Um der betrieblichen Praxis den Zugriff auf die akademischen Zugänge der Soziologie und Berufspädagogik zu erleichtern, haben wir auf Anregung des Technologiezentrums des Vereins deutscher Ingenieure (VDI TZ) sogenannte Themenkarten erstellt, mit denen unsere Begriffe erläutert, unsere Ansätze erklärt und mit einer grafischen Abbildung illustriert werden.Footnote 1 Auch hier war es uns wichtig, begriffliche Präzision mit anregender Reflexion zu verbinden. Sie liefern unter den einzelnen Rubriken keine Definitionen, die eins-zu-eins in die betriebliche Praxis zu übersetzen wären, sondern Stolpersteine, die einen zweiten und dritten Blick herausfordern, die nur im Betrieb, nicht im akademischen Text, ihren Gegenstand finden können. Im Idealfall läuft man mit diesen Themenkarten durch den Betrieb, entdeckt auf den ersten Blick, dass alles anders ist, auf den zweiten Blick, wie es ist, und auf den dritten Blick, dass die theoriegeleitete Perspektive so abwegig nicht ist. In diesem Sinn stellen wir die Themenkarten hier noch einmal zur Verfügung.

1 Organisation

Organisation ist Kommunikation von Entscheidungen.  Daran sind alle Mitarbeiter:innen beteiligt. Kommunikation von oben, von unten und aus der Mitte. Hinzu kommt Kommunikation innerhalb der Grenzen der Organisation und mit Partner:innen außerhalb der Organisation in einem weiteren Netzwerk. Jede Kommunikation trifft eine Entscheidung, wird verstanden oder nicht verstanden, angenommen oder abgelehnt, weiterverfolgt oder unterlaufen. Jede Entscheidung hat daher Konsequenzen, schreibt eine Geschichte, wird erinnert. So definiert eine Organisation ihre eigene Wirklichkeit.

Die Kommunikation von Entscheidungen geschieht nicht ad hoc, sondern beruft sich auf Prämissen, die deswegen gelten, weil sie auch für andere Entscheidungen gelten:

  • Programme bzw. Aufgaben,  regeln, was zu tun ist. Sie sind direkt und transparent zu kontrollieren.

  • Die Kenntnis von Personen regelt, an wen man sich zu welchen Fragen wendet. Sie erleichtert viele Entscheidungen, lässt sich jedoch schwer ändern.

  • Kommunikationswege regeln, welchen Verlauf Entscheidungen typischerweise nehmen, mit großem oder kleinem Spielraum für Abweichungen. Informelle Wege sichern ab, wie man sich auf formellen Wegen zu bewegen hat.

  • Die Organisationskultur regelt, auf welche Konventionen man sich verlässt, obwohl und weil sie nie formell entschieden worden sind. Sie spielt sich unwillkürlich ein, bleibt meist unthematisch, lebt von unfreiwilligen Beispielen und ist schwer oder gar nicht zu ändern.

Die ersten drei Prämissen können durch Entscheidungen beeinflusst werden, die vierte Prämisse entsteht und ändert sich nur durch Beispiele. Die Prämissen stehen untereinander in Konkurrenz. Jede neue Entscheidung bestätigt oder ändert ihr Verhältnis untereinander (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Organisation als Kommunikation von Entscheidungen

2 Digitalisierung

Digitalisierung ist die Einführung digitaler Programme und Apparate in einen Betrieb. Analoge Prozesse werden in digitale Datenformate übersetzt, die berechnet, gespeichert, kontrolliert und vorhergesagt werden sollen. Das gilt von der Maschinensteuerung über das Auftragsmanagement bis zum Wissensmanagement und der Vernetzung mit Kunden und Lieferanten. Scheinbar eindeutige Daten, deren Berechnung intransparent ist, treten an die Stelle von Erfahrungswerten, die zwar ungenau, aber kontextsensibel sind.

Digitalisierung verlangt die Einrichtung oder Neugestaltung von Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine. Schnittstellen haben eine Oberfläche, die über Wahrnehmung und Entscheidung dem Menschen zugewandt ist, und eine Unterfläche, die über Programme mit Maschinen verknüpft ist. Es kommt darauf an, die Schnittstelle so zu gestalten, dass das Potenzial der Maschine ausgeschöpft und die Kontrolle der Menschen gewahrt bleibt.

Der Mensch an der Maschine ist in betriebliche Prozesse eingebunden, die es ihm ermöglichen, sich an der Kommunikation von Entscheidungen zu beteiligen. Vertikale Prozesse verbinden den Menschen mit der Hierarchie des Betriebs, horizontale Prozesse mit der Wertschöpfungskette vom Lieferanten über den Betrieb bis zum Kunden und laterale Prozesse stellen Abkürzungen bereit und ermöglichen die Behebung von Fehlern.

An den Schnittstellen der Digitalisierung berühren sich die Lernprozesse der Menschen im Betrieb mit den Lernprozessen der Maschine (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Digitalisierung als Einrichtung von Schnittstellen

3 Schnittstellenanalyse

Eine Schnittstellenanalyse im Zuge von Prozessen der Digitalisierung rechnet mit technischen, sozialen und psychischen Systemen, die durch eine Schnittstelle verknüpft werden.

Auf der Unterfläche der Schnittstelle geht es um technische Systeme, vor allem Hardware und Software, die mehr oder minder kompliziert sind, jedoch grundsätzlich kausal kontrolliert werden können.

Auf der Oberfläche der Schnittstelle geht es erstens um psychische Systeme beziehungsweise um das Bewusstsein von Menschen, die relevante Vorgänge auf dieser Oberfläche sensorisch wahrnehmen, interpretativ verstehen und motorisch umsetzen können müssen.

Und es geht zweitens um soziale Systeme, in die das Erleben und die Handlungen der Menschen eingebettet sind. Diese sozialen Systeme verarbeiten die Daten der Maschinen als Information über betriebliche Zustände, Vorgänge und Planungen.

Eine Schnittstellenanalyse rechnet mit anspruchsvollen Aufgaben der Synchronisation dieser drei Systemreferenzen, die jeweils ihre eigene Zeit und Dynamik, ihre eigene Dringlichkeit und Aufmerksamkeit und ihre eigene Störanfälligkeit haben. Im Gegensatz zu technischen Systemen sind psychische und soziale Systeme nicht kausal kontrollierbar, sondern operieren eigensinnig und können angeregt, aber nicht instruiert werden.

Technische Systeme sind triviale Systeme mit eindeutigen Transformationsfunktionen, die analysiert und vorhergesagt werden können. Psychische und soziale Systeme sind nicht-triviale Systeme mit einer zusätzlichen Zustandsfunktion, die von außen nicht durchschaut werden kann und das Verhalten der Systeme unvorhersehbar macht. Die Schnittstellenanalyse muss daher durchgängig untersuchen und entsprechend gestalten, welchen Sinn die Daten der Maschinen für den Informationsbedarf der Menschen und des Betriebs machen (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Triviales System (a) und nicht-triviales System (b)

4 Vision

Die Durchführung von Digitalisierungsvorhaben muss technische, psychische und soziale Systeme unterscheiden, um sie aufeinander beziehen und untereinander abstimmen zu können. Da die Reaktionen von psychischen und sozialen Systemen nicht vorherzusehen sind, geht es hier um einen Lernprozess, der offen, rekursiv und reflexiv gestaltet werden muss, wenn man nicht vollendete Tatsachen schaffen will, deren Fehler sich erst im Nachhinein herausstellen.

Dieser Lernprozess kann nur gelingen, wenn unter Digitalisierung weder die Eins-zu-eins-Übersetzung von analogen Prozessen in digitale Daten noch die vollständige Anpassung analoger Prozesse an digitale Vorgaben verstanden wird. Analoge, das heißt kontinuierlich mitlaufende Prozesse sind grundsätzlich nichtidentisch mit den digitalen Datenformaten, die sie abzubilden versuchen. Mit dieser Nichtidentität kann man nur durch den Aufruf einer dritten Position, weder analogen noch digitalen Position umgehen. Diese dritte Position ist imaginär, das heißt sie erfindet einen zukünftigen Zustand, der als Vision das Vorhaben der Digitalisierung leitet. Diese Vision wird zum Gegenstand der Kommunikation im Betrieb.

Lernen ist ein laufender Abgleich zwischen analogen Gegebenheiten, digitalen Berechnungen und visionären Absichten. Ohne diese Absichten verliert man die Kontrolle des Digitalisierungsvorhaben entweder an die gegebene und träge Wirklichkeit oder an die technischen und riskanten, weil noch nicht bewährten Möglichkeiten (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Der imaginäre Pfad zwischen Analogem und Digitalem

5 Arbeit

Nicht mehr Arbeit (am mechanischen Gegenstand), sondern Lernen (im Netzwerk elektronischer Medien) ist das wichtigste Kennzeichen industrieller Produktion im Zeitalter der Automation (und Digitalisierung). Das hat Marshall McLuhan bereits 1964 in seinem Buch Understanding Media (Kap. 33) festgestellt. Arbeit geschieht Schritt für Schritt, im Prinzip sequenziell, Lernen hingegen umfassend oder „systemisch“, im Prinzip simultan.

Arbeit orientiert sich an Zwecken. Immer dann, wenn eine Aufgabe gestellt wird, wird sie abgearbeitet. Lernen hingegen orientiert sich am Nichtwissen und Nichtkönnen. Immer dann, wenn man nicht weiter weiß oder kann, wird gelernt. Aber auch dann, wenn man routiniert seine Arbeit macht, wird gelernt, weil man nicht weiß, wie lange man noch tun kann, was man gerade tut. Lernen ist ubiquitär und unvermeidbar.

Lernen beinhaltet, jederzeit den Status des Auftrags, den Zustand der Technik, die Qualität des Produkts und die Zuverlässigkeit des Betriebs zu überprüfen. Nichts wird als gegeben hingenommen, alles kann sich jederzeit ändern. War die Zukunft für die traditionelle Arbeit mit dem Auftrag festgelegt, so gilt sie jetzt grundsätzlich und unvermeidbar als unbekannt. Man weiß, dass man jetzt noch nicht weiß, was man bereits morgen lernen wird – oder erst dann lernen wird, wenn es zu spät ist.

Das hat Folgen für die Organisation. Sie wird agil, weil sie ständig bereit sein muss, angesichts neuer Herausforderungen bisherige Sicherheiten in Frage zu stellen. Digitalisierung ist nicht nur eine Konsequenz der Einführung elektronischer Medien, sondern auch eine Form, sie zu beherrschen. Allerdings wächst damit die Herausforderung (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Lernen als Produkt der Digitalisierung

6 Netzwerkorganisation

Ein Digitalisierungsvorhaben betrifft nicht nur die technische Infrastruktur eines Betriebs, sondern auch seine soziale Struktur. Management und Belegschaft müssen es anlässlich eines Digitalisierungsvorhaben lernen, die Organisation ihres Betriebs nicht nur als technische Lösung eines mehr oder minder eindeutigen Problems, sondern auch als soziale Form der Kooperation und Koordination, der Konkurrenz und des Konflikts zu betrachten.

Eine Digitalisierung, die am Arbeitsplatz beginnt, indem sie ihm eine größere Autonomie gibt, rückt Formen der Hierarchie, Autorität und Macht in den Blick, die genau das verhindern. Mit der Digitalisierung wird die Organisation zu einer Netzwerkorganisation, in der horizontale Bezüge entlang der Wertschöpfungskette mindestens so wichtig sind wie vertikale Bezüge entlang der Hierarchie. Man sucht nach einem neuen Verständnis von Führung, die sich als Dienstleistung im Rahmen der Ermöglichung einer reibungslosen und rentablen Kommunikation mit Lieferanten und Kunden versteht.

Man lernt, dass die neuen Technologien der elektronischen Vernetzung eine mindestens so verlässliche Ordnungsgarantie (inmitten aller Unordnung) sind wie die jahrtausendelang eingeübte Hierarchie. Da man jedoch mehr Dinge schneller ändern kann, ist man häufiger miteinander im Gespräch und muss schneller riskante Entscheidungen treffen; zugleich wächst die Komplexität der verfügbaren Daten. Agilität ist eine Antwort auf diese Herausforderung (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Technische und soziale Transformation zur Agilität

7 Oberflächen

Bildschirme, Touchscreens, Schalttafeln und Tastaturen sind die Oberflächen digitaler Medien. Sie ermöglichen den optischen, akustischen und taktilen Zugang zu Rechnern und Maschinen. Sie wenden sich zunächst an die menschliche Wahrnehmung und darüber hinaus an das menschliche Verständnis technischer und betrieblicher Abläufe. Ihr Design sollte diese Wahrnehmung und dieses Verständnis erleichtern, die Aufmerksamkeit auf relevante Daten und Zugriffe lenken und zugleich eine Vorstellung davon vermitteln, wie die zu steuernden technischen Vorgänge in die betrieblichen Prozesse eingebunden sind.

Oberflächen müssen somit einer Reihe von Bedingungen genügen:

  • Sie müssen wahrnehmbar sein.

  • Sie müssen verständlich sein.

  • Sie müssen Zugänge zu Rechnern und Maschinen erlauben.

  • Sie müssen über die Definition von Rechten und Pflichten in die betriebliche Organisation eingebunden sein.

Oberflächen positionieren die Mitarbeiter:in

  • gegenüber der Maschine,

  • gegenüber weiteren Mitarbeiter:innen,

  • innerhalb einer betrieblichen Hierarchie und

  • innerhalb einer betriebsübergreifenden Wertschöpfungskette.

Oberflächen müssen daher sowohl einen durch bestimmte Signale wie Zahlenangaben, Werte und Farben gesteuerten intuitiven Zugang als auch einen bei Bedarf vertieften reflexiven Zugang zu technischen und betrieblichen Vorgängen ermöglichen. Wichtig ist die mitlaufende Dokumentation aller Vorgänge, Abrufe und Eingaben. Der Blick auf die Oberfläche zusammen mit der abrufbaren Dokumentation sollen eine Vorstellung von der Komplexität dieser Vorgänge vermitteln, zugleich jedoch einfache Zugriffe ermöglichen. Nur so kann die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter:in zwischen der aktuellen Aufgabe und der Einschätzung des Kontexts dieser Aufgabe wechseln, ohne entweder einen Tunnelblick zu entwickeln oder die Übersicht zu verlieren (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Das Design von Oberflächen

8 Akzeptanz

Die wichtigsten Voraussetzungen für die Akzeptanz von Digitalisierungsvorhaben durch Management und Belegschaft sind das Vertrauen in die Übernahme von Verantwortung und die Schulung erforderlicher Kompetenzen.

Die Übernahme von Verantwortung wiederum setzt ein Verständnis betrieblicher Prozesse im Kontext technischer Möglichkeiten voraus. Dies ist nur durch Kommunikation und durch gemeinsames Lernen in sogenannten Communities of Practice sicherzustellen. Communities of Practice arbeiten nicht mit der Asymmetrie von Lehre und Lernen, sondern mit der Symmetrie eines sozialen Prozesses, in dem alle Beteiligten sich trotz unterschiedlicher Vorkenntnisse ein Verständnis des Sinns und der Möglichkeiten einer Digitalisierung (oder anderer Problemstellungen und Innovationen) erarbeiten. Es geht um die Ausübung von Macht  und um die Verständigung über diese Ausübung. Akzeptanz bedeutet, dass man sich auf die Autorität verlässt, im Zeitablauf Absichten stabil zu halten, auf den erforderlichen Einfluss, diese Absichten auch gegenüber Dritten durchzusetzen, und auf die Kompetenz, diese Absichten auch in der Sache zu vertreten (Luhmann 1995).

Akzeptanz erfordert Transparenz. Ein Beantwortung der Fragen, welche Probleme durch eine Digitalisierung gelöst werden sollen, welche Arbeitsplätze und Praktiken betroffen sind und wie die Betroffenen als Mitentscheider in den Prozess miteinbezogen werden, kann nicht durch „gute“ Kommunikation (im Sinne von „Mitteilungen“ an die Belegschaft) ersetzt werden, sondern ist ein notwendiger Teil der Art und Weise, wie der Betrieb durch die rückgekoppelte Kommunikation von Entscheidungen gestaltet wird. Digitalisierung findet Akzeptanz, wenn sie in Maßnahmen einer dialogischen und interaktiven Organisationsentwicklung eingebettet wird.

Eine entsprechende Schulung geschieht zunächst im Vorfeld durch Weiterbildung, entscheidend jedoch im Verlauf des Prozesses und vor Ort durch Lernen am Arbeitsplatz, unterstützt durch geeignete Räume und Zeitfenster, in denen Erfahrungen ausgetauscht, Probleme angesprochen und Lösungen gefunden werden können.

Die beiden Engpässe für das Entstehen von Akzeptanz sind:

  • mangelndes Vertrauen in die Kommunikation des Betriebs,

  • mangelndes Vertrauen in die Selbstwirksamkeit der Mitarbeiter:in.

Beide Engpässe können nur bewältigt werden, wenn es gelingt, die Vorteile und Nebenfolgen eines Digitalisierungsvorhabens für alle direkt Beteiligten und indirekt Betroffenen anzusprechen (Abb. 8).

Abb. 8
figure 8

Die Voraussetzungen von Akzeptanz

9 Lernen

Betriebliches Lernen geschieht entweder arbeitsplatzimmanent, arbeitsplatznah oder arbeitsplatzfern in Seminaren und Kursen:

  • Arbeitsplatzimmanentes Lernen geschieht im Zuge der Arbeit nahezu von selbst, erfahrungsbasiert und ohne die Präsenz von Lehrenden. Lernpotenziale und ihre Realisierung hängen von der Person, von Tätigkeitsmerkmalen und von der Arbeitsgestaltung ab.

  • Arbeitsplatznahes Lernen verwandelt den Arbeitsplatz temporär in einen Lernort. Kolleg:innen und Experten, jedoch keine explizit Lehrenden, machen darauf aufmerksam, was man bereits gelernt hat und noch lernen kann. Man unterstützt sich gegenseitig dabei, Schwächen zuzugeben, Probleme zu adressieren und neue Ideen auszuprobieren. Communities of Practice bewähren sich vor allem hier.

  • Arbeitsplatzfernes Lernen grenzt das Lernen im Seminar oder Kurs vom Arbeitsplatz ab, konfrontiert mit neuartigen Lerngegenständen und professionell Lehrenden. Es vermittelt Wissen und Fertigkeiten, die sich in der Praxis bewähren können.

Auf keine dieser Formen kann man verzichten. Es kommt vielmehr darauf an, sie geschickt miteinander zu verbinden. Im Kontext der Digitalisierung gilt es hierzu Antworten insbesondere auf folgende Fragen zu finden (Abb. 9):

  • Welches Wissen und Können braucht es, um Arbeitsprozesse anzupassen? Welche Kompetenzen sind notwendig, um die digitalisierte Arbeit verrichten zu können?

  • Was kann in der digitalisierten Arbeit gelernt werden? Welche Möglichkeiten zum arbeitsimmanenten Lernen eröffnet oder verschließt sie? Wie können digitale Oberflächen genutzt werden, um erfahrungsbasiertes Lernen zu fördern?

  • Wer im Betrieb verfügt über relevante Erfahrungen und Kompetenzen, die im Zuge arbeitsplatznahen Lernens geteilt und erweitert werden können? Welche Personen gilt es dazu zusammenzubringen? Wie können digitale Kooperationstools dies unterstützen?

  • Welche Seminare und Kurse unterstützend die Entwicklung neuartiger Kompetenzen? Wie entsteht aus dem neu Gelernten eine neue Praxis?

Abb. 9
figure 9

Formen des Lernens

10 Innovation

Innovation ist ein Ergebnis von Evolution. Die Einführung von etwas Neuem (lat. innovare) findet in einem bereits laufenden Betrieb statt, der für die meisten Vorgänge und Abläufe gute Gründe hat. Die Erneuerung stößt sich am Widerstand des Bewährten. Die Veränderung stößt sich am Widerstand des zu erledigenden Tagesgeschäfts. Das gilt für Vorhaben der Digitalisierung ebenso wie für jede andere Innovation.

Innerhalb eines evolutionären Modells durchläuft eine Innovation drei Phasen (Abb. 10):

Abb. 10
figure 10

Innovation als Ergebnis von Evolution

  • Die Innovation tritt zunächst als Variation auf, eine mehr oder minder zufällige oder auch beabsichtigte Änderung, die als Nein zum Bewährten kommuniziert und erlebt wird. Die meisten Variationen tauchen auf und verschwinden wieder. Sie sind Veränderungen im Arbeitsprozess, die sich nicht bewähren.

  • Fällt die Variation auf, wird sie in einem zweiten Schritt entweder positiv oder negativ selegiert. Die Selektion hält die Variation als eine Idee der Änderung fest, die entweder abgelehnt werden muss oder angenommen werden kann. Wer oder was entscheidet, ob eine Variation, sobald sie auffällt, angenommen oder abgelehnt wird? Die Belegschaft, das Management, ein Komitee? Die Annahme, also die positive Selektion, hat unabsehbare Konsequenzen. Und auch die Ablehnung, die negative Selektion, wird zum Teil des Gedächtnisses des Betriebs, so dass man sie später bereuen oder auch bestätigen kann.

  • Im Fall einer positiven Selektion greift die dritte Phase der Restabilisierung oder Retention. In dieser Phase wird die selegierte Variation mit den restlichen Abläufen und Vorgängen im Betrieb abgestimmt. Wenn etwas sich ändert, ändert sich regelmäßig auch vieles andere. Weil sich vieles ändert, nicht nur technisch, sondern auch personell und organisational, kommt eine Innovation nur zum Abschluss, wenn sich der Betrieb auf einer neuen Ebene wiederfindet und alle bisherigen Prozesse leicht verändert unter neuen Bedingungen weiterlaufen.

Man stellt sich die Innovation daher am besten als einen Schock vor, der nur überstanden wird, wenn der Betrieb über Resilienz verfügt, das heißt unter veränderten Bedingungen und möglicherweise mit einem neuen Selbstverständnis weiterlaufen kann. Innovationen gelten nur deswegen weithin als positiv, weil sie die Kraft haben müssen, diesen Schock zu überwinden.

11 Human und agil

Human ist ein Arbeitsplatz dann, wenn die Mitarbeiter:in eine Kontrolle darüber ausüben kann, wann und wie sie sich als selbstwirksam erfahren kann. Diese Selbstwirksamkeit bezieht sich additiv, alternativ oder auch komplementär auf:

  • den Arbeitsgegenstand,

  • die Aufgabe,

  • den betrieblichen Prozess,

  • den Umgang mit den Kolleg:innen,

  • die Beweglichkeit (Orientierung und Karriere) in der  Hierarchie.

Abgesehen von allgemeinen Regeln des Arbeitsrechts und des Arbeitsschutzes sowie von den üblichen Usancen eines respektvollen und anerkennenden Umgangs miteinander ist ein Arbeitsplatz dann human, wenn die Mitarbeiter:in eigene Dispositionen in Fragen der Priorität, des Tempos und der Koordination des Arbeitseinsatzes vornehmen kann.

Bemühungen um agile Betriebsstrukturen kommen Absichten der Humanisierung entgegen, weil Agilität die Selbstwirksamkeit durch den Einbau von Rückkopplungsschleifen in den Arbeitsprozess auch dann steigert, wenn zugleich eine enge Taktung der Arbeit die Autonomie wiederum beschneidet.

Digitalisierungsvorhaben sind dann human und agil gestaltet, wenn es zirkulär und rekursiv durch eine enge Abstimmung zwischen der Geschäftsführung, der Werksebene, der Instandhaltung, der Entwicklung und Programmierung und der IT-Dienstleistung gestaltet wird (Abb. 11). Im Management setzt dies starke Kompetenzen der Moderation voraus. Ein Prozess ist dann agil, wenn die Moderation klarstellt, wer in wessen Auftrag handelt. Die Geschäftsführung erteilt den Auftrag, sich an Aufträgen der Kunden zu orientieren. Davon abgeleitet gibt es Aufträge an die Werksebene, die Entwicklung und die Instandhaltung.

Abb. 11
figure 11

Selbstwirksam im Auftrag des Kunden