt, wie sie von der Referendarin im Laufe der UNB konstruiert werden und zu einem ersten Gesamtbild verdichtet, bevor im nächsten Kapitel die Handlungsweisen des Fachleiters zusammenfassend dargestellt werden.

8.1 Positionierungen der Referendarin

Betrachtet man die Stellungnahme der Referendarin zur gezeigten Stunde am Anfang der Aufnahme, so erkennt man, dass sie als ein erzählendes und ein erzähltes Ich erkennbar wird (s. Kap 5: Positionierung). Die LAA als aktuelle Sprecherin bezieht sich auf ihr erzähltes Ich als Lehrperson in der gezeigten Unterrichtsstunde, deren Verhalten sie nun reflektiert. Erkennbar wird in ihrer Stellungnahme, dass sie sich als reflektierende Autorin in der Rückschau auf die Unterrichtsstunde besonders positiv positioniert.

8.1.1 Positionierung als erfolgreiche Lehrkraft am Anfang der UNB

In ihrer Stellungnahme schätzt die LAA zunächst den von ihr zu verantwortenden Lernertrag für die Schüler:innen in dieser Unterrichtsstunde ein (Abschn. 7.2). Die LAA stellt am Anfang der Gesprächssequenz dar, dass die Schüler:innen in dieser Unterrichtstunde den Unterschied von Argumenten und Belegen erkannt haben. Auch wenn sie bei der Formulierung des Lernertrags dessen Faktizität durch den einleitenden Prädikatausdruck „ich GLAUbe“ in „ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden“ (Z. 13) zunächst noch vorsichtig beschreibt, wirkt ihre Positionierung im weiteren Verlauf der Darstellung weniger zurückhaltend. So betont sie, dass die Unterscheidung zwischen Argumenten und Belegen auch von schwächeren Schüler:innen erkannt worden sei und nennt für diese Einschätzung beobachtbare Indikatoren. Damit positioniert sie sich schließlich trotz der vorsichtigen Ersteinschätzung als eine Lehrkraft, die eine deutliche Lernprogression für ihre Lerngruppe ermöglicht hat.

Einer derart positiven Selbstpositionierung ist nicht einfach zu begegnen.Footnote 1 Die Kosten einer Positionierung zweiter Ordnung, die der Fachleiter aufwenden müsste, um diese Selbstdarstellung der Referendarin zu einem späteren Zeitpunkt zu korrigieren, sind erheblich. So vermeidet der Fachleiter im weiteren Verlauf der UNB eine direkte Konfrontation im Sinne einer Positionierung zweiter Ordnung, was auch angesichts der zeitlich weit zurückliegenden Positionierung der Referendarin nachvollziehbar ist.

An dieser Stelle sei noch einmal an das Ablaufschema der UNB erinnert. Zunächst ist nur eine kurze Rückmeldung vornehmlich zur Struktur der Stellungnahme vorgesehen. Dabei wird noch nichts Inhaltliches zur Stellungnahme oder zur Selbstpositionierung der LAA gesagt. Über den inhaltlichen Gehalt der Stellungnahme und damit zur Qualität der Unterrichtsstunde wird entsprechend des Schemas hier noch kein Wort verloren. Damit bleibt die Selbstpositionierung der LAA unkommentiert stehen.

Die Struktur der UNB weicht bei diesem wesentlichen Aspekt der Selbstpositionierung von der anderer Gespräche ab. Üblicherweise wird die Selbstpositionierung eines Sprechers die Weiterführung eines Gespräches beeinflussen, beispielsweise durch eine Ablehnung oder die Bestätigung der Positionierung des Vorredners (vgl. Wortham 2000: 14). Die sequentielle Abfolge („subsequent utterance“) aufeinander bezogener Gesprächsbeiträge klärt im Verlauf eines Gespräches, ob die eingenommene Position bestätigt, korrigiert oder abgelehnt wird (vgl. ebd.: 20). Die Art und Weise, in der eine Person von sich (in der Vergangenheit) erzählt, wird vom Erzähler an die „imaginierten oder tatsächlichen Reaktionen der Hörer anpasst“ (Deppermann 2008 b: 168). Das Gefüge von Sprecherpositionierungen und Hörerreaktionen wird als verhandelte „Identitätsarbeit“ (ebd.) beobachtbar.

Eine mögliche Verhandlung der vorgenommenen Selbstpositionierung (in der Reflexion zur Unterrichtsstunde) ist bei einer UNB erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich. Nach der Stellungnahme, der Rückmeldung zur Stellungnahme, der Positivrunde und der Sichtung der Beratungswünsche findet sich schließlich der Ort, an dem die Ausbilder:innen als Ergänzung zu den Beratungsaspekten der Referendar:innen ergänzend die Aspekte nennen können, die sie selbst für wesentlich halten. Das ist damit auch der Ort, an dem eine Positionierung 2. Ordnung – der Korrektur der Selbstpositionierung der LAA – vorgenommen werden könnte. Eine mögliche Korrektur erfolgt dadurch, dass die Ausbildenden Aspekte zur Sprache bringen, die sie als beratungswürdig einstufen und die gegebenfalls im Widerspruch zur Selbsteinschätzung der LAA stehen.

Die am Anfang der UNB entworfene Selbstpositionierung der LAA bleibt über einen längeren Zeitraum hinweg unkorrigiert bestehen. Es stellt sich die Frage, wie und ob überhaupt mit der deutlich später erfolgten Positionierung zweiter Ordnung die eingangs getätigte Selbstpositionierung (hier im Hinblick auf den erzielten Lernertrag der Unterrichtsstunde) korrigiert werden kann.

8.1.2 Positionierung als moralisch handelnde Lehrkraft

Neben der Positionierung als erfolgreiche Lehrkraft positioniert sich die Referendarin auch dadurch, dass sie ihr Verhältnis zur Lerngruppe als besonders lernförderlich beschreibt.

Bei der Reflexion des eigenen Verhaltens während der Unterrichtsstunde fällt der LAA auf, dass sich ihre Gesprächsführung im Unterricht zwischen dem Zugestehen der Erzählfreude der Schüler:innen und dem Abbrechen von Redebeiträgen bewegt (s. Tabelle 7.1). Die Frage, wann man Beiträge unterbrechen sollte, ohne dass dieser Abbruch zum „Abwürgen“ der Redebeiträge führt oder wie lange man ihnen freien Lauf gewährt, ohne dass diese Beiträge dann in ein Ratenlassen enden, beschreibt das Problem beim Umgang mit Schüler:innenbeiträgen. Mit ihrer Reflexion zeigt die LAA, dass sie sich dieser Problematik im Unterricht bewusst ist. Man erkennt deutlich, dass sie ihr eigenes Verhalten in der gezeigten Unterrichtsstunde im Hinblick auf längere Redebeiträge von Schüler:innen kritisch betrachtet. Die Referendarin verdeutlicht in ihrer Reflexion, warum eine Entscheidung für die eine oder andere Form der Gesprächsführung nicht leicht zu fällen ist. Sie möchte in jedem Fall vermeiden, dass die Schüler:innen als Folge einer sprachlichen Beschränkung den Spaß am Unterricht verlieren und sich weniger am Unterrichtsgeschehen beteiligen. Darum schätzt sie das Engagement der Schüler:innen, was sich auch gerade in den zahlrechen und stellenweise ausschweifenden Schüler:innenäußerungen widerspiegelt. Sie geht sogar noch einen Schritt weiter, wenn sie davon spricht, dass die Beteiligung der Schüler:innen am Unterrichtsgespräch gerade bei den jüngeren Schüler:innen derem „Erzählbedarf“ entspringt. Mit welchem Recht und aus welchem Grund dürfte man diesen Bedarf missachten?

Mit ihrer Reflexion zum Äußerungsbedürfnis der Schüler:innen positioniert sich die Referendarin als eine Lehrkraft, die die Bedürfnisse der Kinder im Blick behält und die sich deshalb davor scheut, diese einfach „abzuwürgen“. Die LAA erfährt damit durchaus die Zustimmung des Fachleiters, wenn auch nur mit dem Hinweis, dass es für das Eingreifen eben kein „allgemeines Rezept“ gebe.

Fragt man nach der Funktion der Selbstpositionierung, die die Referendarin hier vornimmt, so kann man folgende Vorteile ihrer Positionierung erkennen: Eine Lehrkraft, die die Bedürfnisse ihrer Schüler:innen während des Unterrichts berücksichtigt, orientiert sich offenbar an einem grundsätzlichen Unterrichtsprinzip – das der „Schülergemäßheit“. „Dieses Prinzip erinnert an das Recht des Schülers, in seinem So-Sein ernst genommen zu werden.“ (Glöckel 2003: 284) Bei der Beachtung dieses Unterrichtsprinzips wird neben der besonderen Eigenart jedes Kindes auch seine Entwicklungsstufe, seine Bezugsgruppe und jedes Kind als „Subjekt seines Lernens“ (ebd.:284) gesehen. Darauf sollte im Unterricht Rücksicht genommen werden.

Der Bezug auf eine der drei wesentlichen GrundsätzeFootnote 2 der Unterrichtsführung kennzeichnet die Referendarin als eine Lehrkraft, die die Voraussetzungen für professionelles pädagogische Handeln kennt und sich an diesen Grundsätzen in ihrem beruflichen Handeln orientiert. Sie zeigt damit Teile ihres Professionswissen und das scheint in der Nachbesprechung mit ihrem Fachleiter vorteilhaft zu sein, denn schließlich dient die UNB auch dazu, Informationen für die Beurteilung der sich positionierenden Personen zu liefern (s. dazu Davies & Harrè 1990: 27).

Berücksichtigen wir neben der darstellenden auch die interaktionslogische Konsequenz der Selbstpositionierung, wie sie Wortham (2000: 8) ausführt, wird noch ein weiterer Vorteil dieser Selbstpositionierung deutlich.

Indem die Referendarin sich als eine Lehrkraft darstellt, der es wichtig ist, im Hinblick auf die Mitarbeit und das schulische Engagement der Schüler:innen auf deren Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen (hier das Bedürfnis der Schüler:innen sich zu artikulieren und sich mitzuteilen), positioniert sie sich gegenüber dem Fachleiter als eine Person, der die Bedürfnisse anderer wichtig sind. Diese Darstellung beeinflusst, so Wortham (2000: 10), die Interaktion mit dem anwesenden Gesprächspartner: …„narrators inevitably also position themselves interactually with respect to their interlocutors.“ Die Positionierung der Referendarin als behutsame und auf die Bedürfnisse der Lerngruppe eingehende Lehrkraft impliziert, dass sie ein entsprechendes Verhalten auch von ihrem Gesprächspartner erwarten kann.

Ähnlich wie Wortham sieht auch Harré diese Verpflichtung mit der Positionierung verknüpft. In allen menschlichen Interaktionsbeziehungen, so Harré, besteht generell die Möglichkeit der Asymmetrie von Macht und Verletzlichkeit:

„…rights are generally taken to be prior to duties. …. If I (we) have a vulnerability that you (they) have the power to remedy, then you have the duty to remedy my vulnerable and I have a right to be the recipient of the exercise of that power.“ (Harré 2012: 197)

Und es ist eben dieses „right-dutie“-Paar, das die Möglichkeiten der folgenden kommunikativen Handlungen zumindest in moralischer Hinsicht begrenzt, wenn auch nicht determiniert. Die moralischen Ansprüche, die für den weiteren Verlauf der UNB eine Rolle spielen, können in Anlehnung an Harré beschrieben werden als eine Folge der impliziten Selbstpositionierung der Referendarin, die ihre Haltung gegenüber der Lerngruppe begründet. Diese Haltung ist diejenige des Respektes vor der besonderen Bedürftigkeit der Schüler:innen. Ihnen gegenüber gälte es als ein Zeichen der Respektlosigkeit, wenn man als Lehrkraft ihre Wortbeiträge nicht würdigen, sondern vorzeitig beenden würde. Mit der Selbstpositionierung als verständnisvolle Lehrkraft beschreibt die Referendarin nicht nur ihre Haltung gegenüber den Schüler:innen und die damit einhergehenden Entscheidungsschwierigkeiten bei der Gesprächsführung. Sie erzeugt damit auch einen „Bedeutungsüberschuss“, der, so Lucius-Hoene & Deppermann (2004b: 172), jenseits der nur darstellenden Funktion dieser Äußerung liegt. „Häufig verweisen sie [die Selbstpositionierungen, A.B.-H.] auf soziale und moralische Deutungshorizonte mit komplexen diskursiven Regeln und Konventionen (wie … auf die Konventionen der Rücksichtnahme und Höflichkeit …).“ (Ebd.)

8.1.3 Positionierung als begeisterte Lehrkraft

Das Lob, mit dem der Fachleiter die Positivrunde der UNB abschließt, bedeutet der Referendarin viel. Als er davon spricht, dass sie in ihrem Unterricht „…sichtlich Spaß hat“ (Z. 323), greift sie seine Worte auf und verlängert das Lob. Wie in Abschn. 7.3.3 dargestellt übernimmt die LAA an dieser Stelle die Sprecherrolle und führt neben der Bestätigung seines Lobes weiter aus, wie diese vom Fachleiter wahrgenommene „Freude“ am Unterricht (Z. 325) sie dabei unterstützt, die Mühen und Anstrengungen der Referendarzeit ertragen zu können.

Die Konsequenzen dieser expliziten Fremd- und Selbstpositionierung sind im Hinblick auf die damit verbundenen Ansprüche und Attribute der Referendarin zu verstehen, die sie im Gefolge dieser Positionierung erheben kann. Zunächst einmal bestätigt die Referendarin die positive Einschätzung des Fachleiters durch die Aufnahme des Lobes. Darüber hinaus wird in dieser Sequenz noch ein weiterer Aspekt von der LAA ins Spiel gebracht. Die Freude, die der Fachleiter in dieser gezeigten Unterrichtsstunde beobachtet hat, ist für die Referendarin die notwendige Motivation, die sie benötigt, um die Anstrengungen des Referendariats zu ertragen. Im Zusammenhang mit den von ihren benannten Vorbereitungen für diesen Unterrichtsbesuch („gestern Abend …. ne halbe Stunde länger …“, Z. 331) gelangt damit ganz konkret die Belastung auch für diesen speziellen UB mit dem anwesenden Fachleiter in den Blick. So werden insgesamt zwei Vorteile der ratifizierten Fremdpositionierung „Spaß am Unterrichten“ erkennbar:

Zum einen wäre es ausgesprochen schwierig, angesichts ihrer Begeisterung am Unterrichten der Referendarin den Spaß (Fremdpositionierung) bzw. die Freude (bestätigte Fremdpositionierung) dadurch zu nehmen, dass man ggf. mit einem konfrontativen Aufzeigen von Fehlern oder Korrekturen diese Freude schmälern würde und damit womöglich ihre günstige Motivationslage für die Ausbildung veränderte. Der Fachleiter, der den Unterricht zu bewerten hat, hat dabei zudem zu bedenken, wie viel Mühe sie die Planung gekostet hat und dass sie diese Mühen nur aufwenden konnte, weil sie die beobachtbare Freude am Unterrichten verspürt.

Zum andern kann im Gefolge einer erfolgten Positionierung generell davon ausgegangen werden, dass es im Falle einer Selbstpositionierung einen erheblichen Gesichtsverlust bedeuten würde, falls diese Positionierung revidiert würde.

Würde also auf das hier vorliegende Aufgreifen der Fremdpositionierung des Fachleiters (die Referendarin hat Spaß am Unterrichten) mit der erfolgten Verlängerung des Lobes als bestätigte Fremdpositionierung der Referendarin (Freude am Unterrichten) eine Korrektur oder Ablehnung erfolgen, so wäre dies im Hinblick auf die Art und Weise, wie diese Positionierung von der Referendarin formuliert wurde, ein besonders eklatanter Gesichtsverlust. Stoltenburg, der in seiner Arbeit (2009) über mögliche Formen der Distanzierung in Interaktionen arbeitet, betont, dass es in Gesprächen vor allem darum gehe, „interaktionsrelevante Konfliktherde zu entschärfen“Footnote 3. Mit Bezug auf Goffman stellt Stoltenburg fest, dass in jeder Interaktion die Imagepflege fortwährend und von allen Beteiligten berücksichtigt werden muss: „Die Wahrung des fremden und des eigenen face ist etwas, das uns beständig herausfordert“ (ebd.: 264). Als Begründung für die sog. „face-work“ (ebd.) zitiert Stoltenburg Goffman,

„daß man mit jeder noch so trivialen oder allgemeinen Behauptung oder Mitteilung, die man freiwillig anbietet, sich und denen, die man anspricht, verpflichtet ist und in gewissem Sinn bringt man jeden Anwesenden in Gefahr.“ (Goffman 1986: 44)

Die von Stoltenburg untersuchten Strategien, die das Gesichtsverlustrisiko minimieren sollen, stehen in einer hierarchischen Ordnung von „positive politeness“ (der Ausdruck von Solidarität und Anerkennung), „negative politeness“ (der Ausdruck von Zurückhaltung), bis zur „off-record politeness“ (die Umgehung unmissverständlicher Zumutungen oder Gesichtsbedrohungen). Am Ende der Skala wäre dann schließlich noch die unabgeschwächte „on-record“ Strategie – die allerdings nicht mehr viel mit Höflichkeit zu tun hat, „da sie die gesichtsbedrohende Handlung unmissverständlich, unzweideutig und direkt ausführt“ (ebd. : 265).

Die Ergebnisse aus der Rekonstruktion der Positionierungsarbeit der Referendarin zeigen, dass die wechselseitige Beeinflussung von Positionierungen in einer Interaktionsbeziehung deutlich komplexer zu verstehen ist, als es die Beschreibung als Aushandlungsprodukt andeutet. Als Gegenstand eines wechselseitigen Prozesses erscheint die Zurückweisung oder Korrektur einer Selbstpositionierung nicht immer unproblematisch (vgl. Lucius-Hoene & Deppermann 2004b). Die Autoren weisen darauf hin, dass es für „disaffiliative Reaktionen gerade auf vorgenommene Positionierungen (…) Regeln der interaktiven Etikette und Vorsicht“ (ebd.: 171) gebe, „die es gebieten, Ansprüche und Zuschreibungen in einer indirekten und nicht belangbaren,“ (ebd.) Art und Weise zu formulieren.Footnote 4

In Anlehnung an Goffman ist dieser Hinweis auf die nötige Etikette vor allem beim Umgang mit Positionierungen des Gesprächspartners wie Lehramtanwärter:innen wichtig, von denen man weiß, wie belastend für sie die Rückmeldungen nach Unterrichtsbesuchen sind.

8.1.4 Positionierung als wissbegierige Lehrkraft

Neben den eigenen Positionierungen der LAA als erfolgreiche, moralisch handelnde und begeisterte Lehrkraft, wird auch erkennbar, dass die Referendarin ein deutliches Interesse am eigenen Lernfortschritt für ihre Ausbildung zeigt. So reagiert sie auf die fachsprachliche Bündelung ihres Beratungswunsches seitens des Fachleiters nicht mit einer schlichten Akzeptanz. Nach seiner Reformulierung in Z. 196 „also Theorie meinen Sie diese Unterscheidung zwischen //Argument und Belegen. ne\(\uparrow\)“, in der er sein sprachliches Angebot macht, wiederholt sie ihr Anliegen und schärft es inhaltlich noch einmal aus. Dabei benennt sie ihren momentanen Kenntnis- und Wissensstand in Z. 211: „fällt mir bei theoRIE halt SCHWErer als wenn es jetzt wirklich inhaltlich ist.“ Ihr ist in diesem Moment noch nicht verständlich, in welcher Weise der bisher erreichte Kenntnisstand der Schüler:innen weiter zu vertiefen ist. In der Erarbeitungsphase haben die Lernenden zwar verstanden, verschiedenen sprachlichen Äußerungen die Begriffe „Argument“ und „Beleg“ zuzuordnen. Aber das Verfahren, das ihr im Umgang mit literarischen Texten vertraut ist, nämlich mit der Konstruktion eines kognitiven Konfliktes bisherige Erkenntnisse am Stundenende noch einmal zu vertiefen – zum Beispiel dadurch, dass eine kontrastive Textstelle zu den bisher erarbeiteten Text herangezogen wird und die bisherigen Ergebnisse damit noch einmal kritisch reflektiert werden können – kann sie auf den hier zu behandelnden „theoretischen“ (vgl. Z. 211) Unterrichtsgegenstand noch nicht übertragen. Die LAA verweilt lange bei der Darstellung ihres Beratungswunsches. Sie stellt noch einmal den für sie wichtigen Beratungsaspekt vor (Z. 199) „und wie man jetzt da. und das“, wird dabei sogar vom Fachleiter in Z. 202 (mhmhm) und Z. 207 „ja okay ↑“ wiederholt unterbrochen. Doch sie lässt sich hier nicht beirren und in Z. 209 – 211 führt sie nochmals ihr Anliegen aus:

Tabelle 8.1 Wiederholung des Anliegens (vgl. auch Tabelle 7.5)

Angesichts der Vielzahl der Wiederholungen und sprachlichen Ausschärfungen dieses Beratungswunsches kann bei der Beharrlichkeit, mit der die LAA ihr Anliegen vorbringt, davon ausgegangen werden, dass ihr konkreter Ausbildungswunsch im Vordergrund steht. Sie ist sehr daran interessiert, dass der Fachleiter dieses Anliegen gut versteht und ihr dabei weiterhilft. Mit dieser Strategie hat sie auch zum Teil Erfolg, da der Fachleiter an dieser Stelle selbst innehält und einräumt, dass er zunächst einmal Zeit brauche, um ihre Frage zu beantworten. Was in dieser Sequenz deutlich wird, ist, dass die LAA neben ihren bisherigen Positionierungen als erfolgreiche und umsichtige Lehrerperson hartnäckig Beratung einfordert und sich damit als eine Auszubildende positioniert, die klar benennt, wo ihre Defizite liegen.

Mit ihrem Beratungswunsch „Umgang mit Schüleräußerungen“ nennt die LAA ihren bisherigen Ausbildungsstand: „ich glaub das ist bei mir immer das problem das ich sie IMmer son bisschen raten lasse dann“ (Z. 383 f.). Auch hier besteht die Strategie der LAA nicht darin, die eigene Unkenntnis zum Umgang mit Schüleräußerungen etwa zu umgehen, unerwähnt zu lassen oder gar zu vermeiden. Gezielt fragt sie auch hier nach Unterstützung und Beratung.

Die vom Fachleiter erteilten „Tipps“, die beispielsweise den Umgang mit der Lernzeit betreffen, quittiert die LAA mit knappen Antworten „ja“ und „mhm“ (Z. 457 und 460) und hält diese unterstützenden Hinweise in ihren Notizen schriftlich fest.

Als ein weiteres Indiz ihrer Unterstützungsbereitschaft kann gelten, dass die LAA mit einer bestätigenden Antwort gleich am Anfang der UNB die Korrektur des Fachleiters bezüglich einer fachsprachlichen Ungenauigkeit quittiert. Das, was von der LAA als „Methoden“ zuvor bezeichnet worden war, gilt aber als „Sozialform“ (Z. 249). Das Antwortsignal zu dieser Korrektur „\(\hat{A}\) h j \(\mathop a\limits^{ \vee }\)“ (Z. 250) zeigt ihre positive Reaktion zu der Korrektur der Fachsprachenverwendung (s. S. 138). Sie akzeptiert ohne Umschweife und ohne Abwehrstrategie ihren Erkenntniszugewinn.

Und schließlich ist bei allen Bemühungen ihrem Beratungswunsch „Abbruch von Schüleräußerungen“ die inhaltliche Schärfe zu nehmen und mit vielen Reformulierungen davon abzulenken, dass sie in diesem Fall Schüleräußerungen „abwürge“ (Z. 130) doch festzuhalten, dass sie zwar immer wieder ihr Anliegen neu formuliert, reformuliert, aber eben nicht verschweigt.

So kann man erkennen, dass die Referendarin in dieser UNB sehr darauf bedacht ist, dazuzulernen. Sie sucht Beratung, vergewissert sich dabei an mehreren Stellen, dass ihr Anliegen richtig verstanden wird und betont deutlich, dass ihr gewisse Schwierigkeiten beim Unterrichten (Umgang mit Schüleräußerungen) immer wieder begegnen. Insgesamt positioniert sie sich damit als eine wissbegierige Auszubildende, die einerseits die eigenen Stärken darstellt, aber allemal auch ihre Schwächen kennt und ihren Beratungsbedarf aufzeigt.

8.2 Positionierungen des Fachleiters

Ging es bisher vor allem darum, die Positionierungsstrategien der Referendarin als Auszubildende innerhalb der UNB zu untersuchen, muss bei der Untersuchung des Fachleiterhandelns davon ausgegangen werden, dass bei seiner Positionierung als Ausbilder andere Aspekte in den Vordergrund treten.

Für das Ausbildungsverhältnis zwischen Fachleitung und LAA erscheinen vor allem die Gesprächsgegenstände problematisch, die Kritisches innerhalb der Ausbildung der Referendarin in den Blick nehmen oder Darstellungen der LAA widersprechen. Gerade an diesen sensiblen Stellen sollte mit einer Positionierung des Fachleiters zu rechnen sein.

8.2.1 Die UNB als gemeinsamer Diskurs

Betrachtet man die Formulierungen, mit denen der Fachleiter eigene Themen in das Beratungsgespräch einbringt, fallen, wie in Kapitel 7.5.1 und 7.5.2 gezeigt, zunächst die Wahl der Pronomen auf. Der Fachleiter spricht immer wieder von „wir“ (so in Z. 150) als gemeinsamer Sprecherdeixis. Weitere Beispiele für das „Sprechergruppenplural“ (Zifonun 1997: 940, s. auch Abschn. 7.4) finden sich in Z. 245: „…wir können uns ja noch eine Sache angucken“, Z. 287: „das gucken wir uns gleich mal an, ne? (Z. 287), „sollen wir dann mal gucken?“ (Z. 340).

Die Wir-Formen, bei denen die Anwesenden (also die LAA und der Fachleiter) zu einer Sprechergruppe gefasst werden, signalisieren Gemeinsamkeit und inhaltliche Nähe zwischen den Sprechern.

An einer Stelle weicht der Fachleiter allerdings von der gemeinsamen Sprecherdeixis ab. Als die Referendarin behauptet, „und dann ist mir eben AUch . nicht SO was eingefallen“(Z. 229), wird diese Äußerung vom Fachleiter korrigiert. Er wechselt hier den Numerus des Personalpronomens, aus dem „wir“ wird ein „ich“ (Z. 231: „IDEE HAB ich dazu - …“). Damit positioniert er sich als Fachleiter, der zum geäußerten Beratungswunsch der Auszubildenden sehr wohl einen inhaltlichen Input geben kann.

Die Korrektur des „wir“ zum „ich“ vollzieht er ausgesprochen sensibel. Er benutzt nach einem kurzen Hinweis, dass er zumindest eine Idee für ihr Anliegen habe, sofort wieder das „wir“ in „können wir gleich gucken“(Z. 231) und auch durch weitere sprachliche Signale wie das Adverb „zusammen“ (Z. 236) wird angedeutet, dass die UNB weiterhin als ein gemeinsames Betrachten und Reflektieren der gezeigten Unterrichtsstunde gelten soll.

Ergänzend zu dem „wir“, das beide Anwesenden dieser UNB als Sprechergruppe bezeichnet, wird dieser Plural bei einer anderen Gelegenheit auf die Gruppe der Ausbilder ausgeweitet: „wir nennen das dann so // Ostereiersuchen, ne?“ (Z. 385). Einen ähnlichen Hintergrund hat die Erwähnung anderer Sprecher in Z. 543: …„ich hab mit der nicht-anwesenden Frau Bührig-Hollmann . mh . ganz kurz mal . gesprochen…“. In dem Gespräch, auf das er sich hier bezieht, ging es inhaltlich darum zu klären, inwiefern man über das Stundenlernziel der Referendarin hinaus den Lernertrag vergrößern könnte.

Gemeinsam ist den gewählten wir-Formen, dass bei der Formulierung eines Standpunktes, der neu oder sogar im Kontrast zu den bisherigen Gesprächsinhalten zu verstehen ist, auf eine Co-Autorenschaft (auch außerhalb der anwesenden Sprechergruppe) verwiesen wird. Damit positioniert sich der Fachleiter nicht als Einzelperson, die in eine inhaltliche Distanz gerät, sondern er bezieht andere (Ausbilder:innen) in die Sprechergruppe ein.

Die Positionierung als Mitglied einer Sprechergruppe gilt im Kontext ihres Auftretens als Beziehungskonstruktion. Beziehungen schaffen in Gesprächen, und das ist schon mit Watzlawicks Axiomen deutlich beschrieben, die Voraussetzung dafür, dass Kommunikation überhaupt gelingen kann. Beziehungen sind so bedeutsam, weil Kommunikationsverläufe aus mehreren Gründen gefährdet erscheinen. Sie gelten schon als störanfällig bezügliche der Polyvalenz ihrer sprachlichen Zeichen. Darüber hinaus wiegt aber vor allem die Unterschiedlichkeit der persönlichen Interessen, vor allem auch die unterschiedlichen Ansprüche eigener und fremder Positionierungen, schwer beim Zusammenspiel der Interagierenden. Gerade unterschiedliche Anforderungen, wie sie bei der beabsichtigten Selbstpositionierung der Referendarin und dem komplexen Aufgabengefüge des Fachleiters zu beobachten sind, erschweren den reibungslosen Gesprächsverlauf.

Eine unterstellte gemeinsame Sprechergruppe, die mit der wiederholten Verwendung des Personalpronoms in der 1. Person Plural konstituiert wird, unterstützt das komplexe Kommunikationsgeschehen, sodass auch „widersprüchliche Anforderungen balancierend“ (Zifonun 1997: 940) ausgeglichen werden können. Die Entlastung des Interaktionsverhältnisses durch die Stabilisierung des Beziehungsgefüges scheint für den Fachleiter vorteilhaft zu sein.

8.2.2 Semantische Herabstufungen – Tipps und andere Nebensächlichkeiten

Unterstützt wird die Beziehungsarbeit innerhalb der UNB auch durch die Herabstufung vorzubringender Kritik oder Korrektur. Eine erste semantische Herabstufung erfolgt an der Stelle, als sich der Fachleiter, wie oben (in 8.2.1) gezeigt, für einen kurzen Moment aus der Sprechergemeinschaft mit der Referendarin verabschiedet und damit ihrer Fremdeinschätzung widerspricht. Er behauptet zum Beratungswunsch der Referendarin eine Idee zu haben, die sie sich im weiteren Verlauf des Gespräches „gleich anGUCken“, sie gemeinsam „durchsprechen“ und „überlegen müssen“ (Z. 231 – 239). Die Aufzählung der verschiedenen, gemeinsam durchzuführenden Tätigkeiten verfolgt den Zweck, zu klären, ob die angekündigte Idee des Fachleiters tatsächlich vor dem Hintergrund des Beratungswunsches des LAA tragfähig ist. Damit wird diese Idee wieder zur Disposition gestellt und die weitere Beratung steht nicht schon zu diesem Zeitpunkt unter dem Eindruck, dass eine Korrektur erfolgen wird.

Eine weitere Form der semantischen Herabstufung lässt sich in den Gesprächsausschnitten erkennen, in denen das Gespräch bei der Verwendung von Regiefragen an die Referendarin ins Stocken gerät. Da auf die Regiefrage wie „was können sie da ↑machen↓“ (Z. 449) keine Antwort folgt, ist der Fachleiter im Anschluss an diese Frageform gefordert, die Antwort auf seine Frage selbst zu geben. An dieser Stelle könnte seine Strategie, eine möglichst gemeinsame Rückschau auf die gezeigte Stunde zu etablieren, gefährdet sein. Daher fällt seine Antwort auf diese Frage sprachlich nicht als deklarierte Antwort aus, sondern er bezeichnet den Inhalt dieser Antwort als „Tipp“ (Z. 456, 458). Die Verwendung von „jemandem einen Tipp geben“ hat hinsichtlich der Beziehung vom Tippgeber zum Tippempfänger eine andere Beziehungskonstellation zu Folge als die zwischen einem Fragendem und dem Antwortgeber. Die hier verwendete Wortwahl bietet den Vorteil, dass der Tipp als recht bescheidener Hinweis gelten kann und damit nicht, wie eine erteilte Antwort, auf ein Nicht-Wissen hinweist. Die Ausklammerung des nicht vorhandenen Wissens, das eigentlich im Zuge einer Ausbildungssituation zu erwarten ist, gehört offenbar zum „Sprachspiel“ der UNB. Es schützt damit auch die Positionierung der Referendarin, die damit nicht als Anfängerin oder Nichtwissende erscheint. Gleichzeitig wird damit die Positionierung als Ausbilder weniger konturiert, da seine Hinweise auf Augenhöhe mit der Referendarin formuliert werden.

8.2.3 Die Weg-Metapher in der UNB

Mit dem Lob, das der Fachleiter der Referendarin zugesteht, wenn er ihr gegenüber äußert, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt ihrer Ausbildung „auf `nem völlig richtigen weg“ (z. 336) befinde, spricht er in allgemeiner Form ihren Ausbildungsstand an. Betrachtet werden im Folgenden die versteckten Implikationen, die mit der verwendeten Metaphorik anklingen.Footnote 5

Die Weg-Metapher, die im Kontext ihres Auftretens veranschaulicht, wie der Fachleiter den Ausbildungsstatus der Referendarin einschätzt, markiert eine inhaltlich bedeutende Stelle. Entscheidend ist dabei, dass mit der Metapher, dass sich Auszubildende „auf einem Weg befinden“, bestimmte Implikationen verbunden sind, die handlungssteuernd auf die Gestaltung und den Ablauf der Ausbildung und damit auch auf die UNB wirken und die deshalb das besondere Forschungsinteresse verdient haben. In den Worten Kruses (2015:) verweisen „metaphorische Wahlen“ der Sprecher auf der semantischen „Aufmerksamkeitsebene“ auf die subjektiven Bedeutungskonstruktionen der Interagierenden, die unbedingt berücksichtigt werden sollten (ebd.: 473).

Die Weg-Metapher verwendet der Fachleiter in dieser UNB insgesamt 28 Mal. Die kontextuelle Einbindung der WEG-Metaphorik innerhalb dieser UNB kann verschiedenen inhaltlichen Bereichen mit unterschiedlichen Ableitungen zugerechnet werden.

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  1. 1.

    Das konkrete Unterrichtsgeschehen beschreibt der Fachleiter innerhalb dieses Gespräches mit Ausdrücken wie z. B. „wie wichtig war Ihnen der UMGANG mit Schüleräußerungen“ (Z. 162), „Wo ist jetzt hier noch Gruppenarbeit“ (Z.514) oder das Ganze „zerLIEF“ am Ende der Stunde (Z. 703). Auch bei beratenden Aspekten zum Unterrichtsgeschehen wird das Weg-Konzept vom Fachleiter verwendet. So beispielsweise bei Hinweisen zum Umgang mit Schüler:innen: „Wo lass ich Schüler selbständig arbeiten“ (Z. 400) oder „Sie sollten den Schülern Raum geben“ (Z.353).

  2. 2.

    Eine andere Ableitung von WEG bezieht sich auf die UNB selbst, wie etwa in „wir beginnen jetzt mit unsere positive RUNDE“ (Z. 258), ich „überlege, WO ich anfangen soll (Z. 264), „das FÜHRT mich jetzt“ (Z. 523) zu einem neuen Aspekt oder „ich mache einen Vorschlag, dem müssen sie nicht FOLGEN“ (Z. 529).

  3. 3.

    Ein dritter Bereich bezieht sich auf die Ausbildungssituation, konkret auf die bewertenden Aspekte des Fachleiters hinsichtlich der gezeigten Unterrichtsstunde der LAA bzw. der hier sichtbar gewordenen ausbildungsrelevanten Eigenschaften der Lehrerpersönlichkeit. Ausdrücke wie „Sie stehen mit beiden Beinen auf’m Boden“ (Z. 268 f.), „sie sind den Schülern zugewandt“ ( Z. 270), „Das sind schon ganz grundlegende Dinge“ (Z. 317) oder „wie Sie Ihre Frau gestanden haben“ (Z. 318) führen schließlich zu der allgemeinen Aussage: „Da sind Sie auf ´nem völlig richtigen WEG“ (Z. 336). Mit dieser letzten Aussage bündelt der Fachleiter die positiven Eigenschaften und Fähigkeiten der Referendarin als Abschluss der „Positivrunde“.

Wenn davon ausgegangen wird, dass Ausbildung bedeutet, eine WEG-Strecke zurückzulegen, dann beinhaltet dieser Ausdruck mehr als nur eine Versinnbildlichung einer Äußerung, sondern es besteht ein komplexes Gefüge von sich gegenseitig bedingenden Annahmen, die ein mehrschichtiges Konzept von Ausbildung umfassen. Wir können erkennen, dass im Zusammenhang mit der Weg-Metaphorik „AUSBILDUNG IST EIN WEG“Footnote 6 nicht nur so geredet wird, als ob sich jemand auf den Weg macht, sondern wir können davon ausgehen, dass mit der WEG-Metapher die Ausbildung konzeptionell in Kategorien des Weges gedacht wird.

Wenn jemand sich diesem Weg aussetzt, muss er tatsächlich auch gewisse Voraussetzungen mitbringen, um die Anforderung der Reise bewältigen zu können.

Für die Referendarin, die „mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht“, bedeutet dies eine günstige Voraussetzung für die Wanderung. Man kann hier an das richtige Schuhwerk denken, das jemand besitzt und das einen festen Schritt ermöglicht, so dass man bei Unwegsamkeiten nicht ins Rutschen oder Wanken gerät. Im Kontext der Lehrtätigkeit kann das bedeuten, dass die Lehrkraft ihre Bodenständigkeit dadurch unter Beweis stellt, dass sie die Anforderungen des Schulalltags kennt und realistisch und pragmatisch ihren Unterricht plant und durchführt. Schwierigkeiten, die sich etwa in der Durchführung auftun, werden gemeistert. So gelang es der Referendarin, die am Stundenende unruhig werdenden Schüler:innen wieder zu einem Stundenabschluss zu führen. Sie ließ sich von der beobachteten und vom Fachleiter auch bemängelten Unstrukturiertheit des Stundenendes nicht verwirren und konnte das Unterrichtsgeschehen souverän beenden.

„Ihre Frau gestanden haben“ ist eine Äußerung, die die Fähigkeit beschreibt, bei Schwierigkeiten nicht etwa umzufallen oder vom Weg abzukommen. Im Schulalltag wäre hier an unangemessene Reaktionen zu denken wie etwa Sprachlosigkeit oder Handlungsunfähigkeit, wenn man merkt, dass die eigene Planung sich nicht durchführen lässt. Stattdessen ist diese Referendarin „präsent geblieben“ und hat aus der Wahrnehmung der aktuellen Situation neue Reaktionen und Handlungsweisen konzipieren können, sodass die Situation nicht in einem Abbruch enden musste.

Die Fähigkeit, „den Boden nicht unter den Füßen zu verlieren“, ist angesichts der Unvorhersehbarkeiten des Schulalltags eine wichtige Voraussetzung, die vor allem auch während der Ausbildungszeit für die LAA wichtig ist, wenn zu der Führung unterschiedlicher Lerngruppen noch die Belastungen der eigenen Ausbildung hinzukommen.

Eine ähnliche Qualität scheint die Äußerung in den Blick zu nehmen, wenn es heißt, dass das beobachtete Lehrerverhalten sich dadurch auszeichnet, dass schon am Anfang der Ausbildung „ganz grundsätzliche Dinge“ (Z. 317) gut gelingen. Ohne diesen Grund, der als Basis der Reise beschrieben werden kann, könnten andere Dinge der Reise gar nicht erst zur Sprache kommen. Wenn das Lehrerverhalten ohne eine sichere Basis auskommen müsste, dann müsste auch die Beratung auf einer ganz anderen Ebene ansetzen. Dann müsste beispielsweise die Proxemik im Klassenraum, die eigene Stimme, die Körperhaltung, vielleicht auch die Kleidung und Selbstdarstellung der Referendarin zunächst besprochen und ggf. korrigiert werden, damit die Schüler:innen die Auszubildende überhaupt als Lehrkraft akzeptieren können.

Wenn der Fachleiter feststellt, dass die Referendarin den Schüler:innen stets „zugewandt“ sei und „auf sie eingehe“ (Z. 270 + 271), beschreibt er die Beziehung, die die angehende Lehrkraft zu ihrer Lerngruppe herstellt und die sich offenbar lernförderlich auf die Schüler:innen auswirkt. Im übertragenen Sinne ist hier die positive Nähe zur Lerngruppe angesprochen, die man am Verhalten der LAA erkennen kann, wenn sie aus Respekt vor der Mitteilungsbedürftigkeit einzelner Schüler:innen diese nicht unterbrechen will. Sie gibt den Schüler:innen „Raum“ (Z. 353) für ihren Erfahrungsaustausch, vor allem dann, wenn sie sie „offen“ (Z. 348) fragt. Die vom Fachleiter beobachtete Konsequenz dieser Beziehungsarbeit besteht in der Reaktion, die die Schüler:innen auf dieses Verhalten der LAA zeigen: die Schüler:innen werden ihr „immer folgen“ (Z. 336). Mit der Nähe zu den Schüler:innen sind viele Faktoren, die das Unterrichten erschweren könnten, schon minimiert, wenn nicht gar beseitigt und die LAA kann sich damit auf andere Aspekte in ihrer Ausbildung konzentrieren.

Wenn der Fachleiter der Referendarin zugesteht, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt ihrer Ausbildung „auf `nem völlig richtigen Weg“ befindet, so spricht er damit ein Lob im oben dargestellten Sinn aus. Betrachtet werden nun weitere semantische Implikationen, die mit der verwendeten Metapher anklingen.

Eine inhaltliche Implikation der WEG-Metapher liegt in der nicht vorhandenen Ausgerichtetheit des Weges. Der Weg setzt sich aus der Abfolge der Schritte zusammen, entsteht also erst während des Gehens. Das bedeutet, dass es in dieser Lesart nicht darauf ankommt, einem bereits bestehenden Weg zu folgen, sondern ihn beim Gehen erst zu entdecken. Würde eine bereits bekannte Wegstrecke vorliegen, den Auszubildende einfach abzuschreiten hätten, dann könnten sie bei Problemen Nachfragen zur Route stellen und würden die passende Antwort erhalten. Diese Möglichkeit aber scheint ausgeschlossen zu sein, weil es eben für Unterricht keine „Rezepte“ (Z. 395) gibt.Footnote 7 Das bedeutet für die Ausbildungsstrecke, die zurückgelegt werden soll, dass die Auszubildenden auf sich gestellt sind.

„Wie das Fremdsein ist das Alleinsein eine unumstößliche Kategorie des Reisens. Man reist allein, auf sich gestellt, ohne Besitz, ohne Versicherung, mit leeren Händen, nur mit dem Behälter, in dem die Erinnerungen und Erfahrungen versorgt werden.“ (Schmidt 1998: 26 f.)

Während der zweiten Ausbildungshälfte bedeutet dieses Fremd- und Alleinsein – zumindest für die Ausbildung im ZfsL – dass hier keine direktiven Vorgaben oder konkrete Anleitungen von den Ausbilder:innen für den eigenen Unterricht zu erwarten sind.Footnote 8 Ganz deutlich formuliert dies der Fachleiter in dieser UNB, wenn er als Reaktion auf den Beratungswunsch der LAA „Umgang mit Schüleräußerungen“ erwidert: „n/ein allgemeines Rezept möchte ich Ihnen da nicht geben können“ (Z. 395) und weiter: „Dat ist immer son ne Abwägungssache, ne?“ (Z. 398). Hier verwendet der Fachleiter als Abgrenzung und als Gegenentwurf einen neuen Bildbereich – den des Kochens oder vielleicht den der Arzneirezeptur. In diesem Bereich des Zubereitens wird nach Rezepten mit genauen Angaben verfahren, die Zutaten werden sorgfältig abgewogen und dem Produkt zugemischt. Das Rezept beschreibt außer den Zutaten noch die Zubereitungsweise, teilt diese ein in einzelne Handlungs- und Verfahrensschritte, die je nach anvisierter Leserschaft unterschiedlich anschaulich dargestellt werden.

Das Einzige, was auf dieser Reise für den Außenstehenden, den „Beobachter“ (Z. 514) wie sich der Fachleiter hier selbst bezeichnet, denkbar erscheint, um die Selbstständigkeit der Reise nicht zu gefährden, sind gelegentlich „Tipps“ zu formulieren, die der Reisende auf seinem Weg annehmen oder auch verwerfen kann, je nachdem, wie sinnvoll sie ihm auf seinem Weg erscheinen. Die Verantwortung liegt ganz beim Gehenden oder Reisenden selbst. Zwar könnte man überlegen, ob sich die Referendar:innen so, wie es das obige Zitat über das Reisen besagt, wirklich so allein und tatsächlich ohne Besitz auf den Weg machen. Immerhin haben sie während der ersten Ausbildungsphase an der Hochschule Kenntnisse erworben, die ihnen jetzt in der zweiten Ausbildungsphase zur Verfügung stehen sollten.

An dieser Stelle soll keine Diskussion über die Verzahnung der Ausbildungsphasen geführt werdenFootnote 9. Es soll nur in Erinnerung gebracht werden, dass Referendar:innen die Ausbildung als einen „Sprung ins kalte Wasser“ bezeichnen. Auch wenn damit eine etwas andere Art der Fortbewegung als das Gehen auf einem Weg angedeutet wird, geht es doch auch bei diesem Bild darum, plötzlich allein und ohne fremde Hilfe auskommen zu müssen – Wandern und Schwimmen bedeutet in jedem Fall, auf sich gestellt zu sein, nur dass beim Wandern der Weg vielleicht länger ausfällt und das Ziel nicht schon an der nächsten Uferböschung oder am nächsten Beckenrand wartet.

8.3 Zentrale Positionierungen

Wenn man, wie in Kapitel. 6.2 dargestellt, davon ausgeht, dass Gespräche als soziale Interaktionen zu betrachten sind, die sich gerade dadurch auszeichnen, dass die Beteiligten ihre jeweilige Position in diesem Geschehen wechselseitig aufeinander ausrichten, dann soll an dieser Stelle gezeigt werden, wie sich die hier dargestellten Positionierungen der Referendarin und des Fachleiters zueinander verhalten.

Im Sinne einer idealen gemeinsamen Positionierungstätigkeit würde auf die Positionierung eines Sprechers ein anderer diese Position akzeptieren, indem er in entsprechender Weise darauf reagiert. Also würde beispielsweise in einer typischen Prüfungssituation der Prüfende eine Frage stellen, die der Prüfling beantworten würde. Beide hätten dann die Position des jeweils anderen akzeptiert und das Prüfungsgespräch würde ohne Irritationen bezüglich der vorgenommenen Positionierung seinen Lauf nehmen. Einfach wäre dieser Fall nicht nur hinsichtlich der wechselseitigen Akzeptanz der eingenommenen Positionen als Prüfer bzw. Prüfling. Es wäre auch insofern eine einfache Form der Positionierung, als hier nach Wortham (2000: 166) nur eine interaktionslogische Positionierungsebene vorläge, bei der eine Positionierung von Sprecher A (Prüfer) von Sprecher B (Prüfling) ratifiziert wird und die Position von Sprecher B mit der von A kompatibel ist.

Anders als in dem idealisierten Prüfungsgespräch kann es noch zu weiteren Positionierungsebenen kommen, beispielsweise als biographisch narrativer Einschub innerhalb eines Gespräches. Diese Äußerungen auf der Darstellungsebene haben die Funktion, dem Gegenüber anzuzeigen, wie man als Sprecher gerne gesehen werden will. Darstellungen in diesem Sinne können wie im Fall der UNB auch von außen, vom Gesprächspartner, veranlasst werden. In diesem Fall sprechen Langhove und Harré (1999: 26) (vgl. Kapitel 6.2) auch von „forced self-positioning“.

In der UNB ist diese Darstellungsebene schon von vornherein angelegt, da die geforderte Rückschau auf die gezeigte Unterrichtsstunde die anwesenden Referendar:innen (auch) als Objekt der eigenen Darstellung konstruiert. Neben der Einstiegssequenz, die sich vor allem an den Anforderungen der OVP für die Stundenreflexion anlehnt, ist auch an anderen Stellen der UNB zu erwarten, dass die Referendar:innen die Gelegenheit benutzen werden, Darstellungen der eigenen Person oder des eigenen Handelns im Verlauf des Gesprächs anzubringen. Diese Art der Darstellung, die nicht dem Interaktionsgeschehen im engeren Sinn in seinen Vorschlägen und Repliken zuzurechnen ist, sondern als Darstellungssequenzen darüber hinaus eher einen neuen Erzählraum eröffnen, können als besonders markante Gesprächsteile gelten, in denen die Selbstpositionierung eine prominente Rolle spielt.

8.3.1 Die LAA als ein Ausbildungstyp nach Košinár

Das Lob des Fachleiters am Ende der Positivrunde (vgl. Kapitel 8.1.3) bestätigt die Referendarin, indem sie seine Fremdpositionierung als begeisterte Lehrkraft aufgreift und deutlich ratifiziert. Sie geht an dieser Stelle im Gespräch noch einen Schritt weiter. Nach dieser Ratifizierung setzt sie zu einem neuen Gedanken an. Sie stellt im Folgenden dar, wie wichtig für sie die Freude am Unterrichten ist, um die Mühen der Ausbildung überhaupt ertragen zu können.

In dieser kurzen Sequenz, in der die Referendarin einen eigenen Darstellungsraum erschließt, wird deutlich, mit welcher Aufwertung sie sich hier positioniert. Ihr macht die Arbeit mit den Schüler:innen Spaß, dafür muss sie sich gut vorbereiten und als Reaktion auf die erfolgte Vorbereitung kann sie eine gute Mitarbeit und Engagement bei den Schüler:innen „…es ist was angekommen“, (Z. 335) beobachten.

Neben dieser darstellenden Positionierung finden sich, wie in Kap. 8.1 schon gezeigt wurde, weitere Hinweise für die positive Positionierung der LAA. Es fällt dabei auf, dass die Positionierungen sich nicht nur auf die Darstellung und Betonung des eigenen Erfolgs bemessen. Vielmehr wird gerade auch in der Art und Weise, wie die LAA in dieser UNB ihre Beratungsaspekte vorträgt, erkennbar, mit welchem Interesse sie in dieser UNB neben dem möglichst positiven Eindruck, den sie beim Fachleiter hinterlassen will, auch ihre eigene Professionalisierung vorantreiben will. Dabei agiert sie aktiv und zielstrebig. Dieses Ergebnis wird im Folgenden in Zusammenhang mit der neueren Professionalisierungsforschung gestellt.

In ihrer empirisch-rekonstruktive Studie zur Lehrer:innenprofessionalisierung verfolgt Košinár die Frage

„ob und inwiefern die Referendar/innen mit den Anforderungen gewachsen sind, also im Anforderungsbearbeitungsprozess Professionalität entwickeln konnten und welche institutionellen Einflussfaktoren und individuellen Strukturen dafür von Bedeutung waren“ (2014: 18).

Als Ergebnis ihrer komparativen Analyse ergeben sich zwei Vergleichsdimensionen, die als zentrale Strukturmerkmale von Ausbildungsprozessen innerhalb des Referendariats gelten können:

  1. 1.

    Das „Verhältnis [der Referendar:innen, A.B.-H.] zu den Ausbilder/innen und die Einschätzung der Rahmenbedingungen an den Ausbildungsinstitutionen“ (ebd.: 208) wird als Passung von Ausbildungsmerkmalen beschrieben. Die Passungserwartung als Strukturmerkmal lässt sich nach Košinár in zwei verschiedenen Ausprägungen unterscheiden: die „diffuse Passungserwartung“ und die „konturierte Passungserwartung“. Die „diffuse Passungsgestaltung“ orientiert sich vor allem in der Startphase der Ausbildungszeit stark an der Passungsgestaltung durch die Ausbilder/innen“ (ebd.). Gemeint ist damit vor allem die Möglichkeit, dass den Auszubildenden „Vertrautheitserfahrungen“ (ebd.) ermöglicht werden. Insgesamt handelt es sich hierbei um eine eher „passive Haltung“ (ebd.) auf Seiten der LAA, die nur unspezifische Vorstellungen haben, „wodurch eine Nicht-Passung“ (ebd.) ausgelöst wird. „Konturierte Passungserwartung“ bezeichnet dagegen eine Haltung, mit der sich die LAA während ihrer Ausbildung konkreter an ihren „Vorstellungen und Bedürfnissen“ orientieren (ebd.:209).

  2. 2.

    Die andere von Košinár entwickelte Dimension lässt sich verdichten zu einem „Bild von Professionalität im Lehrerberuf“ (ebd.: 214, [Herv. i. O.]). Auch das Strukturmerkmal „Professionalisierungsverständnis“ lässt sich in verschiedenen Ausprägungen unterscheiden:

Das „Einschränkende Verständnis von Professionalisierung“ (ebd.: 237, [Herv. i. O.]) zeichnet sich dadurch aus, dass nur „wenig Bereitschaft zur Veränderung von Vertrautem“ besteht. Zudem gibt es die Vorstellung von der „richtigen Lehrerpersönlichkeit“ im Sinne eines eher statischen Selbstbildes einer „geborenen Lehrerin“ (ebd.).

Das „Entwicklungsbezogene Verständnis von Professionalisierung“ zeichnet sich im Gegensatz dadurch aus, dass die Anforderungen der Ausbildung als „Herausforderungen“ wahrgenommen werden, für die dann entsprechend nach „Bearbeitungsmöglichkeiten aktiv gesucht“ wird (ebd., [ Herv. i. O.]). Erschwernisse oder Krisen werden innerhalb dieser Ausprägung als notwendig für eigene Entwicklungsprozesse betrachtet und die Referendar:innen sind an ihrer aktiven Bearbeitung interessiert, um vor allem „eigene Entwicklungsziele“ (ebd.) zu verfolgen.

Bei der Zusammenfassung der fallvergleichenden Untersuchung stellt sich diese zweite Dimension als die „zentrale Dimension“ (ebd.: 231) für die Ausbildung der Referendar:innen heraus.

„Wie die Kernfälle verdeutlichen, prägt das Bild von Professionalität maßgeblich die Bereitschaft und Fähigkeit, in Situationen Anforderungen zu erkennen und als eigene Entwicklungsthemen deuten zu können, die es zu bearbeiten gilt, wenn es zur Progression der eigenen Professionalität kommen soll“ (ebd.: 231).

Beide Vergleichsdimensionen – „Passung“ und „Professionalisierungsverständnis“ - beschreiben ganz unterschiedliche Ausbildungstypen: diejenigen LAA, die ihre Ausbildung aktiv gestalten, ein 2. Typ, der sich darum bemüht, Anforderungen und Beanspruchen weitgehend zu vermeiden und der 3. Typ, der sich um jeden Preis anpasst und dessen Ausbildung damit weniger Erfolg verspricht (vgl. ebd.:253).

Frau Henke kann anhand der „Typologie der Professionalisierungsverläufe“ Košinárs zum Typ 1 gerechnet werden. Typ 1 der Auszubildenden zeichnet sich nach Košinár dadurch aus, dass er „eigene Entwicklungsziele identifiziert und den eigenen Entwicklungsprozess nach Prioritäten systematisiert“ (ebd.: 282). Bei diesem Typ fallen nach Košinár die Bewertungen durch Ausbilder:innen weniger stark ins Gewicht; der Nutzen der Rückmeldungen kann bei diesen LAA für die eigene Professionalisierung genutzt werden. Dieser Typ nimmt Anforderungen wahr, ohne ihnen ausweichen zu müssen. Die Folge dieser Herangehensweise ist eine sich selbst stabilisierende Form von „Selbstwirksamkeitsüberzeugung“(ebd.), die die weiteren Entwicklungsschritte während der Ausbildung ausgesprochen günstig beeinflussen.

Damit scheint nach Košinár Typ 1 aus der Sicht der Ausbilder als der „Idealtyp des Referendars“ (ebd.: 283) zu gelten, da er sich durch die „autonome Gestaltung des eigenen Professionalisierungsprozesses“ (ebd.) auszeichnet, „was von Seiten der Ausbildung vermutlich eher als entlastend empfunden wird (ebd.).“

Frau Henke hat in der UNB gezeigt, mit welchem Interesse und Engagement sie eigene Ausbildungsbedarfe formuliert. Während des Beratungsgespräches ist sie darauf bedacht, dass diese Bedarfe vom Fachleiter in ihrem Sinne richtig verstanden werden. Ihre Positionierung als wissbegierige Lehrkraft steht hier eindeutig im Vordergrund. Andere Interessen, die man in dieser Situation auch unterstellen könnte, also sich dem Ausbilder von der besten Seite zu zeigen, eigene Defizite zugunsten einer Positionierung als erfolgreiche Lehrkraft möglichst zu verbergen, werden an dieser Stelle nicht sichtbar (an anderen Stellen allerdings schon). Dass dies als Strategie im Referendariat nicht die Regel ist, zeigt Typ 3, der sich nach Košinár vor allem durch Vermeidungsstrategien während seiner Ausbildung auszeichnet.

Ähnlich lässt sich das Verhalten Frau Henkes auch bei den von der Fachleitung immer wieder als „Tipps“ deklarierten Anregungen beschreiben, so zum Beispiel bei fachsprachlichen Korrekturen (s. Z. 249 f.). Ihre Reaktion „\(\hat{A}\) h j \(\mathop a\limits^{ \vee }\)“ (Z. 250) zeigt, dass sie diese Hinweise ohne Umschweife aufgreift und ihre Mitschrift hierzu lässt die Vermutung zu, dass sie die genannten Fachbegriffe („Sozialform“ und „Methode“) in Zukunft richtig verwenden möchte.

Gleichzeitig wird in dieser UNB aber auch deutlich, dass Frau Henke darauf bedacht ist, ihre Ressourcen zu berücksichtigen. Dies tut sie sogar in der UNB selbst, indem sie darauf verweist, dass die Ausbildung auch zeitlich sehr anspruchsvoll ist und dass sie häufig bis abends mit den Vorbereitungen für den Unterricht beschäftigt ist.

Der Aspekt der Arbeitsorganisation scheint nach Košinár eine bedeutende Rolle während des VD zu spielen. So fürchten auch Vertreter des Typ1 „im Lehrerberuf die Balance zwischen Arbeit und Freizeit nicht zu finden und zeitlich überlastet zu sein“ (ebd.: 269). Als Indikator dafür, dass Frau Henke auf die notwendige Balance für sich achtet, mag ihre Bemerkung gegenüber ihrem Fachleiter sein, dass sie viel Zeit in die Vorbereitung der Unterrichtstunde investiert habe.

Das Erleben der gelingenden Durchführung des eigenen Unterrichts scheint eine positive Selbstwirksamkeitserfahrung für die Referendarin darzustellen. Die Freude am Unterrichten, die der Fachleiter bei der Referendarin in dieser UNB beobachten konnte (vgl. Z. 323: „…sichtlich Spaß hat“) und der LAA als abschließende Bemerkung der Positivrunde rückmeldet, wird von Frau Henke deutlich bestätigt. Sie selbst ist sich dieser Freude bewusst und kann eigene Erfolgserlebnisse wahrnehmen.

Sie hat zudem erkannt, dass die angemessene Berücksichtigung von Schüler:inneninteressen das Unterrichten erleichtert. Frau Henke hat bei der Wahl des Unterrichtsgegenstandes die Interessen der Lerngruppe im Vorfeld der Unterrichtsplanung erfragt und sich auf das Thema „Besser Lernen durch Musik“ eingelassen, da dieses Thema immer wieder ein Konfliktthema zwischen Eltern und Schüler:innen bei den Hausaufgaben ist. Hier eine geeignete Argumentation zur Verfügung zu haben, entspricht der Interessenlage der Schüler:innen.

Und der in dieser UNB benannte Beratungsaspekt, wann man Schüler:innenäußerungen unterbrechen darf, gerade dann, wenn der Gegenstand für die Schüler:innen von hohem Interesse ist, zeugt davon, dass Frau Henke sich darüber bewusst ist, dass die aktive Passungsgestaltung zur Lerngruppe eine wesentliche Bedingung für erfolgreiches Unterrichten ist. Die gute Beziehung zur Lerngruppe erlaubt beispielsweise auch kleinere Irritationen in der Durchführung, ohne dass der Lernprozess damit wirklich gestört würde. So waren die Schüler:innen nach der Erarbeitungsphase, die keinen regelgerechten Abschluss in der gezeigten Stunde erfuhr, relativ schnell wieder zu versammeln, um den nächste Unterrichtsschritt einzuleiten. Frau Henke hat die Beziehungsgestaltung zur Lerngruppe als Aufgabe akzeptiert. Insofern kann schon zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden, dass bei der Dimension „Passungsgestaltung“ die Referendarin an einer „konturierten“ Form gelegen ist, die sich dadurch auszeichnet, dass Gelegenheiten und Notwendigkeiten einer aktiven Gestaltung zu den Aufgaben innerhalb des Referendariats gehören.

Die bislang hier aufgezeigten Eigenschaften der Referendarin sind im Sinne Košinárs dem Typ 1 zuzurechnen, wobei diese Referendarin durch ein Merkmal besonders auffällt. Im Zusammenhang mit „Passungserwartung“ der Ausbildungsbedingungen findet sich bei Košinár als aktive Passungsgestaltung der Fall, dass ein Referendar auf seine Arbeitsbedingungen dadurch Einfluss nimmt, dass er sich einen „eigenen Arbeitsplatz in der Schule“ sucht (Košinár 2014: 196). Eine Veränderung im Verhältnis zu den Ausbilder:innen findet sich in den von Košinár untersuchten Einzelfallstudien nicht.Footnote 10 Dieses Ergebnis mag auch im Zusammenhang mit der Art der in dieser Studie erhobenen Datengenerierung stehen. Denn Positionierungen, wie sie im Interaktionsgeschehen zu beobachten sind, sind den eigenen bewussten Wahrnehmungsprozessen der Interagierenden nicht unbedingt zugänglich und somit auch nicht mit externen Fragen zu ermitteln.

In der hier vorliegenden Studie, und das markiert einen bedeutsamen Unterschied zu der zitierten Studie Košinárs, kann die Passungsgestaltung der LAA im Kontakt mit ihrem Ausbilder nachgewiesen werden. Sie äußerte sich als Reziprozitätserwartung in der behaupteten Ähnlichkeitsbeziehung zwischen dem Ausbilder und der LAA bei der Frage nach Vertiefungsmöglichkeiten zum Unterrichtsgegenstand. Verglichen mit der Passung guter räumlicher Arbeitsbedingungen scheint der Gestaltungswille hinsichtlich der Interaktionsbeziehung, wie sie Frau Henke hier zeigt, eine besondere Qualität zu besitzen.

8.3.2 Gegenläufige Positionierungsstrategien

Frau Henke, so konnte gezeigt werden, hat ein deutliches Interesse daran, die von ihr festgestellten Defizite beim Unterrichten zu verringern und ihre Ausbildung mit selbst gesteckten Zielen voranzutreiben. Gleichzeitig ist sie darauf bedacht, sich möglichst positiv als Lehrkraft zu positionieren.

Der Fachleiter ist darum bemüht, krisenhafte Erlebnisse oder zumindest kritische Rückmeldungen während der UNB zu vermeiden. Seine Gesprächsführung zeichnet sich dadurch aus, dass Korrekturen durch die dargestellten semantischen Herabstufungen (z. B. seine Tipps) nicht unbedingt als krisenhaft wahrgenommen werden. Dazu kommt eine ausführliche Positivrunde, in der er der Referendarin eine positive Gesamteinschätzung zu ihrer Lehrerpersönlichkeit gibt. Des Weiteren betont er, dass es im Verlauf der Beratung vor allem um ihre Bedarfe gehen soll.

Mit einer Fragetechnik, die den Reflexionsprozess der Referendarin anstoßen soll, bleibt er zwar weitgehend erfolglos. Er positioniert sich damit aber als Ausbilder, der die Prinzipien der Erwachsenenbildung kennt und sich an ihnen orientiert. Die hier praktizierte Beratung zeichnet sich nach Kallmeyer (2000: 228) dadurch aus, „gerade keine Ratschläge zu geben, sondern nur die Lösungssuche des Klienten zu unterstützen.“ Damit sind Formen der „Instruktion“ oder „Unterweisung“ ausgeschlossen. Die hier dargestellte Form seiner Gesprächsführung ist nicht nur seine individuelle Beratungsweise, sondern vor dem Hintergrund der allgemein im Land NRW favorisierten Beratungskonzepte (vgl. Abschn. 2.3) zu verstehen.

Der Fachleiter, so kann man festhalten, scheint in besonderer Weise um die Beziehungsgestaltung und damit um die Vermeidung von krisenhaften Erfahrungen in der UNB bemüht zu sein.

Die Referendarin erscheint hier besonders interessiert an der Beantwortung ihrer eigenen Fragen. Auf ihre Frage nach einer angemessenen Form der Unterbrechung von Schüler:innenbeiträgen erhält sie den Hinweis, dass es als Abwägungssache gelten muss, wann man Schüler:innen im Gespräch unterbrechen darf. Hier wird der Wunsch nach einer Antwort und damit nach einem schnellen und effektiven Beratungsergebnis enttäuscht – wahrscheinlich zu Recht, da es tatsächlich auf die jeweilige Situation des Unterrichtsgeschehens ankommt, ob sich die Beiträge der Schüler:innen noch auf den Unterrichtsgegenstand beziehen und damit dem Lernprozess voranbringen oder ob es sich bei den Beiträgen um rein additive Äußerungen handelt, die keine weitere Lernprogression bedeuten und die vielleicht auch aus keinen anderen Gründen für die Schüler:innen noch wichtig zu sein scheinen.

Die zweite Frage, die Frau Henke in dieser UNB als Beratungsaspekt formuliert, die nach der Vertiefung von Ergebnissen im Anschluss an die Erarbeitungsphase, erscheint besonders wichtig, da dieser Beratungswunsch als exemplarisch für die weitere Entwicklung ihrer anzustrebenden Unterrichtskompetenz gelten kann. Dieser Beratungswunsch, dessen Bedeutung die Referendarin während der UNB mehrfach markiert, erfährt ebenfalls eine Enttäuschung.Footnote 11 Sie erhält nur einen Hinweis bezogen auf den Unterschied zwischen einem „Beleg“ und einem „Argument“, wofür der Fachleiter ein Beispiel nennt. Dieser Unterschied wird von ihr auch als ein wichtiger Hinweis zur Sache aufgenommen. Eine weiterführende Verständigung zu ihrem formulierten Beratungswunsch, den Lernprozess von Schüler:innen am Stundenende weiter zu vertiefen, erfolgt allerdings nicht.

Die Frage, ob bei einer anderen Positionierung des Fachleiters der Beratungserfolg für die Referendarin größer gewesen wäre, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Allerdings kann man deutlich erkennen, dass die Selbstpositionierung des Fachleiters als Unterstützer und weniger als Experte für die Referendarin in dieser Ausbildungssituation nicht notwendig gewesen wäre. Der Fachleiter stellt selbst fest, dass seine Referendarin „mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht“´. Warum dann also nicht das Gesprächsverhalten, also auch die eigene Positionierung als Berater, anders wählen als vorsichtig und möglichst defensiv? Warum sollten die Entlastungen, die Ausbildungstyp 1 für die Ausbildungssituation verspricht, nicht auch vom Berater genutzt werden, indem er die Handlungsform des Auskunftgebens wählt?

An dieser Stelle könnte man einwenden, dass die Positionierungssignale, die ein Beobachter dem Gespräch entnehmen kann, nicht in gleicher Weise herauszuhören sind, wenn man als Beteiligter in einem Gespräch agiert. Diesen Einwand würde ich an dieser Stelle gelten lassen. Allerdings erfolgt dieses Zugeständnis mit einer gewissen Einschränkung. Das Reziprozitätsangebot, das die Referendarin etwas kühn gegenüber dem Fachleiter formuliert, wird von ihm nicht ratifiziert. An dieser Stelle widerspricht er der Positionierung der Referendarin und etabliert anschließend eine Positionierung zweiter Ordnung, in der er seine eigene Position formuliert („Idee hab ich“) und die Fremdpositionierung der Referendarin damit zurückweist. Die von der Referendarin proklamierte Reziprozität im Sinne einer Ähnlichkeitsbeziehung zwischen ihr und ihm weist er hier klar zurück.

Das führt mich zu der Überlegung, dass klare Positionierungssignale im Verlauf der UNB auch für den Ausbilder zu bemerken waren.

Neben den Positionierungen, die einen der Beteiligten wie im oben dargestellten Beispiel irritieren und die der Anlass für eine Korrektur darstellen, können wir außerdem erkennen, dass der Fachleiter einen durchaus positiven Eindruck von der Referendarin erhalten hat, wovon seine Bemerkung (als Fremdpositionierung) zeugt, dass sie mit „beiden Beinen fest auf dem Boden stehe“. Auch die Präsentation des eigenen Beratungsanliegens lässt im Kontext der Beratungsforschung das Agieren der Referendarin als ausgesprochen zielorientiert beschreiben. Gerade bei der „Problempräsentation“ (Kallmeyer 2000: 239) lassen sich Formen der „Herunterstufung“ beobachten. So wird häufig das eigene Problem als das eines „allgemeinen Falltyps“ präsentiert, was die Referendarin mit dem Hinweis darauf, dass das erwähnte Problem immer wieder in ihrem Unterricht auftauche, vermeidet.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Referendarin auch vor dem Hintergrund kritischer wissenssoziologischer Überlegungen als eine Auszubildende erscheint, die ihre Entwicklungsziele kennt und zielstrebig verfolgt. Diese Professionalisierungstendenz kann man gerade auch in der UNB erkennen, obwohl diese Ausbildungssituation häufig kritisiert wird als „ausgeweitete Prüfungssituation“, bei der die „Leistungsperformanz“Footnote 12 ständig eine Rolle spielt. Dass die LAA hier allerdings neben ihrer Darstellung als mittlerweile schon erfolgreiche Lehrkraft auch ganz konkrete Beratungsaspekte vorbringt und diese auch hartnäckig in der Interaktion mit dem Fachleiter verfolgt, kann als Verantwortung für den eigenen Lernprozess und als wesentliche Komponente von Selbstwirksamkeitserwartung verstanden werden, die im Sinne Košinárs ausgesprochen günstige Voraussetzungen für die Herausbildung eines „professionellen Selbst“ (ebd: 39) bilden.