Mit der Frage danach, was die UNB vor dem Hintergrund der verschiedenen kommunikativen Instanzen leistet, stellt sich im Hinblick auf die Agierenden auch die Frage nach dem Verständnis der eigenen Rolle während einer UNB. Von außen betrachtet bedeutet dies: Wie positionieren sich die Interagierenden innerhalb des Interaktionsgeschehens? Wer agiert, wer reagiert? Wer übernimmt Verantwortung für den Prozess oder seine Teile? Gibt es jemanden, der führt und wenn ja, mit welchen kommunikativen Strategien?

Mit den hier aufgeworfenen Fragen distanziert sich diese Untersuchung von Forschungsansätzen, für die die Beziehung und damit auch die Kommunikationsform der Interagierenden außerhalb der jeweiligen Interaktion zu erklären ist (vgl. Abschn. 6.1). In dieser Arbeit wird stattdessen untersucht, wie die Agierenden ihre Beziehung während des Interaktionsprozesses gestalten.

Referendar:innen gelten einerseits, wie in Kap. 2 gezeigt wurde, den Ausbildungsverordnungen folgend als autonome Subjekte ihrer selbst zu verantwortenden Ausbildung und sie gelten als Kolleg:innen innerhalb ihres jeweiligen Schulsystems, insofern sie selbst verantworteten Unterricht erteilen.

Andererseits sind sie Auszubildende, die von ihren Ausbilder:innen angeleitet, bewertet, benotet und beraten werden. Es kann erwartet werden, dass sich die Gemengelage ihres Status innerhalb der Interaktion mit ihren Ausbilder:innen abbildet.

Ähnliches kann von den Fachleiter:innen angenommen werden. Sie kennen die Ausbildungskonzepte ihres jeweiligen ZfsL, das von ihnen eine wertschätzende Haltung gegenüber den erwachsenen Lernenden erwartet. Gleichzeitig sind sie den Standards einer fachlich korrekten Ausbildung auch im Hinblick auf die Examensprüfung verpflichtet.

Es wird davon ausgegangen, dass sich die unterschiedlichen Anforderungen, denen Referendar:innen und Fachleitungen in Ausbildungssituationen wie der UNB verpflichtet sind, in Positionierungsprozessen in der Interaktion zwischen LAA und ihren Ausbilder:innen zeigen.

Für den untersuchten Ausbildungskontext ist eine kritische Reflexion des Positionierungsbegriffes gerade vor dem Hintergrund einer häufig als vorstrukturiert geltende Kommunikationssituation (sei sie nun als hierarchisch oder symmetrisch beschrieben) besonders wichtig. Welche theoretischen Voraussetzungen beinhaltet die Annahme, dass von einer Beziehungsgestaltung während der Interaktion auszugehen ist?

Dafür wird im Anschluss an Foucaults strukturalistischem Ansatz seine Weiterentwicklung zum poststrukturalistischen Verständnis der Beziehung von Herrschaft und handelndem Subjekt kurz aufgezeigt. Eine im Vorfeld der Untersuchung hypothetisch konstatierte Determination rollenspezifischen Verhaltens wird damit relativiert hinsichtlich der Möglichkeit, individuelle Positionierungen im Interaktionsgeschehen beobachten zu können.

6.1 Freiheit und Diskurs

Das menschliche Subjekt, so ließe sich mit Foucault sagen, besitzt keine objektive Realität, von der aus sich bestimmen ließe, welcher Art von Identität ihm zukomme. Es ist bei seiner Selbstbestimmung weder von einer inneren noch von einer extern zu verorteten Herrschaftspraktik auszugehen. Es geht, so fordert in Anlehnung an Foucault Daniel Wrana (2006: 25) „um die Wechselwirkung zwischen diesen beiden Technikformen – Herrschaftstechniken und Selbsttechniken …“.

„Man muss die Punkte analysieren, an denen die Techniken der Herrschaft über Individuen sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt.“ (Foucault 1993 a, zit. nach Wrana, ebd.)

Im Bewusstsein der Agierenden stellt sich dieser Prozess allerdings häufig anders dar.

Diese besitzen nach Blumer (1981: 109) die Tendenz „getrennte Welten aufzubauen“, die sich dadurch auszeichnen, dass den Beteiligten aus unterschiedlichen Lebensbereichen unterschiedliche Rahmungen und Orientierungen für die „Handhabung der Situation“ (ebd.: 120) zur Verfügung stehen.

Subjektive Sichtweisen, die sich in unterschiedlichen sprachlichen Ausdrucksweisen wiederfinden, sind allerdings keine statischen Gefüge. Zuschreibungen und Konzeptionen, wie man sie häufig mit bestimmten Aufgaben- und Rollenverteilungen verbindet, sind eingebettet in verschiedenen sozialen Beziehungen. In jeder aktuellen Situation sind wir darauf angewiesen, die eigene Position innerhalb des Interaktionsprozesses zu gestalten oder zu behaupten. Dieser Prozess ist völlig unabhängig davon, ob wir ihn bewusst wahrnehmen oder nicht.

Geht man weder davon aus, dass sich Menschen in existierenden Strukturen bewegen und entsprechend dieser Strukturen in statischen Rollen verbleiben, noch, dass das gesamte Gefüge sozialer Ordnungen ständig frei aushandelbar ist, dann schließt sich die Frage an, wie bestimmte Positionen eingenommen, verändert, vielleicht auch jemandem abgesprochen oder korrigiert werden. Positionierungsprozesse sind gerade auch in den situativen Kontexten zu beobachten, die für Interagierende neu sind, in denen sie ein neues Wissensfeld betreten, wie dies für Referendar:innen im Vorbereitungsdienst zutrifft.

6.2 Interaktion als wechselseitige Beziehung

In der interaktionslogisch orientierten Sozialforschung wird in Anlehnung an Mead (1973: 216 ff.) davon ausgegangen, dass sich das, was wir im allgemeinen Wortgebrauch als „Identität“ verstehen, in einer Wechselbeziehung zwischen dem Einzelnen und den Anderen konstituiert. Im Zusammenhang mit den Haltungen der Anderen dem eigenen Ich gegenüber spricht Mead auch von der „Position“ innerhalb einer Gesellschaft mit gewissen „Funktionen und Privilegien“, die als Teile der persönlichen Identität gelten (Mead 1973: 217). Das Wechselspiel zwischen dem Einzelnen, Mead spricht hierbei vom „Ich“, und den gesellschaftlichen Grundlagen der Identität, dem „ICH“, ist ein stetiger Prozess, bei dem das „Ich“ in einer aktuellen Situation auf das als „ICH“ repräsentierten Erfahrungen zurückgreift. „Das „Ich“(I) ist die Reaktion des Organismus auf die Haltungen anderer; das „ICH“(me) ist die organisierte Gruppe von Haltungen anderer, die man selbst einnimmt“ (Mead 1973: 218).

Jörissen (Jörissen & Zirfas 2010: 100) fasst die von Mead beschriebene Identitätskonstruktion im Spiegel der Anderen mit den Worten zusammen: „Insofern ich von mir allein logisch betrachtet nichts wissen kann, weiß ich von mir immer nur aufgrund der Reaktionen meiner sozialen Umwelt.“ Damit wird einerseits der Blick auf die zur Identitätsausbildung notwendige WahrnehmungenFootnote 1 durch die Anderen gelenkt, andererseits wird damit auch berücksichtigt, mit welchen Mitteln die Identitätskonstruktion möglich wird. In diesem Kontext gilt Sprache als der wesentliche Faktor, mit dem sozialisatorische Erfahrungen und Ressourcen des Individuums bezeichnet werden, die es mit den anderen teilt und auch soziohistorisch vorfindet.

„Sie (die Sprache, A.B.-H.) ist bevorzugtes Mittel der interpersonalen Verständigung und der Behauptung und Aushandlung unserer Identität in Begegnung mit anderen Menschen, die für dieses Selbstverständnis von Bedeutung sind (…). Über sprachliche Kommunikation werden Identitäten entworfen, dargestellt, ausgehandelt, zurückgewiesen, bestätigt.“ (Lucius-Hoene/Deppermann 2004 a: 49)

Unsere Sprache, deren Verwendung und Bedeutung für den interpersonellen Austausch von besonderer Bedeutung ist, bildet damit den Grundstein für unsere Identitätsbildung. Sie bietet einerseits mögliche Entwürfe und Vorbilder, andererseits beschreibt sie aber auch Grenzen und Zwänge, indem sie den Individuen gewisse Seinsformen zuweist oder von ihnen erwartet. Die jeweilige Ausformung der eigenen Identität hängt vom sozialen Umfeld und von persönlichen Eigenschaften ab, die ein Individuum vorfindet und die ihm zur Verfügung stehen.

Im Folgenden sollen dabei nicht die Fragen nach der chronologischen oder genealogischen Ausbildung der Identität weiter betrachtet werden. Vielmehr soll im weiteren Verlauf der Fokus auf die „soziale Positionierung“ im Hier und Jetzt gelegt werden und damit auf die Position, „die die Person im sozialen Raum einer Interaktion für sich beansprucht“ (Lucius-Hoene, Deppermann: 2004 a, S. 61) und die darum, weil sie sich im Verlauf der Interaktion zeigt, auch beobachtbar und nachvollziehbar ist.

6.3 Der Begriff der Positionierung

Betrachtet man die in der Literatur verwendeten Begriffe für die Beschreibung sozialer Positionierung, so fallen je nach theoretischer Provenienz unterschiedliche Ausdrucksformen auf. So können wir beispielsweise in der Beschreibung Lucius-Hoene und Deppermanns erkennen, dass die Verwendung des Ausdrucks „eine Position zu beanspruchen“ den Gestaltungsraum für die Interagierenden relativ weit fasst. Ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der „Aushandlung“, wenn davon ausgegangen wird, dass Positionen innerhalb der Interaktion von den Beteiligten ausgehandelt oder verhandelt werden. Dieser aus der Ökonomie entlehnte Begriff geht von einem Kräfte- oder Machtverhältnis aus, bei dem die Beteiligten die Möglichkeit besitzen, ihre Interessen im Verlauf einer Verhandlung zu vertreten oder sogar durchzusetzen.Footnote 2

Anders als in strategischen Interaktionsformen bezeichnet „Aushandeln“ für Kallmeyer das Angleichen von unterschiedlichen Relevanz- und Symbolsystemen jeglicher Kommunikation. Sein interaktionslogisches Verständnis von Kommunikation zeichnet sich durch wechselseitige Austauschprozesse aus, „die so angelegt sind, daß dabei die Aushandlung von Interpretationen erfolgt.“ (Kallmeyer 1981: 90)

Die Entwicklung der Positionstheorie zeigt, dass die Vorstellung einer interaktionslogischen Notwendigkeit für Aushandlungsprozesse der Interaktanten, wie Kallmeyer sie sieht, bei anderen Vertreter:innen dieser Theorie unterschiedlich weit ausgeprägt ist.

Seit den 1980er-Jahren wird der Begriff „Positionierung“ für die Erforschung sozialer Interaktionen sowohl in der soziologischen als auch der psychologischen Forschung verwendet.

Als erste Untersuchung, die explizit das Konzept der Positionierung innerhalb der Sozialwissenschaften adaptiert, ist die Arbeit von Hollway (1984) zu nennen. Die Autorin untersucht Gespräche im Hinblick auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei der jeweiligen Positionierung der Gesprächspartner:innen innerhalb der Interaktion.

„My treatment of these three discourses makes several points which are theoretically significant for the use of a discourse analysis to understand the relation of gender difference, subjectivity, and change. Discourses make available positions for subjects to take up.  These positions are in relation to other people.  Like the subject and object of a sentence (and indeed expressed through such a grammar), women and men are placed in relation to each other through the meanings which a particular discourse makes available (ebd.: 236)“.

Hollway geht davon aus, dass die jeweiligen Positionen, die die Interagierenden einnehmen, einerseits vom Diskurs zur Verfügung gestellt werden, andererseits aber von den Interagierenden sowohl produziert als auch reproduziert werden.

Hieran schließen Davies und Harré (1990) mit ihrem Konzept der „Positionierung“ an und lösen sich ebenfalls damit von der Tradition statischer Rollenzuschreibungen.

„‚Position‘ will be offered here as a immanentist replacement for a clutch of transcendentalist concepts like ‘role’.“ (Ebd.: 44) Wer man ist, hängt davon ab, welche Position man innerhalb verschiedener Geschichten einnimmt, die man von sich und anderen erzählt. Diese Geschichten, so Davies und Harré, unterscheiden sich erheblich, je nachdem, wo sie angesiedelt sind und welche Themen, Konzepte und moralische Urteile sie beinhalten.

Langhove und Harré (1999) unterscheiden zwischen einer Positionierung erster und zweiter Ordnung. Eine Positionierung erster Ordnung besteht darin, wie jemand sich und eine andere Person innerhalb eines Gesprächs lokalisiert. In dem Fall, in dem die Position erster Ordnung in Frage gestellt wird, dadurch, dass beispielsweise eine vorgenommene Positionierung, wie sie durch eine Aufforderung initiiert wurde, nicht ratifiziert wird, erleben wir die Positionierung zweiter Ordnung. „In other words, second order positioning occurs when the first order positioning is not taken for granted by one of the persons involved in the discussion.“ (Ebd.: 20)

Eine Klärung der vorgenommenen Positionierung kann auch außerhalb des eigentlichen Gespräches stattfinden, wenn man beispielsweise mit einer dritten Person über ein Gespräch spricht. In diesem Fall gäbe es eine klärende Positionierung einer früheren Positionierung. Dieser reflexive Akt ist dann keine stillschweigende Positionierung, wie dies noch bei einer Positionierung erster Ordnung möglich ist.

Berücksichtigt man, dass es sowohl Fremd- als auch Selbstpositionierungen gibt, kann man nach Langhove und Harré insgesamt vier Typen absichtlicher Positionierung unterscheiden: strategische Fremd- und Selbstpositionierung und erzwungene Fremd- und Selbstpositionierung. Erzwungene Selbstpositionierungen unterscheiden sich von den strategischen Selbstpositionierungen dadurch, dass sie von außen initiiert sind. Häufig sind erzwungene Selbstpositionierungen von Institutionsvertreter:innen veranlasst, um entweder Menschen außerhalb der Institution zu beurteilen oder um Entscheidungen über Menschen innerhalb der Institution zu fällen.

„When an institution asks a person to position him or herself, this will always result in a positioning of the person asked to position him/herself. In other words, institutions ask persons to position themselves in order to have information upon which to base their own positionings of the envisaged person as well.“ (Ebd.: 27)

In „Identities in Talk“ legen Antaki und Widdicombe (2008) mit ihrer ethnomethodologisch und konversationsanalytisch orientierten Forschung den Grundstein für einen neuen Ansatz zur Identitätsforschung. Auch sie beschäftigt die Frage, wie Gesprächsteilnehmer:innen in ihrer alltäglichen Gesprächspraxis ihre Identität herstellen und gestalten. Bei ihren ethnomethodologisch orientierten Kommunikationsanalysen stellen Antaki und Widdicombe eine Liste mit fünf Voraussetzungen auf, die seit Sacks (1992) wesentlich für Identitätszuschreibungen sind. Diese fünf Aspekte werden hier weiter ausgeführt, um damit Positionierungsvarianten innerhalb der Interaktion im Sinne der Autoren (2008: 3) zu veranschaulichen.

  1. 1.

    Die Autoren gehen davon aus, dass innerhalb der alltäglichen Gesprächspraxis die Interaktionsteilnehmer:innen voraussetzen dürfen (und müssen), dass ihre Gesprächspartner:innen, die gewisse Eigenschaften an den Tag legen, damit gewissen Kategorien zugeordnet werden können. Diesen Kategorien oder Identitäten werden damit aber kein ontologischer Status zugemessen. Es sind Konstruktionen, die das weitere Gespräch leiten und beiden Gesprächsteilnehmer:innen eine Orientierung bieten, wie das Gehörte und Gesagte einzuordnen ist und mit welchem Menschen sie es gerade zu tun haben. 

  2. 2.

    Ein Großteil der Äußerungen ist dabei nur im Kontext ihres Zustandekommens zu erkennen – „in the local state of affairs that was operative at that exact moment of interactional time (ebd.)“. Dieser Aspekt ist deshalb bedeutsam, weil er die Autorschaft von Identitätszuschreibungen klärt. Es sind die Teilnehmenden selbst, nicht die Beobachter des Gesprächs, die ihre Identität konstruieren.

„…identity work is in the hands of participations, not us. It is they who propose that such-and-such an identity is at hand, under discussion, obvious, lurking or ´relevant to` the action in whatever other way“(ebd.).

  1. 3.

    Im Hinblick auf die Konstruktion von Identitäten heben die Autoren hervor, dass es wesentlich ist, diejenigen Identitätszuschreibungen bei der Analyse zu berücksichtigen, die für die Interagierenden selbst relevant sind, an denen sie sich beispielsweise im Fortgang des Gespräches orientieren. Die Orientierung anhand dieser zugeschriebenen Identitäten und wechselseitigen Annahmen über den anderen muss dabei nicht explizit gemacht werden. Die Orientierung arbeitet im Hintergrund so lange, bis es Anlass zum Widerspruch gibt.

  2. 4.

    Schegloff folgend empfehlen die Autoren für die Analyse nur die Kategorien und Identitäten heranzuziehen, die eine sichtbare Auswirkung auf die Interaktion zu haben scheinen.

„Put this together with relevance, and what you have is the discipline of holding off from saying that such and such a person is doing whatever it is he or she is doing because he or she is this or that supposed identity“ (ebd.: 5).

  1. 5.

    Alle aufgeführten Phänomene zeigen sich in den realisierten Gesprächsstrukturen und sind deshalb generell beobachtbar.

Der Begriff der „Positionierung“, so wie er weiterhin verwendet wird, orientiert sich eng an dem Konzept von Antaki und Widdicombe. Auch neuere Untersuchungen, wie die von Lucius-Hoene und Deppermann (2008 b) bauen auf diesem Konzept auf und nutzen es vor allem für ihre Auswertung von Interviews.

Wenn hier von einem wechselseitigen Verhältnis der Beteiligten die Rede ist, so berücksichtigt dies, dass die vorgenommene Positionierung abhängig davon ist, ob sie vom Gesprächspartner ratifiziert wird oder nicht. Mit anderen Worten, von einer gelungenen Positionierung beispielsweise der eigenen Person kann nur dann die Rede sein, wenn die Fremdpositionierung der eigenen Selbstpositionierung entspricht. Wir erkennen hier deutlich die Nähe zu Antaki und Widdicombe. Der Hinweis auf die Wechselseitigkeit der Selbst- und Fremdpositionierung entspricht der Strukturierung, wie sie einzelne Gesprächsschritte für den Verlauf des Gespräches besitzen.

„Durch solche wechselseitigen und voranschreitenden Positionierungsaktivitäten werden also in der Interaktion ständig Identitätsaspekte beansprucht, akzeptiert, zurückgewiesen und ausgehandelt.“ (Lucius-Hoene, G., Deppermann, A. (2004 b: 170).

Positionierungen können, so die Autoren, „direkt und explizit (…) oder indirekt und implizit (…) stattfinden“ (ebd.: 171). Die „Kunst des Positionierens“ besteht im Sinne der Autoren darin, solche Sprachformen bei der Positionierung zu nutzen, die zwar die richtigen Schlussfolgerungen beim Adressaten evozieren, dies allerdings in einer Art und Weise, die gleichzeitig die Autor:in dieser Positionierung vor Kritik schützt. Im Falle von „explizitem Eigenlob“, „unverblümter Kritik“ oder etwa „Schuldzuweisungen“ liegen „latente(n) identitätsrelevanten Aspekte“ (ebd.) vor, die bei der Analysearbeit von besonderem Interesse sind, weil sich eben nicht nur in direkten Identitätszuschreibungen wichtige Positionierungen finden lassen, sondern auch gerade dort, wo noch andere kommunikative Ziele verfolgt werden „und die Positionierungen quasi nebenbei vollzogen werden“ (ebd.).

Die Autoren verweisen darauf, dass sich die Positionierung „im dialogischen Handeln entwickelt“ (ebd.: 172), als wechselseitiger Entwurf, der angenommen, korrigiert oder zurückgewiesen wird. In der monologischen Rückschau, wie sie im Falle der von Lucius-Hoene und Deppermann untersuchten narrativen Interviews vorkommen, werden ebenfalls Identitäten mittels „Re-Inszenierungsmöglichkeiten des Erzählens“ (ebd.) nachgewiesen. Hierbei nutzen die Autoren Differenzierungsmöglichkeiten aus der literaturwissenschaftlichen Erzähltheorie, bei der eine Unterscheidung der Erzählperspektive des Ich-Erzählers gemacht wird. Es wird davon ausgegangen,

„dass sich das Ich des Sprechers aufgrund des speziellen Vergangenheitsbezugs des Erzählers in ein (gegenwärtiges) erzählendes Ich (als aktueller Sprecher und Interaktionspartner) und ein (früheres) erzähltes Ich (als Akteur der Geschichte) aufspaltet“ (ebd.).

Mit dieser Unterscheidung scheint die Positionierung in eine darstellende Autorschaft des Erlebten und einem erzählten Handelnden möglich (vgl. Wortham, Stanton 2000: 166). Bezogen auf die vorliegende Untersuchung bedeutet dies, dass die Referendarin, die ihre gezeigte Unterrichtsstunde reflektiert, in diesen beiden Modi des Erzählens vorkommt: als reflektierende Autorin in der Rückschau auf die Unterrichtsstunde und als handelndes Subjekt innerhalb des gezeigten Unterrichts, von dem sie berichtet.

6.4 Positionierung als kommunikativ hergestellte Identität

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass die Art der Selbstpositionierung nahelegt, wie man im weiteren Verlauf des Gespräches gesehen werden will. Dies kann der andere berücksichtigen oder auch ablehnen. Die Selbstpositionierung ist in jedem Fall eine Vorgabe, die interaktionslogisch Einfluss auf das Gespräch nimmt.

Für die Untersuchung im Kontext der Lehrer:innenausbildung ist es von Interesse, in welcher Weise die verschiedenen Akteure ihre eigene Position vertreten. Das Konzept der Positionierung wird dabei in folgender Weise für diese Arbeit adaptiert: Es wird davon ausgegangen, dass innerhalb der Interaktion der Sprecher Positionen ausgehandelt werden. Diese Aushandlungsprozesse werden von den Interagierenden im wechselseitigen Austausch vollzogen und sind somit auch beobachtbar.

Der Frage, inwiefern bei dieser Untersuchung die Aushandlungsprozesse durch „impersonale Akteure“, wie Porstner (2017) sie nennt, also dem institutionellen Rahmen, beeinflusst werden, soll an dieser Stelle noch einmal nachgegangen werden. Der Hinweis auf die von Porstner als „impersonalen Akte“ benannten Faktoren, die das Aushandeln in Interaktionsprozessen beeinflussen können, sind gerade im Kontext der UNB zu bedenken. Hier handelt es sich im Verständnis sozialkritischer Theorien um asymmetrisch angelegte Kommunikationssituationen, die durch den institutionellen Rahmen

„Machtbeziehungen ausdrücken, soziale Hierarchien symbolisieren, soziale Ungleichheiten verstärken, gesellschaftliche Macht transportieren, Ungleichheit vergegenständlichen und Geschlechtsbeziehungen verdinglichen.“ (Latour 2007, zit. nach Porstner, ebd.: 25).

Allerdings ist zu bedenken, dass die Formen der Positionierung innerhalb einer Interaktionssituation nur zum Teil von der Handlungsstruktur der Situation bestimmt werden können. Harré (2012: 196) weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass die Akteure innerhalb einer Interaktion zunächst die Situation in ähnlicher Weise verstehen müssen. Dann müssen beide ihre Position entsprechend diesem Verständnis auch einnehmen und drittens müssen sie ihre Handlungsmuster wechselseitig in der gleichen Weise interpretieren. Die drei Bestandteile der Kommunikationssituation sind damit, so Harré, ausgesprochen störanfällig. „If anyone changes, – for example, by a successful challenge to the distributions of right and duties – then all three change“ (ebd.).

Schon bei ganz alltäglichen Anlässen zeigt sich nach Harré, mit welchen möglichen Fehlerquellen sich die Interagierenden bei der Umsetzung ihrer kommunikativen Absichten konfrontiert sehen. So ist es fraglich, inwieweit die unterstellten Handlungsmuster einen klaren Plan vorgeben, der von allen Beteiligten dann auch noch in gleicher Weise für eine bestimmte Handlung verstanden werden kann.

„These future actions are only possibilities, because whether or not the actions that would fulfill the rights and duties pattern actually occur depends on other features of a concrete situation such as the risks for the actors, the conscientiousness of the powerful, and the skills of the recipients in presenting their needs and so on.“ (Ebd.: 197)

Insofern erscheint die Rede von der Übernahme sozialer Muster als ein zumindest äußerst fragiles Konstrukt, auf das sich die Interagierenden stützen können.

Und um es noch einmal mit den Worten Meads auszudrücken: „Die Haltungen der anderen, die man selbst einnimmt und die das eigene Verhalten beeinflussen, bilden das „ICH“. Das „ICH“ ist gegeben, die Reaktion darauf aber ist noch nicht gegeben.“ (1973: 219). Zwar verlangt das „ICH“ in gewisser Weise bestimmte Handlungsweisen, doch das „Ich“ ist immer ein wenig verschieden von dem, was dieses „ICH“ verlangt. Ohne diesen Unterschied gäbe er weder „bewußte Verantwortung“ noch „neue Erfahrungen“ (1973: 221). Es wird deutlich, dass das Wechselspiel der Interagierenden sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene stattfindet. Durch die Reaktionen des „Ich“ machen wir uns den anderen gegenüber bemerkbar, wir „drücken unsere Meinung aus, kritisieren die Haltungen anderer, stimmen ihnen zu oder lehnen sie ab.“ (1973: 223)

Ähnlich wie Mead geht auch Goffman bei der Beschreibung gesellschaftlicher Identifikationsprozesse des Subjekts von einer Ambivalenz gesellschaftlichen Anpassungsdrucks aus, die sich in der jeweiligen Positionierung des Subjekts zu den sozial erzeugten Identitäten ausdrückt (zit. nach Bosancic 2013: 192)Footnote 3. In sozialen Situationen werden Menschen unweigerlich bestimmten sozialen Positionen zugeordnet, von denen sie sich in einer sekundären Anpassung oder mittels „Rollendistanz“ dann in der Weise positionieren, die sie für angemessen halten.

Primärer Ort der Identitätsbildung sind kommunikative Situationen. Auch wenn man Identität nicht als „telling moment“ (Bamberg 2006, zit. nach Bosancic 2013: 193) gleichsetzten muss, so kann man doch davon ausgehen, dass sich innerhalb von Interaktionen identitäre Positionierungsweisen ablesen lassen. Und mit Blumer könnte man ergänzen: „In jeder einzelnen Position stehen die Teilnehmer den organisierten Aktivitäten anderer Personen gegenüber, mit denen sie ihre Handlungen abzustimmen haben.“ (Blumer 1981: 141)

Mit der Fokussierung auf die kommunikationsanalytische Untersuchung des Interaktionsgeschehens fällt hier keine Gewichtung hinsichtlich eines eher biographischen oder einer gesellschaftlichen Forschungsperspektive. Es geht im Folgenden vor allem darum zu zeigen, wie einerseits durch spezifische Formen des kommunikativen Handelns die Beteiligten sich selbst darstellen und gegenseitig wahrnehmen, auftauchende Relevanzen klären und wie andererseits dadurch Handlungsstrukturen sichtbar werden. Damit wird deutlich, dass sich der hier gewählte Ansatz an den Handlungen der Beteiligten orientiert. Im Rahmen dieser Untersuchung geht es dabei um die kommunikativen Handlungen zwischen eines Ausbilders und einer Auszubildenden, die sich in ihrer jeweiligen Position begegnen, diese ggf. definieren, redefinieren, neu entwerfen oder abändern.

Dabei kann man davon ausgehen, dass auf der Seite der Auszubildenden solche Handlungen zu beobachten sein werden, mit denen sie sich darum bemüht, ihre eigene Identität in der für sie neuen Situation als Referendarin zu situieren. Dies wird um so verständlicher, wenn man bedenkt, dass es für sie in der UNB auch darum geht, dass der Ausbilder einen möglichst positiven Eindruck von ihrem Unterricht und ihrer Reflexion des gezeigten Unterrichts erhält.

Inwiefern sich der Fachleiter innerhalb dieser kommunikativen Interaktion positioniert und bei welchen Anlässen er sich dazu veranlasst fühlt, wird ein weiterer Gesichtspunkt der Untersuchung sein. Insbesondere Rückmeldungen zu kritischen Aspekten der Unterrichtsstunde werden bei der Analyse von besonderem Interesse sein. Inwiefern wird er hier die institutionellen Rahmungen (vgl. Abschn. 3.1, 3.2) berücksichtigen und wie wird er vor diesem Hintergrund Kritik formulieren?

Insgesamt wird für den weiteren Verlauf der Untersuchung davon ausgegangen, dass mit den unterschiedlichen Positionierungen ein aufschlussreiches Bild über die Unterrichtsnachbesprechung und damit über einen bedeutenden Bereich der Lehrer:innenausbildung gezeichnet werden kann.