Im Folgenden werden zunächst die formalen Ausbildungsbedingungen für die zweite Hälfte der Lehrerausbildung dargestellt. Hieran schließt die sprachliche Spurensuche danach an, wie die UNB innerhalb der Ausbildung angehender Lehrer:innen gestaltet wird.

Die Lehrerausbildung in Deutschland gliedert sich in zwei Phasen: Nach einem Hochschulstudium folgt der Vorbereitungsdienst (VD) in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) und zugewiesenen Ausbildungsschulen. Geregelt wird die Ausbildung der Referendar:innen durch das Lehrerausbildungsgesetz (LABG) für die erste und zweite Phase der Lehrerausbildung bzw. die Ordnung für den Vorbereitungsdienst (OVP) für die zweite Phase. Die Ausführungen der Verordnungen regeln vor allem die Bedingungen für den äußeren Rahmen des Vorbereitungsdienstes wie die Voraussetzungen für Aufnahme und Dauer des VD, die Zuweisung der Ausbildungsorte und die Bedingungen für die Zweite Staatsprüfung.

3.1 Institutionelle Rahmenbedingungen

Die Ausbildungscurricula der einzelnen Länder werden von inhaltlichen Standards durch die bundesweite Kulturministerkonferenz (KMK) festgelegt, die sich an den zukünftigen Anforderungen des Berufsbildes ausrichtenFootnote 1.

Ähnlich wie die frühere Rahmenvorgabe formuliert das „Kerncurriculum für die Lehrerausbildung im Vorbereitungsdienst“ die Kompetenzerwartungen an die Lehramtsanwärter:innen, die sie am Ende ihres VD ausgebildet haben sollen. Dabei dienen ausgewiesene „Handlungsfelder“Footnote 2 den Referendar:innen als Orientierung für ihren „selbstverantworteten Kompetenzerwerbsprozess“ (ebd.: 5).

Die Gesamtverantwortung der Ausbildung liegt bei den Leitungen der Zentren für die schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL). Das ZfsL ist auch der Ort, an dem die Referendar:innen ihre fachliche und überfachliche Ausbildung erlangen. Ausgebildet werden die LAA in den (beiden) Fächern, in denen sie auch ihren Masterabschluss erworben haben.

Mit der Reform des Vorbereitungsdienstes (VD) 2011 wurde die Dauer der Ausbildung von 24 auf 18 Monate verkürzt. Die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung (Hospitationen, Unterricht unter Anleitung und selbstständig erteilter Unterricht) der Auszubildenden wurde von 12 auf 14 Stunden erhöht. Die bisher übliche „Hausarbeit“ im Rahmen der 2. Staatsprüfung entfiel.

Während ihrer Ausbildung haben die LAA in jedem ihrer Fächer (in der Regel) fünf Unterrichtsbesuche (UB) gemäß § 11(3) OVP zu absolvieren. Die UB besitzen einen hohen Stellenwert für die Auszubildenden, da ihre Benotungen (in der Regel in der 2. Ausbildungshälfte des VD, ab dem 3. UB) eine wesentliche Grundlage für die Note des Langzeitgutachtens bilden.

Die konkrete „Ausprägung der Kompetenzen“, an denen sich die Gutachten orientieren, entsprechen dabei den Lehrerfunktionen, wie sie im Kerncurriculum (ebd.) benannt werden. Dabei sind die Standards laut OVP nur als Handlungsgrundlage für die Ausbildung zu verstehen. Sie bieten ausgewiesener Maßen Gestaltungsmöglichkeiten für die an der Ausbildung beteiligten Institutionen und sind aus diesem Grund entwicklungsoffen formuliert. So liegt es laut OVP (§ 10, Absatz 6) im Aufgabenbereich der ZfsL, konkrete „Ziele und Handlungskonzepte“ für die Ausbildung der LAA auszuformulieren.

Ähnlich wie schon die Rahmenvorgabe formuliert auch das Kerncurriculum 2021 Gestaltungsmöglichkeiten bei der Lehramtsausbildung auf der Grundlage der ausgewiesenen Kompetenzen, die „beschränkt“ sind auf „ausgewählte Konkretionen“ (ebd.: 3). Damit verweisen die Vorgaben insgesamt darauf, dass die ZfsL als ausbildende Institutionen die „seminardidaktische Umsetzung“ festlegen.Footnote 3

3.2 Vorgaben des MSW für die Referendar:innenausbildung

Schon im Bericht an den Landtag zum „Entwicklungsstand und Qualität der Lehrerausbildung (2013: 11) heißt es, dass die „Implementierung des Lehrerausbildungsgesetzes“ generell „beteiligungsorientiert“ erfolgen solle. Der eingeräumte Gestaltungsspielraum wird gerade dadurch ermöglicht, dass, wie oben schon erwähnt, inhaltliche Vorgaben der Ausbildung nur in knapper Form vorliegen. So erscheint es notwendig, die wenigen Vorgaben genauer in den Blick zu nehmen.

Zunächst wird hierfür die Zielformulierung der OVP hinsichtlich ihrer aus der Formulierung ableitbarer Vorgaben genauer untersucht.

Das Ziel des Vorbereitungsdienstes der zukünftigen Lehrer:innen wird in § 1 der Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen (OVP) in der aktuellen Fassung vom 10. April 2011 (geändert durch Verordnung vom 8. Juli 2018) beschrieben:

„Der Vorbereitungsdienst bereitet Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter als eigenverantwortlich Lernende auf die spätere berufliche Unterrichts- und Erziehungstätigkeit an Schulen vor.“Footnote 4

Bei der Zielformulierung werden folgende zwei Aspekte aufgegriffen, die Hinweise liefern, wie die Ausbildung der LAA zu geschehen habe:

  1. 1.

    Der Vorbereitungsdienst „bereitet die Lehramtsanwärter vor“ und

  2. 2.

    die Rolle der Auszubildenden während des Vorbereitungsdienstes wird „als eigenverantwortlich Lernende“ bezeichnet.

  1. 1.

    Ein Blick auf den Wortgebrauch des transitiven Verbs „vorbereiten“ klärt darüber auf, dass sich dieses Verb in sechs BedeutungsgruppenFootnote 5 unterteilen lässt. Das Wörterbuch des deutschen Wortschatzes unterscheidet die semantischen Gruppen a) der Erzeugung (z. B. ausarbeiten, herstellen, hervorbringen), b) des Plans (z. B. anbahnen, einrichten, entwickeln), c) der Vorbereitung (i.e.S. z. B. abstecken, entwerfen, zurechtlegen), d) des Lehrens (z. B. anleiten, ausbilden, schulen), e) der Erwartung (z. B. Erwartung erzeugen, hinhalten, versprechen) und d) der Vorhersicht (z. B. berechnen, organisieren, vorbauen).

    Im Zusammenhang mit der Referendar:innenausbildung erscheint die Bedeutung von „Vorbereitung“ im Sinne des „Lehrens“ als naheliegende semantische Sachgruppe zu gelten. Dies leuchtet schon deshalb ein, da „vorbereiten“ hier als Akkusativkomplement und damit kausativ verwendet wird (im Sinne von „der Vorbereitungsdienst bereitet die LAA vor“) im Unterscheid von „sich vorbereiten“ als Reflexivum auf das Subjekt, mit dem ein Vorbereiten etwa im Sinne von „hervorbringen“, „trainieren“ oder „üben“ gemeint ist. Im Sinne von „vorbereiten“ als „jemanden vorbereiten“ würde der Vorbereitungsdienst die Referendar:innen insofern ausbilden, als diese durch Formen der Lehre unterwiesen würden.

    Allerdings erhält diese Bedeutungsvariante eine inhaltliche Abschwächung, da mit die Formulierung „Der Vorbereitungsdienst bereitet die LAA…vor“ die am Ereignis beteiligten Ausbilder:innen nicht benannt werden. Es scheint damit der Eindruck zu entstehen, als seien es nicht bestimmte Menschen, die Ereignisse bewirken, sondern als handele es sich dabei um Prozesse, die von selbst ablaufen.Footnote 6

  1. 2.

    Hier schließt sich der zweite Aspekt der Zielformulierung an. Betrachtet man die Konkretisierung hinsichtlich des angestrebten Ausbildungsziels, so fällt in dem zitierten Abschnitt aus der OVP auf, dass mit der als-Phrase die Lehramtsanwärter:innen in ihrer Auszubildendenrolle spezifiziert werden. Das als-Adjunkt als Qualitativsupplement qualifiziert die LAA als „eigenverantwortlich Lernende“ (OVP, § 1). Damit ist ein wesentliches Stichwort des aktuellen pädagogischen Theoriediskurses benannt. Der eigenverantwortliche Lerner steht hier in der Tradition einer subjektwissenschaftlichen Lerntheorie, die den Lernenden als Subjekt charakterisiert, das aktiv und selbstgesteuert den Konstruktionsprozess des eigenen Lernfortschritts erzeugt.

Damit sei an dieser Stelle ein erster Hinweis darauf gegeben, dass, berücksichtigt man die nähere Spezifizierung der LAA als „eigenverantwortlich Lernende“ die Bedeutung von „Vorbereitung“ hinsichtlich der skizzierten Bedeutungsvarianten eingeschränkt werden kann. Die Bedeutungsvariante „Lehre“Footnote 7 scheint mit der in der OVP-Formulierung der als-Phrase (als eigenverantwortlich Lernende) wenig kompatibel, es sei denn, man verstünde „Lehre“ als besondere Ausprägung erwachsenenpädagogisch angelegter Lehrform. Schon an dieser Stelle wird deutlich, dass die Ausrichtung der Lehrer:innenausbildung auf die Ausbildung „erwachsener Lernender“Footnote 8 in der didaktischen Konkretisierung einige Anforderungen an die Ausbilder:innen und Auszubildenden stellt.

Im Folgenden werden weitere Hinweise aus der OVP und den ministeriellen Veröffentlichungen im Hinblick für die Art der Weise, wie die Ausbildung der LAA zu geschehen hat, untersucht.

In §11 der OVP wird die Ausbildung der Referendar:innen an den Schulen dargestellt und in Absatz (3) werden in diesem Zusammenhang die Unterrichtsbesuche durch die Seminarausbilder:innen beschrieben:

„(3) Die Ausbildung umfasst Hospitationen und Ausbildungsunterricht (Unterricht unter Anleitung und selbstständiger Unterricht). Sie erstreckt sich auf alle Handlungsfelder des Lehrerberufs. Die Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder besuchen die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Unterricht. Die Besuche dienen der Anleitung, Beratung, Unterstützung und Beurteilung (Hervorhebungen A.B.-H.).“Footnote 9

Betrachten wir die vier hier aufgeführten Funktionen im Einzelnen:

Anleitung: Für die dreiphasige AusbildungFootnote 10 des achtzehnmonatigen Vorbereitungsdienstes sind vor allem für die 1. Phase („Dauer 3 Monate“) neben dem Kennenlernen der Schule, einer ersten Einarbeitung in die schulischen Abläufe und Hospitationen von Unterricht, „Unterricht unter Anleitung“ vorgesehen.

Als Ausbildungsunterricht wird nach § 11 (3) der OVP „Unterricht unter Anleitung und selbstständiger Unterricht“ verstanden. Der Ausbildungsunterricht (er umfasst 14 Wochenstunden) innerhalb der ersten drei Monate wird in der zweiten Phase zunehmend von der Unterrichtsverpflichtung der Referendar:innen, dem sog. „selbstständig erteiltem Unterricht“ oder auch bedarfsdeckendem Unterricht (BdU) abgelöst. Der Anteil des BdU am Ausbildungsunterricht beträgt in der Mitte der Ausbildung, also ab der 2. Phase des VD, insgesamt neun Wochenstunden; damit verbleiben durchschnittlich fünf Wochenstunden als Unterricht unter Anleitung oder auch als Hospitation von Unterricht. Üblicherweise wird von den Referendar:innen nach einer kurzen Phase der Hospitation der Unterricht einer Lerngruppe übernommen. Eine beauftragte Lehrkraft begleitet dabei den Unterricht und steht als Expert:in für die Planung, Durchführung und Reflexion des von der LAA erteilten Unterricht zur Verfügung.

Neben der Anleitung durch die Ausbildungslehrer:innen einer Schule stehen auch die Seminarausbilder:innen mit ihrem eigenen Unterricht für die Anleitung der Referendar:innen zur Verfügung. Dies geschieht häufig in den sogenannten Intensivphasen am Beginn des Referendariats. Hier werden die LAA in Grundsätze der Planung und Gestaltung von Unterricht handlungspraktisch eingeführt, indem der Unterricht der Seminarausbilder:innen gemeinsam mit Referendar:innen geplant, durchgeführt und auch reflektiert wird.

Anleitung bedeutet hier also, dass in Zusammenarbeit mit einer erfahrenen Lehrkraft (sei dies nun eine Ausbildungslehrkraft der Schule oder eine Seminarleiter:in) Unterricht geplant, durchgeführt und ausgewertet wird. Dieses Verständnis von „Anleitung“ entspricht damit dem allgemeinen Wortgebrauch. Als Beispiele für die Verwendung von „Anleitung“ benennt das Wörterbuch der deutschen Sprache „jemandem eine Anleitung für etwas zu geben“ oder „etwas mit einer Anleitung ausführen“Footnote 11. Die entsprechende Synonymgruppe für „Anleitung“ ist „Ausbildung, Belehrung, Lektion, Unterricht“ und „Unterrichtung“ (ebd.).

Wenn allerdings, wie in §11(3) dargelegt, auch für Unterrichtsbesuche (neben der Beratung, Unterstützung und Beurteilung) als weitere Funktion eine Anleitung vorgesehen sein soll, dann müsste auch im Kontext von Unterrichtsbesuchen eine Form der anleitenden Zusammenarbeit stattfinden, was bei benoteten Unterrichtsbesuchen schwerlich einzuhalten ist.

Beratung: §10, Abschnitt (5) der OVP beschreibt die fachliche Ausbildungsberatung.

„(5) Ausbildungsberatung erfolgt insbesondere im Zusammenhang mit Unterrichtsbesuchen, sie umfasst auch in der überfachlichen Ausbildung wiederholte, an Ausbildungsstandards orientierte Information über den erreichten Ausbildungsstand der Lehramtsanwärterin oder des Lehramtsanwärters. Diese können von den Seminarausbilderinnen und Seminarausbildern sowie den Schulleiterinnen und Schulleitern jederzeit Auskunft über ihren Ausbildungsstand erhalten.“

Der Aspekt der Beratung findet in der Literatur zur zweiten Ausbildungsphase große Beachtung, sowohl in den Texten ministerieller Vorgaben als auch in der einschlägigen Literatur zum Vorbereitungsdienst. So beispielsweise auch in dem Veröffentlichungsorgan des Bundesarbeitskreises der Seminar- und Fachleiterinnen.Footnote 12

In § 10 der OVP in den Absätzen (4) und (5) finden sich weitere Hinweise zur Beratung der Referendar:innen. Zunächst wird in (4) die personenorientierte Beratung erwähnt. Diese wird „verpflichtend“ für die Ausbildung der Referendar:innen mit der Reform des Vorbereitungsdienstes seit September 2011 eingeführt, wobei diese Beratung nur von den Ausbilder:innen durchgeführt werden, die die überfachliche Ausbildung der LAA im Kernseminar übernehmen:

„Diese (die personenorientierte Beratung, A.B.-H.) wird von Leiterinnen und Leitern überfachlicher Ausbildungsgruppen der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung durchgeführt, die die Leistungen der Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter nicht benoten, nicht an der jeweiligen Langzeitbeurteilung nach § 16 Absatz 4 beteiligt werden dürfen und nicht am Verfahren der jeweiligen Staatsprüfung beteiligt sind.“

Zusammen mit dem veränderten Zeitraum bzw. der Verkürzung des VD von 24 auf 18 Monate setzt das MSW mit dieser Veränderung neue Standards bei der Ausbildungsdidaktik. Neben der Handlungsorientierung und der damit angezielten Praxisnähe der Ausbildung angehender Lehrer:innen nimmt die Novellierung des VD auch die „professionelle Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrer“ verstärkt in den Blick, indem neben der fachwissenschaftlichen, der fachdidaktischen nun auch die „personalen Kompetenzen“ (Gerdes, Annas-Sieler 2011: 456) der Referendar:innen als Ausbildungselement festlegt werden. In diesem Kontext findet eine weitere Dimension der neuen Ausbildungsdidaktik Erwähnung: So heißt es in der MSW-Broschüre zum neuen VD, dass die LAA während ihres Referendariats „unterstützt“ (Hervorhebung A.B.-H.) werden sollen bei der „bestmöglichen Entfaltung aller individuellen Potenziale für die berufliche Aufgabe als Lehrerin und Lehrer“ (ebd.). Für das neue Beratungsformat wurden die Seminarleiter:innen der überfachlichen Kernseminare an den ZfsL von „externen Spezialisten“ fortgebildet (ebd., S. 457). Während der personenorientierten Beratung mit Coachingelementen finden wir also auch die Funktion des „Unterstützens“. Als Bedingung dafür wird eine benotungsfreie Ausbildungssituation geschaffen, in der den Referendar:innen in einem geschützten Rahmen Unterstützung bei der „Entwicklung von persönlichen Zielen und Perspektiven im Professionalisierungsprozess“ (Gerdes, Annas-Sieler 2013: 12) angeboten werden.

Mit der personenorientierten Beratung ist die „Personenorientierung“ als ein weiteres Ausbildungsprinzip neben der Handlungsfeldorientierung, der Standardorientierung und der Wissenschaftsorientierung aufgenommen worden. Dieses neue Ausbildungsprinzip richtet sich an alle Seminarausbilder:innen, den fachlichen und den überfachlichen und darüber hinaus auch an die Ausbildungslehrer:innen in den Schulen.

Beurteilung: Die Beurteilungsgrundlagen für den Ausbildungsstand der LAA haben sich mit der Reform der VD im Jahr 2011 verändert. So heißt es in der neuen OVP in §16, Absatz 2 zur Langzeitbeurteilung durch die Seminarausbilder:innen: „Dabei (bei den schriftlichen Beurteilungsbeiträgen, A.B.-H.) sind sowohl die fachlichen als auch die überfachlichen Kompetenzen (der Referendar:innen, A.B.-H.) in ihrer Gesamtheit zu bewerten.“ Als fachliche Kompetenzen sind vor allem diejenigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu verstehen, die eng verzahnt sind mit den von den LAA unterrichteten Fächern. Das Kerncurriculum (Schule NRW: 2016, 7) formuliert hierzu als eine von insgesamt 11 von den Referendar:innen zu erwerbenden Kompetenzen: „Lehrerinnen und Lehrer planen Unterricht unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen und Entwicklungsprozesse fach- und sachgerecht und führen ihn sachlich und fachlich korrekt durch.“

Überfachliche Kompetenzen (das sind weitere zehn von den insgesamt 11 ausgewiesenen Kompetenzen) erwerben die LAA laut Kerncurriculum vor allem in den übrigen Handlungsfeldern (Erziehen, Beurteilen, Beraten und Schulentwicklung) und in der Leitlinie „Vielfalt als Herausforderung annehmen und als Chance nutzen“ (ebd., S. 6).

In der früheren Fassung der OVP finden sich die Hinweise zu den Abschlussbeurteilungen der Seminarausbilder:innen in § 17 Absatz 3, orientiert an den fünf Lehrerfunktionen (1. Unterrichten, 2. Beraten, 3. Leistung messen und beurteilen, 4. Organisieren und Verwalten, 5. Evaluieren, Innovieren und Kooperieren):

„Die abschließenden Beurteilungen der Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder und der Schulleiterin oder des Schulleiters bewerten Eignung und Leistung der Lehramtsanwärterin oder des Lehramtsanwärters umfassend auf der Grundlage ihrer jeweils funktionsspezifischen Erkenntnisse.“

In der bereits erwähnten Studie (Kunter, Linniger et al. 2013), mit der das MSW die Evaluation des reformierten Vorbereitungsdienstes in NRW in Auftrag gegeben hat, wird im Kontext der Beschreibung neuer Lerngelegenheiten des Referendariats (das sind im Wesentlichen die definierten Handlungssituationen, die im Kerncurriculum des VD beschrieben und mit entsprechenden zu erwerbenden Kompetenzen konkretisiert werden) Bezug genommen auf den vorausgesetzten lerntheoretischen Hintergrund der Berufsvorbereitung der angehenden Lehrkräfte. So heißt es dort:

„Vor dem Hintergrund eines Verständnisses von Lernen und Entwicklung, das die lernende Person als selbstgesteuert und eigenständig betrachtet, greifen mechanistische Vorstellungen der Lehrerbildung im Sinne eines einfachen Input-Output-Modells jedoch zu kurz. Zu beachten ist, dass angebotene Lerngelegenheiten immer nur dann ihre Wirkung entfalten können, wenn diese auch von den angehenden Lehrkräften aktiv und individuell genutzt werden (ebd.: 10).“

Den Gedanken der Personenorientierung in der Lehrerbildung nimmt auch der Bericht an den Landtag (2013) auf. Die von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Jahr 2006 beauftragte Kommission unter Prof. Dr. Jürgen Baumert (Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin) orientiert sich bei ihren Vorschlägen für die Neukonzeption des Vorbereitungsdienstes an einem Verständnis „von Lehrerbildung als berufsbiographischem Prozess“Footnote 13 (ebd. S. 5).

Die Reform des Vorbereitungsdienstes mit dem neuen ausbildungsdidaktischen Konzept der Personenorientierung als neuem Standard und dem neuen Beratungsformat „personenorientierte Beratung mit Coachingelementen“ stellt insgesamt eine wesentliche Neuerung des VD dar, die sich schließlich auch in der Beurteilung der LAA niederschlägt. So wurden die noch nach alter OVP geltenden Maßstäbe wie „Eignung und Leistung“ ergänzt zugunsten „fachlicher und überfachlicher Kompetenzen in ihrer Gesamtheit“ (OVP § 16, 2).Footnote 14,Footnote 15

Der Leiter des Referats Vorbereitungsdienst des MSW, Reinhard Gerdes, führt in seiner Darstellung zur Implementierung des neuen VD (2011) den Begriff der „Personenorientierung“ explizit ein: „Personenorientierung“ bedeutet demnach

  • „optimiertes Anknüpfen an den Stand der individuellen Kompetenzentwicklung

  • Akzeptieren und berücksichtigen, dass Auszubildende qualifizierte (Studienabschluss!) selbstständige Lerner sind

  • Förderung der Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit“ (Gerdes 2011: 10).

Mit der Ausrichtung auf die Personenorientierung im VD wird einerseits der je individuelle und „selbstgesteuerte Kompetenzaufbau“ (ebd., S. 11) der LAA betont. Diese Selbststeuerung korrespondiert mit der Zielformulierung aus §1 der OVP in der Fassung vom 10. April 2011, bei der der „eigenverantwortliche Lernende“ den Aufbau seiner berufsspezifischen Handlungskompetenz zu verantworten hat. Andererseits wird mit der zu fördernden Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit ein neues Ausbildungsziel formuliert.

3.3 Umsetzung der Vorgaben aus dem MSW

Den an der Ausbildung Beteiligten kommt laut OVP (§10 [6]) die Aufgabe zu, auf der Grundlage des Kerncurriculums ein eigenes Ausbildungskonzept zu erstellen, das den Standards der KMK entspricht. Die Ausbilder:innen erzielen innerhalb ihrer Institution (dem ZfsL) eine Einigung darüber, wie sie die Vorgaben der KMK und der OVP für die Ausbildung im VD konkret erfüllen.

Im Folgenden werden die erarbeiteten Ausbildungskonzepte der insgesamt 31 ZfsL für Gymnasien und Gesamtschulen in NRW im Hinblick auf die Umsetzung der ministeriellen Vorgaben untersucht, wie sie auf den Homepages der ZfsL publiziert werden. Die Homepages der ZfsL haben die Funktion, Auskunft über die organisatorische und inhaltliche Ausrichtung ihrer Institution zu geben.Footnote 16Footnote 17

Bevor die Inhalte der einzelnen Veröffentlichungen näher untersucht werden, wird zunächst dargestellt, mit welcher Form von Daten wir es bei diesen Veröffentlichungen zu tun haben.

3.3.1 Dokumente als Daten

Die Dokumentenanalyse bildet in der empirischen Sozialforschung eine eigene Form der Datenauswertung. „Dokumente sind standardisierte Artefakte, insofern sie typischerweise in bestimmten Formaten auftreten: …“ (Flick (2017: 322). Als Dokumente gelten unterschiedliche Artefakte wie Jahresberichte, Zeugnisse oder auch Statistiken, Briefe und Urteile. Bei der Unterschiedlichkeit der Formate lassen sich mehrere Dimension unterscheiden, wie z.B. bereits existierende vs. anzufertigende Dokumente. Weiter kann man unterscheiden zwischen dem jeweils möglichen Zugang, der zu den Dokumenten besteht. Sind sie öffentlich zugängig oder ist ihr Zugang reglementiert? Diese Frage ist eng mit der nach der Bedeutung der Dokumente verknüpft. Gibt es eher eine Bedeutung für den Autor (z.B. bei Tagebüchern), für die Leser (z.B. Zeugnisse) oder ist die soziale Bedeutung des Dokuments ausschlaggebend, beispielsweise dadurch, dass sie als „institutionalisierte Spuren“ (Wolff 2019: 503) sozialer Organisationen anzusehen sind.

In der ethnomethodologischen Tradition der Dokumentenanalyse steht häufig „die Klärung der sozialen Produziertheit“ (ebd.: 507) der Dokumente im Vordergrund des Erkenntnisinteresses, um die besondere Darstellungsform eines Sachverhaltes zu untersuchen.Footnote 18 Dies soll in der hier vorliegenden Arbeit allerdings nicht geschehen, wenngleich eine genauere Analyse der hier öffentlich zugänglichen Daten, wie sie die Homepages der ZfsL bilden, interessante Rückschlüsse auf die intendierte Adressatenorientierung ermöglichen würde.

Hier dienen die veröffentlichten Dokumente als Belege für inhaltliche Sachverhalte, um einen Überblick über die Ausbildungskonzepte der ZfsL in NRW zu erhalten. Diese Konzepte bilden den theoretischen Hintergrund, auf den sich die Fachleitungen der ZfsL geeinigt haben und die der Öffentlichkeit und damit auch den LAA zur Verfügung gestellt werden.

3.4 Die Dokumentenanalyse

Insgesamt lässt sich beobachten, dass die ZfsL ihre Aufgabe bei der Erstellung der eigenen Ausbildungskonzepte vor allem in der Ausdifferenzierung der „Personenorientierung“ als neuem Standard in der Lehrerausbildung sehen. Die anderen schon in den vorherigen Fassungen der OVP ausgewiesenen Standard- und Handlungsfeldorientierungen werden eng mit den Vorgaben des MSW verknüpft, teilweise werden diese Vorgaben zitiert oder es wird direkt per Link auf den Bildungsserver des MSW des Landes NRW verwiesen. Die Ausführungen zum Standard „Personenorientierung“ finden in der Ausdifferenzierung des eigenen Beratungskonzeptes der ZfsL größere Berücksichtigung.

Die überwiegende Zahl der ZfsL formuliert als ausbildungsdidaktische Grundprinzipien im VD das erwachsenengerechte Lernen, dem sich daran orientierenden Menschenbild für die Auszubildenden und damit auch der eigenen Rolle als Ausbilder:innen. Seltener fand explizit der Begriff der „Personenorientierung“ Eingang in die Ausbildungskonzepte. Insgesamt lassen sich in den Veröffentlichungen sechs komplexe Ausbildungsschwerpunkte identifizieren, von denen einige ausdrücklich auf Theoriekonzepte der Erziehungswissenschaften und der pädagogischen Psychologie verweisen. In diesen Fällen werden die ausgewiesenen Bezüge inhaltlich genauer recherchiert und in ihren Kerngedanken wiedergegeben. Die sechs identifizierten Schwerpunkte, die in der untenstehenden Tabelle aufgelistet werden, finden sich im nachfolgenden Text unter drei größeren Überschriften zusammengefasst. Die Bündelung begründet sich zum einen dadurch, dass die ZfsL die verwendeten theoretischen Konzepte begrifflich nicht immer unter den gleichen Ausbildungsschwerpunkten subsummieren und andererseits auch unterschiedlich ausführlich darstellen, so dass einzelne Inhalte schon aus diesem Grund in größere Zusammenhänge eingebunden werden können.

Tabelle 3.1 Ausbildungskonzepte an den ZfsL in NRW

3.4.1 Das Beratungskonzept der ZfsL in NRW

Die Beratungskonzepte der ZfsL besitzen, und darin unterscheiden sie sich von den anderen benannten Schwerpunkten für den Vorbereitungsdienst, unterschiedliche inhaltliche Fokussierungen. Es lassen sich Beratungskonzepte finden, die neben der Darstellung der Beratung im engeren Sinne auch andere Ausbildungsprinzipien ihrer Institution darlegen.

Als Beispiel für ZfsL-Standorte, die kein deklariertes Beratungskonzept ausweisen, sei das ZfsL Bochum genannt. Hier werden als „Grundsätze“ der Ausbildung unter der Überschrift „Personenorientierung“ neben den obligatorischen Formen des Eingangs- und Perspektivgesprächs, der Kollegialen Beratung und Formen von festen Lerngemeinschaften weitere Beratungsformate für die Ausbildungszeit vorgestellt. „Beratung“ ist für dieses ZfsL „dem humanistischen Menschenbild“ verpflichtet. Damit wird bei den Seminarausbilder:innen neben „Empathie, Authentizität und Kongruenz, Akzeptanz und Wertschätzung“ für den Beratenden auch die Fähigkeit „zu aktivem Zuhören und zu nicht-direktiver und strukturierter Gesprächsführung“Footnote 19 vorausgesetzt. Für die Beratungssituationen selbst, vor allem für die UNB, wird kein eigenes Beratungskonzept dargestellt. Der Hinweis auf die Grundlagen der humanistischen Psychologie im Sinne RogersFootnote 20 soll in seiner allgemeinen Form für alle Beratungssituationen gelten.

Anders sieht es beispielsweise im Fall vom ZfsL Duisburg aus. Das ZfsL Duisburg besitzt ein „Beratungskonzept“Footnote 21 (Stand Mai 2017, aktuell nur noch über "LOGINEO NRW Schule online" abrufbar) im engeren Sinne, das zunächst einen Überblick über unterschiedliche Beratungsanlässe innerhalb des VD liefert. Das Beratungskonzept weist neben dem Hinweis auf unterschiedliche Beratungsformate wie dem Eingangs- und Perspektivgespräch, der personenorientierten Beratung mit Coachingelementen, den Unterrichtsbesuchen, einem fakultativen Ausbildungsgespräch und selbstgesteuerten Beratungsformaten (etwa der Kollegialen Fallberatung) allgemeine Grundsätze der Beratungstätigkeit aus. Insgesamt, so die Autoren dieses Beratungskonzeptes, sei Beratung im ZfsL Duisburg immer personenorientiert zu verstehen und damit „individuell“ am „persönlichen Ausbildungsstand und Ausbildungsbedarf“ der LAA orientiert. In diesem Zusammenhang klärt das ZfsL auch das Rollenverständnis seiner Seminarausbilder:innen, das sich einem „humanistischen Menschenbild“ verpflichtet fühlt, mit dem „Achtung und Wertschätzung“ gegenüber der Persönlichkeit der Referendar:innen als wesentliche Voraussetzung formuliert wird. Für das Ausbildungselement der UNB existiert auf der Homepage eine eigene Präsentation (vom 4. Mai 2020) „Die Unterrichtsnachbesprechung als Ausbildungselement“. In dieser Präsentation finden sich zunächst Hinweise aus der OVP zur Funktion und dem Ziel der UNB. Daneben gibt es Hinweise zu den Rahmenbedingungen der UNB wie Zeit, Ort und den Teilnehmer:innen. Das ZfsL Duisburg empfiehlt zudem einen festgelegten Gesprächsverlauf, der sich in seiner Struktur an einen frühen Entwurf Golls (1998: 83)Footnote 22 orientiert und von vielen ZfsL übernommen wird.

Das strukturierte Gespräch sieht folgende Gesprächsschritte vor:

  1. 1.

    Klärung über den Ablauf,

  2. 2.

    die eigene Stellungnahme des LAA, ggf. schon mit der Formulierung von Beratungsanliegen,

  3. 3.

    der Blick auf die Stärken des LAA,

  4. 4.

    eine Vereinbarung über ausgewählte Besprechungsschwerpunkte und der Festlegung der Reihenfolge,

  5. 5.

    die gemeinsame Besprechung,

  6. 6.

    eine (abschließende, A.B.-H.) gemeinsame Zielvereinbarung und ggf. Metakommunikation über das Beratungsgespräch.Footnote 23

Im Vergleich zu dieser Darstellung, die das ZfsL in Duisburg und auch insgesamt die ZfsL in NRW verwenden, lässt sich ein wesentlicher Unterschiede zu Golls Vorlage erkennen.

Zu Schritt 4: Die Besprechungsaspekte, die im 3. Schritt gesammelt werden, sollen nach Goll (und auch nach Goll, Klupsch-Sahlmann, Theßling 2002: 32; Goll, Klupsch-Sahlmann, Theßling 2007: 108) im nächsten Gesprächsabschnitt vom LAA gewichtet und ggf. aussortiert werden.

„Der Lehramtsanwärter entscheidet als autonome Person über die Inhalte des Gesprächs. Die Wahl ist von allen anderen Gesprächsteilnehmern zu akzeptieren und wird nicht zum Gegenstand des Gesprächs.“ (Goll et al. 2002: 32)

Allerdings fallen die vom LAA aussortierten Themen nicht unter den Tisch, sondern werden von der Fachleitung im Gesprächsprotokoll dokumentiert.

Betrachtet man die Konzepte genauer, die die ZfsL für den Gesprächsablauf zugrunde legen, so wird hier nicht mehr deutlich, wer die Besprechungsaspekte festlegt. Tun dies alle Beteiligten, die Fachleitungen oder der LAA? Die Erfahrung zeigt, dass die Moderation für die Themenwahl die Fachleitung unter Berücksichtigung der anderen Gesprächsteilnehmer:innen vornimmt und dabei darauf achtet, dass neben den Vorschlägen der LAA auch die Themen benannt werden, die aus Sicht der Fachleitungen für die weitere Besprechung wesentlich sind.

Auch die Handreichung der Bezirksregierung Düsseldorf, die in Zusammenarbeit mit den Leitern der StudienseminareFootnote 24 im Bezirk erarbeitet wurde, stellt mit ihrem „Modell der Unterrichtsnachbesprechung“ ein Konzept für die UNB vor (ebd.: 10), das sich eng an die Vorgabe Golls et al. anlehnt. Damit verbinden auch die Autoren dieser „Handreichung“ ein „bestimmtes Bild vom Lernen im Vorbereitungsdienst“ (ebd., S. 6), für das „die (Weiter-)Entwicklung der Lehrerpersönlichkeit“ als Bedingung und gleichzeitig auch als Ziel der Ausbildung gilt. In diesem Sinne sei

„Belehrung und Beratschlagung ein untaugliches Instrument“ (ebd.), vielmehr müsse gewährleistet sein, dass die LAA „in der Lage sind, ihr Handeln kritisch reflektierend zu durchdringen und damit den erreichten Ausbildungsstand zu erkennen.“ (ebd.)

Für die Struktur der UNB wird auf das Ablaufmodell von Goll et al. verwiesen. Neben dem Gesprächseinstieg, der Positivrunde, in der anerkannt wird, was schon gelingt, werden die „Gesprächswünsche zusammengetragen“ (ebd. :11), bei denen „der bzw. die Berater der LAA eine Auswahl der Interessenpunkte aus ihrer Sicht“ zugestehen sollten (ebd.). Das Gespräch sollte dann weiter fortgesetzt werden mit einer eingehenden Erörterung der ausgewählten Beratungsaspekte, der daran anschließenden Gewichtung dieser Aspekte, der Entwicklung weiterer ausbildungsrelevanter Perspektiven und einer metakommunikativen Betrachtung des Gesprächs. Bis auf die Auswahl der Besprechungsaspekte besteht hier Übereinstimmung mit der Ablaufstruktur der UNB, wie sie auch die ZfsL verwenden. Der Unterschied liegt darin, dass die Auswahl der Besprechungsaspekte nach diesem Modell vorrangig von den LAA vorzunehmen ist.

In der „Überarbeitung“ der Handreichung vom 11. Dezember 2008Footnote 25 findet sich allerdings eine Änderung zur Auswahl der Besprechungsaspekte. In der Fassung von 2008 gilt die UNB als „zentrales individuelles Element der Zweiten Phase der Lehrerausbildung“ (ebd.: 6), allerdings zeigt sich bei dem nun vorgestellten Ablaufmodell der UNB eine Veränderung gegenüber der zwei Jahre jüngeren Fassung. Bei dem Gesprächsschritt „Gesprächsgegenstände ermitteln, Reihenfolge festlegen“ (ebd.: 11) heißt es nun, dass die LAA „wichtige Gesprächspunkte“ benennen, „Ausbilderinnen bzw. Ausbilder und weitere anwesende Personen ergänzen“.

Um den Unterschied noch einmal deutlich zu machen: Hieß es in der Handreichung von 2006 noch als Begründung dafür, dass die Auswahl der Besprechungsaspekte von den LAA zu treffen sei, weil eine gelingende Beratung Freiwilligkeit, Eigeninitiative und Eigenverantwortung“ (ebd.: 11) voraussetze, wird in der Handreichung von 2008 mit dem Verweis auf den „Anforderungsbezug“ (ebd.) eine Ergänzung der Gesprächsaspekte für die weitere Beratung durch Ausbilder:innen und andere Beteiligte nahegelegt, wenn dies durch den Bezug auf die Anforderungen notwendig erscheint.

Das ZfsL Gelsenkirchen bezieht sich bei seinem Beratungsverständnis ebenfalls explizit auf die Autoren Goll et. al (2007) und zitiert, ähnlich wie die Handreichung aus dem Dezernat Düsseldorf aus dem Jahr 2006, auch Korthage (2002). Dieses ZfsL hat ein besonders umfängliches Beratungskonzept entworfen, das im Weiteren ausführlicher und stellvertretend für andere Entwürfe dargestellt werden soll, die in besonderer Weise das „Entwicklungsziel einer stabilen Berufspersönlichkeit“ (Handreichung 2006: 9) als Grundsatz ihrer Ausbildungsdidaktik verstehen.

Am Anfang des Beratungskonzeptes (laut Beschluss der Seminarkonferenz vom 13.06.2016)Footnote 26 wird das Ziel der Ausbildungsberatung (im Anschluss an Unterrichtsbesuche) mit dem Hinweis auf die „Entwicklung der fundamentalen Reflexionskompetenz“ (ebd.: o. S.) der LAA formuliert. LAA gelten demnach als „reflektierende Praktiker“, deren „Subjektive Theorien“ nicht immer den Standards der wissenschaftlichen Unterrichtsforschung und den Ergebnissen der kognitiven Psychologie entsprechen müssen. (Ebd.) Für beide Attribute, die den LAA hier zugesprochen werden, werden vom ZfsL Gelsenkirchen die Autoren zitiert, die schon in der ersten Fassung der Handreichung des Dezernates 46 in Düsseldorf und auch vom ZfsL Duisburg ausgewiesen werden. Der „reflektierte Praktiker“Footnote 27 wird von Korthage (2002) und die LAA als „Subjektiver Theoretiker“ von Schlee (so z.B. 2007) in die Diskussion eingebracht.

„Wenn man Menschen wie Wissenschaftler bzw. als Subjektive Theoretiker modelliert, dann billigt man ihnen dieselben Potentiale zu, die wir Wissenschaftlern unterstellen. Da man Wissenschaftlern das Potential zur Autonomie, zur Rationalität, zur Reflexivität sowie zur Kommunikationsfähigkeit zugesteht, muss man unter den vorgeschlagenen Menschenbildannahmen konsequenterweise diese Potentiale auch den so genannten Alltagsmenschen zugestehen.“ (Ebd.: 8)

Mit dem hier verwendeten Begriff des „Subjektiven Theoretikers“ wird Lernen als das „Verändern“ von subjektiven Theorien (ebd.) verstanden. Und noch ein weiterer Aspekt wird hier dem Prozess des Lernens zugesprochen, nämlich die Art und Weise, wie diese Veränderungen zu bewerkstelligen sind. Zu diesem Zweck führt Schlee den Begriff des „Doppeldeckers“ (ebd.) ein, mit dem er die ethische Forderung nach Gleichbehandlung innerhalb der Interaktionsbeziehung zwischen Ausbilder:innen und Referendar:innen fordert. Abgeleitet aus Kants kategorischem Imperativ konstruiert Schlee mit dem Prinzip des pädagogischen Doppeldeckers die ethische Richtlinie, die er auch das „Selbstanwendungsprinzip“ nennt. Gemeint ist damit, dass sich die Ausbilder:innen in der Beratungssituation fragen sollten: Was wäre für mich als Referendar:in in dieser Situation hilfreich? „Man hat also anderen Menschen gegenüber so zu handeln, wie man selbst „behandelt“ werden möchte“ (ebd.).Footnote 28 Diese moralische Leitlinie bei der Gestaltung der Ausbildungsgespräche ist nach Schlee eine Möglichkeit, „angemessen“ miteinander zu verfahren.

So soll einerseits den Referendar:innen in der UNB eine möglichst aktive Rolle eingeräumt werden und andererseits kommt auf die Fachleiter:innen die Aufgabe zu, mit einer förderlichen Beratungshaltung unter den „Grundannahmen eines humanistischen Beratungsverständnisses“Footnote 29 die förderliche „Entwicklung der Kompetenzen der LAA“ zu ermöglichen.

Weitere Ausführungen zum Ablauf der Beratung werden vom ZfsL Gelsenkirchen nur im Kontext von sog. „Entwicklungsgesprächen“ gegeben. In diesem Gesprächsformat, in dem es zu keinen Beurteilungen kommt, scheinen für die Autor:innen des Beratungskonzeptes die Bedingungen vorzuliegen, die eine Gesprächsführung im Sinne Golls et al. sinnvoll erscheinen lassen und die damit für die LAA als echte „Lerngelegenheiten“ gelten können.

Den Seminarausbilder:innen des ZfsL ist wohl bewusst, dass der Beratungsprozess auch für die Beratenden eine besondere Herausforderung bedeutet. Zur Unterstützung der eigenen Beratungstätigkeit schlagen sie deshalb vor, „die eigene Beratungskompetenz“ kollegial zu begleiten und weiterzuentwickeln. Die Trias zwischen Steuerung, Information und UnterstützungFootnote 30, die schnell zu „Fehlformen“ der Beratung führen kann, so dass aus Steuerung Manipulation, aus Information Belehrung und aus Unterstützung Abhängigkeit wird, ist damit im Bewusstsein der Beratenden und bildet ein eigenes Entwicklungsziel des ZfsL Gelsenkirchen.

Ähnlich wie Gelsenkirchen stellt auch das ZfsL RheineFootnote 31 ein ausführliches Beratungskonzept (Stand 7. Februar 2019) vor, das ebenfalls dem Ausbildungsprinzip der Personenorientierung folgt.

Auch Rheine („Personenorientierung in der zweiten Phase der Lehrerausbildung“, Stand 8. September 2021Footnote 32) orientiert sich an der von Goll et al. vorgeschlagen Gesprächsstruktur für die UNB. Allerdings wird auch hier erwähnt, dass die Themen für die Beratung von den Ausbilder:innen ggf. um eigene Punkte ergänzt werden und damit wird die noch von Goll et al. postulierte Eigenständigkeit der LAA an dieser Stelle eingeschränkt. Die Rolle, in der das ZfsL seine Referendar:innen während des VD insgesamt sieht, ist allerdings geprägt von einer hohen Autonomie.

„Sie sind das Subjekt Ihrer Ausbildung. Das heißt, als autonome Lernerin bzw. als autonomer Lerner gestalten Sie wesentliche Bereiche Ihres Lernens selbst. Sie haben die Verantwortung für Ihr Lernen.“ (Ebd.: 7)

Als Lerngelegenheiten werden die folgenden „Kernelemente“ der Personenorientierung ausgewiesen: die Beratung mit Coachingelementen (mit einer ausführlichen Darstellung dieses Beratungsformats im Sinne von König & Vollmer: 2009), das Eingangs- und Perspektivgespräch (EPG), die Gestaltung der fachlichen und überfachlichen Seminare, die UNB, weitere mögliche Unterrichtshospitationen, Professionellen Lerngemeinschaften als kollegiales Ausbildungselement der Referendar:innen und schließlich das die eigene Ausbildung begleitende Portfolio. Inwieweit dabei die je unterschiedlichen Anforderungen der Ausbildung auf die verschiedenen Formate zu übertragen sind, bleibt hierbei allerdings offen.

Das ZfsL Münster hat wie Rheine und Gelsenkirchen ein ähnlich umfangreiches Beratungskonzept (Stand: November 2019) erstellt. Auch hier dient die „Personenorientierung als Leitprinzip“Footnote 33 für gelingende Beratungsprozesse (ebd.: 4). Dabei unterscheidet das ZfsL Münster deutlich zwischen Beratungsgesprächen als grundsätzlich „benotungsfreien Lerngelegenheiten“ und der sog. „Ausbildungsberatung“ nach Unterrichtsbesuchen. Aber auch während der UNB soll die Möglichkeit einer benotungsfreien Lerngelegenheit eingeräumt werden. Dazu ergänzt Münster die bekannte Ablaufstruktur mit einer Phasenbeschreibung, die an unterschiedlichen Stellen „benotungsrelevante Anteile“ und „benotungsfreie Anteile“ (ebd.: 9 f.) deklariert. So gelten die Durchführung der Unterrichtsstunde und die Reflexion zur Planung und Durchführung als Leistungssituationen, die sich daran anschließenden Phasen der „Positivrunde, das Beratungsgespräch mit seiner Phase der Formulierung der weiteren Entwicklungsschritte sowie das Feedback zum Gespräch und die Zusammenfassung der UNB-Ergebnisse als eine „Lern- und Ausbildungssituation“ (ebd.: 10), die als benotungsfrei definiert wird.

Die Trennung von Lern- und Leistungssituationen innerhalb des VD, wie sie das ZfsL Münster hier vorstellen, berücksichtigt, dass die OVP-Vorgaben (§10 [5]) hinsichtlich der „Ausbildungsberatung «insbesondere im Zusammenhang mit Unterrichtsbesuchen» mit ihren komplexen Funktionen wie der „Anleitung, Beratung, Unterstützung und Beurteilung“ ein „Spannungsverhältnis von Beratung und Benotung“ (ebd.: 3) kreieren, das es zu „umgehen gilt“ (ebd.). Die vom ZfsL Münster favorisierten Maßnahmen dieses Spannungsverhältnis zu lösen, liegen in der klaren Abgrenzung und Benennung von „Performanzgelegenheiten“ einerseits und „Lern- und Entwicklungsgelegenheiten“ (ebd.) andererseits. Es ist diese Transparenz, die die „Beratung und Benotung“ voneinander unterscheidbar machen soll und die als eine der Grundvoraussetzungen gelingender Beratungsprozesse betrachtet wird (vgl. ebd.: 4).

Die Problematisierung der Beratungsprozesse vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Funktionen, wie sie die OVP beschreibt, sind vielen Ausbildungszentren bewusst und einige von ihnen weisen diese Problematik auch explizit aus. So deutet das ZfsL DuisburgFootnote 34 an: „Wir wissen, Beratung ist ein ausgesprochen sensibler Bereich“. Und als Folgerung dieses Bewusstseins wird darauf verwiesen, dass der Beratungsprozess stets personen- und prozessorientiert (vgl. ebd.) verlaufen soll. Das ZfsL Krefeld („Beratungskonzept“)Footnote 35 stellt im Zusammenhang mit der UNB die Frage „nach der Gewichtung von Beratung und Bewertung“ und verweist, ähnlich wie auch Duisburg, darauf, dass die Note nach einem UB „nicht den derzeitigen Leistungsstand“ widerspiegele, sondern dass die UNB „schwerpunktmäßig“ der Beratung diene (ebd.: 10). Eine Einschätzung des eigenen Entwicklungsstandes erfahren die LAA in Krefeld in einem eigens dafür vorgesehenem „Kompetenz- und Entwicklungsgespräches“ (ebd.), das sich an den von der OVP benannten Standards orientiert. Das ZfsL Neuss („Unterrichtsnachbesprechungen am ZfsL Neuss“, Stand: 04.06.2018)Footnote 36 formuliert für das „Spannungsverhältnis von Beratung und Bewertung“ eine dem ZfsL Münster vergleichbare Lösung. Sie fordern von den Ausbildern, dass sie „Offenheit und Klarheit zur Grundlage ihrer Tätigkeit machen“ (ebd.). Auch das ZfsL Engelskirchen („Konzept zur Unterrichtsnachbesprechung“)Footnote 37 versucht die Problematik damit „zu entschärfen“, indem dieser „Hiatus a) kommuniziert wird, b) in der UNB ‚Lernen und Leisten entmischt‘ werden und c) die Anteile von Beratung und Bewertung gewichtet werden“ (ebd.). Personenorientierung und insgesamt unterschiedliche Beratungsformate sind auch für das ZfsL BocholtFootnote 38 die Möglichkeit, zwischen „Hinterfragung und Bestätigung der eigenen Person“ zu vermitteln (ebd.: 4).

Zusammenfassend lässt sich mit Blick auf die Beratungskonzepte der ZfsL in NRW sagen, dass sich die in der Zielformulierung der OVP angelegten Aspekte der Ausbildungsdidaktik, die sich zwischen den Prinzipien von Ausbildung und eigenverantwortlichem Lernen bewegen, in den unterschiedlichen Konzepten der ZfsL wiederfinden lassen.

Viele der hier vorgestellten Konzepte erkennen die Problematik zwischen Bewertung (oder eher noch Benotung) als einem Aspekt der Ausbildung einerseits und den der Beratung und Unterstützung andererseits und bemühen sich, dieses Spannungsverhältnis möglichst aufzulösen. Dies soll vor allem durch das Transparentmachen unterschiedlicher Beratungssituationen realisiert werden, indem von den Semiarausbilder:innen klar zwischen Lern- und Leistungssituation unterschieden wird.

Darüber hinaus wird von den Beteiligten, den Fachleitungen und den Referendar:innen, eine gewisse Rolle und damit auch eine Haltung vorausgesetzt, die dieses Spannungsverhältnis weiter entlasten soll. Diese Haltung wird im Folgenden näher beschrieben.

3.4.2 Erwachsenenbildung – autonome Lerner

§1 der OVP beschreibt die Rolle der LAA im VD:

„Der Vorbereitungsdienst bereitet Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter als eigenverantwortlich Lernende auf die spätere berufliche Unterrichts- und Erziehungstätigkeit an Schulen vor.“

Auch an anderen Orten wird im Kontext der neuen OVP von einem „zeitgemäßen“ Lehrerleitbild ausgegangen und vor dem Hintergrund eines neuen „Berufsverständnisses“ werden, so Wehrhöfer (2013: 9) „die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter konsequent als selbstständige erwachsene Lernerinnen und Lerner angesehen.“

Mit dem Hinweis darauf, dass es sich bei den LAA im VD um erwachsene Lernende handelt, wird ein komplexes Gefüge ausbildungsdidaktischer Prinzipien angestoßen. In der theoretischen Forschungslandschaft der Erwachsenenbildung hat sich dabei ein großes Spektrum unterschiedlicher theoretischer Ansätze versammelt.

Christine Zeuner (2005: 7) beschreibt in einem Plenumsvortrag zur Einführung in die Tagung „Theoretische Grundlagen und Perspektiven der Erwachsenenbildung“ den Stand ihrer Didaktikforschung als ausgesprochen unübersichtlich:

„In den letzten Jahren wurden in der Erwachsenenbildungswissenschaft und -forschung systemtheoretische, konstruktivistische, kritisch-theoretische, subjekttheoretische und andere Ansätze unserer Bezugswissenschaften rezipiert und angewandt, allerdings ohne, dass – zumindest nach meinem Eindruck – ihre Protagonisten tatsächlich in einen Diskurs eingetreten wären.“

Das anspruchsvolle Programm der Erwachsenenpädagogik hinsichtlich seiner unterschiedlichen Theorieansätze soll hier weder genauer dargestelltFootnote 39 noch soll der Versuch unternommen werden, einen Vergleich zwischen den verschiedenen Ansätzen vorzunehmen. Es werden in diesem Kapitel vielmehr die theoretischen Ausrichtungen vorgestellt, die im Kontext der schulpraktischen Lehrerausbildung häufig zitiert werden, ohne dass damit schon die theoretische Tragweite dieser Theorien deutlich wird.

Von den insgesamt 31 Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (für Gymnasien und Gesamtschulen) in NRW haben 29 Einrichtungen ein Ausbildungskonzept erstellt, mit dem sie sich der Erwachsenenpädagogik als ausbildungsdidaktische Prämisse verpflichtet sehen (vgl. Tabelle 3.1). Diese Übereinstimmung ist zum Teil der Tatsache geschuldet, dass der Grundsatz der Erwachsenenpädagogik auch schon vor der Reform der OVP eine Rolle für den VD spielte,Footnote 40 wenn auch nicht in dem Ausmaß, wie dies nach der Reform des VD der Fall ist.Footnote 41 Dies scheint auch der Grund dafür zu sein, dass nur von einem ZfsL (Hamm) die theoretischen Hintergründe ihrer erwachsenenpädagogischen Ausbildungsprinzipien ausgewiesen werden.

Unter der Überschrift „Orientierungen der Lehrerbildung“ werden hier die vier Standards der Lehrerausbildung, wie sie die KMK festgelegt hat, erläutert. Unter dem Standard „Personenorientierung“ erläutert das ZfsL Hamm, welche Voraussetzungen und Konsequenzen die Personenorientierung für ihre Arbeit besitzen.

„Im Vorbereitungsdienst ist eine konsequente Ausrichtung der Ausbildung auf den eigenverantwortlich und individuell ausgerichteten Lernprozess der Lehramtsanwärter und Lehramtsanwärterinnen intendiert. Sie werden, ausgehend von ihrer erfolgreich abgeschlossenen Hochschulausbildung, konsequent als erwachsene Lehrerinnen[sic] und Lerner unterstützt und gefördert.“ [Herv. i. O.]Footnote 42

Mit der Ausrichtung auf didaktische Prinzipien der Erwachsenenpädagogik verweist das ZfsL Hamm auf Vertreter der Reformpädagogik wie M. Knowles (1975) mit dem „self-directed learning“ (ebd., S. 12) als „Grundprinzip der Erwachsenenbildung“ (ebd.).

Eine Definition des „self-directed learning” gibt Knowles (ebd.: 18):

“… a process in which individuals take the initiative, with or without the help of others, in diagnosing their learning needs, formulating learning goals, identifying human and material resources for learning, choosing, and implementing appropriative learning strategies, and evaluating learning outcomes.”

Der Begriff “self-directed learning“ (SDL) hat, so English (2005: 565), eine Vielzahl von verschiedenen Anwendungskontexten und Bedeutungsvariationen erfahren. Eine wesentliche Diskrepanz besteht dabei zwischen der Annahme,

“SDL is learning alone and/or learning with others and, therefore, whether it can take place in formal contexts or is limited to the non-formal learning, that occurs as part of adults´ day to day living” (ebd.).

Diese Differenzierung unterschiedlicher Rahmenbedingungen des Lernens verweist auf die Schwierigkeiten der Erwachsenenpädagogik, die jenseits eines ‚day to day living‘- Kontextes verortet sind. Die Frage, die sich hier stellt, ist, inwieweit sich diese Prinzipien auch auf institutionelle Kontexte übertragen lassen.

Das ZfsL MünsterFootnote 43 verweist im Zusammenhang seiner Ausbildungsberatung auf die grundlegende Reflexionskompetenz „eigenverantwortlich Lernender“ im Sinne Deweys, die ein wesentliches Kriterium für die Professionalisierung bedeutet. Deweys Begriff der Reflexion ist eingebettet in seinem Konzept des „forschenden Lernens“ (Hilzensauer 2008: 2). Ausgehend von einer „echten Problemstellung“ (ebd.), wie sie aus einer praktischen Handlung entstehen kann und die die primären Erfahrungen konstituiert, geht es in einem weiteren Lernprozess darum, diese „primären Erfahrungen“ durch Reflexion „zu einer sekundären (abstrakteren und generalisierten) Erfahrung umzudeuten. Die Reflexion dieser primären Erfahrungen zielt dabei auf diejenigen Überzeugungen, die diesen Erfahrungen zugrunde liegen. Diese Überzeugen haben nach Dewey (1910: 4) folgende Struktur:

„Such thoughts grow up unconsciously and without reference to the attainment of correct belief. They are picked up — we know not how. From obscure sources and by unnoticed channels they insinuate themselves into acceptance and become unconsciously a part of our mental furniture. Tradition, instruction, imitation — all of which depend upon authority in some form, or appeal to our own advantage, or fall in with a strong passion — are responsible for them. Such thoughts are prejudices, that is, prejudgments, not judgments proper that rest upon a survey of evidence.“

Der Glaube oder die Meinung über Sachverhalte und Zusammenhänge, die unsere Handlungen beeinflussen und die nach Dewey ein unbewusstes und unreflektiertes Handlungswissen konstituieren, können unter gewissen Umständen zu Problemen oder Handlungsblockaden führen. In diesem Fall dient die Reflexion und das damit verbundene Nachdenken über die Ursache der Blockade dazu, einen zweiten Lernprozess einzuleiten. Angelehnt an Deweys Konzept des „reflektierten Praktikers“ unterscheidet Schön (1983: 49) zwei Arten von Reflexion, die das ZfsL Münster für die Weiterentwicklung der Reflexionskompetenz hervorhebt. So ist das implizite Wissen, das „knowing-in-action“ dadurch charakterisiert, dass es als „ordinarily tacit, implicit in our patterns of action and in our feel for the stuff with which we are dealing” gilt. Dieses unreflektierte Wissen kann im Sinne eines Innehaltens expliziert werden und zum „knowledge-in-action“ verwandelt werden. Die nach einer Handlung einsetzende Reflexion, die „reflection-on-action“ (ebd.), ausgelöst etwa durch unerwartete Ereignisse, ist nach Schön die dritte Reflexionsvariante. Zusammengenommen bilden die Formen der Reflexion die zentralen Voraussetzungen für die Professionalisierung in komplexen Berufsfeldern, in denen Fachwissen allein nicht mehr ausreichen kann, um den beruflichen Anforderungen gerecht zu werden.

Deweys und Schöns Konzepte stimmen darin überein, dass die handlungsleitenden Überzeugungen, die in der Vergangenheit erworben wurden, an einem bestimmten Punkt dysfunktional werden können und deshalb überprüft werden müssen. Wichtig ist, dass erworbene Erfahrungen die zentrale Voraussetzung für den weiteren Professionalisierungs- oder Lernprozess bilden.

Die Frage, die sich hier im Zusammenhang mit der Lehrer:innenausbildung stellt, ist die nach den Möglichkeiten eines selbstständigen oder autonomen Lernsubjekts im Kontext institutioneller Rahmenbedingungen. Inwiefern kann man davon ausgehen, dass sich die von Knowles geforderte Initiative für den Professionalisierungsprozess tatsächlich an den diagnostizierten Lernbedarfen („learning needs“, Schön 1983: 18) des lernenden oder auszubildenden Individuums ausrichtet?

Und weiter stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer Reflexion eigener handlungsleitender Überzeugungen, wie sie Dewey für den Lernprozess voraussetzt. Kann es also im Kontext der Lehrer:innenausbildung gelingen, die notwendigen Implikationen des „autonomen Lerners“ zu berücksichtigen?

3.4.3 Der „autonome Lerner“ – ein begriffsklärender Exkurs

In diesem Exkurs zum Begriff der „Autonomie“, wie er im pädagogischen Diskurs und allemal in der Lehrer:innenausbildung verwendet wirdFootnote 44, soll herausgestellt werden, inwiefern dieser Begriff in der Tradition Kants eine Idealisierung erfahren hat, die vom Autor selbst so nicht beabsichtigt war.

In einem weiteren begrifflichen Anlauf wird die politische Tradition dieses Begriffes und seine Übertragung von der Staatslehre auf die Individualphilosophie und die damit einhergehenden Implikationen nachgezeichnet.

Schon aktuelle Untersuchungen, wie auch die in dieser Arbeit zitierte Studie zur Lehrerprofessionalisierung von Košinár, kommen zu der Einschätzung, dass nur wenige Referendar:innen als „autonom“ gelten können und somit über die Voraussetzungen an Selbsteinschätzung und an Selbstregulierungsstrategien verfügen, die an die Vorstellungen von „kompetente[n] erwachsene[n] Lernende[n]“ (Košinár 2014: 388) anknüpfen. Diese „Idealvorstellung“, so zitiert Košinár auch andere Autoren (wie Lenhard 2004: 288, Englert u.a. 2006: 472 und Böhmann 2009: 15) entsprechen insgesamt nicht den Voraussetzungen, die Referendar:innen häufig mitbringen.

So erhebt die Autorin zusammen mit dem von ihr zitierten Autor (Lenhard 2004: 286) die Forderung nach einer deutlich besseren Vorbereitung schon während der ersten Ausbildungsphase, um der „berufspraktischen Unerfahrenheit“, die sich in der zweiten Phase in dem Bedürfnis nach „Orientierung und Anleitung“ (ebd. 389) zeigt, entgegenzuwirken.Footnote 45 Mit dem Vorschlag von präventiven Maßnahmen vor der zweiten Ausbildungsphase wird an der Vorstellung eines autonomen Lerners für das Referendariat insgesamt festgehalten, wenn auch die Autor:innen einräumen, dass sich diese Maßnahmen bei den aktuellen universitären Ausbildungsverhältnissen nur begrenzt realisieren lassen.

Zunächst ist es wichtig daran zu erinnern, dass die Idee vom „autonomen Lerner“ nicht nur als eine „Wunschvorstellung“ von Ausbildern gelten kann (vgl. dazu Abschn. 3.4.2)Footnote 46, sondern schon in diversen Fachtexten zur Didaktik der Lehrerausbildung im Anschluss an Dewey und allemal von den Ausbildungsprogrammen der ZfsL betont wird, dass von Referendar:innen während ihrer Ausbildungszeit als autonome bzw. selbstständige Lerner auszugehen sei.

Konzentrieren wir uns auf den Begriff der „Autonomie“ selbst, sollte deutlich werden, dass die Verwendung dieses Begriffs semantische Implikationen besitzt, die nicht voraussetzungslos im Kontext der Lehrer:innenausbildung zu akzeptieren sind.

Wenn im Folgenden der Begriff der „Autonomie“ weiter aufgefächert wird, muss an dieser Stelle zunächst eine deutliche Einschränkung benannt werden. Es werden hierbei nicht die philosophischen Diskussionen aufgegriffen oder gar diskutiert, die den Begriff der Autonomie reflektieren und ausschärfen, dabei seine historischen Wurzeln beleuchten und seine in Teilen recht unterschiedlichen Interpretationen nachverfolgen. Das kann an dieser Stelle (leider) aus Kapazitätsgründen nicht geleistet werden. Es werden daher im Zusammenhang mit der Idee der Autonomie nur diejenigen inhaltlichen Aspekte aufgenommen, die vor dem Hintergrund der Forschungsfrage und damit seiner Verwendung innerhalb der kommunikativen Instanzen der Lehrer:innenausbildung von Bedeutung sind.

Dabei wird es inhaltlich vor allem um den Begriff der Autonomie in der Folge Kants „Kritik der reinen Vernunft“ gehen, wie sie dort im Zusammenhang mit der Frage danach, was wir wissen können, auftaucht. Hier wird, wenn auch nur kurz, die Emphase, mit der diese Idee aufgegriffen wird, dargestellt. Vorrangig gilt es dabei, die aufklärerische und wissenschaftsprogrammatische Stellung des menschlichen Subjekts im Erkenntnisvorgang zu beschreiben.

Ein weiterer Aspekt der folgenden Darstellung wird neben der Weiterführung des Erkenntnisgewinns innerhalb der pädagogischen Theoriebildung Deweys auch ein Exkurs in die antike Staatstheorie sein, für die Autonomie ähnlich wie in neueren Diskussionen zu Kant als relationaler Begriff zu verstehen ist. Als Attribut eines Individuums, für das die historische Figur der Antigone stellvertretend steht, scheint es allerdings nicht gelten zu können.

Der Begriff der Autonomie, der eine zentrale Rolle in der Philosophie und später auch in der Pädagogik spielt, erhält seine maßgebliche Bedeutung durch Kant, der diesem Begriff vor allem eine „positive Bestimmung“ gibt. Heusinger von Waldegge (2017) favorisiert diese Lesart des Begriffes, mit der Kant (1982: 74) Autonomie als die „Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst (unabhängig von aller Beschaffenheit der Gegenstände des Wollens) ein Gesetz ist“ bestimmt.

Mit dem Anspruch der Aufklärung, Menschen zuzutrauen, sich als Produkt der eigenen Bildungspraxis zu begreifen, taucht der schon seit Kant unterstellte Widerspruch zwischen allgemeinem Gesetz und individuellem Wille auf. Dieser grundlegende und in der Geschichte der Pädagogik immer wiederkehrende Gegensatz wird von Kant selbst so nicht gesehen. Für ihn ist die in der sprachlichen Formulierung negativ fixierte Freiheit als „Unabhängigkeit […] durch sinnliche Antriebe“ positiv gemeint. Damit, so Heusinger von Waldegge (ebd.: 197), besteht das Potential des kantischen Autonomiegedankens eben darin „Freiheit und Gesetz nicht als Gegensätze, sondern als sich bedingende Konzepte zu denken.“

Die Pädagogik der Aufklärung sieht sich im Gegensatz zu Kants Verständnis, so Tenorth (2011: 356), mit dem weiterhin existierenden Widerspruch von „Mensch und Welt“ konfrontiert, bei dem sich vor allem der junge Mensch im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Zwang befinde.

Auch in der philosophischen Tradition wird der Autonomiebegriff in seiner Dichotomie aufrechterhalten. Der daraus resultierende Widerspruch lautet nach Heusinger von Waldegge:

„[…,] wenn wir uns Gesetze geben [,] durch die wir autonom sind, müssten wir das durch einen gesetzlosen Akt, entweder willkürlich oder durch vorweg gegebene Gründe, tun“ (ebd.: 197).

Eben diesen Widerspruch löst Hegel im Kontext von „Bildung, Autonomie und Bewusstsein“ (zit. nach ebd.: 199) in seiner Rechtsphilosophie auf, wenn er den Unterschied von Freiheit und Wahlfreiheit ausführt. „Der gewöhnliche Mensch glaubt frei zu sein, wenn ihm willkürlich zu handeln erlaubt ist, aber gerade in der Willkür liegt, daß er nicht frei ist“ (ebd.: 199). Erst als „denkende[n] Intelligenz“ sei der Wille „wahrhafter, freier Wille“ (ebd.). Damit, so Heusinger von Waldegge, wird Autonomie im Sinne Hegels nicht als eine „Eigenschaft des Willens“ (ebd.: 201) betrachtet. Vielmehr erscheint er als eine „Art und Weise des Vollzugs (des Denkens, aber auch des Handelns),“ die, und das erscheint hier wesentlich, „im Prozess der Bildung erarbeitet werden muss“ (ebd.).

Autonomie gilt nach Hegel nicht als eine „Eigenschaft oder Vermögen individueller Personen, sondern nur als personales Verständnis“ (ebd.). Anders gewendet, Autonomie kann, Heusinger von Waldegge folgend, nicht als existierende, also anthropologische Eigenschaft sui generis verstanden werden, der damit eine ontologische Realität zukommt. Sie kann eher als Beschreibung einer spezifischen Gedankenleistung verstanden werden, mithin als deren Art und Weise; aus der Adverbiale allerdings eine Substantivierung abzuleiten,Footnote 47 bedeutet einen ontologischen Fehlschluss.

Autonomie ist also eher ein Ziel, auf dessen Hinbewegung sich Menschen unterschiedlich bewegen und kann als eine Kompetenz beschrieben werden, die im Kontext der Professionalisierung nicht als ein Zustand gelten sollte, auf den innerhalb der Ausbildung im Sinne einer Ressource oder als Grundbedingung zurückgegriffen werden kann. Autonomie ist so verstanden ein mehr oder weniger weit ausgebildetes Zutrauen in die eigenen Kompetenzen, das bestimmte Ausbildungsprozesse unterstützt. Allerdings ist dieses Zutrauen noch längst nicht bei allen Referendar:innen in gleicher Weise vorhanden. Im Gegenteil – Autonomie erscheint bei ungünstigen Bedingungen (wie dies nicht selten Leistungssituationen sind) – ein geradezu fragiles Konzept (s. dazu Kap. 8, 9, 10).

Neben der Theorie des „autonomen Lerners“, der an vielen Stellen mit dem Verweis auf den Aufklärungsgedanken der Bildung eng verknüpft ist, erscheint in den Ausbildungskonzepten (wie in Abschn. 3.4.2 mit der Dokumentenanalyse gezeigt werden konnte) vieler ZfsL das Lernkonzept Deweys, demzufolge eine demokratische Gesellschaftsform erst durch die Autonomie seiner Bürger möglich ist. Entgegen einer bloß quantifizierenden Regierungsform, die dem Individuum als Element der „Herrschaft der Vielen“ eine nur „numerische Bedeutung“ (Dewey 1969: 229) zuspricht, ist der Mensch für Dewey ein „soziales Wesen“ und damit Teil eines „sozialen Organismus“ (ebd.: 240). Als Teil dieser Gemeinschaft, so argumentiert Dewey in aristotelischer Tradition, gelangt der Mensch zu Autonomie und Freiheit. Für Dewey steht und fällt die Demokratie nicht mit einer Anzahl von Einzelmenschen oder Individuen. Sie ist angewiesen auf ´Persönlichkeiten`,

„die durch gesellschaftliche Anreize und Ermutigungen, und nicht durch geisttötenden Zwang und Druck, gelernt hätten, eigenständig Initiative zu ergreifen, Verantwortung zu übernehmen und dem Humanitätsideal der französischen Revolution „Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit“ uneingeschränkt Geltung zu verschaffen (zit. nach Knoll 2018: 702).“

Um dieses Ideal einer „sittlichen Gemeinschaft“ (vgl. Dewey 1969: 240) zu ermöglichen, braucht Demokratie Wissenschaft mit ihren „rationalen Untersuchungsmethoden“ (Knoll, ebd.), um so unabhängig von „autoritativen Vorgaben“ (ebd.) Wissen und sozialen Fortschritt voranzubringen. Für Dewey ist Demokratie und Erziehung untrennbar miteinander verbunden, wobei für ihn Erziehung als ihre „Hebamme“ gilt. Ihre Funktion besteht vor allem darin, alle negativen Einschränkungen der intellektuellen Entwicklung zu entfernen. In der schulischen Situation seiner Zeit waren damit vor allem alte Fächerstrukturen mit leblosen Inhalten gemeint. Stattdessen schlägt Dewey vor, beim Lernen von „occupations“ auszugehen und dabei den Lernprozess von „Problemen“ aus zu gestalten, die eine hohe Relevanz für Schüler:innen bedeuten sollten. Wenn Dewey in „Democracy in Education“ (Dewey 1903/1977) Demokratie als die „Befreiung der Intelligenz“ und als „Emanzipation des Geistes“ (zit. nach Knoll, ebd.: 707) definiert, dann hat er neben der Lehrfreiheit der Lehrkräfte dabei natürlich auch die unterrichteten Kinder vor Augen. Die „Freiheit von Unterdrückung“ steht dabei der „Freiheit zum Handeln“ entgegen. Letztere beschreibt Dewey allerdings als „Romantizismus“ (Knoll, ebd.). Beim Ziel der Erziehung verpflichtet er sich zwar deutlich dem aufklärerischen Gedanken Kants, wenn Erwachsene ihr Leben selbstbestimmt und verantwortlich führen können sollen. Aber die „positive Freiheit“ auf ein selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen lehnt Dewey für die Erziehung von Kindern ab. Gleichzeitig erhebt er die Forderung nach Lernmethoden, wie sie auch ein wissenschaftlich arbeitender Forscher nutze. In „How We Think“ (1910/1985) beschreibt Dewey den Ablauf seiner sog. „Problemmethode“ für das Lernen im Unterricht. Der unterrichtenden Lehrkraft kommt dabei die Aufgabe zu, als „Arrangeur von Problemsituationen“ (zit. nach Knoll, ebd.: 708) aufzutreten. Doch bei allem methodischen Umbruch, darauf verweist Knoll ausdrücklich, gilt für ihn (Dewey: „Individuality and Experience“ 1926/1984) die Lehrkraft als „Führer“ (ebd.: 709), der die Lernprozesse steuern und lenken müsse.

„Da Freiheit darin besteht, erst nach verständigem Beobachten und Beurteilen zu handeln, […] ist die Führung, die der Lehrer dem Schüler zum Gebrauch der Intelligenz gibt, eine Hilfe zur Freiheit, nicht eine Beschränkung derselben“ (Dewey 1980: 46, zit. nach Knoll, ebd.: 709).

Von Dewey aus kann angeknüpft werden an aktuelle Prozesse der Lehrer:innenausbildung, wie sie beispielsweise bei Forneck und Wrana zu beobachten sind. Ihr Bestreben gilt der Auflösung oder besser Überwindung der „Dichotomie von Freiheit und Zwang, die in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung weit verbreitet ist (Forneck 2008: 8). Forneck (2006) kritisiert Erwachsenenpädagogik, die das „selbstlernende, autonome, weil von außen ungesteuerte Subjekt“ begrifflich nur unscharf fasst und dies allerdings mit einer Emphase vorbringe, die idealisiert autonome Lerner voraussetze und damit der Dichotomie von Zwang und Freiheit verpflichtet bleibe. Frana bricht mit einer „Emanzipierungssemantik“ und deren „zweiwertigen Logik“ (ebd.: 1) zugunsten einer differenzierten Prozesslogik, die der kategorialen Bildung Klafkis zuzurechnen ist. Im Gefüge von materialer und formaler Bildung verändert sich, so Forneck (2006), das lernende Subjekt sukzessive in der tätigen Auseinandersetzung mit der materialen Welt und seinen Lernobjekten. Vorauszusetzen ist dabei,

„dass der vorfindbaren Wirklichkeit eine sinnvolle Einheit abgerungen wird, die die Auseinandersetzung mit der Vielheit materialer Phänomene ideell vereinheitlicht und somit identitätsstiftend werden kann“ (ebd.: 4) .

An dieser Stelle erkennen wir die Wiederaufnahme grundsätzlicher Gedanken zum menschlichen Erkenntnisvermögen. In seiner die „Kritik der reinen Vernunft“ vorwegnehmenden Schrift wird für Kant die theoretische Vernunft mit den Worten Geiers (2011: 32) zum „Problemfall“. Die Frage „Wie hängen rezeptive Sinnlichkeit als subjektive Empfänglichkeit für Objekte und kreativer Gebrauch des Verstandes zusammen?“ (ebd.: 33), verweist auf den „Zusammenfluss“ beider Erkenntnisquellen: „Gedanken ohne Inhalte sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind“ (zit. nach Geier: ebd.). Dies führt Kant zu der Erkenntnis, dass menschliche Anschauungsformen a priori gegeben sind und nicht a posteriori aus den Anschauungen abgeleitet werden können. Die somit subjektiven (nicht zu verwechseln mit individuellen) Anschauungsformen menschlicher Erkenntnis lassen den menschlichen Verstand nicht als Abbild der Natur verstehen. Das „Zusammenspiel von sinnlichen Anschauungen und begrifflicher Verstandestätigkeit“ (ebd. 33) verweist auf die Notwendigkeit der Vermittlung von Sinnen- und Verstandeswelt. So können wir mit Kant die Naturwissenschaft nur von einem „autonomen Erkenntnissubjekt“ (ebd.:40) aus verstehen, das (nur) mit seinen eigenen Begriffen die Welt versteht. „Der Verstand schöpft seine Gesetze a priori nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.“ (Ebd.)

Kants sog. „metaphysische Wende“ (ebd.) innerhalb der Erkenntnistheorie hat damit die Stellung des Menschen als Erkennenden entscheidend verändert.

„Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll“ (zit. nach Geier, ebd.).

Mit dieser Überlegung zur Metaphysik der Erkenntnis a priori hat der Mensch als souverän Erkennender eine neue Stellung bezogen.

„Mit einem neu erwachten Selbstbewusstsein betritt ein autonomes Subjekt die Bühne, das die metaphysische Dunkelheit, in der der Mensch jede Orientierung zu verlieren drohte, durch seine eigenen Schöpferkraft aufhellt“ (ebd.: 40).

Im Anschluss an Kants Veröffentlichung entsteht nur knapp zehn Jahre später, so Geier, eine Diskussion, die den deutschen Idealismus begründet, in dessen Mittelpunkt Begriffe wie der „Konstruktion“ und des „Subjekts“ rücken. Erst die Neukantianer distanzieren sich von idealisierten Vorstellungen und rücken, so Geier (ebd.: 43), im Sinne Kants die Bestimmung der menschlichen Erkenntnis wieder auf ihre Grundelemente und damit auch auf die Begrenztheit menschlicher Erkenntnis zurück.

Betrachten wir neuere Gedanken zur Autonomie im Kontext von Erziehung und Bildung, dann stößt man bei Wrana (2008) mit seinem Projekt zur Transformation der schweizerischen Lehrer:innenbildung ebenfalls auf eine begriffsgeschichtliche Differenzierung von „Autonomie“. Wenn Autonomie bei Lernenden „erzeugt werden sollte“, so wird aber für das Subjekt der Bildung eine „vorgängige Freiheit“ (ebd: 32) unterstellt, sodass die Lernenden zum Subjekt ihres eigenen Lernens werden und die Lehrenden eine „beratende und begleitende Rolle“ (ebd.) einnehmen. Was es bedeutet, in diesem Sinne Subjekt des eigenen Lernens zu sein und unter welchen auch gesellschaftlichen Bedingungen diese Theorie des autonomen Lerners sich entwickelte, zeichnet Warna anschaulich und eindrücklich nach. Zudem wird deutlich, welche politische Dimension einem so verstandenem Autonomiebegriff inhärent ist, der in seiner sonst üblichen Lesart häufig verborgen bleibt. Damit wird hier ein weiterer historischer Rückblick auf den Gedanken der Autonomie geworfen, weil anders als innerhalb der kantianischen Erkenntnislogik hier seine politischen Implikationen deutlich werden.

Ausgangspunkt Wranas Überlegungen bei der Entstehung des Autonomiegedankens bildet die griechischen Antike. Hier zeigt Wrana, dass der Begriff der Αὐτονομία (Autonomie) zunächst als ein relationales Konstrukt staatlicher Abhängigkeitsverhältnisse beschreibt. So galten Staaten, die der Macht Athens untergeordnet waren, dann als autonom, wenn sie innerhalb des hegemonialen Staatengefüges aus ihrer minoritären Stellung heraus politische Forderungen erhoben.

„…Großmächte wie Athen oder Sparta brauchen selbst keine autonomia, da sie über Macht verfügen, diese zu gewähren oder zu nehmen, autonomia ist damit etwas anderes als Souveränität“ (ebd: 35).

„Autonomie“ ist hier als ein „Kampfbegriff“ (ebd.) zu verstehen, der das relationale Verhältnis zwischen unterschiedlich starken Machtstrukturen beschreibt.

„Autonom in diesem Sinn ist eine spezifisch minoritäre kulturelle Strukturierung in Abhängigkeit von einer anderen, einer mächtigeren kulturellen Strukturierung“ (ebd.).

In der antiken Literatur wird der Begriff der „Autonomie“ nur ein einziges Mal im Hinblick auf ein Individuum verwendet. In Sophokles’ Antigone wird diese vom Chor bezüglich ihres Verhaltens als „autonomos“Footnote 48 bezeichnet. Aber, so Wrana, als eigenes Gesetz könne nicht das gelten, an was Antigone ihr Handeln ausrichte. Vielmehr sei es so, dass Antigone, so wie es Sophokles in seiner Tragödie anlegt, „zwischen zwei nomoi“ (ebd.: 36) gerate. Auf der einen Seite besteht das Gesetz der Götter, Tote zu begraben, damit diese ins Totenreich gelangen können und auf der anderen Seite besteht Kreons Gebot, die Feinde Thebens nicht zu begraben.

Antigone hat keine Freiheit, nach eigenem Gesetz zu handeln, sondern nur die Wahl zwischen zwei bestehenden Gesetzen zu wählen.

„Entgegen der idealistischen Deutungstradition entstehen Autonomie und Eigensinn offenbar nicht dort, wo das Individuum sich selbstmächtig von ‚der‘ Struktur freimacht und ganz sich selbst folgt, sondern dort, wo die Strukturen in Differenz treten und komplex werden, so dass jede Determination des handelnden Individuums eine Überdetermination ist.“ (Ebd: 36 f.)

Die, wie Wrana es nennt, „Heroisierung“ (ebd. 37) des vermeintlich autonomen Subjekts verdeckt demnach, dass Eigensinn, Autonomie oder das Handeln nach einem eigenen Gesetz aus der Überkomplexität kultureller Strukturen entspringt und sich damit nicht gegen diese Strukturen stellt. „Das Individuum Antigone aber hat sich zu positionieren, es muss sich für eine der beiden Seiten entscheiden und die Verantwortung für diese Entscheidung tragen.“ (Ebd.)

War der antike Autonomiebegriff weit davon entfernt eine „Befreiungsbewegung von gegebenen Strukturierungen zu sein“ (ebd. 38), so muss man dies anerkennend eingestehen, dass die moderne Bildungstheorie ein idealisiertes Verständnis von „Autonomie“ etabliert hat.

Erziehung ist die Voraussetzung dafür, dass der Mensch in die Welt hineinwachsen, damit erwachsen und autonom wird. Die Emanzipationspädagogik sieht diesen Prozess als nicht abschließbaren an. Sie folgt damit einer dynamischen Auffassung von Emanzipation und wendet sich gegen die Vorstellung einer einmal erreichten Autonomie. Ausdruck dieser Emanzipationspädagogik, so Wrana, ist der in den „Tübinger Beschlüssen“ eingeführte Begriff des „Exemplarischen Lernens“ (ebd: 48). Damit wird angesichts des permanenten Wandels und der sich damit notwendigen Anpassung des Menschen an diese Dynamik ein Prozess der Selektion beschrieben, bei der der Mensch sich bemüht, diesem steten Wandel gerecht zu werden, indem er sich zumindest die Struktur der sich veränderten Wirklichkeit aneignet. „Mit dem Gebrauch der Metapher der „Halbwertszeit“ (des Wissens, A.B.-H.) wird die Notwendigkeit einer Beschleunigung des Lernens anschaulich gemacht, denn meist folgt ihr der Hinweis, dass neue Technologien erhebliche Geschwindigkeits- und Flexibilitätsvorteile bieten.“ (Ebd: 49) Je dynamischer die Strukturen sind, von denen sich das Subjekt emanzipieren soll, um als autonom gelten zu können, desto mehr ist das Individuum einem permanenten Emanzipationsprozess unterworfen. In dieser Dynamik aber können kaum mehr zu lernende Inhalte erworben und verarbeitet werden, sondern nur noch die zum Lernen notwendigen Strategien (vgl. ebd: 51).

„Dem Subjekt bleibt dann bestenfalls, die Unstimmigkeit zwischen innerer und äußerer Struktur immer aufs Neue zu bearbeiten – es kann, darf und soll lebenslang lernen.“ (Ebd.)

Die Ressourcen, die für diesen Prozess der ständigen Weiterbildung notwendig sind, müssen vom lernenden Subjekt selbst erbracht werden. Dies ist das Ziel der Bildung – die Strategien zu vermitteln, die die fortlaufenden Lernprozesse erst möglich machen. Aus diesem Grund, so Wrana, gilt innerhalb der Erwachsenenpädagogik „der subjektive Bildungsprozess als unabschließbar“ (ebd.).

„Der Preis ist, dass die inhaltlichen Strukturen der Welt gegenüber der Strukturierungsleistung des Subjekts zurücktreten, das Subjekt ist auf eine Autonomisierungsbewegung gesetzt, die eine permanente Differenzbildung zu sich selbst, aber nicht mehr zu den gesellschaftlichen und fachlichen inhaltlichen Strukturen impliziert (ebd.: 57)“.

Es lassen sich deutliche Anklänge an das 2021 neu formulierte Kerncurriculum des MSW finden. Die Betonung, dass „ein Berufsleben begleitender Professionalisierungsprozess“Footnote 49 das Ziel der Ausbildung bedeute, findet hier seine Bestätigung.

Mit diesem dynamischen Lernbegriff wird eine „Ermöglichungsdidaktik“ etabliert mit einer geringeren „Wirkungsunterstellung“ (Wrana 2008: ebd.: 59). Das bedeutet, dass im Sinne des Konstruktivismus Lernprozesse nur noch ermöglicht, geeignete Lernumgebungen zur Verfügung gestellt werden und damit Autonomie nicht als das Ziel eines Lernprozesses, sondern als dessen Voraussetzung verstanden wird.

„Die Herausforderungen, die selbstgesteuertes Lernen an Lernende stellt, zeigen, dass diese Selbstlernkompetenzen in hohem Maß voraussetzen.“ (Ebd.: 85) Mit Bezug auf die Arbeit von Susanne Kraft (1999) betrachtet Wrana das Unterfangen, die Leistungen der Pädagogik einer traditionellen Lernkultur auf das Subjekt des Lernens zu übertragen, kritisch. Kraft kritisiert, dass damit ein „idealisiertes Bild vom Lerner entworfen werde, gemäß dem dieser die Initiative ergreife, um Lernbedürfnisse/-defizite zu bewältigen, sich Lernziele setze und sich Pläne mache, mit Hindernissen und Problemen umgehe etc.“ (zit. nach Wrana, ebd.: 86). Mit diesen komplexen Strategien, die den Lernenden im Sinne des selbstgesteuerten Lernens zugesprochen werden, fallen die vorausgesetzten Kompetenzen und ihre Realisierung im autonomen Subjekt des Lernens zusammen. Wrana verweist in diesem Zusammenhang auf eine empirische Studie, die zeigt, dass die propagierten hohen Selbstlernkompetenzen nur zu etwa 26% in der deutschen Erwerbsbevölkerung vorhanden sind und 27% eine nur niedrige Lernkompetenz aufwiesen (vgl. ebd.: 87).

3.4.4 Das humanistische Menschenbild

Unabhängig von den bisher angestellten kritischen Reflexionen zum selbstreflexiven erwachsenen Lernenden sehen sich die ZfsL vor die Aufgabe gestellt, die Ausbildung der LAA im Sinne der Erwachsenenpädagogik zu organisieren.

Mit dem Hinweis auf die Beratungspraxis, die von der überwiegenden Mehrheit der ZfsL in NRW im Sinne Golls et al. als ein strukturiertes Beratungsgespräch angelegt werden, (vgl. Abschn. 2.3.1), führt das ZfsL Gelsenkirchen mehrere theoretische Quellen an, auf die sich die Ausbilder:innen bei der Beratung der LAA beziehen. Ähnlich wie das ZfsL Gelsenkirchen verweisen auch andere ZfsL (vgl. hierzu Tabelle 3.1: vor allem Arnsberg, Duisburg, Neuss, Jülich, Bochum, Münster und Rheine) für ihr Verständnis von Beratung auf das Menschenbild der humanistischen Psychologie.

Im Folgenden wird zunächst das Beratungsmodell, auf das von den Lehrerausbildungszentren verwiesen wird, vorgestellt. In ihrem (von den ZfsL) vielzitierten Aufsatz „Beratungsgespräche nach Unterrichtsbesuchen“ wird von den Autor:innen Goll et al. (2002: 30) auf die Grundlage ihres Beratungsformats verwiesen. Mit dem Verweis auf Schlee (1994, 1996) führen sie den Begriff der „Subjektiven Theorie“ (ebd.) ein (vgl. auch Abschn. 3.4.1). Mit den Grundannahmen des Forschungsprogramms „Subjektive Theorie“ werden „jedem Menschen prinzipiell die Fähigkeit zu Autonomie, Reflexivität, Kommunikation und Rationalität“ zugesprochen (ebd.). Schlee verweist dabei (1996: 149) auf theoretische Vorarbeiten des Forschungsprogramms „Subjektive Theorien“ von Groeben et al. (1988). Das Forschungsprogramm der „Subjektiven Theorie“ geht dabei von einem Menschenbild aus, das Menschen als rational handelnde Wesen versteht (ebd.: 13). Damit setzten sie sich ab von einem mechanistisch geprägten Menschenbild, das sich vor allem durch die Verarbeitung determinierender Umweltreize auszeichnet. Stattdessen rücken die Autor:innen die menschliche Intentionalität in den Vordergrund, indem sie die angebbare Bedeutung der eigenen Handlungsebene betonen. Was im Sinne des behavioristischen Menschenbildes noch als Objekt der Erkenntnis galt, soll nun mit der Unterstellung einer handlungsleitenden „Sinnperspektive“ (ebd.: 16) als „epistemologisches Subjektmodell“ zusammengefasst werden. Damit wird jedem Menschen die Fähigkeit zugesprochen, über seine „internen Prozesse, über seine Sinn- und Bedeutungsstrukturen“ Auskunft geben zu können. Damit, so die Autor:innen, konzipieren sie eine „Parallelität zum Selbstbild des Wissenschaftlers“ (ebd.). Mit Hilfe seines reflexiven Zugangs zu eigenen mentalen Strukturen kann jeder Mensch sein eigenes Handeln untersuchen, so wie auch Wissenschaftler:innen ihre Theorien prüfen, diskutieren, abwägen oder verwerfen. Unter günstigen Bedingungen „nämlich im Optimalfall der rationalen Reflexivität“ (ebd.: 21) kann damit „die Selbsterkenntnis des reflexiven Subjekts“ auch als „objektive Erkenntnis“ (ebd.) anerkannt werden. Als „erhebliches Innovationspotential“ der Theorie des Subjektiven Theoretikers gilt dabei der „Dialog-Konsens“ (ebd.: 22). Da „das erkennende Subjekt als ein reflexives und potenziell rationales Subjekt wie der Forscher selbst“ gilt, kann es über seine subjektiven Theorien kommunizieren oder „zumindest die Angemessenheit der Rekonstruktion der ´Subjektiven Theorie`“ (ebd.: 22) in einem sprachlichen Austausch klären.

Als großen Vorteil dieses Dialog-Konsenses betrachtet Schlee dabei, dass der interaktive Prozess wesentlich bessere Voraussetzungen dafür bietet, neue Handlungsperspektiven vom reflektierenden Subjekt aufzubauen, als wenn jemand von außen sein Verständnis der handlungsleitenden Strukturen des anderen nur mitteilt. Die Rekonstruktion im Dialog ermöglicht eine „argumentative Auseinandersetzung und Verständigung um eine angemessene Beschreibung der Subjektiven Theorien“ (ebd.: 25); damit wird das reflektierende Subjekt „aktiv und konstruktiv in den Forschungsprozess einbezogen.“ (Ebd.)

Zu erwähnen ist an dieser Stelle, dass die durch den dialogischen Charakter des Verstehensprozesses erarbeitete „kommunikative Validierung“ (ebd.: 27) ergänzt wird durch einen zweiten, ebenso wesentlichen Schritt, der „explanativen Validierung“ (ebd.: 28), unter der, so die Autoren, die „Realitätsadäquanz“ „über die Beobachtung der Außenperspektive der dritten Person“ (ebd.) zu erfolgen hat. Das bedeutet, dass der Prozess der Erforschung subjektiver Theorien „unter Zugrundelegung des klassischen Falsifikationskriteriums geprüft wird.“ (Ebd.) Kann also eine erarbeitete subjektive Theorie als Erklärung von Handlungen herangezogen werden, dann gilt sie nach diesem Verständnis als empirisch geprüft.

Schlee (1996: 151) stellt als eine Grundannahme der Theorie des „Subjektiven Theoretikers“ den Zusammenhang mit Carl Rogers und Ruth Cohns (ebd.) klientenzentrierter Beratung her. Wesentlich für Schlee ist dabei das Vertrauen, das Rogers und Cohen ihren Klienten im therapeutischen Prozess entgegenbringen. Dieses Vertrauen bezieht sich auf das Entwicklungspotential, das jedem Klienten unterstellt wird. Rogers (2014: 124) spricht hierbei vom „Vertrauen zum eigenen Organismus“. Der Klient hat (nach einem therapeutischen Prozess) dabei die Fähigkeit (wieder) erlangt,

„seinem ganzen Organismus, bei gleichzeitiger Einschaltung bewussten Denkens, zu erlauben, jeden Reiz, jedes Bedürfnis und jedes Verlangen wie auch sein relatives Gewicht und seine relative Intensität abzuwägen und auszubalancieren.“ (Ebd.)

Verbunden mit diesem Vertrauen in den eigenen Verarbeitungsprozess des Organismus und der sich damit einstellenden Entscheidungskompetenz ist für Rogers dabei auch das Vertrauen in die rationale Natur des Menschen. Das menschliche Verhalten „bewegt sich in subtiler und geordneter Komplexität auf die Ziele zu, die sein Organismus zu erreichen bemüht ist.“ (Ebd.: 194)

Neben diesen Menschenbildannahmen, die die Entwicklungsfähigkeit des Klienten betreffen, existieren für Rogers (2016: 54) weitere Bedingen für das Gelingen funktionaler Beziehungen, die die Voraussetzung für einen Wandlungsprozess seiner Klienten bedeuten. Wesentliche Bedingungen, wie sie für Rogers (ebd.: 55) in jeder zwischenmenschlich gelungenen Beziehung verwirklicht werden, sind die Kongruenz der Interaktionspartner, ihre „bedingungslose positive Beachtung gegenüber dem anderen“ und wie „empathisch die Person“ (ebd.) erfahren wird. Rogers nennt diese Bedingungen auch die „Haltung“, über die „die Kommunikation mit dem Individuum zustande kommt.“ (Ebd.)

Cohns „Themenzentrierte Interaktion“ vereinigt neben therapeutischen auch gesellschaftliche Orientierungen zu einem komplex ausgerichteten Modell der Interaktion, bei dem es wesentlich darauf ankommt, „eine Balance zwischen den Bedürfnissen der einzelnen und den Bedürfnissen der Gemeinschaft“ (Stumm, G. & Cohn, R. C. 2000: 700) zu vermitteln. Aus diesem Modell, dessen Axiome wie die Rogers‘ der humanistischen Psychologie verpflichtet sind, werden zwei Postulate abgeleitet, die die Arbeit in Gruppen charakterisiert. Neben der Verpflichtung des Einzelnen, auf seine „inneren Gegebenheiten und die seiner Umwelt“ selbstverantwortlich Sorge zu tragen (ebd.: 701), ist es vor allem der Umgang mit „Störungen, inneren und äußeren“ (ebd.) während des Arbeitsprozesses, die vorrangig behandelt werden sollen. Entsprechend dieses Postulates findet sich in dem Ablaufmodell der strukturierten UNB (vgl. Goll 1998: 82; Goll et al., 2002: 31) das Besprechungsfeld „Störungen“, das jederzeit erlaubt, den Gesprächsverlauf zu unterbrechen, falls sich Störungen bei einem der Teilnehmer:innen bemerkbar machen.

Aus den Ansätzen des Forschungsprogramms „Subjektive Theorien“ (FST) ergeben sich methodische Folgerungen für die Gestaltung und den Ablauf von Beratungsprozessen. Wenn man wie Schlee und mit ihm die Befürworter strukturierter Beratungsgespräche (vgl. Goll et al. 2007: 103) davon ausgeht, dass „…die Sichtweisen (Subjektive Theorien) zu verändern sind, die die Problemsicht (mit-) konstituieren“, dann ist es für die Beratung wesentlich, dass eine Veränderung von Sichtweisen in einem „kommunikativen Austausch“ (Schlee 1994: 498) zu verändern sind. Dieser kommunikative Austausch unterliegt dabei zwei grundsätzlichen Prinzipien, die sowohl für den wissenschaftlichen Austausch als auch für den des subjektiven Theoretikers zu gelten haben.

Zunächst bedarf es einer angemessenen kommunikativen Unterstützung. In Analogie zum Wissenschaftsaustausch, der die Forschenden während ihrer theoretischen Arbeit mit unterschiedlichen Ressourcen („Zeit, Räume, Geräte usw.“, ebd.) unterstützt, sollte auch der „Ratsuchende oder Supervisand … gute (Selbst-)Erforschungs- und Veränderungsbedingungen erhalten“ (ebd.).

Als weitere Maßnahme für eine gelingende Beratung gilt die kommunikative Validierung. In Analogie zu wissenschaftstheoretischen Modellveränderungen, die in Anlehnung an Kuhn entweder kumulativ, evolutionär oder revolutionär verlaufen, werden Veränderungen nur dadurch möglich, dass andere Sichtweisen „die Stimmigkeit, die Tauglichkeit und die Nützlichkeit“ (Schlee 1996: 152) aufgestellter Theorien überprüfen. Andere Sichtweisen veranlassen Wissenschaftler dazu, „ihre Theorien und Konzepte zu überdenken und ggf. zu verändern.“ (Ebd.) Schlee folgert daraus, dass es das „Zusammenspiel von vielseitiger Unterstützung einerseits und skeptischer Konfrontation andererseits“ bedarf, das „die Entwicklung und Veränderung wissenschaftlicher Theorien fördert“ (ebd.: 153).

Aus seinen Überlegungen folgert Schlee entsprechende „Verbote“ (1994: 499) für die Kollegiale Beratung.

  1. 1.

    Es dürfen keine Ratschläge oder Empfehlungen erteilt werden. Der Grund dafür besteht in der mit diesen konventionellen Interventionen unweigerlich verknüpften Übernahme „der Sichtweise des Ratsuchenden“ und damit dem „Festhalten an der bisherigen Problemsicht“ (ebd.).

  2. 2.

    Es dürfen während des Beratungsprozesses „auch keine Deutungen oder Interpretationen angeboten werden“ (ebd.). Neben der Gefahr der Übernahme der bisherigen Problemsicht liegt ein wesentlicher Grund für dieses Verbot in der „anthropologischen Kernannahme und den Zielvorstellungen des Forschungsprogramms Subjektive Theorie …“ (ebd.). Dem Ratsuchenden wird entsprechend dem Menschenbild Rogers‘ und Cohns ein „eigenes Lösungspotential“ (ebd.) zugesprochen. „Es werden ihm keine Entwicklungs- und Selbstklärungschancen genommen“ (ebd.), sondern gerade im Austausch und der Konfrontation auch mit anderen Sichtweisen sollen entsprechend dem Modell der evolutionären Veränderung durch „Klärungsprozesse die Veränderungen von Sichtweisen und Einstellungen erreicht werden.“ (Schlee 1996: 154)

Der Beratungsprozess ist nach Schlee (1996: 160) entsprechend den Prinzipien von Unterstützung und Konfrontation in zwei Hauptphasen einzuteilen. In der ersten Phase soll den Ratsuchenden in einer entspannten und vertrauensvollen Atmosphäre die Möglichkeit für „eine möglichst umfassende Explikation seiner subjektiven Theorien“ (ebd.) eingeräumt werden. In der zweiten Hauptphase „geht es darum, dem Ratsuchenden mit unterschiedlichen Fragestellungen und Sichtweisen zu konfrontieren, um ihm die Veränderung seiner subjektiven Theorien zu ermöglichen.“ (Ebd.) Schlee weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass in dieser sensiblen Phase auf „bestimmte Regeln und Prinzipien“ (ebd.: 161) zu achten sei. So existieren für diese Phase vorgegebene Formulierungen, die in sog. „Unterphasen“ bestimmte Anstöße bzw. Fragen vorgeben.Footnote 50 Diese Fragen beziehen sich vor allem auf die Rolle des Subjekts innerhalb des Lernprozesses, weniger auf inhaltliche Fragen zum geschilderten Geschehen.

Innerhalb der zweiten sensiblen Phase des Beratungsgespräches bestimmt der Ratsuchende „das Tempo und die Intensität seiner inneren Auseinandersetzung“ (Schlee 1994: 502). Der Katalog möglicher Impulse (Schlee geht insgesamt von ca. 30 Fragen aus) wird dabei in einer „ritualisierten Form“ sachlich vorgebracht. Gerade diese Form soll nach Schlee die Gewähr dafür bieten, dass der Ratsuchende „keine gutgemeinte Besserwisserei“ oder „unheimliches Durchschauen“ vermuten muss. Die sachliche Auseinandersetzung ermöglicht eine „kommunikative Validierung“ der Sichtweisen und erlaubt auf diesem Weg eine „Entwicklung von Handlungsalternativen“ (ebd.).

3.5 Ergebnisse der Dokumentenanalyse

Es konnte gezeigt werden, dass das Modell der Kollegialen Fallberatung als Vorbild für die Strukturierung von Beratungsprozessen im VD dient. An vielen Stellen wird von den einzelnen ZfsL auf dieses Modell zurückgegriffen.

So findet sich seminarübergreifend das Ablaufmodell, das auf der Grundlage Schlees von Goll et al. adaptiert und verändert wurde. Übereinstimmend wird dabei von vielen Institutionen auf das von ihnen favorisierte Menschenbild in Anlehnung an Rogers und Cohn Bezug genommen, entweder explizit oder als Hinweis auf die Menschenbildannahme der humanistischen Psychologie, mit der auf die vorhanden persönlichen Ressourcen der Referendar:innen vertraut wird bei gleichzeitiger Forderung nach einer Haltung der Ausbilder:innen, die sich im Sinne Rogers (neben einer kongruenten Selbsteinschätzung der Fachleitungen) vor allem durch Empathie und Wertschätzung gegenüber den Auszubildenden auszeichnet.

Für die UNB sollte zunächst eine Atmosphäre des Vertrauens und der Akzeptanz geschaffen werden. Nur innerhalb eines so beschriebenen Rahmens ist es nach Auffassung der zitierten Autoren denkbar, dass eine Person ihre eigene Sicht der zu beratenden Situation offenlegt. Zu diesem Punkt gibt es die größten Übereinstimmungen und auch die ausführlichsten Darstellungen im Vergleich der 31 ZfsL-Konzepte.

Was allerdings kaum rezipiert wird, ist die zweite Phase der „Konfrontation“ nach Schlee. Dafür mag es unterschiedliche Gründe geben. Da die UNB an sich schon als belastend empfunden wird, scheint es verständlich zu sein, dass eher nach Wegen der Unterstützung gesucht wird, um die UNB zu entlasten, als wohlmöglich Formen der Konfrontation zu etablieren. Die ohnehin herausfordernden Voraussetzungen für die LAA scheinen es notwendig zu machen, dass Ausbilder:innen eine insgesamt vorsichtige und wertschätzende Haltung einnehmen.

Damit bleiben mögliche konstruktiven Vorschläge für eine (gesichtswahrende) Konfrontation unberücksichtigt. Als Zugeständnis an die Expertise der Fachleitungen räumen einige ZfsL den Fachleiter:innen innerhalb des Beratungsprozesses zwar die Möglichkeit ein, eigene Besprechungsaspekte neben denen der LAA zu ergänzen. Diese Ergänzungen können allerdings nicht die im Sinne der Subjektiven Theorie korrigierende Phase der Gegenüberstellung und Relativierung eigener Theorien im Zusammenspiel mit Alternativen ersetzen. Sie sind schlicht als Additum zu den Vorschlägen der LAA zu verstehen. Formen der kollegialen Konfrontation mit einer Entscheidung der Ratsuchenden, welche der anderen Sichtweisen für sie zu akzeptieren sind, bleiben so im Wesentlichen ungenutzt.

Manche ZfsL verweisen auf die Schwierigkeiten der voraussetzungsreichen Anforderungen, die während einer UNB von den Fachleitungen zu berücksichtigen sind. Als Beispiel sei hier das ZfsL Gelsenkirchen genannt: „Die OVP führt den Begriff der ´Ausbildungsberatung` (OVP §10 (5) ein, lässt aber die inhaltliche Definition eines Beratungsverständnisses offen.“Footnote 51 Vor dem Hintergrund der ungeklärten Form, die die Ausbildungsberatung erhalten soll, setzen auch hier die Ausbilder:innen auf ein sensibles Vorgehen der Fachleitungen im Kontext von UNB.

„Dies erfordert für die Beraterinnen und Berater, dass sie

  • über eine reflektierte, mitunter situativ variierende, aber stets transparente Beratungshaltung verfügen,

  • die auf den Grundannahmen eines humanistischen Beratungsverständnisses fußt sowie

  • über ein Spektrum an geeigneten Verfahren und Methoden der Beratungsgestaltung verfügen“ (ebd.).

Mit dem Verweis auf die Grundsätze der humanistischen Psychologie und damit auf die von Rogers formulierten Bedingungen einer förderlichen Kommunikationshaltung, die Änderungen bei Klient:innen überhaupt erst ermöglichen, weichen die Autor:innen, so konnte gezeigt werden, vom Modell der Kollegialen Beratung nach Schlee et al. ab. Vor allem der Aspekt der bedingungslosen Wertschätzung, wie ihn Rogers versteht, scheint sich mit der Konfrontation alternativer Sichtweisen und damit von den Prinzipien des Subjektiven Theoretikers innerhalb der Beratung zu widersprechen.

Die Aufnahme von Rogers Gelingensbedingungen, wie sie in den Beratungskonzepten adaptiert werden, unterlaufen damit einen Aspekt der Wertschätzung oder AnerkennungFootnote 52, der nicht nur innerhalb der Theorie der Kollegialen Fallberatung eine prominente Rolle spielt.

So spricht Honneth (1994) in seiner Theorie sozialer Konflikte von der besonderen Form der sozialen Anerkennung, die neben den Formen der rechtlichen Anerkennung als Person und der bedingungslosen Anerkennung liebevoller Primärbindungen besteht. Die soziale Anerkennung ist dabei von der „Wertschätzung eines Menschen … durch die graduelle Bewertung konkreter Eigenschaften und Fähigkeiten“ (ebd.: 183) geprägt. Nur in der intersubjektiven Anerkennung dieser Eigenschaften und Fähigkeiten, „die ihn im Unterschied zu anderen Personen charakterisieren“ (ebd.), kann diese Form der intersubjektiven Wertschätzung erfolgen. Unabhängig davon, wie man in modernen Gesellschaften dabei einen möglichen Wertekanon bestimmen kann und will, vor dessen Hintergrund soziale Wertschätzung ihre Berechtigung erhält, gilt die Tatsache, dass sich soziale Wertschätzung – anders als der Schutz des gesellschaftlichen Rechtsstatus oder die ideal gestaltete unbedingte Anerkennung in der Primärbeziehung – gerade dadurch auszeichnet, dass sich eine Person als „wertvoll“ dann empfinden kann, „wenn sie sich in ihren Leistungen anerkannt weiß, die sie gerade nicht mit anderen unterschiedslos teilt.“ (Ebd.: 203)

Mit der wertschätzenden Haltung im Sinne Rogers wäre für den Beratungsprozess eine evaluative Attribuierung ausgeschlossen. Im Sinne einer rechtlichen oder im weiteren Verständnis therapeutischen Beziehungsstruktur würde damit einer universalistischen Anerkennungsform der Vorzug gegeben werden, die als Haltung der Ausbilder:innen gegenüber den Referendar:innen einzunehmen wäre. Ohne die diskriminierende, auf individuelle Differenzen gegründete Wertschätzung, so Honneth (1991: 629), besteht im Zusammenhang einer falsch verstandenen Sittlichkeit allerdings die Gefahr, die „Selbstverwirklichungsversuche“ einzelner Subjekte in einem „Anerkennungsvakuum“ leerlaufen zu lassen.

Das ZfsL Duisburg ist an dieser Stelle noch einmal erwähnenswert. Mit der Fortbildung durch Frau Prof. Košinár zum Thema „Potenziale und Grenzen der Professionalisierung im Vorbereitungsdienst“ (am 29.11.2019) wurden Ergebnisse ihrer empirischen Forschung (Košinár 2018) zu den Verarbeitungsstrategien von Lehramtsstudierenden vorgestellt. Košinár hebt die wichtige Funktion der Irritation für den Ausbildungsprozess hervor, da ihrer Auffassung nach die Konfrontation als Chance für den Professionalisierungsprozess zu verstehen sei.

„Am Beginn eines Entwicklungsprozesses steht eine Irritation oder Krise. Diese Begriffe verweisen zunächst darauf, dass bisherige Routinen für die Bewältigung einer Anforderung nicht mehr greifen und dies auch so erlebt wird“ (ebd.: 8).

Honneth folgend sollte sich die Haltung der Gesprächspartner:in von der Haltung der Therapeut:in, wie sie die humanistische Psychologie fordert, unterscheiden. Die besondere Form der Wertschätzung und Empathie, wie sie allerdings von der Mehrzahl der Ausbildungsinstitutionen gefordert wird, scheint im Zusammenhang mit dem Konzept des autonomen Lerners seine Berechtigung darin zu finden, dass nur mit dieser Haltung auf Ausbilder:innenseite das lernende Subjekt eigene Handlungs- und Ausbildungsbedarfe erkennen und entwickeln kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beide Grundannahmen der Ausbildungsdidaktik – die wertschätzende Haltung der Ausbilder:innen und die Autonomie der Referendar:innen – alles andere als eindeutig geklärt sind hinsichtlich ihrer theoretischen Implikationen. Mit welchem Verständnis von Wertschätzung haben wir es innerhalb der Lehrer:innenausbildung zu tun? Kann es im Kontext des Ausbildungsverhältnisses tatsächlich um die universalistische Form der wertschätzenden Haltung im Sinne Rogers gehen, auch wenn man die förderlichen Aspekte eines solchen Verständnisses nicht leugnen will?

Und weiter: In welchem Sinn können wir von autonomen Auszubildenden ausgehen? Es konnte gezeigt werden, dass mit Kants aufklärerischem Autonomiebegriff nicht mehr als die Disposition zu einer reflektierten Erkenntnishaltung gemeint ist. Und wenn man diesen Autonomiebegriff verwendet, dann muss man davon ausgehen, dass bezogen auf die Auszubildenden mit unterschiedlichen Autonomiezuständen zu rechnen ist.

Beide hier dargestellten Grundannahmen – die der Autonomie und der unbedingten Wertschätzung – bestimmen die Position und das Agieren von Fachleiter:innen und LAA im Ausbildungsprozess. Ich gehe davon aus, dass sich in den praktischen Vollzügen, d.h. in der Sprache der Interagierenden Spuren ihrer jeweiligen Positionierung nachweisen lassen.

Im Folgenden werden zunächst einige Ergebnisse der empirischen Sozialforschung zum Referendariat dargestellt, um einen Überblick über den Stand der wahrgenommen Problemlage zu geben.