Bei der aufgezeichneten Unterrichtsnachbesprechung handelt es sich um den zweiten Unterrichtsbesuch (UB) im Fach Deutsch der Referendarin Frau HenkeFootnote 1 (insgesamt der vierte UB ihres VD). Die Wahl fiel auf den zweiten UB und nicht etwa auf einen späteren, weil der 2. UB noch nicht benotet wird und alle problematischen Effekte, die sich hier schon zeigen, allemal bei einem benoteten UB vermutet werden können. Wenn sich schon am Anfang des Vorbereitungsdienstes Effekte eines bestimmten sprachlichen Musters zeigten, würden sich diese im Hinblick auf die fortschreitende Vorbereitung auf das Examen eher noch verstärken. Der erste UB kam nicht in Frage, da die Referendarin am Anfang ihrer Ausbildung ohne die nötige Erfahrung, wie ein Unterrichtsbesuch verläuft, noch nicht hätte überschauen und einschätzen können, ob sie sich für eine Aufnahme zur Verfügung stellen würde.

Frau Henke begann ihr Referendariat im November 2017. Die Aufnahme der UNB entstand im 2. Quartal ihrer Ausbildung, Anfang März 2018. Der Unterrichtsbesuch fand in einer 7. Klasse eines Gymnasiums statt. Die Unterrichtsreihe ist dem Gegenstandsbereich „Reflexion über Sprache – Argumentieren“ zuzuordnen. Die Referendarin hat als Unterrichtsgegenstand die Vorbereitung für das Verfassen eines Leserbriefs zum Thema „Besser lernen mit Musik“ gewählt. Das formulierte Unterrichtsziel für diese Stunde bestand darin, dass die Schüler:innen den Unterschied zwischen Argumenten und Belegen innerhalb eines argumentativen Kontextes erkennen sollten.

In Anschluss an Lucius-Hoene und Deppermann (2004a: 177) wird die Datenanalyse anhand dreier heuristischer Fragen gegliedert. Die Fragen lauten:

  • Was wird hier dargestellt?

  • Wie wird das dargestellt?

  • Wieso wird das so dargestellt?

Die analysepraktische Trennung der verschiedenen Sinnebenen, vor allem von der Was- und der Wie-Ebene, sind, so Kruse (2014: 544), zwei Seiten derselbe Medaille. „Denn die Sprecher/innen nutzen eben spezifische sprachliche Mittel (Ebene des ‚WAS‘) in einer bestimmten Art und Weisee (Ebene des ‚WIE‘;) ...“ [Herv. i. O.]

So bleibt es in Folge bei der Darstellung einzelner Gesprächsausschnitte nicht aus, dass sich einige Beobachtungen doppeln, weil dieselben Textelemente auf unterschiedlichen „Aufmerksamkeitsebenen“ (ebd.: 545) untersucht werden.

Der formalen Gesprächsorganisation folgend wurde das Augenmerk vor allem auf die Gesprächsteile gelenkt, die inhaltlich von besonderer Bedeutung sind. Diese Gesprächsteile wurden rekonstruktiv aus dem Gesprächsverlauf identifiziert. Dabei ist darauf geachtet worden, dass unabhängig von den etablierten Routinen besonders bedeutende Gesprächssequenzen entweder von den Interagierenden selbst als relevant deklariert werden oder aber als besonders zentrale Fälle eines Problemkomplexes erscheinen.Footnote 2 Vor diesem Hintergrund wurden dem Ablauf des Gespräches folgend zunächst die Inhalte der thematischen Sequenzen dargestellt, die für die Frage nach der Positionierung der Interagierenden als besonders aufschlussreich gelten können. Eingeschobene Zitate aus der Transkription der Unterrichtsstunde werden für die Analyse mithilfe von Zeitangaben aus der Videoaufnahme gekennzeichnet.

Der Fachleiter und die Referendarin orientieren sich beim Ablauf der UNB an der Beratungsstruktur in Anlehnung an Goll (vgl. Abschnitt 3.4.1), die als Vorlage für Unterrichtsnachbesprechungen auch in diesem ZfsL seminarintern eingeführt worden ist. Im Folgenden wird die Struktur des benutzen Leitfadens ausführlicher als bisher dargestellt, da sie den Ablauf der untersuchten Gesprächssequenzen vorgibt.

7.1 Die Unterrichtsnachbesprechung als kommunikative Gattung

Die institutionalisierte Etablierung des Gesprächsleitfadens kann als eigene kommunikative Gattung verstanden werden.

Von der Herausbildung einer kommunikativer Gattungen spricht man nach Imo (2015: 21) dann, wenn „sie Lösungen für die Bearbeitung immer wiederkehrender kommunikativer Probleme bereitstellen.“ Der Vorteil dieser Lösungsstrategien, die sich in Routinen der kommunikativen Praxis ausbilden, besteht in der Möglichkeit, wiederkehrende kommunikative Phänomene nicht jedes Mal bei ihrem Erscheinen neu installieren zu müssen, sondern auf bewährte Verfahren zugreifen zu können. Die etablierten Routinen können dabei, so Imo (2015), ganz unterschiedliche Ebenen ausgebildet haben. Von besonderem Interessen sind in diesem Zusammenhang die „sequentiellen Ablaufmuster“ (vgl. ebd.: 21), wie sie mit der Gesprächsuhr hier vorliegen. Je nach Ausprägung substanzieller Strukturen kann man eher von losen oder festen Graden der Routinierung sprechen. Tendenziell lassen sich auch explizite Bezugnahmen auf die Gattung beobachten.

Neben der Darstellung des Gesprächsablaufs werden auch einige Hinweise zur Durchführungspraxis gegeben, um das Geschehen in seiner Komplexität besser zu beschreiben.

Abbildung 7.1
figure 1

Gesprächsuhr im ZfsL Detmold

Abbildung 7.1 zeigt die im ZfsL Detmold verwendete Darstellung der „Gesprächsuhr“Footnote 3. Ähnliche Modelle für Unterrichtsnachbesprechungen lassen sich auch bei anderen ZfsL finden.

Bevor die UNB startet, sollten alle organisatorischen Belange wie Ort, Zeit, anwesende Teilnehmer:innen geklärt sein, um Störungen im Ablauf des Gespräches möglichst auszuschließen.Footnote 4 Die acht Gesprächsphasen werden im Folgenden kurz beschrieben:

  1. 1.

    Was ich zuerst einmal sagen möchte! (LAA)

Diese Gesprächsphase zeichnet sich, so Goll et al. (2007: 108 f.), dadurch aus, dass hier die LAA das alleinige Rederecht besitzen.

Zum einen zeigen die Referendar:innen an dieser Stelle, was ihnen während ihrer Durchführung der gezeigten Unterrichtsstunde aufgefallen ist. Es könnte also darum gehen, verschiedene Beobachtungen zur Unterrichtsstunde zu thematisieren, denen aus ihrer Sicht Bedeutung zukommt. Zum andern geht es aber auch darum, den Ausbilder:innen zu zeigen, welchen Aspekten besondere Bedeutung im Hinblick auf das Gelingen der Stunde zukommt. In diesem Fall geht es bereits um eine Teilleistung der Benotung für den Unterrichtsbesuch.Footnote 5

  1. 2.

    Kurze Rückmeldung zur Reflexion des LAA hinsichtlich der gewählten Reflexionsaspekte und ihrer Strukturierung

An dieser Stelle gibt die Fachleitung eine erste Rückmeldung zur Reflexion der Referendar:in. Diese Rückmeldung erfolgt vor allem auf einer formalen Ebene. So wird hier darauf geachtet, dass die Darstellung in einer strukturierten Form erfolgt und dass für die vorgenommenen Einschätzungen der Unterrichtsstunde entsprechende Indikatoren benannt werden. Ein weiterer wichtiger Aspekt für die Bewertung der Reflexion ist auch, ob die LAA schon Alternativen für eventuell beobachtete Schwierigkeiten bei der Durchführung des Unterrichts formulieren kann.

  1. 3.

    Das hat mir gut gefallen! (alle)

Jede Teilnehmer:in der Nachbesprechung erhält hier das Recht, eine positive Aussage zur gehaltenen Unterrichtsstunde zu äußern. Die Aussagen werden gesammelt und können für ein später anzufertigendes Protokoll berücksichtigt werden.

In der Positivrunde wird besonders häufig und vor allem ganz am Anfang der Ausbildung die Lehrerpersönlichkeit positiv hervorgehoben, da sie in aller Regel Anlass für Lob darstellt. Hierzu zählen beispielsweise einfache Rückmeldung in der Art von „Die Schüler:innen akzeptieren sie als Lehrer:in“ bis hin zu einer Anerkennung ggf. flexiblen Lehrerverhaltens, das sich auf die aktuellen Lernbedarfe der Schüler:innen im Unterricht einstellt.

  1. 4.

    Darüber möchte ich sprechen! (alle)

In dieser Phase nennen alle Teilnehmer:innen Aspekte, die sie für das weitere Gespräch relevant finden. In der Regel beginnt die LAA damit, ihre Themenvorschläge zu nennen.

Die Themennennung spielt eine zentrale Rolle für das weitere Beratungsgespräch. Entweder trifft die Referendar:in ein aus Sicht der Ausbilder:innen zentrales Thema. Dann kann die Beratung auf diesen Gegenstand fokussiert werden. Wird allerdings von der LAA ein eher randständiges Thema zur weiteren Beratung vorgeschlagen, entweder weil sie dieses nicht als randständig ansieht oder dieses Thema lieber vermeiden möchte, wird von den anderen Beteiligten die Themenreihe ergänzt.Footnote 6

  1. 5.

    Beratungsgespräch (alle)

Das sich anschließende Beratungsgespräch bildet zeitlich gesehen den größten Teil der UNB. In der Regel wird diese Sequenz von den Fachleitungen eingeleitet. Die Themen für die Beratung werden häufig stichwortartig auf Moderationskarten festgehalten und zusammen mit der LAA wird ihre Reihenfolge festgelegt.

  1. 6.

    Brennt noch etwas auf den Nägeln? (FL/ LAA)

In dieser recht kurzen Phase nach der Beratung wird noch einmal auf die eingangs identifizierten Themen geschaut und geklärt, ob es noch weitere Themen außer den besprochenen gibt. In den meisten Fällen besteht allerdings kaum mehr Beratungsbedarf, schon weil die anberaumte Zeit dies nicht zulässt.

  1. 7.

    Daran möchte ich arbeiten! (LAA)

Hier entscheidet die LAA auf der Grundlage der Beratung, woran sie in Zukunft weiterarbeiten möchte. Häufig wird als Ergebnis zunächst eine anzufertigende Zusammenfassung der besprochenen Inhalte vereinbart. Die Referendar:innen fertigen diese zeitnah an und legen sie ihren Ausbilder:innen wieder vor. Auch andere Ergebnisse sind hier denkbar, wie etwa die Neuformulierung des Stundenlernziels oder eine klare Eingrenzung des Stundenschwerpunktes.

  1. 8.

    Metakommunikation (alle)

Abschließend schauen alle Beteiligten der UNB auf den Kommunikationsprozess zurück und teilen dazu ihre Einschätzung mit. Die Autoren des Gesprächskonzeptes machen darauf aufmerksam, dass für diese Phase die Gefahr bestehe, dass sie zu einer „Nebenrolle“ verkomme, wenn man vergisst, den evaluativen Charakter dieser Phase zu beachten. Diese Einschätzung kann man tatsächlich bei vielen realisierten UNB teilen.

Die „Einschätzung des Leistungsstandes“ als letzter und abschließender Teil des Gesprächskonzeptes nach Goll ist von den ZfsL nicht in den Gesprächsablauf der UNB übernommen worden. Die Thematisierung des Leistungsstandes ist auch nach Einschätzung der Autoren der schwierigste Teil der UNB, denn spätestens an dieser Stelle verlassen die Teilnehmenden den beratenden Teil des Gesprächs.

„Die Einschätzung des Leistungsstandes durch den Ausbilder (…) ist nicht verhandelbar. Letztlich lassen die vorherrschenden Vorschriften der jeweils gültigen Ausbildungsordnungen keine andere Wahl.“ (Goll et al. 2007: 108)

Dennoch sehen die Autoren auch diese Phase als eine beratungstypische Gesprächssituation an, da die Einschätzung des Leistungsstandes keine punktuelle Beurteilung sein sollte. Die ermittelte Notentendenz soll vielmehr auf der Grundlage mehrerer Unterrichtsbesuche und anderer Beobachtungsdaten ermittelt werden, sodass auch diese Phase der UNB eher einem Beratungs- und Entwicklungsgespräch ähneln kann.

In Frage steht allerdings, inwiefern man den Autoren bei der Annahme folgen kann, dass sich der Abschluss des Gesprächs, der sich in der Verlautbarung der Note äußert, nicht auch auf das vorherige Gespräch auswirken soll. Wie können sich Referendar:innen, auch bei einer zugestanden entlastenden Transparenz des Beratungsablaufs, in diesem Teil des Gesprächs in einer symmetrischen Situation wähnen, wissend, dass sie am Ende des Gesprächs eine Note erhalten werden? Es wird sich zeigen, inwiefern sich diese Erwartungen am erhobenen Material nachweisen lassen.

7.2 „Die LAA hat das Wort“ – die Stundenreflexion als Gesprächseröffnung

Die Gesprächseröffnung ist nach Henne und Rehbock (2001) die Phase eines Gesprächs, in der die Gesprächsbeteiligten eine „wechselseitig akzeptierte Situationsdefinition hinsichtlich ihrer sozialen Beziehungen als Gesprächspartner erreichen“ (ebd.: 15). Sie ist bei den stark strukturierten und institutionalisierten UNB, und damit nicht nur im vorliegenden Fall, ausgesprochen reduziert.

In diesem Beispiel leitet der Fachleiter (Fl) das Gespräch mittels einer kurzen auffordernden Handbewegung ein (Fl hebt auffordernd die Hand, blickt die Referendarin an, blickt dann auf seine Unterlagen nach unten, ist bereit mitzuschreiben). Die Referendarin (Ref.) schaut ihn zunächst erwartungsvoll an, reagiert dann auf sein Zeichen, indem sie ihm signalisiert, dass sie verstanden hat, dass der Fachleiter den Gesprächsschritt an sie übergeben hat GUT . ich fang an . geNAU – ehm- ..., (Z. 1 f.) Die Eröffnungssequenz dauert 3,97 Sekunden (Gesprächsdauer insgesamt 37,32 Min., Transkriptionsregeln s. Anhang).

  • a) Was wird hier dargestellt?

Nachdem das Gespräch vom Fachleiter initiiert wurde, gibt die Referendarin zunächst die inhaltliche Richtung ihrer Stellungnahme an: „als ERstes stell ich die GLIEderung vor (Z. 4). In diesem Gesprächsabschnitt (insgesamt 8 Minuten, 41 Sekunden) reflektiert die Referendarin die von ihr gezeigte Unterrichtsstunde und nennt für ihre Reflexion diese Gliederung:

  1. 1.

    ich werde mich zunächst mit LERNziel und PROgresSION auseinandersetzen, also wie war der lernertrag der STUNde?

  2. 2.

    dann hab ich mir. ehm. als asPEKte die meTHOdenwahl beziehungsweise die meTHOdische entSCHEIdung und deren realiSIErung überlegt

  3. 3.

    und die SIcherung von erGEBnissen (….)

  4. 4.

    und dann werd ich noch mal ein FAzit zu der. STUNde. ziehn- (Z. 4–8)

Die Referendarin benennt in ihrer Gliederung die Aspekte: Lernziel und Progression, Methodenauswahl und die Sicherung von Arbeitsergebnissen der Schülerinnen und Schüler. Abschließend möchte sie ein Fazit zur gezeigten Unterrichtsstunde ziehen. Nachdem sie die Gliederung vorgestellt hat, beginnt sie, die vorgestellten Aspekte im Einzelnen auszuführen. Bei der folgenden Analyse wird der Chronologie der Darstellung gefolgt, wie sie die Referendarin hier vornimmt. Dabei werden besonders relevante Stellen (s. dazu auch Kap. 7) für eine genauere Analyse ausgewählt (Tabelle 7.1).

Tabelle 7.1 Reflexion der Referendarin.Footnote

Zeilenzählung folgt der Zeilenangabe des Gesprächstranskripts

(Gesprächszeit: 00:00:28:355–00:01:16.704)
  • b) Wie wird das dargestellt?

Nach der vorangestellten Gliederung markiert die Referendarin mit einem kurzen Signal, „geNAU- zu Eins zum LERNziel ..., dass sie nun damit beginnen möchte, die vorgestellten Gliederungsaspekte ausführlicher darzustellen. Sie zitiert dabei ihre Notizen zur Reflexion, die sie unmittelbar vor der Nachbesprechung angefertigt hat.

Die Referendarin gelangt in ihrer Stellungnahme zu der Einschätzung, dass das formulierte Lernziel der Stunde erreicht worden ist : „ähm . ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden↑.“ (Z. 13) Die zuvor von ihr begrifflich angestellte Unterscheidung zwischen Lernziel und Lernertrag der Unterrichtsstunde (Z. 10 f.) vernachlässigt sie bei dieser vorangestellten Einschätzung des Lernziels, was wohl der Tatsache geschuldet ist, dass sie das Lernziel ihres schriftlichen Entwurfs abliest. Vergleicht man ihre sprachliche Darstellung der Einschätzung des Lernertrags mit der Formulierung des Stundenlernziels, fällt auf, dass sich ihre Einschätzung, dass Belege und Argumente gut unterschieden wurden, nur auf den zweiten Teil des formulierten Stundenlernziels bezieht. Im ersten Teil des Stundenlernziels heißt es, „die schülerinnen und schüler erkennen den unterschied von argumenten und beLEgen↑“ (Z. 10 f.) und im zweiten Teil des Lernziels fügt sie mit der Adverbialsatzkonstruktion „indem sie vorgegebene aussagen . zur these besser lernen durch muSIK . diesen beiden kategorien ZUordnen“ (Z. 12) aus, wie der angezielte Erkenntnisfortschritt für die Schüler:innen hergestellt werden soll. Mit der Adverbialsatzkonstruktion werden unterschiedliche Dimensionen des Diktums in den Blick genommen, die später (in Abschn. 7.2.1) weiter unterschieden werden.

In Z. 13 beschreibt die Referendarin innerhalb des Obersatzes ihres Satzgefüges „ähm . ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden↑“

die Faktizität ihrer Aussage. Gleichzeitig verwendet sie dabei eine Passivkonstruktion „gut unterSCHIEden wurden“, spart hier also das Agens aus, um aber im Anschluss daran die Schüler:innen zu erwähnen, die, und das scheint ihr wichtig, das Lernziel auch erreicht haben „vor allem auch bei .SCHWÄcheren schülern/was in der gruppenarbeitsphase . deutlich wurde.“ (Z. 13 f.)

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Insgesamt lassen sich bei der Darstellungsweise der Referendarin zu ihrer Unterrichtsstunde unterschiedliche Funktionen rekonstruieren:

  • die Dimensionierung des Stundenziels mit einer Darstellung, inwiefern das Lernziel der Stunde erreicht worden ist,

  • die Faktizität der eigenen Aussagen,

  • die Passivkonstruktion bei der Darstellung des Lernziels und

  • die Diktumsgradierung bei der Angabe von Indikatoren für das Erreichen des Lernziels.

Diese Funktionen werden in den jeweiligen Äußerungskontexten ausführlicher rekonstruiert.

7.2.1 Die Dimensionierung des Lernziels

Die mittels der Adverbialkonstruktion beschriebenen Handlungen „indem sie vorgegebene aussagen . zur these besser lernen durch muSIK . diesen beiden kategorien ZUordnen,“ (Z. 12), die von den Schüler:innen in der Unterrichtsstunde ausgeführt werden sollen, gelten der Referendarin als Hinweise darauf, dass das allgemeiner formulierte Erkenntnisziel, nämlich den Unterschied von Argumenten und Belegen zu erkennen, dann erreicht worden ist, wenn die Schüler:innen den Argumenten die passenden Belege zuordnen können.

Adverbialsätze dieser Art haben grundsätzlich zwei Funktionen: eine dimensionseinführende oder eine resultative Ereignismodifikation. Die hier beschriebenen Ereignisse des Nebensatzes „indem sie vorgegebene aussagen . zur these besser lernen durch muSIK . diesen beiden kategorien ZUordnen und dann . selber argumente finden und mit belegen STÜTzen “ (Z. 11 f.) können nach Zifonun et al. (1997: 2277) diese beiden Funktionen besitzen:

  1. a)

    Sie können als „spezielle Dimensionen anderer Ereignisse (und zwar der Denotate des Obersatzes, d. h. dem Erkennen)“ (ebd.) interpretiert werden, die durch den vorgestellten Haupt- oder Obersatz angekündigt und im folgenden Nebensatz ausgeführt werden. Der Adverbialsatz spezifiziert also das Prädikat „Erkennen“ des Hauptsatzes als Konkretisierung eines „zeitlich überlappende(n) Ereignisse(s), „als Mittel oder instrumentale Verfahren bzw. Vorgehensweisen bei der Durchführung von Handlungen“ (ebd.). Die Ereignisse des Adverbialsatzes – „Zuordnen“, „Argumente finden“ und „mit Belegen stützen“ – spezifizieren hier das im Hauptsatz erwähnte Ereignis des „Erkennens“, welches eine abstrakte und kaum beobachtbare Handlung beschreibt.

  2. b)

    Die Adverbialkonstruktion könnte auch ein Ereignis einführen, „das in dem vom Obersatz denotierten Ereignis resultiert, es also verursacht, herbeiführt oder bewirkt“ (ebd.). Damit wäre ausgedrückt, dass das Erkennen des Unterschieds von Argumenten und Belegen dazu führen würde, dass die Schülerinnen und Schüler Argumenten und Belegen sprachliche Äußerungen richtig zuordnen und auch neue selbst bilden können.

Letztendlich können beide Funktionen nicht völlig klar voneinander unterschieden werden. Deutlich wird allerdings, dass die Variante b) mit der Kenntnis des Unterschieds von sprachlichen Äußerungen, die entweder Argumente oder Belege sind, auch Operationen der Zuordnung oder des Bildens zulassen, intensional noch anspruchsvoller ist, weil sie mehr inhaltliche Merkmale umfasst. Man wüsste beispielsweise, dass Argumente für eine These inhaltlich relevant und wahr sein müssen oder dass der Qualitätsanspruch an ein Beleg zur Stützung eines Arguments in der Überzeugungskraft für einen bestimmten Adressaten liegt.

In Frage steht, ob die Zuordnungsleistung schon gleichzusetzten ist mit der Erkenntnis des Unterschieds von Argumenten und Belegen. Man müsste überprüfen, ob nach der gelungenen Zuordnung von Äußerungen zu den Prädikaten „Argument sein“ oder „Beleg sein“ der Unterschied zwischen diesen beiden Prädikaten von den Schüler:innen erkannt wird. Die Formulierung des Lernziels als Dimension eines anderen Ereignisses legt hier nahe, dass die Zuordnung der Weg zu der angezielten Erkenntnis ist. Dass dies ein Vorgehen für die angezielte Erkenntnis sein kann, soll hier nicht bestritten werden, aber der Weg ist mit der Zuordnung noch längst nicht zu Ende beschritten. Tatsächlich bewertet die Referendarin den erzielten Lernertrag positiv, sie sagt, die Unterscheidung sei „gut“ gelungen.

Im Unterschied zu absoluten Adjektiven, wie es beispielsweise Farbadjektive sind, beschreiben Qualitätsadjektive wie „gut“ den normativen Wert eines Substantivs. Bei absoluten Adjektiven „lässt sich prinzipiell ohne Schwierigkeiten entscheiden“, so Eisenberg (2013:242), ob das Nomen die zugesprochene Eigenschaft tatsächlich besitzt. Und anders als bei relativen Eigenschaftszuschreibungen, wie etwa „kurz“ oder „hoch“, bei denen eine Orientierung beispielsweise auf einer metrischen Skala möglich ist, gibt es diese Orientierung bei Qualitätsadjektiven nicht. Allerdings liegt im vorliegenden Fall eine besondere Verwendungsweise des Adjektivs vor. Denn anders als im Fall von „Das Ende ist gut“, bei dem es das Antonym „schlecht“ gibt, verhält es sich im hier vorliegenden Kontext der Stundenreflexion etwas anders. Im Kontext schulischer Bewertung ist das Adjektiv „gut“ graduierbar, was die Notenskala von sechs bis eins belegt. Und „gut“ als der Zwei auf dieser Skala, entspräche dann der zweithöchsten Bewertung, die erreicht werden kann. Es ist also davon auszugehen, dass die Referendarin mit „gut“ in Z. 13 schon eine Bewertung zur eigenen Stunde vorstellt, die zum Ziel hatte, die korrekte Zuordnung sprachlicher Ausdrücke zu Argument und Beleg von den Schüler:innen vornehmen zu lassen.

Die Aufnahme des Obersatzes in die Bewertung der Stunde, also die Unterscheidung zwischen Argument und Beleg und eben nicht die richtige Zuordnung, unterstreicht die Gleichstellung dieser beiden Handlungen (Erkennen und Zuordnen), die die Referendarin hier vornimmt. Die Herausstellung des Lernziels mit seiner etwas geringeren kognitiven Leistung wird von Schüler:innen eher erreicht werden können. Damit wäre dann allerdings der Lernertrag beim Erreichen des operationalisierten Lernziels nicht so hoch, wie es das formulierte Erkenntnisziel noch beschreibt. Vor diesem Hintergrund ist die Einschätzung „gut unterSCHIEden“ mit der Verwendung des Qualitätsadjektivs „gut“ eine Einschätzung, die eigentlich einer Leistung zukäme, die einem gehobenen Leistungsspektrum zuzuordnen ist. Diese Art von Leistung reklamiert die Referendarin an dieser Stelle. Die Zuordnung von sprachlichen Äußerungen und Belegen kann zwar gut gelingen, das muss allerdings noch keine gute Leistung sein, die einem guten Lernertrag der Stunde entsprechen würde.

7.2.2 Die Faktizität des Stundenlernziels

Eingeleitet wird die oben erwähnte Einschätzung „ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden“ (Z. 13) mit einem kurzen Hauptsatz (ich GLAUbe), der den epistemischen Status des nachfolgenden Inhaltssatzes definiert. Inhaltssätze werden in der Regel durch die Faktizität des Redehintergrundes bestimmt. Diese Faktizität wird durch die Wahl der Prädikatsausdrücke des einleitenden Obersatzes geschaffen. Unterschieden werden dabei zwei Kategorien. Die erste Kategorie ist die Klasse von Einleitungssätzen, die einen faktischen Redehintergrund reklamieren, also die „über Verhältnisse in der wirklichen Welt prädizieren.“Footnote 8 Verben, die zu dieser Kategorie zählen, sind etwa „behaupten, sagen, unterstellen, voraussetzen, aussagen …“ Prädikatsausdrücke wie „glauben, vermuten, denken, der Meinung sein, etc.“ beziehen sich auf einen Sachverhalt, dem keine Faktizität zugesprochen wird. Der hier benannte Sachverhalt des Inhaltssatzes steht in Abhängigkeit des Verbs „glauben“.

Die Funktion des hier verwendeten Prädikatsausdrucks „ich GLAUbe“ signalisiert innerhalb der Einschätzung des erzielten Lernertrags der Stunde eine gewisse Vorsicht. Die Referendarin schützt den nachfolgenden Inhaltssatz, der deswegen als schützenswert gelten kann, weil hier das Wesentliche der Stunde, nämlich das Ergebnis des Lernprozesses, von der LAA eingeschätzt wird. Entspricht diese Einschätzung nicht der des Fachleiters, tut sich ein Problem auf. Damit würde deutlich, dass die Stundenreflexion einen gravierenden Fehler aufweist. Die Referendarin hätte in diesem Fall gezeigt, dass sie noch nicht in der Lage ist, das Stundenergebnis richtig einzuschätzen (s. dazu auch unten, die Ausführungen zu Passivgebrauch). Und je eindeutiger und auch selbstbewusster das eingeschätzte Stundenergebnis von der Referendarin deklariert wird, desto größer wird die Diskrepanz bei einem vom Fachleiter diagnostizierten Fehlurteil.

Die angemessene Reflexionsfähigkeit gilt als eine der wesentlichen Kriterien innerhalb der Lehrerausbildung. Auch wenn man am Anfang der Ausbildung noch nicht unbedingt auf seine Bedeutung am Examenstag verweisen muss, ist doch auch während der Ausbildungszeit stets präsent, dass das Reflexionsvermögen als eines der wesentlichen Kriterien einer guten Lehrkraft gilt, weil damit gewährleistet ist, dass der eigene Unterricht so ständig angemessen evaluiert und weiterentwickelt werden kann. Entsprechend wird eine angemessene Reflexion sowohl im Examen als auch schon während der Ausbildung, hier also bei der UNB, vom Ausbilder bewertet.Footnote 9

7.2.3 Die Passivkonstruktion in der Lernzielformulierung

In der Äußerung „ähm . ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden↑ .“ (Z. 13) fällt auf, dass die Sprecherin eine Passivkonstruktion für die Einschätzung des Lernziels verwendet. Die Passivkonstruktion wird mit dem Hilfsverb „werden“ gebildet, mit dem zwei Konstruktionsformen möglich sind: das Eintakt- und das Zweitakt-Passiv. Ein Beispiel dazu: Der Satz „Die Schüler schlafen im Deutschunterricht leider nicht selten.“Footnote 10 lautet im Passiv: „Im Deutschunterricht wird leider nicht selten geschlafen.“ Hier entfällt das Subjekt des Aktivsatzes ersatzlos, diese Passivkonstruktion wird entsprechend als das subjektlose-werden-Passiv (oder Eintaktpassiv) bezeichnet.

Das Zweitaktpassiv besitzt in seiner lexikalischen Struktur ein Verb mit einem Akkusativkomplement. Ein Beispiel wäre: „Die Türen wurden in diesem Haus von Klaus gestrichen.“ In diesem Beispiel wird zwar kein Subjekt wie im Aktivsatz „Klaus streicht die Türen in diesem Haus.“ gebildet, aber anders als in der Eintaktpassiv-Konstruktion tritt nun das Akkusativobjekt des Aktivsatzes syntaktisch als Subjekt des Passivsatzes auf und entsprechend folgt das finite Verb und wird hier im Plural gebildet. Beim Eintaktpassiv wird das finite Verb dagegen „in die unmarkierte 3. Person Singular versetzt.“Footnote 11

Im vorliegenden Fall übernimmt also „arguMENte und beLEge“ die Form eines Subjekts in dieser Satzkonstruktion. Entsprechend folgt das finite Verb in der Pluralform „wurden unterschieden“.

Das in der Äußerung „ich GLAUbe dass arguMENte und beLEge . am ende gut unterSCHIEden wurden↑“ verwendete Passiv in der Eintaktkonstruktion zeichnet sich dadurch aus, dass das Agens des Prädikats unbenannt bleibt. Auch im engeren Kontext wird auf dieses Agens nicht verwiesen. Diese Reduktion des Agens ist deswegen unproblematisch, weil die Sprecherin darauf vertrauen darf, dass das ungenannte Agens vom Hörer aus „einschlägigem Situationswissen, Sachwissen oder Weltwissen zu erschließen“Footnote 12 ist. Die Ereignisbeteiligten, hier die Schüler:innen, unbenannt zu lassen, kann mehrere Gründe haben. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass auf die Nennung verzichtet werden kann, weil ja Fachleiter und Referendarin gemeinsames Kontextwissen besitzen und die Referendarin davon ausgehen kann, dass der Fachleiter selbstverständlich versteht, dass es bei der Darstellung des Lernzuwachses natürlich um den der Lerngruppe geht und nicht um den anderer Beteiligter. Damit könnte man hier in Anlehnung an Zifonun et al. (1997: 1849) davon reden, dass eine „ökonomischere“ Form der Versprachlichung genutzt wurde. Prinzipiell kann diese Form der sprachlichen Reduktion auch zur Verschleierung des Agens dienen, was allerdings in diesem Fall wenig einleuchtet. Ausgeschlossen werden kann auch, dass diese Konstruktion benutzt wurde, weil der Sprecherin die Ereignisbeteiligten unbekannt sind. Die Funktion und Wirkungsweise dieser Passivkonstruktion erklärt sich nachvollziehbarer, wenn die semantische Struktur dieser Konstruktion in den Blick genommen wird.

Die hier verwendete Form ermöglicht parallel zum Aktiv eine kommunikative Gewichtung des syntaktischen Subjekts. Unterstützt wird dieser Effekt außerdem durch die „Vorfeldposition“ (ebd.) innerhalb der linearen Abfolge der Darstellung. Diese Gewichtung „kann nur durch das Passiv, nicht durch das Aktiv realisiert werden, wenn der Argumentausdruck, der die Rolle übernehmen könnte, gemäß der lexikalischen Grundausstattung des Verbs Akkusativ-(…)komplement ist“ (ebd.: 1850). Damit ist der Vorteil dieser sprachlichen Konstruktionsweise benannt. In den Vordergrund der Äußerung rückt mit dieser Passivkonstruktion das inhaltliche Kernstück des Lernziels, die Argumente und Belege, von denen behauptet wird, dass sie unterschieden werden konnten und das genau galt es in dieser Unterrichtsstunde zu erreichen.

Der für die Schüler:innen erzielte Lernertrag einer Unterrichtsstunde ist ein wesentliches Element der Unterrichtsnachbesprechung. Bei der Reflexion des Lernertrags ist zu entscheiden, wie hoch dieser eingeschätzt werden kann. Ist er in der gezeigten Stunde erreicht worden, zur Gänze, ansatzweise oder gar nicht? In der Stellungnahme wird von der Referendarin erwartet, dass sie selbst die Güte des Lernertrags richtig einschätzen kann. Und genau das geschieht in Z. 13, in dem die Referendarin die Qualität des Lernertrags mit „gut“ in „gut unterSCHIEden wurden↑“ beschreibt. Die Kompetenz der Referendarin, den Lernertrag der gezeigten Unterrichtsstunde angemessen einschätzen zu können, entspricht den Erwartungen, die am Examenstag von den Mitgliedern der Prüfungskommission an den Prüfling erhoben werden. So heißt es in den Hinweisen des Landesprüfungsamtes für Prüferinnen und Prüfer § 32 (7) OVP 2018:

„Ziel der Gespräche ist es, die Fähigkeit der Lehramtsanwärterin bzw. des Lehramtsanwärters zu ermitteln, Planung und Durchführung des Unterrichts miteinander in Beziehung zu setzen. (…) Mögliche Gesprächsgegenstände sind z. B.: (…) ein Abgleich zwischen den formulierten Zielen und dem Lernertrag“.Footnote 13

Die Einschätzung des erzielten Lernertrags gilt als eine wesentliche Kompetenz, die Referendar:innen in ihrer Reflexion zur gezeigten Unterrichtsstunde spätestens am Ende ihrer Ausbildung besitzen sollten. Zwar gibt es keine eigens ausgewiesene Gewichtung für diese Einschätzung, wie sie beispielsweise für die Schriftliche Arbeit oder die Unterrichtspraktischen Prüfungen besteht,Footnote 14 dennoch wird unter „Bewertung der Unterrichtspraktischen Prüfungen“ die Qualität dieser Reflexion erwähnt.

7.2.4 Die Diktumsgradierung des Lernziels

Nachdem die Referendarin in Z. 13 behauptet hat, dass das Stundenlernziel in der gezeigten Stunde erreicht worden sei, schließt sie im Anschluss daran (ab Z. 13) an, woran das Erreichen des Lernziels „deutlich wurde“. Sie hebt in Z. 14 hervor „vor allem auch bei .SCHWÄcheren schülern/…“ . Die Hervorhebung der schwächeren Schüler:innen wird hier durch die Gradpartikel „vor allem“ realisiert. Dabei gilt es die Stellung der Partikel vor dem sprachlichen Ausdruck zu berücksichtigen; sie steht unmittelbar vor dem Ausdruck, den sie betont. Grad- oder auch Fokuspartikel sind nach Zifonun et al. (ebd.: 57) Ausdrücke, „mit denen eine Einstufung des Gesagten bzw. bestimmter hervorgehobener Aspekte des Gesagten auf Skalen vorgenommen wird (Diktumsgradierung).“ Wir können hier von einer Erwartungsskala ausgehen, auf der das Diktum normalerweise weit unten anzusiedeln wäre. Das jedenfalls wird mit der Gradierung hier behauptet, wenn man außerdem berücksichtigt, dass die Partikel „auch“ hier eine konnektierende Funktion hat. In diesem Zusammenhang kann man davon ausgehen, dass die Funktion beider Partikel, „vor allem“ und „auch“, darin besteht, die Aussage auf einen weiteren Kontext zu übertragen. Neben den guten oder stärkeren haben eben auch die schwächeren Schüler:innen das Stundenlernziel erreicht. Damit wird klar, wie hoch dieses Stundenlernziel tatsächlich einzuschätzen ist, weil der Lernertrag offenbar von der ganzen Lerngruppe erreicht wurde und nicht nur von einem Teil.

Es werden hier zwei Dimensionen zur Einschätzung des Lernziels aufgezeigt: Die eine Dimension bezieht sich auf die Höhe des Lernertrags. Dieser ist bereits in Z. 13 mit dem Qualitätsadjektiv „gut“ zum Ausdruck gebracht worden. Die zweite Dimension, nämlich den Anteil der Schüler:innen, die an diesem Lernertrag partizipiert haben, unterstützt die erste Dimension in besonderer Weise. Denn was nützte eine vereinzelt angestellte Erkenntnis, wenn der Rest der Lerngruppe abgehängt ist?

In den weiteren Teilen dieser Gesprächssequenz führt die Referendarin aus, woran sie erkannt hat, dass der Lernertrag in der beschriebenen Weise einzuschätzen ist. Sie benennt dafür den Ort ihrer Beobachtung in Z. 14 „in der gruppenarbeitsphase“ und beschreibt, wie die Beobachtungen zustande kamen. Dies geschah offenbar systematisch „und hatte mir auch ähm BOgen geMACHT“(Z. 15). Im Folgenden benennt sie Schüler:innen, die ihr auch im späteren Unterrichtsverlauf (bei der „Kettendiskussion“ Z. 18) aufgefallen sind. Bei diesen Schüler:innen reklamiert sie die beiden schon genannten Dimensionen der Lernzielrealisierung: sie haben „mitgewirkt“ und „da auch . qualitativ. gute beiträge gegeben“ (Z. 18).

Die Art der Ausführungen, mit der die Referendarin in der Reflexion den Lernertrag bzw. das Lernziel der Unterrichtsstunde darstellt, berücksichtigt die Erwartungen, die am Examenstag an Prüflinge gestellt werden. Der letzte Aspekt, bei dem sie konkrete Beobachtungen schildert, die ihre Einschätzungen bestätigen, entspricht den Anforderungen an eine objektivierbare Grundlage der Reflexion. So kann auch von Beobachter:innen des Unterrichtsgeschehens der Aussagegehalt nachvollzogen werden. Im Gespräch nach der Unterrichtspraktischen Prüfung wird vom Prüfungsausschuss bewertet, „inwieweit der Prüfling in dem Gespräch in der Lage ist, die Qualität des eigenen Lehrens zu überprüfen.“Footnote 15 Dafür ist es wesentlich, dass die Einschätzung des Lehrerfolgs „die Genauigkeit der Selbstbeobachtung spiegelt“Footnote 16, die hier nicht als Beschränkung auf die eigene Person gemeint ist, sondern als Beobachtung der gesamten Lernumgebung und damit eben auch der der Schüler:innen.

Fasst man die bisherigen Ergebnisse zur Stellungnahme der Referendarin zur gezeigten Unterrichtsstunde zusammen, so erkennt man schon zu diesem frühen Zeitpunkt der UNB die Selbstpositionierung, die die Referendarin hier von sich entwirft.

  • Die Dimensionierung des Lernziels:

Die Zuordnung der zu unterscheidenden Begriffe „Argument“ und „Beleg“ verkleinert die kognitive Anforderung des Lernziels für die Schüler:innen und bietet damit der Referendarin eher die Möglichkeit, das formulierte Lernziel als erreicht einzuschätzen. Damit kann sich die Referendarin als eine Lehrkraft behaupten, die für ihre Lerngruppe eine gute Lernprogression ermöglicht.

  • Die Faktizität des Stundenlernziels:

Hier zeigt die LAA eine gewisse Vorsicht bei der Einschätzung des Lernertrags der Stunde, um der möglichen Fallhöhe bei einer anders lautenden Einschätzung durch den Fachleiter abzumildern. Sie signalisiert so auch, dass sie noch am Anfang der Ausbildung steht und reklamiert für sich, dass sie noch weitere Unterstützung – auch von Seiten der Ausbilder:innen – benötigt.

  • Die Passivkonstruktion:

Diese besondere Konstruktion betont den wesentlichen Aspekt in der Lernzielformulierung, der hier als grammatisches Subjekt auftaucht. Bei aller zuvor eingeflossenen Vorsicht wird mit dieser Akzentuierung die eigene Leistung hinsichtlich der Höhe des Lernzuwachses betont und damit die Referendarin als diejenige präsentiert, die diesen Lernertrag für die Schüler:innen verantwortet.

  • Die Diktumsgradierung:

Im Zusammenhang mit der Betonung der „guten“ Qualität des erreichten Stundenlernziels ist es wichtig, wenn nachgewiesen werden kann, dass die Qualität des gezeigten Unterrichts nicht nur eine Leistung von wenigen besonders begabten Schüler:innen ist. Wird von einer breiteren Schülerschaft diese Leistung gezeigt, dann ist der erzielte Lernertrag größer zu bewerten.

7.3 Der Beratungsbedarf der LAA

Am Ende der Phase „Der Referendar hat das Wort“ fasst Frau Henke ihre Betrachtungen in einem Fazit zusammen. Dieses Fazit fällt ausführlicher aus, als es ihre Ankündigung bzw. Deklaration „Zusammenfassung“ erwarten ließe. Frau Henke betont, dass sie den Einstieg zur Stunde wieder so wählen würde, weil er schüleraktivierend gewesen sei. Bevor sie fortfährt und eine Bewertung der Gruppenarbeitsphase (oben sprach sie in diesem Zusammenhang von Methodenwahl) abgibt, reklamiert die LAA schon an dieser Stelle einen Beratungsaspekt für das weitere Gespräch.

Tabelle 7.2 Beratungsbedarf der Referendarin (Gesprächszeit 00:07:42.789)
  • a) Was wird dargestellt?

Mit dem Aufzeigen einer perspektivischen Möglichkeitsdarstellung (Z. 123 f.) „Genau... dann würd ich da daNACH wahrscheinlich ein bisschen ENger FÜHren“ schildert die Referendarin, was sie im Anschluss an den Unterrichtseinstieg ändern würde. Das Adverb daNACH (Z. 124) verweist auf die vorausgegangene Einstiegsphase, in der sie die Schüler:innen auf die in dieser Unterrichtsstunde zu leistende argumentative Auseinandersetzung mit der These „Besser Lernen durch Musik“ inhaltlich vorbereitete.

Mit der Äußerung „ein bisschen ENger FÜHren“ nimmt die Referendarin ihre Gesprächsführung in den Blick. An dieser Stelle bleibt noch unerwähnt, wen oder was sie in Zukunft enger führen möchte. In Z. 124 nennt sie das zuvor unerwähnte Objekt „die“ und konkretisiert, in welcher Hinsicht die Schüler:innen enger zu führen sind. Im weiteren Verlauf stellt sie dar, welche Konsequenzen dadurch entstanden sind, dass sie das Gespräch nicht ausreichend moderierend führte. Sie schildert verschiedene Schüleräußerungen und anschließend bewertet sie das Unterrichtsgespräch, das ihr jetzt zum Zeitpunkt der Reflexion als zu lang erscheint (Z. 124)

Anstatt sie „immer sehr lange erzählen lassen“, schlägt sie in Z. 127 f. vor: „das könnte man vielleicht früher abbrechen.“ Sie kündigt anschließend an, dass sie zu diesem Vorschlag von ihrem Fachleiter im weiteren Gespräch eine Rückmeldung haben möchte und erläutert im Folgenden, warum ihr dieser „Besprechungsaspekt“ (Z. 129) wichtig ist: „…weil ich da wirklich schülerantworten QUAsi. dann zuRÜCKstelle . beziehungsweise . ja . abwürge (LEISE), also nich abWÜRge aber sage wir müssen jetzt weiterkommen.“ In dieser Begründung benennt sie ihre Unsicherheit, sich entscheiden zu müssen, die Schüler:innen entweder zu Wort kommen zu lassen oder aber die Beiträge abzubrechen, weil die Unterrichtszeit begrenzt ist und sie „weiterkommen“ müssen. Das Weiterkommen richtet sich dabei auf das von ihr im Unterrichtsentwurf entworfene Unterrichtsziel, das sich zu diesem Zeitpunkt offenbar noch einige Lernschritte entfernt befindet.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Die Referendarin beendet den Gesprächsabschnitt mit einer kurzen Reflexion zur eingesetzten Sozialform in dieser Stunde, einer Gruppenarbeitsphase. Hier schließt sich eine kleine Pause an; die Referendarin signalisiert das Ende ihrer Gesprächssequenz mit der Partikel „geNAU!“.

„Genau“ wird üblicherweise, falls es isoliert steht, als positive Antwortpartikel verwendet, wenn auch nicht als Antwort auf eine Entscheidungsfrage. Sie teilt mit der Gruppe der Antwortpartikel die Eigenschaft einen zweifelsfreien Tatbestand zu bestätigen. Nur liegt in dieser Verwendung keine Antwort auf eine vorausgegangene Frage vor, sondern eher ein Gliederungssignal, was das zuvor Gesagte abschließt und mit dem anschließenden „dann“ auf einen weiteren inhaltlichen Aspekt verweist.

Mit diesem Verweis benennt die Referendarin eine Handlungsalternative, die sie zu einem anderen Zeitpunkt, d. h., wenn sie die Stunde noch einmal halten würde, favorisieren würde. Die Verwendung des Konjunktivs „würd“ (Z. 124) kennzeichnet den irrealen Status dieser neuen Stundenvariation, denn es ist schlicht nicht möglich, dieselbe Stunde mit demselben Unterrichtsgegenstand in derselben Lerngruppe noch einmal durchzuführen. Es geht hier also um ein ‚als ob‘, um zu beschreiben, dass sie in der Lage ist, eine Variation zu finden. Sie verwendet für die Darstellung dieser Alternative die Abtönungspartikel „wahrscheinlich“. Man könnte die Aussage so reformulieren, dass der semantische Bezugsbereich der verwendeten Modalfunktion deutlich wird. Das entspräche dann etwa der Aussage: „…und dann wäre es wahrscheinlich so, dass ich ein bisschen enger führen würde.“ Und auch die Gradpartikel „ein bisschen“ tönt noch einmal diesen Vorschlag hinsichtlich der Gesprächsführung ab. Das „engere Führen“ wird hier also mit einer zweifachen Modalisierung versehen, einmal hinsichtlich des Grades der Wahrscheinlichkeit und ein anderes Mal hinsichtlich des Grades der Qualität.

In ihren weiteren Ausführungen innerhalb dieser kurzen Sequenz fallen weitere Modalisierungen auf, die Frau Henke am Ende ihrer Stellungnahme verwendet. Zunächst wechselt die Referendarin Tempus und Modus bei der eingeschobenen Rückschau der erinnerten Ereignisse „ich hab die immer sehr lang erzählen lassen „... (Z. 124 f.) und schätzt ihr Lehrerhandeln in dieser Phase der gezeigten Unterrichtsstunde mit der Äußerung ein: „… das führte .. an manchen stellen, glaub ich, einf/ irgend/ . etwas zu WEIT“ (Z. 127). Die LAA beschreibt mit dieser Äußerung die Konsequenz der mangelnden Gesprächsführung in dieser Phase der Unterrichtsstunde. Der Inhalt dieser Konsequenz ließe sich – ohne die hier verwendeten semantischen Abtönungen – darstellen mit: „Das führte zu weit.“ Die tatsächliche Äußerung, die von der Referendarin jedoch getätigt wird, zeigt deutliche Abweichungen. Zunächst einmal fällt die intermediäre Pause auf, die nach dem ersten Teil der Prädikatsklammer gemacht wird „das führte ..“ Daran schließt sie eine quantifizierende Einschränkung an („an manchen stellen“), die die semantische Extension des kritisierten Verhaltens eingrenzt. Und weiter wird die erwähnte Konsequenz der mangelnden Gesprächsführung mit dem Indefinitpronomen „etwas zu weit“ einschränkend bewertet. Der Einschub „glaub ich“ signalisiert für das Aufzeigen dieser Konsequenz die Eigenperspektive der Referendarin, die durch den nachfolgenden Besprechungswunsch betont wird. Das Ende dieser Äußerung erfährt eine Korrektur, anstelle von „das führte einfach irgendwie zu weit“ wird das Adverb abgebrochen und der Satz wird weitergeführt mit der Gradpartikel „etwas“, die den zweiten Teil der Prädikatsklammer (führen) einschränkt.

Der Gesprächsausschnitt endet mit einer Begründung für den angegebenen Besprechungsaspekt „…weil ich da wirklich schülerantworten QUAsi . dann zuRÜCKstelle . beziehungsweise . ja . abwürge (LEISE), also nich abWÜRge aber sage wir müssen jetzt weiterkommen.“ (Z. 129 f.). Auffallend an ihrer Begründung sind die Abbrüche, Korrekturen und Reformulierungen, mit denen die Referendarin hier die Situation beschreibt, über die sie mit ihrem Ausbilder sprechen möchte.

Eingeleitet wird diese Begründung mit einer Kausalkonstruktion (weil ich da wirklich schülerantworten . dann .QUAsi .. zuRÜCKstelle↑), bei der sie zunächst mit dem Adverb „wirklich“ die Handlung des Zurückstellens von Schüleräußerungen bekräftigt und verstärkt. Zudem wird durch das QUAsi in Verbindung mit der kleinen Sprechpause deutlich, dass die Referendarin versucht einzuschätzen, welche Art von Handlung hier vorliegt. Die gewählte Taxation „ QUAsi. zuRÜCKstelle↑“ wird wieder verworfen. Der Ausdruck „zurückstelle“ wird korrigiert, da ein „Zurückstellen“ ja implizieren würde, dass eine Schülerantwort während des Unterrichtsgesprächs zunächst zurückgestellt wird, etwas anderes würde stattdessen besprochen und anschließend würde man auf die vorherige Äußerung zurückkommen. Sie weiß aber, dass es in diesem Fall nicht wirklich um eine Zurückstellung geht. Sie wählt eine alternative Formulierung „beziehungsweise . ja . abwürge“ (LEISE). Es geht offenbar darum, Schüleräußerungen abzubrechen oder abzukürzen. Sie verwendet hierfür den negativ konnotierten umgangssprachlichen Ausdruck „abwürge“, dessen Heftigkeit sie zur Herabsetzung ihrer Lautstärke veranlasst. Eingeleitet wird diese neue Äußerungsvariante mit dem Konjunktor „beziehungsweise“, der schon die Benennung einer Alternative ankündigt. Aber auch die Reformulierung erscheint ungeeignet und so kommt es zu einer weiteren Alternative „…also nich abWÜRge aber sage wir müssen jetzt weiterkommen..“ (Z. 130). Das Verb „abwürgen“, als Ableitung des Verbs „würgen“, beinhaltet wörtlich verstanden eine Form des Tötens durch Würgen, umgangssprachlich wird damit im Kontext von Gesprächssituationen eine autoritäre Form des Unmöglichmachens oder Unterdrückens bezeichnet. Die Wahl des Verbs wird modifiziert mit Hilfe des Abtönungspartikels „also…“ und der anschließenden Negation des Verbs „nich abwürge“. Schließlich reformuliert die LAA ihre Äußerung. Eingeleitet wird diese Reformulierung mit dem Adversativ „aber“ und der einleitenden Redewiedergabe „sage“, an die sich der Inhaltssatz „wir müssen jetzt weiterkommen“ anschließt. Die Verwendung des Personalpronoms „wir“ mit dem Hinweis auf ein Ziel „weiterkomm“ schwächt den Ausdruck „abwürge“ deutlich ab, indem die Aufmerksamkeit auf das gemeinsame Weiterkommen gelenkt wird und damit ein Abbruch nur indirekt vollzogen wird, was weniger konfrontativ wirkt.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Der flüssige Redefluss der Referendarin, mit dem sie den zurückliegenden Unterrichtsverlauf darstellt, verändert sich mit der Darstellung der als problematisch erkannten eigenen Handlungsweise – dem Zurückstellen bzw. genauer, dem Abbrechen von Schüleräußerungen. An mehreren Stellen bemüht sich die Referendarin um eine Schadensbegrenzung ihres von ihr selbst diagnostizierten Fehlverhaltens bei der Gesprächsführung: ", das führte .. an manchen stellen/glaub ich/ einfach irgendw/ etwas zu WEIT, das könnte man vielleicht früher abbrechen…“ (Z. 127 f.). Hier haben die Pausen die Funktion, Planungszeit für die weiteren Ausführungen zu gewinnen. So formuliert sie einen vorsichtigen Vorschlag für eine alternative Reaktionsweise, nämlich das Abbrechen von Schüleräußerungen, signalisiert danach aber sofort, dass sie diesen Vorschlag zur Disposition stellt „… das ist aber auch noch ein Besprechungsaspekt von mir…“. Dieser Wunsch für die anstehende Beratung wird im Weiteren dann begründet „weil ich da wirklich schülerantworten QUAsi . dann zuRÜCKstelle . beziehungsweise . ja . abwürge (LEISE), also nich abWÜRge aber sage wir müssen jetzt weiterkommen..“.

In den Abbrüchen und Korrekturen und in der Inszenierung ihres Sprechens (LEISE) wird erkennbar, dass die Referendarin widerstreitenden Anforderungen oder zumindest einer unklaren Orientierung ausgesetzt ist. Es geht für sie einerseits darum, offene Fragen zu klären. Sie geht davon aus, dass die UNB der Ort ist, an dem Unklarheiten beseitigt und ganz konkrete Fragen gestellt werden können. Der Experte wird um Rat gefragt und stellt sein Expertenwissen zur Verfügung. Damit der erfragte Rat auch wirklich hilft, geht es für die Referendarin darum, das erkannte Problem – hier Schüleräußerungen zu stoppen – möglichst genau zu benennen, damit sie auch die Hilfe bekommt, die sie benötigt. So ist zu verstehen, dass sie das zuRÜCKstelle↑ korrigiert, da ein „Zurückstellen“ nicht das Problem beschreibt, das sie an dieser Stelle im Unterricht besaß. Es geht ihr darum, Schüleräußerungen abzubrechen, sie verwendet hierfür den negativ konnotierten umgangssprachlichen Ausdruck „abwürge“, dessen Heftigkeit sie allerdings nicht beabsichtigt und sie deshalb zur Herabsetzung ihrer Lautstärke veranlasst.

Wir erkennen hier also einerseits das Bestreben nach einer möglichst gelungenen Darstellung des eigenen Anliegens, mit dem Wunsch, einen adäquaten Rat zu erhalten. Was macht man bloß, wenn die Schüler:innen im Unterricht immer weitererzählen, diese Erzählungen aber abschweifen und man als Unterrichtender wieder zum eigentlichen Thema (zurück)kommen möchte? Darf man dann Schüleräußerungen stoppen?

Andererseits sieht die Referendarin den Abbruch von Schüleräußerungen kritisch. Sie signalisiert dies mit der Korrektur „also nich abWÜRge“ und einer anschließenden Formulierung der verbalen Strategie des Abbruchs „aber sage wir müssen jetzt weiterkomm“. Die LAA wechselt an dieser Stelle von der Ebene der Beschreibung der eigenen Handlung zur Ebene eines eingeschobenen Zitates, in dem sie den Wortlaut wiedergibt, mit dem sie den Abbruch während einer Unterrichtsstunde durchführen würde. Dieser Wechsel gibt ihr die Möglichkeit einer defensiveren Sprachform. Erkennbar wird dieser Vorteil darin, dass sie als Agens zunächst einmal aus dem Blickfeld gerät, das Sprecherpronomen wechselt vom „Ich“ in „weil ich da wirklich schülerantworten QUAsi . dann zuRÜCKstelle“ (Z. 129) zum „Wir“ in: „wir müssen jetzt weiterkommen.“ (Z. 130) Die Wahl des Modalverbs „müssen“ wendet zudem die eigene Verantwortung für diesen Abbruch ab, da hier offenbar ein Zwang vorherrscht, der gar nicht weiter legitimiert werden muss. Mit dem Ende dieser als gelungen empfundenen Sprachregelung kann die Referendarin diese Sequenz mit dem folgenden „Genau“ abschließen. Die Abgabe der Verantwortung für den Abbruch von Schüleräußerungen und der Reklamation eines Weiterkommen-Müssens, das offenbar der institutionellen Logik des Unterrichts geschuldet ist, verschleiert, dass die Maskierung des Abbruchs im Vordergrund steht und die Entscheidung für die Unterwerfung unter Bedingungen, die selbst nicht zu verantworten sind, hier der Vorzug gegeben wird.

Der Sprecherwechsel nach dieser Sequenz wird durch eine kurze Pause und einer anschließenden Rezipientenpartikel „mhm“ \(\uparrow\) seitens des Fachleiters hergestellt, die als „minimal responses“(Mazeland 2013: 82) zu verstehen ist. Daran schließt sich eine Pause von drei Sekunden an, die der Fachleiter nutzt, um auf seine Mitschrift zu blicken. Dass dieser Sprecherwechsel mit einer längeren Pause in diesem Gespräch keine Verwirrung stiftet, ist ein Hinweis auf die institutionalisierte Ordnung der Gesprächsführung. Die Referendarin wartet ohne ein Zeichen der Ungeduld auf die weitere Redeübernahme ihres Ausbilders, der seinerseits durch den konzentrierten Blick auf seine Mitschrift signalisiert, dass er seinen nächsten Redebeitrag vorbereitet. Insofern zeugt dieser Sprecherwechsel von einer guten Koordination zwischen beiden Sprechern, die sicherlich auf das Gesprächsverlaufsmodell (vgl. Abschn. 7.1) zurückzuführen ist, auf das sich beide hier beziehen.

7.4 Feedback zur Stellungnahme der Referendarin

Bevor der Fachleiter den nächsten längeren Gesprächsabschnitt (s. Gesprächsverlauf, es folgt die Positivrunde) einleitet, erhält die Referendarin eine Rückmeldung zu ihrer Stellungnahme der gezeigten Unterrichtsstunde. Dies ist die erste Rückmeldung, die die Referendarin nach ihrer Stellungnahme und einer Redezeit von mehr als neun Minuten erhält.

Tabelle 7.3 Beobachtungen des Fachleiters. (Gesprächszeit 00:09:23.580)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Die Rückmeldung beinhaltet zunächst ein Lob für die ausgewählten inhaltlichen Aspekte und für die vorangestellte Struktur der Stellungnahme.Footnote 17 Als einen weiteren positiven Aspekt benennt der Fachleiter die konkreten Beobachtungen, die die Referendarin als Stütze zu ihren vorgenommenen Einschätzungen zur Unterrichtsstunde anführt.

Die von der Referendarin angestellten Beobachtungen bieten dem Fachleiter darüber hinaus schon jetzt die Möglichkeit, an dieser Stelle des Gesprächs auf seine eigenen Beobachtungen hinzuweisen.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Der wiederholte Gebrauch des Personalpronoms in der 1. Person Plural „wir GUCken gleich mal ob wir noch/noch so WEItere Beobachtungen anschließen können“ (Z. 150 f.) lässt hier an eine gemeinsame Handlung denken, die von Ausbilder und Auszubildende auszuführen ist. Der Hinweis allerdings, der an dieser Stelle erfolgt, kann zunächst nur aus der Fachleiterperspektive heraus verstanden werden, denn die Referendarin hat ja bereits die ihr wesentlich erscheinenden Aspekte benannt. Hätte sie noch andere Aspekte für wichtig gehalten, hätte sie diese in ihrer Stellungnahme zur Stunde schon aufgenommen. Das „wir“ hat an dieser Stelle nicht die Funktion, eine tatsächliche Gemeinsamkeit bei der weiteren Suche zu benennen; diese Gemeinsamkeit wird vom Fachleiter lediglich reklamiert.

Bei der Äußerung des Fachleiters „wir GUCken gleich mal, ob wir da noch/noch“ fällt neben des dort verwendeten Personalpronoms noch das Verb „gucken“ auf. Dieses Verb beschreibt eine neutrale Form des Sehens, eines Sehens, dass im Sinne von „seine Augen auf etwas richten“ vermeintlich noch nichts erkannt hat, sondern nur davon ausgeht, dass es ein Erkenntnisobjekt gibt. Im hier verwendeten Kontext wird das Objekt im Sinne eines kognitiven Prozesses erkannt und nicht im Sinne einer schlichten Sichtbarwerdung.

Eine dritte Besonderheit in dieser Äußerung des Fachleiters besteht in der hier verwendeten Subjunktion „ob“, mit der der folgende Fragesatz „ob wir da noch/noch“ eingeleitet wird.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Die Positionierungen, die hier vom Fachleiter mittels der Pronomen verwendet werden, können im Kontext ihres Auftretens als Beziehungskonstruktion innerhalb des Gesprächs gelten. Hierzu finden sich in Anlehnung an Holly (2001: 1384 ff.) verschiedene Dimensionen, die der Autor als „bipolar und graduell konzipiert“ betrachtet: Eine ganz bedeutende Dimensionierungsebene sozialer Beziehungen ist die der Nähe und Distanz zwischen den Interaktionsbeteiligten. Dabei kann prinzipiell unterschieden werden zwischen dem „Sich-näher-Kommens“ und „Auf-Abstand-Gehens“ (ebd: 1385). Diese unterschiedlichen Formen der Bewegungen, die zunächst vielleicht noch als räumliche Positionierungen zu verstehen sind, stehen in einem engen Zusammenhang mit „sozialer und interaktiver Solidarisierung“ bzw. mit dem Gegenteil der Distanzierung, d. h. Abwendung oder gar Ausgrenzung. Die einfachste und wohl auch gängigste Art der sprachlichen Beziehungskonstruktion liefert dafür „das System der Personalpronomina“ (ebd.).

An dieser Stelle lohnt sich der Hinweis, dass die Gestaltung der „Beziehungskommunikation über weite Strecken routiniert“ (ebd: 1386) verläuft. Wenn hier also davon die Rede ist, dass der Ausbilder wiederholt das Personalpronomen „wir“ verwendet, ohne dass damit tatsächlich eine Sprechergruppe gemeint ist, bedeutet dies nicht, dass diese Wahl jederzeit bewusst abläuft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Art der Beziehungsgestaltung „zwischen den Zeilen“ (ebd.) verläuft, um das Gespräch kommunikativ zu entlasten (vgl. ausführlicher dazu Kap. 8).

Die Äußerung des Fachleiters „wir GUCken gleich mal“ (Z. 150) ist metaphorisch (wenn auch mit einer eher blassen, denn kühnen Metapher) zu verstehen, mit der die kognitiven Prozesse bei der Bestimmung weiterer Beratungsaspekte veranschaulicht werden sollen. Damit wird der Prozess der weiteren inhaltlichen Klärung oder, man könnte auch sagen, der Erweiterung von Besprechungsaspekten um diejenigen, die aus Sicht des Fachleiters kritikwürdig sind, semantisch herabgestuft. Wenn man nur „gucken“ will, bedeutet dies noch keine programmatische Festlegung, sondern bezeichnet eher einen Akt des vagen Plans ohne eine bestimmte Absicht.

Darüber hinaus wird hier die Faktizität der Proposition durch den mit der Subjunktion „ob“ eingeleiteten indirekten Fragesatz als „ungewiss“Footnote 18 attribuiert, jedenfalls dann, wenn man unterstellt, dass der Subjunktor diese Funktion besitzt. Es lassen sich unterschiedliche Verwendungsweisen von „ob“ berücksichtigen. Neben der Einleitung eines Fragesatzes z. B. in Formulierungen wie: „Frag sie doch, ob sie deinen Bruder kennt.“, kann man ebenfalls davon ausgehen, dass „ob“ auch jenseits von Fragehandlungen verwendet wird und eher „ganz generell kognitive Prozesse“ bezeichnet, die, so Zifonun (1997: 2254) in einem Inhaltssatzgefüge eingebettet sind. Damit wird hier nicht die Faktizität des Inhaltssatzes zur Disposition gestellt. Der Fachleiter verweist mit dem Inhaltssatz auf einen kognitiven Prozess, der noch vor ihnen liegt. Es wird mit dieser Äußerung also keine Unsicherheit bezüglich der Proposition ausgedrückt, sondern es wird eine Aussage über weitere Inhalte des Beratungsgespräches getätigt.

In dem beschriebenen Inhaltssatz, eingeleitet durch „ob“, verwendet der Fachleiter für „weitere Beobachtungen“, die im Verlauf des Gespräches anzustellen sind, das Verb „anschließen“ (Z. 156). Die Partikel „an“, die dem Basisverb hier vorangestellt wird, besitzt dabei nach Eisenberg (2013: 253) die Funktion eines „Pertinenzdativs“, d. h. „ein Dativ, der die Zugehörigkeit bezeichnet“ (ebd.). Die Beobachtungen, die später vom Fachleiter ergänzt werden, sollen an die Beobachtungen der Referendarin angeschlossen werden. Die vorher benannten Beobachtungen der Referendarin sind die ausschlaggebenden und die nachfolgenden des Fachleiters, so legt es die Wortwahl hier nahe, gelten als zugehörig. So werden keine neuen Aspekte ins Gespräch gebracht, sondern auf der Grundlage der schon getätigten Beobachtungen werden weitere Beobachtungen lediglich ergänzt. Damit werden die weiteren Beobachtungen als eine Art „Fortsetzung“ (vgl. DudenFootnote 19) von bereits vorliegenden Beobachtungen verstanden und die Referendarin ist damit in eine Art Vorleistung getreten, die vom Fachleiter aufgegriffen wird.

Die Referendarin hat den Hinweis des Flachleiters auf Ergänzungen schon etwas früher im Gespräch verstanden. Nach der Ankündigung „ob wir da noch/noch so weitere“ (Z. 151) reagiert sie nach dem Adjektiv „weitere“ mit dem Antwortpartikel „mhm“. (Z. 153). Offenbar weiß sie schon an dieser Stelle, dass der Fachleiter das Beratungsgespräch um seine eigenen Aspekte erweitern wird.

Das Feedback zur StellungnahmeFootnote 20 fällt insgesamt positiv aus. Die von der Referendarin aufgeführten Aspekte werden vom Fachleiter gewürdigt und bestätigt. Ein weiterer Aspekt bei seinem Feedback (vgl. Tabelle 7.3) besteht in der Ankündigung eigener Gesprächsthemen für das Beratungsgespräch, die allerdings in ihrer Bedeutung semantisch abgetönt werden, so als wären die aus seiner Sicht wichtigen Aspekte lediglich Erweiterungen der von der LAA angesprochenen Themen.

Schon an dieser Stelle fällt auf, dass die sprachlichen Ausführungen nahelegen, den Beratungsprozess und allemal die dafür zu identifizierenden Themen als eine Art Gemeinschaftskonstruktion beider Beteiligter zu verstehen. Etwaige weitere Themen sollen in einem gemeinsamen Prozess des „Sichtens“ und Entscheidens von beiden ermittelt werden. Die Beratung soll vornehmlich die Aspekte, die die LAA erwähnt hat, vertiefen. Ob noch etwas anderes angesprochen werden soll, wird hier als fraglich dargestellt. Durch die Rahmung des Sprechergruppenplurals „wir“ wird der weitere Gesprächsverlauf als eine gemeinsame Tätigkeit beschrieben. Damit wird nicht nur die Verantwortung für den weiteren Beratungsprozess geteilt, sondern auch der Eindruck erweckt, als ob nichts geschehen könne, was nicht beide Gesprächsteilnehmer:innen für richtig und wichtig halten.

7.5 Die Klärung des Beratungsanliegens

Die weiteren Aspekte der Unterrichtsnachbesprechung, die für dieses Forschungsvorhaben berücksichtigt werden, sind hinsichtlich ihrer Relevanz für die beteiligten Interagierenden gewählt worden.Footnote 21 Mit Deppermann (2008a; s. dazu auch Abschn. 5.2.1) sind das diejenigen Passagen, die von den Beteiligten als besondere Phänomene gekennzeichnet werden oder die sich im Laufe der Interaktion als wesentlich herausstellen. Dazu gehört für die UNB vor allem die weitere Klärung über die zu beratenden Inhalte.

Die Darstellungsform der berücksichtigten Gesprächssequenzen folgt aus Gründen der besseren Lesbarkeit und der Möglichkeit des inhaltlichen Nachvollzugs der Chronologie des Beratungsgespräches. Ausgewählt wurde zunächst eine Textstelle, die von Seiten des Ausbilders im Sinne Boettchers und Bremerich-Voss (1986: 255) als ein Fall „sozialistorischer Interaktion“ verstanden werden kann („Umgang mit Schüleräußerungen“, Z. 162), von der Referendarin aber als Anlass für die Konkretisierung des eigenen Anliegens genutzt wird (Z. 162 ff.).

Als weiteren Beratungsaspekt wünscht die Referendarin Unterstützung für die inhaltliche Vertiefung des Unterrichtsgegenstandes, die aus ihrer Perspektive am Stundenende nicht gelungen ist. Im Verlauf dieser Gesprächssequenz erfährt der Fachleiter eine Fremdpositionierung durch die Referendarin als Reaktion auf seine unbestimmte Antwort, von der er sich mit einer Positionierung zweiter Ordnung deutlich abgrenzt.

7.5.1 Umgang mit Schüleräußerungen als erstes Beratungsanliegen

Nach der Stellungnahme der Referendarin und einer kleinen Sprechpause fährt der Fachleiter fort: So WEIT erstma?↑ (Z. 141) Diese Frage beantwortet die Referendarin mit der knappen Antwort JA (Z. 143). Auch hier funktioniert der Sprecherwechsel völlig problemlos. Einleitend zu der nun einsetzenden Sequenz beginnt der Fachleiter mit: „üblicherweise geb ‚ich ihnen erst noch mal‘ so ne/ne Rückmeldung zum . eh zur Reflexion↑“ (Z. 145 f.). Darauf signalisiert die Referendarin mit einem kurzen Kopfnicken ihr Verständnis für den weiteren Gang der Gesprächsführung.

Nachdem der Fachleiter darstellt, inwiefern die Stellungnahme der Auszubildenden den Standards entspricht und damit als gelungen gelten kann, nimmt er die in der Stellungnahme schon erwähnten Beratungswünsche auf. In der dann einsetzenden Sequenz (ab Z. 164) konkretisiert die Referendarin ihr Anliegen, das der Ausbilder vorher mit „Umgang mit Schüleräußerungen“ fachsprachlich etikettiert hat (Tabelle 7.4).

Tabelle 7.4 Konkretisierung des Beratungsanliegens. (Gesprächszeit 00:09:55)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Nachdem der Fachleiter den in der Stellungnahme der Referendarin erwähnten Beratungswunsch, der durch seine vielen Modalisierungen, semantischen Abstufungen und Reformulierungen auffällt (s. Tabelle 7.2), mit dem Begriff „Umgang mit Schüleräußerungen“ inhaltlich bündelt und fachsprachlich in den pädagogisch-didaktischen Diskurs überführt, erläutert die Referendarin abermals, wie sie ihren Beratungswunsch verstanden haben möchte.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Ihre Ausführungen beginnen mit der Gradpartikel „vor allem“ (Z. 164). Die hier gebrauchte Grad- oder Fokuspartikel mit der Funktion, bestimmte Aspekte des Gesagten hervorzuheben, demonstriert in diesem Kontext die Konkretisierung ihres Beratungswunsches. Die bündelnde Etikettierung des Fachleiters scheint ihr nicht zu gewährleisten, dass schon ein gemeinsames Verständnis davon besteht, was sie als Beratungswunsch angegeben hat.

Zudem scheint ihr der Hinweis wichtig, dass bei der folgenden Beratung berücksichtigt werden soll, wie schwierig es für sie ist, Äußerungen abzukürzen, wenn die Schüler:innen von eigenen Erfahrungen berichten. Persönliche Erfahrungen und Erlebnisse der Schüler:innen scheinen im Unterrichtsgespräch eine besondere Stellung einzunehmen und sind von Äußerungen zu anderen Unterrichtsthemen zu unterscheiden. Persönliche Äußerungen von Schüler:innen im Unterricht scheinen im Sinne Grice’scher GesprächskonventionenFootnote 22 als sensible Sprechakte zu gelten, denen mit Respekt zu begegnen ist. Eine Zurückweisung oder Unterbrechung solcher Beiträge würde die soziale Beziehung der Interagierenden empfindlich stören.

Dieser Aspekt wird noch dadurch verstärkt, dass die LAA weiter ausdifferenziert, wieso es gerade in dieser Lerngruppe wichtig ist, zu entscheiden, ob man Schüleräußerungen abbricht oder nicht. Die weitere Graduierung „gerade bei den SIEbenern“ (Z. 165) leistet nach Zifonun et al. (1997) eine Fokussierung darauf, dass der bezeichnete Sachverhalt hinsichtlich „seiner sachlichen oder moralischen Eignung als auffällig einzustufen...“ (ebd.: 883 f.) ist. Die Referendarin geht hier offenbar davon aus, dass eine Zurückweisung der Schüler:innenäußerungen vor allem bei jüngeren Schüler:innen das soziale Gefüge zwischen Lehrperson und Lerngruppe negativ beeinflusst. Das möchte sie auf keinen Fall riskieren.

Mit der Temporaldeixis in „jetzt wie nach dem experiMENT“ (Z. 166) wird ein „lokaler oder lokal vorgestellter Verweisraum konstituiert“ (ebd.: 55), mit dem auf genau die Situation hingewiesen wird, die für die Referendarin ausschlaggebend ist. Damit hat sie ihrem Gegenüber veranschaulicht und präzisiert, was sie meint, wenn sie Beratungsbedarf zu Situationen im Unterrichtsgespräch anmeldet, in denen sie „schülerantworten QUAsi . dann zuRÜCKstelle .“ (Z. 129, Tabelle 7.2).

Besondere Wichtigkeit erhält die Frage nach dem Eingreifen und möglicherweise Beenden von Schüleräußerungen schließlich durch die Wortwahl „Erzählbedarf“ in „da haben die halt noch viel mehr erZÄHLbedarf“ (Z. 166 f.). „Noch“ fungiert hier als Gradpartikel, womit die Bedarfslage der Schüler:innen betont wird. Andererseits könnte „noch“ auch als Diktumsgradierung zu verstehen sein. Damit wäre hier zum Ausdruck gebracht, dass Schüler:innen in dem Alter (die Siebener) sich noch gerne im Unterricht beteiligen und ihre Beiträge ausführlicher gestalten wollen, als dies etwa bei älteren Schüler:innen der Fall ist. In jedem Fall signalisiert die Wortwahl „Erzählbedarf“, dass das Erzählen für die Lerngruppe wichtig ist. Somit wäre es eine erhebliche Zurückweisung, wenn diesem Bedarf nicht entsprochen würde.

Die prosodischen Reaktionen des Fachleiters auf die Ausführungen der LAA – er neigt seinen Kopf mehrmals von einer auf die andere Seite – werden von der Referendarin mit weiteren Ausführungen quittiert. In Z. 172 f. erläutert die Referendarin, einleitend mit dem konditionalen Subjunktur „wenn man das dann theMAtisch und die einen neuen aspekt reinbringen find ich das auch immer WICHtig“, in welcher Hinsicht es für sie über den vorher benannten Aspekt des Erzählbedarfs der Schüler:innen hinaus von Bedeutung ist, Schülerbeiträge im Unterricht zuzulassen. Der Wenn-Satz tritt hier in einer konditional-hypothetischen Verwendungsweise auf. Verstärkt wird der generalisierende Aspekt der Äußerung durch das Adverb „immer“ am Ende der Satzkonstruktion. Als das Charakteristische generalisierender konditional-hypothetischer Konditionale gilt die „Anweisung“Footnote 23, die mit dieser Konstruktion behauptet wird. In diesem Zusammenhang bedeutet dies, dass in allen relevanten Situationen, in denen der Tatbestand erfüllt ist, dass, wenn von Schüler:innen inhaltlich neue Aspekte benannt werden, zu prüfen ist, ob diese Aspekte im Unterrichtsgespräch auch aufgegriffen werden müssen. Damit hebt die Referendarin darauf ab, einen allgemeinen Fall als eine Art Regel zu formulieren: Wenn es zutrifft, dass Schüler:innen einen inhaltlich neuen Aspekt zum Unterricht beizutragen wünschen, dann sollten sie dazu die Gelegenheit erhalten.

Andernfalls, so führt die LAA in Z. 177 f. mit einer erneuten Konditionalen aus, fände sie es „ein bisschen schwierig“, wenn man diese „Erfahrungsberichte“ der Schüler:innen unberücksichtigt ließe. In diesem zweiten Begründungsanlauf kehrt sie ihre obige Regel ins Gegenteil, angekündigt durch das vorangestellte Adversativ „aber. Sie stellt dar, was passiert, wenn man von der Regel – Aufnahme inhaltlich neuer Aspekte – abweichen würde. In diesem Fall hätte man, quasi als Regel Nr. 2, mit der Konsequenz zu rechnen, dass die Nichtberücksichtigung inhaltlich neuer Aspekte eine schwierige Situation heraufbeschwören würde, da eine mögliche Lerngelegenheit für die Lerngruppe unberücksichtigt bliebe.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Den Beratungswunsch mit der Formulierung des Fachleiters „Umgang mit Schüleräußerungen“ zusammenzufassen, schließt sich die Referendarin hier nicht an. Sie nutzt eine kleine Redepause ihres Ausbilders und führt präzise aus, welche Situation sie innerhalb der Unterrichtsstunde vor Augen hat, die sie im Folgenden besprechen möchte. Neben der Präzisierung des Phänomens im Kontext seines Auftretens hat die LAA außerdem den Anspruch, noch einmal die Dringlichkeit ihres fraglichen Lehrerverhaltens zu veranschaulichen. Sie ist sich nicht sicher, ob die zusammenfassende Benennung, die der Fachleiter vorgenommen hat, in den Blick nimmt, welche Probleme sie hier sieht. Ist mit der Formulierung „Umgang mit Schüleräußerungen“ auch schon bezeichnet, dass es einen Erzählbedarf bei Schüler:innen gibt? Sie schärft diese Problematik weiter aus, indem sie neben dem Bedarf auf der Schüler:innenseite die negativen Konsequenzen eines Redeabbruchs für die Interaktionssituation im Klassenraum zu bedenken gibt.

Damit positioniert sich die Referendarin als eine Lehrperson, die Schüler:innenbedarfe ernst nimmt und diese auch dann berücksichtigen möchte, wenn sie diese bei der Planung des Unterrichts nicht berücksichtigt hat. Es liegt ihr offenbar viel an der Beziehung zu ihrer Lerngruppe und sie weiß, dass diese Beziehung vor allem kommunikativ hergestellt wird. Friktionen auf dieser Ebene können die positive Lernatmosphäre stören. Gerade in der Mittelstufe (die Siebener) ist ohne diese gute Atmosphäre das Unterrichten für alle Beteiligten ausgesprochen anstrengend. Auch dies zeigt, dass sich die Referendarin hier als eine kompetente Lehrerin positioniert, die die Vielschichtigkeit des Unterrichtsprozesses im Blick hat und die sicherstellen möchte, dass die folgende Beratung vor dem Hintergrund auch dieses Bedingungsgefüges erfolgen soll.

Wenn also beispielsweise Boettcher (1986: 255) die „Übernahme des einschlägigen fachsprachlichen Vokabulars“ als eine Maßnahme des Sozialisierungsprozesses beschreibt, dann soll dieser Effekt hier keinesfalls bestritten werden. Man kann diese Gesprächssequenz sicher auch als eine Art von fachsprachlicher Sozialisation beschreiben. Für diese Untersuchung ist es aber wichtig festzustellen, dass die Rekonstruktion der Bedenken und Ergänzungen, die die Referendarin im Anschluss an die fachsprachliche Formulierung des Fachleiters ausführt, hier keinesfalls als schlichte Übernahme oder Erlernen eines Begriffes gelten kann. Sie klärt hier, ob dieser Begriff dem Phänomen im Kontext seines Auftretens und damit ihrem Beratungswunsch sprachlich entspricht.

Zudem nutzt sie diese Gesprächsphase, um sich als eine Lehrperson zu positionieren, der die Wichtigkeit der Lernatmosphäre bewusst ist und die viel Wert darauf legt, die Beziehung zu ihrer Lerngruppe in diesem Sinn förderlich zu gestalten. Entsprechend suchte sie den Unterrichtsgegenstand aus, ließ dabei die Schüler:innen entscheiden, an welchem Thema sie den Sprechakt „Argumentieren“ erarbeiten wollten („Arbeiten mit Musik“) und erfährt als Konsequenz, dass die Schüler:innen ihrerseits motiviert sind und sich gerne in ihrem Unterricht beteiligen.

Bedenkt man in diesem Zusammenhang die interaktionslogische Konsequenz von Positionierungen, so kann man davon ausgehen, dass die Betonung des lernförderlichen Klimas, die die Referendarin hier zur Sprache bringt, neben allen Klärungsaspekten, die schon angesprochen wurden, auch noch den Aspekt besitzt, eine entsprechende Haltung des Gegenübers für sich selbst zu fordern. Denn auch die UNB kann hier als eine Lernsituation verstanden werden, für die es sinnvoll erscheinen muss, dass der positive Lerneffekt gerade auch von einer lernförderlichen Atmosphäre abhängt. Die mögliche Konsequenz der Selbstpositionierung wird weiter unten (Abschn. 6.2.4 Relevanzrückstufungen) näher dargestellt.

Als Kontrast zum hier (vermeintlich) dargestellten Fall einer Begriffskorrektur sei ein anderes Beispiel angeführt, das etwas später im Gesprächsablauf auftaucht. Damit wird an dieser Stelle kurz von der Ablaufchronologie zu Gunsten einer inhaltlichen Verklammerung abgewichen.

Dass die Referendarin in ihrem zweiten Unterrichtsbesuch noch Schwierigkeiten hat, die fachsprachlichen Ansprüche zu erfüllen, die vor allem auch am Examenstag von ihr verlangt werden, zeigt eine Textstelle in ihrer Reflexion am Anfang der UNB. Es ist ihr beispielsweise noch nicht klar, was mit den Begriffen „angewendete Methodik“ respektive „gewählte Sozialform“ gemeint ist. Die Referendarin führt in ihrer Stellungnahme unter dem Stichwort „Methode“ aus, dass sie für diese Stunde (als Sozialform) eine Gruppenarbeit gewählt hat. Die Schüler:innen sollten in der Erarbeitungsphase miteinander klären, welche Belege zu welchen Argumenten sinnvollerweise zugeordnet werden können. Sie verwechselt hier die Begriffe „Methode“ und „Sozialform“ (Tabelle 7.5).

Tabelle 7.5 Begriffsklärung „Sozialform – Methode“. (Gesprächszeit 00:12:48)

Die Begriffe „Methoden“ und „Sozialform“ werden vom Fachleiter aufgegriffen und korrigiert. Die Korrektur wird von der Referendarin anschließend mit | \(\hat{A}h\) \({\hat{A}h} {j\mathop a\limits}\)| (Z. 250) ratifiziert. Die Interjektion \(\hat{a}h\) mit der hier vorliegenden auf- und absteigenden Intonation signalisiert nach Zifonun et al. (1997: 387) „eine positive Empfindung, die sich auf (nicht völlig) Unerwartetes bezieht.“ Wir können davon ausgehen, dass die Referendarin die Begriffe schon mal gehört hat, dass sie vielleicht auch weiß, dass sie im Zusammenhang der Planung und Reflexion von Unterrichtstunden wichtig sind, aber ganz genau kannte sie den Unterschied zwischen beiden Begriffen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Ergänzt wird die Interjektion mit dem Responsiv „\(j\overset{\lower0.5em\hbox{$\smash{\scriptscriptstyle\smile}$}}{a}\)“.

In diesem Fall ist der Fachleiter mit dem regulativen Sprechakt seiner Pflicht als Ausbilder nachgekommen, den Sprachgebrauch der Referendarin zu korrigieren. Genau das wird von ihm erwartet, vor allem von Seiten der Auszubildenden, die diese Begriffe nun ganz konkret in einem eigenen Anwendungsbeispiel verwendet sieht und den Unterschied zwischen Sozialform und Unterrichtsmethode nachvollziehen kann. Wer hierbei „trivialerweise“ nur von „der Übernahme des einschlägigen fachsprachlichen Vokabulars“ (Boettcher & Bremerich-Vos 1986: 255) redet, verkennt den Nutzen des domänen-spezifischen Begriffssystem der pädagogisch-didaktischen Fachsprache, der sich nicht nur als Forderung im Sinne einer Normierung versteht. Vielmehr geht es darum eindeutig zu klären, welche Begriffe für die zu beschreibenden Zusammenhänge vonnöten sind. Damit geht es nicht nur um die Kenntnisnahme von Fachvokabular, sondern um die Teilnahme an fachspezifischer Kommunikation. Dies ist nicht nur vor dem Hintergrund einer Entlastung verständlich, die „eine Typisierung“ (ebd.: 256) und Selektion ermöglicht. Denn auch die Beobachter:innen des Unterrichtsgeschehens benutzen häufig Typisierungen wie „Schüleraktivierung“, „Sozialform“ oder „Umgang mit Schüleräußerungen“ etc. Auch deshalb erleichtert die Kenntnis der Fachsprache den Referendar:innen die Teilhabe am gemeinsamen Diskurs.Footnote 24

In diesem Fall der Korrektur kann man nicht davon ausgehen, dass es sich für die Referendarin um eine belastende Situation handelt. Sie akzeptiert diese Korrektur als wichtigen Lernertrag ihrer Ausbildung.

7.5.2 Die inhaltliche Vertiefung am Stundenende

Am Ende seiner Rückmeldung zur Stellungnahme der Stunde erwähnt der Fachleiter, dass die Referendarin schon einen Beratungsbedarf angesprochen hat. Er möchte dann wissen, ob es weitere Beratungswünsche auf Seiten der LAA gibt (Tabelle 7.6).

Tabelle 7.6 Vertiefung am Stundenende. (Gesprächszeit: 00:10:33)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Die Referendarin antwortet auf die Frage des Fachleiters nach weiteren Beratungswünschen mit „ehm. JA und zwar. Fragestellung zur SIcherung.“ (Z. 187) Die LAA benennt damit ihren Wunsch und verweist auf andere Unterrichtsstunden, in denen ihr mit der Methode „kognitiver Konflikt“Footnote 25 eine Vertiefung von Unterrichtsinhalten gelingt. Es folgt die Darstellung ihrer Erfahrungen aus dem Literaturunterricht, beispielsweise zu Gedichten. Aber anders als dort, wo es um literarische Inhalte geht, bei denen ihr eine vertiefende Frage leicht zu formulieren fällt, verhält es sich bei diesem Unterrichtsgegenstand anders. In dieser Stunde geht es um die Unterscheidung von Argumenten und Belegen. Sie bezeichnet dieses Thema allgemein als „theoRIE“ (Z. 190). Sie führt weiter aus, welche Gedanken sie sich im Vorfeld dazu schon gemacht hat, „ein ganz anderes argument noch mal reinbringt/oder nen beLEG“ (Z. 192). Der Fachleiter fasst ihre Ausführungen zusammen und formuliert sein Verständnis in Z. 196: „also theorie meinen sie diese unterscheidung zwischen //argument und belegen. ne \(\uparrow\). Der Fachleiter versichert sich mit seiner Bestätigungsfrage, ob die Referendarin mit „Theorie“ in diesem Zusammenhang tatsächlich den Unterschied von Argument und Beleg meint. Die LAA bestätigt seine Frage mit geNAU \(\uparrow\). Im Anschluss erfolgt ihre weitere Präzisierung (Z. 199–211), die im Wesentlichen die zuvor schon formulierten Gedanken zur Vertiefung von Unterrichtsinhalten wiederholen.

In Z. 214 räumt der Fachleiter ein, dass er zu diesem Zeitpunkt noch keinen Vorschlag zu diesem Beratungswunsch machen kann „das war/ m/müsst ich mir jetzt SELBST überlegen . kognitiv .“ An dieser Stelle setzt die Referendarin mit einem lauten, fröhlichen Lachen ein, das die Ausführungen des Fachleiters unterbricht. Sie nutzt den daraus resultierenden Abbruch für die weitere Darstellung ihrer bisherigen Überlegungen zum „kognitiven Konflikt“ und beendet ihre Ausführungen mit der Feststellung „und dann ist mir eben / nich AUCH . nicht SO was eingefallen . ja“ ↓ (Z. 229). Die in dieser Äußerung behauptete Ähnlichkeit, die die Referendarin in Bezug auf das Gestalten einer vertiefenden Lernsituation für sich und den ausbildenden Fachleiter herstellen möchte, wird von diesem nicht bestätigt. Er entgegnet im Anschluss an ihre Aussage, eine Idee zu ihrer Frage zu haben und bietet schließlich an, diese Idee mit ihr im weiteren Verlauf des Gesprächs zu teilen.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Die Äußerung „und dann ist mir eben / nich AUch . nicht SO was eingefallen . ja“ ↓ (Z. 229) lässt sich der Intonation folgend in zwei Intonationsphrasen einteilen: Der erste Teil lässt sich als eine Einheit beschreiben, dessen Ende durch eine Pause nach „AUCH“ signalisiert wird und dessen Beginn durch den beschleunigt artikulierten Auftakt gekennzeichnet ist. Innerhalb dieser Phrase gilt AUCH als ein GewichtungsakzentFootnote 26.

Die zweite Phase lässt sich ebenso mit einem Gewichtungsakzent, dem „SO“ in „nicht SO was“, identifizieren. Der hier gesetzte Akzent verweist auf das zuvor Dargestellte, die Vertiefungsmöglichkeit durch die Methode des kognitiven Konflikts.

Im weiteren Verlauf wird im Hinblick auf den von der Referendarin behaupteten Konnex zwischen den ähnlichen Sachverhalten, der Ratlosigkeit – auf der Seite des Fachleiters in „müsst ich mir jetzt SELBST überlegen“ (Z. 214) – auf Seiten der Referendarin in „und dann ist mir eben AUCH . nicht SO was eingefallen“(Z. 229) näher zu untersuchen sein. Eine genauere Analyse, inklusive der Alternativbedeutungen, der in diesem Fall vergleichenden Funktion der Partikel „auch“, wie sie unten näher erfolgen soll, erscheint vor dem Hintergrund der mit dieser Äußerung konstituierenden Positionierung der Referendarin besonders aufschlussreich.

Die Partikel „auch“ besitzt unterschiedliche Funktionsweisen, die im Folgenden zunächst dargestellt werden, bevor die im vorliegenden Kontext verwendete Funktionsweise identifiziert werden soll.

„Auch“Footnote 27 als Abtönungspartikel bezieht sich auf vom Sprecher und HörerFootnote 28 gemeinsam geteiltes Wissen. Dabei deutet der Sprecher auf die im Interaktionsraum etablierten Erwartungen hin. Beispielsweise bei der Verwendung im Aussage-Modus: „Die haben sich auch toll engagiert“Footnote 29. In diesem Fall könnte man die Partikel als eine Relevanzherabstufung interpretieren, die einen Unterschied beschreibt zu der Aussage „Die haben sich toll engagiert“ ohne diese Partikel.

„Auch“ ist genuin eigentlich keine Abtönungspartikel. Sie wird, wie viele andere Partikel auch, als Gradpartikeln verwendet und besitzt hier eine verweisende Bedeutungsimplikation.

„Auch“ als Gradpartikel hebt ein Äußerungselement hervor, welches innerhalb des Kontextes dieser Beratung besondere Bedeutung hinsichtlich der Beziehung der Interaktanten zukommt. So deutet die Partikel in dem hier verwendeten Zusammenhang darauf hin, dass es mindestens noch eine weitere Person neben der Referendarin gibt, die keine Idee für eine inhaltliche Vertiefung am Stundenende hat.

„Dabei kann die erste Bedeutungskomponente als behauptet (assertiert), die zweite als mitbehauptet, im Sinne Altmanns (1978: 166) als einer konventionellen Implikatur“ gelten.

Versteht man das „Auch“ in dieser konnektierenden Funktion, wird damit eine Verbindung zur vorherigen Aussage des Fachleiters hergestellt. Das hier „Mitbehauptete“ ist die Einfallslosigkeit des Fachleiters, der selbst auch erst nach einem Beispiel für einen kognitiven Konflikt zum Unterrichtsgegenstand suchen müsste. In diesem Sinne erscheint die Gradpartikel der Referendarin in ihrer additiven Semantik. Wie schon ihr, so ist auch ihm noch nichts eingefallen, womit man für die Schüler:innen einen kognitiven Konflikt konstruieren könnte. Damit hat die Gradpartikel in diesem Fall die Funktion, die Proposition, dass es außer der Einfallslosigkeit bezüglich der vertiefenden Methode der Referendarin eben noch diejenige des Fachleiters gibt, in den Kontext der Dialogsequenz einzuordnen.

Unterstützt wird die Annahme einer verbindenden Semantik durch den in Z. 215 schnell folgenden Anschluss „ÄHÄHÄ“ und das folgende „geNAU“. Die Lachpartikel kann hier nicht als „flooding out“, also als ein reflexartiges Herausplatzen wie beispielsweise nach einem Witz verstanden werden. Es hat hier eher Aussagecharakter, wenn man wie Merziger (2005: 58) „einen Perspektivwechsel von der passiven Rolle der Lachenden zu einer aktiven zu vollziehen“ in Betracht zieht. Zusätzlich quittiert die Referendarin mit dem Bestätigungssignal „geNAU“ die vorangehende Aussage des Fachleiters „müsst ich mir jetzt SELBST überlegen“ (Z. 214). Die Aussage des Fachleiters, der angibt, sich selbst zunächst einmal überlegen zu müssen, ob ihm als Vertiefung des Themas ein kognitiver Konflikt einfalle, wird durch das laute Gelächter der Referendarin kommentiert. Man kann an dieser Stelle erkennen, dass dieses Lachen weniger eine Reaktion auf einen amüsierenden Stimulus ist, als vielmehr Ausdruck der Erleichterung, die die Referendarin hier empfindet. Die Entlastung, die sie mit diesem Lachen kundtut, liegt gerade in dem vermeintlich „konfliktreduzierendem“ Potenzial der Fachleiteräußerung, dass er selbst erst einmal überlegen müsse und der damit aus Sicht der Referendarin geleisteten Annäherung an ihr eigenes Defizit.

Es folgt die Reaktion des Fachleiters auf die von der Referendarin geäußerten additiven Semantik als klare Abgrenzung zu dieser Fremdpositionierung.

iDEE HAB' ich dazu – können wir gleich GUCken, ob/ ob wir/ . . müssten wir noch mal zusammen durchsprechen, ne? ob/ob die TRAGfähig ist oder nicht↓“ (Z. 231–239) Der Fachleiter markiert im ersten Teil seiner Äußerung eine Divergenz bezüglich der Einschätzung der Referendarin. Es ist nicht der Fall, dass ihm auch nichts einfällt, er hat eine Idee dazu, wie man eine inhaltliche Vertiefung des Stundenthemas initiieren könne. Damit wird die Einschätzung des „auch“ in seiner konnektierenden Funktion, wie sie die Referendarin vornimmt, nicht ratifiziert.

Die topologische Struktur des Satzes, den der Fachleiter hier äußert, kann als eine Linksanbindung des Themas verstanden werden. „iDEE“ findet durch die Position an der ersten Stelle des Satzkonstruktes eine größere intonatorische Gewichtung in der sich anschließenden Kommunikation. Dem Vorfeld eines Satzes kommt nach Zifonun (1997: 1639) eine besondere Bedeutung zu, insofern es „immer zugleich auch als eine besondere Stelle der Informationsstruktur zu sehen“ ist. So ist das Vorfeld einer Äußerung dann besonders angezeigt, wenn „ein thematischer Anschluss an das Vorangegangene herzustellen“ (ebd.: 1642) ist. Der auf diese Weise hergestellte inhaltliche Anschluss und die gleichzeitige Akzentuierung der „iDEE“ sind demnach zwei hervorstechende Charakteristika, die diese Äußerung als Reaktion zur behaupteten Ähnlichkeitsbeziehung ausmachen.

Das verwendete Personalpronom „ich“ kennzeichnet die Autorschaft des Fachleiters für die angekündigte Idee. Mit dieser direkten Form der „Selbstbezeichnung“ (ebd.: 938) markiert der Fachleiter deutlich den Unterschied zur behaupteten Ähnlichkeitsbeziehung.

Was danach folgt, sind Hinweise für das weitere Vorgehen mit der Idee für einen kognitiven Konflikt. Auffallend an den sich anschließenden Äußerungen sind die nun einsetzenden zahlreichen Abbrüche und Korrekturen, die, so Kallmeyer (2000: 232) „in dieser Form typisch sind für die Anfangsphase komplexer Äußerungen“. Man kann erkennen, dass nach der Bekanntgabe, dass er nun doch eine Idee habe, die Einbindung dieser Idee in das weitere Gespräch offenbar eine komplexe Anforderung bedeutet.

In seinen weiteren Ausführungen benutzt er wiederholt das Pronomen „wir“ in „können wir gleich GUCken .“ (Z. 231) und „müssten wir noch mal zusammen durchsprechen“(Z. 236) und in „müssen wir mal überlegen“ (Z. 239). Die Verwendung von „wir“, die den Hörer einer Äußerung mit einbezieht und aus Sprecher und Hörer nach Zifonun (1997: 322) eine „Sprechergruppe“ konstruiert, löst die frühere sprachliche Selbstbezeichnung des Fachleiters (Z. 231) schnell wieder auf. Verstärkt wird der Eindruck durch das Adverb „zusammen“ (Z. 236), das herausstellt, dass im folgenden Gespräch etwas nicht allein, sondern gemeinsam und miteinander geschehen soll.

Gleichzeitig wird der propositionale Gehalt seines Diktums herabgestuft, dadurch, dass der Fachleiter vorgibt, dass man sich seine Idee „gleich (an)GUCken“ könne und sie gemeinsam „durchsprechen“ und „überlegen müsse“. Damit wird die Idee, deren Präsenz zuvor behauptet wird, zur Disposition gestellt und scheint damit im weiteren Verlauf des Gesprächs erst hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit oder Angemessenheit überprüft werden zu müssen.

  • b) Wieso wird das so dargestellt?

Nach der vorgenommenen Fremdpositionierung durch die Referendarin, die den Fachleiter als jemanden positioniert, dem genau wie ihr selbst für die Kreation eines kognitiven Konflikts zu diesem Unterrichtsgegenstand nichts einfallen will, wird sein Bemühen deutlich, diese Fremdpositionierung zu korrigieren. Dies geschieht durch die Selbstdarstellung, dass er eine Idee dazu habe. Selbstdarstellungen dieser Art sind nach Zifonun (1997: 941) üblicherweise und erst recht im Kontext einer Erwiderung wie in diesem Fall eine riskante Aussage, da Selbstbewertungen „in unserer Gesellschaft negativ angesehen werden,“ weshalb häufig eher verdeckte sprachliche Formen verwendet werden. Kritisch ist eine positive Selbstdarstellung vor allem hinsichtlich der damit einhergehenden „Beziehungsgestaltung“ (ebd.), die im vorliegenden Fall der Beratung besonderes Gewicht besitzt.

Die unmittelbare Nähe der disjunkten Aussageinhalte erklärt ihre Komplexheit. Auf der eine Seite geht es um die notwendige Korrektur der Fremdpositionierung. Bei der Annahme der propositionalen Wahrheit dieser Aussage säßen nämlich zwei Ahnungslose am Tisch, die höchstens noch darauf hoffen könnten, dass ihnen in Kooperation das einfällt, was beiden an Ideen bisher versagt geblieben ist.

Auf der anderen Seite bemüht sich der Fachleiter im zweiten Teil der Äußerung schnell um das erneute Herstellen von Gemeinsamkeiten. Die wiederholte Verwendung des Personalpronoms „wir“ und auch die Ankündigung, dass man gemeinsam überprüfen müsse, ob seine Idee tatsächlich etwas tauge, kann als komplexe Abtönungsstrategie betrachtet werden, die den Eindruck erweckt, als gehe es im weiteren Verlauf der Beratung um einen gemeinsam zu gestaltenden Prozess.

7.6 Die Positivrunde der UNB

In der folgenden Positivrunde, die der eigentlichen Beratung noch vorausgeht, fällt eine Gesprächssequenz durch ihre besondere Expressivität auf. Der Fachleiter führt in diese Gesprächsphase ein: „‚ja frau henke . dann komm wir erstmal . (zu) unsre POsitivRUNde‘,..“ (257) Der Fachleiter betont, dass die Lehrerpersönlichkeit der Referendarin schon gut ausgebildet sei, dass es der Lehrkraft gelänge, Beispiele zum Unterrichtsgegenstand zu überlegen, die die Schüler:innen motivieren, dass der Übergang in die Erarbeitungsphase ohne Bruch gelungen sei und die Methode der Zuordnung von Beispieläußerungen zu den Begriffen „Argument“ und „Beleg“ ebenso wie die Klassifizierung der Belege gut geklappt habe. Abschließend formuliert er zum Ende seiner positiven Rückmeldung das folgende Zwischenfazit (Tabelle 7.7):

Tabelle 7.7 Zwischenfazit des Fachleiters (Gesprächszeit 00:17:29)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Die geäußerten Positiva, wie etwa Schüler:innen zu motivieren oder Unterrichtsphasen geschickt miteinander zu verknüpfen, hat die Referendarin in dieser Phase stumm lächelnd zur Kenntnis genommen. Als der Fachleiter seine Ausführungen zur Positivrunde zusammenfasst und als Fazit formuliert, dass es schön sei zu erkennen, wie gerne die Referendarin unterrichte, reagiert sie auf dieses anerkennende Lob begeistert. Sie bestätigt seinen Eindruck, unterbricht ihn mit einem bestätigenden „JA↑“ (Z. 324), spricht von ihrer Freude am Unterrichten und ergänzt dann das erhaltene Lob. Sie zeigt auf, dass ihr ohne diese Freude am Unterrichten die Belastung, die sie wohl vor allem in der intensiven und zeitraubenden Unterrichtsvorbereitung sieht, „manchmal ein bisschen viel werden“ würde (Z. 326). Dann fährt sie fort mit der Darstellung eigener Beobachtungen zu positiven Schülerreaktionen auf ihren Unterricht und wiederholt, dass es genau diese Reaktionen seien, die sie für die vermehrte Arbeit vom Vortag entschädigen.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Zunächst einmal fällt an dieser Gesprächssequenz der Sprecherwechsel auf. Die Referendarin ergreift hier die Initiative, sie unterbricht in Z. 324 mit „JA↑“, die Ausführungen des Fachleiters, offenbar ermutig durch die Anerkennung, die er ihr hier ausspricht. Das „JA“ erscheint an dieser Stelle mit einer komplexen Funktion. Als Konjunktor verknüpft es die vorige Aussage, die bestätigt wird, mit der folgenden, die dann weiter ausführt wird. Als „inkrementiver Konjunktor“ (Zifonun: 1997: 2437) bestätigt dieses „JA“ aber nicht nur das zuvor Gesagte, also die Aussage, dass ihr das Unterrichten Spaß mache. Die nachfolgende Aussage, die mit der ersten verknüpft wird, wird mit dem „inkrementiven Konjunktor“ besonders gewichtet.

„Die Struktur ist vergleichbar der einer Präzisierung: das im ersten Konjunkt Gesagte bleibt in Geltung, das im zweiten Gesagte kommt der Sache aus der Sicht des Autors [der Aussage, A.B.-H.] noch näher“ (ebd.: 2436).

So kann die Aussage der Referendarin hier als „Steigerung“ zu der vorherigen Fachleiteräußerung gelten. Das, was er beschreibt, dass sie als junge Lehrerin Spaß habe, wird aufgegriffen und gesteigert zu: OH mir macht das SO freude“(Z. 325).

Betont wird diese Steigerung durch weitere sprachliche Phänomene, die auf dieses „JA“ folgen. Den Anfang des nun folgenden Redebeitrags der LAA und damit als Auftakt zur nachfolgenden Aussage fügt die Referendarin ein weiteres Responsiv ein: „TOTAL↑ (Z. 325)“. Mit diesem Adjektiv wird eine deutliche Gewichtung zum Ausdruck gebracht. Es spezifiziert „das ... zum Ausdruck Gebrachte vor dem Hintergrund einer mit dem Bezugsausdruck gegebenen Norm“ (ebd.: 56), die hier deutlich überschritten wird. Das Adjektiv erscheint in der Funktion einer Intensitätssteigerung, die sich auf das Fachleiterlob bezieht.

Was nun folgt, ist der zweite Teil der mit dem Konjunktor „JA“ eingeleiteten Aussage der Referendarin. Diese beginnt mit der Interjektion „OH↑“ (Z. 325). Interjektionen gelten nach Zifonun (1997: 62) als selbstständige funktionale Einheiten innerhalb eines Gesprächs, „mit denen der [andere, A.B.-H.] Sprecher unmittelbar gelenkt oder über mentale Zustände (Emotionen usw.) informiert werden kann.“ Für die Interjektion „oh“ gilt, dass sie dem Adressaten signalisiert, dass „der Sprecher von Ereignissen, Handlungen oder Empfindungen in besonderer Weise tangiert“ (ebd.: 390) wird. Dem Ausruf „OH↑“ als Reaktion starker Empfindungen folgt die Aussage, dass das Unterrichten nicht nur, wie der Fachleiter noch behauptete, Spaß bereite, sondern sogar Freude. Dies zeigt hier einerseits die Entgegennahme der anerkennenden Worte des Fachleiters und andererseits die Freude, die allein schon durch die Vorstellung vom Unterrichten ausgelöst wird. Die Partikel „so“ vor Freude (Z. 325) und vor „gerne“ können als weitere Steigerungen im Sinne von „dermaßen Freude“ und „dermaßen gerne“ betrachtet werden.

Darauf folgt allerdings keine weitere Steigerungsvariante, sondern eine inhaltliche Relationierung des zuvor Gesagten. In „Also ich glaub sonst würd mir die ganze Arbeit manchmal ein bisschen viel werden“ (Z. 325 f.) zeigt die Konnektivpartikel diese Relationierung zur vorher benannten Freude in seiner kontrastierenden Funktion. Falls also die LAA diese Freude nicht spüren würde, dann wäre die Arbeitsbelastung „manchmal ein bisschen viel“. (Z.326) Die vorhergehenden Äußerungen über die Freude am Unterrichten werden also an dieser Stelle in Relation gesetzt zum damit verbundenem Arbeitsaufwand, der hier seine Erwähnung findet.

Die Reaktion des Fachleiters auf diese Aussage ist ein lakonisches „//jajá//“ (Z. 327), mit dem er für einen Moment die Ausführungen der LAA unterbricht. Die kombinatorische Variante des Responsivs „ja“ als „jaja“ drückt dabei nicht einfach nur eine Konvergenz zur vorigen Aussage aus; vielmehr wird hiermit auch angedeutet, dass der geäußerte Sachverhalt als „selbstverständlich“ und „bekannt“ gelten kann. Damit wird häufig auch eine gewisse „Ungeduld“ (vgl. ebd.: 378) zum Ausdruck gebracht.

Nach dieser kurzen Unterbrechung wiederholt die Referendarin, dass sie positive Schüler:innenreaktionen auf ihren Unterricht als Lohn für die investierte Mühe betrachtet, dieses Mal konkretisiert sie diese Mühe und spricht explizit von der Arbeit, die sie am Vorabend noch für diesen UB aufgewendet hat.

Die Reaktion, die sie dazu erhält, ist ein kurzes „mhm“ (Z. 332) vom Fachleiter. Eingeleitet mit einem Adversativ, womit sie den Blick von den investierten Mühen wendet und auf den Lernerfolg der Schüler:innen lenkt, fährt die Referendarin fort und formuliert selbst als Ergebnis der Positivrunde: „aber immerhin . es ist was angekommen.“ (Z. 333 f.) „Immerhin“ ist syntaktisch gesehen eine Satzverbindung, hier zwischen der Darstellung der Mühen auf der einen und dem behaupteten Lernerfolg auf der anderen Seite. Semantisch gesehen hat „immerhin“ die Funktion, den Aussagestatus der Proposition („es ist was angekommen“), hinsichtlich seiner Geltung einzuordnen. Die „bewertend-assertive Satzadverbiale“ (ebd.: 1128) drückt eine Bewertung des Sprechers aus, die „immerhin“ als „eingeschränkt-positiv“ gelten kann. Das bedeutet in diesem Zusammenhang: Zwar hat die Referendarin am Vorabend lange an der Unterrichtsvorbereitung gesessen, aber „immerhin“ ist ja etwas bei den Schüler:innen angekommen. Die Partizipkonstruktion des Verbs „lohnen“ signalisiert, dass hier ein Nutzen als Folge der eingesetzten Anstrengung entstanden ist.

Zwischen der Satzadverbialen und der damit bewerteten Aussage wirft der Fachleiter das Responsiv „nein→“ (Z. 334) ein, hier aber nicht verwendet als Nicht-Bestätigung eines zuvor geäußerten Sachverhalts, sondern in der hier langgezogenen Sprechweise eher als Einleitung seines folgenden Redebeitrags, mit dem er in einer kanonischen Äußerung bestätigt, dass die Referendarin „auf nem völlig richtigen Weg“ sei (Z. 336). Diese Redensart greift auf ein weites Bildfeld zurück, das „das Leben oder die Entwicklung einer Sache als Reise oder Weg“Footnote 30 beschreibt. Die Vorstellung, dass im Kontext der Lehrerausbildung jemand auf dem rechten Weg ist, versinnbildlicht die Ausbildungszeit als Wegstrecke, die zurückgelegt werden muss.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

In der Positivrunde stellt der Fachleiter insgesamt zwei Stärken der LAA heraus:

Zunächst einmal nimmt er am Ende der Gesprächssequenz die positive Einstellung der Referendarin zur Unterrichtstätigkeit in den Blick. An dieser Stelle fällt die Referendarin ihrem Fachleiter ins Wort. Indem sie dieses Lob emphatisch aufgreift, bestätigt sie seine Worte und positioniert sich als begeisterte Lehrerin. Mit ihrer Begeisterung reklamiert sie eine Position innerhalb des Ausbildungsverhältnisses, die eher an eine Unterstützung durch die Ausbilder:innen denken lässt als an eine Korrektur oder Kritik. Diese Begeisterung zu dämpfen hätte gewisse moralische Kosten, müsste sich doch jede Ausbilder:in den Vorwurf gefallen lassen, die Begeisterung der LAA für das Unterrichten gedämpft zu haben.

Auch an dieser Stelle des Gespräches werden die interaktionslogischen Konsequenzen einer Selbstpositionierung erkennbar, zumindest dann, wenn dieser Positionierung erster Ordnung nicht durch eine Positionierung zweiter Ordnung widersprochen wird.

Darüber hinaus nutzt die Referendarin geschickt die Gelegenheit, um auf die Anstrengungen aufmerksam zu machen, die mit der Vorbereitung des Unterrichts für sie verbunden gewesen sind. Mit dem Verweis auf die geleistete Arbeit positioniert sie sich als eine Lehrkraft, die es verdient hat, für diese Arbeit anerkannt zu werden. Gleichzeitig betont sie, dass sich die aufgewendeten Mühen gelohnt haben, bei den Schüler:innen sei ja ein Lernertrag angekommen. Damit positioniert sie sich auch hinsichtlich ihrer Befähigung als Lehrkraft und präzisiert diese Befähigung hinsichtlich des Lernerfolgs, der sich in ihrem Unterricht einstellt. Fasst man diese Positionierungen zusammen, so hat die Referendarin das Ende der Positivrunde genutzt, um auf ihre Qualitäten aufmerksam zu machen: Sie hat Spaß an ihrem Beruf und sie investiert viel, um mit ihrem Unterricht einen Lernertrag für ihr Lerngruppe zu generieren.

Diese Selbstpositionierung wird allerdings von ihrem Ausbilder nicht völlig geteilt. In einer Positionierung zweiter Ordnung fällt seine Fremdpositionierung der Referendarin, mit der er dann diese Gesprächssequenz beschließt, deutlich bescheidener aus. Er sieht die Referendarin „auf einem richtigen Weg“ (vgl. hierzu auch Abschn. 8.2.3). Damit ist aber längst noch kein Ziel erreicht. Richtig erscheint der eingeschlagene Weg aus seiner Perspektive deshalb zu sein, weil die Schüler:innen der LAA immer „folgen werden“ (Z. 336 f.). Das, was der Fachleiter hier als Indikator dafür benennt, dass die LAA „auf dem richtigen Weg sei“, ist, dass sie mit ihrer Begeisterung (für das Fach oder das Unterrichten insgesamt) die Schüler:innen aktiviert und motiviert, sodass sie ihr als Lehrkraft folgen und den Unterrichtsverlauf durch ihre aktive Mitarbeit unterstützen. Weder der erwähnte Arbeitsaufwand noch der Lernerfolg wird durch dieses abschließende Fazit bestätigt. Und so fällt das Bestätigungssignal der Referendarin nach dieser Fremdpositionierung auch entsprechend sparsam als „hm↓“ (Z. 338) aus.

7.7 Die Beratung während der UNB

Nach dem Abschluss der Positivrunde leitet der Fachleiter die Gesprächsmitte ein, „… soll'n wir dann mal äh/ so GUCken-?“ (Z. 340) sind seine einleitenden Worte, die Referendarin antwortet mit einem kurzen „ja!“ und damit beginnt der zweite Teil der UNBFootnote 31.

In der nun folgenden Beratungssequenz werden die inhaltlichen Aspekte und Wünsche der Referendarin durch die Aspekte ergänzt, die der Fachleiter wichtig findet. Er beginnt mit dem ersten Aspekt, den die Referendarin selbst genannt hat, dem Umgang mit Schüleräußerungen.

7.7.1 Die Fragestrategie des Fachleiters

Fachleiter und Referendarin einigen sich für die weitere Beratung auf eine Unterrichtsphase, die beiden für das Problem „Schüleräußerungen“ exemplarisch zu sein scheint (Tabelle 7.8).

Tabelle 7.8 Umgang mit Schüleräußerungen (Gesprächszeit 00:20:08)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Die Gesprächssequenz eröffnet der Fachleiter mit zwei Fragen an die Referendarin: „Die frage ist . wie reagiert man als lehrer. was macht man?“ (Z. 379). Die beiden offenen Fragen, die der Fachleiter stellt, nehmen Bezug auf den Beratungswunsch der Referendarin. Sie hat schon in ihrer Stellungnahme darauf verwiesen, dass sie ein großes Interesse daran hat, zu klären, wie man als Lehrkraft reagiert, wenn die Schüler:innen im Unterricht nicht weiterwissen. Wartet man ab und gibt ihnen Zeit, das Fragliche selbst zu beantworten? Wenn man dies tut, wie lange sollte man dann abwarten?

Nach den auffordernden Fragen des Fachleiters weiß die Referendarin allerdings keine Antwort und so führt er selbst aus, dass die Gefahr beim Abwarten darin bestehen könne, dass die Schüler:innen ohne Orientierung schließlich raten müssten, was er mit „Ostereiersuchen“ (Z. 386) beschreibt. Damit markiert er einen Unterschied zwischen dem Zeitgeben zum eigenen Nachdenken und dem hilflosen Suchen nach einer Antwort, die selbstständig nicht gefunden werden kann. Um die Schüler:innen nicht raten zu lassen, sollte man als Lehrer „an einem punkt“ (Z. 388) entscheiden, wann es richtig ist, als Lehrkraft selbst die Antwort zu geben, damit eine Frage oder eine Unklarheit geklärt werden kann. Allerdings sei die Entscheidung, wann und ob man überhaupt als Lehrkraft das fehlende Wissen von außen beisteuert, davon abhängig, was man sonst noch in der Stunde vorhabe (vgl. Z. 406). Schließlich sei die Lehrkraft in den Unterrichtsstunden darauf angewiesen, diese Entscheidung „abzuwägen“ (Z. 398, 403), ein allgemein gültiges „reZEPT“ (Z. 395) für diese Entscheidung gebe es nicht.

  • b) Wie wird das dargestellt?

Die Gesprächssequenz zum Umgang mit Schülerfragen beginnt selbst mit einer Frage, genauer gesagt mit zwei Fragen, wobei die zweite Frage die erste zu ergänzen scheint: „wie reagiert man als lehrer . was macht man?“ (Z. 379).Footnote 32 Da innerhalb der Sequenz, die mit diesen beiden Fragen eingeleitet wird, die Referendarin sprachlich ganz anders reagiert, als sie dies bisher in der UNB getan hat – nämlich vorwiegend mit sehr knappen Bestätigungspartikeln, die eher eine Beteiligung denn eine inhaltliche Zustimmung bedeuten, ist es sinnvoll, die Fragen, die der Fachleiter stellt, genauer zu untersuchen.

Ganz allgemein dienen Fragen dazu, Sachverhalte über die Welt zu klären. Sie dienen dazu, einen „Austausch von Wissen“ (Zifonun 1997: 103) mit einem Frage-Antwort-Muster zu ermöglichen, wobei die Antwort als ein „Transfer eines spezifischen Wissens“ (ebd.) gelten kann. Üblicherweise bringt der Sprecher mit einer Frage

„nicht nur zum Ausdruck,

  1. a)

    daß er etwas nicht weiß, [sondern, A.B.-H.]

  2. b)

    dies vom Adressaten wissen will und

  3. c)

    davon ausgeht, daß der Adressat über das erforderliche Wissen verfügt“ (ebd: 104).

Die Sprechenden müssen beim Formulieren ihrer Frage davon ausgehen, dass der anwesende Adressat über ein Wissen verfügt, damit das „Nicht-Gewußte [sic] zu Gewußtem“ (ebd.) wird. Dies kann als notwendige Voraussetzung dafür gelten, dass der beabsichtigte Wissenstransfer gelingen kann. Gelingt kein Transfer, entweder weil der Adressat eine Antwort nicht geben kann oder nicht will, steigt der Frager aus dem Frage-Antwort-Muster explizit aus, indem er beispielsweise die Antwort zurückweist.

In diesem Fall ist eine Zurückweisung der Antwort nicht zu beobachten. Die Referendarin weiß zwar keine Antwort, sie behilft sich aber mit einer lakonischen Gegenfrage, die als Verneinung der Eingangsfrage zu verstehen ist „nich so lange RAten lassen↑“ (Z. 381).

Da in dieser Gesprächssequenz nicht davon ausgegangen werden kann, dass hier das übliche Frage-Antwort-Muster vorliegt, bei dem der Fragende etwas – (das „Interrogatum“ (ebd: 104) – wissen will, liegt es nahe, dass hier ein anderer Fragetyp vorliegt.

Wenn man davon ausgeht, dass der Fachleiter die Fragen „wie reagiert man als lehrer . was macht man?“ (Z. 379) nicht stellt, weil er von der Referendarin ein ihm fehlendes Wissenselement erfragt, so kann man erkennen, dass hier eine Modifikation des Fragetypus’ vorliegt. Die Frage dient innerhalb dieser Sequenz entweder dem Zweck, herauszufinden, ob die Referendarin die Antwort weiß („Examensfrage“) oder zumindest zu diesem Zeitpunkt, angestoßen durch den Frageimpuls, die Antwort finden kann („Regiefrage“). Diese Fragetypen sind vor allem für institutionalisierte Kontexte typisch. „In pädagogischen Institutionen muß der Adressat verschiedentlich sein fachliches Wissen unter Beweis stellen“ (ebd: 116). Bei der „Examensfrage“ wird nach Ehlich und Rehbein (1986: 68) das Grundmuster der Wissensfrage modifiziert, um herauszufinden, ob die Hörer:in „das Wissen hat, nach dem gefragt wird.“ (Ehlich & Rehbein 1986: 68)Footnote 33

Das Vorkommen dieser Frageform in pädagogischen Institutionen erklärt sich allerdings nicht allein dadurch, dass die Befragten ihr Wissen unter Beweis stellen. „Man kann diese Form auch verwenden, um die Voraussetzungen einer Informationsfrage zu klären und auf diesem Wege die entsprechende Frageinterpretation bzw. einschlägige Antwort auszulösen.“ (Zifonun: 116) Ehlich und Rehbein kommen bei ihrer Untersuchung zur Unterrichtskommunikation dazu, Regiefragen als die Frageform zu typisieren, die Lehrpersonen dann einsetzen, wenn ein „Zugriff zum Wissensreservoir des anderen Interaktanten“ (Ehlich/Rehbein: 70) hergestellt werden soll. Im pädagogischen Diskurs besitzt diese Fragetechnik eine lange Tradition, die der Philosophie der Aufklärung verpflichtet ist. Innerhalb dieser Tradition wird diese Frageform auch als „sokratische“ Frageform oder auch als „Hebammenkunst“Footnote 34 bezeichnet. „Durch die sprachliche Handlung des Fragens wird also Einfluss genommen auf die mentalen Operationen des Adressaten …“ (ebd). Und weiter heißt es dort:

„ …die Regiefrage hat ihren Zweck darin, die Steuerung eines Aktanten durch einen anderen zu bewirken. … Sie bedient sich deren starker Eingriffsmöglichkeiten in H [den Hörer, A.B.-H.], um ihn zu dirigieren.“ (Ehlich/Rehbein 1986: 71)

Die Eingriffsmöglichkeit, die die Frage bietet, liegt beim Fragetyp der „Regiefrage“ vor allem darin, dass mit der Nennung des Themas in der Frageformulierung „wie reagiert man als lehrer . was macht man?“ (Z. 379) der Hörer das entsprechend Neue benennen soll. Im vorliegenden Fall wäre dies die Darstellung eines Lehrerverhaltens, das ausbleibende Schülerbeiträge evozieren möchte.

Die notwendige Voraussetzung zur erfolgreichen Bearbeitung einer Regiefrage liegt dann vor, „wenn der Thema-Angebende [der Fragende, A.B.-H.] gewiß sein kann, daß die Adressaten das Rhema (das Neue, A.B.-H.) zu bieten in der Lage sind“ (ebd.: 85). Berücksichtigt man den im Vorfeld der gestellten Regiefrage von der Referendarin benannten Beratungswunsch, dann kommen hier Zweifel auf, ob der Fachleiter von dieser Gewissheit ausgehen kann. Ausführlich hat die Referendarin vor der Frage des Fachleiters dargestellt, wie sich die Situation im Unterricht abgespielt hat. Die Schüler:innen, das war ihr Eindruck, verstanden nicht genau, was mit dem Begriff „allgemein Anerkanntes“ als Argument gemeint gewesen ist. Sie war in der Unterrichtssituation unentschlossen, ob sie die Unsicherheit der Schüler:innen schon an dieser Stelle im Unterricht aufgreifen sollte oder aber darauf warten könne, dass sich dieses Problem ohne ihr Zutun während der Erarbeitungsphase klären würde. Die Entscheidung, die hier zu fällen war, kann sie laut ihrer Beschreibung noch nicht fällen. Aus dieser Unsicherheit heraus formuliert sie ihren Beratungsbedarf. Auf die an sie gestellte Regiefrage fällt die Antwort der Referendarin entsprechend hilflos aus. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als das Thema der Frage aufzugreifen und in negierter Form als neue Frage zu formulieren „nich so lange RAten lassen↑ (Z. 381), weil sie das Rhema der Frage nicht kennt. Ihre Reaktion entspricht inhaltlich dem Kern ihres Beratungswunsches und deshalb kann das Ausbleiben ihrer Antwort hier nicht überraschen.

Da die Regiefrage des Fachleiters noch nicht beantwortet worden ist und der Fachleiter sich noch nicht weiter dazu äußert (wendet den Kopf hin und her, Z. 382), greift die Referendarin zu einer erneuten Problembeschreibung. Mit der wiederholten Verwendung der Frequenzadverbalia „immer“ (Z. 383) wird die Häufigkeit ihrer Unsicherheit im Umgang mit Schülerfragen betont.

Im weiteren Verlauf dieser Gesprächssequenz stellt der Fachleiter die Schwierigkeiten dar, die sich einstellen, wenn man die Schüler:innen zu lange raten lässt, ohne dass sie eine Chance hätten, gezielt nach der Lösung einer Frage oder eines Problems zu suchen. Er verwendet dabei die Metapher „Ostereiersuchen“, die anschaulich werden lässt, dass die Suchbewegung ungezielt und in alle möglichen Richtungen verlaufen kann. So aber kann und soll Unterricht nicht verlaufen und mit dem lokaldeiktischen Verweis „an einem punkt“ (Z. 388) stellt er die Forderung auf, dass man als Lehrer:in Sachverhalte im Unterricht zu klären habe. Der lokal vorgestellte Verweisraum, den er hier benennt, ist allerdings unbestimmt, wie die Verwendung des indefiniten ArtikelsFootnote 35 „an einem punkt“ deutlich macht. Wo oder wann dieser Punkt erreicht worden ist, wird nicht gesagt. Offenbar befindet er sich irgendwo auf einer Skala von „wo lass ich die Schüler da noch mal selbstständig…“ (Z. 400) bis zu „Wo geb ich ihnen dann ganz konkrete hilfe“ (Z. 401). Die Bestimmung dieses Punktes, an dem die Entscheidung für eine mögliche Hilfe von der Lehrperson gegeben wird oder die Schüler:innen noch Zeit für einen eigenständigen Lösungsweg erhalten, benennt der Fachleiter als „Abwägungssache“ (Z. 398). Abgewogen werden soll hier wohl das Vorankommen in der Unterrichtsstunde „Was hab ich in der stunde noch alles vor↑“ (Z. 406) in Relation zur Unterstützung der Selbstständigkeit der Schüler:innen bei der eigenständigen Lösung „dass die schüler das selbständig erkennen“ (Z. 403 f.).

Eine konkrete Entscheidungshilfe formuliert der Fachleiter nicht „allgemeines reZEPT möchte ich ihnen da nicht geben können“ (Z. 395 f.). Hierbei fällt auf, dass er für die Ablehnung eines allgemeinen RezeptesFootnote 36 zwei unterschiedliche Modalverben benutzt, möchte ich Ihnen da nicht geben können.“ Für Modalverben gilt, dass sie dazu verwendet werden „Sachverhaltsentwürfe auf der Folie von Redehintergründen, z. B. situativen Umständen, Normen oder Wissensvoraussetzungen, einzuordnen“ (Zifonun 1997: 1253). Das Modalverb „möchte“ wird hier nicht im epistemischen Sinne wie beispielsweise „können“ verwendet. Es drückt hier eine „intrasubjektiv-volitive“ (ebd.: 1894) Modalität aus. Der Fachleiter möchte einerseits keine allgemeine Regel oder „ReZEPT“ für das Lehrerverhalten anbieten, noch kann er es, weil es diese Regel nicht gibt. Die Begründung dafür gibt er mit dem Hinweis auf die Abwägung der verschiedenen Umstände einer Unterrichtsstunde, die jeweils zu bedenken sind.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Mit dem Beratungsanliegen formuliert die Referendarin den Wunsch, verlässlicher als bisher zu einer Entscheidung im Unterricht gelangen zu können, wann man die Schüler:innen selbstständig nach der Lösung bei einer Frage oder Unklarheit arbeiten lässt und wann man als Lehrkraft die Lösung oder Auflösung selbst einbringen soll. Auf dieses Anliegen reagiert der Fachleiter mit einer (bzw. mit zwei) Regiefrage(n), um einen Reflexionsprozess der Referendarin zu initiieren. Dieser Prozess wird allerdings hier nicht angestoßen. Die Referendarin verdeutlicht stattdessen, dass sie immer wieder im Unterrichtsgeschehen unentschlossen ist, was der richtige Weg sei. Als Konsequenz auf das Ausbleiben einer Antwort bleibt ihr nur, auf die Regiefrage mit einer neuen Frage zu reagieren, mit der Annahme, dass das Ratenlassen von Schüler:innen wohl nicht die richtige Reaktion ist.

Das Problem des Ostereiersuchens, das im Unterricht vermieden werden sollte, findet sich auch in dieser Beratungssituation. Es existiert hier noch kein Wissensreservoir, an das der Fachleiter anknüpfen könnte, um einen Denkprozess zu initiieren. Die Referendarin steht am Anfang ihrer Ausbildung und möchte gerne wissen, wie sie sich im Unterricht zu verhalten hat: Erst einmal auf Antworten warten oder sie selbst geben?

Was sie hier erfährt, ist, dass der Fachleiter ihr kein Rezept als Patentlösung geben kann oder möchte. Es ist nicht klar, ob er es nicht möchte, weil es einen Normenkonflikt bedeuten würde, die Selbstständigkeit der LAA beim Finden von Lösungen zu untergraben, indem man selbst als Ausbilder sagt, wie man sich im Unterricht zu verhalten habe oder ob er schlicht kein Rezept als Handlungsanweisung geben kann, weil dies unmöglich ist. Unterricht enthält so viele situationsabhängige Variablen, die jeweils neu einzuschätzen sind und die es verbieten, allgemeine Handlungsempfehlungen auszusprechen.

Damit beschreibt der Fachleiter für die Ausbildungssituation offenbar dasselbe Dilemma, das die Referendarin auch im Unterricht erlebt. Diese Verquickung bleibt in dieser Gesprächssequenz insgesamt unreflektiert. Die Regiefrage führt die Referendarin hier keinen Schritt weiter. Sie steht erst am Anfang ihrer Ausbildung und benötigt einen Hinweis von außen oder, wenn der nicht zu geben ist, zumindest eine gemeinsame Reflexion, die sie mit ihrem Problem nicht allein lässt.

7.7.2 Relevanzrückstufungen

Der nächste Gesprächsaspekt wird wieder vom Fachleiter angekündigt: „Ja, jetzt kommt Ihre Frage zur Sicherung.“ (Z. 421) Hierzu führt die Referendarin kurz aus, was sie in dieser Phase der Unterrichtsstunde gerne erreicht hätte. Es wäre ihr wichtig gewesen, hier noch einmal vertiefend den Unterschied zwischen Argumenten und Belegen mit den Schüler:innen zu klären. Der Fachleiter schlägt vor, dafür die gesamte Unterrichtsphase zu betrachten. Er schildert seine Beobachtung zur vorausgehenden Gruppenarbeitsphase, die seiner Meinung nach viel Zeit in Anspruch genommen hat. Die Referendarin führt aus, dass die Schüler:innen hier lange über die eigenen Beispiele diskutiert haben und dass darüber wohl die Zeit vergessen worden sei (Tabelle 7.9).

Tabelle 7.9 Zeitmanagement am Ende der Stunde (Gesprächszeit: 00:22:29.140–00:25:35.294)
  • a) Was wird hier dargestellt?

Nach seinem Vorschlag, dass sich die Referendarin diese Phase des Unterrichts noch einmal genauer anschauen solle, geht es im weiteren Verlauf dieser Gesprächssequenz um einige „handwerkliche“ Aspekte des Unterrichtens, die in dieser Phase der Stunde verbesserungswürdig erscheinen.

Die Nachfrage des Fachleiters führt zu einem Vorschlag der Referendarin, wie man die Gruppenarbeitsphase hätte eher beenden können. Dieser Vorschlag wird allerdings nicht weiter vom Fachleiter aufgegriffen. Stattdessen führt er selbst aus, wie man in dieser Phase des Unterrichts eine klare Struktur für die Weiterarbeit in der gesamten Lerngruppe organisieren kann.

Insgesamt geht es hier um das Zeitmanagement der Gruppenarbeitsphase (geplante Zeitdauer an die Tafel schreiben, kurz vor Ende der Phase das baldige Ende ankündigen) und um das Herstellen von Aufmerksamkeit zu Beginn einer neuen Unterrichtsphase (hier für die notwendige Ruhe sorgen).

  • b) Wie wird das dargestellt?

In dieser kurzen Sequenz gibt der Fachleiter der Referendarin zwei „Tipps“ (Z. 456, 458). Eingeleitet werden beide Tipps mit einem vorangestellten deiktischen Determinativ „son TIPP“. Damit wird der Gegenstand „Tipp“, auf den hier mit „solch ein“ (son) verwiesen wird, in seinen spezifischen Verweisraum verortet und seine nominale Charakterisierung und damit seine Beschaffenheit für den Adressaten angegeben (vgl. Zifonun 1997: 37).

Diese Tipps werden zügig formuliert und von der Referendarin bestätigend aufgenommen und schriftlich festgehalten. Auffallend ist, dass sowohl das Geben als auch das Aufnehmen dieser Hinweise sprachlich schlicht gestaltet werden. Im Folgenden soll die Bezeichnung „Tipp“, mit der der Fachleiter seine Hinweise und Anregungen für die Referendarin charakterisiert, genauer untersucht werden.

Umgangssprachlich verweist der Begriff „Tipp“ auf einen nützlichen Hinweis, einen guten Rat, der jemandem hilft. Als Synonyme findet man auch „Fingerzeig“ oder „Wink“Footnote 37. Etymologisch betrachtet ist dieser Begriff seit dem Ende des 19. Jahrhunderts aus der englischen Sprache übernommen worden („tip“) und fand zunächst Verwendung in der Börsensprache und im Pferderennsport. „tip“Footnote 38 bedeutet hier „Andeutung“ oder „geheime Information“Footnote 39.

Denken wir an den Kontext, aus dem dieser Begriff ursprünglich stammt, so ist man als Tippempfänger in der glücklichen Lage, in Beziehung zu Menschen zu stehen, die einen mit Informationen versorgen, die als Vorteil im Hinblick auf die Realisierung bestimmter Interessen gelten. Mit solchen Tipps hat man in der Gesellschaft anderer Interessierter einen Vorteil, der es ermöglicht, seine eigenen Interessen eher als andere durchzusetzen. Häufig sind die Tippgeber nicht an der Art von Vorteil interessiert wie diejenigen, die den Tipp erhalten und diesen Vorteil für sich nutzen. Im Pferdesport sind das etwa die Menschen, die Kenner der jeweiligen Ställe sind, Insiderwissen über die Pferde oder die Sportler besitzen und sich selbst nicht um das Wettgeschäft kümmern. Die am Wettgeschäft Beteiligten sind dankbar für die Informationen, die ihre Wettchancen vergrößern, ohne dass dabei an ihrer eigenen Kompetenz das Wettgeschäft betreffend zu zweifeln wäre. Man kann nicht auch noch das Insiderwissen des anderen Experten besitzen, seine Dankbarkeit über den Tipp wird sicherlich auch der Tippgeber schätzen, sodass es schließlich im besten Fall zu einer Win-Win-Situation kommt.

  • c) Wieso wird das so dargestellt?

Beleuchtet man den ursprünglichen Kontext von „jemandem einen Tipp geben“, so ist dabei von Bedeutung, dass einen „Tipp zu bekommen“ eine andere Qualität von „Hinweis erhalten“ besitzt, als wenn jemand etwas sagt, was ich selbst nicht wusste. Das „Tippgeben“ entlastet die Situation, die Hinweise werden sprechökonomisch unaufwändig formuliert und auch die Referendarin als Adressat dieser Tipps nimmt diese Tipps als das, was sie sind: kleine Hinweise, die ihr der Fachleiter gibt, der sein „Insiderwissen“, d. i. sein Erfahrungsschatz oder Expertenwissen weitergibt. Einen Tipp anzunehmen bedeutet auch in dieser Situation keine oder nur geringe Kosten für die Empfängerin. Er bedeutet keine Kritik am eigenen Kenntnisstatus. Die LAA erhält Informationen ohne die entstehenden Kosten eines sonst üblichen Ratschlags. Zudem entscheidet die Tipp-Empfängerin über die Annahme des erteilten Tipps. Sie kann aus ihrer Perspektive entscheiden, ob der Tipp tatsächlich relevant ist und zur eigenen Einschätzung der Situation passt. Der Tipp ist nur ein leichter Anstoß, der je nach Einschätzung der Adressatin eine Veränderung bewirken kann oder nicht. Diese Einschätzung liegt in ihrer Kompetenz.

In dieser Gesprächssequenz besteht die Qualität der erteilten Information in dem, wie es oben benannt wurde, handwerklichen Hinweis zum Unterrichten. Die Information, die zur Verfügung gestellte Zeit für die Gruppenarbeit für alle sichtbar an die Tafel zu schreiben, ist eine Information, für dessen bisheriges Fehlen sich die Referendarin nicht verantworten muss. Man ist während seines Germanistikstudiums nicht notwendigerweise mit diesem unterrichtspraktischen Detail in Berührung gekommen. Diese Art von Information ist Teil eines Ausbildungswissens, das bisher im Studium nicht von Belang war. Dieses berufspraktische Handlungswissen am Anfang der eigenen Berufsausbildung zu erhalten, bedeutet keinen Gesichtsverlust als examinierte Germanistin. Diese Einschätzung scheint zumindest der Fachleiter zu treffen. Er kann, ohne das bisherige Interaktionsgefüge zu destabilisieren, Hinweise formulieren, die für die Referendarin neu und wahrscheinlich auch relevant sind. Dabei vermeidet er zum einen die Gefahr einer Fremdpositionierung der Referendarin als schlichte Empfängerin oder Belehrte. Zum andern vermeidet er eine Selbstpositionierung als Experte, der sagt, wie in solchen Fällen zu handeln ist. Die Interaktionsbeziehung wird so durch seine Art der Relevanzreduzierung in Bezug auf das Hierarchiegefüge entlastet.