Die Unterrichtsnachbesprechung (UNB) als Gegenstand der vorliegenden Forschungsarbeit ist begrifflich betrachtet ein Kompositum aus der Bezeichnung der Gesprächsform (Besprechung) und der Angabe ihres Anlasses, das ist der Unterricht, der ihr vorausgeht und auf die sich die Nachbesprechung bezieht. Eine Nachbesprechung, die im allgemeinen Wortschatz so viel bedeutet wie Manöverkritik, Schlussbesprechung oder ganz allgemein eine abschließende Auswertung, scheint dabei anderes in den Blick zu nehmen, als dies die Unterrichtsnachbesprechung in der Lehrerausbildung macht.

Der Terminus „Unterrichtsnachbesprechung“ taucht in der „Ordnung des Vorbereitungsdienstes und der Staatsprüfung für Lehrämter an Schulen“ (OVP) selbst nicht auf. Dort heißt es in Abschnitt 5, §10 zu der Ausbildung an Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL): „(5) Ausbildungsberatung erfolgt insbesondere im Zusammenhang mit Unterrichtsbesuchen, …“Footnote 1 und in Abschnitt 3, §11 heißt es zur Ausbildung an den Schulen weiter:

„Die Ausbildung umfasst Hospitationen und Ausbildungsunterricht (Unterricht unter Anleitung und selbstständiger Unterricht). Sie erstreckt sich auf alle Handlungsfelder des Lehrerberufs. Die Seminarausbilderinnen und Seminarausbilder besuchen die Lehramtsanwärterinnen und Lehramtsanwärter im Unterricht. Die Besuche dienen der Anleitung, Beratung, Unterstützung und Beurteilung.“Footnote 2Footnote 3

Von „Unterrichtsnachbesprechungen“ wird im Ausbildungskontext dann gesprochen, wenn als Form der Ausbildungsberatung die Beratung im Anschluss an eine Unterrichtshospitation gemeint ist.Footnote 4 Ihre Funktionen werden entsprechend der geltenden OVP als „Anleitung, Beratung, Unterstützung und Beurteilung“Footnote 5 und damit als eine Ansammlung unterschiedlicher kommunikativer Sprechhandlungen beschrieben. Die Ausbildungszentren werden von der OVP als die Institutionen benannt, die die Ausbildungsberatung im Vorbereitungsdienst im Zusammenhang mit Unterrichtsbesuchen regeln.

1.1 Problembeschreibung und Fragestellung

In Unterrichtsnachbesprechungen (UNB) werden vielfältige Themen auf unterschiedlichen Ebenen bewegt und besprochen. Dabei werden von mehreren Seiten unterschiedliche Ansprüche an die UNB (und natürlich auch an die gesamte Ausbildung) herangetragen.

Da sind zunächst die Vorgaben des jeweiligen Bundeslandes, dessen Schulministerium für die Ausbildung neuer Lehrer:innen den gesetzlichen Rahmen schafft. Die angehenden Lehrer:innen werden entsprechend der vorliegenden Standards und ausgewiesenen Kompetenzen in allen Handlungsfeldern auf den Lehrberuf vorbereitet. Die geltenden Gesetze und Verordnungen, denen die Ausbilder:innen dabei verpflichtet sind, werden vom jeweiligen Bundesland, hier Nordrhein-Westfalen, formuliert und gelten für die an der Ausbildung beteiligten Institutionen (vor allem für die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung – ZfsL) und Personen.

Neben den Ausbildungslehrer:innen an den Schulen, die die schulpraktische Ausbildung an der jeweiligen Schule unterstützen, sind als Beteiligte vor allem die Seminarausbilder:innen zu nennen, die in den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung fachliche und überfachliche Ausbildungsseminare leiten und die Referendar:innen an ihren Schulstandorten besuchen, wo diese im Anschluss an die gezeigten Unterrichtsstunden die UNB durchführen. Sie begleiten im Rahmen dieser Tätigkeiten die Lehramtsanwärter:innen bis zum Staatsexamen.

Betrachtet man die Gruppe der Referendar:innen, kann man leicht feststellen, dass für sie die UNB eine wesentliche Rolle innerhalb ihrer Ausbildung spielen. Ab dem dritten Unterrichtsbesuch werden die gezeigten Unterrichtsstunden benotet. Mit diesen Noten, die schließlich in eine Vornote für das Examen einfließen, werden berufliche Weichen gestellt. Doch nicht nur die Noten begründen die besondere Aufmerksamkeit, die Unterrichtsbesuche mit den anschließenden Nachbesprechungen erhalten. Unterrichtshospitationen sind der Anlass für die ersten Rückmeldungen der jungen Lehramtsanwärter:innen (LAA) in ihrer neuen Berufsrolle.

Diese Rückmeldungen werden von den Referendar:innen ausgesprochen sensibel aufgenommen. Einerseits möchten sie eine gute Ausbildung erhalten und auch gut auf das bevorstehende zweite Staatsexamen vorbereitet werden. Andererseits bilden die insgesamt zehn zu absolvierenden Unterrichtsbesuche neben allen anderen Herausforderungen, die ihnen innerhalb ihrer Ausbildungszeit begegnen, eine nicht zu unterschätzende Belastung. Zusätzlich zu den Anforderungen, die mit der Lehrtätigkeit selbst verbunden sind, ist es vor allem die Ausbildungssituation mit ihrer einhergehenden „Einschätzung und Beurteilung“ (Daschner et al. 2007: 8), die häufig als ÜberforderungFootnote 6 erlebt wird. Immer wieder ist davon die Rede, dass das Referendariat für die angehenden Lehrkräfte ein Sprung ins kalte Wasser bedeute und dass vor allem, so beschreibt es beispielsweise Martina Kind, die „allgemein gefürchteten Lehrproben“Footnote 7 zur emotionalen Erschöpfung von Referendar:innen beitragen.Footnote 8 „Man wartet eigentlich nur auf ‘s Aber“ ist eine Äußerung der in dieser Studie zu Wort kommenden Referendarin, die damit beschreibt, wie sie die erwartete Kritik ihres Fachleiters anlässlich der Lehrproben wahrnimmt.

Es ließen sich im Hinblick auf die Anforderungen und vor allem auf die Kritik am Referendariat sicher viele Faktoren benennen und untersuchen, die einen Einfluss auf die Ausbildung der Lehramtsanwärter:innen haben.

Ziel dieser Untersuchung ist es, empirisch begründete Antworten auf die Frage zu erhalten, was genau als das Belastende in der konkreten Ausbildungssituation der UNB identifiziert werden kann.

Man kann sich leicht vorstellen, dass das unterstellte „organisatorische Muster“ (Holly 2001: 1384) des Gesprächs ein im wesentlichen institutionalisiertes „Kontakt- und Beziehungsmuster“ (ebd.) aufweist, das die Interaktion formt und damit schon als belastend empfunden wird. Mit Kallmeyer (2012: 82) ließe sich die Frage weiter präzisieren: Ob nämlich „Einzelaktivitäten und Komplexe festen Typen entsprechen und wie stabil derartige Typen gegebenenfalls sind.“

Damit wird der Blick auf die konkrete Gesprächssituation gelenkt. Wie agieren die Beteiligten in der Situation der UNB? Wie wird hier die Kommunikation gestaltet und vor allem von wem?

Für Kallmeyer ist die Frage „der Handlungsfunktion von Äußerungen und ihres Status“ weitgehend offen. Im Rahmen seiner Untersuchung von Beratungsgesprächen interessiert ihn, inwiefern jenseits von „äußerungsübergreifenden“ typologischen Strukturen (ebd.: 83) „lokale“ Interpretationen erkennbar werden. „Das heißt: Wie schaffen und verdeutlichen Äußerungen ihre Kontexte, in deren Rahmen sie zu interpretieren sind?“ (Ebd.)

Bedenkt man die jeweilige Perspektive der Akteure auf die UNB, stellt sich damit auch die Frage, wie vor dem Hintergrund der drei involvierten kommunikativen Instanzen

  • wie dem MSB mit seinen rechtlichen Vorgaben,

  • den als Transmitter fungierenden Seminarausbilder:innen in den ZfsL (mit ihren didaktischen Konzeptionen für die Ausbildung) und

  • den Referendar:innen als die Auszubildenden

die Kommunikation zwischen Ausbildenden und Referendar:innen in der konkreten Ausbildungssituation geführt wird. Damit ist schon der methodische Zugang dieser Arbeit angedeutet: Die UNB wird im Folgenden als konkrete Gesprächssituation unvoreingenommen, wenn das überhaupt denkbar ist, und mit einem konsequent sprachanalytischen Blick betrachtet. Dabei steht im Mittelpunkt des Interesses, wie die Beteiligten die interaktiven Prozesse während der UNB gestalten. Mit anderen Worten: Mit der Kommunikationsanalyse der UNB wird auch das Ziel verfolgt, zu klären: „Was geht hier eigentlich vor?“ (Goffman 1980: 16)