4.1 Die staatsnationale Strömung: Anklänge eines kosmopolitischen Weltbildes

Das öffentliche Diskursfeld, dass sich rings um die Hamburger Einbürgerungsinitiative entfaltet, ist – wie jedes Kontaktfeld zwischen kulturellen WirklichkeitskonstruktionenFootnote 1 – eine umkämpfte Arena, in der unterschiedlichste Akteur_innen, Interpretationszusammenhänge und Machtstrategien aufeinandertreffen. Unter all den verschiedenen Perspektiven, die in der massenmedial vermittelten Debatte vertreten sind, konnten im Laufe der diskursanalytischen Untersuchung zwei dominante nationalistische Hauptströmungen ausgemacht werden, welche die Auseinandersetzung in Medien, Politik und Zivilgesellschaft maßgeblich bestimmen. Die Rede ist hier von Diskursströmungen, weil dieser Begriff der Tatsache Rechnung trägt, dass es sich bei den untersuchten Diskursen weniger um einheitliche Argumentationsstränge, sondern vielmehr um inhomogene Ströme mit Neben- und Seitenarmen handelt. Diese fließen zwar letztlich alle in die selbe Richtung, nehmen jedoch hier und dort durchaus unterschiedliche Abzweigungen. Wie genau das aussieht, soll im Folgenden anhand des ersten dieser beiden Diskurse gezeigt werden. Dabei handelt es sich um diejenige Strömung, die man auch ohne Weiteres als offiziellen Diskurs der Hamburger Einbürgerungsinitiative bezeichnen kann, da sie maßgeblich von den Initiator_innen der Kampagne getragen und befördert wird (so z. B. vom damaligen Ersten Bürgermeister Olaf Scholz und den verschiedenen Institutionen der Stadt Hamburg).

Im Folgenden wird ersichtlich werden, dass sich die beiden dominanten Diskursströme diametral in der jeweiligen Art und Weise unterscheiden, wie sie die zentralen Grundbegriffe ihrer Phänomenstruktur narrativ ausgestalten. Diese diskursiven Folk Concepts, die zugleich konstitutiv sind für die jeweiligen Argumentationslinien, also die Storylines der Diskurse, sollen hier erläutert und mit Beispielen aus der Analyse veranschaulicht werden. Es hat sich gezeigt, dass die Diskurse ihren Ausgangspunkt in unterschiedlichen Konzeptionen von Kultur nehmen. Im Anschluss an diesen jeweiligen Kulturbegriff entwerfen sie unterschiedliche Visionen von Identität und Nation sowie unterschiedliche Modelle von Integration. Aus der diskursspezifischen Auslegung der Grundbegriffe ergeben sich des Weiteren diskursspezifische Haltungen zur Einbürgerung im Allgemeinen sowie zur Hamburger Einbürgerungsinitiative im Besonderen.

Das vorliegende Abschnitt 4.1 wird den roten Faden des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses anhand der oben beschriebenen Grundbegriffe nachzeichnen und diese jeweils kommentierend mit den theoretischen Vorarbeiten aus Kapitel 2 dieser Arbeit verknüpfen. Dabei wird außerdem auch auf ‚Seitenarme‘, also auf Inkonsistenzen und Abweichungen eingegangen werden. In Abschnitt 4.2 schließt sich nach gleichem Muster die Vorstellung des im Diskursfeld dominanten Gegendiskurses an. In Abschnitt 4.3 werden die Ergebnisse der Analyse schließlich zusammengefasst und eingeordnet. Dabei sollen auch diejenigen Stimmen Erwähnung finden, die sich im Diskursfeld nicht durchsetzen konnten und deren Perspektive deshalb nur hier und da am Rande aufblitzt.

Ehe die Darstellung der Ergebnisse beginnen kann, müssen noch einige Anmerkungen zur Form dieser Darstellung gemacht werden. Seit James Clifford und der durch ihn angestoßenen Writing Culture DebatteFootnote 2 wird in der Ethnologie ein vermehrtes Augenmerk nicht nur auf rein formelle Aspekte der wissenschaftlichen (Re)Präsentation gelegt, sondern insbesondere auch auf deren ‚literarischen‘ Stil. Gerade auch im Kontext von Forderungen nach einer vermehrten Öffnung der Ethnologie für die weitere gesellschaftliche Debatte liegt die Betonung auf einem niedrigschwelligen Zugang, Leserlichkeit und – nicht zuletzt auch – einer gewissen ‚Spannung‘ der publizierten Texte.Footnote 3 Vor diesem Hintergrund muss darauf hingewiesen werden, dass die vorliegende Arbeit sich in erster Linie dazu verpflichtet sieht, die methodischen Abläufe ihrer Untersuchung transparent und intersubjektiv nachverfolgbar zu machen – gerade auch, weil in der einleitenden Vorbemerkung kritisch auf die methodische Intransparenz vieler anderer ethnologischer Diskursanalysen hingewiesen wurde. Aus diesem Grund wird es – um die Diskurse in der vollen Breite ihrer Narrationen und Sprecher_innenpositionen abzubilden – im Folgenden erforderlich sein, die einzelnen analytischen Folgerungen detailliert und großflächig mit Belegstellen zu untermauern (und diese nicht etwa auf ein leicht verdauliches Maß zu kürzen oder in den Anhang zu verbannen), auch wenn dies im Einzelnen der Leserlichkeit und der ‚Öffentlichkeitstauglichkeit‘ abträglich ist. In Anbetracht dessen, dass die vorliegende Arbeit, ob ihrer inhaltlichen Zielsetzungen, in erster Linie ein wissenschaftlich-ethnologisches Publikum adressiert, kann davon ausgegangen werden, dass die Vorteile einer solchen Darstellungsform die Nachteile in diesem Fall überwiegen. Bezüglich der Belegzitate muss überdies darauf hingewiesen werden, dass deren Anzahl zwischen den einzelnen im Folgenden vorgestellten Deutungsmustern z. T. erheblich variiert. Dieser Umstand ist v.a. darauf zurückzuführen, dass die meisten dieser Zitate mehr als nur ein Deutungsmuster exemplifizieren. Um Wiederholungen zu vermeiden, wurden sie jeweils zu demjenigen Deutungsmuster gruppiert, welches sie am plakativsten abbilden. Um eine spezifische Deutung umfassend nachzuvollziehen, ist es daher notwendig, diese nicht isoliert zu betrachten, sondern auch die bereits vorangegangenen (sowie ggf. die nachfolgenden) Belegstellen im Blick zu behalten.

Kultur

Deutungsmuster: Der offizielle Diskurs der Hamburger Einbürgerungsinitiative entwirft einen konstruktivistischen Kulturbegriff, demzufolge Kultur als flexible Persönlichkeitsstruktur begriffen werden muss, die sich aus gesellschaftlicher Sozialisation ergibt und durch einen individuellen, prozessualen Lebensweg vermittelt wird. Kulturelle Prägung wird nicht etwa mit oder gar schon vor der Geburt erworben, sondern entsteht aus den spezifischen Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe seines Lebens macht. Kultur ist damit einerseits ein soziales Phänomen, insofern der Mensch durch seine (soziale) Umwelt geformt wird, andererseits aber auch ein individuelles Phänomen, da jede Person sich in Lebensweg und Erfahrungswelt zwangsläufig von anderen unterscheidet. Daraus folgt, dass sich die Kultur eines Menschen im Verlauf seines Lebens fortwährend wandelt. Sie ist fluide, niemals statisch, passt sich ständig den äußeren Bedingungen und Einflüssen an. Sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene zeichnet sich Kultur deshalb durch inhärente Hybridität aus. Elemente unterschiedlicher kultureller Strömungen vermischen sich fortwährend miteinander, bilden neue Zusammenhänge und lösen alte auf – so z. B. im Zuge von Globalisierungs- und / oder Migrationsprozessen. Kulturelle Hybridität ist insofern auch ein wichtiger Bestandteil von und ein Indikator für Integration. Migrant_innen bringen kulturelle Versatzstücke aus ihren Herkunftsländern mit, behalten einige davon bei, legen andere ab und eignen sich gleichzeitig neue kulturelle Partikel aus der Aufnahmegesellschaft an. Der immerwährende kulturelle Austausch, das Zusammen- und Auseinanderfließen kultureller Ströme macht nicht an Grenzen, schon gar nicht an Ländergrenzen halt. Kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es zwischen Menschen auf der ganzen Welt, innerhalb wie außerhalb ein und derselben Gesellschaft.

Kommentar: Insgesamt weist der Kulturbegriff des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses deutliche Parallelen zum Reckwitz’schen Entwurf der Hyperkultur auf, wie er in Abschnitt 2.3 diskutiert wurde. Dies gilt insbesondere hinsichtlich seiner Fokussierung auf Individualität und das Element der Wahl zwischen gewissermaßen ‚optimierbaren‘ Kulturbausteinen. Gleichzeitig spiegeln sich darin allerdings auch Elemente eines wissenschaftlichen Konstruktivismus, der – z. B. in Gestalt von Lila Abu-Lughod – dafür plädiert, der individuellen Seite von Kultur – sowie den sich darin offenbarenden menschlichen Universalien – in stärkerer Weise Rechnung zu tragen.Footnote 4 Folgende Beispiele illustrieren den konstruktivistischen Kulturbegriff in der Debatte:Footnote 5

  1. „Es ist unsere Aufgabe, die verschiedenen Welten miteinander zu verbinden, Brücken zwischen der Herkunftskultur und dem Leben in Deutschland zu schlagen und Gemeinsamkeiten zu stärken. Die (sic!) es ja in großer Zahl gibt, mit unserer enormen Vielfalt von Wertvorstellungen, Zielen und Lebensstilen.“Footnote 6

  2. „Die Unternehmerin und Dozentin für Interkulturelle Kommunikation, Latifa Kühn, betonte in ihrer Rede den Stellenwert der Einbürgerung in unserer heutigen Zuwanderungsgesellschaft: „Jeder Mensch hat seine eigene Geschichte und verdient es in seiner Einzigartigkeit ernst genommen zu werden. So soll es nicht den ‚Afghanen‘ geben oder den ‚Deutschen‘. Das geliebte Afghanistan meiner Eltern wird immer einen Platz in meinem Herzen haben, genauso wie die deutsche Seite einen Platz gefunden hat. Ich habe mich mit der Einbürgerung in Deutschland für ein Leben unter den besten Voraussetzungen in einem Land entschieden, das dem einzelnen Menschen Schutz und Sicherheit sowie Raum zur Selbstentfaltung gibt.“Footnote 7

  3. „Cem Ali Gültekin ist überzeugter ‚Hamburger Jung‘, das betonte er auch in seiner Rede: „Man kann über mich sagen: Ich bin ein Beispiel für gelungene Integration. Die Verbindung der Kulturen aber auch das Erlernen der deutschen Sprache standen in meiner Erziehung immer im Vordergrund. Beides hat mich besonders geprägt und gibt mir die Sicherheit und Kraft, die ich nicht nur als Schauspieler und Comedian brauche (sic!) sondern auch im täglichen Leben.“Footnote 8

  4. „Zuhause reden wir Deutsch und Farsi, das geht oft ganz schön durcheinander. Bei manchen Themen nehme ich lieber die eine Sprache, bei anderen die andere. Es kann aber auch sein, dass ich in einem Satz auf Farsi ein deutsches Wort einstreue, zum Beispiel Staubsauger, weil es mir schneller einfällt als das Wort auf Farsi.“Footnote 9

  5. Yilmaz: Ich bin sehr dafür, dass man emotional zu diesem Land steht, aber die emotionale Verbundenheit zur Heimat beibehalten kann. Wenn man sich hier wohl fühlt und auch mit seinen eingebrachten Kulturen hier leben kann, gibt es ein besseres Miteinander und mehr Identifikation mit der Stadt und diesem Land.“Footnote 10

  6. „Ich bin hier groß geworden, mein erster und allerbester Freund war ein Deutscher […]. Ich bin recht behütet aufgewachsen, war kaum Rassismus ausgeliefert. Auf viele meiner ehemaligen Lehrer würde ich nie was schlechtes (sic!) kommen lassen und weil meine Fähigkeiten schon früh erkannt wurden, bekam ich größtenteils die nötige Unterstützung. Da ich mit 2 Kulturen aufgewachsen bin, habe ich aus beiden die besten Eigenschaften heraus gepickt (sic!) und mir zu eigen gemacht.“Footnote 11

  7. „Bei mir ist die Situation spiegelbildlich zu der von Herrn Zacharakis: Ich bin Deutscher Staatsbürger, in Deutschland geboren, von Deutschen Eltern – bin jedoch ab meiner frühen Kindheit in Griechenland aufgewachsen, habe dort meine gesamte Schulzeit verbracht, bis zum Abitur auf der Deutschen Schule Athen.

    Nach meinem Abitur bin ich nach Deutschland ‚ausgewandert‘ (inklusive Kulturschock), habe dort bei den Fallschirmjägern der Bundeswehr freiwillig meinen Wehrdienst geleistet, im Anschluss in Deutschland studiert und gearbeitet. Nach insgesamt 12 Jahren bin ich erneut nach Griechenland migriert und lebe und arbeite nunmehr dort wieder seit 8 Jahren.

    Was bin ich nun? Ein Deutscher? Nein, irgendwie nicht. Ein Grieche? Erst recht nicht. Ein Deutschgrieche? Nein. Ein Griechischdeutscher? Auch nicht. Ein Deutscher in Griechenland? Ja, zumindest auf dem Papier.

    Aber was hat das Papier für eine Bedeutung? Was bin ich denn im Herzen, in der Seele? Ich weiß das nicht wirklich, es ist ein diffuses Gefühl, ich fühle mich zu beiden Ländern hingezogen und in beiden Ländern zu Hause, kenne und lebe beide Kulturen in einer Art Kulturmelange.“Footnote 12

Deutungsmuster: Dem offiziellen Diskurs zufolge stellen Heterogenität und Hybridität den natürlichen Normalzustand menschlicher Vergemeinschaftung dar. Kulturelle Vielfalt (auch und gerade auf nationaler Ebene) ist schlichtweg Realität. Unterschiedliche kulturelle Perspektiven und Praktiken sind – im kulturrelativistischen Sinne – prinzipiell als gleichwertig zu betrachten. Einerseits werden Migration und kulturelle Pluralität zwar als Herausforderung für das Zusammenleben begriffen, andererseits aber gilt Vielfalt als Potenzial, als Garant für eine florierende Wirtschaft sowie als Faktor für die Entstehung von Fortschritt, Kreativität, Perspektivenvielfalt und Innovation und damit als Schlüssel zur unaufhörlichen Weiterentwicklung von Mensch und Gesellschaft. Aus diesem Grund sollte Migration nicht nur allgemein gefördert werden, das mitgebrachte ‚kulturelle Erbe‘ sollte darüber hinaus auch bewusst erhalten und als Bereicherung in das Gemeinwesen eingebracht werden. Dies gilt ganz besonders für sprachliche und v.a. mehrsprachige Kompetenzen.

Kommentar: In der obigen Argumentation werden erste Anklänge einer diskursiven Subjektposition sichtbar, die Migrant_innen – und damit in besonderer Weise auch eingebürgerten (!) Staatsangehörigen – eine sehr konkrete Rolle im Gefüge der nationalen Gemeinschaft zuweist. So werden sie als regelrechter Pool wertvoller (fremd)kultureller Ressourcen konzipiert. Ihre primäre Aufgabe (und damit auch die Grundlage ihres sozialen Wertes) besteht darin, die durch Kulturation – um mit Hartmut Esser zu sprechen – oder genauer durch Enkulturation erworbenen Ressourcen auf dem kulturellen Markt der Bundesrepublik als Humankapital anzubieten, sie also für Staat und Gesellschaft (insbesondere, aber nicht ausschließlich im wirtschaftlichen Sinne) verwertbar zu machen.Footnote 13 Die nachfolgenden Beispiele aus der Diskussion veranschaulichen den obigen Deutungszusammenhang sowie die daraus zu folgernde Rollenerwartung:

  1. „An unseren Künstlern können wir beobachten, was der Berliner Migrationsforscher Mark Terkessidis mit Blick auf Migration eine ‚Normalerfahrung‘ nennt. Die Entwicklung der Hamburger Einwohnerschaft bestätigt das: In unserer Stadt hat inzwischen fast jedes zweite Kind eine Zuwanderungsgeschichte. Da hinkt manche gesellschaftliche Debatte etwas hinterher. Die Hamburger Einbürgerungs-Initiative (sic!) unterstützt deshalb diese Entwicklung, die wir ausdrücklich begrüßen.“Footnote 14

  2. „Seit Jahrhunderten kamen Frauen und Männer aus allen Ländern nach Hamburg, und viele sind geblieben. Heute kann Hamburg auch auf seine Vielfalt stolz sein, die unsere Stadt und unser Land insgesamt bereichert: Mehr als 180 Nationen sind bei uns vertreten. Und jeder, der sich entschließt hierzubleiben, bringt eigene Vorstellungen mit, seine eigene Geschichte, individuelle Begabungen und Talente.“Footnote 15

  3. „Diese Vielfalt ist eine große Bereicherung für unsere Stadt! Zugleich ist sie aber auch eine Herausforderung: 180 Nationen sind mehr als 180 Eigenheiten, Traditionen und Sichtweisen. Es ergeben sich mehr als 180 Möglichkeiten sich nicht zu verstehen. Und wir haben auch feststellen müssen: Noch immer haben nicht alle hier lebenden Kinder und Erwachsene die gleichen Teilhabechancen.“Footnote 16

  4. „Die Integration von Zuwanderern ist nicht nur eine der wichtigsten Herausforderungen für unsere Gesellschaft, sie ist vor allem eine große Chance. Kulturelle Vielfalt bedeutet Bereicherung. Die Einbürgerungsfeier steht als Symbol für eine gelungene Integration. Gleichzeitig macht sie die Wertschätzung deutlich. Integration erfolgt gegenseitig und gemeinsam. Dass wir da auch gemeinsam feiern, ist folgerichtig.“Footnote 17

  5. „Noch immer verlassen zu viele Kinder, die selbst oder deren Eltern eingewandert sind, die Schule ohne Abschluss. Noch immer machen zu wenige das Abitur. Dabei ist das Polyglotte, das Wandeln können zwischen den Kulturen und Sprachen, gerade ihre Stärke; etwas, das sie anderen voraus haben.“Footnote 18

  6. „Ich zitiere die Autorin: „Chancen auf Fortschritt, den die Verstädterung mit sich bringt, gibt es jede Menge. Wenn die künftige Generation von Stadtplanern fähig ist, mit der kommenden massenhaften Migration in sozial und politisch verträglicher Weise umzugehen, dann hat dieser Wandel das Potenzial, der Motor eines neuen kulturellen und ökonomischen Durchstartens zu werden.“Footnote 19

  7. „Kein halbwegs vernünftiger Deutscher wird heute noch infrage stellen, dass dieses Land Einwanderung benötigt – wegen seiner empörend niedrigen Geburtenrate, wegen des Fachkräftemangels in der Wirtschaft, wegen des für eine offene Gesellschaft so notwendigen Austauschs. Auch dürfte inzwischen selbst xenophoben Mitbürgern dämmern, welche Bereicherung Migration bedeuten kann: Im Kino bejubeln sieben Millionen „Fack ju Göhte“ von Bora Dagtekin (Deutscher mit türkischen Wurzeln) mit Elyas M'Barek (Österreicher mit tunesischen Wurzeln); der Preis der Leipziger Buchmesse ging an Saša Stanišić (Sohn einer Bosnierin und eines Serben), der Literaturnobelpreis 2009 an die Banater Schwäbin Herta Müller. Bei der Fußball-WM tragen Spieler wie Özil, Khedira, Podolski und Klose den deutschen Adler. Wo stünde dieses Land eigentlich ohne diese Einwanderer?“Footnote 20

  8. Aber es gibt auch die andere Seite abseits von Fußballfesten und Kinokomödien – Gauck blendet sie nicht aus. Es gibt Probleme bei der Integration von Einwanderergruppen, es gibt kriminelle Clans, es gibt radikale Fundamentalisten, es gibt gerade unter Zuwanderern eine verbreitete Frauen- und Schwulenfeindlichkeit. Hier geht es um eine kleine Minderheit in der Minderheit. Doch wer diese Probleme verschweigt, verdrängt, schönredet, schadet allen Migranten. Im Verborgenen wuchern die Vorurteile am üppigsten.“Footnote 21

  9. „Es ist ja kein Geheimnis – um es jetzt einmal in der Sprache der Soziologen zu sagen –, dass kulturelle Diversität ein wichtiger Standortfaktor ist. Nicht nur im Hinblick auf die Produktivität und die Innovationsfähigkeit einer Stadt, sondern auch für ein Klima der Offenheit. Das zieht mehr und mehr Leute in die Metropolen, sowohl junge Familien als auch solche, die sich eine ganz andere Art zu leben wünschen, die in kleineren Orten oder auf dem Land nicht so einfach zu haben ist.“Footnote 22

  10. „Daraus kann eine besondere Kraft erwachsen. Eine Stärke, sich überall auf der Welt wohl zu fühlen, souverän zwischen den Kulturen und Sprachen zu wandeln, sich auf neue Situationen und Personen einzulassen. Eben diese Art von Stärke, die in unserer globalisierten Welt gefragt ist. Sie sind ja so etwas wie die Experten fürs Polyglotte, von denen wir viel lernen können.“Footnote 23

Die Vorstellung, dass individuelle Prägung hybrid und nationale Kultur heterogen ist, sowie die Annahme, dass kulturelle Pluralität ein wertvolles Potenzial darstellt und maßgeblich zu allen Formen der sozialen Entwicklung beiträgt, hat unmittelbare Auswirkungen auf die sich hieran anschließende Wirklichkeitskonzeption. Der Kulturbegriff bildet eine wesentliche Grundlage für alle weiteren Kernelemente der Phänomenstruktur. Querverweise zu den Kategorien Nation, Identität und Integration sind in den obigen Zitaten bereits angeklungen. Damit schafft die hier entwickelte Definition von Kultur ein logisches Fundament für die gesamte Argumentationslinie des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses.

Identität

Deutungsmuster: Der offizielle Diskurs geht davon aus, dass – ebenso wie kulturelle Prägung hybrides Ergebnis eines individuellen Lebenswegs ist – soziokulturelle Identitäten ebenfalls mehrdimensional und fluide sind. Sie können sich (gerade auch im Zuge von Migrationsprozessen) verändern, verschieben oder vermischen. Neue Identitäten können entstehen, ohne dabei notwendigerweise alte auflösen zu müssen. Identitäten haben verschiedene Formen und Ebenen, die ohne weiteres nebeneinander existieren können und einander dabei durchaus auch ergänzen. Es spricht nichts dagegen, dass Menschen sich mehreren Heimaten zugleich zugehörig fühlen. Dies ist in einem globalisierten Zeitalter wie dem unsrigen sogar vollkommen normal.

Kommentar: Anschließend an seinen konstruktivistischen Kulturbegriff entwirft der offizielle Diskurs hier ein konstruktivistisches Konzept von Identität, das in hohem Maße kompatibel ist mit wissenschaftlichen Ausformungen dieses Begriffs, wie sie u. a. von Amartya Sen oder Seyla Benhabib entworfen werden und wie sie überdies auch die rezente ethnologische Forschung prägen.Footnote 24 Kulturelle Identität, im Sinne von Ethnizität, wird nicht als dominierende (und schon gar nicht als determinierende) Dimension menschlicher Identifikation aufgefasst und sie gilt überdies auch nicht als exklusiv. Was Eriksen zufolge häufig als soziale Anomalie wahrgenommen wird – nämlich die Uneindeutigkeit ethnischer (oder auch nationaler) ZugehörigkeitenFootnote 25 – erscheint hier als Normalfall menschlicher Subjektivierung und weckt wiederum Assoziationen mit Reckwitz‘ Modell der Hyperkultur, insofern das Element der individuellen Freiheit und der Wahl betont wird.Footnote 26 Damit wendet sich der Diskurs auch explizit gegen etwaige Versuche kulturelle und (insbesondere) religiöse Identitäten in kulturfundamentalistischer Weise zu essentialisieren.Footnote 27 Folgende Beispiele illustrieren diese Argumentation:

  1. „Auch wenn Sie selbst in Deutschland aufgewachsen und vielleicht auch hier geboren sind: Sie tragen nicht nur die Liebe zu Deutschland in sich, sondern oft auch die zu einem anderen Land. Und das ist nach meiner Ansicht ganz selbstverständlich, etwas, das Sie ehrt und das unsere Gesellschaft enorm bereichert.“Footnote 28

  2. „Ihre neue Staatsbürgerschaft verlangt aber keineswegs, dass Sie Ihre Wurzeln vergessen sollen. Im Gegenteil! Indem Sie sich zu einer Gemeinschaft bekennen, der Sie ja schon lange angehören und der Sie sich zugehörig fühlen, verändern Sie sie auch. Mit Ihrem lebensgeschichtlichen Hintergrund, Ihrer Erfahrung und Ihren kulturellen Mitbringseln bereichern Sie unser Selbstbild.“Footnote 29

  3. „Diese eine Frage, als Kind habe ich sie immer wieder gehört: „Was bist Du eigentlich: Deutscher oder Grieche?“ Egal, ob der Nachbar in Eschweiler fragte oder die Tante aus Thessaloniki. Ihnen schien die Sache nicht ganz klar zu sein. Mir auch nicht.“Footnote 30

  4. „Die Nationalhymne erklingt. Alle stehen auf. Ich stimme mit ein: „… Einigkeit und Recht und Freiheit“. Beim Fußball würde ich trotzdem die griechische Hymne singen: „… σε γνωρίζω από την κόψη“. Es lässt sich keine Antwort finden. Nationalitäten sind doch ein sehr abstraktes Konzept.“Footnote 31

  5. „Ich fühle mich als Mensch mit türkischen Wurzeln, der sehr gerne in Deutschland lebt. Vor allem fühle ich mich als sehr guter Hamburger. Dass ich gläubiger Moslem bin und fünfmal täglich bete, ist kein Hinderungsgrund. Ganz im Gegenteil.“Footnote 32

  6. „Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit hat. Nicht mehr, nicht weniger. Er kann leben, wie er will, solange sein Verhalten nicht gegen Gesetze verstößt. Das garantiert das Grundgesetz, das die Regeln für unsere Demokratie festlegt. Es schreibt keinem vor, wie er leben soll: Wie man sich kleidet, mit wem man befreundet ist oder wen man heiratet, ist Sache jedes Einzelnen. Eines der wichtigsten Grundrechte ist das der Religionsfreiheit: Jeder darf in Deutschland seine Religion frei wählen und ausleben. Ein Deutscher kann Christ, Muslim, Jude, Hindu, Buddhist usw. sein. Auch welche Feste man feiert, ob und wie man betet oder wie man Partnerschaft und Ehe gestaltet, ist jedem frei gestellt (sic!).“Footnote 33

  7. „Gleichzeitig braucht unsere Demokratie Menschen, die die Demokratie leben: Menschen, die ihre Meinung sagen und die ihre Interessen vertreten, Menschen, die sich für unsere Gesellschaft einsetzen. Zur Demokratie gehört auch, die Lebensweise und Meinung anderer zu respektieren. Um am öffentlichen Leben teilnehmen zu können, muss man Deutsch sprechen und verstehen. Wer noch weitere Sprachen spricht, hat dadurch sicherlich viele Vorteile. Mit dieser demokratischen Basis ist in Deutschland eine Vielfalt an Lebensformen möglich. Das erlaubt den einzelnen Bürgern ganz unterschiedliche Heimatgefühle: Die einen fühlen sich beim Volksmusikfest zuhause, die anderen beim Rapkonzert; manche lieben Döner, andere Schweinebraten; und Modestile gibt es wie Sand am Elbstrand. Und wer mag, kann sich auch überall zu Hause fühlen.“Footnote 34

Deutungsmuster: Die Existenz multipler nationaler Identitäten schlägt sich, laut offiziellem Diskurs, anschaulich in der wachsenden Anzahl doppelter Staatsangehöriger nieder. Wer als Preis für eine Einbürgerung die Aufgabe mitgebrachter Identität (auch in Form von Staatsangehörigkeit) verlangt, erhebt damit eine nicht zumutbare Anforderung. Aus diesem Grund sollte Mehrstaatigkeit generell akzeptiert werden, zumal sie für einen beachtlichen Teil der Bevölkerung ohnehin längst die Norm darstellt (so können z. B. EU-Bürger_innen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden, ebenso wie Geflüchtete oder Menschen aus Ländern, die eine Ausbürgerung Ihrer Staatsangehörigen generell nicht vorsehen. Überdies gibt es eine wachsende Zahl an deutschen Staatsangehörigen, die bereits mit doppelter oder dreifacher Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren werden und diese, v.a. seit die Optionspflicht weitgehend abgeschafft wurde, auch langfristig behalten können).

Kommentar: An dieser Stelle wird eine Diskursverschränkung mit dem Thema Mehrstaatigkeit und dem zugehörigen Diskursfeld offenbar, wie es in Abschnitt 2.5 kursorisch angerissen wurde. In Abschnitt 2.5 ist überdies auch deutlich geworden, dass die Frage nach einer generellen Akzeptanz oder aber der generellen Vermeidung von Mehrstaatigkeit v.a. in der jüngeren deutschen Geschichte die Staatsangehörigkeits- und Einbürgerungsdebatte – sowie die daraus resultierende Gesetzgebung – wesentlich mitbestimmt hat. Wohl auch aus diesem Grund stellt die Bezugnahme auf die Themen Mehrstaatigkeit und Optionspflicht die prominenteste Diskursverschränkung im Diskursfeld der Hamburger Einbürgerungsinitiative dar. Dies zeigt sich u. a. an den folgenden Beispielen:

  1. „Am Ende gibt es keine Alternative zu einem offenen Bekenntnis dazu, dass Menschen hierzulande mehrere staatsbürgerliche Identitäten haben, eine deutsche und eine weitere, die sie durch ihre Herkunft oder die Herkunft ihrer Eltern und Großeltern in sich tragen. Daher wollen wir, die sogenannten Nicht-Biodeutschen mit sogenanntem Migrationshintergrund, keine faulen Kompromisse und keine Mogelpackungen mehr! Es wird Zeit, dass die deutsche Politik den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft endlich Rechnung trägt.“Footnote 35

  2. „Für viele Menschen ist es eine Herzensangelegenheit, ihren ‚Ursprungs‘-Pass zu behalten, da sie sich ‚zweiheimisch‘ fühlen, weil sie eventuelle Rentenverluste befürchten, weil sie ansonsten ein Visum für ihre eigene ‚Heimat‘ beantragen müssten, weil sie dann kein Wahlrecht mehr in ihrem Heimatland haben. Diese Gründe und Argumente können bei jedem Einzelnen unterschiedliche Prioritäten (sic!) und unterschiedlich ausgeprägt sein.“Footnote 36

  3. „Das Hinnehmen von Mehrstaatlichkeit ist längst überfällig“, sagt Abaci. Die doppelte Staatsbürgerschaft sei eine Frage der Identität. Wer hier lebe, müsse sich zwar mit Deutschland identifizieren. „Es gibt aber auch eine familiäre und kulturelle Identität mit dem Herkunftsland.“ Zudem gebe es ohnehin eine Reihe von Ausnahmen. So können etwa Schweizer und EU-Bürger ihre bisherige Staatsangehörigkeit behalten.“Footnote 37

  4. „Den mangelnden Aktivitäten im Einbürgerungsbereich steht gegenüber, dass sich in den nächsten Jahren verschärft die negativen Folgen der von der CDU/CSU gegen die Überzeugung von SPD erzwungenen Kompromisse beim Staatsangehörigkeitsrecht auch in Hamburg zeigen werden: In bestimmten Konstellationen ist der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit beziehungsweise die besondere Form der Einbürgerung nämlich verbunden mit der Verpflichtung nach § 29 StAG, sich nach Vollendung der Volljährigkeit zwischen der deutschen und der ausländischen Staatsangehörigkeit zu entscheiden. Die ganz überwiegende Zahl dieser sogenannten Optionspflichtigen ist in Deutschland verwurzelt und wird dauerhaft Teil der deutschen Gesellschaft bleiben. Es ist daher integrationspolitisch nicht sinnvoll, den Fortbestand ihrer deutschen Staatsangehörigkeit infrage zu stellen. Der Entscheidungszwang wird der Lebenssituation der mit mehreren Staatsangehörigkeiten aufgewachsenen jungen Erwachsenen nicht gerecht und kann zu schwerwiegenden Konflikten innerhalb der betroffenen Migrantenfamilien führen. Die Durchführung des Optionsverfahrens ist zudem mit praktischen Schwierigkeiten verbunden und verursacht einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Der Nutzen, den die Optionsregelung im Hinblick auf das Ziel der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hat, steht zu diesen Nachteilen in keinem Verhältnis. Hamburg sollte als weltoffene und liberale Metropole initiativ werden, um diesen unsinnigen und integrationspolitisch fatalen Kompromiss zu verändern.“Footnote 38

Deutungsmuster: Wie im obigen Deutungsmuster bereits angeklungen ist, wird Staatsangehörigkeit im offiziellen Diskurs als Symbol für und wesentlicher Bestandteil von Identität gewertet. Das bedeutet einerseits, dass es keinen Zwang geben sollte, mitgebrachte Staatsangehörigkeiten abzugeben. Andererseits bedeutet es aber auch, dass man durch die Einbürgerung in Deutschland eine neue Identität dazugewinnt. An dieser Stelle gabelt sich der Diskurs in unterschiedliche Seitenarme auf. So gehen einige Stimmen davon aus, dass die Einbürgerung eine durch Integration und Leben in der Gesellschaft bereits erworbene Identität lediglich ausdrückt, bzw. offiziell bestätigt. Andere vertreten hingegen die Ansicht, dass die Einbürgerung selbst dazu beitrage, die Identifikation mit Deutschland zu stärken und auf diese Weise eine gemeinsame Identität zu schaffen. Dies erfolge v.a. durch die Übertragung neuer Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten (z. B. politische Mitwirkung) sowie durch das veränderte Zugehörigkeitsgefühl, das durch eine Aufnahme in die staatsbürgerliche Gemeinschaft etabliert werde. Beide Perspektiven vermischen sich in der Debatte und laufen letztlich auf das selbe Ergebnis hinaus: Staatsangehörigkeit ist ein Stück Identität und geht im besten Falle mit emotionaler Verbundenheit einher. Diese emotionale Verbundenheit erhebt indessen keinen Absolutheitsanspruch und schließt auch nicht aus, dass die Identifikation mit anderen ‚Heimaten‘ weiterbesteht. Staatsbürgerliches Ideal ist, wie man weiter oben bereits gesehen hat, die Verquickung von lokaler Verwurzelung und transnationaler Vernetzung.

Kommentar: Besonders in dem hier vorliegenden Deutungsmuster wird der nationalistische Anspruch des offiziellen Einbürgerungsdiskurses offenbar. Identität – und zwar nicht im losen Sinne einer identitären Kategorie, sondern im sozial und emotional verbindlichen Sinne einer identitären GemeinschaftFootnote 39 – wird unmittelbar auf den Staat und die Nation bezogen. Diese Nation ist jedoch keineswegs ethnisch definiert. Nationale Mitgliedschaft beruht (vor allem im Falle der Eingebürgerten) auf freiwilliger Zustimmung – ganz im Sinne eines subjektivistischen Nationenbegriffs.Footnote 40 Die Subjektposition des/der (eingebürgerten) Staatsangehörigen wird in diesem Zusammenhang weitergehend konkretisiert und – mit der Verbindung von lokaler und globaler Zugehörigkeit – in den Kontext eines politischen Kosmopolitismus in Kant’scher Tradition gerückt, welcher – insbesondere im Hinblick auf die weiter oben formulierte Auslegung (fremd)kultureller Kompetenzen als Humankapital – Anklänge von transnationaler Staatsbürgerschaft nach Seyla Benhabib aufweist.Footnote 41 Die folgenden (und v.a. auch die oben bereits abgedruckten) Zitate vermitteln einen Eindruck von diesem komplexen Deutungszusammenhang:

  1. „Eine neue Staatsbürgerschaft zu bekommen, ist eine bedeutende Zäsur im Leben. Die Staatsbürgerschaft wird schnell Teil unserer Identität.“Footnote 42

  2. „Für ein Land, für eine Stadt kann es kein schöneres Kompliment geben, als dass die Bewohner sich darin zuhause und gut aufgehoben fühlen. Dass sie diesen Ort als ihren persönlichen Hafen betrachten und sich mit Deutschland so identifizieren, dass sie sich ganz und gar dazu bekennen und ein gleichberechtigter Teil der Gemeinschaft werden wollen.“Footnote 43

  3. „Bei manchen von Ihnen wird diese Entscheidung jahrelang gereift sein, bis sie ganz bewusst gesagt haben: Ja, ich fühle mich inzwischen als Deutsche oder als Deutscher. Das Land und die Stadt sind Ihnen mit der Zeit ans Herz gewachsen und zu Ihrer Heimat geworden.“Footnote 44

  4. „Es ist ein wunderschönes Paradox, dass ich Sie frisch willkommen heißen kann, obwohl die Hansestadt Hamburg schon seit Jahren Ihre Heimat ist. Willkommen sagt man eigentlich, wenn jemand gerade ankommt. Tatsächlich, also im wörtlichen Sinn hier angekommen sind Sie aber schon vor langer Zeit. Ich sehe zu meiner großen Freude wieder viele junge Gesichter hier. Ich nehme an, manche von Ihnen sind vielleicht schon hier in Hamburg geboren oder – so wie ich selbst auch – im jungen Kindesalter hierher gezogen (sic!). In dem Fall erinnern Sie sich vielleicht an gar keine andere Heimat als Hamburg. Und trotzdem sind Sie heute noch einmal so genannte Neubürger.“Footnote 45

  5. „Der große Festsaal im Hamburger Rathaus ist bis auf den letzten Platz besetzt. Eingeladen sind alle, die in Hamburg zwischen Dezember 2013 und Februar 2014 den deutschen Pass bekommen haben. Auf dem erhöhten Podium, mit prunkvoll holzvertäfelter Wand im Hintergrund, steht mannshoch das Zeichen der Einbürgerungskampagne Hamburgs: Ein schwarz-rot-goldener Anker, eine Verbindung aus hanseatischer Symbolik und Deutschland-Identifikation. Die frisch Eingebürgerten sind hier verankert, und nicht erst seit heute.“Footnote 46

  6. „Praktikerinnen und Praktiker weisen darauf hin, dass die Förderung und Erleichterung von Einbürgerung einen enormen Schub für die Identifikation Eingewanderter mit ihrer Stadt und der neuen Heimat bringen kann. Für manche ist die Einbürgerung ein hochwichtiges Ereignis, welches durch offizielle Einwanderungsfeiern im Sinne einer Willkommens- und Anerkennungskultur gewinnbringend begleitet werden kann.“Footnote 47

  7. „Der Wunsch, in Deutschland akzeptiert zu werden, ist groß“, sagt Meryem Celikkol. Ein deutscher Pass sei da schon wichtig, um sich als Bürger mit diesem Land zu identifizieren.“Footnote 48

  8. „Einbürgerung ist eine Chance – sie macht Bürger zweiter Klasse endlich zu Staatsbürgern. Deutschlands Probleme, Deutschlands Hoffnungen werden so viel stärker auch zu den Problemen und Hoffnungen der Eingebürgerten.“Footnote 49

  9. „Denn eine neue Staatsbürgerschaft verlangt keineswegs, seine Wurzeln zu vergessen. Im Gegenteil: Sich bewusst und auch ganz offiziell in eine Gemeinschaft einzufügen, der Sie ja schon lange angehören und sich zugehörig fühlen, mit Ihrem lebensgeschichtlichen Hintergrund, Ihrer Erfahrung und Ihrem ganz eigenen Naturell, das hilft uns allen, unseren Horizont zu erweitern; das Spektrum dessen, was vermeintlich oder tatsächlich deutsch ist, lebendig weiterzuentwickeln.“Footnote 50

Die Idee, dass die Einbürgerung von Zugewanderten deren Identifikation mit und das Zusammengehörigkeitsgefühl in der deutschen Gesellschaft stärken kann, schlägt sich auch im Hamburger Integrationskonzept von 2013 nieder. Dort wird die Einbürgerung und deren Förderung als Unterthema zum Schwerpunkt Zusammenhalt stärken aufgeführt und gilt als eines der Top 13 Teilziele.Footnote 51

Kulturbegriff und Identitätskonzeption des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses – und darin insbesondere die Subjektposition des/der (eingebürgerten) Staatsangehörigen mit ihrem hyperkulturellen und kosmopolitischen Unterton – führen unweigerlich zum nächsten Element der narrativen Storyline, nämlich dem spezifischen Bild von Nation, welches der Diskurs in der öffentlichen Debatte entwirft und auf das sich seine weitere Argumentationslinie (v.a. in Bezug auf die Themen Integration und Einbürgerung) maßgeblich bezieht. Die Verquickung von lokaler Verwurzelung und transnationaler Vernetzung, von nationaler Identifikation und globaler Offenheit zielt letztlich auf einen kosmopolitischen Entwurf von Mensch und (nationaler) Gemeinschaft, der Lokalität und Globalität nicht als Widerspruch, sondern vielmehr als zwei Seiten ein und derselben Medaille betrachtet.

Nation

Deutungsmuster: Der offizielle Diskurs begreift Deutschland als inhärent multikulturelle Einwanderungsgesellschaft. Die kulturelle Heterogenisierung gilt ihm als unumkehrbar. Deutschland wird als Einwanderungsland begriffen, das in Vergangenheit und Gegenwart auf vielfältige Weise durch Migration geprägt wurde und davon durchaus auch erheblich profitiert hat.

Kommentar: Wie für nationalistische Narrationen üblich, wird hier auf die ‚nationale Geschichte‘ als Referenzpunkt und Legitimationsquelle verwiesen. Dabei wird diese nationale Geschichte – im Sinne einer Invented Tradition nach HobbswamFootnote 52 – aus moderner Sicht erzählt. Das heißt: Die historischen Ereignisse werden nach Bedarf umgedeutet. Vorteilhafte Aspekte werden betont, nachteilige Aspekte fallen unter den Tisch, sodass letzten Endes der Eindruck nationaler Kontinuität und Antiquität entsteht. Die positiven Effekte der Migration – sowie der konstruktive Umgang mit dieser Migration – werden hervorgehoben. Dass die deutsche Geschichte immer wieder – und z. T. in erheblicher Weise – von Abwehrhaltungen gegen und Konflikten durch multikulturelle, multiethnische, multireligiöse und multinationale Bevölkerungskonstellationen geprägt wurde, dass Deutschland (oder vielmehr das deutsche Kaiserreich) überdies während eines erheblichen Teils seiner Geschichte ein Auswanderungsland war, hat indessen Abschnitt 2.5 zeigen können. Diese Tatsachen werden durch den offiziellen Diskurs nicht negiert, wohl aber werden sie in ihrer Bedeutung heruntergespielt. Im Vordergrund steht die oben etablierte Subjektposition des/der Migrant_in, oder vielmehr des/der ‚guten Migrant_in‘, sowie die Klassifikation von Deutschland als ‚Einwanderungsland‘. Gegenteilige Diskurse aus der Vergangenheit werden als ‚Fehler‘ oder ‚Irrtum‘ abgetan. Gleichzeitig – und das zeigen die nachfolgenden Beispielzitate – wird die positive Geschichte einer multikulturellen Nation (v.a. von offiziellen Sprecher_innen der Stadt Hamburg) an die lokale Ebene (das heißt an Hamburg und die hamburgische Geschichte) rückgebunden. Diese lokale Verankerung eines nationalen Diskurses ist auch bereits in früheren Deutungsmustern angeklungen. Sie deckt sich nahtlos mit den Ergebnissen anderer Studien der inner- und außerethnologischen Identitäts- und Nationalismusforschung, wie sie in Abschnitt 2.2 vorgestellt wurden.

  1. „Hamburg versteht sich als Ankunftsstadt. Die Dynamik von Ankunft und Abreise prägt seit jeher unser Lebensgefühl. Viele Einwanderer bringen ein Grundgefühl der Zuversicht mit. Sie vertrauen darauf, dass sie in Hamburg ihren Weg und ihren Platz finden werden, und ich bin überzeugt davon, diese Zuversicht ist berechtigt.“Footnote 53

  2. „Alle Hamburger, ganz gleich ob sie türkische, polnische oder russische Wurzeln haben, ganz gleich ob sie bayerische, sächsische oder hessische Wurzeln haben, sollen sich bei uns zuhause fühlen und geachtet werden.“Footnote 54

  3. „Es kommt also nicht auf Herkunft oder Geburt an, sondern auf die Identifikation – wer hier lebt und sich zu Hause fühlt, ist selbstverständlich auch ein ‚richtiger‘ Hamburger.“Footnote 55

  4. „50 Jahre nach dem ersten türkisch-deutschen Anwerbeabkommen im Jahr 1961 hat Deutschland sein Gesicht verändert. An Hamburgs Schulen hat fast die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler mindestens ein Elternteil, das im Ausland geboren ist. Menschen mit Migrationshintergrund sind zu einem selbstverständlichen Teil unserer Gesellschaft geworden. Kinder gehen in Deutschland in Kindergärten und Schulen, junge Menschen besuchen Universitäten und absolvieren ihre Berufsausbildungen, Erwachsene arbeiten in allen Bereichen und Branchen des öffentlichen Dienstes und der Wirtschaft.“Footnote 56

  5. „Deutschland ist seit vielen Jahren ein Einwanderungsland und angesichts unserer alternden Bevölkerung auch darauf angewiesen, dass sich Zuwanderer dafür entscheiden, bei uns ein neues Zuhause zu suchen, eine Ausbildung zu absolvieren und hier zu arbeiten, ihre Familien zu gründen und ihren Lebensmittelpunkt bei uns zu gestalten.“Footnote 57

  6. „Menschen mit Migrationshintergrund bilden einen immer größeren Teil der Gesellschaft. Umso wichtiger ist es, ihre Lebenslagen und Sichtweisen auf gesellschaftliche und politische Fragestellungen zu berücksichtigen. Erst wenn sie die Gesellschaft in derselben Form mitgestalten können wie andere, nehmen sie vollumfänglich an ihr teil. Partizipation leistet daneben auch einen direkten Integrationsbeitrag: Was man selbst mitgestaltet, damit identifiziert man sich auch.“Footnote 58

  7. „Deutschland, dieser Schmelztiegel im Herzen Europas, der sich lange Zeit gewehrt hatte, ‚Einwanderungsland‘ zu sein, und Zuwanderer als ‚Gastarbeiter‘ behandelte, baut endlich Brücken und bezieht die Ausländer von gestern als Deutsche von morgen ein.“Footnote 59

  8. „Man kann noch nicht sagen, dass es wirklich aus der Mitte der Gesellschaft kommt. Jahrzehntelang wurde gesagt, Deutschland sei kein Einwanderungsland – dass es jetzt anders ist, muss sich erst in den Köpfen durchsetzen. Zumal das ja auch mit der Abgabe von Macht zu tun hat. Die neuen Deutschen werden auch mitbestimmen wollen, man muss also etwas abgeben. Diese Macht zu teilen ist schwierig und wird nur gut gelingen, wenn es gelingt, ein Wir-Gefühl zu entwickeln, ob mit oder ohne deutsche Staatsangehörigkeit. Dazu gehören eine Willkommens-Kultur (sic!) für neu Einreisende und auch Empathie – man muss wissen wollen, wie die anderen leben, was sie denken, was sie fühlen. Das gilt für alle Beteiligten.“Footnote 60

  9. „Die Einbürgerungsinitiative von Bürgermeister Olaf Scholz ist gut für Hamburg und ein Vorbild für Deutschland. Anders als Herr Dobrindt meint, wird hier mitnichten der deutsche Pass ‚verramscht‘, sondern es wird den hier seit langem lebenden Ausländern gezeigt, dass sie in unserem Land willkommen sind. Das passt zu Hamburg als seit Jahrhunderten weltoffener Stadt und zu Deutschland als modernem, dynamischen Staat. Was für Herrn Dobrindt ‚wirr‘ ist, ist tatsächlich menschlich und pragmatisch. Wirr sind vielmehr die Versuche Herrn Dobrindts, die CSU im Gespräch zu halten und ihr den Anstrich bundespolitischer Bedeutung zu verschaffen.“Footnote 61

Deutungsmuster: Damit das Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft gelingen kann, bedarf es, dem offiziellen Diskurs zufolge, keiner kulturellen Homogenisierung, wohl aber eines übergreifenden transkulturellen Konsens, zu dem sich alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen bekennen. Dieser gemeinsame Rahmen bildet das Fundament für die Funktionsfähigkeit der nationalen Gemeinschaft und spiegelt außerdem ihre zentralen Grundwerte wider. In Deutschland setzt sich der transkulturelle Konsens v.a. aus der Verfassung und dem Kanon unverhandelbarer Grundrechte sowie der allgemeinen Gesetzesordnung zusammen. Wichtiges Element und Vorbedingung des Konsensus ist, dass alle Menschen in Deutschland eine gemeinsame Sprache, nämlich Hochdeutsch, sprechen. Der gemeinsame Rahmen ist wichtig und muss geschützt werden. Innerhalb dessen allerdings kann und muss kulturelle Vielfalt toleriert werden. Rassismus, Diskriminierung und Xenophobie schaden dem gesellschaftlichen Frieden. Sie sind daher in höchstem Maße abzulehnen.

Kommentar: Nachdem nun bereits mehrfach Parallelen zu Seyla Benhabibs kosmopolitischem Theorieentwurf offenbar geworden sind, treten diese hier noch einmal in besonderer Weise hervor. Ganz im Sinne einer deliberativen Demokratie proklamiert der offizielle Diskurs die demokratische Aushandlung von Differenz innerhalb eines gemeinsamen gesellschaftlichen Rahmens.Footnote 62 Vor diesem Hintergrund wird eine dritte Subjektposition eröffnet, nämlich die des/der ‚guten (geborenen) Staatsangehörigen‘ ohne Migrationshintergrund. Die primäre Aufgabe dieser Personengruppe ist es, kulturelle Vielfalt durch ihre Offenheit, ihre Akzeptanz sowie durch ihre ‚Willkommenskultur‘ zu ermöglichen und zu fördern. Die demokratische Deliberation erfordert demnach das Zusammenwirken aller Staatsangehörigen, der ‚alten‘ wie der ‚neuen‘. Anders als das Konzept der Inklusion, das – wie Abschnitt 2.2 gezeigt hat – mit Benhabibs Überlegungen ebenfalls in hohem Maße kompatibel ist, fasst der offizielle Diskurs den gesetzlichen Rahmen dieser Deliberation jedoch als (wenigstens weitgehend) statisch auf. Bei aller hyperkulturellen Fluidität (und Beliebigkeit) sind die zentralen, politisch kodifizierten nationalen Werte unveräußerlich. Damit positioniert sich der Diskurs sehr klar in einer demokratisch-staatsnationalen Tradition, wie sie in Abschnitt 2.1 herausgearbeitet wurde. Ganz entgegen Brubakers berühmter These von der ethnonationalen Verfasstheit des deutschen Nationalgedankens begreift der offizielle Diskurs Deutschland als Staatsnation. Dies zeigt sich nicht nur in den obigen Beispielzitaten zu Deutschland als multikulturellem ‚Einwanderungsland‘, sondern weiterführend auch an den untenstehenden Belegstellen:

  1. „Was dieses Freiheitsversprechen in einer globalisierten Welt für Zuwanderer heute bedeuten kann, beschrieb der frühere amerikanische Präsident Clinton in seinem 2011 erschienenen Buch ‚Back to Work‘: „Ganz gleich, wer Sie sind oder woher Sie kommen – wenn Sie hart arbeiten und sich dabei an die Regeln halten, bekommen Sie die Freiheit und die Möglichkeit, Ihren persönlichen Traum zu verfolgen.“Footnote 63

  2. „Zu einer Einbürgerung gehört jedoch auch, dass man sich zu Deutschland als neue Heimat mit seinen Werten bekennt.“Footnote 64

  3. „Innensenator Udo Nagel: „Wer die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt hat, hat es verdient, dass dies auch in einem entsprechenden feierlichen Rahmen anerkannt wird. Einbürgerungen sind keine Routine, sondern sind ganz spezielle, nicht alltägliche Vorgänge. Sie dokumentieren die Hinwendung der neuen Staatsangehörigen zu unserer Gesellschaft und zu unseren Werten.“Footnote 65

  4. „Kimil: Man muss die deutschen Gesetze und die Verfassung achten. Natürlich sollte man auch die deutsche Sprache beherrschen.“Footnote 66

  5. „Der türkische Premier Erdogan rief erst im vergangenen Oktober die in Deutschland lebenden Türken dazu auf, möglichst fließend Deutsch sprechen zu lernen – für diejenigen, die auch die deutsche Staatsbürgerschaft anstreben, gilt das erst recht.“Footnote 67

  6. „Gauck fordert eine Wir-Gesellschaft, die Rassismus von rechts genauso wenig toleriert wie den Fanatismus der Fundamentalisten: „Null Toleranz gegenüber jenen, die unseren gemeinsamen Grund der Verfassung verlassen“, sagt Gauck. Das darf uns beim nächsten ausländerfeindlichen Spruch oder am Salafisten-Büchertisch ruhig wieder einfallen.

    Die beschworene ‚Wir-Gesellschaft‘ kann nur gemeinsam gelingen – und mutet allen etwas zu. Wir Deutschen dürfen Migranten nicht auf Aussehen, Namen, ihr vermeintliches Fremdsein reduzieren – das grenzt aus. Toleranz bedeutet, Anderssein auszuhalten. Zugleich müssen Einwanderer bereit zur Integration sein – über die deutsche Sprache und das deutsche Grundgesetz muss nicht mehr gestritten werden, sie sind eine Grundvoraussetzung. Integrieren kann indes nur eine Gesellschaft, die sich selbst wertschätzt: Nur wer das Eigene achtet, wird dem anderen Raum geben, so hat es Gauck genannt. Man könnte auch sagen: Wer möchte schon Mitglied eines Vereins werden, der sich selber ablehnt?“Footnote 68

Deutungsmuster: Wie an verschiedener Stelle deutlich geworden ist, entwirft der offizielle Diskurs das staatsbürgerliche Ideal eines national verankerten Kosmopolitismus, welches auf der Dichotomie von kultureller Hybridität und transkulturellem Konsens, von heterogener Identitätenvielfalt und gemeinsamer Identifikation, von lokaler Verwurzelung und globaler Einbindung gründet. Eine solche Verknüpfung von Globalität und Lokalität, von Diversität und übergreifendem Gemeinschaftsgefühl kann nicht nur zur innovativen Weiterentwicklung der deutschen Gesellschaft beitragen, sondern überdies auch internationale Vernetzung und grenzüberschreitende Verständigung fördern. Menschen mit Migrationshintergrund sind wichtige Hoffnungsträger_innen dieser globalen Friedensarbeit, da sie soziale, kulturelle, wirtschaftliche und politische Brücken zwischen den Gesellschaften dieser Welt bauen.

Kommentar: Der offizielle Diskurs sieht sich hier ganz eindeutig in der Tradition eines politischen Kosmopolitismus, der – anders als es in Abschnitt 2.2 kritisiert wurde – Menschen nicht zu ewigen ‚Besuchern in ihrer eigenen Welt‘ macht, sondern vielmehr die verschiedenen ‚Lokalitäten des Globalen‘ über menschliche Bindeglieder miteinander verknüpfen will. Nationalismus und Kosmopolitismus stehen insofern nicht im Widerspruch zueinander – vorausgesetzt, sie werden durch die Subjektpositionen des/der ‚guten Migrant_in‘ und des/der ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘ sowie (in geringerem Maße) des/der ‚guten (geborenen) Staatsangehörigen‘ miteinander vermittelt. Dieser Gedankengang spiegelt sich u. a. in den folgenden Zitaten:

  1. „Hamburger und Hamburgerinnen haben Namen aus aller Welt, Erfahrungen aus hunderten Ländern und Familien in vielen Kontinenten.“Footnote 69

  2. „Das aus dem Griechischen stammende Wort Kosmopolit bedeutet übersetzt nichts anderes als ‚Bürger der Welt‘. Ein ‚Weltbürger‘ zeichnet sich nach meinem Verständnis vor allem dadurch aus, dass er unvoreingenommen gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Traditionen ist, dass er die Vielfalt der Welt in sich zu vereinen weiß und sich zwischen den Welten zu bewegen weiß. So wie Sie, meine Damen und Herren, die Sie den Mut und die Offenheit hatten, sich auf Neues einzulassen, Bekanntes und Unbekanntes zusammenzubringen und dadurch Stärken zu entwickeln, die in unserer globalisierten Welt von großem Nutzen sind.“Footnote 70

  3. „Denn wir leben in einer Metropole, die dynamisch ist, die sich ständig weiterentwickelt und auseinandersetzt mit dem Neuen. Durch den Austausch zwischen Bürgern verschiedener Herkunft, Religion und kultureller Hintergründe wächst und prosperiert die Stadt. Frauen, Männer und Kinder aus 179 Nationen tragen dazu bei, dass wir kosmopolitisch, kulturell reich, innovativ und leistungsstark bleiben.“Footnote 71

  4. „Wenn man mit/zwischen den Kulturen aufwächst, ist das völlig anders als bei rein uni-nationalen Bezügen und ich bin überzeugt, dass jede einseitige Nationenliebe, wie sie im ursprünglichen Konzept des Staatsbürgerrechts Anfang des letzten Jahrhunderts verankert (sic!), sich wirklich fremd anfühlt. Doppelte Staatsbürger haben eine echte Chance, die Völker einander näher zu bringen, das man-kann-nur-einem-Herren-dienen-Prinzip sollte überwunden werden.“Footnote 72

  5. „Der deutsche Autor bulgarischer Abstammung Ilija Trojanow hat einmal gesagt, dass sich im ‚kosmopolitischen Bürger‘ das Globale und das Lokale als zwei Seiten einer Medaille zusammenfinden.

    Es geht nicht um ein Entweder/Oder, es geht um ein Sowohl/Als auch. Entscheidend ist, dass Werte, Anschauungen, Kulturen und Identitäten in Frieden und Toleranz nebeneinander bestehen.“Footnote 73

  6. „Diese ungeheure Vielfalt in allen unterschiedlichen Lebensbereichen anzuerkennen, ist wichtig für den Einzelnen, der ein Recht darauf hat, in seiner persönlichen Lebensweise respektiert und toleriert zu werden. Dieser Vielfalt Raum zu geben, ist aber ebenso wichtig für die Entwicklung unserer Stadt, macht sie Hamburg doch erst zu dieser kosmopolitischen, kulturell reichen und modernen Metropole, auf die wir so stolz sind.“Footnote 74

Die Vorstellung von einer multikulturell geprägten, transkulturell verfassten und kosmopolitisch eingebundenen Nation bringt sehr spezifische Anforderungen an das sich hieran anschließende Integrationsmodell mit sich. Insbesondere der Verweis auf demokratische Werte, Prozesse und Strukturen spielt dabei eine wesentliche Rolle für die innere Logik des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses sowie auch für das sich daran anschließende Verständnis des Einbürgerungsaktes als solchem.

Integration

Deutungsmuster: Der offizielle Diskurs definiert Integration als gleichberechtigte Teilhabe an allen gesellschaftlichen Lebensbereichen. Dazu gehören soziale Chancengleichheit sowie Zugang zu Arbeitsmarkt und Bildungssystem, genauso wie das Recht auf politische Mitbestimmung und die Möglichkeit, aktiv an Prozessen der öffentlichen Meinungsbildung mitzuwirken. Dazu gehört überdies auch die Berechtigung, eigene kulturelle und religiöse Vorstellungen in die Gesellschaft einzubringen, solange diese dem gemeinsamen konsensuellen Rahmen der Demokratie nicht zuwiderlaufen. Gesellschaftliche Teilhabe an einem demokratischen System bedeutet gleiche Rechte und Pflichten für alle Staatsangehörigen. Um diesen Zustand der Gleichberechtigung zu erreichen, sind alle Mitglieder der Gesellschaft gleichermaßen gefordert. Integration ist zu gleichen Teilen Aufgabe der Politik, der Zuwandernden und der bereits in Deutschland ansässigen, staatsangehörigen Bevölkerung. Der Staat muss durch seine politischen Entscheidungen Integration ermöglichen, vorantreiben und ggf. erleichtern. Er muss beiden Seiten – denen, die neu ankommen, und denen, die bereits da sind, – Hilfestellung im Integrationsprozess geben. Er muss Anreize schaffen und alle Beteiligten zur Mitarbeit motivieren. Die sogenannte ‚Mehrheitsgesellschaft‘ muss dazu bereit sein, neue Mitglieder aufzunehmen. Sie muss den interkulturellen Austausch zulassen und aktiv befördern. Dazu gehört v.a. auch die Aneignung von interkulturellen Kompetenzen im zwischenmenschlichen Umgang. Die Zugewanderten schließlich müssen sich in den Wertekonsens der Gesellschaft einfügen und einen fairen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Dieser Beitrag ist im Idealfall nicht nur wirtschaftlicher Natur, sondern umfasst auch die Identifikation mit sowie das soziale und/oder politische Engagement für Deutschland. Sie müssen willens sein, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie müssen Verantwortung übernehmen, bestenfalls nicht nur für sich selbst, sondern auch für das Land und seine Zukunft. Ein erfolgreich integrierter Mensch nimmt demnach nicht nur gleichberechtigt an der Gesellschaft teil, er bringt sich auch aktiv darin ein, mit seinem Wissen, seinen Potenzialen und seinen jeweiligen Perspektiven.

Kommentar: Die weiter oben eingeführten Subjektpositionen des/der (gut integrierten) Migrant_in und des/der Eingebürgerten kommen hier zu ihrer vollen Geltung, indem sie mit sehr konkreten Attributen und Rollenerwartungen aufgeladen werden. Ihnen wird gewissermaßen eine staatsbürgerliche ‚Vorbildfunktion‘ zugeschrieben. Sie sollen nicht nur ihr hyperkulturelles Humankapital zur Verfügung stellen, sie sollen überdies auch staatsbürgerlichen Pflichten gerecht werden und staatsbürgerliche Rechte in besonderer Weise ausüben. Sie sollen sich in jeder nur erdenklichen Hinsicht einbringen und damit Staat und Nation langfristig voranbringen. Im nationalistischen Sinne wird individuelle SelbstverwirklichungFootnote 75 (kultureller, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Art) zum Baustein für gesellschaftlichen Wohlstand und gesellschaftlichen Fortschritt umgedeutet. Dabei schwingt auch immer ein gewisser Leistungsgedanke mit, insofern als besondere (wirtschaftliche, soziale, kulturelle oder politische) Leistungen mit ‚besonders‘ gelungener Integration identifiziert werden.Footnote 76 Vor diesem Hintergrund wird überdies auch die Subjektposition der Staatsangehörigen qua Geburt erweitert, insofern diese aufgefordert sind, sich ihrerseits die interkulturellen Kompetenzen anzueignen, von denen ausgegangen wird, dass Migrant_innen und Eingebürgerte sie quasi ‚von Natur aus‘ immer schon mitbringen, und von denen der Diskurs weiterhin annimmt, dass sie wesentliche Attribute moderner, demokratischer (und damit unweigerlich kosmopolitischer) Staatsbürgerschaft repräsentieren. Zusätzlich zu diesen drei Subjektpositionen wird überdies noch eine Klassifikation etabliert, die den deutschen Staat als kollektiven Akteur betrifft. Seine Aufgabe als ‚Förderer‘ ist es, die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für Integration im demokratischen Sinne zu schaffen.Footnote 77 Dabei orientiert sich das Integrationsmodell weder an assimilationstheoretischen, noch etwa an multikulturalistischen Ansätzen.Footnote 78 Ganz entsprechend eines konstruktivistischen Kultur- und Identitätsbegriffs – und wiederum in starkem Einklang mit Benhabibs demokratischem Theoriemodell – bedeutet Integration, dass alle Mitglieder einer Gesellschaft in gleicher Weise am zivilgesellschaftlichen (sowie am politischen) Aushandlungsprozess teilnehmen können. Die folgenden Zitate zeichnen diesen Gedankengang anschaulich nach:

  1. „Was interessiert uns, was bewegt uns oder macht uns Angst? Nur wenn wir offen sind, miteinander sprechen, lernen wir uns wirklich kennen und verstehen. Nur wenn wir im Gespräch bleiben, kann aus anfänglichem Argwohn oder Gleichgültigkeit Neugierde, Vertrauen und Anteilnahme werden. Wie gut uns das gelingt, liegt an uns.“Footnote 79

  2. „…es gibt wohl keine wichtigere Aufgabe einer Regierung, als das friedliche Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und die gedeihliche Fortentwicklung unserer Gesellschaft. Aus diesem Grund hat dieser Senat in den vergangenen zwei Jahren eine Einbürgerungs-initiative (sic!) gestartet, um bewusst jene zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft zu bewegen, die schon lange hier bei uns und mit uns leben.“Footnote 80

  3. „Unser Leitgedanke jedoch lautet: „Jede und Jeder gehört zu unserer Gesellschaft und soll uneingeschränkt an allen Bereichen des Lebens in Hamburg teilhaben können.“ Das neue Hamburger Integrationskonzept richtet sich folgerichtig an alle Teile der Gesellschaft. Integration kann nur gemeinsam gelingen, deshalb müssen wir als Hamburgerinnen und Hamburger endlich den Gegensatz des ‚Wir‘ und ‚die Anderen‘ überwinden. Ganz gleich, um wen es geht: Immer stehen die Chancen und Potenziale des Einzelnen im Vordergrund.“Footnote 81

  4. „Dieses Konzept ist ein ‚Wir-Konzept‘, da Integration nur gemeinsam gelingen kann. Es soll auf eine verstärkte Willkommenskultur hinwirken sowie die Vielfalt, Gemeinsamkeit, Weltoffenheit und den Zusammenhalt Hamburgs betonen. Für viele der gesetzten Ziele, insbesondere im Bereich der Interkulturellen Öffnung, ist die Mehrheitsgesellschaft verantwortlich. Die Chancen der Integration bzw. Interkulturellen Öffnung sollen noch besser genutzt werden. Menschen ohne Migrationshintergrund sollen aktiv an der Interkulturellen Öffnung mitwirken. Zugleich sollen die Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund stärker anerkannt und erschlossen werden.“Footnote 82

  5. „Außerdem machte die Integrationsministerkonferenz mit ihrem Leitantrag zur Willkommens- und Anerkennungskultur deutlich, dass Integration nicht nur einseitig von den Zugewanderten, sondern auch von der Mehrheitsgesellschaft ermöglicht und gelebt werden muss. Senator Scheele: „Diesen Paradigmenwechsel hat der Hamburger Senat mit seinem neuen Integrationskonzept bereits vollzogen. Die Einbürgerungskampagne des Ersten Bürgermeisters ist ein großer Erfolg und vermittelt vielen Bürgerinnen und Bürgern das Gefühl dazuzugehören.“Footnote 83

  6. „Joachim Gauck gibt der Debatte neue, kluge Impulse – wie es vor ihm Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz gemacht hat. Seine Idee, Einwanderer direkt zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft einzuladen, war eine kleine Geste mit großer Wirkung – sie war im besten Wortsinn integrativ. Integration ist aber keine exklusive Aufgabe der Politik. Den klugen Worten seines Präsidenten muss das Volk jetzt Taten folgen lassen.“Footnote 84

  7. „Wer, wie Dobrindt, anders argumentiert gefährdet nicht nur die Nationalelf, sondern die Integration insgesamt. Argumentativ bewegt er sich in den Niederungen der 80er-Jahre, wenn er sagt: „Solche wirren Einbürgerungsthesen setzen ein völlig falsches Signal.“ Dabei ist er es, der falsche Signale setzt – er verteilt die Aufgabe der Integration allein an die Zuwanderer. Eingliederung ist aber ein Prozess, der von zwei Seiten kommen muss, vom Zuwanderer wie von der Mehrheitsgesellschaft. Wer wie Dobrindt am liebsten über Integrationsdefizite sprechen möchte, reduziert die Einwanderer wieder auf dieses Problem. Bei vielen Migranten kommt dann die Botschaft an: Ihr gehört nicht dazu.“Footnote 85

  8. „Kimil: Die Medien können eine Führungsrolle übernehmen, positive Beispiele zeigen und Initiativen anregen. Und die Politik sollte dafür sorgen, dass Menschen mit mindestens fünf Jahren festem Wohnsitz in Hamburg an den Bürgerschaftswahlen teilnehmen dürfen. Das steigert die Verantwortung und das Dazugehörigkeitsgefühl (sic!).“Footnote 86

  9. „Ich glaube, Sie haben eine gute Entscheidung getroffen. Und ich bin fest überzeugt: Wer hier lebt, wer hier gern lebt, wer sich auf Deutschland einlassen, sich in Deutschland wohlfühlen und etwas aufbauen will, wer sich zu Deutschland bekennt, muss dann auch alle Rechte und Pflichten haben, alle Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben, an dem, was wir ‚demokratische Willensbildung‘ nennen.“Footnote 87

  10. „Und bitte nutzen sie Ihre neuen Rechte als Deutsche: Bestimmen Sie mit, wie es in Hamburg und in Deutschland weitergeht. Gehen Sie wählen, werden Sie vielleicht sogar selbst politisch aktiv! Wir alle können von Ihrem weiten Horizont und Ihrer Lebenserfahrung profitieren.“Footnote 88

  11. „Ich lade Sie daher ein, dass Sie sich in Ihrer neuen, nun auch offiziellen Heimatstadt engagieren, zum Beispiel in den Vereinen und Schulen. Lassen Sie uns an Ihrer Kultur teilhaben, werden Sie auch politisch aktiv und setzen Sie sich gemeinsam mit anderen für Ihre Interessen ein!“Footnote 89

  12. „Bringen Sie ein, was Sie mitbringen! Mischen Sie sich ein, es gibt viele Möglichkeiten, nicht nur in politischen Parteien, auch in Initiativen vor Ort, in Kindergärten und Schulen, am Arbeitsplatz, in Vereinen und Verbänden. Lassen Sie uns zusammen dafür sorgen, dass Hamburg eine lebendige, liebenswerte und tolerante Metropole bleibt. Und wer weiß, vielleicht kandidiert ja auch schon jemand von Ihnen bei der nächsten Wahl Ihrer Bezirksversammlung 2018 oder in fünf Jahren für einen Sitz in der Hamburger Bürgerschaft.“Footnote 90

  13. „Unsere Botschaft lautet: Wer sich Mühe gibt, muss sein Leben verbessern können. Wer sich anstrengt, verdient und bekommt unsere Unterstützung. Die Perspektive der Einbürgerung soll auch zum Mitmachen animieren, dazu anspornen, sich noch mehr einzubringen in Vereinen und Verbänden, in Sport, Kultur und Politik. Auf Sie kommt es an. Sie sind Hamburg. Noch einmal: Herzlich willkommen!“Footnote 91

  14. „Bürgermeister Ole von Beust: „Es freut mich besonders, dass sich heute ein langjähriger Freund und Mäzen der Hansestadt entschieden hat, seine gefühlte Heimat Hamburg mit dem Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit auch zu seiner offiziellen Heimat zu machen. Er verkörpert wie kein anderer den Geist des hanseatischen Kaufmanns, der seinen beruflichen Erfolg dazu nutzt, das Gemeinwohl zu fördern. Dafür gibt Ian Karan einen Teil seiner eigenen Erfolgsgeschichte weiter und fördert insbesondere junge Menschen mit ausländischem Kulturhintergrund. Sie erhalten so die Chance, ihre persönliche und berufliche Zukunft erfolgreich zu gestalten und ihre eigenen Wege zu gehen, ohne dabei ihre Wurzeln zu vergessen.“Footnote 92

  15. „Im Festsaal des Hamburger Rathauses nimmt der Kinderchor Aufstellung. Noch immer hallen die Worte von Bürgermeister Scholz in meinem Kopf. Dass jeder eine innere Bereitschaft für die Einbürgerung mitbringen müsse. Dass man auch etwas dafür tun müsse. Bin ich in angemessener Stimmung, um Deutscher zu werden? Mein ganzes Leben habe ich hier verbracht. Schule. Studium. Arbeit. Mich meist willkommen gefühlt. Ich glaube, dass ich dazugehöre.“Footnote 93

Deutungsmuster: Wird Integration vom offiziellen Diskurs als gleichberechtigte Teilhabe definiert, so gilt ihm die Einbürgerung als notwendige Voraussetzung dafür, dass Integration vollumfänglich gelingen kann – denn nur durch die Einbürgerung erlangen Zugewanderte gleiche staatsbürgerliche Rechte. Wer Integration fördern will, muss also zwingend auch die Einbürgerung fördern, da das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Nur wer eingebürgert ist hat die Möglichkeit, sich in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen gleichberechtigt einzubringen. Zudem schafft die Einbürgerung eine zusätzliche Motivation, soziale Verantwortung zu übernehmen und die Gesellschaft aktiv mitzugestalten. In diesem Sinne ist die Einbürgerung geradezu ein demokratisches Erfordernis. Das Auseinanderklaffen von Wohn- und Wahlbevölkerung ist für jede Demokratie ein existenzielles Problem und muss daher durch entsprechende politische Maßnahmen bekämpft werden. Ein demokratisches System kann sein Dasein nur rechtfertigen, wenn möglichst viele (im Idealfall alle) an seiner politischen Ausgestaltung beteiligt sind. Auch vor diesem Hintergrund ist eine förderliche Einbürgerungspolitik dringend notwendig.

Kommentar: Hier wird der Bezug zu dem in der Einleitung zu dieser Arbeit abgedruckten Artikelausschnitt aus dem Tagesspiegel offenbar, in welchem Befürworter_innen der Hamburger Einbürgerungsinitiative die Einbürgerung als wesentliche Integrationsvoraussetzung konzipieren. Überdies wird die Rolle des demokratischen Staates als Förderer bzw. als Ermöglicher von Integration und Einbürgerung im Rahmen dieses Deutungsmusters weiter ausgestaltet – ganz besonders vor dem Hintergrund eines drohenden Legitimitätsverlusts durch das fortschreitende Auseinanderfallen von Wohn- und Wahlbevölkerung, wie es auch in Abschnitt 2.2 als Problemstellung thematisiert wurde. Das demokratische Paradigma zieht sich als Leitgedanke durch den gesamten Diskurs und unterstreicht mit seinem Fokus auf staatsbürgerliche Rechte dessen staatsnationalen Anspruch.Footnote 94 Im Folgenden veranschaulichen einige Beispiele diesen Aspekt der offiziellen Storyline:

  1. „Der Entscheidung, sich über die Einbürgerung informieren zu lassen, geht im Regelfall bereits eine weitreichende Integration voraus. Die im Staatsangehörigkeitsgesetz formulierten Einbürgerungsvoraussetzungen können naturgemäß nur nach erfolgter Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse erfüllt werden. Zudem wird auch die Einbürgerung selbst als ganz wesentlicher Integrationsschritt betrachtet. Informationen über weitere Integrationsangebote werden somit nur im Bedarfsfall gegeben.“Footnote 95

  2. „Die Einbürgerung ist aber ebenso ein wichtiger Schritt hin zur Integration, über die bei uns so gern und viel diskutiert wird. Und es stimmt ja auch: Die Eingliederung der Hamburgerinnen und Hamburger mit so genanntem Migrationshintergrund […,] dass wir Sie in das Stadtleben mit gleichen Rechten und Pflichten einbeziehen, als Grundlage für ein gutes Zusammenleben, ist eines der wichtigsten Themen unserer Gesellschaft. Die Einbürgerung muss ein Staatsziel sein.“Footnote 96

  3. „Innensenator Udo Nagel: „Die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen ist mehr, als nur eine Formalie, die man nebenbei auf dem Amt erledigt. Unsere Neubürger haben sich bewusst zu Deutschland als ihrem Land bekannt und übernehmen damit alle Rechte und Pflichten, die für alle Deutschen gelten. Es wäre gut für die Demokratie und den gesellschaftlichen Frieden, wenn sich mehr Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zur Einbürgerung entschließen könnten und sich damit zu ihrer neuen Heimat bekennen würden.“Footnote 97

  4. „Mehr Einbürgerungen. Das müsse „ein zentrales Ziel des deutschen Staats“ werden, sagte der SPD-Vizechef in einem Interview der Nachrichtenagentur dapd in Berlin. „Es war und ist ein Fehler der deutschen Integrationspolitik, dies nicht gezielt zu befördern. Das müssen wir in Ordnung bringen.“, so Olaf Scholz weiter. Denn die Einbürgerung als Lebensperspektive für Migranten fördere eine bessere Integration. Aber Deutschland hinke dabei im internationalen Vergleich hinterher. Das zu ändern, sei nicht nur ein Hamburger Anliegen. „Die Initiative könnte in ganz Deutschland funktionieren.“Footnote 98

  5. „Das Beispiel der Schwabenmetropole, in der mehr als 20 Prozent Nicht-Deutsche leben, deutet auf ein Problem von bundesweiter Dimension. In unserem Lande leben 5,1 Millionen Ausländerinnen und Ausländer seit mehr als acht Jahren. Viele von ihnen sind sogar hier geboren. 5,1 Millionen Frauen, Männer und Kinder gehen zur Kita, zur Schule, zur Arbeit, sind am Gemeinwesen beteiligt. Die Volljährigen dürfen aber nicht den Bundestag wählen, selbst wenn sie in der Schule etwas über Demokratie gelernt haben.“Footnote 99

  6. „Die Einbürgerungszahlen zu erhöhen und Staatsvolk und Bevölkerung nicht dauerhaft auseinanderfallen zu lassen, ist ein schon 1990 vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenes und mittlerweile allgemein anerkanntes integrationspolitisches und staatspolitisches Ziel. Doch die Verfassungswirklichkeit hinkt dem Anspruch fußlahm hinterher.“Footnote 100

  7. „Die Einbürgerung ist der erste Schritt in die richtige Richtung“, meint Simsek. „Menschen, die seit Jahren hier leben und Steuern zahlen, sollten über die Verwendung ihre Steuern entscheiden können.“ Angesichts der Weigerung von CDU/CSU, sich beim kommunalen Ausländerwahlrecht zu bewegen, biete die Einbürgerung für Ausländer die beste Möglichkeit, als Gegenleistung für Pflichten auch Rechte zu bekommen, also z. B. wählen gehen und gewählt werden zu können. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig das ist. Ohne deutschen Pass säße ich nicht in der Bürgerschaft“, betont Simsek. Frau Arslan kann nun mit ihren Kindern genau das tun, was auch Ali Simsek tut: Verantwortung wahrnehmen, Einfluss ausüben und an vielen Bereichen des Lebens teilhaben.“Footnote 101

Die Rolle, die der Einbürgerung hier im Integrationsprozess zugewiesen wird, ihre Positionierung als Schlüsselelement und zentrales demokratisches Staatsziel, führt unmittelbar zum nächsten Aspekt der Phänomenstruktur – nämlich zur Wahrnehmung und politischen Bewertung der Einbürgerung als solcher. Welche Gründe für eine Antragstellung gelten als legitim? Sollten die Hürden hoch oder niedrig sein? Die Antworten auf diese Fragen ergeben sich in logischer Konsequenz aus den bereits eingeführten Deutungsmustern.

Einbürgerung

Deutungsmuster: Der offizielle Diskurs geht davon aus, dass die Identifikation mit Deutschland für die Einbürgerungsentscheidung durchaus eine Rolle spielen sollte und dies in aller Regel auch tut. Dennoch sind auch rein pragmatische Erwägungen durchaus als legitime Gründe für eine Einbürgerung anzusehen (z. B., wenn die deutsche Staatsangehörigkeit persönliche oder wirtschaftliche Vorteile für die/den Einzelne/n mit sich bringt). Dies gilt v.a. auch deshalb, weil angenommen wird, dass eine Einbürgerung so oder so langfristig eine stärkere Identifikation mit und ein vermehrtes Engagement für die deutsche Gesellschaft zur Folge haben wird. Grundsätzlich ist die Einbürgerung für alle Zugewanderten, die ihren Lebensmittelpunkt langfristig in Deutschland sehen, die logische Konsequenz – ob nun aus pragmatischen, oder aus emotionalen Gründen.

Kommentar: Dem hier entwickelten Deutungsmuster zufolge, kann der staatsnationale Diskurs einigermaßen ‚entspannt‘ sein, was die tatsächliche Haltung der Einzubürgernden zum Zeitpunkt der Einbürgerung angeht, weil er ganz offensichtlich auf die integrative Wirkung der Staatsangehörigkeit als solcher vertraut. Diese integrative Wirkung betrifft in erster Linie die Dimension der Identifikation nach Esser. Der staatsnationale Diskurs antizipiert damit die quasi-automatische Ausformung eines demokratischen Bürgersinns – also der Unterstützung des Systems im Austausch gegen staatsbürgerliche Rechte und Freiheiten – vermengt diesen, gerade in Anbetracht der oben wiederholt hervorgetretenen Betonung von emotionaler Verbundenheit, aber mit Vorstellungen von kollektiver Identität – im Sinne der emotional empfundenen Einheit mit dem System. Anders als es letztere Kategorie bei Esser impliziert, wird vom offiziellen Hamburger Diskurs allerdings nicht verlangt, dass die eigenen Bedürfnisse hinter dem Kollektiv zurückstehen. Im Gegenteil: Im staatsnationalen Verständnis fügen sich, das haben die obigen Deutungsmuster gezeigt, individuelle und kollektive Bedürfnisse nahtlos ineinander.Footnote 102 Eine solche Haltung zeigt sich u. a. in den untenstehenden Zitaten:

  1. „Einbürgerung lohnt sich, die deutsche Staatsangehörigkeit hat viele Vorteile. Nach einer Einbürgerung zahlt man nicht mehr nur Steuern, man kann auch mit entscheiden (sic!), wofür sie ausgegeben werden.“Footnote 103

  2. „Die deutsche Staatsangehörigkeit, das Bekenntnis zu unserem Staat und unserer Gesellschaft macht den Alltag leichter: Sie müssen sich nicht mehr um aufenthaltsrechtliche Angelegenheiten kümmern. Und mit einem deutschen Pass in der Tasche können Sie problemlos in viele Länder reisen, für die Sie bisher noch ein Visum brauchen.“Footnote 104

  3. „Ich bin gerne Deutsche, denn der deutsche Pass macht vieles leichter“, sagt Box-Weltmeisterin Susianna Kentikian. „Ich kann wählen und den Weg des Landes mitbestimmen. Als Deutsche habe ich größere Chancen auf einen Arbeitsplatz. Behördengänge, Reisen, Mietverträge – all das und mehr wird leichter. Dazugehören und alle Rechte haben – das bringt auch anderen die deutsche Staatsbürgerschaft. Deshalb unterstütze ich die Kampagne.“Footnote 105

  4. „Carolin Lugo-Heitmann hat sich drei Monate intensiv auf den Einbürgerungstest vorbereitet. Für die 33-jährige Kolumbianerin, die in der Modebranche arbeitet und viel reist, ist die Einbürgerung vor allem aus einem Grund wichtig: „Als Kolumbianerin muss man fast überall ein Visum beantragen, als Deutsche nicht.“Footnote 106

  5. „Von manchen Hürden und Schwierigkeiten hat uns vor einigen Wochen, auch bei einer Einbürgerungsfeier, Frau Jardena Kifle anschaulich erzählt, als ‚Einbürgerungslotsin‘ – und als junge Frau, die das Verfahren zuvor selber mitgemacht hatte. Sie hat nicht verschwiegen, dass sie als Migrantin auch auf Vorbehalte, manchmal auf Vorurteile, auch auf Ablehnung gestoßen ist.

    Manche von Ihnen haben solche Erfahrungen vielleicht auch gemacht. Frau Kifle hat trotzdem keinen Zweifel gelassen, dass es die richtige Entscheidung war und sie es gespürt hat: Als Staatsbürger ist man in stärkerer Weise gefragt mitzumachen, eigene Ideen zu entwickeln, Erfahrungen mit anderen zu teilen und die eigene Meinung zu sagen. Ich bin sicher, so wird es Ihnen auch gehen.“Footnote 107

  6. „Die Einbürgerung ist viel mehr als ein Verwaltungsakt. Sie ist das Bekenntnis zu unserem Staat und zu unserer Gesellschaft. Wer hier schon länger lebt und die Voraussetzungen erfüllt, sollte auch deutscher Staatsbürger werden, weil nur dann alle Möglichkeiten der Teilhabe bestehen“, sagte Scholz und bezeichnete die Initiative als wichtigen Beitrag zur Integration.“Footnote 108

  7. „Bürgermeister Christoph Ahlhaus: „Es ist wieder ‚in‘ Deutscher zu werden. Das zeigt nicht nur die positive Bilanz der erfolgreichen Einbürgerungskampagne des Hamburger Senats. Es gibt viele gute Gründe Deutscher zu werden: die freie Wahl des Wohnsitzes, visafreie Reisemöglichkeiten, die uneingeschränkte Berufsfreiheit und das vollständige Wahlrecht. Viele von Ihnen haben sich zudem ganz bewusst dafür entschieden, in unserer Stadt Hamburg zu leben. Daher mein (sic!) Bitte: Bringen Sie sich in den Dialog der Kulturen ein, geben Sie Ihre Erfahrungen weiter und leisten Sie Ihren Beitrag zu einem friedlichen und demokratischen Miteinander in unserer Stadt.“Footnote 109

  8. „Sie sind Teil der Gesellschaft – werden Sie auch rechtlich gleichberechtigt und entscheiden Sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit.“Footnote 110

Deutungsmuster: Gegenüber den mannigfaltigen Gründen eine Einbürgerung anzustreben, gibt es – dem offiziellen Diskurs zufolge – kaum wirklich triftige Gründe, dies nicht zu tun. Die meisten Hinderungsgründe, die vermeintlich gegen eine Einbürgerung sprechen, sind entweder auf mangelnde Information und Unwissenheit zurückzuführen, auf überzogene und z. T. diskriminierende Integrationserwartungen in Politik und Gesellschaft, oder aber auf unverhältnismäßig hohe Hürden im Einbürgerungsprozess. Integration (im Sinne von Teilhabe) verlangt hingegen vielmehr möglichst niedrige Hürden, sodass alle, die sich einbürgern lassen wollen, dies auch unproblematisch tun können. Natürlich gibt es einige Voraussetzungen, die für eine Einbürgerung zwingend erfüllt sein müssen, damit der gemeinsame gesellschaftliche Rahmen gewahrt bleibt und das Zusammenleben funktionieren kann. Viele Anforderungen der aktuellen Einbürgerungspraxis sollten jedoch noch einmal überdacht und auf ihre Sinnhaftigkeit und Angemessenheit hin überprüft werden. So wird beispielsweise das Gebot der Vermeidung von Mehrstaatigkeit der modernen Lebensrealität nicht gerecht und muss abgeschafft werden.

Kommentar: Die Forderung nach niedrigen Einbürgerungshürden ist eine logische Folgerung aus dem demokratischen Integrationsbegriff, der staatsnationalen Integrationserwartung und der weiter oben bereits angesprochenen Diskursverschränkung mit den Themen Mehrstaatigkeit und Optionspflicht in Anbetracht eines konstruktivistischen Konzepts von Identität. Sie korrespondiert des Weiteren auch mit Benhabibs theoretischen Vorstellungen hinsichtlich einer transnationalen Staatsbürgerschaft.Footnote 111 Überdies kann die gewisse ‚Sorglosigkeit‘ des offiziellen Diskurses (bezogen auf den sozialen Schließungsmechanismus der Einbürgerung) auch auf die weiter oben angesprochene Subjektposition des/der ‚guten Migrant_in‘ bzw. des/der ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘ zurückgeführt werden, die wiederum mit der historischen Konstruktion einer positiven nationalen Migrationserfahrung und – in ihrem letztendlichen Ursprung – mit dem eingangs definierten Kulturbegriff zusammenhängt, der kulturelle Vielfalt einerseits normalisiert und andererseits positiv als (Human)Kapital konnotiert. Bezeichnend ist außerdem, dass – so viele legitime Gründe es auch für eine Einbürgerung zu geben scheint, keinerlei legitime Gründe anerkannt werden, sich gegen eine Einbürgerung zu entscheiden. Auch hierin wird die nationalistische Zielsetzung des Diskurses noch einmal offenbar: Zuwandernde sollen zum gleichwertigen Teil von Staat und Nation werden. Dass eine Verweigerung dessen (die letztlich immer auch ein Ausscheren aus der diskursiv erzeugten kulturellen Wirklichkeit bedeutetFootnote 112) nicht als feindliche Handlung, sondern vielmehr als verzeihlicher Irrtum interpretiert wird, der (z. B. mit Hilfe einer Einbürgerungsinitiative) leicht revidiert werden kann, zeugt abermals davon, wie machtvoll die Subjektposition des/der ‚guten Migrant_in‘ sich im Diskursfeld auswirkt. Dieser Umstand spiegelt sich nicht zuletzt auch in den nachfolgenden Beispielen wider:

  1. „Den Schritt ‚Vom Hamburger zum Staatsbürger‘ zu gehen, trauen sich manche Menschen aber nicht, weil sie ein langes und bürokratisches Verfahren scheuen. Andere sind unzureichend über das Einbürgerungsverfahren und die mit einer Einbürgerung verbundenen Vorteile informiert. Wieder andere sind bei den ersten Schritten auf Probleme gestoßen und haben das Vorhaben Deutsche zu werden deshalb nicht weiter verfolgt.“Footnote 113

  2. „Sie ist von der Senatsbehörde mit der Leitung der Einbürgerungskampagne beauftragt worden und war überrascht, wie groß die Angst der Ausländer vor den Behörden war. „Es besteht wirklich großes Interesse an Beratung“, sagt sie. „Doch die Gerüchte über ein kompliziertes Einbürgerungsverfahren verhinderten bisher in vielen Fällen den Gang zum Amt.“Footnote 114

  3. „Vor allem die Togoer hätten vorsichtig und skeptisch reagiert, berichtet Celikkol. Denn um in Deutschland eingebürgert zu werden, müssen sie sich wie alle Nicht-EU-Bürger in ihrem Herkunftsland zunächst ausbürgern lassen.

    Das Konsulat hatte den Togoern in Hamburg aber mitgeteilt, sie müssten für diesen Schritt extra nach Togo reisen – was sich die meisten von ihnen nicht leisten können. Iran, Syrien und Ägypten bürgern dagegen gar nicht aus. In all diesen Fällen wird den Menschen trotzdem die deutsche Staatsbürgerschaft zugesprochen und die doppelte Staatsangehörigkeit toleriert“Footnote 115

  4. „Im Frühling 2010 stand ich in einem dürftig beleuchteten Flur des Einwohner-Zentralamtes in Hamburg. Linoleumboden, pastellfarbener Beton. Was kommt jetzt auf mich zu? Unzählige Formulare? Unfreundliche Beamte? Womöglich ein Einbürgerungstest?

    Sachbearbeiter V bis Z öffnete die Tür. „Guten Morgen, Olaf Petersen“, sagte er, ein freundlicher Mann Ende 30, Hamburger Tonart. Er wies mir einen Stuhl zu. Ich sagte, dass ich in Deutschland Abitur gemacht und studiert habe. Nun als Journalist arbeite. Frage: Brauche ich auch einen Sprach- oder Einbürgerungstest?

    Petersen schaute in meine Unterlagen: „Alles kein Problem bei Ihnen. Abiturzeugnis reicht als Sprachnachweis. Sie haben sogar einen Rechtsanspruch auf die Einbürgerung.“Footnote 116

  5. „Jahrzehntelang haben wir gefordert, dass wir uns in Deutschland als Einwanderer betrachten, aber das wurde sehr lange Zeit abgelehnt. Das hat dazu geführt, dass sich viele Zuwanderer eben nicht willkommen gefühlt haben. Aber wie können Sie eine Perspektive in einem solchen Land entwickeln, in dem Sie zwar Wurzeln geschlagen haben, aber keinerlei politische Mitwirkungsrechte haben?

    Wir wollen auch unsere eigene Kultur hier einbringen und die deutsche Kultur mit aufnehmen – ganz entspannt – so wie die Bürger dieses Landes, die die deutsche Staatsangehörigkeit von Geburt an haben. So lange (sic!) dies nicht möglich war, war die Haltung zur Einbürgerung eher reserviert. Wenn man die deutsche Staatsbürgerschaft annimmt, muss man sich auch mit diesem Land identifizieren ansonsten hat es keinen Sinn. Auch für die Deutschen nicht.“Footnote 117

  6. „Ich habe durch meine Geburt das recht (sic!) auf den Goldenen (sic!) Adler auf roter Pape (sic!), und wenn ich so nachdenke wäre mir das an vielen Grenzen an denen ich bisher stand einige Monate lernen wert, ich hoffe das (sic!) Frau Lugo-Heitmann auch in den Genuss kommt, sie hätte sich die Vorzugsbehandlung nämlich wenigstens selbe (sic!) erarbeitet und nicht wie ich und so manch anderer hinterher geschmissen (sic!) bekommen.“Footnote 118

  7. „Um das Tempo bei der Einbürgerung zu erhöhen, wäre nicht nur die in den Koalitionsvertrag aufgenommene Aufhebung des Optionszwangs nötig, sondern auch eine generelle Akzeptanz der doppelten Staatsangehörigkeit – allerdings scheint die Chance auf Umsetzung derzeit gering.“Footnote 119

  8. „Die Vorteile der deutschen Staatsbürgerschaft werden nämlich auch deshalb noch zu wenig in Anspruch genommen, weil manche Nachteile im Umgang mit dem Herkunftsland befürchten. Die doppelte Staatsbürgerschaft würde hier Abhilfe schaffen.“Footnote 120

  9. „Immerhin werden in Hamburg bereits heute fast 60 Prozent der Antragstellerinnen und Antragsteller als so genannte ‚mehrstaatige‘ eingebürgert. Es wird Zeit, dass wir für alle diese Hürde abbauen.“Footnote 121

  10. „Die Entscheidung, sich um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bewerben, fiel 2011. „Für mich war es lange eine innere Hürde, dass die doppelte Staatsbürgerschaft nicht möglich ist.“

    An der russischen aber hing Kuchenbecker, weil ihre Familie noch in Russland wohnt und sie jetzt ohne russischen Pass nur mit Visum einreisen kann. Doch das Gespräch mit einer Integrationslotsin – sie sind Bestandteil der Kampagne – überzeugte Lioubov Kuchenbecker. „Die Staatsangehörigkeit ist doch das letzte i-Tüpfelchen der Zugehörigkeit“, sagt sie heute.“Footnote 122

  11. „Verglichen mit skandinavischen Ländern sind unsere Einbürgerungsvoraussetzungen sehr hoch. Doch zeigt sich, dass schon mit der geltenden Rechtslage bessere Ergebnisse erzielt werden können, wenn der politische Wille denn da ist.“Footnote 123

  12. „Deutschland ist nach den USA das beliebteste Einwanderungsland. Bei den Einbürgerungen von Ausländern gehört es aber zu den Schlusslichtern. Fachleute fordern eine weitere Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.“Footnote 124

  13. „Eine einbürgerungsfördernde Politik muss breiter angelegt sein und verlangt mehr als nur Gesetzesänderungen. Die Zuständigkeit für die Umsetzung des Staatsangehörigkeitsrechts liegt bei den Ländern. Dort und bei den regional zuständigen Einbürgerungsbehörden bestehen beträchtliche Spielräume. Wie groß diese tatsächlich sind, wird oft unterschätzt. Zwar gibt es Verwaltungsvorschriften und Anwendungshinweise des Bundes, doch beantworten diese nicht alle Fragen oder sind nicht rechtsverbindlich. Auch die Länder haben nur zum Teil Vorschriften erlassen, mit denen sie die Einbürgerungspraxis nach oben oder unten steuern können. Eine Untersuchung des Mediendienstes Integration zeigt, wie unterschiedlich die Spielräume tatsächlich genutzt werden. Die Einbürgerungsquoten divergieren nach Bundesländern zwischen 4,7 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 1,65 Prozent in Baden-Württemberg und innerhalb der Bundesländer (zum Beispiel in Rheinland-Pfalz: Koblenz 4,85 Prozent und Pirmasens 0,72 Prozent) enorm stark.“Footnote 125

  14. „Einer der wichtigsten Faktoren ist die Personalausstattung. Ein Mehr an Sachbearbeitenden hilft, die Bearbeitungszeiten zu verkürzen, durch gute Beratung Frustrationen vorzubeugen und so die Antragszahlen zu erhöhen. Hilfreich ist es auch, die Verfahren zu verschlanken, wie Hamburg es vormacht...“Footnote 126

  15. „Das ist übrigens das genaue Gegenteil von ‚Verramschen des deutschen Passes‘, wie es neulich jemand bezeichnen zu müssen glaubte. Vielmehr ist es ein sehr gutes Angebot, denn der deutsche Pass taugt ja etwas. Den können wir jederzeit präsentieren und denjenigen, die es wollen und die Voraussetzungen erfüllen, damit eine bessere Teilhabe ermöglichen. Indem wir auch ihren Elan und Optimismus nutzen. Das ist früher viel zu wenig gemacht worden.“Footnote 127

Insbesondere der hier dargelegte Anspruch an niedrige Hürden im Einbürgerungsprozess bildet die Überleitung zum letzten Deutungselement der Storyline – der Bewertung der Hamburger Einbürgerungsinitiative, ihres Ansatzes und ihrer Erfolge. Da es sich im vorliegenden Fall um den offiziellen Diskurs der Initiative handelt, ist anzunehmen, dass seine Bewertung derselben durchaus positiv ausfallen wird. Diese Schlussfolgerung ergibt sich überdies in logischer Konsequenz aus den weiter oben beschriebenen Deutungsmustern und soll im Folgenden argumentativ begründet werden.

Einbürgerungsinitiative

Deutungsmuster: Wie bereits gezeigt wurde, begreift der offizielle Diskurs die Einbürgerung als zentrale Voraussetzung für Integration im Sinne von Teilhabe. Überdies wird davon ausgegangen, dass der Staat als Förderer einen wesentlichen Beitrag dazu leisten muss, dass Integration überhaupt gelingen kann. Vor diesem Hintergrund plädiert der offizielle Diskurs dafür, die Einbürgerung mit politischen Mitteln zu bewerben – so z. B. im Rahmen der Hamburger Einbürgerungsinitiative. Einbürgerungsförderung sollte dabei sowohl Werbe- als auch Aufklärungsmaßnahmen umfassen. Einbürgerungswerbung muss Zugewanderte auf emotionaler Ebene ansprechen, ein Zeichen des Willkommens und der Wertschätzung setzen. Einbürgerungsaufklärung muss Wissen vermitteln, über die Vorteile einer Einbürgerung sowie über ihre Voraussetzungen informieren, Ängste und Unsicherheiten abbauen und mit falschen Befürchtungen aufräumen. Des Weiteren sollte Hilfestellung bei der Überwindung bürokratischer Hürden angeboten werden. Diese Begleitung und Beratung muss möglichst niedrigschwellig und sensibel für die spezifische Lebenssituation der Betroffenen sein. Am effektivsten wird die Einbürgerung daher durch Menschen mit Migrationshintergrund beworben, die den Einbürgerungsprozess selbst durchlaufen haben. Für die Motivation der Zielgruppe, sowie auch für die Bewerbung von Integrationspolitik in der Öffentlichkeit, eignen sich v.a. Vorbilder mit eigener Einbürgerungserfahrung und erfolgreichem Lebenslauf – also Personen, die Maßstäbe dafür setzen, was im Rahmen von Integration (im positiven Sinne) möglich ist. Schlüssel zu einer guten Einbürgerungskampagne ist überdies die persönliche, wertschätzende Ansprache potenzieller Einbürgerungsinteressent_innen (als beispielhaft gilt hier v.a. die Hamburger Briefaktion). Diese persönliche Ansprache ist ein Zeichen gelebter ‚Willkommenskultur‘ und stößt bei den Migrant_innen allgemein auf große Resonanz.

Kommentar: Im Rahmen dieses Deutungsmusters wird nicht nur die Rolle des ‚Staates als Förderer‘ aktualisiert, überdies wird auch der zentrale Zusammenhang von Macht und Wissen ausformuliert, den der Diskurs – als kulturelle Wirklichkeitskonstruktion – zwangsläufig konstituieren muss. Um seinem Wirklichkeitsanspruch gerecht zu werden – das heißt, um die von ihm adressierten Zielgruppen von seiner Wirklichkeit zu überzeugen – muss er, ganz entsprechend Foucaults Machtvorstellung, Wissen produzieren. Dies tut er zuallererst in Form der Hamburger Einbürgerungsinitiative mit ihrer weitreichenden Werbewirkung, sowohl auf potenziell Einzubürgernde, als auch auf die allgemeine Öffentlichkeit.Footnote 128 Zum Zweck der Wissensproduktion stehen ihm in diesem Kontext verschiedene Ressourcen, Strategien und Institutionen im Luckmann’schen Sinne zur Verfügung.Footnote 129 Da sind zum einen Emotionalisierungstechniken zu nennen, wie etwa die von Wilce identifizierte emotionale Vergemeinschaftung von Sprechenden und Publikum (etwa durch die persönliche Ansprache im Rahmen des Bürgermeisterbriefs) oder die Nutzung von individuellen Fällen und ‚Vorbildern‘ zur Erzeugung von Empathie und Motivation.Footnote 130 Die Subjektposition des/der ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘ ist hierbei eine wichtige Ressource für die Inszenierung von Werbeträger_innen und sie wird zudem insofern erweitert, als Einzubürgernde (ob ihrer eigenen Erfahrungen quasi-automatisch) in erhöhtem Maße dazu prädestiniert (und ausdrücklich aufgefordert) sind, eigenständig Werbung für die Einbürgerung zu machen. Überdies ist der dispositive Komplex aus behördlicher Einbürgerungsabteilung, TGH-Lotsenprojekt, Einbürgerungsfeiern und nicht zuletzt der zentralen Person des Hamburger Ersten Bürgermeisters mit ihrem großen symbolischen Kapital ein wesentliches Werkzeug für die diskursive Machtausübung (wobei noch einmal zu betonen ist, dass Macht hier nicht im Sinne von Herrschaft verstanden werden soll).Footnote 131 Gerade im Hinblick auf das TGH-Lotsenprojekt ist interessant, dass – wie in Abschnitt 3.3 erörtert wurde – die wiederholte Betonung von migrantischen Communities als Bezugs- und Ansatzpunkt sowie auch die Betonung der gruppenbezogenen kulturellen Kompetenzen der Lots_innen mit ihrem tendenziellen Kollektivismus dem ausgesprochenen Individualismus des diskursiven Kultur- und Identitätsbegriffs eigentlich zuwiderlaufen. Im Rahmen der massenmedialen Vermarktung und Legitimierung des Projekts tut sich – wie man in Abschnitt 3.3 gesehen hat – gewissermaßen ein neuer Seitenarm des Diskurses auf, der seinerseits vage Assoziationen mit dem theoretischen Programm des Multikulturalismus weckt (auch wenn er aus dieser Tatsache keinerlei partikularpolitische Forderungen ableitet).Footnote 132 Diese abweichende Deutungslinie ist zwar aus der Projektpraxis heraus erklärbar, macht allerdings zugleich auch ein latentes Legitimationsproblem des offiziellen Diskurses deutlich, wie es in Abschnitt 4.3 dieser Arbeit sowie im Rahmen der verschiedenen Abschnitte von Kapitel 5 noch weiterführend beleuchtet werden wird: Der staatsnationale Diskurs mit seinem konstruktivistischen Kultur- und Identitätsbegriff und seinem demokratischen Integrationsbegriff prallt in der öffentlichen Debatte auf hochgradig essentialistische und assimilationstheoretische Vorstellungen. Diese Vorstellungen sind in der deutschen Gesellschaft so dominant, dass es schwierig ist, die Themen Kultur und Integration argumentativ zu begründen, ohne diese konkurrierenden Deutungslinien mitzudenken oder auch teilweise in sie hinüberzugleiten. Abschnittsweise ist diese Inkonsistenz auch bereits an einigen der obenstehenden Zitate deutlich geworden, beispielsweise wenn einerseits proklamiert wird, Einbürgerung sei die wichtigste Integrationsvoraussetzung, zugleich aber hervorgehoben wird, dass ein Großteil der erforderlichen Integrationsleistung (seitens der Migrant_innen) zum Zeitpunkt der Einbürgerung bereits erbracht worden ist. Ungeachtet dieses (durchaus wesentlichen) Bruchs in der symbolischen SinnweltFootnote 133 des offiziellen Diskurses, muss zusammenfassend dessen Verfasstheit als Macht/Wissen-Regime unterstrichen werden. Die nachfolgenden Zitate geben einen ersten Einblick in die Strategien und Logiken der Macht/Wissen-Produktion. Diese werden auch im weiteren Verlauf noch von Interesse sein, u. a. wenn es im Kontext der Diskursproduktion um die offiziellen Hamburger Einbürgerungsfeiern geht oder Abschnitt 5.4 sich mit der Detailanalyse dominanter Machttechniken im Diskursfeld befasst:Footnote 134

  1. „…ein bekannter deutscher Kabarettist und Wortkünstler – Karl Valentin – hat vor langer Zeit einmal gesagt: „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“.

    Ich empfinde diesen Satz als persönlichen Ansporn. Denn ich möchte, dass Sie, meine Damen und Herren, sich in Hamburg heimisch fühlen. Ich möchte, dass Sie sich zugehörig fühlen mit allen Rechten und Pflichten, und dass es auch tatsächlich so ist. Ich möchte, dass Sie wählen, dass Sie sich politisch beteiligen und alle Möglichkeiten der Teilhabe am öffentlichen Leben nutzen. Und ich wünsche mir, dass wir gemeinsam die Gegenwart Hamburgs gestalten und an der Zukunft der Stadt arbeiten.

    Dafür ist die deutsche Staatsbürgerschaft nicht nur ein gutes Mittel. Dafür ist sie in vielen Punkten die Voraussetzung. Deshalb werbe ich für die deutsche Staatsbürgerschaft.“Footnote 135

  2. „Die Einbürgerung bietet die besten Voraussetzungen für eine rechtliche Gleichstellung und gleichberechtigte Teilhabe gerade im Hinblick auf die vollständige politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund. Einbürgerung und politische Mitgestaltung sind deshalb ein thematischer Schwerpunkt des Integrationskonzepts. Die Zahl der Einbürgerungen ist daher auch ein wichtiger Indikator im neuen Hamburger Integrationskonzept (Drs. 20/7049). Die Einladung zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft ist zudem Ausdruck der Willkommenskultur und des Wunsches, die ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürger durch die Einbürgerung auch im vollen rechtlichen Sinne teilhaben zu lassen. Die erfreulich große Resonanz auf das verstärkte Engagement des Senats ist auch ein Hinweis auf die Integrationsbereitschaft und den Umstand, dass ein großer Teil der Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg längst ein Teil der Gesellschaft geworden ist.“Footnote 136

  3. „Großartig unterstützt werden diejenigen, die sich dazu entschließen, von unseren engagierten ehrenamtlichen Einbürgerungslotsen, die sensibel und kompetent auf alle Fragen rund um die Einbürgerung vorbereiten. Sie informieren über die Chancen, beraten und begleiten die Bewerber. Mit großem Erfolg: Im ersten Quartal konnten wir die Zahl der Einbürgerungsanträge um mehr als 30 Prozent steigern. Die Zahl der Beratungsgespräche hat sich fast verdoppelt. Viele Unklarheiten konnten ausgeräumt werden.“Footnote 137

  4. „Das Team der Einbürgerungslotsen besteht aus erfahrenen Personen aus Ihrer jeweiligen Community, die mit Ihrer Kultur und mit dem Thema ‚Einbürgerung‘ vertraut sind.“Footnote 138

  5. „Danach hielt Jardena Kifle, Einbürgerungslotsin im Projekt „Ich bin Hamburger!“ der TGH, eine sehr authentische und bewegende Festrede. Sie ist mit ihrer Familie als 3jährige als Flüchtlinge aus Eritrea nach Deutschland gekommen, habe schnell die Sprache gelernt und für sich festgestellt, dass sie mit den Werten in Deutschland eine Chance gesehen hat, sich hier zu verwirklichen. Und das hat sie getan und ein 3sprachiges Studium zur Kulturmanagerin in den Niederlanden absolviert.

    Als sie von dem Einbürgerungsprojekt erfahren hat, hat sie gedacht, sofort als Lotsin ehrenamtlich tätig werden zu wollen, denn sie dachte an ihre eigene Einbürgerungszeit und wie gern sie Untersützung (sic!) erfahren hätte. Sie beglückwünschte die Neu-Eingebürgerten, wünschte ihnen alles Gute und betonte, dass durch den deutschen Pass nicht alles sofort einfach ist, aber vieles einfacher!“Footnote 139

  6. „Da Jardena Kifle selbst Migrantin ist, wirkt sie besonders überzeugend, wenn sie sagt: „Als Deutsche kann ich wählen, reisen und arbeiten, der Ausweis öffnet mir Türen.“Footnote 140

  7. „Es wäre schön, wenn sich noch viel mehr Mitbürger entschließen könnten, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Das mag nicht immer leicht sein und Sie werden dazu Ihre eigenen Geschichten erzählen können. Aber Sie haben es jetzt geschafft! Genießen Sie also diesen Tag – und machen Sie vielleicht auch ein bisschen Werbung für die deutsche Staatsbürgerschaft, damit Ihre Freunde und Verwandten, die noch zögern, ebenfalls mitmachen.“Footnote 141

  8. „Wer sich von Ihnen für Sport interessiert, hat vielleicht schon einmal von Arawat Sabejew gehört. Er ist ein aus Kasachstan stammender Ringer. Er wurde schon zu Zeiten der Sowjetunion Junioren-Weltmeister, Europameister und später – nach seiner Übersiedlung nach Deutschland und seiner Einbürgerung hier – sogar Weltmeister, Olympia-Neunter und sechsfacher deutscher Meister und Vizemeister. Arawat Sabejew hat einmal gesagt: „Deutschland ist kein Traumland, aber ein Ort, wo man seine Träume erfüllen kann.“Footnote 142

  9. „Keine Frage, unsere deutschen Spieler mit Migrationshintergrund sind tolle Vorbilder für die Integration, Beispiele, die – wie ich finde – Mut machen. Davon kann sich die Gesellschaft viel abgucken.“Footnote 143

  10. „Ahmet Yazici ist 1965 in Antakya, Türkei geboren. Er ist gelernter Diplomkaufmann und heute Geschäftsführer der Lindenbazar Handels GmbH. 1993 hat Ahmet Yazici seinen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Er lebt seit 1994 in Hamburg, aktuell in Jenfeld.

    Was verbinden Sie mit Deutschland?

    Demokratie, Menschenrechte, Wohlstand.

    Warum haben Sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden?

    Weil ich mich hier zu Hause fühle.“Footnote 144

  11. „Stefan Schmidt, der Beauftragte für Zuwanderungsfragen des Landes Schleswig-Holstein, blickt voller Neid aufs Nachbarland Hamburg. Dort wurde im November 2010 die Werbekampagne „Hamburg. Mein Hafen. Deutschland. Mein Zuhause“ gestartet. Prominente warben auf Plakaten dafür, die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Seit Dezember 2011 werden die Bürger direkt angesprochen. Monat für Monat erhalten 4000 Ausländer, die schon länger in Hamburg leben, einen Brief vom Bürgermeister Olaf Scholz. Die Hamburger gehen nach Alphabet vor. In diesen Tagen bekommen diejenigen Post, deren Nachnamen mit ‚Gün-‘ beginnen. „Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie sich für die Einbürgerung entscheiden würden“, heißt es in den Schreiben. Schmidt findet: „Ein offensives Werben um Einbürgerung ist sinnvoll, das sollten wir auch tun.“Footnote 145

  12. „Der Senat stellt in seiner Antwort auf eine Anfrage des SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Kazim Abaci fest, „dass das persönliche Werben des Bürgermeisters als positives Signal einer gelebten Willkommenskultur wahrgenommen wird und eine enorme Sogwirkung entfaltet hat“.“Footnote 146

  13. „Viele Leute mit Migrationshintergrund haben mir gesagt, dass es für sie das Größte wäre, vom deutschen Staat zu einer Einbürgerung eingeladen zu werden. Das tun wir jetzt. Diese Aktion ist in Deutschland ohne Vorbild. Ich bin gespannt, wie viele der Angeschriebenen darauf reagieren und den Prozess der Einbürgerung angehen.“Footnote 147

  14. „Für den türkischstämmigen SPD-Bürgerschaftsabgeordneten Ali Simsek (39) ist die Einbürgerungs-Initiative (sic!) ein wichtiger Schritt für mehr Integration: „Viele erzählen mir voller Stolz von dem Bürgermeister-Brief. Manche bitten mich auch um Unterstützung. Das mache ich natürlich gern.“Footnote 148

  15. „…dieses Beispiel zeigt, wie sehr die Briefaktion, das Lotsen-Projekt und die Einbürgerungsfeiern die Hamburgerinnen und Hamburger mit internationalem Hintergrund emotional erreichen. Wie sehr Sie, meine Damen und Herren, dazu beitragen, dass diese Bürgerinnen und Bürger sich mit unserer Stadt, mit unserem Land identifizieren und Lust bekommen, sich für unser Gemeinwesen einzusetzen. Und genau das wollen wir mit dieser Einbürgerungsinitiative erreichen.“Footnote 149

  16. „Wer persönlich dazu eingeladen wird, die deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen, ist motivierter. Wer dabei unterstützt wird von anderen, die das Verfahren bereits durchlaufen haben, ist zuversichtlicher. Und wer als deutsche Staatsbürgerin oder deutscher Staatsbürger feierlich im Rathaus begrüßt wird, freut sich mehr.“Footnote 150

Deutungsmuster: Als besonders wichtiges Element der politischen Einbürgerungsförderung erachtet der offizielle Diskurs die Ausrichtung von festlich ausgestalteten Einbürgerungsfeiern. Die Einbürgerung ist ein Akt des Grenzübertritts, der einer feierlichen Form bedarf. Dies gilt ganz besonders deswegen, weil Migration und Integration für Zugewanderte z. T. große Anstrengungen bedeuten und die diesbezüglichen Leistungen in angemessener Form gewürdigt werden müssen. Der feierliche Rahmen ist überdies ein Ausdruck von ‚Willkommenskultur‘ und trägt zur Stärkung des gesellschaftlichen Zugehörigkeitsgefühls bei. Die symbolische Anerkennung der Mitgliedschaft ermutigt dazu, sich für sein Land und seine Mitbürger sozial wie politisch zu engagieren und sich als aktiver Teil der Gesellschaft zu fühlen.

Kommentar: Wie schon im vorangegangenen Deutungsmuster tut sich auch hier wiederum ein Spalt zwischen dem umfassenden, gesamtgesellschaftlichen Integrationsbegriff auf, wie er weiter oben formuliert wurde, und der partikularen Betonung von (einseitigen) Integrationsleistungen seitens der Migrant_innen, die ihrerseits im Rahmen der Einbürgerungsfeiern gewürdigt werden sollen. Diese auffällige Betonung eines positiven migrantischen Integrationsbeitrags ist dabei keineswegs selbstverständlich. Im Sinne seines staatsnationalen Anspruchs könnte der offizielle Diskurs sich sehr wohl auch im Kontext der Feiern darauf beschränken, die freiwillige Entscheidung zur nationalen Mitgliedschaft, die daraus entstehenden Rechte und die integrative Identifikationserwartung in den Vordergrund zu rücken (wie er es in wesentlichen Teilen seiner Inszenierung ja auch tut). Während im sonstigen Diskurs eindeutig die demokratischen Rechte im Mittelpunkt einer theoretischen Ausgestaltung des Integrationsbegriffs stehen, fokussiert die Argumentation im Hinblick auf die Einbürgerungsinitiative – und ganz besonders im Hinblick auf die Feiern – indes sehr viel stärker auch die erfolgreiche Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten schon bevor der Status des/der Staatsbürger_in erreicht wurde. Warum ist das so? Eine abschließende Antwort kann an dieser Stelle nicht gegeben werden. Vielmehr muss auf die sich in Abschnitt 4.2 anschließende Darstellung des dominanten Gegendiskurses verwiesen werden, der – ganz entgegen dem offiziellen Diskurs – in eine essentialistische bis kulturfundamentalistische Richtung ausschlägt und in diesem Zusammenhang erhebliche (!) Integrationsanforderungen an Migrant_innen stellt. Mit seiner gespaltenen Argumentationslinie – so die hier entwickelte These – trägt der staatsnationale Diskurs diesem Umstand Rechnung und greift damit vor allen Dingen die (negativen) Emotionen auf, die erwartbarer Weise aus der Konfrontation der Einzubürgernden mit dem restriktiven Gegendiskurs erwachsen. Somit wird durch die Hervorhebung extensiv (und einseitig) erbrachter Integrationsleistungen der kulturassimilative Anspruch des Gegendiskurses ad absurdum geführt und die erfahrene Diskriminierung (bzw. deren Überwindung) in ein Zeichen von persönlichem Erfolg und Selbstverwirklichung ‚against all odds‘ umgewertet. Das wiederum passt hervorragend zur Subjektposition des/der ‚guten Migrant_in‘ bzw. des/der ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘. Ganz im Sinne von Laclau und Mouffe konstituiert der Diskurs seine Subjektpositionen demnach aus einem gesellschaftlichen Antagonismus heraus, indem er bei der Ausformulierung seiner Identitätsangebote deren konträres Gegenstück immer schon mitdenkt.Footnote 151 Das zeigt sich u. a. daran, dass in den obigen Zitaten (sowie auch in der weiteren Debatte) mehrfach die in der Einführung zu dieser Arbeit angeführte Aussage Alexander Dobrindts – Hamburg ‚verramsche‘ mit seiner Einbürgerungsinitiative den deutschen Pass – zitiert und argumentativ widerlegt bzw. als ‚realitätsfern‘ verworfen wird. Während der dominante Gegendiskurs Migration als Problem und die Einbürgerung als ‚gefährlich‘ charakterisiert, entkräftet der offizielle Diskurs diese negativen Zuschreibungen mit seinem positiven Rollenangebot. Ähnlich wie Fredrik Barth es in Bezug auf ethnische Gruppengrenzen formuliert hat und wie auch Eriksen es immer wieder betont, entstehen Identitäten im ‚Aufeinanderprall‘ mit dem, was sie jeweils nicht sind.Footnote 152 Gerade die positiv aufgewerteten, emotional aufgeladenen Identitätsangebote, welche die Diskurse ihren Adressat_innen wechselseitig eröffnen, tragen dann auch dazu bei, dass ihre etwaigen Inkonsistenzen nicht als solche erkannt werden. Integration als gesamtgesellschaftlicher Prozess zur Herstellung demokratischer Teilhabe und Integration als individuell erbrachte Erfolgsleistung können als Konzepte daher friedlich miteinander koexistieren.Footnote 153 Die nachfolgenden (Teil-)Kapitel werden diese These weiterführend untermauern. Zunächst aber geben die untenstehenden Zitate einen Einblick in die hier erörterte Deutungslinie:

  1. „Innensenator Udo Nagel: „Wer die Voraussetzungen für eine Einbürgerung erfüllt hat, hat es verdient, dass dies auch in einem entsprechenden Rahmen anerkannt wird. Der Senat will mit den Einbürgerungsfeiern die Eingebürgerten besonders in der Gemeinschaft der deutschen Staatsangehörigen willkommen heißen. Außerdem soll deutlich werden, dass Einbürgerungen keine Routine sind, sondern ganz spezielle, nicht alltägliche Vorgänge. Mit den Feiern möchte der Senat auch die Hinwendung der neuen Staatsangehörigen zu unserer Gesellschaft und ihre jahrelangen Integrationsanstrengungen würdigen.“Footnote 154

  2. „Die Einbürgerungsfeiern sind ein besonderes Zeichen des Willkommens in Hamburg. Mit dem Festakt im Großen Festsaal des Rathauses unterstreicht der Senat die Bedeutung der Einbürgerung für Hamburg und bringt damit seine besondere Wertschätzung für jeden Einzelnen zum Ausdruck.“Footnote 155

  3. „In Hamburg wird es künftig zentrale Einbürgerungsfeiern geben. Dies hat der Senat während seiner heutigen Sitzung beschlossen. Damit wird die Einbürgerung in Zukunft über das Bürokratische hinaus auch ein festlicher Vorgang sein, der den neuen Staatsangehörigen deutlich machen soll, dass sie in Hamburg willkommen sind. Gleichzeitig soll signalisiert werden, dass die Bemühungen um Integration, die im Vorwege der Einbürgerung vonstatten gegangen (sic!) sind, gewürdigt werden. Das Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung soll mit einer solchen Feier mit Leben erfüllt werden. Der Integrationsbeirat hatte solche Feiern bereits ausdrücklich begrüßt und die Notwendigkeit betont, die Einbürgerung nicht nur als formalen, sondern auch als emotionalen Akt zu gestalten.“Footnote 156

  4. „Es ist ein Tag im November 2006, der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hat zu seiner ersten Feier für die gerade Eingebürgerten geladen, und die Evrens gehören zu den 300 Teilnehmern. Eigentlich ist Cihat Evren ja schon seit dem Sommer Deutscher, da hat er in einem Amtszimmer der Hamburger Ausländerbehörde seine Einbürgerungsurkunde bekommen. Dann erhielt er die Einladung. Cihat Evren hat sofort zugesagt. „Dass es das gewesen sein sollte, so eine unfeierliche Übergabe, das fand ich merkwürdig.“ Wo er doch selbst so lange hatte überlegen müssen, bis er sich um die deutsche Staatsangehörigkeit bewarb – und den Pass seiner alten Heimat abgab, des Landes seiner Eltern.“Footnote 157

  5. „…und damit zurück zur heutigen Feier im Hamburger Rathaus. So unterschiedlich und vielfältig wie Sie selbst sind auch Ihre Wege, Gründe und ganz persönlichen Geschichten, die Sie ursprünglich nach Hamburg geführt haben.

    […] Ihre Biographien liefern ja Stoff für ganze Bücher. Sie erzählen von unterschiedlichen Lebensbedingungen in unserer Welt, vom schmerzhaften Verlassen von Heimat und Familie. Aber auch von einem gelungenen Neuanfang, von Hoffnungen und Chancen. Nicht zuletzt erzählt er von der Vielfalt der Kulturen in einer Stadt wie Hamburg, von der wir alle profitieren.

    Denn Ihre Leistungen, Begabungen und kulturellen Wurzeln bereichern unsere Gesellschaft und unsere Stadt. Ohne diese Vielfalt, die vielen Einflüsse der Zuwanderer wäre die Stadt nicht die weltoffene, tolerante, leistungsstarke Metropole, die sie ist. Denn Hamburg ist nicht nur das Tor zur Welt, sondern längst auch das Tor für die Welt.“Footnote 158

  6. „Was wir heute feiern – Ihre Einbürgerung – ist ja alles andere als nur ein Aktenvorgang. In Wahrheit steckt viel mehr dahinter: Ihre bewusste Entscheidung, von nun an als Deutsche hier in Hamburg zu leben, mit deutschem Pass und den Rechten und Pflichten von Staatsbürgern, die für alle Deutschen ganz selbstverständlich sind.“Footnote 159

  7. „in unserem Leben gibt es Ereignisse, an die man sich lange erinnert und von denen man später sagen wird: „Weißt Du noch, damals …?“

    Heute ist ein solcher Tag. Es ist Ihr großer Tag, an dem wir gemeinsam Ihre Einbürgerung feiern. Im Namen des Senats der Freien und Hansestadt Hamburg heiße ich Sie im Rathaus sehr herzlich willkommen.“Footnote 160

  8. „Danach erhalte ich immer wieder begeisterte Briefe von eingebürgerten Hamburgerinnen und Hamburgern, die sich überschwänglich für die bewegende Feier bedanken. Neulich hat sich eine Teilnehmerin sogar spontan für eine Ausbildung in der, Zitat: „ehrwürdigen und doch so lebendigen Atmosphäre des Hamburger Rathauses“ beworben.“Footnote 161

Die einzelnen Elemente der hier vorgestellten Storyline fügen sich – all ihren kleineren Bruchstellen zum Trotz – bemerkenswert nahtlos ineinander. Die Vorstellung, dass Kultur ein hybrides Konstrukt ist, welches maßgeblich durch den individuellen Lebensweg geprägt und definiert wird, leitet unmittelbar über zu der Annahme multipler, im Fluss befindlicher Identitäten. Damit wird ein mehrdimensionales, komplexes Menschenbild entworfen, welches sich zwangsläufig in der Idee einer inhärent heterogenen, demokratisch verfassten und kosmopolitisch orientierten nationalen Gesellschaft niederschlägt. Integration in eine solche Gesellschaft muss zwingend auf dem demokratischen Prinzip der Gleichberechtigung fußen und kann insofern nichts anderes als Teilhabe bedeuten – wobei Teilhabe nicht nur passiv teilnehmen, sondern auch sich aktiv einbringen, die Nation mitgestalten meint. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ist für diese Vision von Integration eine geradezu unabdingbare Voraussetzung, da nur durch sie alle staatsbürgerlichen Rechte vollumfänglich garantiert sind. Die Einbürgerung muss daher gefördert und weitestmöglich erleichtert werden. Sie muss überdies beworben und in ihrer Bedeutung, ihrer Wertigkeit hervorgehoben werden. All dies leistet die Hamburger Einbürgerungsinitiative. Sie ist ein notwendiger Beitrag zur Integration, ein wichtiges Zeichen von Willkommenskultur und Wertschätzung und sie fördert überdies den gesellschaftlichen Zusammenhalt, da sie das Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation mit Deutschland stärkt. Vor diesem Hintergrund ist die Initiative absolut und uneingeschränkt zu befürworten.

Die staatsnationale Narration verknüpft konstruktivistische Vorstellungen von Kultur und Identität, mit subjektivistischen Vorstellungen von Nation, demokratischen Vorstellungen von Integration und – in Folge dessen – kosmopolitischen Vorstellungen von Staatsbürgerschaft. Demnach ist die ‚Deutsche Nation‘ eine politisch verfasste (Interessen)Gemeinschaft, welche auf der gemeinsamen Rahmung durch demokratische Prinzipien sowie auf einem Vertrag aus Rechten und Pflichten zwischen Staat und Bürger_innen basiert. Identifikation mit dem Staat, seinen Werten und seiner Gemeinschaft ist wichtig, beruht jedoch nicht etwa auf ethnischer Zugehörigkeit oder kultureller Homogenität und muss weder zwingend emotional ausgestaltet sein, noch erhebt sie Anspruch auf Exklusivität. Die angestrebte Identifikation ist vielmehr politischer, demokratischer Natur (z. B. zu fassen als Bürgersinn nach Esser). Sie gestattet dem Individuum alle Freiräume der Gestaltung, solange der gemeinsame rechtliche Konsens gewahrt bleibt und die Identifikation mit dem darunterliegenden moralischen Fundament nicht erschüttert wird. Aus diesem Grund sind die Grenzen der Staatsnation auch potenziell durchlässig und erlauben es Außenstehenden zu Mitgliedern zu werden – vorausgesetzt sie bekennen sich aktiv zum Staat und seinen vertraglichen Spielregeln und sind bereit, diese nicht nur langfristig einzuhalten, sondern sie auch aktiv zu befördern. Von Bedeutung sind in diesem Zusammenhang v.a. die zentralen Subjektpositionen der ‚guten Migrant_innen‘ / der ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘ und der ‚guten (geborenen) Staatsangehörigen‘ – die allesamt in der Zielvorstellung des/der ‚kosmopolitischen Staatsbürger_in‘ gebündelt werden – sowie die Klassifikation des ‚Staates als Förderers‘ von Integration, interkulturellem Austausch und friedlichem Zusammenleben. Von Bedeutung ist weiterhin die soziale Konstruktion einer kontinuierlichen nationalen Geschichte der positiven Beeinflussung durch Migration und kulturelle Vielfalt, insbesondere mit ihrem lokalen Anknüpfungspunkt an eine korrespondierende Hamburgische Geschichtskonstruktion.

Alles in allem hat sich gezeigt, dass der offizielle Diskurs viele Konzepte und theoretische Überlegungen aufgreift, die auch in der wissenschaftlichen Debatte präsent sind, dass er sie allerdings für seine Zwecke selektiert und ggf. transformiert. So propagiert er beispielsweise einen politischen Kosmopolitismus nach Vorbild Benhabibs, ohne dabei jedoch dessen radikalere Forderungen – etwa nach der Gewährung gewisser staatsbürgerlicher Rechte auch ohne formale Staatsangehörigkeit – zu übernehmen (denn dies würde seinem nationalistischen Anspruch diametral zuwiderlaufen). Überdies weist er Parallelen zu einigen Bausteinen der Esser’schen Assimilationstheorie auf z. B. wenn er die Kulturation eines Menschen als Humankapital deutet oder wenn er sich von seinen Adressat_innen die Ausprägung eines Bürgersinns erhofft. Anders als Esser hebt der Diskurs jedoch gerade die Enkulturation positiv hervor, während ersterer alles potenzielle Kapital in der Akkulturation verortet. Außerdem teilt der Diskurs auch nicht Essers Pessimismus hinsichtlich einer etwaigen Mehrfachintegration, vielmehr erklärt er diese im Gegenteil sogar zum Normalfall.Footnote 162 Nicht zuletzt formuliert der staatsnationale Diskurs einen konstruktivistischen Kultur- und Identitätsbegriff, der mit seiner starken Betonung von Individualität, Fluidität, Pluralität und Kreativität (im Sinne der mehr oder minder freien und rationalen Wahl zwischen Kulturfragmenten bzw. Identitätsangeboten) sowohl an radikale wissenschaftliche Stimmen (wie etwa diejenige Abu-Lughods) als auch an Reckwitz’ Entwurf einer (populären) Hyperkultur erinnert.Footnote 163 Interessant ist indessen, dass der offizielle Diskurs – bei allem radikalen Konstruktivismus – die nationalistische Basis seiner eigenen Argumentation nicht als Konstrukt erkennt (oder erkennen kann). Stattdessen gründet er seine Legitimation auf einer (erfundenen) Nationalgeschichte und (sozial konstruierten) Subjektpositionen, die – obwohl sie nicht auf essentialistischen Konzepten beruhen – ihrerseits essentialisiert werden.Footnote 164 Vor diesem Hintergrund müssen Migrant_innen als Bereicherung erscheinen, Eingebürgerte müssen als (besonders) gute Staatsangehörige wahrgenommen werden (und sich auch als solche verhalten), der Staat darf nichts anderes als ein Förderer sein und Deutsche ohne Migrationshintergrund dürfen auf Migration und kulturelle Vielfalt nicht anders reagieren als mit Offenheit, Interesse und Wertschätzung. Abweichende Deutungen muss der Diskurs zwangsläufig als illegitim brandmarken, weil sie letzten Endes seine eigene Legitimationsgrundlage untergraben.Footnote 165 Die nachfolgenden Unterkapitel in diesem wie auch in dem sich daran anschließenden Teil dieser Arbeit werden diesen Umstand noch deutlicher vor Augen führen.

Sprecher und Sprecherinnen

Ehe die Vorstellung des zweiten dominanten Diskurses im Diskursfeld der Hamburger Einbürgerungsinitiative erfolgen kann, müssen noch ein paar abschließende Worte zu den Sprecher_innen des vorliegenden, offiziellen Diskurses gesagt werden. Wie eingangs bereits erwähnt, wird dieser Diskurs in der Hauptsache von denjenigen Personen und Institutionen propagiert, welche selbst an der Einrichtung und Umsetzung der Hamburger Einbürgerungsinitiative beteiligt sind. Die Hauptakteur_innen sind hierbei der (ehemalige) Erste Bürgermeister Olaf Scholz sowie die Freie und Hansestadt Hamburg mit ihren unterschiedlichen politischen Gremien und Verwaltungseinrichtungen. Beide akkumulieren – ob ihrer gesellschaftlichen Rolle und Position – erhebliches symbolisches Kapital und tragen daher wesentlich zur allgemeinen Dominanz der Diskursströmung bei. Des Weiteren tauchen Elemente des Diskurses in den regionalen und überregionalen Medien auf, finden sich in den Aussagen von Parteipolitiker_innen, in den Wortmeldungen von Angehörigen der Zivilgesellschaft (u. a. auch in den Kommentarforen von Online-Medien) und sogar in Publikationen des Bundes. Neben Olaf Scholz und der Stadt Hamburg als solcher ist das Hamburger Abendblatt der dritte zentrale Diskursproduzent, der die obige Storyline mehr oder weniger holistisch abbildet. Es muss jedoch darauf verwiesen werden, dass es durchaus Unterschiede zwischen den zentralen Diskursproduzent_innen und ihren Diskursbeiträgen gibt.Footnote 166 So trägt z. B. der stellvertretende Chefredakteur des Hamburger Abendblattes in seinen Leitartikeln zahlreiche Aspekte des offiziellen Diskurses einhellig mit – beispielsweise plädiert er für Multikulturalität und Einbürgerungsförderung – doch gleichzeitig lehnt er die generelle Einführung von Mehrstaatigkeit ab, die wiederum in vielen Beiträgen des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz ein zentrales Element darstellt.Footnote 167 Während Olaf Scholz und die Stadt Hamburg ihrerseits Wortführerende sind, was die Themen kulturelle Hybridität, multiple Identitäten, Kosmopolitismus und Integration als Teilhabe angeht, kommt der Appell für niedrige Hürden im Einbürgerungsverfahren insbesondere aus Richtung der Zivilgesellschaft (so z. B. von Seiten der TGH). Überdies widersprechen zivilgesellschaftliche Vertreter_innen (z. B. in Gestalt von Hüseyin Yilmaz, dem ehemaligen Vorsitzenden der TGH) wenigstens in Teilen der nationalen Geschichtskonstruktion und betonen stattdessen die jahrzehntelange Ausgrenzung, welche beispielsweise die als ‚Gastarbeiter_innen‘ bezeichneten Migrant_innen in Deutschland erfahren haben. Ganz im Gegensatz dazu gehen wiederum Sprecher_innen der massenmedialen Sphäre sehr viel stärker auf die Idee von ‚Migration als Herausforderung‘ und ‚Integration als Problem‘ ein (z. B. wenn Kriminalität und ‚Parallelgesellschaften‘ als wesentliche Integrationsdefizite angesprochen werden). Vor diesem Hintergrund kommt es durchaus vor, dass verschiedene Sprecher_innen des offiziellen Diskurses einander wechselseitig widersprechen und sich gegenseitig kritisieren. Insgesamt gibt es keinen Akteur und keine Akteurin, dessen bzw. deren Äußerungen alle diskursiven Deutungsbestandteile vollständig und gleichwertig abdecken. Andererseits gibt es in den Reihen der Diskursproduzent_innen aber durchaus einige radikale Stimmen, die hier und da erheblich von der Hauptlinie des offiziellen Erzählstranges abweichen. Zu nennen sind u. a. Sprecher_innen, die mit der inneren Logik des Diskurses zwar weitgehend einverstanden sind, gleichzeitig aber dessen Authentizität hinterfragen und letztlich unterstellen, die Stadt Hamburg werbe nur aus politischem Kalkül für die Einbürgerung und nicht etwa aus echter, aufrichtiger Überzeugung:

  1. „Für die Grünen geht die Kampagne nicht weit genug. „Leider umfasst sie nicht mehr als die Briefaktion, kritisiert Demirel. Der SPD-Senat solle sich lieber Gedanken machen, wie die Einbürgerung in Hamburg tatsächlich erleichtert werden kann. „Mit einer Senkung der Gebühren und einem Verzicht auf die Sprachprüfung für Ältere könnten die Erfolge noch vergrößert werden“, sagt Demirel. Während andere Bundesländer die Spielräume nutzen, schmücke sich der Bürgermeister mit erhöhten Antragszahlen. Die Grünen und die Linkspartei fordern die Akzeptanz der doppelten Staatsbürgerschaft, um so die Entscheidung für die Einbürgerung zu erleichtern.“Footnote 168

  2. „Ernstgemeinte (sic!) Einbürgerungskampagne fängt damit an, dass man hierzulande gute Lebensbedingungen und gleiche Chancen für potentielle Kandidaten schafft. Wie wäre es damit, erstmal den Verfassungsschutz und die unzähligen als V-Männer verkappten Nazis abzuschaffen? Die leeren Worte von Innnenminister (sic!) Friedrich überzeugen keinen mehr. Warum sollten Menschen ausgerechnet sich in Deutschland einbürgern lassen, wenn sie das Gefühl haben hier nicht wirklich willkommen zu sein und gleiche Chancen zu erhalten? Um das gleiche Schicksal zu erleiden wie die 2–3 Generationen Gastarbeiter vor ihnen? Diesmal als billige Altenpfleger womöglich? Da muß Deutschland schon wesentlich mehr bieten als leere Lippenbekenntnisse.“Footnote 169

  3. „Plumper geht es kaum: ‚Muslime wählen SPD‘ prangte Freitag früh auf den schwarzen Plakaten von Spitzenkandidat Olaf Scholz. Am Abend empfängt der Bürgermeister rund 500 Einwanderer zur Einbürgerungsfeier mit Kinderchor im Rathaus-Festsaal. Er schüttelt Hände, lässt sich fotografieren, überreicht Urkunden. Gerade 40 Stunden danach dürfen Scholz‘ Gäste wählen.“Footnote 170

  4. „Ob sie nicht Deutsche werden wolle, schließlich fühle sie sich bestimmt längst als Hamburgerin. Ihre Heimat, das sei doch hier. Nicola Moss rief ihren Bruder an. „Du, ich wusste gar nicht, dass die Deutschen neue Staatsbürger suchen." So kurz vor der Bundestagswahl. Beide feixten sich einen.“Footnote 171

Positionen, wie sie hier zitiert werden, dominieren die Debatte nicht, tauchen in der Diskussion aber trotzdem immer wieder auf. Man könnte sie als radikalen Seitenarm des offiziellen Diskurses begreifen, insofern sie ursprünglich aus der gleichen politischen Tradition hervorgegangen sind, letzten Endes aber einer (zumindest in Teilen) deutlich anderen Interpretation zuströmen. In die selbe Richtung gehen außerdem auch Forderungen nach der Einführung eines kommunalen Ausländer_innenwahlrechts, wie u. a. der SPD-Politiker Ali Simsek sie oben äußert. Ähnlich wie Seyla Benhabib mit ihrem Konzept der transnationalen Staatsbürgerschaft schlägt er damit einen transnationalen, vielleicht eher sogar einen postnationalen Tonfall an. Postnationale Stimmen, die das Konzept der Nation und ihres Nationalstaates grundsätzlich hinterfragen, tauchen hier und da in der Debatte auf, sind jedoch – in Anbetracht der dominanten nationalistischen Diskurströme – eine absolute Randerscheinung.Footnote 172

An dieser Stelle ist es nicht notwendig, tiefer in die Analyse der Sprecher_innen einzusteigen, da das Hauptaugenmerk der vorliegenden Untersuchung auf der diskursiven Narration als solcher liegt. Die einzelnen Akteur_innen sind hier nur insofern relevant, als ihre soziale Position und kollektive Struktur Aussagen über den Diskurs als Ganzes erlaubt. Aufgrund der ausgesprochenen Komplexität des Diskursfeldes wie auch seiner dominanten Strömungen, ist es nicht möglich, alle kleinen Verästelungen nachzuverfolgen, die von der heterogenen Gruppe der Sprecher_innen produziert werden. Dies wäre im Hinblick auf Forschungsfrage und Forschungsabsicht dieser Arbeit auch nicht zielführend. Es ist wichtig zu wissen, dass es Verästelungen, Heterogenität und Brüche gibt, dass die Sprecher_innen des Diskurses keine monolithische Einheit bilden (genauso wenig, wie es seine Rezipient_innen tunFootnote 173) und dass die diskursive Konstruktion kultureller Wirklichkeit ein fluider und vielstimmiger Prozess ist. Der Untersuchungsfokus muss jedoch (ganz im Einklang mit William Sewells dahingehender ForderungFootnote 174) auf denjenigen Diskurslinien verweilen, die im Diskursfeld in besonderem Maße Macht entfalten und von denen daher auszugehen ist, dass sie die gesamtgesellschaftliche Konstruktion von Wirklichkeit grundlegend mitgestalten. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass der betrachtete Diskurs eher einem komplexen Bedeutungsgewebe (im Geertz’schen Sinne, aber ohne dessen impliziten StrukturdeterminismusFootnote 175) denn einer einheitlichen, stringenten Erzählung gleicht. Verschiedenste Deutungsmuster greifen in der Debatte ineinander, tragen einander und stützen sich gegenseitig. Sprecher_innen reproduzieren diese Muster, verflechten sie oder spalten sie auf. Die Geschichte wird multivokal und aus unterschiedlichen Richtungen erzählt. Ein zentraler roter Faden ist unzweifelhaft erkennbar, dieser franst jedoch immer wieder nach rechts und links aus. Es gibt Knoten- und Schnittpunkte, die Zusammenhänge hervortreten lassen, und es gibt Abzweigungen und Austriebe, die sich vom Ballungsgebiet dominanter Perspektiven entfernen. Der Begriff der Diskursströmung spiegelt diese Verschachtelung von Wirklichkeiten (nach Luckmann) oder Frames (nach Goffman) angemessen wider.Footnote 176

Als erster Überblick über die Storyline des offiziellen Diskurses und einige seiner größeren Seitenarme soll die obige Darstellung vorerst genügen. Auf seine Konsistenzen und Inkonsistenzen wird in späteren Kapiteln noch detaillierter eingegangen werden – so z. B., wenn es im Rahmen der Diskursrezeption um das vielschichtige Verhältnis von diskursiver und individueller Sinnwelt geht (Abschn. 5.1) oder wenn unter dem Aspekt der Diskursproduktion die Hamburger Einbürgerungsfeiern weitergehend untersucht und beleuchtet werden (Abschn. 5.2). Abschließend bleibt an dieser Stelle noch anzumerken, dass – wie schon mehrfach betont wurde – die Stadt Hamburg im offiziellen Diskurs eine besondere Rolle einnimmt. Vorstellungen von Multikulturalität und Identität werden häufig weniger im Rückbezug auf Deutschland, als vielmehr im lokalen Rückbezug auf Hamburg konzipiert und gerechtfertigt. Anklänge dieses Phänomens haben sich in den obigen Zitaten bereits angedeutet. Auf die besondere Position Hamburgs in der öffentlichen Debatte wird daher in Abschnitt 5.3 dieser Arbeit noch ausführlicher eingegangen werden. Dort wird eine dritte dominante Strömung im Diskursfeld präsentiert, die sich zwar nur am Rande mit dem Thema Einbürgerung befasst, für das Verständnis des Diskursfelds – wie auch (v.a.) für das Verständnis des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses – jedoch einen unerlässlichen Baustein bildet.

4.2 Die ethnonationale Strömung: Die Nation als ethnisches Kontinuum

Im Anschluss an die Darstellung des offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurses mit seinem staatsnationalen Leitbild folgt nun die Präsentation der zweiten zentralen Diskursströmung, welche die öffentliche Debatte in dominanter Weise mitstrukturiert. Wie in Abschnitt 4.1 bereits an mancher Stelle sichtbar wurde, hebt sich ihre Narration deutlich von der Storyline der offiziellen Erzählung ab, nimmt einen anderen theoretischen Ausgangspunkt und folgert dementsprechend diametral andere Interpretationen. Zudem unterscheidet sie sich maßgeblich im Hinblick auf ihre relevanten Sprecher_innen. Während der offizielle Diskurs in der Hauptsache von etablierten politischen, massenmedialen und zivilgesellschaftlichen Institutionen getragen wird, die (bezogen auf die Gesamtgesellschaft) in erheblicher Weise symbolisches Kapital akkumulieren, entspringt die Gegenströmung in den Reihen einer nicht-organisierten, dezentralen Zivilgesellschaft – insbesondere in den Online-Foren und Kommentarspalten überregionaler Massenmedien. Auf den ersten Blick scheint sich hier ein deutliches Machtgefälle abzuzeichnen. Inwiefern sich dieser Eindruck bestätigt, muss die nachfolgende Analyse zeigen.

Die Beschreibung des dominanten Gegendiskurses wird nach gleichem Muster erfolgen, wie die des offiziellen Diskurses in Abschnitt 4.1. Der rote Faden der Erzählung soll nachverfolgt, theoretisch eingeordnet und mit Beispielen veranschaulicht werden. Brüche und Verzweigungen werden gleichermaßen berücksichtigt. Anschließend, in Abschnitt 4.3, werden die Phänomenstrukturen der Diskurse weiterführend miteinander verglichen und Klassifikationen, Subjektpositionen sowie Deutungsmuster der jeweiligen Storylines einander systematisch gegenübergestellt. Dabei wird insbesondere das antagonistische Wechselspiel zwischen den Diskursen im Mittelpunkt stehen, wie es sich in Abschnitt 4.1 bereits angekündigt hat.

Kultur

Deutungsmuster: Der dominante Gegendiskurs nimmt seinen Ausgangspunkt in einem essentialistischen Kulturbegriff, der kulturelle Homogenität, Antiquität und Kontinuität betont. Demnach ist Kultur ein historisch gewachsenes und relativ statisches Gebilde aus Traditionen, Normen und Werten, das menschliches Denken und Handeln determiniert. Kultur macht sich an klar definierbaren, in der Regel nationalstaatlichen sowie ethnischen oder religiösen Grenzen fest. Es wird davon ausgegangen, dass alle Mitglieder einer Kultur kollektive Denk- und Handlungsweisen miteinander teilen, die ihnen entweder angeboren sind, oder die sie bereits im frühesten Kindesalter via Enkulturation erworben haben. Kulturelle Muster können daher nur sehr schwer (und in vielen Fällen auch gar nicht) wieder abgelegt, verändert oder erweitert werden. Aus diesem Grund lässt sich kulturelle Fremdheit leicht an objektiv beobachtbaren Merkmalen festmachen, wie etwa an der Herkunft, dem äußeren Erscheinungsbild (z. B. der Hautfarbe), einer fremden Sprache oder auch an kulturellen bzw. religiösen Symbolen wie dem muslimischen Kopftuch (Hijab).

Kommentar: Mit seiner Betonung von kultureller Homogenität und kultureller Statik sowie auch mit seinem inhärenten Strukturdeterminismus formuliert der dominante Gegendiskurs einen Kulturbegriff, der starke Ähnlichkeiten mit den primordialen Ansätzen der frühen Ethnologie aufweist.Footnote 177 Indem er die Kulturation eines Menschen entweder in der Vererbung per Geburt oder aber in einem (sehr frühen und sehr endgültigen) Prozess der primären Sozialisation (bzw. Enkulturation) verortet – wobei er der Möglichkeit einer Resozialisation (bzw. Akkulturation) grundsätzlich skeptisch gegenübersteht – rückt er Kultur in die Nähe von ‚Rasse‘.Footnote 178 Damit propagiert er einen (von Wimmer kritisierten) Herder’schen Commonsense, der kulturelle, soziale und identitäre Grenzen als kongruent begreift und der in ähnlicher Form u. a. auch bei Hartmut Esser zu beobachten ist.Footnote 179 Vor dem Hintergrund eines solchen Kulturbegriffs antizipiert der Diskurs – wiederum analog zu Esser – einen negativen Integrationsausgang, wenigstens in der ersten Generation.Footnote 180 Sein Kulturkonzept trägt starke Züge eines Kulturfundamentalismus, wie er in Abschn. 2.2 als moderne Spielart des Rassismus etabliert wurde. Die folgenden Ausschnitte aus der öffentlichen Debatte veranschaulichen diesen Umstand. Dabei unterscheiden sich die einzelnen Zitate z. T. gravierend in ihrer jeweiligen Radikalität, ihrer politischen Einstellung und der daraus resultierenden Haltung gegenüber kultureller Fremdheit. Sie unterscheiden sich außerdem hinsichtlich ihres allgemeinen Stils und der gewählten Ausdrucksweise. Letztlich folgen sie jedoch alle einer ähnlichen, essentialistischen Logik:Footnote 181,Footnote 182

  1. „Bei der Hamburg-Wahl setzt sogar die CDU auf ‚Vielfalt‘, betont, dass der frühere CDU-Bürgermeister Ole von Beust die Einbürgerungsfeiern erfunden hat und Scholz sie nur kopiert. Und sie wirbt in diesem Wahlkampf damit, dass acht Kandidaten mit Migrationsgeschichte auf der Landesliste stehen, darunter der Russlanddeutsche Nikolaus Haufler und der Fernsehmoderator Bedo Kayaturan. Der Großteil der türkeistämmigen Menschen sei „wertkonservativ“, erklärt der im taz-Interview. „Muslime und Aleviten haben mehr mit der CDU gemein als sie es je mit der SPD haben werden.“Footnote 183

  2. „Ich habe sechs Geschwister und fünf davon sind längst Deutsche.“ Seine Frau kommt aus München. „Und ich bin so deutsch, dass ich ein blondes, blauäugiges Kind habe“, sagt Güngörmüs lachend.“Footnote 184

  3. „Mit dem Tragen eines Kopftuchs drückt man, salopp gesagt, aus, dass man ausschließlich innerhalb der ‚weitläufigen Verwandtschaft‘ zu heiraten bereit ist.“Footnote 185

  4. „Der Olaf hat halt Sehnsucht nach Slums in seiner Stadt. Türkenslums, Zigeunerslums, Negerslums usw…“Footnote 186

  5. „Leider sind die heutigen Gören so blöde und schmeißen sich den Südländern auch noch an den Hals. Hab leider selber in meiner Verwandtschaft so einen Fall, Erklärungen nutzen gar nichts, Hinweise und Warnungen werden ignoriert, mein Ali ist anders, der ist (sic!) sogar Schweineschnitzel, der will nicht zurück in die Türkei, tja, bis das böse Erwachen zum Leidwesen der Biodeutschen kommt. Die Gute dient dann nur noch als Zuchtstute für weitere Alis…“Footnote 187

  6. „In einem anderen Thread habe ich geschrieben, dass ich den Ausdruck ‚Integration‘ und ‚integriert‘ als inflationäre Bezeichnung empfinde. Ich sehe zwar auch – bei manchen – dass sie rein äusserlich (sic!) fremdartig aussehen, aber das weckt erst mal (sic!) meine Neugier. Sorry, bei manchen ‚Fremden‘ bin ich voreingenommen, das hat aber mit schlechten Erfahrungen oder wie Sie es formulieren ‚Phobien‘ zu tun.. (sic!)

    Wenn ich ‚ausländerfeindlich‘ wäre, würde mich dieser Blog nicht interessieren, ich will aber wissen, wie sich Migranten/Ausländer hier in Deutschland fühlen und welche Probleme sie haben. Und wenn ich jetzt nicht auch Türken/Araber/Muslime dazu gezählt habe, hat das einen einfachen Grund. Die meisten pflegen schon rein äusserlich (sic!) ihr ‚Andersein‘, sie verweigern also ganz offensichtlich ihre Zugehörigkeit zu Deutschland und den Deutschen. Auch die ‚Extrawürste‘ die diesen Migranten oft gebraten werden, hindern mich daran, positive Gefühle ihnen gegenüber zu entwickeln.“Footnote 188

  7. „Hamburg. Mein Hafen.

    Deutschland. Mein Zuhause.

    Muss man sich eigentlich tiefer gehende Gedanken machen, warum es nicht heißt:

    Hamburg. Unser Hafen.

    Deutschland. Unser Zuhause.

    + anderes Foto mit einem alten deutschen Seebären oder Blondschopf on topp (sic!) zu den MigrantInnen, äh Neu-HamburgerInnen?

    Wäre irgendwie integrativer rübergekommen. Aber so wirkt es, als hätten die MigrantInnen Hamburg + Deutschland bereits übernommen und die Autochthonen existierten gar nicht mehr. Vielleicht denn doch zu viel der Vorfreude auf kommende Zeiten.“Footnote 189

Deutungsmuster: Im Anschluss an seinen essentialistischen Kulturbegriff sieht der Diskurs die verschiedenen Kulturen der Welt nicht als gleichwertig an. Vielmehr stehen sie, seiner argumentativen Logik zufolge, auf unterschiedlichen evolutionären Entwicklungsstufen. Dies gilt sowohl für ihre politisch-wirtschaftliche Konstitution, als auch für die moralische Qualität ihres Wertesystems. Die deutsche Kultur befindet sich an der Spitze dieser kulturellen Hierarchie. Aus der hierarchischen Struktur, sowie auch aus der absoluten Gegensätzlichkeit verschiedener kultureller Weltbilder, folgert der Diskurs ein inhärentes Konkurrenzverhältnis zwischen den Kulturen, welches sich in konflikthaften Beziehung und einer immanenten Bedrohungslage ausdrückt. In dieser Lesart erscheint Vielfalt als Problem für die allgemeine gesellschaftliche Ordnung. Wirklich verträglich für einen Staat und eine Nation ist daher letztlich nur die Zuwanderung aus Regionen, die große kulturelle Ähnlichkeit zum Zielland aufweisen. Je größer die kulturelle Distanz zwischen Herkunftsstaat und Aufnahmeland, desto größer sind die Probleme, die aus dieser Migration erwachsen. Insbesondere mehrheitlich muslimisch geprägte Länder, die Türkei sowie der gesamte arabische und nordafrikanisch Raum werden vor diesem Hintergrund als in besonderem Maße ‚fremdartig‘ eingestuft.

Kommentar: Mit seiner evolutionären Logik reproduziert der dominante Gegendiskurs frühethnologische Theorieentwürfe des Evolutionismus und des Diffusionismus, wie sie fachintern als längst überholt und in hohem Maße problematisch gelten müssen (zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere auch die wiederholte Nennung des Begriffs Kulturkreis in den untenstehenden Zitaten).Footnote 190 Mit seiner antagonistischen Grundannahme vom Kampf der Kulturen reproduziert er des weiteren Huntingtons vielfach kritisierte These, die in Abschnitt 2.3 bereits eingehend problematisiert wurde. Klassisch ist in diesem Zusammenhang die Essentialisierung – respektive Rassifizierung – ethnischer oder religiöser Minderheiten (insbesondere Muslime, Türk_innen oder dem ‚muslimisch-arabischen‘ Raum zugeordnete Gruppen) als ‚konstitutive Fremde‘ innerhalb (und gegenüber) der Nation.Footnote 191 Indem der Diskurs Taxonomien von kultureller Fremdheit entwirft, strukturiert er die von ihm geschaffene Wirklichkeitskonstruktion und kreiert Klassifikationen von ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Migrant_innen – wobei letztere Kategorie zumeist im Fokus der Sprecher_innen steht.Footnote 192 Das Bild der ‚Deutschen Kultur‘ wird maßgeblich über ihr antagonistisches Gegenüber konstituiert. Die Abgrenzung von den potenziell ‚primitiven‘ und potenziell ‚gefährlichen‘ Fremden schafft das positive Selbstbild und damit die Subjektposition des/der ‚anständigen Deutschen‘ (ggf. auch des/der ‚überlegenen Deutschen‘).Footnote 193 Die antizipierte Bedrohung dieses positiven Identitätsangebots ist ein konstitutives Grundelement des Diskurses und weist starke Parallelen mit dem auf, was Grillo Cultural Anxiety nennt. Die (wahrgenommene) Gefährdung der sozial konstruierten Kontinuität einer kollektiv imaginierten Gemeinschaft ist nicht nur Zündstoff für das Aufflammen nationalistischer Ideologien, sondern überdies auch ein Merkmal dessen, was Reckwitz (im Kontrast zum Kulturalisierungsregime der Hyperkultur) als Kulturessenzialismus bezeichnet.Footnote 194 Die nachfolgenden Beispiele illustrieren diesen Zusammenhang. Interessant ist dabei v.a. die wiederholte (negative) Ansprache von Olaf Scholz oder anderen Vertreter_innen des offiziellen Einbürgerungsdiskurses. Ebenso wie die Gruppe der ‚schlechten Migrant_innen‘ wird die Gruppe der ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘ als antagonistischer Gegenpol und – je nach Grad der Radikalisierung – auch als Feindbild ausgemacht. Hierin zeigt sich wiederum, dass die beiden dominanten Diskurse sich auch und gerade über ihre gegenseitige Wechselwirkung und die sozial konstruierte Grenzlinie zwischen ihnen definieren. Ähnlich wie die Kulturalisierungsregime nach Reckwitz stehen beide Wirklichkeitssphären in einem unzweifelhaften Konkurrenzverhältnis zueinander. Dieses Konkurrenzverhältnis ist ein inhärenter Bestandteil ihrer jeweiligen kulturellen Wirklichkeiten.Footnote 195

  1. „Hamburg vor 20 Jahren, vereinzelte Türkenviertel wohin man nicht zog, Billstedt, Wilhelmsburg, die Innenstadt ausländerfrei, sauber, höfliche, kühle Hanseaten wandelten dort. Im Kiez herrschte Solidarität und Zusammenhalt. Heute: Hektischer unhöflicher Verkehr auf den Straßen, hektische Eile im durchmischten Völkerbrei, lautes babylonisches Stimmengewirr in Bus und Bahnen, wobei man froh sein kann, nicht beklaut oder getreten zu werden. Danke, Herr Scholz, das alles reicht Ihnen noch nicht? So wie Sie redet ein Verwirrter. Meine gesamte Familie ist aus Hamburg rausgezogen, wegen dieser von mir geschilderten Zustände. Meine Kinder wegen meiner Enkel, denen dort einen Schulbesuch zuzumuten, grenzt an geistigem Selbstmord, unterstes Niveau.“Footnote 196

  2. „...Sie vergessen immer wieder woher die Vorbehalte der Deutschen Bevölkerung gegenüber den Türken und anderen Menschen aus arabischen oder nordafrikanischen Staaten kommen. Es ist die Religion. Leider ist Ihre Religion eine absolutistische, politische Vereinigung welche nach Macht und Einfluss strebt um die Vorherrschaft in Europa an sich zu reissen (sic!). Ihr Ministerpräsident Erdogan sieht ja die Minarette Ihrer Moscheen als die ‚Speere‘ des Islam. Und deshalb ist es mir leider nicht möglich, weiteren Einbürgerungen aus Ihrem Kulturkreis zu befürworten. Im Zweifel werden sich diese Neubürger immer für die Religion und gegen den Staat entscheiden. Die Türkei ist das beste Beispiel dafür.“Footnote 197

  3. „Schon mal auf die Idee gekommen, dass wir andere Staatsangehörige gerne hier haben? Nur den türkisch-muslimisch-arabischen Kulturkreis nicht? Und wissen Sie auch warum? Weil fast jeder Bundesbürger schon seine Erfahrungen mit diesen Personen gemacht hat. Zudem sprechen die Zahlen (Bildung, Arbeitslosigkeit) ebenfalls eine deutliche Sprache.“Footnote 198

  4. „Mich stört die ständige Kritik an Deutschland, das nun wirklich großzügig gegenüber Zuwanderern ist, maßlos ausgenützt (sic!) wird und dessen Gesetze gerade von Zuwanderern aus Ihrem Kulturkreis nicht geachtet wird. Was wollen Leute wie Sie denn noch? Ich nehme an, die vollständige Übergabe unseres Landes an die Türkei als Provinz des ‚Großtürkischen Reiches‘. Aber da werden wir nicht mitspielen!“Footnote 199

  5. „Warum sind, wenn es um Einbürgerung geht immer Kopftücher zu sehen. Es gibt viele gebildete und religiös tolerante Chinesen, Russen, Vietnamesen... Auf die sollten sich unsere Anstengungen (sic!) konzentrieren. Nicht immer nur auf Menschen die schon durch ihre Kleidung demonstieren (sic!), dass sie gar nicht dazugehören wollen.“Footnote 200

  6. „Man kann es ‚Migranten‘ nicht vorwerfen, wenn sie die Angebote abgreifen, die ihnen verräterische Politiker hierzulande machen. Wäre ich ein armes Schwein aus Afrika oder anderswo, ich würde hier auch alles abgreifen, wenn es mir leicht gemacht, ja hinterhergeworfen wird.“Footnote 201

  7. „Das sind aber keine “armen Schweine”, sondern ausgekochte Ganoven mit Hirn drin. Natürlich orientiert sich jede Lebensform am Maximum. Aber dann muß sie auch damit rechnen, daß es da andere gibt, die ihr Revier verteidigen, weil sie sich auch am Maximum orientieren.

    Klartext: Wenn es Politiker nicht können, kann ich es. Ich orientiere mich auch am Maximum. Der Zivilisation europäischer Herkunft. Nicht dem Orient, nicht dem Voodoo. Und da sind mir, aus ganz genauso eigennütziger, zivilisierter Warte, diese primitiven Völker nicht willkommen. Und ich tue alles, um die auf einer ganz persönlichen Ebene im Alltag zu ‚vergrämen‘.

    Ist übrigens das ur-evolutionäre Beispiel für Krieg: Die einen wollen was, was die anderen nicht wollen. Gibt immer Hauen und Stechen. Weshalb sich die mühsam errungene Zivilisation wieder Völker importiert, die das in Erinnerung rufen, ist ihr Geheimnis. Anderseits führt es auch mal wieder vor Augen, daß (die westliche Zivilisation) etwas unglaublich kostbares, Fragiles ist, das man immer dann schätzt, wenn es gerade kaputtgehauen wurde.“Footnote 202

  8. „Zumal das Knastsystem in Deutschland die Luxusversion des normalen Lebens in den entsprechenden Ländern ist. Wer selbst wie bei der gehobenen Schicht im Iran (siehe: ‚Nicht ohne meine Tochter!‘) nur ein Loch im Boden und einen Wasserschlauch zum Spülen hat, wird die kalten Edelstahltoiletten im deutschen Knast und das weiche Bett anstatt harter Lehmböden zu schätzen wissen, falls es überhaupt erst soweit kommt.“Footnote 203

  9. „Ich hätte jetzt eigentlich von der SPD erwartet, daß sie im Gegenzug 137.000 Hamburger ausbürgert, damit man dort in aller Ruhe die Einführung der Scharia vorbereiten kann.“Footnote 204

  10. „Man kann nur zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass das rot-grüne Lager (aber auch erhebliche Teile der übrigen Funktionseliten) aus Deutschland ein anderes Land machen will.

    Nicht die erfolgreiche Anpassung von Zuwanderern ist das Ziel, sondern allein ihre möglichst rasche völlige Gleichstellung mit den Einheimischen.

    Nicht die Beibehaltung einer bestimmten angestammten Kultur ist das Ziel, sondern ein multikultureller Wirtschaftsstandort.

    Nicht die Beibehaltung einer gewohnten ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung ist das Ziel, sondern die sukzessive und sich beschleunigende Herstellung einer multiethnischen Bevölkerung ohne Vermischung.“Footnote 205

  11. „Hier stoßen politische Grundüberzeugungen aufeinander, die in etwa so unterschiedlich sind wie früher die Wirtschaftspolitik des ehem. Ostblocks und die soziale Marktwirtschaft.

    Man kann dann auch irgendwann nicht mehr diskutieren, denn beide Seiten – hier also Dobrindt und die CSU bzw. Scholz und Kretschmann vom rot-grünen Lager – handeln zutiefst aus Überzeugung heraus.

    Hier stehen Weltanschauungen gegeneinander und der aktuelle Streit markiert einmal mehr die Frontlinie im geistigen Bürgerkrieg in Deutschland.

    Die Zielstrebigkeit und Unbeirrbarkeit, mit der Vertreter des rotgrünen Lagers das Land verändern wollen, eine andere Republik schaffen macht mir Angst.

    Ich unterstelle, dass sie mich nicht ängstigen wollen. Aber sie tun es. Sie machen, dass ich mich in meinem Land fremd fühle.

    Wie nennt man solche Menschen?

    Das sind Leute, die mich nicht vertreten, Leute, die das verraten und verramschen, was mir wichtig ist.“Footnote 206

Die hier wiedergegebene Deutungslinie ist sowohl kulturfundamentalistisch – insofern sie Menschen nicht als Individuen, sondern mehr oder weniger ausschließlich als Produkte ihrer jeweiligen Kultur begreift – als auch ethnozentrisch – insofern sie (vermeintlich) fremdkulturelle Phänomene grundsätzlich am Maßstab der eigenen, als ‚überlegen‘ geltenden Kultur misst. Außerdem zeigt sich in den Wortäußerungen eine große Unsicherheit in Bezug auf den wahrgenommenen gesellschaftlichen Wandel, der sich u. a. in wachsender gesellschaftliche Pluralität und Fluidität ausdrückt. Die antizipierte Bedrohung der kollektiv konstruierten ‚rationalen Ordnung‘ löst zum Teil heftige emotionale Gegenwehr aus.Footnote 207 Die Subjektposition des/der ‚anständigen Deutschen‘ gewinnt gerade im Licht ihrer existenziellen Gefährdung an Gewicht. Gefährdet sieht sie sich dabei zum einen durch eine ‚migrantische Invasion‘ von außen. Zum anderen sieht sie sich gefährdet durch das Ausscheren weiter Teile der deutschen Bevölkerung (namentlich der ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘) aus der gemeinsamen kulturellen Wirklichkeitskonstruktion.Footnote 208 In diesem Sinne fürchtet der Diskurs die ‚Überfremdung von allen Seiten‘ und fühlt sich – gerade auch ob des großen symbolischen Kapitals der (politischen) Gegner_innen – in einer unterdrückten Minderheitenposition (was wiederum seinem moralischen Anspruch zusätzlichen Auftrieb gibt). Die Verteidigung der eigenen Wirklichkeit wird damit regelrecht zum revolutionären Programm stilisiert.

Vor dem Hintergrund der bis hierhin abgedruckten Belegzitate muss ausdrücklich betont werden, dass ein essentialistischer Kulturbegriff nicht zwangsläufig xenophobe Einstellungen zur Folge haben muss. So zeichnet sich z. B. auch der politische Multikulturalismus, wie er in Abschnitt 2.2 vorgestellt wurde, durch ein essentialistisch angeleitetes Kulturmodell aus, dessen Implikationen jedoch explizit positiv bewertet werden. Auch das im vorigen Abschnitt 4.1 sowie in Abschnitt 3.3 erörterte Community-Konzept der TGH gründet letzten Endes auf essentialistischen Vorannahmen. Nichtsdestoweniger ist augenfällig, dass essentialistische Visionen von Kultur in der hier untersuchten Debatte überproportional häufig mit einer Ablehnung von Migration und kultureller Heterogenität einhergehen. Gleiches gilt, wie die nachfolgende Deutungslinie zeigt, im Übrigen auch für das sich daran anschließende Identitätskonzept und die korrespondierende Ablehnung von multiplen kulturellen wie nationalen Identitäten.

Identität

Deutungsmuster: Dem dominanten Gegendiskurs zufolge ist menschliche Identität eindimensional. Sie speist sich maßgeblich aus Abstammung von bzw. Zugehörigkeit zu einer spezifischen Kultur. Da kulturelle Grenzen überdies mit nationalen Grenzen deckungsgleich sind, ist kulturelle Identität immer auch nationale Identität und umgekehrt. Kulturelle (bzw. nationale) Identifikation ist in diesem Sinne exklusiv und (in Anbetracht eines Kulturbegriffs, der Wandel mehr oder weniger ausschließt) weitgehend statisch. Man kann demnach zu jeder Zeit nur eine kulturelle Identität haben. Sie umfasst alle gesellschaftlichen Lebensbereiche und prägt das Denken und Handeln auf holistische Weise. Etwaige identitätsspezifische Verhaltensweisen, die ein Individuum in einer beliebigen Situation an den Tag legt, erlauben daher sicheren Rückschluss auch auf die Identifikation in anderen Kontexten.

Kommentar: Wiederum weist der Diskurs starke Parallelen zu frühethnologischen Ansätzen auf, wie sie etwa die Ethnizitätsforschung vor Fredrik Barth dominierten, und wie sie auch heute noch in diversen wissenschaftlichen Ansätzen zu finden sind, so etwa bei Esser oder – besonders prominent – bei Huntington.Footnote 209 Anders als die moderne Ethnologie, die Ethnizität als Beziehung zwischen Gruppen (und deren individuellen Mitgliedern) definiert, begreift der Diskurs sie als quasi-natürliche Eigenschaft dessen, was man – im Herder’schen Sinne – als ‚Volk‘ bezeichnen kann.Footnote 210 Vor diesem Hintergrund sind die Konzepte Kultur und Identität untrennbar miteinander verschmolzen und erscheinen geradezu wechselseitig austauschbar. Überdies verschmelzen Vorstellungen von persönlicher Identität mit Vorstellungen von sozialer Identität (in Form von Ethnizität), insofern erstere durch letztere mehr oder minder abschließend determiniert zu sein scheint.Footnote 211 Mit der Gleichsetzung von Ethnizität und Nationalität offenbart der Diskurs überdies sein ethnonationales Programm, das – ganz in der Tradition Herders und Meineckes stehend – die ‚Natürlichkeit‘ sowie die Historizität (imaginierter) nationaler Gemeinschaften propagiert (diese Vorstellung findet sich in der neueren Nationalismusforschung zudem in abgemilderter Form auch bei Anthony D. Smith).Footnote 212 Die ethnonationale Logik des Diskurses stützt sich, wie weiter oben gezeigt wurde, auf die Subjektposition des/der ‚anständigen Deutschen‘ gegenüber den ‚schlechten Migrant_innen‘ und ihren ‚primitiven‘ Kulturen, wobei rassifizierte ethnische, nationale und religiöse Minderheiten wiederum im Fokus fundamentalistischer Abgrenzung stehen. Die folgenden Zitate geben einen beispielhaften Überblick über diesen Deutungszusammenhang:

  1. „Herr Yilmaz, warum sagen sehr viele bereits hier geborene Nachkommen türkischer Eltern auch in der 4. Generation ‚Ich bin ein stolzer Türke!‘, obwohl sie nach dem Gesetz Deutsche sind? Und warum sollten wir noch mehr Menschen mit dieser Einstellung den deutschen Pass schenken?“Footnote 213

  2. „Wer Türke bleiben will, also türkisch denkt, spricht und in einer türkischen Parallelgesellschaft lebt, ist kein Deutscher und sollte keinen Anspruch auif (sic!) den deutschen Pass haben. Wer sich als Türke fühlt, sollte bitte in der Türkei sein Heimatgefühl ausleben, die Türkei ist groß genug.“Footnote 214

  3. „Wer sich lieber als Türke fühlt und seinen türkischen Paß behalten will, soll bitte endlich die Konsequenz ziehen und für immer in sein Traumland gehen. Ein Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft, also Rosinen-Picken, darf es nicht geben. Wann wird jedem Deutschen ein türkischer Paß ausgehändigt?“Footnote 215

  4. „Sie dürfen Ihren türkischen Pass gerne behalten, nur sollte das deutsche Volk bestimmen, wer einer von Ihnen wird und wer sich in Deutschland niederlässt. Und zwei Herren kann man nicht dienen, entweder ist man Türke oder man ist Deutscher. Ganz einfach! Ein Volk ist kein Unternehmen, dass man je nach Belieben wechselt, sondern eine Solidargemeinschaft, welche Werte, Sprache und Kultur teilt. Wenn Sie ein Teil davon werden möchten, passen Sie sich an! Wenn nicht, auch gut, lassen Sie es bleiben und leben Sie mit (evtl.) Konsequenzen.“Footnote 216

Deutungsmuster: In den oben abgedruckten Belegzitaten ist bereits eine starke Diskursverschränkung mit dem Themenfeld Mehrstaatigkeit offenbar geworden. Da der dominante Gegendiskurs zur Hamburger Einbürgerungsinitiative Identitäten als eindimensionale, kollektive Strukturen auffasst und kulturelle Identifikation überdies mit nationaler Identifikation gleichsetzt, versteht er, in logischer Konsequenz, die doppelte Staatsangehörigkeit als unnatürliches, künstliches Konstrukt. Staatsvölker werden als historisch gewachsene Schicksalsgemeinschaften begriffen, welche exklusive Zugehörigkeiten und starke emotionale Verbundenheit generieren. Unter gewissen Bedingungen kann sich die nationale Identifikation im Laufe eines Lebens zwar verschieben (so z. B. im Zuge von Migrationsprozessen), dieser Übergang muss dann allerdings im Sinne eines klaren und vollständigen Wechsels vollzogen werden, der alle Lebensbereiche umfasst und sich insbesondere in kultureller Angleichung an sowie emotionaler Hinwendung zu der neuen nationalen Heimat niederschlägt. Mehrstaatigkeit gilt vor diesem Hintergrund als unzulässig, da sie nicht nur Zeichen eines fragwürdigen Opportunismus ist, sondern außerdem auch unweigerliche Loyalitätsprobleme zur Folge hat. Sie muss daher grundsätzlich vermieden werden.

Kommentar: Abermals tritt der dominante Gegendiskurs hier in Relation zu seinem antagonistischen Gegenstück – dem offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurs – indem er dessen genereller Befürwortung von Mehrstaatigkeit entschieden widerspricht. Das Prinzip der Mehrstaatigkeit hinterfragt ganz grundsätzlich das weiter oben entwickelte Deutungsmuster einer essentiellen, historisch gewachsenen und in hohem Maße persönlichkeitsdeterminierenden nationalkulturellen Identität. Es bringt damit die kollektive Wirklichkeitskonstruktion ins Wanken und provoziert die (emotional aufgeladene) Unterstellung von Opportunismus und Illoyalität der Gegenseite. Der oder die ‚anständige Deutsche‘ ist seinem/ihrem Land und dessen Gemeinschaft ‚treu ergeben‘ und ‚inniglich‘ mit beidem verbunden. Deutsche mit doppelter Staatsangehörigkeit passen nicht in dieses ethnonationale Selbstbild. Die untenstehenden Zitate demonstrieren außerdem, dass die Ablehnung von Mehrstaatigkeit häufig mit expliziter Abgrenzung zu einer ‚kosmopolitischen Elite‘ einhergeht (zu welcher gleichsam auch die ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘ zählen). Dieser Elite stehen (vermeintlich) alle Rechte, Freiheiten und Chancen offen, während sich die Sprecher_innenschaft des ethnonationalen Diskurses in hohem Maße auf den nationalstaatlichen Rahmen beschränkt sieht.Footnote 217 Die Ablehnung von Mehrstaatigkeit folgt damit auch aus der subjektiven Wahrnehmung von Unfairness und potenzieller Benachteiligung. Während Kosmopolit_innen ‚entwurzelt‘ und ‚frei‘ sind, legitimiert die territoriale Verwurzellung des/der ‚anständigen Deutschen‘ die emotionale ‚Verteidigung des Vaterlandes‘. Interessant ist in diesem Zusammenhang v.a. auch die metaphorische Assoziation von Nation und Familie sowie von Nation und Religion, wie sie in den nachfolgenden Debattenausschnitten zum Vorschein tritt und wie sie in hohem Maße mit den Beobachtungen anderer wissenschaftlichen Arbeiten korrespondiert, so etwa bei AlonsoFootnote 218, ColemanFootnote 219 und AndersonFootnote 220. Insbesondere Alonsos Vorschlag, Nationalismen als structure of feeling zu begreifen, macht in Bezug auf den hier präsentierten ethnonationalen Diskurs unzweifelhaft Sinn.Footnote 221 Der Diskurs gewinnt seine Macht v.a. durch das von ihm entworfene emotionale Identitätsangebot des/der ‚anständigen Deutschen‘. Er wiegt damit das omnipräsente Gefühl der Deprivation auf, mit welchem sich viele seiner Sprecher_innen ganz offensichtlich konfrontiert sehen, und wertet es positiv um. Anders als Anderson oder Alonso betonen, überdeckt der nationalistische Diskurs dabei hier keinesfalls gesellschaftliche Hierarchien und UngleichheitenFootnote 222 – vielmehr spaltet er sie weitergehend auf und macht sie zu seinem ureigenen, konstitutiven Grundstein.

  1. „Die Mehrstaatlichkeit ist in 19 EU Mitgliedsstaaten gelebte Praxis.“

    Haben Sie mal ein paar konkrete Zahlen für uns? Komisch, alle Franzosen die ich kenne, bezeichnen sich als Franzosen und möchten auch gerne solche bleiben. Das gleiche gilt für die Spanier, Italiener und Briten in meinem Freundeskreis.

    Nur weil Sie an die multikulturelle Idiologie (sic!) glauben und konstruierte Bündnisse mit organisch gewachsenen Völkern verwechseln, heißt dies nicht, dass es sich dabei um gelebte Praxis handelt!“Footnote 223

  2. „Mit der Staatsbürgerschaft ist es ein bischen (sic!) wie mit der Ehefrau: Man sollte sich klar für EINE entscheiden und dann loyal dazu stehen. Wer nur von einem Blatt Papier spricht, hat leider nicht verstanden, worum es geht.“Footnote 224

  3. „Wenn sich ein Zuwanderer für die deutsche Staatsbürgerschaft entscheidet, dann bekommt er eine ganze Menge an Rechten, Freiheiten, Teilnahme am politischen Leben, am Solidarsystem usw. Das ist für mich ein großer Akt, bei dem es auchmal (sic!) etwas pathetisch zugehen darf. Ein Bürger sollte auch zu seinem Land stehen und sich für seine Zukunft einsetzen in guten wie in schlechten Zeiten. All das ist mehr als die Übergabe eines Stück Papiers. Ich sehe oft mit Sorge, wie hier im Fprum (sic!) türkischstämmige DEUTSCHE Staatsbürger im Interesse der Türkei und nicht im Interesse des deutschen Volkes argumentieren, etwa beim EU-Beitritt der Türkei.“Footnote 225

  4. „Man kann auch nicht gleichzeitig in der evangelischen und katholischen Kirche sein, obwohl beide christliche Konfesionen (sic!) sind. Oder CDU- und SPD- Mitglied sein, obwohl beide demokratische Parteien sind. Oder Mitglied bei Bayern München und Borussia Dortmund sein, obwohl beides Bundesligavereine sind. Irgendwann muss man sich entscheiden. Das heißt ja nicht, dass man seine Identität aufgibt, aber das Leben hält nunmal (sic!) einige Schubladen bereit. Ausserdem (sic!) enpfinde (sic!) ich es als ein unverdientes Privileg, zwei Pässe im Reisegepäck zu haben. Das beinhaltet viele Vorteile, die ein ‚normaler‘ Bürger nicht erlangen kann.“Footnote 226

  5. „Sie beschreiben die Rechte... und welche Verpflichtungen haben Sie wider diesen Ländern (sic!)? Geht das eine Land vor die Hunde, können Sie halt ins nächste gehen. Genug Auswahl scheinen Sie ja zu haben.

    Und worauf basiert ein funktionierendes Staatswesen? Auf Bürgern, die nicht nur nach Rechten als Bürger suchen, sondern auch bereit sind Pflichten zu schultern.

    Wissen Sie, meine Kinder haben nur dieses eine Land. Ich weiß, völlig reaktionär und wahrscheinlich von gestern, aber können Sie verstehen, wieso Leute wie ich ein anderes, vielleicht ernsthafteres Interesse daran haben (sic!) dieses Land wohlzubehalten (sic!), als jemand, der, wenn es ihm hier nicht mehr passt, einfach woanders hingehen kann? Ich denke das kann man verstehen, oder?“Footnote 227

  6. „Derjenige, für den ein Land nur ein völkerrechtliches Rahmenwerk für den eigenen Arbeitsstandort ist, mag keinen Unterschied darin sehen, ob man nur eine oder mehrere Nationalitäten inne hat (sic!). Diejenigen, die jedoch eine Heimat suchen, einen Ort von exklusiver emotionaler Bindung mit einem Volk, zu dem man auch in wirtschaftlich schlechten Zeiten gehören möchte, werden verstehen, warum ein eindeutiges Bekenntnis zu einer Nationalität ein wichtiger Vertrauensbeweis ist. Das heisst nicht, dass man Nationalitäten nicht wechseln kann, aber wer glaubt, auf 2 Stühlen gleichzeitig sitzen zu können wird oftmals zwischen beiden Stühlen sitzen.“Footnote 228

Deutungsmuster: Da der vorliegende Diskurs Staatsvölker als quasi-organische Schicksalsgemeinschaften begreift, verlangt er nicht nur ganz generell die Vermeidung von Mehrstaatigkeit, er fordert überdies auch absolute Loyalität gegenüber dem Staat und seiner Nation. Auf die eigene nationale Identität – manifestiert im rechtlichen Status der Staatsangehörigkeit – sollte man stolz sein. Im Zweifelsfall sollte man sich außerdem bereitfinden, für den Staat und dessen Fortbestand persönliche Opfer zu bringen – bis hin zum ‚Tod für das Vaterland‘ in Kriegszeiten. Dies gilt umso mehr, wenn man als Migrant_in die Staatsangehörigkeit erst nachträglich erwirbt. Nur wer absolute Loyalität demonstriert ist auch wirklich integriert.

Kommentar: In besonderem Maße tritt hier die nationalistische Agenda des Diskurses hervor. Mit der ‚Bereitschaft sich zu opfern‘ wird ein Motiv aktualisiert, wie es radikale Nationalismen klassischerweise auszeichnet.Footnote 229 Das Element der Loyalität entspringt dabei jedoch weniger aus tiefempfundener, horizontaler Kameradschaft, wie Anderson es formuliert hatFootnote 230, sondern vielmehr aus der antagonistischen Kontrastierung unterschiedlicher Klassifikationen und Subjektpositionen – ‚anständige Deutsche‘ vs. ‚schlechte Migrant_innen‘, ‚anständige Deutsche‘ vs. ‚schlechte (eingebürgerte) Deutsche‘ (alias ‚schlechte Migrant_innen‘) sowie ‚anständige Deutsche‘ vs. ‚schlechte (geborene) Deutsche‘ (alias ‚Kosmopolit_innen‘ und ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘). Wiederum zeigt sich hierin das von Laclau und Mouffe sowie von Barth und Eriksen identifizierte Phänomen der antagonistischen Konstitution von Identität, welches die diskursive Konstruktion von kultureller Wirklichkeit maßgeblich anleitet.Footnote 231 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang v.a. das wiederholte Rekurrieren der Sprecher_innen auf das Moment des Krieges in welchem sich letztlich und endlich offenbaren soll, wer zur emotionalen Gemeinschaft der Nation gehört und wer nicht.Footnote 232 Dabei gründet die nationalistische Loyalitätsforderung allein auf der Zugehörigkeit zur emotionalen Schicksalsgemeinschaft als solcher – nicht etwa auf deren Werten oder der Verfasstheit ihres politischen oder wirtschaftlichen Systems. Dies zeigt sich v.a. daran, dass die Sprecher_innen des Diskurses verlangen, man solle Deutschland treu sein, selbst dann, wenn es zu einer absoluten Krisensituation käme (etwa einer wirtschaftlichen Katastrophe oder der Einführung eines diktatorischen Regimes). Damit ist der existenzielle Unterschied zwischen einem ethnonational und einem staatsnational ausformulierten Nationalismus angesprochen: Während letzterer seine Legitimation in entscheidendem Maße aus der jeweiligen politischen Wertegrundlage zieht, steht für ersteren allein die quasi-natürliche Gemeinschaft seiner Adressat_innen im Vordergrund.Footnote 233 Wer diese ‚Natürlichkeit‘ hinterfragt (indem er oder sie beispielsweise die Loyalität verweigert oder multiple Loyalitäten demonstriert), wird unweigerlich aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Dies erfordert alleine schon der diskursive Selbsterhaltungstrieb der kollektiven Wirklichkeit, wie die Sprecher_innen sie in den unten (sowie oben) abgedruckten Belegzitaten gemeinschaftlich entwerfen:Footnote 234

  1. „Immer wieder betont der Autor, daß seine Loyalität und Identität Griechenland gehören. Daß seine Einbürgerung nur ein paar Vorteile bringen soll. Was ist das – Nationalstolz?“Footnote 235

  2. „Wen interessiert es, wo jemand seine Vergangenheit hatte? Wichtig ist, wo jemand seine Zukunft sieht.

    Wo sollen ihre Kinder aufwachsen, Herr Zacharakis? In Deutschland? Dann hoffe ich, daß Sie für dieses Land nur das Allerbeste wünschen und danach streben.

    Aus Ihren Ausführungen lese ich aber eher, daß die Entscheidung für die dt. Staatsbürgerschaft eher eine Sache der Opportunität war. Wie für die meisten, die ich kenne, die diese Frage zu beantworten haben. Das sind Momente, wo es mich ärgert und ich denke, daß ein Volk immer auch Schicksalsgemeinschaft war und ist. Was ist, wenn die Opportunität in der Zukunft mal in die andere Richtung schwingt? Deutschland geht den Bach runter und in Griechenland kann man gut leben? Dann wären Opportunisten eben wieder weg. Ist das eine Schicksalsgemeinschaft? Ich meine nein, und halte demnach die lasche Vergabe von Staatsbürgerschaften, insbesondere doppelten, am Ende des Tages in den meisten Fällen für falsch.“Footnote 236

  3. „Glückwunsch zu dem Leitartikel. Die doppelte Staatsangehörigkeit führt zur Desintegration und nicht zur Integration. Wer sich für einen deutschen Pass entscheidet, muss sich eindeutig zur deutschen Kultur und Gesellschaft bekennen, im Konfliktfall dafür kämpfen und die Politik mitbestimmen. Es dürfen nicht nur Bleiberecht und wirtschaftliche Vorteile in Anspruch genommen werden. Ich habe mich eindeutig für den deutschen Pass entschieden, mit allen Konsequenzen. Dennoch kann ich meinem ursprünglichen Land weiterhin verbunden sein.“Footnote 237

  4. „Wir glauben, dass es richtig ist, weiterhin daran festzuhalten, dass die Staatsangehörigkeit nur eine einzige sein kann. Das hat mit Loyalität zu tun. Das ist Ausdruck von gelungener Integration. Ich frage mich, warum Sie daran nicht festhalten wollen. Ist es nicht vielleicht Ausdruck dessen, dass es Ihnen nicht um Integration geht, da Sie es zulassen wollen, dass hier Menschen leben, die sich überhaupt nicht um Integration bemühen? Das sollten Sie eindeutig zum Ausdruck bringen und nicht über den Umweg des Staatsangehörigkeitsrechts.“Footnote 238

  5. „Spätestens im Kriegsfall werden wir wissen wer integriert ist(eine (sic!) alte CDU Weisheit), auf die auch schon die Amerikaner setzten. Ob dann noch alle unsere Freiheit verteidigen wollen, oder eher die der anderen(der (sic!) ‚eigenen‘) wird sich noch zeigen. Nur dann zu differenzieren, dürfte zu spät sein.“Footnote 239

  6. „Mit Ihrer Aussage „Ich persönlich hätte am liebsten beide Staatsbügerschaften, weil ich dann die Gewissheit hätte, daß ich ohne Probleme in mein Herkunftsland zurück könnte, falls es hier mal zu einem Nazideutschland 2.0 oder etwas in der Art kommen sollte (würde ich in diesem Extremfall ohnehin auch so können)“ schiessen (sic!) Sie ein Eigentor. Genau das meine ich mit ‚Hintergedanken‘!!!!! So stelle ich mir einen Passdeutschen vor, der zwar die Vorzüge eines Landes haben will, aber nicht die evtl. Nachteile in Kauf nehmen will.“Footnote 240

  7. „Ich käme mir wie eine Verräterin vor, wenn ich Deutschland gegenüber inloyal (sic!) wäre und so handeln würde.“Footnote 241

  8. „Auf Beliebigkeit folgt Beliebigkeit.

    Wo treten die Doppelten ihren Wehrdienst an.

    Ach ja, wir haben den Wehrdienst abgeschafft.

    In welche Richtung zeigen im Notfall die Gewehrläufe?

    Eigentlich wollte ich ja mit allem rechnen.

    Ich wollte doch nichts mehr wollen.

    Die Republik verändert sich rasant.“Footnote 242

Die bis hierhin dargelegte Narration – mit ihrer Betonung von kultureller Homogenität und ethnischer Abstammung, von nationaler Schicksalsgemeinschaft und bedingungsloser Loyalität – weist unzweifelhaft auf einen objektivistischen Nationenbegriff hin, wie er in Abschnitt 2.1 erläutert wurde. Dieser ethnisch konnotierte Nationenbegriff wiederum leitet über zu kulturassimilativen Vorstellungen von Integration und einer grundsätzlichen Skepsis hinsichtlich der Möglichkeit (und des positiven Ausgangs) eines etwaigen Grenzübertritts durch Einbürgerung. Die emotionale Ablehnung gegenüber dem antizipierten gesellschaftlichen Wandel, wie er in den obigen Zitaten immer wieder deutlich geworden ist, sowie gegenüber der gesellschaftlichen Elite, die für diesen Wandel verantwortlich gemacht wird, zieht sich dabei als emotionales Leitbild durch den gesamten Diskurs und seine (insbesondere zivilgesellschaftlichen) Seitenarme.

Nation

Deutungsmuster: Der dominante Gegendiskurs zeichnet ein Bild von Deutschland als monokultureller Abstammungsgesellschaft. Er geht davon aus, dass Deutschland historisch betrachtet immer kulturell homogen war. Zugehörigkeit zum deutschen Volk definiert sich klassischerweise über die Abstammung von deutschen Vorfahren und drückt sich in kultureller Uniformität aus. Durch eine Einbürgerung erlangen Migrant_innen zwar staatsbürgerliche Rechte, zu ‚echten Deutsche‘ werden sie dadurch allerdings nicht.

Kommentar: Mit der Gegenüberstellung von ‚echten‘ und ‚eingebürgerten Deutschen‘ tut sich eine neue antagonistische Unterscheidung auf – sowie ein unklares Verhältnis zur Subjektposition des/der ‚anständigen Deutschen‘. Während einige Sprecher_innen sehr wohl davon ausgehen, dass Eingebürgerte ‚anständige Deutsche‘ sein können – oder es sogar in besonderem Maße sein müssen, um durch ihre ‚herausragenden Bemühungen‘ den Verdacht des Opportunismus und der Illoyalität auszuräumen – vertritt ein Großteil der Sprecher_innen explizit oder implizit die These, dass Migrant_innen (egal ob ‚gute‘ oder ‚schlechte‘) niemals zu ‚echten Deutschen‘ werden können, da ihnen das entscheidende Moment der Abstammung fehlt. Bei dem hier zu beobachtenden Widerspruch scheint es sich weniger um klar unterscheidbare Seitenarme zu handeln, als vielmehr um eine gewisse definitorische Unschärfe. Die Subjektposition des/der ‚anständigen Deutschen‘, die (wenigstens potenziell) auch eingebürgerte Deutsche umfassen kann, koexistiert mit der Subjektposition des/der ‚echten Deutschen‘, welche die sozial konstruierte Gruppe der ‚Abstammungsdeutschen‘ in erheblichem Maße qualitativ aufwertet. Warum das so ist, kann in dieser Arbeit nicht abschließend beantwortet werden, weil dazu die (insbesondere ethnographische) Datenlage nicht ausreicht. Anhand des Diskursverlaufs und seiner einzelnen Argumentationslinien ist jedoch zu vermuten, dass die symbolische PolysemieFootnote 243 der Identitätskategorien wiederum aus dem antagonistischen Verhältnis mit dem staatsnationalen Diskurs hervorgeht. So betonen die Sprecher_innen des ethnonationalen Diskurses an mehrerer Stelle, dass sie sich von den Sprecher_innen der Gegenseite ‚in die rechte Ecke‘ gestellt fühlen – in welcher sie selbst sich (mit Ausnahme einiger radikaler Vertreter_innen) nicht verorten. Das Zugeständnis, dass ‚gute Migrant_innen‘ ggf. zu ‚anständigen Deutschen‘ werden können, kann in diesem Licht als Schutzargument gegen die negativ empfundene Fremdzuschreibung betrachtet werden. Denn: Wie kann man rechts sein, wenn man die Einbürgerung mancher Migrant_innen befürwortet? Dazu passt, dass die Sprecher_innen der ethnonationalen Linie (so auch in einigen der obigen Zitate) immer wieder darauf hinweisen, dass sie nicht per se ‚ausländerfeindlich‘ sind, sondern lediglich ‚besonders fremde‘ und daher ‚kulturell unverträgliche‘ Ausländer_innen ablehnen. Die Anerkennung ‚guter Migrant_innen‘ trägt implizit zur positiven Ausgestaltung der eigenen Identität bei, indem sie den Eindruck vermittelt ‚einfach nur missverstanden worden zu sein‘. Dies passt wiederum auch zu dem Diskriminierungsgedanken, der den gesamten Diskurs durchzieht und der dessen Adressat_innen als ‚Opfer der Eliten‘ erscheinen lässt. Gleichzeitig bietet der Diskurs die in hohem Maße positiv aufgeladene Subjektposition des/der ‚echten Deutschen‘ an, durch die ein quasi-natürlicher Überlegenheitsanspruch gegenüber allen anderen Subjektklassen eröffnet wird. Der latente Widerspruch der dadurch entsteht, tritt, so die hier entworfene These, aufgrund der emotionalen Macht der beiden diskursiven Identitätsangebote – dasjenige der ‚entrechteten Minderheit‘ auf der einen sowie dasjenige der ‚überlegenen nationalen Gemeinschaft‘ auf der anderen Seite – in den Hintergrund. Beide Subjektpositionen wurzeln letztlich in einer ethnonationalen Geschichtskonstruktion, welche die Existenz ‚natürlich gewachsener‘, quasi-organischer und kulturell homogener Nationen betont und deren (imaginierte) Gemeinschaft in einer quasi-mythischen Vergangenheit verortet. Einige radikale Stimmen weichen hier überdies von der kulturfundamentalistischen Hauptlinie ab und replizieren einen biologistischen Rassismus nach klassischem Modell. Ethnizität wird damit zum genetischen Merkmal und Kultur mit ‚Rasse‘ gleichgesetzt.Footnote 244 Dass ein solcher theoretischer Ansatz jeder rezenten wissenschaftlichen Erkenntnis zuwiderläuft, wurde in Abschnitt 2.2 bereits ausreichend deutlich gemacht. Doch auch die kulturelle Homogenität und die identitäre Einheit, welche der Diskurs in der deutschen Historie begründet sieht, ist – das hat Abschnitt 2.5 gezeigt – eine reine Fiktion.

  1. „Keine Sorge, Pässe bedeuten nicht viel, vor allen Dingen kann daraus nur Hilfesweise (sic!) die Staatsangehörigkeit abgeleitet werden.

    Wichtig ist nut (sic!) der ‚Staatsangehörigkeitsausweis‘ und der verlangt eine lange deutsche Ahnenreihe.

    Besorgt euch denen (sic!) und das Wahlrecht wird angepasst.“Footnote 245

  2. „wenn das alles so weiter geht moechte ich keine deutscher mehr sein

    es reicht im ergebnis ,hier zu sein eine gewisse--durchaus kurze zeit--und schon gibt es den pass

    es handelt sich hier doch nicht um ein einbuergerungsverfahren,sondern ein pass erlangungsverfahren

    glauben denn die politiker,dass so ein einbuergerungswilliger ,aus anderem kulturkreis stammend,mit anderen wertvorstellungen aufgewachsen anders tickt ,nur weil er einen deutschen pass hat??

    viele von den neuen deutschen sagen doch ganz offen,dass sie fuer ausschwitz und andere verbrechen keine verantwortung uebernehmen,das sei doch sache von uns deutschen

    wenn das so weitergeht wird alsbald jedem der einen antrag stellt,,eine praemie bezahlt

    armes deutschland--wir holen uns die probleme mit freuden ins haus

    der islam gehoert zu deutschland

    der ausverkauf gehoert zu deutschland…“Footnote 246

  3. „Nun, einen Vorteil hat diese Bettelei, die deutsche Staatsbürgerschaft doch bitte (sic!) bitte anzunehmen: Die Kriminalitätsstatistik verschiebt sich von einer weit überproportionalen ‚Migranten-‘ Kriminalität zu deutscher Kriminalität, d.h. man kann so – wenn auch vorgetäuscht – von einem massiven Rückgang der Kriminalität von Einwanderern schwärmen. Gleichzeitig kann man eine erhöhte deutsche Kriminalität vorweisen und so uns Deutsche wieder einmal – wie gewohnt – schlecht machen, in den Dreck ziehen und somit ‚beweisen‘, dass wir Deutschen ja noch viel (sic!) viel schlimmer sind als all die armen Einwanderer.“Footnote 247

  4. „Und alle (sic!) die einen deutschen Pass haben, werden aus der Ausländerstatistik rausgemogelt! Und somit hab (sic!) ich mit meiner Behauptung doch recht, wir haben bereits weit mehr als 50% Ausländeranteil in Deutschland! Wenn ich das linken Drecksäcken so sage und erwähne dass (sic!) das deutsche Volk systematisch ausgerottet wird, heißt es: Na und? Ist doch egal!

    Das haben mir Deutsche so ins Gesicht gesagt!“Footnote 248

  5. „Scholz bürgert jeden ein, der nicht bei Drei auf dem Baum ist. Speichelleckend biedert er sich den Ausländern an, die ihn aber trotzdem verachten, wie ich aus dem persönlichen Umfeld ( Russen ) weiß.

    Damit TV-Moderatoren wie Plasberg und Anne Will ( gestern ) frech behaupten können in Deutschland leben nur 8,9 % Ausländer. Ja ne – ist schon klar.

    In HH beträgt jetzt schon der Anteil der U30 jährigen (sic!) mit MiHiGru fast 50%. Bei den Schulkindern sind es noch mehr.

    Jetzt muss noch den (sic!) Doppelpass her. So hat man einen Pass für Hartz-IV und einen Pass um sich absetzen zu können wenn man kriminell wird. Feine Sache.“Footnote 249

  6. „Ich halte diese ganze Einbürgerungsgeschichte für verfassungswidrig.

    Artikel 20 des Grundgesetzes besagt: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“

    Mit der Einbürgerung wird jemand zwar Staatsangehöriger, aber nicht Volkszugehöriger. Volkszugehörigkeit ist genetisch bestimmt, (sic!) und kann daher nicht durch Verwaltungsakte verändert werden.

    Durch die Einbürgerung bekommt jemand das Wahlrecht zugesprochen, obwohl er nicht dem Volk angehört. Es wird Staatsgewalt, die nicht vom Volk ausgeht, installiert.“Footnote 250

  7. „Die Staatsangehörigkeit ist eben nicht mit der Volkszugehörigkeit identisch. Der Staat ist ein besserer (Regierungs-)Verein, der mittlerweile jeden aufnimmt und die alten Mitglieder verprellt. Vielleicht sollte man einmal überlegen, aus diesem ‚Verein‘ namens Staat einfach aussteigen (sic!) und was Eigenes aufmachen (sic!)? Da für viele, vor allem auch in unseren Kreisen, eine solch eine (sic!) Überlegung aber nahezu undenkbar ist, bleibt wohl bis zur Erkenntniswende nur der jüngerische Waldgang.“Footnote 251

Deutungsmuster: Dem ethnonationalen Diskurs zufolge, kann eine Gesellschaft nur sinnvoll funktionieren, wenn ihre kulturelle Homogenität effektiv gewahrt ist. Migration und fremdkulturelle Einflüsse bedrohen die innere Ordnung, den Frieden und die Sicherheit – insbesondere da Zuwandernde häufig ‚primitive‘ Weltanschauungen mitbringen und überdies soziale wie wirtschaftliche Probleme verursachen. Xenophobie ist eine verständliche und logische Gegenreaktion auf diese mehr oder weniger latente Bedrohungslage. Sie liegt nicht im Verschulden der deutschen Bevölkerung. Ohnehin sind Anschuldigungen in Bezug auf Diskriminierung oder Rassismus meistens aus der Luft gegriffen.

Kommentar: Mit dem hier nachgezeichneten Deutungsmuster greift der Diskurs – in Bezug auf die normative Betonung von nationalkultureller Homogenität – nicht nur wissenschaftliche Thesen auf, wie etwa Huntington sie vertritt,Footnote 252 er rechtfertigt außerdem die von ihm erzeugte Cultural Anxiety (nach Grillo), seinen Kulturessenzialismus (nach Reckwitz) bzw. seinen aggressiven Kulturfundamentalismus, wie er weiter oben bereits durchleuchtet wurde.Footnote 253 Die Logik dieser Rechtfertigung basiert maßgeblich auf der bereits mehrfach thematisierten Bedrohungswahrnehmung, die nicht nur eine ‚Überfremdung von außen‘ durch ‚schlechte Migrant_innen‘ fürchtet, sondern insbesondere auch die ‚Überfremdung von innen‘ durch ‚kosmopolitische Eliten‘ bzw. ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘. Dieser doppelte Antagonismus hebt die ‚anständigen Deutschen‘ und noch viel mehr die ‚echten Deutschen‘ in eine Position moralischer Unantastbarkeit: Als entrechtete Minderheit im eigenen Staat befinden sie sich in einer absoluten Notlage, die ‚den Kampf mit allen Mitteln‘ rechtfertigt. Der ständige Vorwurf des Rasssismus, mit dem die Sprecher_innen sich ganz offensichtlich konfrontiert sehen, wird dabei als bloßes Machtinstrument der Gegenseite interpretiert und als solches mit Vorstellungen von Zensur und Unterdrückung assoziiert. Die untenstehenden Zitate veranschaulichen diesen Deutungszusammenhang:

  1. „Was aber zu diesem Thema ‚Wiedervereinigung‘ noch viel mehr zu sagen ist, ist, dass ja nicht nur die Grenze von Ost- nach Westdeutschland aufgegangen ist, sondern die Grenzen zum Osten ganz allgemein. Wo Bulgarien, Serbien, Rumänienusw. (sic!) rein geografisch liegen, wusste man ja aus dem Erdkunde-Unterricht, aber Bekanntschaft hat man mit diesen Menschen – und auch mit deren Religionen – nie persönlich gemacht.

    Diesen (sic!) Vielvölkerstaat wie wir ihn heute in Deutschland haben, war erst richtig möglich durch diese Grenzöffnung. Und wenn wir Deutschen heute oft ängstlich auf das ehemalige Jugoslawien verweisen, welches auch durch seine unterschiedlichen Kulturen ‚untergegangen‘ ist, ist das doch sicher ein Menetekel oder?“Footnote 254

  2. „…wieviel besser hatten es die Gastarbeiter, sie konnten es sich aussuchen, wohin sie auswanderten und sich vorher informieren, was sie erwartet. Viele habe es leider nicht gemacht, denn sonst wären die heutigen Probleme mit der orientalischen Kultur vs der deutschen Kultur nicht so gravierend. […]

    Meine und die anderen Nachfahren der Hugenotten erkennt man heute nur noch am Nachnamen, wenn das keine positive und für Deutschland auch heute noch für andere Einwanderer/Zuwanderer erstrebenswerte Aussage ist.“Footnote 255

  3. „Für mich ist dieser Mann sowieso unglaubwürdig, wenn er selbst krampfhaft an seinem türkischen Paß festhält, aber seine Landsleute zur Einbürgerung ‚überreden‘ soll. Und seine Argumentationen gegen eine Einbürgerung zeigen nur, das (sic!) er uns seine Kultur und deren Denkweise (Straffälligkeit) aufzwingen möchte. Übrigens vermisse ich den Aufschrei der Türkischen Gemeinde bei sämtlichen Übergriffen ihrer Landsleute gegenüber den Deutschen auf Bahnhöfen oder bezügl. Ehrenmorde, Vergewaltigungen etc. Da erweckt sich der Eindruck, das (sic!) es von ihm toleriert wird. Aber bei der Ermittlung im Fall der ‚Dönermorde‘ sind sie gaaaanz weit vorn und verlangen Trauermärsche, Konsultationen der Politiker, Entschädigungen etc. Es ist eine fremde Kultur, die zweigleisig fährt und sich keinesfalls integrieren möchte.“Footnote 256

  4. „Ich kann dazu nur sagen ,40%der (sic!) Harz4 (sic!) Empfänger sind Ausländer.Ferner (sic!) Überfälle von Türken auf Deutsche sind häufiger als umgekehrt.Türken (sic!) verprügel (sic!) wenn sie in der Überzahl sind gerne Deutsche SBahn (sic!) fahrer.Warum (sic!) sollen also Deutsche freundlich zu Türken sein?“Footnote 257

  5. „Verwandschaft (sic!) von mir ist vor Jahren aus der Ukraine nach Kanada emigriert. Promovierte Akademiker. Jahrelang haben sie sich mit jeweils 2 Jobs über Wasser halten müssen und nebenbei alle Prüfungen neu abgelegt. Da gab´s keine Geschenke, Anerkennung von Diplomen irgendwelcher Länder, Integrationshilfe, keine Gutmenschen, keine Sozialhilfe... Wer da landet, muß sich selbst versorgen können. Mit harter Arbeit haben sie sich nun ordentlich was geschaffen, Haus, guter Job... In Kanada liegen Zuwanderer niemandem auf der Tasche. Deswegen bringt man ihnen auch keinerlei Haß entgegen. Darüber sollte man mal nachdenken!“Footnote 258

  6. „Die Zukunft heisst (sic!) Piratenpartei, alle wollen nur noch ihre ‚Ich‘ Interessen durchgesetzt haben, kein ‚Wir‘ sondern ‚Ich‘ in einer blümchenhaften Welt.

    Das was viele verachtenswert ‚deutschtümelei‘ (sic!) beschimpfen ist ein Sozialstaat der noch ‚einigermaßen‘ funktioniert im gegensatz (sic!) zu Herrn Zacharakis ‚zweiter Identität‘ Griechenland. […]

    Als Deutscher wünsche ich mir schon manchmal ein Pole zu sein. Die wissen wer sie sind, die wissen wofür sie kämpfen und zu leben, wir Deutschen kennen nur noch zu allem Ja zu sagen und sich klein zu machen sobald jemand ruft: ‚Diskriminierung!‘“Footnote 259

Deutungsmuster: In der Folge nimmt der Diskurs an, dass Migrant_innen für gewöhnlich nach Deutschland kommen, um von dessen überlegenem sozialen und wirtschaftlichen System zu profitieren. Bei den meisten von ihnen gebe es jedoch keine echte Integrationsbereitschaft. Ganz im Gegenteil seien viele Zuwandernde den Deutschen sogar feindlich gesonnen und versuchten aktiv deren Kultur zugunsten ihrer eigenen zu verdrängen. Unterstützt würden sie dabei durch Politiker_innen, die ihre eigenen, partikularen Interessen verfolgen, anstatt sich um das Wohl des deutschen Volkes zu bemühen. Der Diskurs inszeniert hier ein Bild der potenziell drohenden oder schon existenten Fremdbestimmung Deutschlands durch feindliche Mächte (z. B. korrupte Eliten, andere Staaten oder eine schleichend Überhand nehmende Invasion von Fremden):

Kommentar: In dem hier vorliegenden Deutungsmuster wird der doppelte Antagonismus auf die Spitze getrieben. In diesem Zusammenhang sind v.a. Gellners Ausführungen zum nationalistischen Prinzip relevant, wie sie in Abschnitt 2.1 dargestellt wurden. Gellner geht davon aus, dass das nationalistische Prinzip auf drei Arten verletzt werden könne. Zwei der von ihm ausgemachten Fallkonstellationen waren in der deutschen Geschichte bereits zu beobachten. So nahm der deutsche Nationalismus seinen Anstoß zum einen daran, dass die Deutsche Nation über mehrere Staaten zersplittert sei und keinen eigenen Nationalstaat vorweisen könne (etwa zur Zeit des deutschen Bundes) und zum anderen nahm er Anstoß an der sozial konstruierten Tatsache, dass – als es endlich einen Nationalstaat gab – dieser nicht alle ‚Deutschen‘ gleichermaßen umfasste (etwa zur Zeit der Weimarer Republik).Footnote 260 Im aktuellen Diskurs kommt nun Gellners drittes Modell zum Tragen: Die Fremdbeherrschung durch Mitglieder einer anderen Nation.Footnote 261 Durch die Ausgrenzung der ‚kosmopolitischen Eliten‘ (und damit der politischen und gesellschaftlichen Führungsschicht) aus der nationalen Gemeinschaft entsteht im Diskurs der unweigerliche Eindruck von politischer Fremdbestimmtheit. Dieser Eindruck wird noch durch die Vorannahme einer etwaigen ‚migrantischen Invasion‘ verstärkt, welche durch die ‚kosmopolitischen‘ Eliten absichtlich oder unabsichtlich befördert wird und welche letzten Endes zwangsläufig dazu führen muss, dass Deutschland sich den Mitgliedern einer ‚fremden Nation‘ unterwirft (gemeint sind damit zumeist ethnisierte oder rassifizierte Vorstellungen von Muslimen). Die derzeitige, multikulturelle Situation gilt als ominöser Vorbote dieser dystopischen Untergangserwartung. Sie ist deshalb nicht nur in hohem Maße abzulehnen sondern muss – so die Logik des Diskurses – idealerweise auch aktiv bekämpft werden.

  1. „Mir sind Fälle aus Baden-Württemberg bekannt, in denen gewisse Organisationen permanent eine sehr hohe Anzahl von Personen gezielt und gegen Geldzahlungen aus dem Ausland holt (sic!) und diese auf die Einbürgerungsbestimmungen sorgfältig, d.h. Deutschkurs, angeblicher Arbeitsplatz, überzeugende Argumente bis hin zu bezahlten Ehearrangements usw. vorbereitet. Alle sprechen sehr gut Deutsch, verachten uns Deutsche und betrachten uns als minderwertiges dämliches Volk, dass man wunderbar nach Strich und Laune austricksen und bequem und ohne Gegenwehr mühelos ausnehmen kann.“Footnote 262

  2. „Neuer Wahlspruch der SPD ,wenn (sic!) das Volk uns nicht mehr wählt , (sic!) wählen wir uns unser Volk eben selber aus , (sic!) jedes türkische Mädchen mit Schulabschluß wird eingedeutscht ,fährt (sic!) in die Türkei , (sic!) heiratet einen Verwandten, bringt ihn und seine Geschwister zwecks Familienzusammenführung nach hier , (sic!) und wir lassen uns dann etwas neues einfallen , (sic!) wie wir die schnell zu Deutschen machen. Auftrag erfüllt , (sic!) Wählerpotential gesichert. Hurra . (sic!)“Footnote 263

  3. „Aber was tut die SPD in Hamburg nicht alles für den Machterhalt. Der nächste Schritt wird sein, noch mehr Migranten (Muslime) in die SPD mit aufzunehmen, die dann die Politik mitentscheiden und den Muslimen noch mehr Zugeständnisse zu machen. Scharia ick hör dir trapsen. Warum war das den Hamburgern nicht klar, als sie die SPD mit absoluter Mehrheit in die Bürgerschaft wählte (sic!)? Wann fordern die Muslime die ersten Scharia-Zonen in Hamburg? Darf man so etwas unterwürfige Arschkriecherei oder vorauseilenden Gehorsam nennen? Jedenfalls richtet man in vorauseilendem Gehorsam an den Hamburger Hochschulen schon einmal Gebetsräume ein. Wie man sieht, schreitet die Islamisierung Deutschlands, dank der SPD, munter voran.“Footnote 264

  4. „Wie viel blöde, echte Deutsche leben alleine in Hamburg, die solche Deutschen verachtende Politiker immer und immer wieder wählen? Pfui!!!!! Schämt euch!!!!“Footnote 265

  5. „Was ich hier so lese, scheinen in HH kaum noch Biodeutsche zu leben, sondern nur noch Passdeutsche und DIE wählen Scholz, weil er mit seiner Passverschleuderei dafür sorgt, daß Freunde (sic!), Verwandte und Bekannte des Migrantengesocks nach Deutschland kommen können.

    Was in HH in klein abläuft, wird in ganz Deutschland in absehbarer Zeit passieren, wenn die Migranten ähm Islamfans das Sagen haben.

    Herr Scholz, SIE werden dann jedenfalls nicht mehr Bürgermeister sein, dafür werden Ihre Schäfchen schon sorgen, Sie Vaterlandsverräter.“Footnote 266

  6. „Ein Scholz ist ein kleiner Erfüllungsgehilfe, der sich ob seines Volksverrates auch noch selbst lobt.

    Er handelt im Auftrag. Insbesondere der USA, das (sic!) Europa mit Türken fluten will.

    […].

    Seien wir froh, daß wir eine türkische Mehrheitsgesellschaft vermutlich erst in 20 Jahren haben werden…“Footnote 267

  7. „Die Bio- Deutschen (sic!), für die Blockparteien auch der ‚White- trash‘ (sic!), wissen, dass die BRD sich schon in der knallharten ‚Abwicklungsphase‘ befindet und darüber ein parteiübergreifender Grundkonsens bezüglich dieses ‚Souveränitätsrechteausverkaufs‘ vorherrscht.

    Dies könnte die Bio- Deutschen dazu bewegen, ihr Kreuz (wenn auch nur aus Protest) ‚rechtsextremen‘ Parteien zu geben.

    Dann brauchen die ‚Volksparteien‘ natürlich ihre ‚neuen Staatsbürger‘, die aufgrund ihrer immensen Fertilität die demographische Entwicklung stark beeinflussen.

    Denn mit der deutschen Staatsbürgerschaft erhalten eben diese Personen auch das Wahlrecht.

    Politischen Rechte sollten eine Belohnung für gelungene Integration sein.

    Der SPD genügen schon Wählerstimmen.

    Wie immer, ist dieser Gedankengang entweder absichtlich oder aus Dummheit zu kurz gefasst.

    Es wird nicht mehr lange dauern, bis eine neue Islamische Partei Deutschlands (IPD) die Bühne betreten wird.....dies (sic!) ist aufgrund des demographischen Wandels so sicher, (sic!) wie das Amen in der Kirche.“Footnote 268

  8. „Es besteht nun überhaupt kein Zweifel mehr daran, das (sic!) die Altparteien aus diesem Land einen Vielvölkerstaat machen wollen. Eine „durchmischte und durchrasste Nation“, wie es der ehemalige bayerische Ministerpräsident Stoiber einmal zutreffend nannte. In dieser von Volksverrätern regierten Idiotenrepublik wundert mich überhaupt nichts mehr. Auch nicht, wenn demnächst Blankopässe für Alle an der Aldi-Kasse ausgegeben werden.“Footnote 269

  9. Das wird auch offenbar, wenn es viele verstehen und aussprechen. Umvolkung ist Volksverdrängung und Vernichtung von Identität. Sie ist verbrecherisch und hat den Zweck, austauschbare Individuen zu erzeugen, die als diffuse Masse leicht zu beherrschen sind.

    Schluss damit! Heimführung der Gastarbeiter!

    WIR sind das Volk und das ist UNSER Land.“Footnote 270

In den obigen Zitaten tritt in besonderem Maße die starke emotionale Dimension hervor, die dem ethnonationalen Diskurs zu eigen ist und die einen wichtigen Teil seiner Dynamik ausmacht. Die von ihm konstruierte Wirklichkeit sieht sich in hohem Maße von allen Seiten bedroht, was zu erheblicher emotionaler Gegenwehr führt, zu einem aggressiven Rassismus gegenüber ‚kulturell Fremden‘ und einem (interessanterweise) umgekehrten SozialdarwinismusFootnote 271 gegenüber ‚kosmopolitischen Eliten‘. Anhand der bisher vorgestellten Deutungsmuster wird außerdem erkennbar, dass der Diskurs in politischer Hinsicht zwischen konservativen, rechtspopulistischen sowie rechtsextremen Positionen oszilliert, wobei manche Deutungselement stärker in die eine oder die andere Richtung ausschlagen.Footnote 272 Es handelt sich hierbei um ein ganzes Spektrum politischer Meinungen, die alle einen kleinsten gemeinsamen Nenner teilen – die kulturfundamentalistische Ausgestaltung einer objektivistisch verfassten ‚Deutschen Nation‘. Damit reproduziert der Diskurs ein Nationenverständnis, das – laut Brubaker – in besonderem Maße ‚typisch‘ ist für die deutsche Selbstdefinition.Footnote 273 Dieses Nationenbild entsteht jedoch nicht etwa in einem diskursiven Vakuum, vielmehr erwächst es aus der diskursimmanenten Abgrenzung gegenüber seinem staatsnationalen Gegenstück. Auf diesen konstitutiven Antagonismus wird insbesondere Abschnitt 4.3 noch weiterführend eingehen. Dabei werden außerdem auch Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen den einzelnen Klassifikationen und Subjektpositionen thematisiert, wie sie sich im bisherigen Verlauf bereits angedeutet haben.

Integration

Deutungsmuster: Da der dominante Gegendiskurs davon überzeugt ist, dass eine Gesellschaft langfristig nur funktionieren kann, wenn sie ihre kulturelle Homogenität bewahrt, wird Integration hier in logischer Konsequenz mit kultureller Assimilation gleichgesetzt. Die kulturelle Anpassung bezieht sich nicht nur auf den gemeinsamen gesellschaftlichen Basisrahmen von Sprache, Verfassung und Gesetzen, sie erstreckt sich überdies auch auf die gesamte Lebensweise eines Menschen bis hin zu einzelnen kulturellen Praktiken wie Begrüßungsformeln, Kleidungsstilen und religiösen Ansichten. Integration ist insofern hauptsächlich – wenn nicht sogar ausschließlich – Aufgabe der Zuwandernden. Die deutsche (bzw. deutschstämmige) ‚Mehrheitsbevölkerung‘ hat keinerlei Anteil daran und trägt für ihr Gelingen auch keine Verantwortung. Migrant_innen müssen sich über die kulturellen Begebenheiten in Deutschland informieren und sich möglichst zügig und umfänglich daran anpassen. Der Staat muss diesen Prozess zwar streng überwachen, ihm obliegt ansonsten aber keine fördernde oder gar erleichternde Funktion. Da Migration generell problem- und risikobehaftet ist, darf sie grundsätzlich nur dann toleriert werden, wenn der deutsche Staat unmittelbar davon profitiert. Erfolgreiche Integration bemisst sich dann auch am Grad der (wirtschaftlichen) Nützlichkeit für sowie am Grad der (kulturellen) Angepasstheit an die deutsche Gesellschaft. Gut integrierte Migrant_innen sollten ihren wirtschaftlichen Beitrag leisten und dem deutschen Staat nicht zur Last fallen. Des Weiteren müssen sie sich – zumindest in allen öffentlichen Lebensbereichen – der deutschen Leitkultur unterwerfen. Integration ist erst dann wirklich abgeschlossen, wenn kulturelle Fremdheit nicht mehr sichtbar ist, wenn also ‚die Fremden‘ vollständig in der homogenen Masse ‚des Volkes‘ aufgegangen sind. Der Diskurs geht des Weiteren davon aus, dass es einigen Zugewanderten naturgemäß leichter fällt als anderen, diesen hohen Grad der Assimilation zu erreichen. Je größer die kulturelle Ähnlichkeit, desto besser gelingt die Integration. Je größer die kulturelle Distanz, desto schwieriger (und ggf. unmöglich) ist die vollständige Eingliederung. Über äußerliche Angepasstheit hinaus muss Integration außerdem auch den Bereich der Gesinnung und der emotionalen Identifikation umfassen. Ihren idealen Ausdruck findet sie in einer uneingeschränkten und ausschließlichen Loyalität gegenüber dem deutschen Staat, seiner Gesellschaft, seinem System und seinen Werten. Das Festhalten an fremdkulturellen Symbolen und mitgebrachten Identitäten sowie auch die Kritik am deutschen Staat oder der deutschen Gesellschaft sind ein Zeichen für mangelnde Loyalität und damit für unzureichende Integration. Gemessen an den obigen Maßstäben ist, so das Urteil des Diskurses, ein Großteil der Migrant_innen in Deutschland schlecht integriert.

Kommentar: Die kulturassimilative Zielvorstellung des ethnonationalen Diskurses ist in den vorangegangenen Deutungsmustern bereits angeklungen und wird hier noch einmal argumentativ auf den Punkt gebracht. Analog zu Hartmut EsserFootnote 274 geht der Diskurs davon aus, dass Nationalstaaten immer eine dominante Leitkultur aufweisen, die von den Zuwandernden inkorporiert werden muss.Footnote 275 Ähnlich wie Esser nehmen die Sprecher_innen dann auch weiterhin an, dass alle Dimensionen von Integration auf dem zentralen Element der Kulturation gründen, bzw. auf der erfolgreichen Akkulturation an die Zielgesellschaft.Footnote 276 Wiederum wie Esser antizipiert der Diskurs einen negativen Integrationsausgang in der ersten Generation (und – anders als Esser – zudem auch in den Folgegenerationen). Dabei hält er allerdings weniger die Marginalität für das wahrscheinlichste Szenario als vielmehr die Segmentation in sogenannten ‚Parallelgesellschaften‘. Mehrfachintegration hält er hingegen nicht nur – wie Esser – für unwahrscheinlich, sondern brandmarkt sie außerdem auch als verwerflich und falsch. Der ethnonationale Diskurs verlangt von Migrant_innen (sowie auch von ‚anständigen Deutschen‘) eine starke kollektive Identifikation, die weit über einen bloßen Bürgersinn hinausgeht und in besonderem Maße die Zurückstellung individueller Bedürfnisse zugunsten des Kollektivs betont. Damit greift der Diskurs Elemente auf, wie sie nicht nur von Esser formuliert wurden, sondern wie sie zudem auch zentraler Bestandteil der amerikanischen Assimilationstheorien sind. Im Unterschied zu diesen Theorieentwürfen (sowie im Unterschied zu Esser!) gilt Assimilation dem Diskurs jedoch als normatives Ideal, nicht als beschreibbarer Ist-Zustand. Tatsächlich geht der Diskurs davon aus, dass reale Integration (respektive Assimilation) mehrheitlich gescheitert ist. Das liegt v.a. daran, dass er Assimilation deutlich umfassender definiert, als seine wissenschaftlichen Gegenstücke dies tun. Während Esser Assimilation als die Beseitigung systematischer Unterschiede begreift (individuelle Vielfalt aber durchaus befürwortet) sieht der Diskurs erfolgreiche Integration einzig und allein darin begründet, dass keinerlei Unterschiede mehr sichtbar sind. Da diese Forderung aller wissenschaftlichen Erfahrung nach utopisch ist, rechtfertigt sie zugleich die überaus pessimistische Haltung des Diskurses gegenüber Migration und Einbürgerung im Allgemeinen. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu betonen, dass die Sprecher_innen des Diskurses durchaus anerkennen, dass Migration – unter sehr spezifischen Bedingungen – bereichernd sein kann. Diese Bereicherung wird allerdings – anders als im Rahmen des staatsnationalen Diskurses – rein wirtschaftlich ausgelegt. Vor diesem Hintergrund müssen Migrant_innen nach strengen Kriterien ausgewählt werden und sollen sich ihre (formelle) Mitgliedschaft in der deutschen Nation durch (besondere) Leistungen verdienen (sowohl im wirtschaftlichen Sektor als auch im Bereich der kulturellen Anpassung). Dabei übernimmt der Staat die Rolle des Wächters, der nötigenfalls Abweichungen sanktioniert, keinesfalls jedoch die Integration (und sei es nur durch positive Ansprache) erleichtert. Migrant_innen stehen grundsätzlich unter dem Anfangsverdacht der ‚sozialen Unverträglichkeit‘ und müssen diesen erst durch ihr Verhalten ausräumen, ehe sie Belohnung erfahren können. Typisch ist dabei die Kontrastierung von ‚guten Migrant_innen‘ (einer kleinen Minderheit) mit ‚schlechten Migrant_innen‘ (einer bedrohlichen Mehrheit), wie die Sprecher_innen sie in den untenstehenden Zitaten strategisch anbringen. Interessant ist in diesem Zusammenhang überdies auch der wiederholte Verweis auf eine ‚gemeinsame europäische Kultur und Identität‘ (ggf. verknüpft mit christlichen Werten) und deren Gegenüberstellung zu einem (potenziell gefährlichen) ‚fremdkulturellen Außen‘, die auch in den obigen Zitaten bereits mehrfach zum Vorschein trat. Im Kontext dieser kulturellen Taxonomie fließen nicht nur nationale und transnationale (sowie ggf. religiöse) Identitäten nahtlos ineinander (was der bisherigen Diskurslinie zumindest in Teilen zuwiderläuft),Footnote 277 der Diskurs widerspricht damit außerdem seinen historischen Vorläufern, die (wie Abschnitt 2.5 gezeigt hat) ihre konstitutiven Grenzlinien immer auch gegenüber anderen europäischen Nationen, sowie gegenüber europäischen (und christlichen!) Minderheiten im eigenen Land gezogen haben.Footnote 278

  1. „Es gibt eine Bringschuld der Zuwanderer, selber etwas zur Integration beizutragen.

    Und zwar nicht nur etwas, sondern ziemlich viel.

    Und das gilt erst Recht (sic!), wenn man auch schon als hier lebender Ausländer in den Genuss von staatlichen Leistungen kommt.

    Ansonsten gilt:

    If you go to the romans, do as the romans do!”Footnote 279

  2. „…inflationär gebrauchte Meinungen über ‚Integration‘ hängen mir, sorry, zum Halse heraus. Entweder lebt ein Ausländer oder Eingewanderter wie die Mehrheitsgesellschaft, dann braucht er sich nicht krampfhaft zu verbiegen, oder aber er lebt nach seiner eingebrachten Kultur, dann hat er halt Schwierigkeiten mit sich und der Mehrheitsgesellschaft.

    Also, leben Sie wohl, aber leben Sie richtig. [zwinkerndes Smiley-Emoji]“Footnote 280

  3. „Die Dauerforderer, permanent Unzufriedenen und nicht anpassungsfähigen (sic!), sollen in ihrer Heimat bleiben oder dahin zurückkehren! Dort können sie alles besser machen und brauchen sich auch nicht vor uns Deutschen zu fürchten. Im Gegenzug werden wir die Angepassten akzeptieren!“Footnote 281

  4. „Doppelte EU-Sttaatsbürgerschaft (sic!):

    Dagegen ist doch nichts einzuwenden, weil da doch die Ansätze einer anpassbaren europäischen Kultur angenommen werden kann (sic!). Und schließlich gibt es ja gesammteuropäische (sic!) Werte (sic!) die es wert sind zu verteidigen.“Footnote 282

  5. „wenn nur alle türken so wären wie hüseyin yilmazin gebe se wohl kaum integrative probleme und problemzonen.probleme gibt es weil von den primitiven und unkultivierten türken aus anatolien oder sonstwo herkommenden nichts an bildung,westlicher zivilisation und integrationsgemeinschaft gefordert wurde.dies haben die linken und grünen immer zu verhindern gewßt.“Footnote 283

  6. „Von mir aus kann jeder Muslim, der in Deutschland lebt und nicht vorbestraft ist, die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten, wenn er sich zuvor innerlich vom Glauben Mohammeds und der daraus entfalteten feindlichen Kultur losgesagt hat.“Footnote 284

  7. „Sein Deutsch stört mich nicht, aber seine verqueren Ansichten über ein Land, das ihm alle Möglichkeiten geliefert hat, während er zu Hause vermutlich kein Hemd am Hintern hätte – wie die meisten, die hierher gekommen (sic!) sind.“Footnote 285

  8. „Ich finde, ihr stänkert hier mit dem Falschen! So wie´s aussieht, macht ‚Bulle‘ seine Arbeit und liegt niemandem auf der Tasche. […] Wenn wir – in vernünftigem Maße – lauter Ausländer wie ‚Bulle‘ hätten, wäre doch alles in Ordnung und niemand brauchte hier zu diskutieren. Die Probleme entstehen doch durch das Pack, was zum Schmarotzen herkommt! Ich habe in meinem näheren Bekanntenkreis genug fleißige und ordentliche Türken, Kurden, Kroaten, Italiener, Griechen, Pakistaner, Vietnamesen. Niemand denkt in unserer kleinen Stadt nur im geringsten (sic!) daran, diese zu diskriminieren – nicht mal die ‚Rechten‘. Sie leben mitten unter uns, ohne ‚Parallelgesellschaft‘ und sie ‚überfluten‘ nicht die Stadt. Sie beherrschen die Sprache – ohne ‚Integrationshilfe‘ und halten sich an die üblichen Umgangsregeln. Hilfe erhalten sie, weil sie nett sind – von ihren deutschen Bekannten – nicht von irgendwelchen Linken (sic!) Gutmenschenorganisationen. Sie kriegen auch keine Willkommensbriefe vom Bürgermeister.... DAS ist Integration! Die Linksgestrickten Politiker sind es, die mit einer völlig widersinnigen Zuwanderungspolitik auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung (auch der Zugewanderten) Massen von Sozialschmarotzern in´s (sic!) Land schleusen und damit ein immer größer werdendes Konfliktpotential schaffen! Dazu kommt eine zunehmende Bevorzugung dieses Klientels in allen Lebensbereichen. Diese Politik begründet realen Rassenhaß! Die rot-grünen Politiker schaffen den Nährboden für Fremdenfendlichkeit!“Footnote 286

  9. „Das Plakat ist aber ‚vom neuen Typ‘. Wo sind denn Kopftuch- und Subsaharaelemente zu sehen. Die auf dem Bild gezeigten sind bestimmt sehr nett und begruessenswert (sic!). In keinster (sic!) Weise aber spiegeln sie die aktuellen Verhaeltnisse (sic!) und die Asylmissbraeuche (sic!) der letzten Jahrzehnte wieder (sic!). Also wieder einmal wird gezielt die Realitaet (sic!) ausgeblendet. Mit Hafen und Anker bedient man sich subtil den inneren Sehnsuechten (sic!) der Menschen nach Heimat und einem identitaeren (sic!) Platz. Will man jetzt nicht mehr interkosmopolitischer Weltbuerger (sic!) und ueberzeugter (sic!) Europaeer (sic!) sein?“Footnote 287

  10. In Berlin leben mehrere libanesischen Großfamilien, alle Mitglieder mit deutschem Pass, die ein von Deutscher (sic!) Gesetzgebung gänzlich abgekoppeltes Eigenleben führen. Da sprechen nun nicht mehr die blauäugigsten (sic!) von Integration, sondern Polizei und Innensenator hoffen lediglich schon seit Jahren auf Eindämmung der kriminellen Aktivitäten.

    Eine Abschiebung der meist männlichen Straftäter und damit Bekämpfung des Problems an der Wurzel läuft nicht mehr, da diese Herrschaften alle mit deutschen Pässen ausgestattet sind, eine Identifizierung mit dem deutschen Gemeinwesen ist ihnen absolut fremd, christlich, abendländische Werte werden verachtet.

    Mir stellt sich nun die Frage, wer und warum diesen Herrschaften die Deutsche (sic!) Staatsbürgerschaft hinterher geworfen (sic!) hat?Footnote 288

  11. „Um Integrationsprobleme in der ganzen Republik zu lösen“ verteilt man also malerisch deutsche Pässe und schwupps (sic!) sind diese Probleme gelöst?

    „Integration und Teilhabe lassen sich nur über die deutsche Staatsbürgerschaft erreichen“?

    Merkwürdige Vorstellung von der Realität.

    Probleme entstehen nicht durch Papier, denn das ist bekanntlich geduldig, sondern durch Menschen sowie deren Einstellung und Verhalten gegenüber den Menschen der Gesellschaft, in der sie leben.

    Da kann manch einer ohne Pass integrierter und beliebter sein, als jemand, der zwar offiziell einen Pass vorweisen kann, aber die Gesellschaft, in der er lebt, oder die Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, im Grunde seines Herzens ablehnt, verachtet und nur als Mittel für seine Zwecke betrachtet. […]

    „Der Pass gibt den Migranten eine zusätzliche Integrationsmotivation.“

    Heißt dies dann im Umkehrschluss, erst mit einem Pass bekommt man die Motivation, sich für die Gesellschaft, in der man leben will, zu interessieren?

    Dann sollte man auch darüber nachdenken, Schulkindern vorab eine gute Note zu geben, damit sie dann anfangen, für die Klassenarbeit zu lernen, Schulabgängern vorab den Berufsabschluss zu bestätigen, damit sie sich mit der Lehrzeit anfreunden können, Studenten vorab den Titel zu verleihen, damit sie motiviert werden das Studium durchhalten und Sportlern vorab den Pokal in die Hand zu drücken, damit sie anfangen, sich zum Training für den Wettbewerb aufzuraffen...“Footnote 289

Deutungsmuster: Da der dominante Gegendiskurs zur Hamburger Einbürgerungsinitiative Integration als einseitigen Anpassungsprozess begreift, betrachtet er den Akt der Einbürgerung – in logischer Konsequenz – als krönenden Abschluss einer gelungenen Assimilation. Die Einbürgerung gilt ihm als Belohnung für erbrachte (und sorgsam überprüfte) Anpassungsleistungen – nicht etwa als wichtiger Schritt oder gar Voraussetzung für Integration. Eine Einbürgerung kann und sollte vielmehr erst dann erfolgen, wenn die Integration eines Menschen vollständig und erfolgreich abgeschlossen ist. Gleichzeitig sollten alle Zugewanderten in Deutschland unbedingt eine Einbürgerung anstreben. Migrant_innen, die sich nicht einbürgern lassen möchte, beweisen damit mangelnden Integrationswillen und Illoyalität gegenüber ihrem ‚Gastland‘.

Kommentar: Mit dem hier dargelegten Deutungsmuster schließt sich der Kreis zum Artikel des Tagesspiegels, wie er in der Einführung zu dieser Arbeit vorgestellt wurde. Der Antagonismus zwischen staatsnationalem und ethnonationalem Diskurs verdichtet sich im Streit um die soziale Schließung durch Staatsangehörigkeit und Einbürgerung.Footnote 290 In dem grundlegenden Widerspruch zwischen Befürworter_innen und Gegner_innen einer offensiven Einbürgerungspolitik – wie ihn v.a. auch das nachfolgende Deutungsmuster noch weiterführend thematisiert – ballen sich komplexe Wirklichkeitssphären und deren heterogene Deutungslinien zusammen. Was zunächst als rein technisches Problem erscheint – nämlich das wechselseitige Verhältnis zwischen Integration und Einbürgerung – offenbart einen existenziellen Widerspruch zwischen einander als ‚feindlich‘ betrachtenden Weltbildern. Diese Tatsache spiegelt sich u. a. in den nachfolgenden Zitaten wider:

  1. „Im übrigen (sic!) sollte die Einbürgerung, die ‚feierliche‘ Übergabe des Passes am Ende einer geglückten Integration stehen und nicht am Anfang.

    Wie denkst du eigentlich?

    Erst gebe ich einem den Führerschein und anschließend soll er mal zeigen, ob er Autofahren kann.

    Das ist doch Quatsch.“Footnote 291

  2. „‚Willkommenskultur‘ ist Neusprech für ‚A****kriechen‘. Sie verströmt sich vor Güte und Geschenken (Pässe, Staatsbürgerschaft, Moscheen, Islam, Islam, Islam, Harz4-Anträge in allen Sprachen der Welt etc.), bekommt aber genau 0,0 zurück. Das wird natürlich mit einer weiteren Phrase geleugnet (‚Willkommenskultur dient der Integration‘), ist aber empirisch weder belegt noch auch nur in homöopathischen Dosen nachweisbar.

    Worthülsen, widerliche. Mehr nicht.“Footnote 292

  3. „Bisher ist es so, dass die Einbürgerung den Abschluss eines gelungenen Integrationsprozesses darstellt. Sie meinen offensichtlich, dass sich jemand allein dadurch integriert, dass Sie ihm die Staatsbürgerschaft geben.“Footnote 293

  4. „Wir haben hierzu eine dezidiert andere Meinung. Für uns ist die Einbürgerung Ausdruck gelungener Integration. Sie steht nicht am Anfang, sondern sie setzt bereits eine Reihe von Integrationsleistungen voraus.“Footnote 294

  5. „Die Einbürgerung kann nur als ‚Belohnung‘ für erfolgreiche Integration gesehen werden. 10 Jahre gearbeitet, gutes Deutsch (kann man nach 10 Jahren erwarten), keine Straftaten.“Footnote 295

  6. „Oh Gott, Deutschland besitzt keine Willkommenskultur, wie schrecklich!

    In klassischen Einwanderungsländern wie den USA und Australien wird ja bekanntlich der rote Teppich ausgerollt, wir offerieren lediglich üppige Sozialhilfe und kostenlose Krankenversicherung! „Zudem besteht sogar ein Recht auf Einbürgerung.“ Schämen sollten wir uns, schämen!

    Mal zum mitschreiben (sic!) Hr. Yilmaz:

    In einem anständigen Staat (nicht in der BRD) ist der Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft eine Auszeichnung und sollte dementsprechend hart erworben sein!!!

    PS: Rechte und Pflichten immer Hand in Hand, davon wollen aber Leute wie Sie und das (sic!) Klientel, was (sic!) Sie vertreten nichts wissen!!!“Footnote 296

  7. „Der CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hat seinerseits von der SPD mehr Zurückhaltung beim Thema Einbürgerung verlangt. Dobrindt sagte: „Es wäre das völlig falsche Signal, wenn wir unseren deutschen Pass zum Ramschartikel machen.“ Seiner Meinung nach können (sic!) die deutsche Staatsbürgerschaft „nur am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses in unserer Gesellschaft stehen, nicht am Anfang“. Die Weltoffenheit eines Landes bemesse sich nicht an Einbürgerungsquoten. „Wer sich gut bei uns integriert hat und sich zu unserem Land als seiner neuen Heimat bekennt, der kann auch eingebürgert werden. Wer aber wie Scholz mit dem deutschen Pass in der Hand hausieren geht, der entwertet ihn und erschwert alle ehrlichen Integrationsbemühungen“, kontert der CSU-Generalsekretär.“Footnote 297

  8. „CSU-Generalsekretär Dobrindt sieht sowohl in der Hamburger wie in der Stuttgarter Politik eine verhängnisvolle Fehlentwicklung. „Solche wirren Einbürgerungsthesen setzen ein völlig falsches Signal“, warnt er. Der deutsche Pass könne nur am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen, nicht am Anfang. „Statt über Fantasiequoten für Einbürgerungen zu schwadronieren, sollten wir gemeinsam die immer noch bestehenden Integrationsdefizite in Deutschland lösen“, fordert der CSU-Mann. Wer die Staatsbürgerschaft als Lockmittel benutze, der entwerte sie und erschwere „alle ehrlichen Integrationsbemühungen“.“Footnote 298

  9. „…Aber eine These wie die der BaWü Integrationsministering (sic!), erst mal den deutschen Pass zu verteilen und dass (sic!) dann als „zusätzliche Motivation“ umzuinterpretieren (sic!) ist lächerlich und sogar gefährlich.

    Die Einbürgerung kann nur am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses […] stehen – da hat Herr Dobrindt schlicht und einfach recht. Es ist eigentlich schon eine Platitüde (sic!), eine Selbstverständlichkeit die gar nicht gesagt werden muss – um so (sic!) erstaunlicher, dass man es nun scheinbar doch sagen muss, da einige so eine Selbstverständlichkeit umdrehen wollen.“Footnote 299

  10. „…es geht um eine staatsbürgerschaft (sic!) und nicht lediglich um eine aufnahme (sic!) in unsere sozialsysteme (sic!). diese (sic!) menschen (sic!) müssen und sollen sich beweisen. wenn (sic!) das klappt, bin ich der erste (sic!), der ihnen die staatsbürgerschaft (sic!) zusprechen würde. aber (sic!) eben nur dann!“Footnote 300

  11. „…Wenn Menschen nach 8 oder 10 Jahren von sich aus nicht das Bedürfniss (sic!) haben den Deutschen (sic!) Pass haben zu wollen ist wohl von einer gelungenen Integration nicht zu sprechen. Diesen jetzt quasi den Pass per Zwang zu verordnen ist der falsche Weg. Menschen die hier Eingebürgert (sic!) werden wollen müssen schon von sich aus zumindestens (sic!) Bereitschaft zeigen.“Footnote 301

  12. „…Drittens haben Sie Recht mit Ihrer Vermutung, dass ich von einem Migranten unbedingte Loyalität erwarte, wenn er hier dauerhaft lebt (einschliesslich dass er die Deutsche (sic!) Staatsbürgerschaft annimmt – aber aus Überzeugung und nicht, weil er sich – wie schon oft geschrieben – Vorteile verspricht).“Footnote 302

  13. „Als sie zehn Jahre alt waren, sprachen beide noch kein Deutsch. Sie wurden als Kinder in eine fremde Welt katapultiert, und trotzdem gelang es beiden perfekt, sich in Deutschland zu integrieren und Karriere zu machen. Heute bezeichnen sie Hamburg als ihr Zuhause: die Boxerin Susianna Kentikian (23) und der Sternekoch Ali Güngörmüs (34). Zur Integrations-Debatte haben sie eine klare Position: „Kinder, die in Deutschland auf die Welt kommen und hier bleiben wollen, sollten Deutsche werden“, fordert Güngörmüs. „Ich bin hier zu Hause und stolz darauf.“Footnote 303

Bis hierhin sind bereits eine Reihe konträrer Unterschiede zwischen dem ethnonationalen Diskurs und dem staatsnationalen Diskurs hervorgetreten. In dem hier vorliegenden Deutungsmuster zeigt sich indessen auch eine beachtenswerte Parallele: Beide Diskurse nehmen an, dass es für Migrant_innen keine legitimen Gründe geben kann, eine Einbürgerung abzulehnen. Während der staatsnationale Diskurs immerhin noch die Möglichkeit des ‚verzeihlichen Irrtums‘ zugesteht, kategorisiert der ethnonationale Diskurs jede Ablehnung als ‚feindliche Handlung‘. Darin zeigt sich in besonderem Maße sein nationalistischer Anspruch, welcher die Zugehörigkeit zu Staat und Nation zum höchsten Gut stilisiert. Eine Verweigerung dieser Zugehörigkeit von Seiten etwaiger Außenstehender macht diese umso mehr zu ‚Fremden‘ und damit zu ‚Feinden‘ der eigenen Wirklichkeitskonzeption. Dabei erscheint es zwar paradox, dass von Migrant_innen – die dem Diskurs als ‚unerwünscht‘ gelten – verlangt wird, dem Status – den man ihnen gar nicht geben will – enthusiastisch hinterherzulaufen, angesichts seiner nationalistischen Logik macht diese widersprüchliche Betrachtungsweise allerdings sehr wohl Sinn.

Einbürgerung

Deutungsmuster: Wie oben bereits erkennbar wurde, geht der dominante Gegendiskurs zur Hamburger Einbürgerungsinitiative von der zugrundeliegenden Prämisse aus, dass ein Großteil der Migrant_innen in Deutschland unzureichend integriert ist und überdies gegenüber dem deutschen Staat und seiner Gesellschaft unlautere Absichten hegt. Im Anschluss daran folgert der Diskurs, dass eine etwaige Einbürgerungsabsicht in der Regel auf opportunistischen Gründen beruht. Migrant_innen bewerben sich demnach um eine Einbürgerung, weil sie in erster Linie deren Vorteile für sich nutzen möchten. Die meisten von ihnen identifizieren sich jedoch nicht wirklich mit der deutschen Gesellschaft und ihrer nationalen Kultur. Sie bringen dem deutschen Staat keine echte Loyalität entgegen und würden dem Land rasch wieder den Rücken kehren, sobald der Aufenthalt ihnen keine nennenswerten Vorteile mehr einbringt. Dementgegen erkennt der dominante Gegendiskurs einzig und allein die uneingeschränkte und ausschließliche Loyalität gegenüber Deutschland als legitimen Einbürgerungsgrund an. Diese Loyalität wiederum drückt sich durch eine weitreichende kulturelle Angleichung aus sowie durch die starke emotionale Verbundenheit mit dem Staat und seiner nationalen Gemeinschaft.

Kommentar: Wie ein roter Faden ziehen sich die Motive des Opportunismus und der Illoyalität durch den ethnonationalen Diskurs, legitimieren die Abwehrhaltung gegenüber Migration, die Abwehrhaltung gegenüber Mehrstaatigkeit, die Skepsis gegenüber dem Prozess der Integration im Allgemeinen und die Ablehnung von Einbürgerungen im Besonderen. Der grundsätzlich positiven Grundhaltung des staatsnationalen Diskurses steht hier ein inhärenter Pessimismus gegenüber. Dieser bezieht sich nicht nur auf die Gruppe der Migrant_innen, sondern überdies auch auf die Gruppe der ‚Kosmopolit_innen‘ und – in gewissem Sinne – auf die gesamte weitere Welterfahrung. Während der offizielle Hamburger Einbürgerungsdiskurs mit seinem kosmopolitischen Welt- und Menschenbild eine geradezu utopische Zukunftsvision entwirft, wird sein Gegendiskurs von dystopischen Schreckensszenarien und einer omnipräsenten Untergangserwartung dominiert. Darin zeigt sich die enorme Frustration, die aus der (sozial konstruierten) doppelten Bedrohungssituation, der Selbstwahrnehmung als ‚fremdbeherrschte Minderheit im eigenen Land‘ sowie auch aus dem ‚Huntington’schen‘ Kulturbegriff erwächst, in welchem der ethnonationale Diskurs seinen Ausgang nimmt. Jede (potenziell ‚illegitim‘) erfolgte Einbürgerung wird damit zur nächsten Eskalationsstufe im Kampf der kulturellen Wirklichkeiten und zum nächsten Machtinstrument eines ‚unterdrückerischen politischen Systems‘. Dieser Gedankengang schlägt sich u. a. in den untenstehenden Beispielen nieder (siehe hierzu auch die bereits abgedruckten Zitatstellen):

  1. „Für die 33-Jährige Kolumbianerin, die in der Modebranche arbeitet und viel reist, ist die Einbürgerung vor allem aus einem Grund wichtig: „Als Kolumbianerin muss man fast überall ein Visum beantragen, als Deutsche nicht.“

    Und mit einer solchen Motivation wird eingebürgert? Unfassbar!“Footnote 304

  2. „Die wenigsten Einwanderer dieses Kulturkreises wollen wirklich Deutsche werden, das ist wieder nur Geschwätz an der Realität vorbei. Ich kenne viele Jugendliche mit Migrationshintergrund und auch viele junge Muslime. Zwischen diesen gibt es eklatante Unterschiede in den Gründen zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft. Der deutsche Pass ist ein ‚Stück Papier‘ (sic!) dass (sic!) das Leben einfacher macht, mehr nicht. Mit Zugehörigkeit zu diesem Staat oder sogar zur Bevölkerung hat das mal überhaupt nichts zu tun. Und zur ‚Wilkommenskultur‘, wo gibt es denn ein Land auf der ganzen Welt, das Zuwanderern so offen, hilfreich und finanziell so bereit gegenübertritt wie Deutschland? Nirgens (sic!)....“Footnote 305

  3. „Wer eine Staatsbürgerschaft derart wohlfeil verhökert, mit Null Gegenleistung, bekommt dafür lasche Staatsangehörige, die das Land sofort wieder verlassen, wenn es hier einmal etwas nicht umsonst gibt.“Footnote 306

  4. „arum (sic!) sollte man Leuten die Rechte eines deutschen Staatsbürgers verleihen, die von den Pflichten nichts wissen wollen und sich nicht einmal für die Sprache interessieren? Und für die danach immer noch nur alles Türkische gut ist, und alles Andere unerträglich?“Footnote 307

  5. „Passdeutsche haben wir in Deutschland mehr als genug, denn dass (sic!) sind meistens diejenigen, die lieber die doppelte Staatsbürgerschaft hätten.

    Ein deutscher Pass hat in der Welt sehr viele Vorzüge und Vorteile im Gegensatz zu manch anderer Nationalität. Ich bin also der Meinung, wer einen Deutschen (sic!) Pass will und nebenbei seinen Türkischen behalten will, hat in meinen Augen ‚Hintergedanken‘. Das hat die BRD nicht verdient, und darum plädiere ich für eine Staatsbürgerschaft bei aussereuropäischen (sic!) Staatsangehörigen!!“Footnote 308

  6. „Warum wurde eigentlich der Kommentarbereich zu dem Artikel „Im Namen der Ehre die Kehle durchschneiden“ geschlossen? Das ist doch auch eine ‚Kultur‘, die man versucht hier einzubringen – oder nicht?

    Im übrigen (sic!) wollen die meisten Türken nicht Deutsche werden, sondern nur den deutschen Pass um der Vorteile willen, die damit verbunden sind.“Footnote 309

  7. „Lieber Herr Scholz, träumen sie weiter. Diese Neubürger fühlen sich nicht als Deutsche, denken nicht als Deutsche und werden ganz schnell wieder verschwinden, sowie die Geldtröge leer sind. Aber daran wird von Fr. Merkel und den etablierten Parteien fleißig gearbeitet.

    Dann sind wir sie alle Gott sei Dank (daher auch die 2. Staatsbürgerschaft) wieder los. Das ist das einzige Positive an dieser Entwicklung...“Footnote 310

Deutungsmuster: Da der dominante Gegendiskurs annimmt, dass die meisten Migrant_innen eine Einbürgerung aus rein opportunistischen Gründen anstreben und auch weil er, wie oben gezeigt wurde, davon ausgeht, dass die kulturelle Homogenität der Gesellschaft unbedingt gewahrt werden muss, plädiert er für hohe Hürden und eine strenge Überwachung im Einbürgerungsprozess. Eine Einbürgerung ist nur dann wirklich gerechtfertigt, wenn ein Mensch bewiesen hat, dass er oder sie vollumfänglich integriert (das heißt assimiliert) ist, dem Staat nicht zur Last fällt und der Gesellschaft nicht gefährlich werden kann. Überdies muss er bzw. sie unbedingte und ungeteilte Loyalität demonstrieren. Den Nachweis hierfür erbringt man in erster Linie, indem man seine bisherige Staatsangehörigkeit ablegt. Der Wunsch nach einer doppelten Staatsangehörigkeit ist immer opportunistisch und zeugt von mangelnder Integration. In leichter Abweichung von dieser Logik plädiert ein Seitenarm des Diskurses dafür, Staatsangehörigkeiten zunächst nur auf Probe zu verleihen, um sie bei Bedarf jederzeit wieder aberkennen zu können. Zu diesem Zweck könnte dann auch Mehrstaatigkeit generell hingenommen werden, da sie als Mittel zum Zweck dient, um unerwünschte Staatsangehörige unproblematisch wieder ausbürgern zu können (ohne dabei Staatenlosigkeit zu verursachen). In jedem Fall jedoch empfindet der dominante Gegendiskurs die existierenden Einbürgerungsrichtlinien als nicht streng genug, bzw. deren Umsetzung als zu lax.

Kommentar: Insbesondere der hier vorgestellte Seitenarm des Diskurses muss (auch wenn es aufgrund seiner Befürwortung von Mehrstaatigkeit zunächst nicht so scheint) als besonders radikal gelten, da er einen geteilten Staatsangehörigkeits- und Staatsbürgerschaftsstatus propagiert, der (wenigstens vage) an die Zustände zur Zeit des Nationalsozialismus gemahnt.Footnote 311 Mit der Option, mehrstaatigen Personen die deutsche Staatsangehörigkeit (sowie die damit einhergehenden Rechte) bei Bedarf wieder zu entziehen, werden zwei Klassen von Staatsbürger_innen etabliert – ‚echte Staatsbürger_innen (qua Geburt)‘ und ‚unechte Staatsbürger_innen (qua Einbürgerung)‘. Während die staatsbürgerlichen Rechte der ersten Gruppe unantastbar sind, ist der Staatsbürgerschaftsstatus der zweiten Gruppe immer bloß vorläufiger und damit zwangsläufig eingeschränkter Natur. Bemerkenswert ist, dass der Diskurs mit diesem radikalen Seitenarm die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes von 2019 vorwegnimmt, welche mit ihren Verlustregelungen zur deutschen Staatsangehörigkeit – sowie auch mit einer Verdopplung (!) der Frist zur Rücknahme rechtswidriger Einbürgerungen von fünf auf zehn Jahre – die Forderung nach einer ‚Staatsangehörigkeit auf Probe‘ wenigstens in Teilen umsetzt. Da das Gesetz den Verlust der Staatsangehörigkeit (im Falle der Beteiligung an Kampfhandlungen terroristischer Vereinigungen im Ausland) an die Vorbedingung der Mehrstaatigkeit knüpft, erschafft es, wie in Abschnitt 2.5 gezeigt wurde, wenigstens implizit ein Zweiklassensystem von Staatsangehörigkeit (respektive Staatsbürgerschaft). Auch wenn Gesetz und Diskurs nicht ohne Weiteres in einen wechselseitigen Zusammenhang gestellt werden können, reproduziert die Reform doch letztlich eine extreme Forderung des ethnonationalen Deutungsspektrums, wie sie sich in einigen der untenstehenden Zitate abzeichnet. Auffällig ist im Kontext dieser Zitate des Weiteren (und einmal mehr) die aggressive Ansprache der ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘ und ‚kosmopolitischen Eliten‘ als ‚Feinde der Nation‘, die ‚massenhaft‘ ‚schlechte Migrant_innen‘ einbürgern und damit eine ‚fremdkulturelle Invasion‘ befördern, welche ihrerseits letztlich zum Untergang des ‚Deutschen Volkes‘ führen muss. Das Motiv von der ‚Einbürgerung als Waffe‘, das weiter oben bereits eingeführt wurde, tritt hier noch einmal in besonderer Weise hervor. Die Subjektpositionen der ‚echten‘ und der ‚anständigen Deutschen‘ – und damit die rechtspopulistische Idee vom ‚unterdrückten deutschen Volk‘Footnote 312 – erfahren im argumentativen ‚Kampf‘ gegen ihr diskursives Gegenstück eine weitergehende Stärkung und emotionale Aufladung.

  1. „Dies hört sich für mich nach Rundumversorgung durch den deutschen Staat an. Hat jemand wirkliches Interesse, ein Bürger dieses Landes zu werden, muss er sich selbst erkundingen (sic!) und aktiv werden. Zumindest würde ich das in einem Land machen, dessen Staatsangehörigkeit ich gern annehmen würde.

    Wie ich einmal von einem Bekannten aus Polizeikreisen hörte, wurden in Deutschland Ausländer eingebürgert, die eine Latte von Verurteilungen hinten in der Akte stehen hatten. Da geht nicht nur mir der (nicht vorhandene) Hut hoch!

    Jeder, der eingebürgert werden will, muss auf Herz und Nieren übergeprüft werden, ob er sich nicht in ein gemachtes Nest setzen will (Sozialhilfe, Verbrechen begehen).“Footnote 313

  2. „Und wenn ich lese, daß die Migranten eingebürgert werden sollen, die selber für ihren Lebensunterhalt aufkommen und die strafrechtlich nicht vorbelastet sind, dann ahne ich, daß diese Klausel sehr dehnbar ausgelegt wird, so daß am Ende Tausende von Kriminellen und Sozialschmarotzern eingebürgert werden, die vom Steuerzahler dann bis an ihr Lebensende durchgefüttert werden müssen.“Footnote 314

  3. „…Was nützen ‚eingebürgerte‘ Parallelgesellschaften unserer Gesellschaft? Aber bei der Wählersuche ist man ja nicht wählerisch, nicht wahr, Herr Scholz? Aber keine Angst, Lesen bildet. Lesen Sie doch endlich einmal das Buch von Sarrazin.“Footnote 315

  4. „Einbürgerung schützt nicht vor Parallelgesellschaften und massiven Integrationsproblemen, das hat Scholz immer noch nicht kapiert, bzw. geht er einfach über diese längst bewiesene Tatsache hinweg.

    Masseneinbürgerungen verschaffen der Arbeiterverräter-Partei allerdings jede Menge neue Wählerstimmen, da sie von deutschen Arbeitnehmern kaum noch gewählt wird.“Footnote 316

  5. „Herr Yilmaz soll sich bitte einmal an die Tatsachen halten. Die Sprachprüfung wird künstlich sehr leicht gemacht, die Durchfallquote ist minimal. Wer ein bißchen Sitzfleisch und guten Willen mitbringt und kein völliger Analphabet ist, schafft sie leicht. Und daß Straffälligkeit ein Hindernis ist, ist richtig und in praktisch allen anderen Ländern üblich. Im Gegenteil, in fast keinem anderen Land wird die Staatsbürgerschaft Ausländern so billig nachgeworfen wie in Deutschland.“Footnote 317

  6. „Da werden wieder jede Menge künstliche ‚Passdeutsche‘ erzeugt, die mit Deutschland so viel am Hut haben wie eine Bergziege mit Wellensurfen!

    Nicht mal die Beherrschung der deutschen Sprache ist Vorraussetzung (sic!) für die deutsche Staatsbürgerschaft. Selbst Anhänger und Mitglieder radikalster Scharia-Milizen ist kein Hinderungsgrund für die deutsche Staatsbürgerschaft. So haben radikalste Salafisten schon öfters die deutsche Staatsbürgerschaft eingeklagt und bisher immer vor Gericht gewonnen. Nicht mal ein Lippenbekenntnis für unsere Demokratie oder für unsere liberale Werte ist nötig um einen deutschen Pass zu erhalten.

    Die Strategie, die dahinter steckt ist leicht zu durchschauen. Da sollen Islamisten, Antidemokraten und Deutschhasser ‚unabschiebbar‘ gemacht werden um der einheimischen Restbevölkerung den Garaus zu machen! [zwinkerndes Smiley-Emoji]“Footnote 318

  7. „Im Vergleich zu den USA,Kanada,Neuseeland (sic!) USW. (sic!), sind die Gebühren und Bedingungen zur Einbürgerung viel zu niedrig (sic!) das erklärt dann auch gleich (sic!) dass es so viele Passsdeutsche (sic!) gibt (sic!) die kaum die Sprache beherrschen und sich überhaupt nicht als Teil der deutschen Gesellschaft betrachten.“Footnote 319

  8. „Scholz & Co sollten sich einmal in klassischen Einwanderungsländern über die Voraussetzungen informieren, die man dort Immigranten abverlangt. Da orientiert man sich nämlich daran, was die Person positiv zum Gemeinswesen (sic!) und Wohlstand des Landes beitragen kann, anstatt sie in Watte zu packen und Unterkunft und Sozialleistungen usw. ohne Gegenleistung hinterherzuwerfen...“Footnote 320

  9. „Eine doppelte Staatsbürgerschaft schafft doppelte Probleme. Diese beginnen bei einem theoretischen Mehrfachwahlrecht etwa bei Europawahlen, erstrecken sich über Schwierigkeiten im Privatrecht und hören bei der Frage nach den Pflichten, etwa dem Wehrdienst, nicht auf. Hinzu kommen rechtliche Probleme: Die Auslieferung des Haupttäters im Mordfall vom Berliner Alexanderplatz etwa scheiterte lange an seiner doppelten Staatsbürgerschaft. Schwierig bleibt die innere Zerrissenheit der Menschen mit multipler Staatsangehörigkeit – wem gehört seine Loyalität?“Footnote 321

  10. „An dieser Stelle ist es mir wichtig, noch einmal die Bedeutung der Vermeidung von Mehrstaatigkeit hervorzuheben. Sie ist letztlich der Ausdruck der Funktion von Staatsangehörigkeit überhaupt, nämlich einen einheitlichen Staat zu bilden. Doppelte Staatsangehörigkeit kann zu Loyalitätskonflikten führen. […] Die Gefahr besteht immer dann, wenn der jeweils andere Staat versucht, die Betroffenen für seine politischen Ziele zu instrumentalisieren. Ein anschauliches Beispiel hierfür hatten wir beim Auftritt des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan 2008 in der Kölnarena sowie jüngst bei seinen Äußerungen anlässlich seines Besuchs in Deutschland.

    Hierbei gilt es, sich klar zu entscheiden und klar abzugrenzen, meine sehr verehrten Damen und Herren.“Footnote 322

  11. „Ein kluger Leitartikel. Schon die Schlagzeile … trifft voll ins Schwarze. Gerade eine feierliche Einbürgerungsfeier rechtfertigt nicht den Doppelpass als Normalfall oder gar als politisches Ziel. Eine doppelte Staatsbürgerschaft schafft viele Probleme – besonders bei den Pflichten. Zum Beispiel in der Politik gibt es leicht ‚Rollenkonflikte‘, die häufig zu Loyalitätskonflikten führen.“Footnote 323

  12. „Das (sic!) man sich auf diese Weise auch noch erfolgreich den ‚Nachstellungen‘ der deutschen Justiz entziehen kann, dafür spricht das Beispiel des brutalen Türken, der den armen Jonny K. in Berlin auf dem Alex im vergangenen Oktober totgeschlagen und sich in die Türkei verkrochen hat, um sich seiner gerechten Strafe zu entziehen, schon für sich!

    Doppelte Staatsangehörigkeit, dass (sic!) riecht doch schon von weitem (sic!) nach der geplanten Absicht, die (wohl gerne auch die unlauteren) Vorteile, die sich daraus für den Nutznießer ergeben, zum eigenen ‚Mehrwert‘ ausschlachten (sic!) und sich für das jeweils persönlich gerade vorteilhaftere Szenario im jeweiligen Land zu entscheiden.“Footnote 324

  13. „Erleichterte Einbürgerung nur, wenn bei ‚Unwürdigkeit‘ die deutsche Staatsbürgerschaft wieder problemlos aberkannt werden kann – z. B. bei ‚Doppelpaßlern‘.“Footnote 325

  14. „Beim lockereren Umgang mit Staatsangehörigkeit sollte man als Gesellschaft die Möglichkeiten die sich dadurch ergeben nicht ungenutzt lassen. So wie der Einzelne die Vorteile der gewonnen Flexibilität und Wahlfreiheit durch mehrere Pässe nutzt, sollte die Gesellschaft Mehrfachstaatsbürgern bei Bedarf einfacher die Staatbürgerschaft entziehen können (sic!) wenn dadurch signifikante Vorteile für sie entstehen.“Footnote 326

  15. „Das geht doch alles viel einfacher bei Ebay, Startpreis Deutscher Pass 1€, sofort kaufen 5€. Schulabschluss, Ausbildung, Arbeitsplatz und Vorstrafen uninteressant. Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“Footnote 327

Nachdem die ethnonationale Eigenlogik des dominanten Gegendiskurses bis hierhin entfaltet wurde und dabei u. a. eine rechtspopulistische Leitlinie – in Form des Antagonismus zwischen ‚unterdrücktem deutschen Volk‘ und ‚kosmopolitischer EliteFootnote 328 – zum Vorschein getreten ist, bleibt nun abschließend noch zu untersuchen, wie dieser Diskurs auf das zentrale Dispositiv seines antagonistischen Gegenübers reagiert – die Hamburger Einbürgerungsinitiative mit all ihren politisch-strategischen Facetten.

Einbürgerungsinitiative

Deutungsmuster: Wie anhand des oben dargelegten Diskursverlaufs zu antizipieren war, lehnt der dominante Gegendiskurs jede Form der politischen Einbürgerungsförderung grundsätzlich ab. Der ‚Staat als Wächter‘ sollte demnach nicht für Einbürgerung werben oder diese in irgendeiner Form erleichtern, sondern stattdessen deren Vollzug mit aller Strenge überwachen. Die Einbürgerung ist eine Auszeichnung, die Zugewanderte sich durch eigene Leistung verdienen und die sie selbstständig anstreben müssen. Gut integrierte Migrant_innen, nämlich solche, die kulturell angepasst, wirtschaftlich nützlich und der Nation gegenüber loyal sind, lassen sich ohnehin einbürgern, ganz unabhängig davon, ob die Einbürgerung politisch beworben wird oder nicht. Tatsächlich ist gerade der Wille, sich selbstständig zu informieren und ggf. auch hohe Hürden zu überwinden, ein Zeichen von gelungener Integration. Von einer politischen Einbürgerungsinitiative profitieren dagegen viel eher jene Zugewanderten, die mangelhaft integriert sind und die Einbürgerung aus illegitimen, opportunistischen Gründen anstreben. Einbürgerungswerbung erweckt den Eindruck, die deutsche Staatsangehörigkeit sei leicht zu haben. Dadurch wird die Staatsangehörigkeit entwertet. Die deutsche Gesellschaft sollte nicht dafür werben, dass Migrant_innen sich einbürgern lassen. Migrant_innen sollten sich vielmehr darum bewerben, von der Gesellschaft aufgenommen zu werden. Letztlich sollte das Wohl der (ethnisch definierten) deutschen Nation dabei immer an erster Stelle stehen.

Kommentar: Die Klassifikation des ‚Staates als Wächter‘, die weiter oben bereits angesprochen wurde, gelangt hier zu ihrer vollen Geltung. Gleichzeitig wird die Subjektposition des/der ‚guten Migrant_in‘ weiterführend ausgebaut. Anhand der bisherigen Diskurslinie könnte man (etwas überspitzt) zusammenfassen: ‚Gute Migrant_innen‘ sind solche Migrant_innen, die Benachteiligungen (etwa in Form einer nachteiligen Platzierung oder mangelhafter Angebote zur Interaktion seitens der ‚Mehrheitsbevölkerung‘Footnote 329) klaglos hinnehmen und die erfahrenen Defizite aus eigenem Antrieb überwinden (v.a. indem sie ihr ‚Fremdsein‘ ablegen und wirtschaftlichen Erfolg erzielen). Durch ihre Eigeninitiative und die (z. T. regelrecht ‚märtyrerhaften‘) Anstrengungen erwerben ‚gute Migrant_innen‘ sich die Auszeichnung des/der ‚anständigen Deutschen‘ – allerdings nur, insofern dies den Interessen der ‚echten Deutschen‘ nicht zuwiderläuft. Da ‚gute Migrant_innen‘ selten sind und ‚schlechte Migrant_innen‘ in strategischer Weise versuchen, sich die Vorteile der deutschen Staatsangehörigkeit zu verschaffen, muss der Staat den Prozess des Grenzübertritts aufs Schärfste überwachen. Jede Erleichterung der Einbürgerung – und sei es nur durch die Vermittlung von ‚Willkommenskultur‘ – ist vor diesem Hintergrund widersinnig, weil sie einerseits ‚schlechte Migrant_innen‘ ermutigt und zweitens die Unterscheidung von ‚guten Migrant_innen‘ erschwert. In diesem Sinne kann eine politische Einbürgerungsinitiative nur als das feindliche Instrument einer ‚korrupten Elite‘ erscheinen, die eigene Interessen verfolgt und dabei die Bedürfnisse des ethnisch verfassten ‚Deutschen Volkes‘ außer Acht lässt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang überdies, dass die Hamburger Einbürgerungsinitiative zumeist nicht bloß als symbolische Maßnahme der Einbürgerungswerbung und -förderung wahrgenommen wird, sondern darüber hinaus auch als umfängliches Programm zur Einbürgerungserleichterung auf allen Ebenen. Dabei entsteht der Anschein, dass die geltenden gesetzlichen Einbürgerungsstandards durch die Kampagne erheblich herabgesetzt und alle, die den Brief des Ersten Bürgermeisters erhalten, letzten Endes auch tatsächlich eingebürgert würden.Footnote 330 Diese Wahrnehmung widerspricht ganz offensichtlich den gesetzlich kodifizierten Tatsachen – was der Intensität der Gegenreaktion jedoch keinen Abbruch tut. Dieser bemerkenswerte Umstand hat – so die These der hier vorliegenden Arbeit – v.a. mit der emotionalen Eigenlogik des Diskurses zu tun, die aus der sozialen Konstruktion eines doppelten Antagonismus und einer daraus resultierenden doppelten Bedrohungssituation entsteht. Die Selbstwahrnehmung als ‚entrechtete Minderheit‘ einerseits und ‚moralisch überlegene Volksgemeinschaft‘ andererseits sowie die Kontrastierung mit den ‚unmoralischen Anderen‘ (‚schlechte Migrant_innen‘, ‚kosmopolitische Eliten‘ und ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘) lässt jede noch so extreme Fremdzuschreibung der ‚Volksfeindlichkeit‘ plausibel erscheinen. Da kulturelle Wirklichkeiten relativ sind und letztlich auf der Akzeptanz durch eine soziale Gruppe gründen, kann der ethnonationale Diskurs jede anderslautende Wahrheit (im Foucault’schen SinneFootnote 331) schlichtweg ignorieren. Darin, dass ihm dies ganz offensichtlich (den Widerständen seiner natürlichen Umwelt zum TrotzFootnote 332) weitgehend gelingt – zeigt sich, dass der Diskurs – entgegen seiner eigenen Logik – sehr wohl erhebliches symbolisches Kapital akkumuliert.Footnote 333 Allerdings bezieht sich dieses Kapital nicht auf die Gesamtgesellschaft als solche, sondern – ganz im Foucault’schen Sinne einer GegenmachtFootnote 334 – auf die Sphäre der diskurseigenen Sprecher_innenschaft sowie auf deren weiteren Adressat_innenkreis. Da der Diskurs – insbesondere im Rahmen von Online-Foren – eine mehr oder minder geschlossene Wirklichkeitssphäre erzeugt, die sich durch wechselseitige Zustimmung der Sprecher_innen selbstverstärkt,Footnote 335 wird letztlich alles glaubhaft, das durch den kulturellen Konsens der Diskursproduzent_innen gedeckt und damit unhinterfragbar geworden ist.

  1. „CSU-Generalsekretär Dobrindt sieht sowohl in der Hamburger wie in der Stuttgarter Politik eine verhängnisvolle Fehlentwicklung. „Solche wirren Einbürgerungsthesen setzen ein völlig falsches Signal“, warnt er. Der deutsche Pass könne nur am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen, nicht am Anfang. „Statt über Fantasiequoten für Einbürgerungen zu schwadronieren, sollten wir gemeinsam die immer noch bestehenden Integrationsdefizite in Deutschland lösen“, fordert der CSU-Mann. Wer die Staatsbürgerschaft als Lockmittel benutze, der entwerte sie und erschwere „alle ehrlichen Integrationsbemühungen“.“Footnote 336

  2. „..........‘eine Willkommenskultur‘...........75 Jungfrauen als Geschenk und Voraussetzung, um als Türke nicht nur deutsche Sozialhilfe samt der gesamten nachgezogenen Familie ‚anzunehmen‘ (sic!) sondern sogar Deutscher zu werden.Wäre (sic!) das ein bescheidener Willkommensschritt der deutschen Steuerzahler?Wir (sic!) sind auf dem richtigen Weg ....................um dieses Land platt zu machen!Weiter (sic!) so!“Footnote 337

  3. „Hier geht es aber um eine willkürliche Verteilung von unserer Staatsbürgerschaft, quasi for free! Und die lehne ich deutlich ab.“Footnote 338

  4. „Also wenn ich in ein Land meiner Wahl auswandere (sic!) wird es ja Gründe hierfür geben. Entweder finde ich das Wetter toll oder einfach die Möglichkeit (sic!) mein Leben besser zu gestalten als in dem Land (sic!) in dem ich bisher gelebt habe. So weit so gut. Dagegen ist per se nichts zu sagen. Wenn ich jedoch in ein Land Einwandern (sic!) WILL (sic!) mache ich mir normalerweise bestimmte Gedanken. ZB (sic!) was brauche ich für Papiere, welche Grundvoraussetzungen sollte ich erfüllen, wie zB (sic!) Sprache (sic!) Arbeit oder Bürgen u.ä.. Habe ich allerdings die Einstellung (sic!) das (sic!) es ja schon langt (sic!) ein Bahnticket zu lösen und alles wird sich schon geben (sic!) ist das naiv.

    Wenn also jemand in ein Land auswandert (sic!) in dem man auch etwas Eigeninitiative bringen muss, ist es nicht zuviel (sic!) verlangt sich auch mal zu Erkundigen (sic!). Und genau hier fängt bei mir Integration an. Teilhabe an dem Gemeinwesen (sic!) an dem ich in Zukunft teilhaben möchte. Habe ich aber nach 8 Jahren immer noch keinen Schimmer davon (sic!) wie ich hier aktiv teilhaben kann, ist für mich Integration gescheitert oder nicht gewollt. Und dann einfach nach Gutdünken die Pässe rauszuhauen (sic!) ist meiner Meinung nach Kontraproduktiv (sic!). was (sic!) soll ich mich den anstrengen oder Integrieren, mir wird ja der Pass hinter hergeworfen (sic!).

    Ist das für Sie die Lösung der Integrationsprobleme?

    Für mich nicht.“Footnote 339

  5. „Deutscher Pass oder die Staatsangehörigkeit ist doch heute nichts mehr Wert ausser (sic!) für die Sozialschmarotzer (sic!) die sich gerne die 2.Staatsbürgerschaft abholen (sic!) und solche Leute sind der SPD willkommen (sic!) denn die können auch nichts anderes als es sich auf Kosten der Steuernzahlenden (sic!) Bevölkerung die Taschen zu füllen und saudumme Sprüche durch die Gegend zu tröten.“Footnote 340

    „Im Schwäbischen ...

    ... sagt man: Was nix koscht des isch nix wert.“Footnote 341

  6. „Der Erste Bürgermeister der Stadt Hamburg, Olaf Scholz (SPD), hat wieder mal mit dem deutschen Pass um sich geworfen. Jährlich lässt er die in Hamburg wohnenden Ausländer anschreiben und drängt ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft auf, als gehe es um die Verramschung eines missliebigen Ladenhüters.“Footnote 342

  7. „Die SPD muß unter Beobachtung gestellt werden. Wer so eindringlich gegen die Deutschen vorgeht, muß verboten werden!“Footnote 343

  8. „macht (sic!) es doch noch besser, liebe SPD / Grüne:

    Gebt doch einfach jedem, egal woher er/sie kommt (sic!) sofort die Deutsche Staatsbürgerschaft mit allen Rechten ( die (sic!) Pflichten natürlich nicht) und schon habt ihr die bunte Vielfalt, die Euch in euren Hirngespinnsten (sic!) so vorschwebt. Alle Ankömmlinge sofort Recht auf H4, Wohnung etc. und ihr werden sehen, wie schnell die Bevölkerungszahl in diesem Land wachsen wird. Im Gegenzug kann man ja ohne Probleme die Renten der Einheimischen kürzen, die hier 45 Jahre lang gearbeitet haben, die Zuzahlungen für Ältere für das Gesundheitssystem weiter Erhöhen (sic!), Leistungen reduzieren ( z. B. (sic!) keinen Hüftgelenkersatz für über 60- jährige (sic!)). Ach, da gibt es doch so viele Möglichkeiten (sic!) Geld reinzuholen, daß dann den Neuankömmlingen zu Gute kommen kann. Und klar, die Sterbehilfe legalisieren, damit unsere einheimische Bevölkerung nicht weiter überaltert.

    * IRONIE aus *“Footnote 344

  9. „An Peinlichkeit nicht zu überbieten ist, dass auch kriminelle Ausländer und Menschen (sic!) die von Hartz 4 leben (sic!) zur Einbürgerung aufgefordert werden. Was angeblich aus datenschutzrechtlichen Gründen geschieht, ist höchst wahrscheinlich Vorsatz. Sicherlich möchte man, dass selbst die stark straffälligen Neobesatzer auch in diesem Land bleiben müssen. Dass auch Ausländer, die von Hartz 4 leben (sic!) angeschrieben werden, zeigt (sic!) dass den Regierenden die Kosten der Einwanderung keine Rolle spielen.“Footnote 345

  10. „Kann mir mal jemand erklären, warum man die Leute anschreibt und nicht wartet, bis die Leute mit Eigeninteresse von selbst kommen?

    Was steckt hinter all dem?

    Warum sollen wir überfremdet und in Kriminalität erstickt werden?

    Ich verstehe es nicht mehr, das ist nicht mehr mein Staat.“Footnote 346

  11. „Nichts dagegen, dass man die Einbürgerung erleichtert für jene, die gerne in Deutschland leben, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland schätzen, mit Kultur und Sprache vertraut sind, in Arbeits- und Privatleben mit der sozialen Umgebung verbunden.

    Bei solchen künftigen Bürgern ist aber eine spezielle Aufforderung zur Einbürgerung nicht notwendig, da sie von sich aus schon das Interesse hegen.

    […] Denn die Einbürgerung steht am Ende eines erfolgreichen Integrationsprozesses: Der Eingebürgerte will Deutscher sein. Die Einbürgerung darf nicht erpressbar werden.“Footnote 347

  12. „Ist das Bild etwa ein Großplakat, das in Humbug auf Straßen und Plätzen prangt?

    Aha, dann sind DAS also DIE (beiden) qualifizierten Zuwanderer, von denen immer geredet wird, die Deutschland bereichern: Eine Studentin und ein Fußballprofi! Aber was ist mit allen anderen?

    Allerdings glaube ich nicht, dass gerade diese beiden einen ‚Einbürgerungslotsen‘ benötigen.“Footnote 348

Deutungsmuster / Kommentar: Anders als für den offiziellen Hamburger Einbürgerungsdiskurs spielen die Einbürgerungsfeiern für den Gegendiskurs eine untergeordnete Rolle. Das Augenmerk liegt, wie an den obigen Beispielzitaten ersichtlich wurde, eher auf den besonders öffentlichkeitswirksamen Teilen der Initiative, repräsentiert durch Brief- und Plakataktion. Die Einbürgerungsfeiern als solche finden keine nennenswerte Beachtung. Dieser Umstand könnte darauf zurückzuführen sein, dass in diesem Punkt kein ausreichend großer Gegensatz zwischen den Perspektiven der beiden Diskurse besteht. Genau wie der offizielle Diskurs will auch der Gegendiskurs die Wertigkeit der deutschen Staatsangehörigkeit symbolisch hervorgehoben sehen. Einbürgerungsfeiern, die den Übergang in die Nation festlich inszenieren, stehen also nicht unbedingt im Widerspruch zu der oben nachgezeichneten Argumentationslinie – sofern eben die Eingebürgerten den strengen Integrationsansprüchen des Diskurses genügen und ihre Loyalität offiziell erwiesen ist. Eine andere Ursache für die mangelnde Thematisierung der Feiern könnte außerdem darin begründet liegen, dass – von allen Bausteinen der Initiative – die Briefaktion des Ersten Bürgermeisters in den etablierten Massenmedien mit Abstand am meisten Aufmerksamkeit erhalten hat. Sie war insofern in herausragendem Maße ‚sichtbar‘, verglichen etwa mit den Einbürgerungsfeiern, die zwar ebenfalls massenmedial rezipiert wurden (und werden), deren wichtigstes Publikum jedoch die Eingebürgerten und deren Angehörige vor Ort sind. In herausragendem Maße ‚sichtbar‘ war des Weiteren auch die werbewirksame Plakataktion der Stadt Hamburg, da die Plakate im öffentlichen Raum (in Hamburg) frei zugänglich aushingen. Folgt man der These, dass die beiden dominanten Diskurse ihre Dynamik maßgeblich aus dem wechselseitigen Kontakt zueinander entfalten, so ist es nur logisch, dass dabei besonders diejenigen Elemente im Vordergrund stehen, mit denen die Sprecher_innen sich (persönlich oder massenmedial vermittelt) in besonderer Weise konfrontiert sehen. Dies gilt umso mehr, da ein Großteil der ethnonationalen Sprecher_innen sich im virtuellen Raum von Online-Foren bewegt, die wiederum ihrerseits an Artikel von Online-Printmedien angegliedert sind und in der Regel auch auf diese Artikel Bezug nehmen.

Ebenso wie im Falle des staatsnationalen Diskurses, erscheint auch im Hinblick auf den ethnonationalen Diskurs die innere Logik der Erzählung schlüssig. Aus der Idee, dass ‚Völker‘ natürlicherweise kulturell homogen sind und das Denken und Handeln ihrer individuellen Mitglieder umfassend determinieren, folgt in logischer Konsequenz, dass (kollektive sowie persönliche) Identitäten eindimensional und kulturell bestimmt sein müssen. Daraus folgt des Weiteren eine (angesichts der diskursinternen Logik durchaus nachvollziehbare) Skepsis gegenüber der exponentiell zunehmenden kulturellen und identitären Vielfalt innerhalb eines ‚historisch gewachsenen‘ deutschen Nationalstaates sowie auch ein ausgesprochener Pessimismus hinsichtlich der etwaigen Möglichkeit von erfolgreicher Integration und gerechtfertigter Einbürgerung. Beide Diskurse – der staatsnationale wie der ethnonationale – sind in sich weitgehend konsistent und selbst ihre offensichtlichen Brüche treten kaum als solche in Erscheinung (was, wie bereits an mehrerer Stelle formuliert wurde, v.a. mit den hochgradig emotionalisierten Identitätsangeboten zu tun hat, die sie ihren Adressat_innen jeweils machen). Der diametrale Unterschied zwischen ihnen liegt lediglich in ihren verschiedenen theoretischen Grundannahmen sowie in den sich daraus ergebenden, divergierenden Wirklichkeitskonstitutionen begründet. Die ethnonationale Narration verknüpft essentialistische und evolutionistische Vorstellungen von Kultur und Identität mit objektivistischen Vorstellungen von Nation und assimilativen Vorstellungen von Integration. Dabei replizieren die zentralen Folk Concepts des Diskurses wissenschaftliche Theorieentwürfe eines frühethnologischen Essentialismus, Evolutionismus sowie Diffusionismus und paaren diese mit assimilationstheoretischen Überlegungen, wie sie sich in ähnlicher Form auch in wissenschaftlichen Modellen der Soziologie und der Politikwissenschaft wiederfinden – und wie sie außerdem einem (aus heutiger ethnologischer Sicht) hochgradig problematischen Kulturfundamentalismus Vorschub leisten, der von Reckwitz (in Abgrenzung zum Kulturalisierungsregime der Hyperkultur) als Kulturessenzialismus und von Grillo als Cultural Anxiety gefasst wird.Footnote 349

Während der staatsnationale Diskurs sein Leitbild in einer kosmopolitischen Utopie verankert, basiert die Legimitation der ethnonationalen Strömung maßgeblich auf der Inszenierung einer dystopischen Untergangsvermutung. Die ‚Deutsche Nation‘ ist demnach zum einen eine historisch gewachsene, ethnisch definierte Schicksalsgemeinschaft von überlegener kultureller Qualität, zum anderen ist sie existenziell von allen Seiten bedroht und wird unrechtmäßig beherrscht durch eine entfremdete und offen feindselige Führungsschicht. Damit entwirft der ethnonationale Diskurs ein Bild von ‚Deutscher Nation‘, das Brubakers VorstellungenFootnote 350 sehr nahe kommt, diese allerdings um das Element einer mächtigen politischen Frustration ergänzt, die der diskursiven Argumentation enormen emotionalen Auftrieb gibt. In diesem Sinne weist der Diskurs Parallelen zu seinen historischen Vorgängern auf, die sich ebenfalls lange Zeit in Abgrenzung zu einer politischen Führungsschicht definierten.Footnote 351 Ganz seiner Rolle als Gegendiskurs entsprechend, entwickelt der ethnonationale Diskurs dann auch seine zentralen Subjektpositionen (bzw. Klassifikationen) aus der Abgrenzung von seinem diskursiven Gegenüber heraus. Während der offizielle Diskurs die mächtigen Subjektklassen der ‚guten Migrant_innen‘ und der ‚guten (eingebürgerten) Deutschen‘ entwirft, zeichnet der dominante Gegendiskurs eine kulturelle Taxonomie von ‚schlechten Migrant_innen‘ (respektive ‚illegitimen (eingebürgerten) Deutschen‘) und (wenigen) ‚guten Migrant_innen‘ (respektive ‚(potenziell) anständigen (eingebürgerten) Deutschen‘). Wo der offizielle Diskurs die Subjektposition der ‚guten (geborenen) Deutschen‘ eröffnet, duldet der Gegendiskurs eine unklare Koexistenz der Kategorien ‚anständige Deutsche‘ (die wenigstens potenziell Eingebürgerte umfasst) und ‚echte Deutsche‘ (die Eingebürgerte kategorisch ausschließt). Gegenüber dem staatsnationalen Modell des ‚Staates als Förderer‘ propagiert die ethnonationale Strömung überdies die normative Klassifikation des ‚Staates als Wächter‘ und kontrastiert diese mit den negativen Subjektpositionen der ‚kosmopolitischen Eliten‘ und der ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘. Beide erscheinen in der Debatte einigermaßen deckungsgleich und oszillieren zwischen politischen Eliten einerseits sowie deren zivilgesellschaftlichen Unterstützer_innen andererseits. Die zwei zentralen Subjektpositionen des ethnonationalen Diskurses – diejenige der ‚entrechteten Minderheit‘ und diejenige der ‚überlegenen deutschen Nation‘ – scheinen überdies in unmittelbarer Abwehr gegen das doppelte Identitätsangebot des/der ‚kosmopolitischen Staatsbürger_in‘ entstanden zu sein, welches der staatsnationale Diskurs seinen Adressat_innen macht und mit welchem er Eingebürgerte (ob ihres antizipierten Humankapitals) klar bevorzugt. In den obigen Zitaten ist mehrfach der Umstand hervorgetreten, dass die Sprecher_innen des ethnonationalen Diskurses sich gegenüber Migrant_innen und Eingebürgerten zurückgesetzt fühlen, weil diese vermeintlich von der Politik bevorzugt werden. Diese Wahrnehmung scheint ganz entschieden mit der enthusiastischen Darstellung der staatsnationalen Strömung zu tun zu haben, die in der Tat Eingebürgerte als ‚bessere Staatsbürger_innen‘ inszeniert. Abschnitt 4.3 wird auf diese Problematik noch genauer eingehen. Dabei wird auch die Frage zu beantworten sein, warum die Identitätsangebote des ethnonationalen Diskurses deutlich vielgestaltiger und komplexer ausfallen, als diejenigen des staatsnationalen Diskurses. Ehe es allerdings soweit ist, müssen noch ein paar abschließende Worte zu der heterogenen Sprecher_innenstruktur gesagt werden, die den ethnonationalen Diskurs und seine mehrspurige Deutungslinie in maßgeblicher Weise auszeichnet.

Sprecher und Sprecherinnen

Der dominante Gegendiskurs zur offiziellen Hamburger Einbürgerungsinitiative bewegt sich hauptsächlich in den Sphären der Zivilgesellschaft und dort insbesondere in den virtuellen Räumen des Internets. Zentrale Arenen sind v.a. die Kommentarforen großer, überregionaler Massen(print)medien sowie politisch rechte Online-Medien, Blogs und Foren. Zu nennen sind hier in erster Linie Welt, Zeit und Tagesspiegel sowie die Junge Freiheit und der Pegida-nahe Blog pi-news. Die Diskurströmung beschränkt sich dabei zumeist ausschließlich auf die Kommentarbereiche zu themenbezogenen Artikeln. In den Artikeln selbst tauchen zwar hin und wieder einzelne Elemente des Diskurses auf, wirklich konsequent vertreten wird er allerdings nur von deren Leser_innen. Eine Ausnahme von dieser Regel bilden rechte Online-Medien bzw. Blogs wie pi-news. Eine wesentliche Stimme im Diskurs ist überdies Alexander Dobrindt mit seiner vehementen Kritik an der Hamburger Einbürgerungsinitiative. Seine Aussagen wurden in mehreren unterschiedlichen Medien zitiert und hundertfach von Leser_innen kommentiert. Allein der hier bereits mehrfach erwähnte Artikel des Tagesspiegels ist insgesamt 155-mal kommentiert worden.

Am umfassendsten bilden die Kommentarforen der Zeitung Die Welt den untersuchten Diskurs ab. Alle zentralen Deutungsmuster sind dort vertreten. Überdies bleibt die ethnonationale Linie in den Foren weitgehend unwidersprochen. Zwar gibt es durchaus (staatsnationale) Gegenstimmen, diese bilden jedoch eine Randerscheinung. Trotz der unzweifelhaften Dominanz des ethnonationalen Diskurses und des offensichtlichen Mangels an (unmittelbarem) Widerspruch, darf dessen Storyline jedoch keinesfalls als homogene Erzählung missverstanden werden. Wie weiter oben bereits erwähnt wurde, gibt es z. T. extreme Schwankungen hinsichtlich der emotionalen Intensität, der politischen Radikalität und der inhaltlichen Fokussierung, welche die unterschiedlichen Sprecher_innen jeweils an den Tag legen. So wird der Diskurs in weiten Teilen von einem aggressiven Rechtspopulismus dominiert, maßgeblich ausgestaltet durch rechtsextreme Elemente (bis hin zu einem klassisch biologistischen Rassismus). Zugleich finden sich im Diskurs aber auch Stimmen einer gemäßigten politischen Rechten sowie konservative Abwehrhaltungen gegenüber Mehrstaatigkeit und kosmopolitischer Entwurzelung. Nicht bei jeder Kritik an der Hamburger Einbürgerungsinitiative wird zwingend eine essentialistische (respektive kulturfundamentalistische) Grundhaltung in den Vordergrund gerückt. Oft stehen auch wirtschaftliche oder politische Argumente im Fokus. Essentialistische Annahmen schwingen dennoch in einer Mehrzahl der Diskursbeiträge wenigstens implizit mit, sowohl was die Auslegung des Kulturbegriffs als auch (in besonderem Maße) die Definition von Identität angeht. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass selbst Akteur_innen des staatsnationalen Diskurses (so etwa die Hamburger Prominenten, die im Rahmen der Plakatkampagne interviewt wurden, s.o.) essentialistische Bausteine der ethnonationalen Diskurslinie reproduzieren. Dieser Schnittpunkt zwischen den Diskursströmungen ist bereits im vorangegangenen Abschnitt 4.1 angesprochen worden und soll im nachfolgenden Abschnitt 4.3 noch eingehender beleuchtet werden. Vorerst lässt sich indes festhalten, dass der dominante Gegendiskurs im Diskursfeld der Hamburger EInbürgerungsinitiative (ebenso wie sein offizielles Gegenstück) am besten mit dem Begriff der Strömung umschrieben werden kann. Er setzt sich aus vielen verschiedenen Stimmen zusammen und ist insofern – vielleicht sogar mehr noch als der offizielle Einbürgerungsdiskurs, der seinerseits von einigen mächtigen, institutionalisierten Sprecher_innen dominiert wird – polyphon. Anders als sein staatsnationales Gegenstück kann er (mit Ausnahme von Alexander Dobrindt) keine mächtigen Sprachrohre aus Politik und organisierter Zivilgesellschaft vorweisen, wiegt dieses Defizit jedoch mit der sich verselbstständigenden Machtdynamik seiner kulturellen Wirklichkeitskonstruktion sowie mit seiner Selbstinszenierung als ‚revolutionär-emanzipatorische Ideologie‘ wieder auf. Dieser Umstand wird weiterführend auch in Abschn. 5.4 dieser Arbeit noch eingehender beleuchtet werden.

Da es sich bei der Mehrzahl der oben abgebildeten Zitate um Ausschnitte aus Internetforen handelt, sind ergänzend noch einige forschungspraktische Überlegungen anzustellen. Der Vorteil der Analyse solcher Foren ist, dass Aussagen aus erster Hand und ungefiltert durch die Anwesenheit eines / einer Forschenden erhoben werden können. Die Anonymität des Internets ermöglicht eine Offenheit und Unbefangenheit der Sprecher_innen, die in einer Interviewsituation nur sehr schwer herzustellen wären. Gleichzeitig ergeben sich aus dieser Anonymität jedoch auch eine Reihe von Problemen. So könnte es zum Beispiel sein, dass einzelne Sprecher_innen die gesamte Debatte maßgeblich lenken, indem sie sich unter Verwendung unterschiedlicher Pseudonyme oder ‚Usernames‘ in mehreren Foren gleichzeitig bewegen. Der oder die Forschende kann diese Steuerung durch einzelne Individuen in den meisten Fällen nicht nachvollziehen. Genauso ist es oft schwer einzuschätzen, wie ernsthaft ein Foreneintrag gemeint ist, ob es sich ggf. um Ironie handelt oder sogar ein sogenannter ‚Troll‘ absichtlich mit extremen Wortäußerungen versucht, die Debatte anzuheizen. Das Herausfiltern von Randpositionen und weniger dominanten Deutungsmustern sowie auch die Beobachtung dessen, wie einzelne Forennutzer_innen in der Diskussion aufeinander reagieren, hilft dabei, solche Fehlerquellen zu minimieren, völlig ausschließen lassen sie sich allerdings nicht. Was bleibt ist ein gemeinschaftlich entworfenes Bild von Realität, eine kollektive Konstruktion von Wirklichkeit, die aufgrund ihrer schriftlichen Fixierung unweigerlich an Stabilität gewinnt. Selbst wenn es verhältnismäßig wenige Stimmen sein sollten, die dieses Bild zeichnen (wovon aufgrund der schieren Fülle an Zitaten aus unterschiedlichsten Arenen nicht auszugehen ist), übt es doch ohne Zweifel Macht aus – wenigstens auf die Gruppe der Sprecher_innen wie sie sich im virtuellen Raum darstellt. Die Annahme, dass der Diskurs des Weiteren auch über die Reihen seiner Sprecher_innen hinaus Einfluss generiert, vielleicht sogar einen großen Teil der deutschen Bevölkerung in ihrem Denken und Handeln anleitet, erscheint aufgrund der rezenten Erfolge rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen (insbesondere der AFD)Footnote 352 sowie auch aufgrund des Ausstrahlens ethnonationaler Deutungen bis in den staatsnationalen Diskurs hinein durchaus nicht unwahrscheinlich. Für ein endgültiges Urteil wären hier jedoch weiterführende (insbesondere auch ethnographische) Studien erforderlich, die das Hineinwirken des Diskurses in die subjektiven Sinnwelten der Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund untersucht und dabei – wie in der Vorbemerkung zu dieser Arbeit gefordert – auch vor rechten und rechtspopulistischen Bewegungen nicht Halt macht.

4.3 Konfrontation: Die Polysemie der Grundbegriffe

In den beiden vorangegangenen Teilkapiteln wurden die konstitutiven Deutungsmuster der beiden dominanten Diskursströmungen vorgestellt und die innere Logik der Storylines anhand ihrer zentralen Grundbegriffe detailliert nachverfolgt. Dabei hat sich herausgestellt, dass die untersuchten Diskurse diametral gegensätzliche Positionen vertreten, was wichtige Kernbegriffe ihrer Argumentation anbelangt, namentlich Kultur, Identität, Nation, Integration und Einbürgerung. Überdies ist offenbar geworden, dass die Diskurse sich in verschiedenen Sphären der Gesellschaft bewegen. Der von den Hauptakteur_innen der Initiative sowie von etablierten Medien und zivilgesellschaftlichen Eliten vertretene offizielle Diskurs der Hamburger Einbürgerungsinitiative propagiert ein staatsnationales, kosmopolitisches Leitbild. Im Folgenden wird er hier deswegen als staatsnationaler Diskurs betitelt. Der prominente Gegendiskurs ist demgegenüber v.a. in den öffentlichen, allgemein zugänglichen Kommentarforen etablierter Massen(print)medien sowie in politisch rechtsstehenden Blogs und Foren verankert und entwirft seinerseits ein ethnonationales, an kulturellem Essentialismus (und Fundamentalismus) ausgerichtetes Modell. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird er daher als ethnonationaler Diskurs bezeichnet.

Wie bereits zu sehen war, bilden beide Diskurse keine statischen, einheitlichen Erzählstränge aus, sondern sind vielmehr als heterogene, in sich verästelte Strömungen zu verstehen. Jede davon hat einen bestimmten theoretischen Ausgangspunkt und fließt letztlich in eine spezifische ideologische Richtung, ihre Teilstränge nehmen unterwegs jedoch mitunter verschiedene Abzweigungen und unterscheiden sich in einzelnen Detailfragen ihrer Argumentation. Ein ‚roter Faden‘ ist für beide Diskurströmungen nichtsdestoweniger erkennbar. Anhand ihrer gemeinsamen Phänomenstruktur und deren diametral unterschiedlicher Ausgestaltung sollen die beiden Diskurse einander hier noch einmal vergleichend gegenübergestellt werden. Dabei werden in Tabelle 4.1 zunächst die Storylines entlang ihrer Klassifikationen und Deutungsmuster nachgezeichnet. Anschließend gibt Tabelle 4.2 einen Überblick über die zentralen Subjektkategorien (= Subjektpositionen und -klassen) und deren wechselseitige Beziehungen untereinander.

Tabelle 4.1 Die Narrationen im Vergleich
Tabelle 4.2 Die Subjektkategorien im Vergleich

Die Narrationen der beiden dominanten Diskursströmungen sind in den Abschnitten 4.1 und 4.2 ausführlich vorgestellt worden. Es ist nicht notwendig, die Darstellung an dieser Stelle zu wiederholen. Stattdessen sollen anhand der beiden Tabellen Nr. 4.1 und 4.2 drei übergreifende Beobachtungen untermauert werden, die in den beiden vorangegangenen Teilkapiteln bereits angeklungen sind. Die erste Beobachtung betrifft den antagonistischen Charakter der Diskurse und dessen Verankerung in gemeinsamen Grundbegriffen. Die zweite Beobachtung betrifft die emotionalisierten Identitätsangebote, welche die Diskurse ihren Adressat_innen machen sowie deren Beziehungen untereinander. Die dritte Beobachtung schließlich betrifft etwaige Schnittmengen zwischen den diskursiven Wirklichkeitssphären und die Implikationen, die sich weiterführend aus diesen Überschneidungen ergeben.

Im Verlauf der Abschnitte 4.1 und 4.2 ist deutlich geworden, dass sich die jeweilige innere Logik der beiden dominanten Diskurse maßgeblich entlang der Konzepte Kultur, Identität, Nation, Integration und Einbürgerung entfaltet. Alle anderen Deutungspartikel, wie sie in Tabelle 4.1 gebündelt sind, sowie auch die in Tabelle 4.2 zusammengefassten Subjektpositionen lassen sich letzten Endes auf diese konstitutiven Grundbegriffe zurückführen. Der wechselseitige Antagonismus der Diskurse erwächst dabei ganz maßgeblich aus dem gemeinsamen Fundament ihrer Phänomenstruktur. Die Diskurse eignen sich die (im Luckmann’schen Sinne institutionalisierten und deshalb für die diskursive Wirklichkeitskonstruktion in hohem Maße geeignetenFootnote 353) Begrifflichkeiten jeweils auf spezifische Weise – und in Abgrenzung zueinander – an, kleiden sie mit Bedeutung aus und machen sie zu inhärenten Bausteinen ihres kollektiven Wirklichkeitskonstrukts. Sie tun dies, indem sie für jeden dieser Bausteine einen definitiven Sinn festschreiben und jeden möglichen anderen Sinn (so auch den des gegnerischen Diskurses) negieren. Die gegenseitige Negation der konstitutiven Wirklichkeitsbausteine erzeugt dabei eine unweigerliche Dynamik von Angriff und Gegenwehr. Die Wirklichkeitssphären können ihr Gegenüber nicht dulden, weil es ihre eigene Sinnhaftigkeit, ihren Realitätsanspruch in Frage stellt. Dieser Zustand der wechselseitigen Bedrohung führt zu emotionalen Abwehrreaktionen, sowie zur Klassifikation der gegnerischen Sprecher_innen als ‚Feinde‘ (im Falle des ethnonationalen Diskurses)Footnote 354 bzw. als ‚Realitätsverweigerer‘ (im Falle des staatsnationalen Diskurses)Footnote 355.

Die Dynamik von Angriff und Gegenwehr, welche die beiden Diskurse – und insbesondere den ethnonationalen Diskurs – beflügelt, kann ihre Macht nur deshalb entfalten, weil der soziale Sinngebungsprozess, wie er oben beschrieben wurde, zwar in aller Öffentlichkeit stattfindet, ob seiner diskursiven Natur allerdings intransparent bleibt und sich dem individuellen Bewusstsein weitgehend entzieht. So werden die zentralen Begrifflichkeiten nur in den seltensten Fällen aktiv (und an keiner Stelle umfassend) ausdefiniert. Ihre Bedeutung erschließt sich aus Redewendungen und Metaphern, aus Beispielen und Zitatverweisen, aus Ironie, Humor und Polemik, aus einem bestimmten Vokabular, oder der Art und Weise, wie logische Zusammenhänge hergestellt werden.Footnote 356 Diskursiver Sinn entsteht letztlich aus einer unüberschaubaren Menge disparater Deutungspartikel, deren tieferer Zusammenhang sich dem Publikum – und auch den Sprecher_innen – zumeist nicht (oder zumindest nicht vollständig) erschließt (ganz im Sinne der Geertz‘schen webs of significanceFootnote 357). Es ist davon auszugehen, dass die kontinuierliche Flut (und damit die quasi-rituelle Wiederholung) von (intransparenten) Deutungspartikeln sowie deren unbewusste Einverleibung (im Bourdieu’schen Sinne) wesentlich dazu beitragen, dass diskursive Deutungen in der subjektiven Sinnwelt ihrer Adressat_innen Macht entfalten.Footnote 358 Überprüft werden kann diese These hier indes nicht, denn dazu wären weitreichende ethnographische Einblicke nötig, wie die vorliegende Arbeit sie nicht leisten kann. Wohl aber lässt sich festhalten, dass es den Diskursen nur deshalb gelingt, machtvolle kulturelle Wirklichkeiten zu erschaffen und dabei gegenteilige Deutungen weitgehend zu negieren, weil ihre ureigenen Grundbegriffe polysem sind.Footnote 359 Nur weil Begriffe wie Kultur, Identität, Nation, Integration sowie letztlich auch Staatsangehörigkeit und Einbürgerung mehrere Deutungen zulassen, können die Diskurse sie für ihre jeweilige Agenda instrumentalisieren und dabei gleichermaßen erfolgreich sein. Dieser Prozess der Inkorporation ist allerdings nicht als strategische Handlung einzelner Akteur_innen misszuverstehen. Die Nutzung der Konzepte mag strategisch erfolgen oder auch nicht, für die Wirkung des Diskurses spielt das eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, dass unterschiedliche kollektive Konzeptionen einzelner gesellschaftlicher Grundbegriffe unterschiedliche soziale Realitäten entstehen lassen, die in ihrer jeweiligen Einflusssphäre eigendynamisch Macht entfalten. So ist es dann auch möglich, dass essentialistische und konstruktivistische Vorstellungen von Kultur bzw. Identität, objektivistische und subjektivistische Vorstellungen von Nation sowie radikal demokratische und radikal assimilative Vorstellungen von Integration in ein und derselben Gesellschaft unversöhnlich (und gleichermaßen – wenn auch auf unterschiedliche Weise – mächtig) nebeneinander bestehen können. Normative Ansätze wie diejenigen Benhabibs oder Habermas‘ stoßen vor diesem Hintergrund an ihre Grenzen, weil sie das menschliche Vermögen zu rationalem Handeln zum zentralen Ausgangspunkt ihrer Argumentation erheben.Footnote 360 Dabei übersehen sie, dass Rationalität keine objektive sondern vielmehr eine sozial konstruierte Tatsache ist und dass jede rationale Ordnung (wenigstens insofern sie kollektiv anerkannt ist) immer auch mit emotionalen Mitteln verteidigt wird.Footnote 361 Diesen Umstand übersieht auch Smith, wenn er davon ausgeht, Nationalismen müssten einen ‚wahren Kern‘ haben, weil ihre Machtentfaltung anders nicht zu erklären wäre.Footnote 362 Nationalismen haben jedoch keinen ‚wahren Kern‘, vielmehr erschaffen sie Wahrheit, indem sie an konventionalisierte Symbole (oder in diesem Fall Begriffe) anknüpfen und sie zu kohärenten Erzählungen verstricken.Footnote 363 Diese Erzählungen geraten durch ihre kollektive Anerkennung zur Wirklichkeit schlechthin und Widerspruch gegen sie wird zur Bedrohung der Weltordnung als Ganzes. Der emotionale Schutzmechanismus, der kulturelle Wirklichkeitssphären gegeneinander abschirmt,Footnote 364 erschwert den wechselseitigen Austausch und die Verständigung zwischen ihnen – ganz besonders, wenn sie, wie im Fall der hier vorgestellten Diskurse – auf einem wechselseitigen Antagonismus beruhen.

Berger und Luckmann weisen berechtigterweise darauf hin, dass kulturelle Wirklichkeiten einander nicht zwangsläufig ‚bekriegen‘ müssen und dass es – gerade auch in komplexen Gesellschaften – immer mehrere Wirklichkeiten gibt, die nebeneinander und miteinander koexistieren.Footnote 365 In Abschn. 5.3 dieser Arbeit wird offenbar werden, dass es in der Tat einen dritten Diskurs im Diskursfeld gibt, der in hohem Maße mit dem staatsnationalen Diskurs kooperiert. Zudem gesteht der staatsnationale Diskurs auch anderen kulturellen Wirklichkeiten ihre Daseinsberechtigung innerhalb der gesamtdeutschen Sinnwelt zu, beispielsweise diversen religiösen, ethnischen und (ob seiner kosmopolitischen Ausrichtung) sogar auch anderen nationalen Realitäten. Warum können sich also einige Wirklichkeiten problemlos miteinander arrangieren und andere können dies nicht? Tatsächlich scheint die ‚Integrationsfähigkeit‘ unterschiedlicher Wirklichkeitskonstruktionen v.a. davon abzuhängen, ob sie eine gemeinsame Phänomenstruktur teilen oder nicht. Teilen sie keine gemeinsame Phänomenstruktur – bewegen sie sich also thematisch auf unterschiedlichen Gebieten – fällt die Koexistenz leicht, weil es keinerlei Überschneidungen zwischen ihnen gibt und daher auch keine Möglichkeit, einander zu widersprechen. Gründen sie jedoch ganz oder teilweise auf denselben theoretischen Grundbegriffen, ist die Möglichkeit der Koexistenz in erster Linie davon abhängig, wie sie diese Grundbegriffe jeweils mit Bedeutung ausgestalten und ob diese Bedeutungen miteinander kompatibel sind. In Abschnitt 5.3 dieser Arbeit wird zu zeigen sein, dass der staatsnationale Diskurs und der dritte dominante Diskurs im Diskursfeld der Hamburger Einbürgerungsinitiative in vielen ihrer zentralen Aussagen problemlos aufeinander abgestimmt werden können. Mehr noch: Sie ergänzen einander auf positive Weise und verstärken wechselseitig ihre Macht. Ganz im Gegensatz dazu erschafft der ethnonationale Diskurs eine Realität, die nicht mit derjenigen des staatsnationalen Diskurses vereinbar scheint, weil alle wichtigen Grundbegriffe diametral verschieden ausgelegt werden. Vor diesem Hintergrund können ihre antagonistischen Wirklichkeiten nicht ohne weiteres in dieselbe symbolische Sinnwelt integriert werden.Footnote 366 Jeder Diskurs untergräbt den Realitätsanspruch des jeweils anderen. Die Akteur_innen im Diskursfeld können die beiden Wirklichkeiten nur dann miteinander in Einklang bringen, wenn sie eine Wahl treffen.Footnote 367 Sie müssen festlegen, welcher Diskurs wahr ist. Kurzum: Sie müssen sich für eine Wirklichkeit entscheiden. In Anbetracht dessen sind andere religiöse, kulturelle und selbst nationale Ideologien für den staatsnationalen Diskurs nicht bedrohlich, insofern sie dessen Leitanspruch in einer gemeinsamen symbolischen Sinnwelt akzeptieren und sich – entsprechend seiner Vorstellungen vom transkulturellen Konsens – in diese einfügen. Der ethnonationale Diskurs hingegen hinterfragt die symbolische Ordnung der staatsnationalen Wirklichkeit und sieht gleichermaßen seine eigene Ordnung durch diese bedroht. Um Macht zu entfalten, müssen die Diskurse Sprecher_innen für sich gewinnen und Adressat_innenkreise erschließen – und das gelingt ihnen nur, indem sie deren Wahl für sich entscheiden, indem sie also den gegnerischen Diskurs der Unwahrheit überführen.

Laclau und Mouffe heben hervor, dass es eine zentrale Funktion von Diskursen ist, ihren Adressat_innen Identitätsangebote zu machen. Diese Identitätsangebote weisen – im Einklang mit den Erkenntnissen der ethnologischen Ethnizitätsforschung – einen antagonistischen Charakter auf, indem sie das, was sie nicht sind, immer schon implizit mitdenken.Footnote 368 Angesichts dessen, dass die beiden dominanten Diskurse mit ihren Wirklichkeitsansprüchen um Publika buhlen, ist offensichtlich, dass erfolgreiche Identitätsangebote in diesem Kampf eine wichtige Machtressource darstellen. Klar ist außerdem auch, dass die Diskurse sich nicht nur darauf beschränken können, ihre eigenen Identitätsangebote bestmöglich zu ‚vermarkten‘. Die Identitätsangebote der einen Seite sind untrennbar mit denjenigen der anderen Seite verbunden, weil sie einander inhaltlich widersprechen. Aus diesem Grund müssen die Diskurse nicht nur ihrerseits Identitätsangebote anbringen, sondern sie müssen zugleich auch die Identitätsangebote der anderen Seite entwerten, um ihren eigenen Angeboten Geltung zu verschaffen. Dieser inhärente Antagonismus ist im Verlauf der Abschnitt 4.1 und 4.2 bereits mehrfach explizit oder implizit hervorgetreten. So nehmen Sprecher_innen des ethnonationalen Diskurses z. B. explizit Bezug auf Akteur_innen des staatsnationalen Diskurses und belegen diese mit negativen Rollenzuschreibungen.Footnote 369 Gleichzeitig tun sich im staatsnationalen Erzählstrang Inkonsistenzen auf, weil dieser implizit versucht, die negativen Zuschreibungen des Gegendiskurses (etwa im Hinblick auf ‚schlechte Migrant_innen‘) emotional aufzufangen und durch positive Angebote aufzuwiegen (etwa durch die Kategorie der ‚guten Migrant_innen‘, die vorbildliche (einseitige) Integrationsleistungen erbringen).Footnote 370

Die Sprecher_innen beider Diskurse reagieren ganz offensichtlich aufeinander – mit negativen Fremdzuschreibungen, mit inhaltlichen Argumenten oder mit der Dekonstruktion gegnerischer Subjektkategorien. In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, einen genaueren Blick auf die Subjektpositionen sowie -klassifikationen zu werfen, wie Tabelle 4.2 sie zusammenfasst. Demnach entwirft der staatsnationale Diskurs ein relativ unkomplexes Akteursmodell: ‚Gute Migrant_innen‘ werden zu ‚guten (eingebürgerten) Staatsangehörigen‘ und gehen gemeinsam mit ‚guten (geborenen) Staatsangehörigen‘ im Ideal des/der ‚kosmopolitischen Staatsbürger_in‘ auf. ‚Schlechte Migrant_innen‘ und ‚schlechte Staatsangehörige‘ (egal ob geboren oder eingebürgert) spielen im Diskurs keine (oder zumindest keine nennenswerte) Rolle, vermutlich, weil diese Akteursklassen nicht zur Eigenlogik seiner optimistischen Wirklichkeitsdefinition passen. Ganz im Gegensatz dazu entwickelt der ethnonationale Diskurs ein komplexes taxonomisches Modell sowohl von ‚guten‘ und ‚schlechten Migrant_innen‘, als auch von verschiedenen Klassen von Staatsangehörigen. Er unterscheidet zwischen ‚anständigen Deutschen‘ einerseits und ‚Feinden der Nation‘ andererseits. Unter letzteren subsumiert er ‚schlechte Migrant_innen‘, ‚illegitime (eingebürgerte) Deutsche‘ (ehemals ‚schlechte Migrant_innen‘) und ‚kosmopolitische Eliten‘ bzw. ‚Einbürgerungsbefürworter_innen‘ (alias politische / zivilgesellschaftliche Eliten und deren Anhängerschaft). Demgegenüber stehen (einige wenige) ‚gute Migrant_innen‘, die (wenigstens potenziell) zu ‚anständigen (eingebürgerten) Deutschen‘ werden können sowie ‚echte Deutsche‘, deren Gruppe ethnisch definiert und insofern exklusiv ist. ‚Anständige Deutsche‘ im Allgemeinen werden als ‚entrechtete Minderheit‘ im eigenen Land inszeniert. Nur ‚echte Deutsche‘ können sich indes zugleich auch auf das positive Identitätsangebot der ‚überlegenen Volksgemeinschaft‘ berufen. Dieses unklare Verhältnis zwischen ‚echten‘ und ‚anständigen Deutschen‘ ist in Abschnitt 4.2 bereits angesprochen worden. Mal scheint angenommen zu werden, dass ‚anständige Deutsche‘ zwangsläufig ‚echte Deutsche‘ sein müssen, mal wird eingeräumt, dass ‚gute Migrant_innen‘ (unter besonderen Umständen) zu ‚anständigen Deutschen‘ werden können. Das ethnonationale Akteursmodell erinnert vage an die taxonomische Skala von Deutschsein bis Fremdsein, wie Forsythe sie in den 1980er Jahren erhoben hat und wie sie in der Einführung zu dieser Arbeit knapp umrissen wurde. Ganz offensichtlich ist das ethnonationale ‚Pantheon‘ überdies deutlich komplexer und vielschichtiger als dasjenige des staatsnationalen Diskurses. Warum ist das so?

Betrachtet man die beiden Diskurse hinsichtlich ihrer Sprecher_innenstruktur und ihres Adressat_innenkreises, fällt ein gravierender Unterschied ins Auge: Während der staatsnationale Diskurs in der Hauptsache von politischen Eliten geführt wird und (wenigstens in seinem Schwerpunkt) an Migrant_innen adressiert ist (bzw. an potenzielle Wähler_innen, die eine offensive Einbürgerungspolitik befürworten), scheinen die zivilgesellschaftlichen Sprecher_innen des ethnonationalen Diskurses sich in aller erster Linie selbst zu adressieren. Der ethnonationale Diskurs bewegt sich größtenteils innerhalb mehr oder weniger ‚geschlossener‘ virtueller Räume (die zwar letztlich öffentliche Räume sind, jedoch nur von einem kleinen Teil dieser Öffentlichkeit genutzt werden). Die Sprecher_innen diskutieren untereinander, miteinander und übereinander. Ihre Foren erscheinen als ‚Treffpunkt der Frustrierten‘ und kreisen maßgeblich um sich selbst. Zwar nehmen sie immer wieder extensiv (und aggressiv) Bezug auf Außenstehende, diese Bezugnahme dient jedoch letztlich der diskursiven Konstitution ihrer eigenen Identität. Ganz im Gegensatz dazu ‚vermarktet‘ der staatsnationale Diskurs Identitätsangebote – ‚gute Migrant_innen‘ / ‚gute (eingebürgerte) Staatsangehörige‘ – die sozusagen ‚fremdadressiert‘ sind. Damit soll nicht gesagt sein, dass es nicht auch unter den Sprecher_innen des staatsnationalen Diskurses Migrant_innen und eingebürgerte Deutsche gibt. Dominiert wird dieser Diskurs jedoch in aller Regel von institutionalisierten Sprecher_innen, die weniger als individuelle Personen in Erscheinung treten, denn als ‚Repräsentant_innen des Systems‘ (Politiker_innen, Journalist_innen, Leitende zivilgesellschaftlicher Organisationen, kollektive Akteur_innen der Verwaltung, etc.). In diesem Zusammenhang lässt sich die These aufstellen, dass Sprecher_innen des ethnonationalen Diskurses in deutlich höherem Maße emotional betroffen sind, als (die dominanten) Sprecher_innen des staatsnationalen Diskurses. Zwar gibt es auch im staatsnationalen Feld individuelle und zum Teil hochgradig emotionale Stimmen, doch diese dominieren den Diskurs nicht in dem Maße, wie es im ethnonationalen Feld der Fall ist. Demnach kann die höhere Komplexität der ethnonationalen Identitätskategorien darauf zurückgeführt werden, dass hier Sprecher_innen ihre eigene Identität entwerfen. Diese Identität muss den vielfältigen Anforderungen gerecht werden, welche die gesellschaftliche Sinnwelt an sie richtet. So muss zum einen die enorme Frustration der Sprecher_innen aufgefangen und in positive Energie umgewandelt werden – das gelingt v.a. durch die Subjektangebote der ‚entrechteten Minderheit‘ (im revolutionär-emanzipatorischen Kampf gegen ‚Feinde innen und außen‘) sowie der ‚echten Deutschen‘ als ‚überlegener Volksgemeinschaft‘ (mit einem quasi-natürlichen Führungsanspruch gegenüber allen anderen Subjektkategorien). Gleichzeitig müssen die Identitätsangebote allerdings auch Angriffe des staatsnationalen Diskurses abfedern und die ethnonationale Wirklichkeitskonstruktion für ‚Minderheiten in den eigenen Reihen‘ attraktiv machen – das wiederum gelingt maßgeblich durch die Subjektkategorien der ‚guten Migrant_innen‘ (in Abgrenzung zu den vielen ‚schlechten Migrant_innen‘, die der staatsnationale Diskurs ‚fälschlicherweise‘ als ‚gute Migrant_innen‘ inszeniert) und der ‚anständigen Deutschen‘ (die in gewissen Grenzen offen steht für die Aufnahme ‚guter Migrant_innen‘ als ‚anständige (eingebürgerte) Deutsche‘). Die doppelte Identitätskategorie der ‚echten‘ und der ‚anständigen Deutschen‘ erlaubt unterschiedliche Identifikationsformen je nach Bedarf und Kontext und wertet die Sprecher_innen zudem in zweierlei Hinsicht moralisch auf – als ‚überlegene Volksgemeinschaft‘ einerseits und als (ggf. sogar absichtlich) missverstandene ‚entrechtete Minderheit‘ andererseits.

Gegenüber diesem komplizierten Modell legt der staatsnationale Diskurs einen klaren Fokus auf die Subjektposition der ‚guten Migrant_innen‘ bzw. der ‚guten (eingebürgerten) Deutschen‘, die er – ob ihres herausragenden Humankapitals – als prädestinierte ‚kosmopolitische Staatsbürger_innen‘ inszeniert. Die besondere positive Aufwertung der ‚Migrant_innen-Kategorie‘ lässt sich zum einen damit erklären, dass der staatsnationale Diskurs mit seinen fremdadressierten Identitätsangeboten Werbezwecke verfolgt. Der Diskurs will ein sehr spezifisches politisches Ziel erreichen und tut dies, indem er emotionale Macht erzeugt. Die positive Emotionalisierung der ‚Migrant_innen-Kategorie‘ ist aber auch aufgrund dessen notwendig, weil die Adressat_innen des staatsnationalen Diskurses sich in ihrem Alltag mit den negativen Subjektklassen des ethnonationalen Diskurses konfrontiert sehen, sowie mit dessen Klassifizierung der Nation als ethnische Gemeinschaft und der Klassifizierung des Staates als Wächter.Footnote 371 Um diese abschreckenden Wirklichkeitsbausteine zu entkräften, führt der staatsnationale Diskurs sie mit seinen positiven Identitätsangeboten und seinem geteilten Integrationsbegriff (Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe vs. Integration als migrantische Erfolgsleistung) ad absurdum.

Die normative Subjektposition des/der ‚kosmopolitischen Staatsbürger_in‘ leitet unmittelbar über zur nächsten Beobachtung der Analyse. Der staatsnationale Diskurs lässt eingebürgerte Deutsche in gewisser Hinsicht als ‚bessere Deutsche‘ erscheinen, insofern sie das sozial erwünschte kosmopolitische Humankapital (quasi-automatisch) bereits mitbringen, während Deutsche qua Geburt sich dieses (ebenso quasi-automatisch) immer erst aneignen müssen (es sei denn sie haben ihrerseits den ‚Vorteil‘ eines Migrationshintergrunds). Diese diskursive Bevorzugung von Migrant_innen und Eingebürgerten kehrt die extreme Benachteiligung um, die diese Personengruppen durch den ethnonationalen Diskurs erfahren. Gleichzeitig heizt sie allerdings auch den ethnonationalen Diskurs als solchen an, weil dessen Sprecher_innen sich durch die staatsnationale Logik ihrerseits benachteiligt fühlen. In diesem Sinne müssen letztlich beide Diskurse wechselseitig als Gegendiskurse begriffen werden, weil sie ihre Existenz in wesentlichen Teilen aus der (antagonistischen) Existenz ihres jeweiligen Gegenübers ableiten. Angesichts dieser Tatsache ist es besonders bemerkenswert, dass beide Diskurse in gewissen Punkten Schnittmengen aufweisen. So formulieren letztlich beide Diskurse die (wenigstens implizite) Erwartung, dass Eingebürgerte bessere Deutsche sind oder sein müssen. Beide Diskurse verknüpfen ihre Integrationserwartungen mit Vorstellungen von Leistung. Im Falle des ethnonationalen Diskurses wird der Leistungsgedanke v.a. wirtschaftlich und kulturassimilativ ausgelegt, im staatsnationalen Fall steht dagegen neben wirtschaftlichen Beiträgen v.a. auch zivilgesellschaftliche und politische Beteiligung im Vordergrund. Außerdem betont der staatsnationale Diskurs die Vorbildfunktion der Eingebürgerten gegenüber einer etwaigen ‚migrantischen Nachfolgegeneration‘. Beide Diskurse verorten demnach einen wesentlichen Teil der Integrationsleistung bei der Gruppe der Migrant_innen – der ethnonationale Diskurs in Form einer normativen Forderung, der staatsnationale Diskurs in Form einer deskriptiven Feststellung. Dabei ist zu beachten, dass auch eine deskriptive Feststellung auf emotionaler Ebene normative Macht erzeugen kann, indem sie ein positiv konnotiertes Rollenbild entwirft, dem die Adressat_innen in der Folge gerecht werden müssen (oder wollen). Dass beide Diskurse auf das Element der nationalen Identität rekurrieren ist kaum überraschend, da diese einen wesentlichen Baustein jeder nationalistischen Ideologie ausmacht. Sehr wohl überraschend ist indes, dass beide Diskurse dem Faktor Kultur einen besonderen Stellenwert einräumen. Beide gehen davon aus, dass Kultur als Variable im Einbürgerungsprozess sowie auch in Bezug auf den Staatsangehörigkeitsstatus relevant ist – was umso bemerkenswerter scheint, weil der staatsnationale Diskurs seine Argumentation im Wesentlichen auf der Betonung demokratischer Rechte aufbaut (eine Argumentation, die letztlich auch ohne den Faktor Kultur hinlänglich auskommen würde). Ganz offensichtlich scheint das Kulturkonzept in der öffentlichen Arena eine so bedeutsame Stellung einzunehmen, dass selbst ein staatsnationaler Diskurs sich dieses Konzept zu eigen machen muss, wenn er von seinen Adressat_innen ernstgenommen werden will. Diese besondere Bedeutung des Kulturbegriffs für die öffentliche Meinungsbildung ist nicht zuletzt auch auf das Engagement des ethnonationalen Diskurses und seiner historischen Vorläufer zurückzuführen, die (wie in Abschnitt 2.5 gezeigt wurde) die deutsche Debatte in Politik und Gesellschaft über einen langen Zeitraum maßgeblich mitgeprägt haben. In diesem Sinne kann man die beiden hier nachverfolgten Diskurse sehr wohl auch in die Tradition der antagonistischen Kulturalisierungsregime nach Reckwitz stellen.Footnote 372 Der Widerstreit von Hyperkultur und Kulturessenzialismus ist als Grundmotiv in den Narrationen immer wieder hervorgetreten. In der Tat bildet der Kampf der Kulturalisierungsregime einen wesentlichen Teil des Kampfes der kulturellen Wirklichkeiten, wie er sich im Diskursfeld entfaltet und wie er die diskursiven Eigenlogiken in wechselseitiger Konstitution hervorbringt.

Es ist eine besondere Eigenart dieses Kampfes, dass Elemente der antagonistischen Diskurse über die Grenzen ihrer jeweiligen Sprecher_innenschaft hinweg diffundieren. Letztendlich stellen die Grenzen zwischen den Sprecher_innen natürlich keine ‚echten‘ Grenzen dar. Diskursiver Sinn entfaltet sich im kollektiven und nicht im individuellen Raum der Sinngebung, insofern sind Diskurse nicht an Sprecher_innen gebunden (oder umgekehrt). Trotzdem ist es auffällig, dass dominante Akteur_innen des staatsnationalen Diskurses z. T. Deutungspartikel der ethnonationalen Erzählung übernehmen. So tauchen Anklänge eines essentialistischen Kulturbegriffs in den Publikationen der Freien und Hansestadt Hamburg auf – beispielsweise wenn das TGH-Lotsenprojekt mit der kulturellen Kompetenz seiner Mitwirkenden beworben und diese Kompetenz mit der umfänglichen Kenntnis ganzer National- wenn nicht sogar Kontinentalkulturen gleichgesetzt wird. Essentialistische Auslegungen von Kultur und Identität sowie assimilative Auslegungen von Integration finden sich überdies auch in Aussagen des staatsnationalen Kampagnenpersonals, z. B. im Rahmen der Plakataktion und deren massenmedialer Vermarktung.Footnote 373 Hierin zeigt sich, dass kulturelle Wirklichkeiten nicht ‚still halten‘ wie James Clifford es formuliert hat.Footnote 374 Die Diskurse sind ständig in Bewegung, generieren Wissen und machen Identitätsangebote, kurzum: Sie üben Macht aus. Zugleich sind aber auch die Individuen in Bewegung, die sich in ihrem Alltag mit den Diskursen konfrontiert sehen (als Adressat_innen und als Sprecher_innen gleichermaßen). Die diskursiven Deutungsangebote stellen sie ständig vor die Notwendigkeit der Wahl – zwischen Meinungen, zwischen Identitäten, zwischen Wirklichkeiten. Das Ergebnis dieser Wahl ist nicht statisch, sondern – im Einklang mit Laclau und Mouffe – immer nur partiell und immer nur temporär.Footnote 375 Die Widersprüche des Diskursfelds lösen sich nicht auf, sie werden ständig neu verhandelt. Abschnitt 5.1 der vorliegenden Arbeit wird diesem Umstand weiterführend Rechnung tragen.

Das Diskursfeld der Hamburger Einbürgerungsinitiative erschöpft sich nicht allein in den beiden dominanten Diskursen, wie sie in den Abschnitten 4.1 und 4.2 vorgestellt wurden. Auch die ergänzende Darstellung des dritten dominanten Diskurses in Abschn. 5.3 der Arbeit bildet die Komplexität des Feldes nicht erschöpfend ab. Neben den dominanten Strömungen gibt es andere, weniger einflussreiche Linien. Einige dieser Linien sind in den Abschnitten 4.1 und 4.2 bereits angesprochen worden. An dieser Stelle soll eine Weitere Erwähnung finden, weil sie den beiden untersuchten Nationalismen in erheblicher Weise zuwiderläuft. Gemeint ist damit eine Deutung, die in der Debatte lediglich hier und da am Rande aufblitzt und ihrerseits keinen besonderen Einfluss auf das Diskursfeld als Ganzes nimmt. Nichtsdestoweniger ist sie von erheblicher Relevanz für die dargelegte Untersuchung, gerade weil sie in der Diskussion derart in den Hintergrund tritt. Es handelt sich um ein Deutungsmuster, das Staatsangehörigkeit als reinen Rechtsstatus klassifiziert, ohne jede identifikative oder gar emotionale Komponente. Diese Interpretation hinterfragt das nationalistische Prinzip von Grund auf und damit überdies auch jede soziale Konstruktion von Nation, wie sie den oben untersuchten Diskursen zu eigen ist. Sie ist – im eigentlichen Sinne – postnational.

Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, die postnationalistische Logik weiter zu durchleuchten. Die vorliegende Analyse befasst sich mit den dominanten Diskursen im Diskursfeld und deren etwaigen nationalistischen Agenden. Der postnationale Minderheitendiskurs ist damit in doppelter Hinsicht nicht angesprochen. Nichtsdestoweniger ist die Beobachtung, dass es einen solchen Diskurs gibt und dass er sich an den äußeren Rändern der Debatte bewegt insofern zentral, als damit der diskursive Einflussradius der beiden nationalistischen Strömungen abgesteckt wird. Dieser Einflussradius ist ganz offensichtlich so groß, dass er Gegenstimmen mehr oder weniger vollständig verdrängt (was angesichts der starken Präsenz post- und transnationaler Anklänge etwa in der Untersuchung von ForsytheFootnote 376 so nicht unbedingt zu erwarten war). Es ist durchaus davon auszugehen, dass dies maßgeblich mit den positiven Identitätsangeboten zu tun hat, welche die nationalistischen Diskurse ihren Adressat_innen machen und die – ob ihrer emotionalen Dimension – deutlich attraktiver erscheinen als ein individualisierter Rechtsstatus, der gerade keinen emotionalen Anspruch geltend macht.Footnote 377 Darin zeigt sich die Bedeutung von Emotionen im Kontext diskursiver Macht-Wissen-Komplexe, wie sie in den nachfolgenden Kapiteln dieser Arbeit noch auf vielfältige Weise betrachtet werden soll.Footnote 378

Nachdem im vorliegenden Teil der Untersuchung v.a. die inhaltlichen Narrationen der Diskurse im Vordergrund standen, soll in den folgenden Abschnitten ein besonderes Augenmerk auf die Art und Weise gelegt werden, wie diese Narrationen Macht entfalten. Wesentliche Machinstrumente der diskursiven Wissensproduktion – in Form von Wirklichkeitskonstruktionen und korrespondierenden Identitätsangeboten – sind im bisherigen Verlauf bereits offenbar geworden. Im Anschluss daran wird es in Abschnitt 5.1 um die Frage gehen, ob und wenn ja wie die Wissensfragmente der Diskurse Eingang in die subjektiven Sinnwelten ihrer Rezipient_innen finden und inwiefern ihr wechselseitiges Verhältnis sich dabei auf der Mikroebene alltäglicher Interaktion (im Gegensatz zur massenmedial vermittelten Makroebene) verändert oder aber konstant bleibt. Abschnitt 5.2 befasst sich mit Machttechniken der Diskursproduktion im Kontext der Hamburger Einbürgerungsfeiern. Weiterführend untersucht Abschnitt 5.3 die Machtdynamik, die sich – nicht etwa durch antagonistische, sondern im Gegenteil auch durch symbiotische Beziehungen – zwischen Diskursen entwickeln kann. Zuletzt kehrt die Betrachtung in Abschnitt 5.4 zurück zu den massenmedial vermittelten Diskurslinien der beiden dominanten deutschen Nationalismen und analysiert deren Strategien und Ressourcen der Aussageproduktion.

Bevor die Analyse in der oben beschriebenen Weise voranschreiten kann, muss – neben der Beziehung zwischen staatsnationalem und ethnonationalem Diskurs sowie neben der Beziehung zwischen nationalistischen und postnationalistischen Deutungen im Diskursfeld – eine weitere wichtige Beziehung zwischen Diskursen erörtert werden, wie sie in den Abschnitten 4.1 und 4.2 zu Prominenz gelangt ist. Gemeint ist die Beziehung zwischen Folk Concepts von Kultur, Identität, Nation und Integration auf der einen Seite sowie wissenschaftlichen Konzeptionen auf der anderen Seite. Für die Ethnologie sind dabei in besonderem Maße die essentialistischen, evolutionistischen sowie diffusionistischen Auslegungen von Kultur (respektive Identität) relevant, die der ethnonationale Diskurs im Rahmen seiner Narration entwirft. Diese Konzepte sind ein legitimierender Grundstein seiner kulturfundamentalistischen (ggf. auch biologistisch-rassistischen) Wirklichkeitskonstruktion sowie der sich daran anschließenden machtvollen Subjektkategorien. Sie sind gleichzeitig das Produkt einer frühethnologischen Theoriebildung, wie sie aus heutiger Sicht als längst überholt und in hohem Maße problematisch gelten muss. Die Ethnologie hat im Hinblick auf ihren Kulturbegriff einen erheblichen Wandel und eine überaus selbstkritische Debatte durchlaufen, deren Ergebnisse sich auch (z. T. in transformierter, z. T. in radikalisierter) Form im staatsnationalen Diskurs wiederfinden.Footnote 379 Obwohl also die wissenschaftliche Entwicklung diesbezüglich mit großen Schritten vorangekommen und wenigstens ein Teil der Gesellschaft den Weg ganz offensichtlich auch mitgegangen ist, scheint ein anderer Teil der deutschen Öffentlichkeit weiterhin einem Kulturbegriff verhaftet zu sein, der dem 19. Jahrhundert entstammt und letztlich kaum mehr ist, als eine beschönigende Bezeichnung für ‚Rasse‘.Footnote 380 Angesichts dessen, dass der (moderne) wissenschaftliche und der populäre Diskurs dieselben theoretischen Grundbegriffe teilen, diese jedoch diametral anders mit Bedeutung versehen, ist es erstaunlich, dass von Seiten der (deutschen) Ethnologie so wenig Gegenwehr gegen diese konträre Wirklichkeitskonstruktion erfolgt.Footnote 381 Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass beide Diskurse gänzlich verschiedene Adressat_innenkreise ansprechen und die Ethnologie – ob ihres symbolischen Kapitals als etablierte Wissenschaft – nicht um ihren gesellschaftlichen Wahrheitsanspruch fürchten muss. Nichtsdestoweniger zeigen rezente politische Phänomene (wie etwa die Segregation von Migrant_innen in verschiedenen europäischen Städten,Footnote 382 die erheblichen Wahlerfolge der AFD in Deutschland,Footnote 383 die rechtspopulistischen Reaktionen auf die sogenannte ‚Flüchtlingskrise‘ von 2015Footnote 384 oder auch die neue Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes aus dem Jahr 2019Footnote 385), dass gesellschaftliche Wirklichkeiten sich – wie weiter oben dargelegt – immer im Fluss und im Prozess der Aushandlung befinden. Was gestern als ‚realitätsfern‘ galt, kann – unter gewissen Voraussetzungen – morgen zur allgemein akzeptierten Wahrheit werden. Angesichts dessen sollte die Ethnologie sich vielleicht ihres Wirklichkeitsanspruchs nicht allzu sicher sein und ein wenig mehr Gegenwehr an den Tag legen, wenn es um die diskursive Verteidigung ihrer wissenschaftlichen Grundbegriffe geht. Dies gilt umso mehr, da mit Berger und Luckmann davon auszugehen ist, dass es sehr wohl so etwas wie eine natürliche Umwelt und natürliche Vorbedingungen des Menschseins gibt, die der kollektiven Wirklichkeitskonstruktion Grenzen setzen (oder setzen sollte).Footnote 386 Dies gilt außerdem auch und gerade angesichts der Dynamik aus Wissen, Macht und Emotion, die im bisherigen Verlauf dieser Arbeit zu beobachten war und deren ‚Eigenleben‘ den normativen Ansprüchen an eine ‚vernunftgeleitete‘ demokratische Gesellschaft grundlegend zuwiderläuft.